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Chem kyiM
föarbarlr College ILibrarg*
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I^ekrbteli
der
Organischen Chemie.
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Lehrbach
der
Organisch eX Chemie
oder der
Chemie der KohlenstoflPv^erbindiingen
▼on
Dr. Aug. Kekul6,
o. ProfesBonr der Chemie an der Staatsuniversitttt ztk Gent.
Erster Band.
Mit 19 in den Text eingedrackten Holzschnitten,
Erlangen.
Verlag von Ferdinand Enke.
186 1.
JhJA,, ^<yt'tft:r^
Dm Reoht der Uebersetzung behalt sieh Autor und Verleger vor.
SchneUpresacndrack von C. H. KunsUnann in Erlwagen.
Vorwort
Im Verlauf der letzten Jahre hat die organische Chemie in
Bezug auf thatsächliche Erkenntniss der in ihr Gebiet gehörigen Er-
scheinungen die umfassendsten Fortschritte gemacht; veranlasst
durch diese Entdeckungen haben die theoretischen Ansichten in der-
selben Zeit eine förmliche Umwälzung erlitten.
Aus Liebig's und Wöhler's Ansichten einerseits und anderer-
seits aus den Ideen der französischen Chemiker: Dumas, Laurent
und Gerhardt hat sich in neuester Zeit, wesentlich unter den Hän-
den von Williamson und Odling, Hofmann und Wurtz, eine An-
schauungsweise entwickelt, welche die Vorzüge der früheren, in
ihrer strengen Form oft widersprechend scheinenden Theorien in
sich vereinigt und so als möglichst allgemeiner Ausdruck unserer
jetzigen Erfahrungen dasteht, während sie gleichzeitig besser als
eine der früheren Ansichten von der Ursache der chemischen Phä-
nomene Rechenschaft gibt.
Das vorliegende Werk soll diese in dem überreichen Material
der einzelnen Arbeiten zerstreuten Ansichten zu einem übersicht-
lichen Ganzen zusammenfassen und durch eine auf sie begründete
Darstellung der im Gebiet der organischen Chemie erkannten That-
sachen ihre Zweckmässigkeit nachweisen.
Desshalb musste der allgemeine Theil mit einiger Ausführlich-
keit abgehandelt und neben einer umfassenden Darlegung und Be-
gründung der jetzigen theoretischen Ansichten, auch auf ihre Ent-
stehung zurückgegangen werden.
IV Vorwort
Dagegen konnte im speciellen Theil eine absolute Vollständig-
keit in der Aufzählung der Thatsachen nicht einmal angestrebt wer-
den, weil sie der Uebersichtlichkeit nur geschadet hätte. Alle durch
ihre Anwendung irgend wichtigen, so wie die für die Theorie
interessanten Thatsachen sind ausführlich besprochen, practisch und
theoretisch unwichtige sind nur kurz erwähnt, bisweilen auch voll-
ständig übergangen worden. Ganz besonders ist der Verfasser bemüht
gewesen, die Beziehungen der verschiedenen Körper zu einander
hervortreten zu lassen und von den bei den chemischen Metamor-
phosen stattfindenden Vorgängen Rechenschalft zu geben.
Die Beziehungen zwischen physikalischen und chemischen Ei-
genschaften sind in einem besonderen Gapitel besprochen. Die
Wichtigkeit , welche diese Gegenstände für die spätere Entwicklung
einer wirklich wissenschaftlichen Chemie darbieten, liess es nöthig
erscheinen, die bis jetzt erkannten Thatsachen mit einiger Voll-
ständigkeit anzuführen und bisweilen auf die Vorstellungen einzu-
gehen, welche sich aus diesen Thatsachen herleiten.
Ein besonderes Capitel behandelt endlich diejenigen allgemei-
nen Reactionen, welche ganzen Gruppen organischer Verbindungen
gemeinsam sind; so wie die Einwirkung der wichtigsten Reagentien
auf die den verschiedenen Gruppen zugehörigen Verbindungen.
Der Zweck des Werkes liess es geeignet erscheinen, vielfach
und namentlich bei neueren Arbeiten auf die Originalabhandlungen
zu verweisen. Dass die gegebenen Citate in keiner Weise voll-
ständig sind, versteht sich von selbst; bei ihrer Auswahl sind einzig
didactische Gründe leitend gewesen.
Die dem Text eingedruckten Abbildungen sind wesentlich dazu
bestimmt, an einzelnen Beispielen eine zweckmässige Aufstellung
der Apparate zu zeigen und das Verständniss der in neuerer Zeit
in Anwendung gekommenen Untersuchungs - und Darstellungsmetho-
den zu erleichtern.
Gent, 21. Mai 1859.
Aug* Eekule.
Inhalts verzeichuiss.
Seite
Allgemeiner Theil.
Begriff, Entstehung and frühere Entwicklung der organischen Chemie . . 3
Zusammensetzung der organischen Verbindungen 12
Bestandtheile —
Organische ElementaranaJyse 15
Qualitative Analyse —
Quantitative Analyse 17
Ableitung der Formel aus den Ergebnissen der Analyse 33
Berechnung der procentischen Zusammensetzung —
Ableitung des atomistischen Verhältnisses 84
Bestimmung des Aequivalentgewichtes 39
Bestimmung der physikalischen Eigenschaften der chemischen Verbin-
dungen 44
Ansichten Über die Constitution der organischen Verbindungen .... 65
Grenze von Thatsache und Hypothese —
Historische Entwicklung der Ansichten über die Constitution der orga-
nischen Verbindungen 69
Lavoisier^s Ansichten. Dualismus; Radicale —
Einfluss der atomistischen Theorie und der electrochemischen
Hypothese 60
Berzelius. Radicaltheorie 62
Ansichten von Laurent und Dumas. Gesetz und Theorie der Sub-
stitution. Typentheorie; Kemtheorie 66
Streit der electrochemischen Radicaltheorie gegen die Substitu-
tionstheorie 71
Neuere Modificationen der Radicaltheorie 75
VI InhaltsverzeichniBS.
Seite
Weitere Entwicklung der Typentheorie 77
Versache zur Feststellung der relativen Grösse der Atome und
Molecüle ^ 80
Laurents und Gerhardts Ansichten über Moleculargrösse ... 82
Gerhardt's Atomgewichte 83
Gerhardt's ünitfitstheorie 85
Classificationsversuche —
Verschmelzung der Radicaltheorie mit der Typentheorie ... 89
Theorie der mehratomigen Radicale 98
Theoretischer Theil 95
Betrachtungen über Atom und Molecül —
Bestimmung der Atomgrösse der Elemente 98
Bestimmung der Moleculargrösse 100
Atomgewicht, Moleculargewicht 107
Aequivalent —
Natur der Elemente. Idee der Typen 114
Eigenschaften der chemischen Verbindungen 124
Die chemischen Metamorphosen — Verbindung, Zersetzung 184
Radicale 146
Nothwendigkeit und Bedeutung der rationellen Formeln 152
Constitution der Radicale 158
Chemische Natur des Kohlenstoffs. Constitution der kohlenstofflialtigen
Verbindungen 161
Kohlenstoffreichere Verbindungen 166
Kohlenstoffhaltige Radicale 168
Basicität der kohlenstofflialtigen Radicale 170
Einfluss der relativen Stellung der Atome 172
Veränderung der Basicitöt der Radicale 175
Isomerie. Polymerie. Metamerie 183
Gepaarte Verbindungen. Gepaarte Radicale 192
Basicitätsgesetz 210
Classification der organischen Verbindungen 220
Beziehungen zwischen chemischen und physikalischen Eigenschaften . . . 281
Physikalische Eigenschaften bestehender und in demselben Aggregatzustand
beharrender Körger 232
Specifisches Gewicht . • —
Specifisches Gewicht gasförmiger Körper 233
Beziehung zwischen Dampfdichte und Moleculargewicht ... —
Anwendung des Gesetzes der Dampfdichte zur Correctur des
specifischen Gewichtes durch das Moleculargewicht .... 237
Ableitung der Molecularformel aus der Dampfdichte 238
InlialtaTeneteliiiiss. VH
Seite
Specifisches Gewicht gaBf&rmiger Körper.
Vortheile der atomistischen Molecolarformeln bei yolütnbetrach-
tungen 241
Aeltere Anschaaungsweise . 248
Aeltere Berechnungsweise 248
Specifisches Gewicht flüssiger Körper.
Beziehungen zwischen dem specifischen Yohrai und der chemi-
schen Zusammensetzung 268
Spedfisches Gewicht fester Körper 270
Specifische W&rme 271
y gasförmiger Körper 272
„ flüssiger Körper 276
„ fester Körper 278
Ausdehnung durch Wärme —
Physikalische Erscheinungen bei Veränderung des AggregÄtsRisiaadee . . 281
Siedepunktsregelmässigkeiten "... —
Schmelzpunkt 286
Volumveränderung beim Uebergang von einerin Aggregalsastand ih
den andern . * 287
Latente Wärme 288
Physikalische Phänomene beim Zusammenbringen verschiedener Körper,
die keine chemische Wirkung auf einander ausüben 289
Diffusion der Gase; Mischung von Flüssigkeiten; Absorption dto
Gase*, Löslichkeit fester und flüssiger Körper etc —
Physikalische Erscheinungen bei chemischen Metamorphosen 296
Verbrenn ungs wärme —
Beziehungen zwischen den physikalischen Bigensehaften dkr vor
einer chemischen Metamorphose vorhandenen, zu ded physika-
lischen Eigenschaften der durch sie erzeugten Körper .... 299
Formverhältnisse fester organischer Verbindungen 801
Optische Eigenschaften organischer Verbindungen 90S
Brechungscoefücient , Circularpolarisation etc. . . ^ . . . . —
Specieller Theil.
Cyanverbindungen 308
Cy an verbin düngen des Wasserstofftyps 810
„ „ Wassertyps 844
„ „ Ammoniaktyps 868
Fettkörper 361
Allgemeine Reaetionen —
Verbindungen der einatomigen Kohlenwasserstoffradicale : 6kiH2a-f-i
(Alkoholradicale) 869
Vm Inhaltoveneichiiiss.
Seite
Allgemeine Betrachtungen 869
KethylverbindQDgen 880
Aethylverbindangen 894
Propyl-, Butyl-, Amyl- und Caproylverbindungen 480
Caprylverbindungen 437
Cetylverbindnngen 489
Gerylverbindungen 441
Hyrlcylverbindüngen 442
Verbindungen der Alkoholradicale mit den Elementen der StickstolT-
gruppe 443
Allgemeine Betrachtungen —
Stickstoffbasen der Alkoholradicale 447
Phosphorbasen „ „ 466
Arsenbasen ,, ,, 472
Antimonbasen ,. ,, 484
Wismuthbasen „ „ 488
Boräthyl 489
Verbindungen der Alkoholradicale mit einatomigen Metallen .... 490
Verbindungen der Alkoholradicale mit zweiatomigen Metallen . . . 492
Zink-, Magnesium-, Quecksilberverbindungen —
Verbindungen der Alkoholradicale mit vieratomigen Metallen . . 505
ZinuTerbindungen. (Blei-, Aluminium-, Wolfram Verbindungen) —
Verbindungen der einatomigen Ozykohlenstoflfradicale : 6oH2u— lO.
(Fette Säuren und Abkömmlinge) 514
Allgemeine Betrachtungen . , —
Ameisensäure etc 542
Acetylverbindungen 549
Aldehyd —
Essigsäure etc 560
Hydrate der fetten Säuren 590
Anhydride der fetten Säuren 599
Aetherarten der fetten Säuren 600
Chloride, Bromide, Jodide der fetten Säuren 604
Amide der fetten Säuren 605
Aldehyde und Acetone 606
Zweiatomige Kohlcnwasserstoffradicale: OaHin 619
Allgemeine Betrachtungen —
Kohlenwasserstoffe: 6dH2o 629
Chlor-, Brom- und Jodderivate der Kohlenwasserstoffe: €nHtn - 684
Verbindungen der zweiatomigen Radicale: 6nH2D ^^
Glycole, etc .... , —
InhaltBverzeichniss. IX
Seite
Verbindungen der Radicale OnHin mit den Elementen der Stick-
Btoffgruppe 658
Snlfurylverbindongen der Radicale: OuHi» 673
Verbindungen der zweiatomigen Ozykohlenwasserstoffiradicale :
e„H2n-2e 678
Carbonylverbindungen 681
Eohlenoxyd, Kohlensäure etc —
Amidartige Verbindungen 687
Allgemeine Betrachtungen —
Amide der Kohlensfture 691
HamBtoflf etc 703
Sulfocarbonylverbindungen 713
Zweiatomige Sfiuren: 6nH2ii03 729
Betrachtungen über die Ursache des eigenthümlichen Verhaltens
dieser Säuren und ihrer Abkömmlinge 731
Glycolverbindungen (Glycolsäure etc.; Sulfoessigsäure) . . . 741
Lactylverbindungen (Milchsäure etc) 746
Oxybuttersäure, Acetonsäure, Butylactinsäure 764
Leucinsäure 755
Amide der Radicale: 6aH2n-20 756
Monamide 757
Aminsäuren (Glycine: Glycocoll, Alanin etc 758
Chemie
der
Kohlenstoffverbindungen.
■ KekiiW, organ. Cheale.
Allgemeiner TheiL
Begriff» Entstehung und frühere Entwicklung
der organischen Chemie.
Unter den versehiedenen Wisaenflchaften, die sich mit dem Stadium
der uns umgebenden Eörperwelt beschäftigen, sind einige, deren Haupt-
aufgabe es ist die Naturkörper ihrer äusseren Erscheinung nach zu
stadireB und den Eindruck darausteilen, den sie auf unsre Sinne hervor-
brungen. Man fasst diese Disciplinen gewöhnlich unter dem Namen Na-
turbeschreibung zusammen. Im Gegensatz zu diesen rein descriptiven
IKscipliiien beschäftigt sich ein andrer Theil der Naturwissenschaft
mit der BrmitÜung der Ursachen des Jetzigen Zustandes der Körper, mit
dem Studium der mannigfachen Veränderungen, die wir an ihnen wahr-
ndmien, und mit der Erforschung der Gesetze, welche diese Veränderun-
gen beherrschen. Diese letzteren Disciplinen bilden die eigentliche
Naturwissenschaft
Solche Veränderungen sind nun entweder mehr äusserer Art, sie
betreffen, so zu sagen, nur den Zustand der Materie, und gehören dann
in das Gebiet der Physik; oder sie sind tiefer eingehend, es sind wirklich
stoffliche Veränderungen der Materie; sie bilden dann den Gegenstand
der Chemie. Wir beabsichtigen nicht mit den paar Worten eine er-
schöpfende Definition von Physik und Chemie zu geben; sie sollen nur
das wesentliche Gebiet der beiden Disciplinen andeuten, ohne es abzu-
grenzen.
Die Chemie ist also die Lehre von den stofflichen Metamorphosen
der Materie. Ihr wesentlicher Gegenstand ist nicht die existirende Sub-
staas, sondern vielmehr ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Die Be-
aehangen eines Körpers zu dem was er früher war und zu defm was er
werdeik kann bUden den eigentliehen Gegenstand der Chemie.
Begriff, Entstehung,
Dabei kann natürlich eine Beschreibung des bestehenden Körpers,
eine Aufzählung seiner physikalischen Eigenschaften nicht umgangen
werden, denn diese Eigenschaften dienen uns als Merkmale, an welchen
wir einen Körper erkennen und als Kriterien seiner Reinheit; sie sind,
so zu sagen, das Signalement der Körper, mit welchen wir umgehen.
Obgleich also streng genommen nicht in das Gebiet der eigentlichen
Wissenschaft gehörig, müssen sie in das Gebiet der Chemie aufgenom-
men werden, insofern ein bestehender Körper durch die Gesammtsumme
seiner äusseren Eigenschaften charakterisirt wird.
Den Gegenstand dieses Buches bildet nun nicht die Chemie über-
haupt^ sondern ein specieller Theil derselben, den man gewohnheitsmässig
mit dem althergebrachten Namen organische Chemie bezeichnet. Um
zunächst darüber klar zu werden, was man unter organischer Chemie versteht
und warum man die organische Chemie von der unorganischen unter-
scheidet, ist es nöthig in raschem Ueberblick die historische Entwicklung
unsrer Wissenschaft zu verfolgen; denn alle unsre Ansichten fus^en
mehr als man gewöhnlich glaubt auf den Ansichten unsrer Vorgänger;
das Angeerbte, das durch Erziehung irgend welcher Art Angewöhnte beein-
flusst mehr als wir selbst es zugeben wollen unsem Gedankengang und
nur zu häufig lässt die Schwierigkeit, die wir darin finden einen gewohn-
heitsmässig eingeschlagenen Gang der Gedanken zu verlassen uns die ein-
fjEkchsten Beziehungen übersehen.
2. Die organische Chemie ist eine der jüngsten Wissenschaften. Ihre
Entwicklung gehört fast ausschliesslich unsrem Jahrhundert an. Kennt-
nisse in der organischen Chemie, wenn man die vereinzelten Wahrneh-
mungen aus der organischen Natur so nennen will, sind zwar eben so
alt, wie die ersten Beobachtungen chemischer Thatsachen überhaupt.
Einzelne organische Substanzen gehören sogar gerade zu den am frühe-
sten gekannten Körpern. Die erste Säure z. B., welche die Alt^n kann-
ten, war eine organische Säure, der Essig; eine organische Substanz, der
Galläpfelauszug, war das erste Reagens ; die ersten Salze, die man künst-
lich erzeugte, waren Salze einer organischen Säure; die Gährung, die
Destillation (des Terpentinöls), die Verseifbarkeit der Fette durch Alka-
lien gehören zu den am längsten bekannten Beobachtungen. Ein Unter-
schied zwischen organisch und unorganisch wurde in jenem Kindheits-
alter der chemischen Wissenschaft, in der Periode des Alter th ums,
natürlich nicht gemacht; waren der bekannten chemischen Thatsachen
doch so wenige, dass man sie nicht einmal unter gemeinschaftlichem
Gesichtspunkt zusammen fasste.
Während des Mittelalters in der Periode, die man als Zeit^
alter der Alchemie (400—1500) bezeichnet und deren höchstes Stre-
ben das Auffinden des Steines der Weisen war, waren die Untersuchungen
wesentlich auf Mineralsubstanzen beschränkt, indessen bemühte man sich;
^ ebenso, wenn gleich weniger häufig, den Stein der Weisen aus organi-
frtiliere Entwicklong. 5
fichem Material darzustellen wie aas unorganischem. Man unterschied in
keiner Weise organische und unorganische Körper , man theilte vielmehr
die Chemie ein nach den verschiedenen Operationen, in die Lehre von
der Caicination, der Putrefaction , der Exaltation etc. Auch in thatsäch-
licher Hinsicht schritt die organische Chemie nur langsam voran ^ man
isolhrte den Weingeist und gewann durch Destillation eine Anzahl äthe-
rischer Oele etc.
Auch die folgende Periode, die der medicinischen Chemie
(1500 — 1660) war für Erkenntniss organischer Verbindungen wenig för-
dernd. Den Jatrochemikern, wie man die Chemiker von medicini-
scher Richtung dieser Periode nennt, war es weniger um Darstellung
reiner Substanzen als um Bereitung der wirksamed^ Principien in arznei-
lieh verwendbarer Form zu thun. Daher sind der neu entdeckten That-
sachen verhältnissmässig wenige. Man stellte aus dem Beuzoeharz die
Benzoesäure, aus dem Bernstein die Bemsteinsäure dar, man kannte den
Holzessig und das Aceton, man isolirte den Milchzucker und bereitete
Schwefeläther. Zwischen organischen und unorganischen Substanzen
machte man keinen Unterschied. Man stellte den Essig in dieselbe Reihe
mit den Mineralsäuren; der Weingeist (Spiritus vini) stand neben dem
Zinnchlorid (Spiritus Libavii), das Chlorantimon oder die Antimonbutter
stand neben der Kuhbutter. Man classificirte die Körper einfach nach
ihren alleräusserlichsten Eigenschaften ohne auf Vorkommen oder che-
mische Natur weiter Rücksicht zu nehmen. Während die Chemiker jener
Periode, welche sich mit Darstellung metallischer Präparate beschäftigten,
mit nüchternem Fleiss eine Masse der wichtigsten Thatsachen zu Tage
forderten, ergingen sich die eigentlichen Jatrochcmiker fast ausschliess-
lich in Speculationen , die zum Theil zwar geistreich aber doch für
Förderung der Wissenschaft nur von untergeordnetem Nutzen waren. *
Diesem Umstand ist es wesentlich zuzuschreiben, dass man in der
folgenden Periode, in dem Zeitalter der phlogistischen Theorie
(1660 — 1770) ebenfalls anorganisches Material mit besonderer Vorliebe
bearbeitete; hatten doch die Vorgänger in der Richtung wichtige und
verwerthbare Resultate gewonnen, während das Streben der mit organi-
schem Material arbeitenden Jatrochcmiker meist ohne Erfolg geblieben
war. Indessen verdienen doch die zu Ende der Periode der Phlogiston-
theorie von Bergmann (1735 — 1784) und besonders von Scheele
(1742 — 1786) ausgeführten Untersuchungen besondrer Erwähnung, indem
sie eine grosse Anzahl wichtiger Thatsachen der organischen Chemie
zu Tage förderten. Von besonderem Interesse ist es, dass schon zu Be-
ginn dieser Periode Lemery in seinem Cours de chimie(1675) die mine-
ralischen Substanzen von den vegetabilischen und animalischen
unterschied; dass also damals zuerst die Unterscheidung aufbrat, welche
die Trennung von anorganischer und organischer Chemie veranlasste-
Indessen erschien schon den eigentlichen Begründern der Phlogistontheo-
6 Begriff, Enl8telini|ig,
rie: Becher (1685«>-1682) ond Stahl (1660—1734) die Eintheilang der
chemischen Verbindungen einzig nach ihrem Ursprung zu unwissenscbaft-
Hch; sie bemühten sich daher für die Substanzen, welche in den y^-
schiedenen Naturreichen vorkommen, auch eine Verschiedenheit der Zu-
sammensetzung nachzuweisen. So meinte Becher: „die Elemente seien
zwar in den verschiedenen Reichen dieselben aber sie seien in den vege.
tabilischen und animalischen Substanzen auf eine verwickelte, in den
mineralischen Substanzen dagegen auf einfache Art zusammengefügt/'
Stahl seinerseits suchte den Unterschied in der Verschiedenheit der
Bestandtheile; „in den mineralischen Substanzen, so meinte er, herrsche
das erdige, in den vegetabilischen und animalischen das wässrige
und das brennbare Princip vor/'
So sehen wir also im siebzehnten Jahrhundert schon alle die An-
sichten über den Unterschied der organischen Substanzen von den unor-
ganischen auftreten, die seitdem und bis auf die allemeueste Zeit in man-
nigfachen Veränderungen freilich, aber dem Princip nach sich gleichblei-
bend abwechselnd vorgebracht und vertheidigt wurden.
Wie für die Chemie überhaupt so begann auch für die organische
Chemie ein neuer Tag mit Lavoisi'er (1743 — 1794). Erst nach dem Um-
sturz der Fhlogistontheorie, nach der Entdeckung des Sauerstoffs, nach
der Ermittlung der Zusammensetzung des Wassers und der Kohlensäure
konnte durch Lavoisier, den Begründer der jetzigen Chemie, die Zusam-
mensetzung der organischen Verbindungen ermittelt und ein Unterschied
in der Zusammensetzung der Substanzen, welche aus der leblosen und
aus der belebten Natur stammen, aufgefunden werden. Kohlenstoff, Was-
serstoff und Sauerstoff hatte Lavoisier als Bestandtheile der (und wie er
glaubte aller) aus dem Pflanzen - und Tbierreiche stammenden Stoffe er-
kannt; dies führte ihn zu der Ansicht: „die vegetabilischen Substanzen
enthalten diese drei Elemente, die animalischen dazu noch Stickstoff und
bisweilen Phosphor und Schwefel.^' — Indessen fand er doch selbst, dass
ein scharfer Unterschied in der Weise nicht gemacht werden könne.
Während er einerseits nach dem von Stahl zuerst benutzten Princip die
Verschiedenheit der Bestandtheile als massgebend betrachtete, behielt er
gleichwohl die von Lemery eingeführte Bezeichnung: mineralisch, vege-
tabilisch und animalisch bei und suchte gleichzeitig, nach Bechers Bei-
spiel, die Ursache der Verschiedenheit in der mehr oder weniger com-
plicirten Zusammensetzung, indem er hervorhob *) : „bei den Mineralsub-
stanzen sei der mit dem Sauerstoff verbundene Theil meist einfach , bei
den vegetabilischen und animalischen Substanzen dagegen stets zusam-
mengesetzt, und zwar bei den vegetabilischen stets aus Wasserstoff und
•) Trait^ eUmentaire de Chimie. 1793. I. 124 u. 125.
firäbcre fintwickluag. 7
Koklenstoff, bei den animaliachen meist aus Wasserstoff, Kohlenstoff, Süds*
Stoff und Phosphor.'^
Mit Lavoisier beginnt in der Chemie eine neue Periode, die man
das Zeitalter der quantitativen Forschung genannt hat. Waren
bis zu Lavoiaier's Zeit die Bestrebungen der Chemiker wesentlich der an-
oiganischen Cheqiie, zugewandt, so dass die Kenntnisse in der organischer
Oiemie im Vergleich mit der Länge der Zeit und mit den in unorgani-
schen Chemie gemachten Entdeckungen, sicli nur wenig vermehrt hatten,
so wandte sich jetzt bald eine grössere Anzahl von Chemikern mit be-
sonderer Liebhaberei der organischen Chemie zu. Lavoisier's Arbeiten
hatten Bahn gebrochen ; sie hatten namentlich eine Methode der Analyse
angebahnt, die bald von Gay Lussac und Thenard, von Saussure und von
Berzelius verbessert wurde, um dann unter Liebig's Händen einen solchen
Grad von Einfachheit und Präcision zu gewinnen, dass die späteren
JiJirzehente für einzelne Fälle zwar Modificationen beifbgen, die Methode
im Allgemeinen aber nur beibehalten konnten. Von jetzt an, seit Be-
ginn unsres Jahrhunderts also, machte, wie die Chemie überhaupt, so na-
mentlich die organische Chemie ungemein rasche Fortschritte. Die
bekannten Thatsachen mehrten sich bald so, dass man eine Trennung
der Chemie in zwei Theile einzuführen genöthigt war. Während die
firflheren Chemiker organische und anorganische Körper zwar unterschieden,
aber doch in einer zusammenhängenden Wissenschaft abgehandelt hatten,
trennte man jetzt die Chemie in zwei Disciplinen, die man als anorganische
und organische Chemie unterschied. Es ist unmöglich alle die Ansichten
aufzuzählen, welche über den Unterschied von organisch und unorganisch
jetzt aufgestellt wurden; wir begnügen uns vielmehr damit einzelne
jener Ansichten als Repräsentanten der übrigen hier hervorzuheben.
Zunächst werden wir dabei die Ueberzeugung gewinnen, dass der
Standpunkt der Frage jetzt ein völlig andrer ist als früher. Hatte man
früher, wo die Chemie doch eigentlich einen Theil der beschreibenden Natur-
wissenschaften ausmachte, mit Recht einen Unterschied, ja fast einen Gegen-
satz, gesehen zwischen Körpern aus dem Mineralreich und solchen aus dem
Pflanzen- und Thierreieh, also mit Recht in organisch und unorganisch ge-
trennt, oder wenigstens unterschieden; so wurde jetzt, wo die Chemie als
selbstst&ndige Wissenschaft aufzutreten begann , wo sie sich immer mehr
ihrer eigentlichen Aufgabe: die Metamorphosen des Stoffs und die dabei statt-
findenden Gesetze zu ermitteln, bewusst ward, eine Trennung der Körper
einzig nach dem natürlichen Vorkommen eigentlich widersinnig. Man konnte
liebt mehr Körper, die sich in allen Eigenschaften ähnlich waren, tren-
nen, weil sie in verschiedenen Naturreichen aufgefunden waren; man
konnte ebensowenig verschiedenartige Körper zusammenstellen, weil sie
zufällig gleiehes Vorkommen zeigten. Was früher als einzige oder doch
als hauptsächliche Aufgabe der Chemie betrachtet worden war , trat jetzt
QMbr und mehr in den Hintergrund. Die Disciplinen , welche früher als
8 Begriff, Entstehung,
Beschreibung der aas vegetabilischem und animalischem Material erhal-
tenen Substanzen den Hauptgegenstand der organischen Chemie ausge-
macht hatten, lösten sich immer mehr von der nach andrer Richtung hin
sich weiter ausbildenden eigentlichen Chemie los und entwickelten sich
als bis zu einem gewissen Grad selbstständige Disciplinen, als Theile der
Pflanzen- oder Phytochemie und der Thier- oder Zoochemie, weiter, ganz
ähnlich wie es in Bezug auf specielle Verwendung andre Disciplinen: die
pharmaceutische , die technische, die landwirthschaftliche Chemie etc.
thaten. Neben allen diesen speciellen Disciplinen und als Grundlage
aller trat die reine Chemie als besondere Wissenschaft auf. Aber
auch in dieser hatte sich durch die vereinigte Thätigkeit einer fortwäh-
rend wachsenden Zahl von Chemikern die Anzahl der bekannten That-
sachen so gemehrt, dass eine Trennung nöthig schien; nöthig — nur
im Interesse der Uebersichtlichkeit und zur Erleichterung des Studiums.
Darin liegt der Unterschied des jetzigen Standpunktes gegenüber dem frü-
heren; während man früher theilte, weil man eine Grenze sah, sucht man
jetzt nach einer Grenze, weil man von der Zweckmässigkeit der Theilung
überzeugt ist.
Man theilt also die Chemie in zwei grössere Abschnitte; und wenn man
ftir dieselben die Namen unorganische und organische Chemie
gebraucht, wenn man in die eine wesentlich die dem Mineralreich, in die
andre hauptsächlich die dem Pflanzen- und Thierreich entnommenen Stoffe
setzt, so ist dies einfach ein Anschliessen an die von früher überkomme-
nen Ansichten.
Da man bei Bearbeitung vegetabilischen oder animalischen Materials
auf ungleich grössere Schwierigkeiten stiess als bei Untersuchung der
Mineralien, kam man zu der Ansicht: „dass in der lebenden Natur die
Elemente ganz andren Gesetzen gehorchen als in der todten^^ (Berzelius
Lehrbuch 1827); man definirte die organische Chemie als: „Chemie der
Pflanzen- und Thiersubstanzen, oder der Körper, die unter
dem Einfluss der Lebenskraft gebildet werden.'^ Den Fortschrit-
ten der Wissenschaft gegenüber konnte indess diese Ansicht: dass die
Verbindungen, welche die Organe der Pflanzen und Thiere zusammen-
setzen, durch eine eigene, ganz besondere, ausschliesslich den lebenden
organisirten Wesen innewohnende, räthselhafte Kraft zusammengehalten
werden, nicht Stand halten. Nachdem es gelungen war die direct aus
vegetabilischem oder animalischem Material gewonnenen Producte in un-
endlich mannigfacher Weise umzuwandeln, sah man sich zunächst ge-
nöthigt der früheren Definition noch beizuftigen: „und der Substanzen,
welche aus jenen durch chemische Umwandlung erhalten
werden können/^ Immer aber blieb die Ansicht noch herrschend,
dass in den chemischen Verbindungen der organischen Natur andre
Kräfte thätig seien. Man gab zu, dass der Chemiker die von lebenden
Wesen einmal erzeugte organische Substanz durch Anwendung der Kräfte,
frühere Entwicklung. 9
Aber die er willkflrlich verfügen kann, in andre ebenfalls noch organische
Körper umzugestalten yermöge, aber man bestritt die Möglichkeit orga-
nische Substanzen künstlich aus ihren Elementen zu erzeugen. Als es
daoB 1828 Wöhler gelang den Harnstoff, den man vorher nur als Pro-
duct des thierischen Organismus kannte und dessen organische Natur
desshalb Niemand bezweifelte, aus den Elementen selbst zusammenzu-
setzen; als man aus Schwefel, Kohlenstoff, Chlor, Wasser und Zink —
Essigsäure darstellen lernte (Beispiele von s. g. künstlicher Bildung or-
ganischer Stoffe, die seitdem in fast endloser Anzahl aufgefunden wur-
den), da konnte Niemand mehr im Ernst an einen Unterschied der Kräfte
glauben und man bemühte sich andre unterscheidende Merkmale aufzu-
finden.
Natürlich war es, dass dabei auch die Ansicht Becher's (S. 6),
die auch Lavoisier bisweilen benutzt hatte, in mannigfach veränderter
Form wieder auftrat. Die organischen Substanzen, so meinte
man, enthalten eine grössere Anzahl von Atomen; aber ein-
fache Zählung ergab bald, dass die einfachsten Körper organischen Ur-
sprungs ebensoviel oder sogar weniger Atome enthalten als die compli-
cirter zusammengesetzten Mineralsubstanzen. Wir finden/^ sagt dann
Berzelius (1814), „dass die anorganischen Körper alle binär,
die organischen alle ternär oder quaternär zusammenge-
setzt sind/^ Bald indess gab Berzelius selbst diese Ansicht wieder
auf, indem er die für die anorganischen Substanzen damals allgemein
benutzte Betrachtungsweise auch auf organische Körper anwandte. Die
Entdeckung des Cyans und die Beobachtung, dass dieser zusammenge-
setzte Körper sich den Elementen ähnlich verhält, veranlasste ihn die von
LaYoisier schon ausgesprochene Ansicht wieder aufzunehmen und den
Unterschied der organischen Körper von den unorganischen darin zu
suchen: das» alle unorganischen Körper einfache, alle orga-
nischen dagegen zusammengesetzte Radicale enthalten.
Man definirte jetzt die organische Chemie als Chemie der zusammen-
gesetzten Radicale. Die späleren Betrachtungen werden zeigen,
dass auch diese Ansicht jetzt nicht mehr haltbar ist; nicht etwa, weil
organische Körper existiren, in welchen man keine zusammengesetzten
Radicale annehmen kann, sondern vielmehr, weil mit demselben Recht,
mit welchem in den organischen Körpern zusammengesetzte Radicale an-
genommen wenioi) können, auch in einer grossen Anzahl unorganischer
Substanzen zusammengesetzte Radicale angenommen werden müssen.
Waren so alle Versuche zwischen unorganischen und organischen
Körpern einen Unterschied in der Verbindungs weise der Elemente aufzu-
finden fruchtlos geblieben, so kehrte man jetzt wieder zurück zu der An-
sicht von Stahl, die ebenfalls in Lavoisier einen Vertreter gefunden
hatte; man hielt die Qualität der Elemente für maassgebend. Lavoisier's
Untersuchungen hatten gezeigt, dass alle Substanzen von vegetabilischem
10 Begriff, Entstefanng,
und animaliBehem Ursprung Kohlenstoff enthalten; alle spätren Analy-
sen hatten diese Erfahrung bestätigt. Es lag also nahe die organische
Chemie zu definiren als Chemie der EohlenstoflPverbindungen. Weil aber
bei consequenter Durchführung dieser Ansicht eine Anzahl von Kohlen-
stofftrerbindungen , die man in der anorganischen Chemie abzuhandelo
gewohnt war und die man gerne auch noch in dieser abgehandelt hätte
(Kohlenoxyd, Kohlensäure, Phosgen, Schwefelkohlenstoff, einzelne Kohlen-
wasserstoffe und Chlorkohlenstoffe), der organischen Chemie hätten zuge-
theilt werden müssen und weil man eine solche Consequenz scheute, be-
mühte man sich auf mannigfache Weise diesem Uebelstande abzuhelfen.
„Die organischen Körper enthalten alle Kohlenstoff, aber nicht alle Koh-
lenstoffverbindungen sind organisch,'' meint Gmelin in seinem ausge-
zeichneten Handbuch der Chemie; „organisch sind alle die Ver-
bindungen, welche mehr als 1 Atom Kohlenstoff enthalten/'
So konnte man, und darauf kam es wesentlich an, das Kohlenoxyd, die
Kohlensäure, den Schwefelkohlenstoff und das Phosgengas wenigstens in
der anorganischen Chemie lassen. Die Untersuchungen der neueren Zeit
haben es indess über allen Zweifel erhoben, dass die obengenannten
Kohlenstoffverbindungen ebensoviel Kohlenstoffatome enthalten wie die
Ameisensäure, der Holzgeist und ihre Abkömmlinge; sie haben gezeigt,
dass einzelne jener Kohlenwasserstoffe und Chlorkohlenstoffe ebensoviel
Kohlenstoffatome enthalten wie der Alkohol und die Essigsäure; wenn
man also der Ansicht ist, dass die Körper nach der Anzahl ihrer Kohlen-
stoffatome zu gruppiren seien, so können diese Verbindungen jetzt nicht
mehr getrennt werden; man muss entweder jene einfachen Kohlenstoff-
verbindungen in der organischen Chemie abhandeln, oder man muss um-
gekehrt den Holzgeist und die Ameisensäure und sogar den Alkohol und
die Essigsäure den anorganischen Verbindungen zuzählen.
Dass die hier mitgetheilten Ansichten über den Unterschied der
unorganischen und der organischen Verbindungen in mannigfacher Weise
combinirt, dass ausser ihnen noch zahlreiche andre aufgestellt wurden,
bedarf nicht der Erwähnung. Das Mitgetheilte genügt um zu zeigen,
dass alle Bemühungen einen solchen Unterschied aufzufinden, vergeblich
gewesen sind. Nichtsdestoweniger werden alle diese Ansichten heute '^^
noch aufgeführt, häufig sogar mehrere derselben gleichzeitig. Weil man
von der Unhaltbarkeit jeder einzelnen Ansicht überzeugt ist, führt man
sie alle auf, als ob die Summe von all dem was einzeln genommen un-
haltbar ist, dann den Unterschied zwischen organischen und unorganischen
Verbindungen klar hervortreten lasse.
10. Wir sind also zu der Ueberzeugung gelangt, dass die chemischen
Verbindungen des Pflanzen- und Thierreichs dieselben Elemente enthal-
ten wie die Körper der leblosen Natur; wir haben die Ueberzeugung,
dass in ihnen die Elemente denselben Gesetzen folgen; dass also weder
in dem Stoff, noch in den Kräften und ebensowenig in der Anzahl oder
frflhere ßa.twic]|Ii|]|g. 11
in der Art der Oruppining der Atome ein Unterschied besteht zwischen den
organischen und den anorganischen Verbindungen. Wir sehen eine fort-
laufende Reihe chemischer Verbindungen, deren einzelne Glieder (wenn
man nur die nahe liegenden vergleicht) eine so grosse Aehnlichkeit zei-
gen, dass naturgemäss nirgends dne Trennung gemacht werden kann.
Wenn aber dennoch eine Trennung vorgenommen werden spU , wie sie
in der That, einzig im Interesse der Uebersichtlichkeit, vorgenommen
werden muss, dann ist diese Trennung an sich nicht natürlich, sie ist
rein willkürlich und man kann eben darum die Grenze da ziehen, wo es
gerade zweckmässig scheint. Will man dabei so theilen, dass möglichst
das, was gewohnheitsmässig in der organischen Chemie abgehandelt
wurde, auch jetzt als besonderer Abschnitt abgehandelt werde, so er-
scheint 68 am zweckmässigsten, wie dies in neurer Zeit schon öfter vor-
geschlagen wurde, alle Eohlenstoffverbindungen in diesem Abschnitte
zusammen zu fassen.
Wir definiren also die organische Chemie als die Chemie 11-
der Kohlenstoffverbindungen. Wir sehen dabei keinen Gegen-
satz zwischen unorganischen und organischen Verbindungen. Das was
wir mit dem althergebrachten Namen organische Chemie bezeichnen
und was man zweckmässiger Chemie der Kohlenstoffverbindun-
gen nennen würde, ist vielmehr nur ein specieller Theil der reinen
Chemie, den wir desshalb besonders abhandeln, weil die grosse Anzahl
und die besondere Wichtigkeit der Kohlenstoffverbindungen ein speciel-
leres Kennenlernen derselben nöthig erscheinen lässt
Ganz besonders muss dabei hervorgehoben werden, dass die orga- 12
'Bische Chemie nichts zu thun hat mit dem Studium der chemischen
Vorgänge in den Organen der Pflanzen oder der Thiere. Dieses Studium
bildet den Gegenstand der physiologischen Chemie. Diese hat es
also mit den chemischen Veränderungen, welche innerhalb der lebenden
Organismen stattfinden, zu thun und zerfällt, je nachdem sie den chemi-
schen Theil des Lebensprocesses der Pflanzen oder der Thiere behandelt,
in Pflanzenchemie oder Phytoehemie und in Thierchemie oder
Zoochemie.
12 ZnsaminenBetEniig.
ZuBammensetBong der organischen Verbindungen.
Bestandtheile.
18. Der Kohlenstoff ist der wesentliche und charakteristische Be-
standtheil aller s. g. organischen Verbindungen. —
Bei weitem die grösste Anzahl aller und namentlich der in der
Natur fertig gebildet vorkommenden Kohlenstofiverbindungen enthält
Wasserstoff, eine sehr grosse Anzahl zudem noch Sauerstoff, viele
Stickstoff.
Ausser diesen 4 Elementen sind nahezu alle Elemente fohig in
kohlenstoff- haltige Verbindungen einzutreten, indessen finden sich solche
Verbindungen verhältnissmässig selten fertig gebildet in der Natur.
Man findet häufig noch die firfiher allgemein angenommene Ansicht ausge-
sprochen, die organischen Verbindungen enthielten nur die 4 Elemente C, H,
0 und N; sie unterschieden sich eben darin wesentlich von den unorganischen,
bei welchen eine viel grössere Mannigfaltigkeit der Bestandtheile stattfinde. Eine
solche Ansicht entspricht nicht dem heutigen Stand der Wissenschaft. Richtig
ist, dass die meisten der Substanzen , welche im Organismus der Pflanzen
und Thiere erzeugt werden, nur die 4 Elemente, die man desshalb wohl orga-
nische Elemente nennt, enthalten; da aber die organische Chemie, der heu-
tigen Auffassung nach, nicht mehr einzig die Aufgabe hat die Bestandtheile der
Pflanzen und Thiere zu beschreiben, vielmehr sich mit dem Studium der Eigen-
schaften und Metamorphosen aller kohlenstoff-haltigen Verbindungen beschäftigt*,
da es femer den Chemikern gelungen ist fast alle Elemente, sogar Metalle, in
Eohlenstoffverbindungen einzufahren; so ist es einleuchtend, dass die heutige
organische Chemie es mit allen oder doch nahezu allen den Elementen zu thun
hat, welche Bestandtheile der unorganischen Verbindungen ausmachen und
ausserdem mit dem Kohlenstoff, welcher, der heutigen Auffassung nach, der
charakteristische Bestandtheil der organischen Verbindungen ist. —
14. Da die 4 Elemente G, 0, H und N als Repräsentanten, und swar
als die am häufigsten vorkommenden Repräsentanten ganzer Gruppen von
Elementen betrachtet werden können , so ergeben sich die folgenden
Combinationen der Bestandtheile organischer Verbindungen:
C -|- 0. Verbindungen von C und 0 allein kennt man nur zwei: das
Kohlenoxyd und die Kohlensäure. Die flbrigen oft als Oxyde
desKohlensto f f s aufgeftthrten Körper: die wasserfreie Oxal-
säure, die Mellithsäure. Krokonsäure und Rhodizonsäure sind nur
Hypothesen der älteren Theorien.
C + H. Verbindungen, welche nur Kohlenstoff und Wasserstoff enthal-
ten, sind in verhältnissmässig grosser Anzahl und von sehr
wechselnder Zusammensetzung bekannt. Alle diese Kohlen-
wasserstoffe haben eine Eigenschaft gemein, sie sind alle
ohne Zersetzung flüchtig.
Bestaadtheile. 13
C 4* H 4- O. Ungemein groBB ist die Anzahl der Verbindungen, weiche gleich-
zeitig Kohlenstoff. Wasserstoff und Sauerstoff enthalten. In ih-
ren Eigenschaften zeigen diese Verbindungen grosse Mannigfal-
tigkeit; während ein Theil derselben ohne Zersetzung flüchtig
ist, werden andre durch Einwirkung der Hitze zerstört; wäh-
rend viele ein den Metalloxyden oder Ozydhydraten analoges
Verhalten zeigen, sind andre entschiedene Säuren, andre völlig
indifferente Körper. Die Verhältnisse, nach welchen die Ele-
mente in diesen Verbindungen enthalten sind, sind ungemein
wechselnd, indessen enthält keine so viel Sauerstoff, dass durch
diesen aller Wasserstoff zu Wasser und gleichzeitig aller Kohlen-
stoff zu Kohlensäure verbrannt werden könnte.
C -j- ^- i>&s Cyan und das Paracyan sind die einzigen Verbindungen,
welche nur Kohlenstoff und Stickstoff enthalten.
0 4-^ + ^- Körper von solcher Zusammensetzung sind bis jetzt nicht be-
kannt. (Die wasserfreie Cyansäure ist wie die wasserfreie
Oxalsäure bis jetzt nur hypothetisch; ein in neuester Zeit ent-
deckter Körper, das Trinitroacetonitrü, könnte bei rein empiri-
scher Betrachtung hierher gerechnet werden, ist aber seinem
ganzen Verhalten nach eine eigenthümliche Modification (ein
Substitutionspro duct) eines Körpers der folgenden Gruppe.
6 4-^4"^' Hierher gehören die Blausäure, eine Anzahl von der Blausäure
analogen Substanzen (die s. g. Nitrile) und femer die organi-
schen, dem Anmioniak ähnlichen, Basen.
C 4" N 4* H 4* O. Die (Cyansäure und Cyanursäure, so wie alle Amide organischer
Säuren, eine Anzahl künstlicher organischer Basen und die
meisten der namentlich in Pflanzen vorkommenden basischen
Substanzen (die s. g. Alkaloide) enthalten diese 4 Elemente.
Da diese 4 Elemente als Repräsentanten ganzer Gruppen von Ele-
menten betrachtet werden können, so enthält diese Darstellung eine
üebersicht aller möglichen EohlenstofiVerbindungen.
Diese natürlichen Repräsentanten können (mit Ausnahme des Eoh- 15.
lenstoffs, mit welchem bis jetzt kein andres Element in seinen Yer-
bindungsverhäitnissen Aehnlichkeit zeigt) in den Verbindungen, vollständig
oder zum Theil, vertreten sein oder vertreten werden durch andre Ele-
mente, die derselben Gruppe zugehören.
Der Wasserstoff kann z. B. vertreten werden durch die ihm
analogen Elemente: Chlor, Brom, Jod; so entstehen die den Hydrüren
entsprechenden Chloride, Bromide, Jodide und die grosse Anzahl der
sogenannten Substitutionsproducte, zu welchen auch die Chlorkohlenstoffe
zu rechnen sind.
Der Wasserstoff kann femer ersetzt sein durch Metalle, so ent-
stehen die zahlreichen Salze organischer Säuren etc. und einige der
eigenthamlichen metallhaltigen Verbindungen z. B. das Zinkäthyl.
Der Sauerstoff kann ganz oder theil weise vertreten sein durch
die ihm analogen Elemente: Schwefel, Selen, Tellur; so entstehen s. B.
die beiden, dem Kohlenoxyd und der Kohlensäure entsprechenden, Schwe-
14 Zufammensetänrng.
fdkohlenstoffe , die SchwefelTerbiodangeQ der b. g. Alkoholradicate u.
8. w. and vielleicht auch jene eigenthümlichen im Pflanzen- und Thier-
körper vorkommenden dem Eiweifls ähnlichen Substanzen (die s. g.
Proteinkörper) , über deren chemische Natur noch so gut wie nichts be-
kannt ist.
Der Stickstoff kamn vertreten werden dufch die ihm analogen
Elemente: Phosphor, Arsen, Antimon undWismuth, wodurch die dem
Ammoniak und den stickstoffhaltigen organischen Basen analogen Phos-
phor-, Arsen-, Antimon- und Wismutfabasen erzeugt werden.
16. Da ausserdem noch zusammengesetzte Atomgruppen bisweilen eine
den Elementen ähnliche Rolle spielen und diese zu ersetzen vermögen
(die aus Stickstoff und Sauerstoff bestehende Nitrogruppe z. B. den
H, in den Nitrosubstitutionsproducten); da femer nicht nur basische
orgunifiche Substanzen mit unorganischei Säuren salzartige Verbindungen
zu enieagen im Stande sind, sondern da auch eine grosse Anzahl andbrer
organischer Körper sich mit einigen unorg-anischen Säuren (mit Sdiwe-
felsäure, Phosphorsäure, Arsensäure u. s. w.) zu s. g. gepaarten Verbin-
dungen zu vereinigen vermögen; so ist es einleuchtend, dass schon durch
die Natur der in den organischen Verbindungen enthaltenen Elemente
eine unendliche Mannigfaltigkeit dieser Verbindungen eraeugt werden
kann. Diese Mannigfaltigkeit wiird nun dadurch noch vermehrt, dass
viele organische Verbindungen, veranlasst durch die eigenthömliohe Na-
tur des Kohlenstoffs, eine sehr grosse Anzahl von Atomen enthalten;
(so endiält z. B. die Stearinsäure 56, derWallrath 98, der Hauptbestand-
theil des Bienenwachses 140, das Stearin 173 Atome)^; sie wird weiter
noch dadurch vermehrt, dass bei den organischen Verbindungen sehr
häufig Pftlle vonMetamerie, Polymerie und Isomerie vorkommen,
sehr häufig also Körper von gleicher Zusammensetzung völlig verschie-
dene Eigenschaften zeigen.
17. Bei dieser grossen Mannigfaltigkeit uud der oft ungemein grossen
durch Gleichheit oder Aehnlichkeit der Bestandtheile veranlassten, Aehn-
lichkeit der orgimischen Verbindungen kann es nidit überraschen, dass
für die allerwenigsten derselben einzelne charakteristische Reactionen
ezistiren, durch welche ein Körper mit Bestimmtheit nachgewiesen wer-
den kann. Während bei der verhältnissmässig beschränkten Anzahl unor-
ganischer Verbindungen für die meisten derselben so charakteristische
Merkmale aufgefunden werden konnten, dass wenige Versuche ausreichen,
um die Natur und Zusammensetzung eines Körpers festzustellen; gibt es
nuff äusserst wenig organische Substanzen deren Nachweis durch wenige
Reactionen möglich ist; in den meisten Fällen ist es nöthig die Substanz
in reinem Zustand darzustellen, ihre physikalischen und chemischen Ei-
genschaften zu ermitteln und namentlich ihre Elementarzusammensetzung
festzustellen. Gerade der Umstand, dass die quantitative Bestimmung der
Bestandtheile nicht nur für Untersuchung neu entdeckter, sondern sehr
QunfiffttEt« Maj9t. 15
h&uflg auch als GrkeDDttngsraittel sehen längst bekannter Substanzen
Bötbig ist, verleiht den Methoden zur quantitatiyen Bestimmung der Ele-
mente in organischer Verbindung, der s. g. Organischen Elementarana-
lyse, besondere Wichtigkeit
Organische Elementar-Analyse.
Quantitative Analyse.
Prüfung auf Kohlenstoff. Alle organischen Verbindungen sind 18.
brennbar; unter günstigen Bedingungen verbrennt aller Kohlenstoff zu
Kohlensäure, aller Wasserstoff zu Wasser. Mangelt es bei der Verbren-
nung an Sauerstoff, oder ist die Hitze nicht hoch genug, so bleibt
die Verbrennung oft unvollständig und es bildet sich eine schwarze
verkohlte Masse. Die Bildung solcher Kohle, oder auch das vor-
abergehende Schwärzen während der Zersetzung durch Hitze ist ein
Zeichen von der Anwesenheit von Kohlenstoff. Indessen liefern nicht
alle organischen Verbindungen beim Erhitzen eine solche Kohle; viele
derselben sind ohne Zersetzung flüchtig (setzen aber dann meist beim
Durchleiten ihrer Dämpfe durch glühende Röhren Kohle ab), andre wer-
den beim Erhitzen zwar zerstört aber ohne Abseheidung von Kohle.
Das Verkohlen ist also immer ein Zeichen der Anwesenheit von Koh^
lenstoff, das Nicht -schwarzwerden beweist dagegen nicht die Abwesen-
heit des Kohlenstoffs. Am sichersten wird die Anwesenheit von Kohlen-
stoff daran erkannt, dass man die Substanz mit einem leicht reducirbaren
Metalloxyd (mit Kupferozjd z. B.) erhitzt und die gebildete Kohlensäure
mittelst Kalk- oder Barytwasser nachweist.
Prüfung auf Wasserstoff. Tritt bei dieser Verbrennung der
sorgföltig getrockneten Su1)stanz mit trocknem Kupferoxyd Wasser auf,
so enthielt die Substanz Wasserstoff.
Prüfung auf Stickstoff. Zur Prüfung auf Stickstoff kocht man 19.
entweder die organische Substanz mit Kalilauge oder glüht dieselbe mit
einem Alkalihydrat (am besten Natronkalk). Wird dabei Ammoniak ge-
bildet, welches am Geruch, an der alkalischen Reaction und der Bildung
weisser Nebel mit Salzsäure leicht erkannt wird, so ist die Gegenwart
von Stickstoff erwiesen. Empfindlicher ist die folgende von Lassaigne
vorgeschlagene Methode. Man erhitzt die zu prüfende Substanz in einem
Röhrchen mit metallischem Kalium oder Natrium, treibt, nachdem die
meist mit einer Art von Verpufiiing vor sich gehende Reaction stattge-
funden hat, durch längeres Erhitzen den Ueberschuss des Alkalimetalles
weg und löst den Rückstand in Wasser; man setzt dann etwas Eisen-
oxydoxydulsalz (an der Luft oxydirte Lösung von Eisenvitriol) zu und
übersättigt mit Salzsäure; bleibt dabei ein blaues Pulver (oder Flocken)
16 ZuBammeiifletsnng.
▼OD Berlinerblau ungelöst, so enthielt die angewandte Sabstanz Stickstoff.
Diese Beaction ist ungemein scharf und lässt die geringsten Mengen
von Stickstoff noch auf&nden. Bei sehr geringem Stiokstoffgehalt tritt
bei dem Ansäuern eine oft yollst&ndig scheinende Lösung ein, aber die
mehr oder minder grünlich ge&rbte Flüssigkeit setzt dann bei längerem
Stehen Berlinerblau ab. Viele stickstoffhaltige Substanzen zeigen beim
Verbrennen für sich den eigenthümlichen unangenehmen Geruch, der beim
Verbrennen von Hörn und Haaren auftritt und dadurch bekannt ist.
20. Prüfung auf Sauerstoff. Die Gegenwart von Sauerstoff in
organischen Verbindungen kann bis jetzt nicht direct nachgewiesen wer-
den; nur die quantitative Bestimmung aller andern Elemente gibt Auf-
schluss darüber, ob eine Substanz Sauerstoff enthält oder nicht.
21. Prüfung auf andre Elemente. In einer grossen Anzahl orga-
nischer Verbindungen zeigen die Elemente nicht mehr die Reactionen,
durch welche sie in unorganischen Verbindungen nachgewiesen werden.
Die Chloride der organischen Basen und einige mit Wasser zersetzbaren
Chloi'verbindungen (z. B. Acetylchlorid) geben zwar mit Silbersalzen die gewöhn-
liche Reaction, aber die Chloride der s. g. Alkoholradicale und alle Chlor, Brom
oder Jod enthaltenden Substitutionsproducte werden durch Silberlösung nicht ge-
föllt. Ebenso zeigen die unorganischen Säuren in den salzartigen Verbindungen
mit organischen Basen die für sie charakteristischen Reactionen^ sie werden aber
durch dieselben Reactionen in einer Anzahl andrer Verbindungen, in den Aether-
arten, den s. g. gepaarten Sfiuren etc. nicht nachgewiesen, (der Schwefelsäure-
äther und die gepaarten Schwefelsäuren geben z. B. mit Barytsalzen keine Fällung
von schwefelsaurem Bar3rt). In ähnlicher Weise sind die Metalle in den salzarti-
gen Verbindungen mit organischen Säuren in der Regel durch die gewöhnlichen
Reagentien nachweisbar, in andern Verbindungen dagegen werden sie durch die-
selben Reagentien nicht ermittelt.
In allen diesen Fällen ist es nöthig, die organische Substaaz
durch Oxydation oder durch Hitze zu zerstören, bevor man die ge-
wöhnlichen Reagentien in Anwendung bringt Da sich bei solcher
Erhitzung viele organische Verbindungen ohne Zersetzung verflüchtigen,
andre unter den Zersetzungsproducten auch die aufzufiudenden Bestand-
theile entweichen lassen, so ist es meistens uothwendig die zu prüfende
Substanz mit einer unorganischen Base (Aetzkalk, kohlensaures Kali
u. s. w.) zu glühen, bisweilen bei gleichzeitigem Zusatz oxjdirender Kör-
per (Salpeter, Ghlorsaures Kali, Quecksilberoxjdj.
Ein Gehalt an Chlor oder Brom wird z. B. ermittelt, indem man die
organische Substanz mit reinem, namentlich chlorfreiem Kalk glüht, die mög-
lichst weissgebrannte Masse in verdünnter Salpetersäure löst und Silberlösung
zufügt
Die Gegenwart von Schwefel oder von Phosphor wird am besten er-
mittelt, indem man die organische Substanz mit kohlensaurem Kali oder Natron,
welchem man Salpeter, chlorsaures Kali oder Quecksilberoxyd •) zusetzt, glüht
*) Bei Anwendung von Salpeter oder chlorsaurem Kali treten, wenn die ozy-
I
QuantitaÜve Analjrse. 17
und in der Lösxing des weissgebrannten Glührückstandes auf Schwefelsfiure (mit-
telst Chlorbariom) und auf Phosphorsäuse (mittelst Magnesiasalz und Ammoniak)
prQft Ein Gehalt an Schwefel kann bisweilen nachgewiesen werden, indem man
den organischen Körper mit Salpetersäure oder mit Salzsäure und chlorsaurem
Kali oxydirt; in vielen Fällen lässt sich indess auf die Weise keine vollständige
Zerstörung der organischen Substanz erreichen. Viele, aber nicht alle, schwefel-
haltigen Substanzen geben beim Erhitzen mit Kalihydrat oder kohlensaurem Kali
Schwefelkalium \ nimmt man diese Erhitzung auf einem Silberblech vor, oder bringt
man die geschmolzene Masse auf Silberblech und setzt eine Säure zu, so bildet
sich ein schwarzer Fleck von Schwefelsilber.
Nicht flüchtige Substanzen, Metalloxyde namentlich, bleiben beim
Glühen meistens zurück, häufig in Verbindung mit Kohlensäure (oder wenn Chlor
oder Schwefelsäure etc. zugegen war als Chlormetall oder schwefelsaures Salz)*,
der weissgebrannte Glührückstand, die Asche, wird dann auf gewöhnliche Weise
untersucht.
Quantitative Elementaranalyse.
Die quantitative Elementaranalyse hat zur Aufgabe die Gewichts- 2^
▼erh<nisse zu ermitteln, nach welchen die Elemente in organischen Ver-
bindungen enthalten sind.
Gewöhnlich bezeichnet man mit organischer Elementaranalyse nur
die Methoden zur Bestimmung des Kohlenstoffs, des Wasserstoffs und des
Stickstoffs, weil nur zur Bestimmung dieser Elemente Methoden in An-
wendung gebracht werden, welche bei der Analyse unorganischer Ver- .
bindungen nicht oder nur selten vorkommen, während alle übrigen Ele-
mente in den Zerstörungsproducten der organischen Substanz nach den
gewöhnlichen analytischen Methoden bestimmbar sind.
Bestimmung des Kohlenstoffs und des Wasserstoffs.
Weder der Kohlenstoff no^jh der Wasserstoff können als Elemente 23.
ans organischen Verbindungen abgeschieden und so bestimmt werden.
Es ist indess einleuchtend, dass derselbe Zweck erreicht wird, wenn man
beide Elemente in Verbindungen von bekannter Zusammensetzung über-
führt und aus der genau bestimmten Menge dieser Verbindungen die
Menge der in der Substanz enthaltenen Elemente berechnet. Alle Metho-
den, welche seit Lavoisier, dem Begründer der organischen Elementar-
analyse, bis auf unsre Zeit in Anwendung gebracht worden sind, beruhen
darauf, dass bei vollständiger Verbrennung einer organischen Substanz
aller Kohlenstoff in Kohlensäure, aller Wasserstoff in Wasser verwan-
delt wird.
dirende Substanz nicht mit hinlänglich >iel kohlensaurem Salz verdünnt ist,
leicht Explosionen ein.
KeknU, organ. Chemie. 2
lg Ziuammensetziing
24. Lavoisier verbrannte bei den Analysen organischer Körper, die er 1784 —
1789 ausführte, eine gewogene Menge der organischen Substanz in einer gemesse-
nen Menge Sauerstoff und bestimmte das Volum der gebildeten Kohlensäure. In-
dem er dann die dem Volum nach gemessenen Mengen, nach den von ihm be-
stimmten spec. Gewichten des Sauerstoffs und der Kohlensäure, in Gewichtsmengen
umrechnete, konnte er, von der Ansicht ausgehend, dass bei der Verbrennung kein
andres Product als Kohlensäure und Wasser gebildet werde, auch die Menge des
gebildeten Wassers berechnen. (Das Gewicht der verbrannten Substanz -f- dem
Gewicht des verbrauchten Sauerstoffs — dem Gewicht der gebildeten Kohlensäure
war gleich dem Gewicht des gebildeten Wassers). Die von Lavoisier benutzte
Methode der Verbrennung war nur für leichtverbrennliche Substanzen anwendbar*,
Apparat und Ausführung waren sehr complicirt; indessen sind die von Lavoi-
sier ausgeführten Bestimmungen in einzelnen Fällen überraschend genau, wenn
man die directen Ergebnisse der Versuche, statt mit den von Lavoisier angewand-
ten und höchst ungenauen spec. Gewichtszahlen mit den jetzt genau bestimmten
specifischen Gewichten berechnet. Inmitten dieser Untersuchung der Wissenschaft^
durch die Guillotine entrissen (1794) konnte Lavoisier alle die zahlreichen Ver-
besserungen, die er in seinen Schriften gelegentlich andeutet, nicht selbst in Aus-
führung bringen. Er hebt schon hervor, dass es wahrscheinlich zweckmässiger
sein müsse, statt des gasformigen Sauerstoffs leichtreducirbare Metalloxyde anzu-
wenden und dass das gebildete Wasser wohl besser direct durch wasseraufneh-
mende Substanzen bestimmt werde.
Gay Lussac und Thenard wandten 1810 zuerst, statt des Sauerstoffs
einen Körper an, welcher leicht Sauerstoff abgibt; sie bedienten sich des chlor-
sauren Kalis. Sie verbrannten in einer senkrecht stehenden Glasröhre, deren un-
teres verschlossenes Ende stark erhitzt war. Das obere Ende der Röhre war durch
einen Hahn verschlossen, welcher statt der Durchbohrung nur eine Vertiefung hatte,
die das Eintragen des zuKügelchen geformten Gemenges der Substanz mit chlor-
saurem Kali möglich machte, ohne dass gleichzeitig Luft, eintrat. Eine an der Seite
der Röhre neben dem Hahn angebrachte Gasentwicklungsröhre gestattete, die erzeug-
ten Gase über Quecksilber aufzufangen. Durch Eintragen und Verbrennen einer
Anzahl von Kügelchen wurde zuerst die Luft aus dem Apparat verdrängt und
durch dasselbe Gasgemenge ersetzt, welches bei der Verbrennung erzeugt wurde ; nach
dieser Vorarbeit wurde eine gewogene Menge der zu analysirenden Substanz (mit
chlorsaurem Kali gemischt und zu Kügelchen geformt) verbrannt, die Gase über
Quecksilber aufgefangen und gemessen; die Kohlen8äiu*e wurde mit Kali absor-
birt und der rückständige Sauerstoff wieder gemessen. Der Kohlenstoff wurde
direct aus der Menge der absorbirten Kohlensäure berechnet; den Wasserstoff be-
rechnete man aus dem gebildeten Wasser, dessen Menge man ähnlich wie es Lovoisier
gcthan hatte fand, indem man die beobachteten Volume nach den spec. Gewichten
in Gewichtsmengen umwandelte und dann von der Summe der angewandten Sub-
stanz und des aus dem chlorsauren Kali gebildeten Sauerstoffs die Menge der
Kohlensäure »f- dem unverbraucht gebliebenen Sauerstoff abzog. Die von Gay
Lussac und Thenard gewonnenen Resultate waren meist sehr genau; aber die
Ausfülirung der Operation war schwierig und erforderte alle Sorgfalt geübter
Experimentatoren.
Berzelius mischte das chlorsaure Kali mit Kochsalz und erreichte so, statt
der explosionsartigen Verpuffung, eine langsame Verbrennung, die er zu-
erst in horizontalliegenden Röhren ausführte. Er war ebenso der erste,
Quantitative Analyse. 19
der die von Lavoisier schon angedeutete Idee ausführte, indem er das gebildete
Wasser mittelst Chlorcalcium absorbirte und aus der Gewichtszunahme des
Clilorcalciumrohres direct die Menge des Wassers bestimmte (1814).
Die bei der Verbrennung gebildete Kohlensäure fing Berzelius über Quecksilber
auf und bestimmte entweder das Volum derselben durch Absorption, oder er
brachte einen mit Kali gefüllten Gläsapparat in die Glocke, Hess so die Kohlen-
säure absorbiren und bestimmte ihr Gewicht durch die Gewichtszunahme dieses
Apparates.
Der nächste grössere Fortschritt der Verbrennungsanalyse bestand in der
Anwendung von Metalloxyden, namentlich von Kupferoxyd, statt des chlorsauren
Kalis. Lavoisier hatte schon 1784 versuchsweise Quecksilberoxyd und Mennige
angewandt \ Gay Lussac und Thenard hatten ebenfalls Metalloxyde versucht , dem
Chlorsäuren Kali aber den Vorzug gegeben-, auch Berzelius hatte sich des Chlor-
säuren Kalis bedient. Da man bald fand , dass chlorsaures Kali für stickstoffhal-
tige Substanzen nicht anwendbar ist, bediente sich Gay Lussac, gelegentlich sei-
ner Untersuchung über das Cyan (1815), zuerst des Kupfer oxyds, dessen
Vorzüge bald so allgemein anerkannt wurden, dass es von da an bis jetzt für alle
die Fälle in Anwendung blieb, bei welchen nicht besondere Umstände seine An-
wendung unmöglich machen. So war die Verbrennungsanalyse und namentlich
die Bestimmung des Wasserstoffs eine ziemlich leicht ausführbare Operation gewor-
den*, die Bestimmung des Kohlenstoffs gab, bei grösserer Schwierigkeit der Aus-
fuhrung, weniger genaue Resultate. Wasserstoff und Kohlenstoff wurden stets
etwas zu niedrig gefunden, weil nach beendigter Verbrennung die ganze Röhre
mit Verbrennungsproducten gefüllt blieb. Dieser Fehler konnte zwar dadurch
annähernd vermieden werden, dass man, wie dies Berzelius schon that, eine im
hinteren Ende der Röhre befindliche Menge von chlorsaurem Kali erhitzte und
durch den entwickelten Sauerstoff« die Verbrennungsproducte verdrängte. So wur-
den die Resultate genauer, die Ausfüluning aber schwieriger und der Felder doch
nicht vollständig vermieden, weil man, da die Kohlensäure in einer Glocke über
Quecksilber aufgesammelt wurde, keine zur vollständigen Verdrängung hinlängliche
Menge von Sauerstoff entwickeln konnte. Es ist Liebig's Verdienst, diesem üebel-
stand abgeholfen und die Verbrennungsanalyse bei vollständiger Genauigkeit der
Resultate zu einer ausnehmend leicht ausführbaren Operation gemacht zu haben*,
durch Einführung des nach ihm benannten Kugelapparates, dessen Benützung es
möglich macht, nach beendigter Verbrennung einen Strom von Luft durch den
Appai*at streichen zu lassen und so alle in demselben enthaltenen Verbrennungs-
producte zu verdrängen und dieselben ohne Verlust in den vorgelegten mit Chlor-
calcium und Kalilauge gefüllten Apparaten aufzusammeln.
Ausführung der Verbrennung. Eine gewogene Menge der 25.
zu analjsirenden Substanz wird mit Eupferoxyd gemengt, in einer
horizontal liegenden Röhre von schwerschmelzbarem Olase a d , deren
hinteres Ende a in eine aufrecht stehende Spitze ausgezogen ist, und
die in einem eisernen Verbrennungsofen durch glühend aufgelegte
Holzkohlen erhitzt wird, verbrannt. Die gasförmigen Verbrennungspro-
ducte streichen zunächst durch das mit Chlorcalcium gefüllte Rohr A
und dann durch den mit Kalilauge gefüllten Kugelapparat B (Kaliappa-
rat). Nach beendigter Verbrennung wird die Spitze a abgebrochen und
vermittelst eines an den Kaliapparat angesteckten Saugrohrs D lang-
2*
20 ZuBammeziBetEimg.
sam Luft durch den Apparat gesaugt, um alle in demselben noch be
findlichen Verbrennungsproducte in die mit Chlorcalcium und Kalilauge
gefüllten Apparate zu bringen. Beide Apparate sind vor der Verbren-
nung gewogen und werden jetzt, nach beendigter Verbrennung, wieder
gewogen. Die Gewichtszunahme des Chlorcalciumrohrs gibt die Menge
des gebildeten Wassers, die Gewichtszunahme des Kaliapparates die Menge
der gebildeten Kohlensäure an.
26. Details der Ausführung. Dass die zu analysirende Substanz vollkom-
men rein und möglichst trocken sein muss, versteht sich von selbst. Das
Trocknen geschieht je nach der Katur der Substanz entweder in einer Glocke
Über Schwefelsäure (Exsiccator), im luftleeren Raum über Schwefelsäure, im
Wasserbad bei 100*, oder im Luftbad bei höheren Temperaturen. Sehr zweck-
dienlich ist für viele Fälle der von liebig angegebene Trockenapparat, in wel-
chem die Substanz bei gewöhnlicher oder bei höherer Temperatur durch einen
Strom von trockner Luft getrocknet wird.
Das zur Verbrennung dienende Kupferoxyd , meistens durch Glühen von
salpetersaurem Kupferoxyd oder durch Glühen von mit Salpetersäure befeuchtetem
Kupferhammerschlag dargestellt, muss vor der Anwendung jedesmal getrocknet
werden. Es geschieht dies am besten, indem man es in einem bedeckten Tiegel
(hessischen Thontiegel) längere Zeit gelinde glüht. Es wird dann noch warm mit
der zu analysirenden Substanz gemischt, oder man fÜUt es heiss in eine Glasröhre
ein und lässt es verschlossen erkalten.
Zum Büschen der zu untersuchenden Substanz mit Kilpferoxyd und zum Füllen
der Verbrennungsröhre sind zwei verschiedene Methoden in Anwendung. Viele
Chemiker mischen nach Liebig's Vorschlag in einer getrockneten Porzellanreibschale
und f[illen die Mischung durch directes Schöpfen aus dem Mörser in die Verbren-
nungsröhre. Der von dieser ersten Mischung in der Reibschale bleibende Rest
wird wiederholt durch Zusammenreiben mit Kupferoxyd gleichsam verdünnt und
auf dieselbe Weise , durch Schöpfen , in die Röhre eingefüllt. Diese Methode des
EinfüUens, äusserst bequem in der Ausführung, hat den Nachtheil, dass das Kupfer-
oxyd während der Operation des Füllens leicht etwas Feuchtigkeit anzieht und so
eine Vermehrung des in die Chlorcalciumröhre tretenden Wassers, mithin eine Er-
höhimg des in der Substanz gefundenen Wasserstoffs veranlasst. Dieser Fehler
wird vermindert, die Wasserstoffbestimmung fällt also genauer aus, wenn man
QuantLtatiye Analyse. 21
nach der von Bnnsen vorgeschlagenen Methode das Eupferozyd in einer ver-
schlossenen Röhre erkalten lässt, aus dieser direct in die Verbrennungsröhre ein-
fQHt und das Mengen der Substanz mit dem Eupferozyd in der Yerbrennungsröhre
selbst durch einen spiralförmig gewundenen Draht ausführt. In beiden Fällen wird
die Röhre so gefüllt, dass das hintere Ende (ab) nur Kupferozyd, die Hälfte der
Röhre etwa fb c) das Gemenge und der vordere Theil (c d) wieder Eupferoxyd enthält.
Durch vorsichtiges Aufklopfen der Röhre erzeugt man, bevor man die Röhre in
den Verbrennungsofen einlegt, auf der oberen Seite einen Eanal, welcher den durch
die Verbrenntmg erzeugten Gasen freien Durchtritt gestattet
Dem Chlorcalciumrohr gibt man meist die in der Zeichnung angedeutete
Form; viele Chemiker bedienen sich mit Vorliebe ü förmiger Chlorcalciumröhren,
was indess bei gewöhnlichen Verbrennungen nicht nöthig ist. Das Chlorcalcium
darf nicht in geschmolzenem Zustand angewandt werden, weil das geschmolzene
immer schwach alkalisch reagirt und desshalb Eohlensäure zurückhalten würde j
man verwendet es am zweckmässigsten in dem blasigen Zustand, in welchem es
beim Entwässern erhalten wird, gerade ehe es zu schmelzen beginnt
Die meisten Chemiker verbinden das Chlorcalciumrohr vermittelst eines ge-
trockneten Eorks mit der Verbrennungsröhre. Mitscherlich zieht die gefüllte Ver-
brennungsröhre am vorderen Ende aus , steckt den ausgezogenen TheÜ in ein zu
dem Zweck eigens geformtes Chlorcalciumrohr und verbindet mit Eautschuk.
Der Ealiapparat wird meistens noch in der von Liebig angegebenen Form
angewandt-, die Erfahrung hat zur Genüge gezeigt, dass die Zahl der Engeln und
die angewandte Menge von Ealilauge vollständig hinreicht, um alle Eohlensäure
m. absorbiren, so dass also eine Vermehrung der Engeln unnöthig ist Er wird
mit dem Chlorcalciumrohr durch eine Eautschukröhre verbunden und zwar so,
dass die grössere Eugel dem Chlorcalciumrohr zugekehrt ist Die Ealilauge (Ka-
tronlauge ist nicht anwendbar) wird am zweckmässigsten von 1,25 — 1,30 spec.
Gew. angewandt. Da die in dem Ealiapparat enthaltene Flüssigkeit während der
Yerbrennung- durch das Durchstreichen der trockenen Luft stets etwas Wasser
Terhert, (wodurch der Eohlenstoff zu niedrig gefunden werden würde) , ist es in
sUen Fällen zweckmässig vor den Ealiapparat noch eine Röhre (C) zu legen , die
mit Chlorcalcium oder mit Stücken von festem Ealihydrat gefüUt ist Die Ge-
wichtszunahme dieser Röhre wird dann zu der Gewichtszunahme des Ealiapparates
ftddirt Man kann diese mit Ealistückchen gefüllte Röhre auch direct mit dem
Kaliapparat verbinden und mit diesem wägen.
Wenn der Apparat vollständig zusammengesetzt ist und man sich davon
Hbeneugt hat, dass alle Verbindungen luftdicht schliessen, erhitzt man zunächst
durch glühend aufgelegte Holzkohlen den vorderen mit Eupferoxyd gefüllten Theil
der Röhre (cd) und beginnt dann die Verbrennung des Gemenges, indem man von c
nach a fortschreitend glühende Eohlen auflegt Die Verbrennung muss so geleitet
werden, dass die Gasentwicklung nie zu rasch geht Wenn die ganze Röhre mit
glühenden Eohlen umgeben ist und wenn selbst nach stärkerem Anfachen der
Kohlen alle Gasentwicklung aufgehört hat und die Ealilauge zurückzusteigen be-
ginnt, bringt man den Ealiapparat, der während der Verbrennung so gestellt war,
dass f höher stand als e, jetzt, um das Zurücksteigen der Ealilauge zu verhindern,
in die umgekehrte Lage. Man entfernt dann die Eohlen von dem hinteren Ende
der Röhre, bricht die Spitze ab und saugt vermittelst einer an den Ealiapparat
oder an das vor demselben befindliche Ealirohr angesteckten Saugröhre (oder ver-
mittelst eines Aspirators) langsam Luft durch den Apparat, bis alle Verbrennungs«
22 ZnBammenBetzimg
prodacte aus der Röhre verdrängt sind. Dabei ist es zweckmässig auf die abge-
schnittene Spitze eine Glasröhre aufzusetzen , damit die in die Verbrennungsröhre
eintretende Luft nicht aus der nächsten Nähe der gh'ihenden Kohlen genommen
werde und zu viel Kohlensäure enthalte. Will man den Zutritt der Kohlensäure
und der Feuchtigkeit möglichst ausschliessen , so füllt man diese Röhre mit Aetz-
kali und Chlorcalcium.
Ghlorcalciumrohr und Kaliapparat werden dann abgenommen und bleiben
vor dem Wägen noch etwa eine halbe Stunde stehen, um wieder die Temperatur
der Luft anzunehmen.
Die Resultate, von nach der Methode ausgeführten Bestimmungen, sind bei
richtiger AusfQhrung fast völlig genau. Der Kohlenstoff wird, wenn kein Kalirohr
angewandt wurde , stets etwas zu niedrig (im Durchschnitt 0,1 ®/o) gefunden,
bei Anwendung eines Kalirohres dagegen meist etwas zu hoch (0,05^/o etwa).
Der Wasserstoff wird stets etwas zu hoch gefunden (0,1 — 0,2*/o); die Art und
die Schnelligkeit des Einfüllens ist dabei natürlich von nicht unbedeutendem
Elinfluss.
27. Einfüllen von Flüssigkeiten u. s.w.. Substanzen, deren physikalische
Beschaffenheit das Mengen mit Kupferoxyd und das Einfüllen nach der beschrie-
benen Methode nicht gestatten, machen geringe Modificationcn des Verfahrens
nöthig. Flüssige und flüchtige Körper füllt man in kleine vorher gewogene Glas-
kügelchen ein ; man bringt eines oder zwei solcher Kügelchen in die Verbrennungs-
röhre (in die Nähe des hinteren Endes), füllt die Röhre dann mit Kupferoxyd und
treibt, während der vordere Theil der Röhre im Glühen gehalten wird, durch vor-
sichtiges Erhitzen der Stelle, wo das Kügelchen liegt, die Flüssigkeit aus demsel-
ben aus. Die Dämpfe werden dann, während sie über das glühende Kupferoxyd
streichen, verbrannt. Dabei ist es zweckmässig, statt des pulverförmigen Kupfer-
oxyds kleine Stückchen von durch stärkeres Glühen zusammengesintertem Kupfer-
oxyd anzuwenden. — Statt die Flüssigkeiten in solchen Kügelchen mit offener
Spitze in die Verbrennungsrhöre zu bringen, bedient sich Bunsen dünnwandiger
Glaskügelchen, welche vollständig mit Flüssigkeit gefüllt und an beiden Enden zu-
geschmolzen in die Röhre eingebracht werden und bewirkt durch Erwärmen das
Bersten der dünnwandigen Kugel.
Flüssige aber nicht-flüchtige Körper (Oele z. B.) werden in kleinen Glas-
röhren; festere Fette und ähnliche Substanzen in kleinen nachenf5rmigen Schäl-
chen (von Porzellan oder Glas) gewogen und so in die Verbrennungsröhre
gebracht.
28. Die Natur der za untersuchenden Substanz macht in manchen
Fällen Modifloationen dieses Verfahrens nothwendig.
Für schwerverbrennliche Substanzen z. B. reicht Kupferoxyd als
Verbrennungsmittel nicht aus, man bedient sich dann statt dessen des chromsauren
Bleioxyds, welches vor der Anwendung durch Erhitzen in einer Porzellanschale
getrocknet, im Üebrigen aber wie das Kupferoxyd behandelt wird. Man kann
auch dem Kupferoxyd chromsaures Bleioxyd zusetzen oder für sehr schwer ver-
brennliche Substanzen ein Gemenge von chromsaurem Bleioxyd mit saurem chrom-
saurem Kali anwenden. — Statt so stärker oxydirende Substanzen anzuwenden,
kann man auch die bei der Verbrennung mit Kupferoxyd etwa unverbrannt gebliebene
Kohle zuletzt durch einen Strom von Sauerstoffgas vollständig oxydiren. Man
entwickelt den Sauerstoff dann entweder in der Röhre selbst aus chlorsaurem oder
QoiUitttetiTe Analyse. 23
besser aus überchlorsanrem Kali^ oder man entwickelt denselben ausserhalb der
Verbremmngsrölire oder lässt ihn aus einem Gasometer in die Röhre, deren hin-
teres Ende dann zu einer horizontal liegenden Spitze ausgezogen ist, einströmen.
Stickstoffhaltige Substanzen machen ebenfalls eine Abänderung des
Verfahrens nöthig. Bei der Verbrennung solcher Substanzen wird nämlich leicht
etwas Stickozyd erzeugt, welches das Gewicht des Kaliapparates vermehren, also
einen Fehler in der Eohlenstoffbestimmung veranlassen würde. Man vermeidet
diesen Fehler, indem man, wie dies Gay Lussac schon that, in das vordere Ende
der Röhre metallisches Kupfer bringt, welches während der Verbrennung glühend
gehalten wird und so das Stickozyd zerlegt Man verwendet dazu zu Pfropfen
zusammengedrehte Kupferdrehspäne, die man im Wasserstoffstrom redudrt, oder
zweckmässiger in Wasserstoff reducirte Stückchen von durch starkes Glühen zu-
sammengesintertem Kupferoxyd.
Auch chlorhaltige Substanzen können mit Kupferozyd nicht ver-
brannt werden, weil flüchtiges Kupferchlorür erzeugt wird, welches das Gewicht
des Ghlorcalciumrohres erhöhen würde. Man verbrennt solche Substanzen am
besten mit chromsaurem Bleioxyd oder man legt bei Verbrennungen mit Kupfer-
oxyd in den vorderen Theil der Röhre Stückchen von chromsaurem Bleiozyd.
Schwefelhaltige Substanzen geben beim Verbrennen mit Kupferozyd
schweflige Säure. Man schaltet um diese zu entfernen zwischen das Chlorcalcium-
rohr und den Kaliapparat eine Röhre ein, die mit völlig getrocknetem braunem
Bleihyperoxyd gefüllt ist.
Hinterlässt die zu untersuchende Substanz eine alkalische Asche, so
wird bei der Verbrennung mit Kupferoxyd ein Theil der gebildeten Kohlensäure
von der Asche zurückgehalten; auch in diesem Fall wird zweckmässig chromsau-
res Bleioxyd als Oxydationsmittel angewandt.
Verbrennung mit Weingeist oder mit Gas.
Statt in dem Lieb ig' sehen Verbrennungsofen mit Holzkohlen zu ver- 29.
brennen, haben sich einzelne Chemiker schon vor längerer Zeit eigener
aus Weingeist- Lampen zusammengesetzter Oefen bedient, von welchen
der von Hess vorgeschlagene am meisten in Gebrauch kam. Jetzt, seit-
dem das Leuchtgas in chemischen Laboratorien fast allgemein als Heiz-
material verwendet wird, bedient man sich häufig der Gasöfen. Solche
Gasöfen zu Verbrennungsanalysen sind nun von verschiedenen Chemikern
in sehr verschiedenen Formen angegeben worden, der Gebrauch hat sich
indess bis jetzt für keinen derselben bestimmt entschieden. Wir geben
desshalb keine Beschreibung irgend eines dieser Apparate *)^ müssen aber
^e Art der Ausführung der Analyse bei Anwendung solcher Oefen näher
kennen lernen, weil diese Art der Verbrennung vor der gewöhnlichen
Verbrennung mit Holzkohle so viele Vorzüge darbietet, sowohl in Bezug
auf Einfachheit der Ausführung als auf Genauigkeit der Resultate, dass
*) Die Zeichnung stellt den von v. Babo angegebenen Gasofen dar.
24
Zus&iDineiifietEuiiff.
sie dieselbe voraussichtlich, bis zu einem gewissen Grad wenigstens, ver-
drängen wird.
Man verbrennt bei Anwendung solcher Oefen in einer auf beiden
Seiten offenen Verbrennungsröhre. Das vordere Ende dieser Röhre wird
vermittelst eines Korkes mit dem Chlorcalciumrohr A, dem Ealiapparat B
und einer mit festem Ealihydrat gefüllten Röhre G in Verbindung ge-
setzt. Das hintere Ende steht mit zwei Gasometern in Verbindung, von
welchen das eine mit Sauerstoff, das andere mit Luft gefüllt ist Die Art
der Aufstellung des Apparates macht es möghch nach WillkührLuft oder
Sauerstoff in die Verbrennungsröhre eintreten zu lassen; beide in völlig
trockenem Zustand und frei von Kohlensäure, indem man zwischen die
Gasometer und die Verbrennungsröhre ein System von Apparaten ein-
schaltet, in welchen durch Aetzkali und Schwefelsäure alle Kohlensäure
und alle Feuchtigkeit zurückgehalten wird. Die Verbrennungsröhre a d
wird zu etwa 2/3 mit Kupferoxyd angefüllt (welches man zweckmässig
in zusammengesinterten Stückchen anwendet). Der hintere Theil a c
bleibt leer. Man erhitzt nun zunächst, um den Apparat zur Verbrennung
herzurichten, die ganze Röhre, lässt Luft durchströmen und vertreibt
so alle Feuchtigkeit. Nachdem die Röhre erkaltet ist, setzt man
bei d das Chlorcalciumrohr, den Kaliapparat etc. an, öfinet bei a und
schiebt die in einem Platinschiffchen gewogene Substanz ein (b). Man
erhitzt dann c d zum Glühen. Man erhitzt weiter das hintere Ende bei
a, damit keine Destillationsproducte der Substanz sich in diesem Ende
der Röhre verdichten können und beginnt nun, während fortwährend ein
langsamer Strom von Luft durch den Apparat geht, die Verbrennung,
indem man die Stelle b, an welcher sich das Platinschiffchen befindet,
allmälich erwärmt. Die Producte der trocknen Destillation der Substanz
werden von dem Luftstrom über das glühende Kupferoxyd geführt und
da verbrannt. Zuletzt, wenn keine weiteren Destillationsproducte mehr
auftreten, bleibt das Platinschiffchen meist mit Kohle gefüllt. Man schliesst
dann das Luftgasometer und öffnet den Hahn des Sauerstoffgasometers.
Sobald der Sauerstoff in die Verbrennungsröhre eintritt, verbrennt die
Qnantitatire Analyse. 25
Kohle voUst&iidig. Man läset so lange Sauerstoffgas durch den Apparat
gehen, bis alles Kupferozyd, welches während der Verbrennung reduoirt
wurde, wieder oxydirt ist; bis also Sauerstoff aus dem Kalirohr c aus-
tritt. Man wechselt dann die Gasometer nochmals und lässt längere Zeit
Luft durch den Apparat gehen, um allen Sauerstoff, welcher im Chlor-
calciumrohr und namentlich im Kaliapparat befindlich ist, zu entfernen,
und man wägt endlich, nach etwa halbstündigem Stehen, das Ghlorcal-
eiamrohr, den Kaliapparat und die Kaliröhre.
Bei solchen Verbrennungen im Luftstrom ist es nun nöthig, statt der hori-
Kontalliegenden Chlorcalciumröhren, U förmige Röhren anzuwenden, weil bei dem
verhältnissiaässig starken Luftstrom an der oberen Wand der horizontalliegenden
Röhre leicht Luft durchgehen könnte, ohne ihre Feuchtigkeit abzugeben, während
(Üe Luft in der ü förmigen Röhre zuerst abwärts und dann aufwärts getrieben und
80 sicher vollständig durch das Chlorcalcium getrocknet wird. Es ist weiter nöthig
ausser dem Kaliapparat noch eine mit Kalistückchen gefüllte Röhre vorzulegen, weil
bei dem lang andauernden trocknen Luftstrom die Kalilauge eine nicht unbedeu-
tende Menge von Wasser abgibt.
Verbrennungen nach dieser Methode geben weit schftrfere Wasserstoffbestim-
mungen, w^eil der Apparat direct vor der Benutzung vollkommen ausgetrocknet
werden kann. Sie gestatten femer im Platinschiffchen gleichzeitig eine Bestimmung
der Aschenmenge auszufiihren und die Asche sogar weiterer Untersuchung zu un-
terwerfen. Sie sind endlich in der Ausführung sehr bequem, weil, wenn der Ap-
parat einmal zusammengesetzt ist , für die einzelne Analyse kaum Vorbereitungen
nöthig sind und weil die eine Verbrennung den Apparat gerade in dem Zustand
hinterlfisst, in welchem er für die nächste brauchbar ist
Auch Stickstoff oder Chlor enthaltende Körper können in derselben Weise
analysirt werden. Man hat dann nur nöthig in den vorderen Theil der Röhre
frisch reducirtes metallisches Kupfer oder bei chlorhaltigen Substanzen einige Stücke
chromsaures Bleioxyd einzuschieben.
Bestimmung des Stickstoffs.
Enthält eine organische Verbindung Stickstoff, so muss derselbe 30.
durch eine besondere Operation bestimmt werden.
Die verschiedenen Methoden zur quantitativen Bestimmung des Stick-
stofis in organischen Körpern können nach den ihnen zu Grunde liegen-
den Principien in zwei Gruppen getheilt werden. Man verbrennt entweder
die organische Substanz mit einem Alkalihjdrat und bestimmt die Menge
des gebildeten Ammoniaks; oder man verbrennt mit oxjdirenden Sub-
stanzen und bestimmt die Menge des in Freiheit gesetzten Stickstoffs.
Besünunung des Stickstoffs als Ammoniak.
Methode von Will und Varrentrapp. Die Methode beruht 31.
darauf, dass stickstoffhaltige organische Substanzen beim Glühen mit ei-
nem AlkaUbydrat kohlensaures Salz erzeugen , während der Wasserstoff
des Hydrats zur Bildung von Ammoniak verwendet wird.
26 Zasammensetsimg.
KohlenBtoiEreiche Substanzen geben bei solcher Verbrennung anfangs Cyan-
metall, bei weiterem Erhitzen wird dieses durch den Ueberschuss des Alkalihydrata
ebenfalls zersetzt
Die Idee, diese von Dumas beobachtete Reaction zur organischen Elemen-
taranalyse zu verwenden , rührt von Berzelius und W ö h 1 c r , die Anwendung
selbst und die Einführung der ungemein einfachen und scharfen Methode von Will
und Var reu trapp her (1841).
32. Ausführung. Eine gewogene Menge der organischen Substanz
wird mit Natronkalk (1 Theil Natronhydrat auf 2 Theüe Aetzkalk) ge-
mischt und in eine Verbrennungsröhre a d so eingefüllt, dass im hinteren
Theil (a b) nur Natronkalk, im mittleren (b c) das Gemenge, im vorderen
Theil (c d) wieder nur Natronkalk enthalten ist. Ein in das vordere
Ende eingeschobener Asbestpiropf verhindert das Uebergerissenwerden
feiner Ealktheilchen. Die Röhre wird vermittelst eines Korkes mit einem
Glasapparat in Verbindung gesetzt, welcher mit concentrirter Salzsäure
gefdllt ist. Man leitet die
If f l a. Verbrennung wie bei der
I g^^^^^^^^^^^^ Bestimmung des Kohlenstoffs
'v^ . j^^*^"^^^^^^^^^^^^^^_ und Wasserstoffs, indem man
[.^^^^g/^^^^^^^^^^^^K^^^ ^on c nach a fortschreitend
'- - '^'^^^^^^SSI^^i^lml^^W durch glühend aufgelegte
~ ^~ "^ Holzkohlen erhitzt. Wenn
die Verbrennung beendigt
ist, bricht man die Spitze der Röhre ab und saugt vermittelst eines an
den Glasapparat aufgesetzten Saugrohrs längere Zeit Luft durch den Ap-
parat Man bestimmt dann die Menge des in der Salzsäure absorbirten
Ammoniaks nach einer der zur Bestimmung des Salmiaks gewöhnlich in
Anwendung kommenden Methoden. Gewöhnlich entleert man den Inhalt
des Glas-Apparates in eine Porzellanschale , wascht mit einem Gemenge
von Aether und Alkohol aus , setzt Platinchlorid zu , dampft zur Trockne
ein und extrahirt mit einem Gemenge von Aether und Alkohol. Der un-
gelöste Platinsalmiak wird auf einem gewogenen Filter gesammelt und in
getrocknetem Zustand (100®) gewogen.
Bisweilen ist der so erhaltene Platinsalmiak durch öl - oder harzartige Dcslil-
lationsproducte stark verunreinigt; es ist dann zweckmössiger denselben durch
Glühen zu zerstören und das zurückbleibende metallische Platin zu wägen.
Manche Substanzen, z.B. der Indigo, entwickeln beim Glühen mit Natronkalk
nicht Ammoniak , sondern dem Ammoniak ähnliche organische Basen. Das Platin-
doppelsalz kann dann nicht direct gewogen werden *, man muss vielmehr das beim
Glühen zurückbleibende metallische Platin wägen.
Sehr stickstofifreichen Substanzen setzt man zweckmässig etwas Zucker (oder
eine andre stickstofffreie Substanz) zu, um durch die entstehenden Kohlenwasser-
stoffe etc. das gebildete Ammoniak zu verdünnen und so ein etwaiges Zurücksteigen
der Salzsäure zu vermeiden.
Nöllner hat vorgeschlagen, statt der Salzsäure eine Auflösung von reiner
Quantitative Analyse. 27
Weinsäure in absolatem Alkohol zur Absorption des Ammoniaks anzuwenden und
den in absolutem Alkohol unlöslichen l^ederschlag von saurem weinsaurem Am-
moniak bei 100<^ zu trocknen und zu wägen.
Audi durch Titration kann die Menge des gebildeten Ammoniaks bestimmt
werden. P e 1 i g o t absorbirt dasselbe in einer gemessenen Menge Schwefelsäure
von bekannter Concentration und bestimmt die überschüssig bleibende Schwefel-
säure vermittelst einer titrirten Lösung von Aetzkalk in Zuckerwasser.
Sehr scharfe Resultate gibt das von Mohr*) vorgeschlagene Titrationsver-
fahren. Man föngt , wie gewöhnlich, das Ammoniak in Salzsäure auf, dampft zur
Verjagung der freien Salzsäure im Wasserbad zur Trockne ein, löst den zurück-
bleibenden Salmiak in Wasser und bestimmt die Menge desselben vermittelst einer
titrirten Lösung von salpetersaurem Silberoxyd, um dabei die Greri^e scharf be-
stimmen zu können, setzt man der Salmiaklösung einen Tropfen saures chrom-
saures Kali zu. Es entsteht dann, sobald alle Salzsäure als Chlorsilber gefällt ist,
durch den ersten überschüssigen Tropfen von salpetersaui'em Süberoxyd ein inten-
siv gefärbter Niederschlag.
Die Methode von Will und Varrentrapp gibt, bei grosser Bin-
fachheit und Leichtigkeit der Ausführung, ausnehmend scharfe Resultate
und wird desshalb fast allgemein, in all den Fällen angewandt, in wel-
chen sie anwendbar ist. Sie passt indessen nicht: filr alle die Substanzen,
welche den Stickstoff als Salpetersäure enthalten, oder welche durch Ein-
wirkung von Salpetersäure und unter Aufnahme eines Restes der Salpe-
tersäure entstanden sind (s. g« IHtrokörper). Solche Substanzen geben
zwar beim Verbrennen mit Natronkalk einen Theil ihres Stickstoffs als
Ammoniak, aber die Ammoniakbildung ist stets unvollständig; durch
Zusatz von Zucker oder anderen kohlenstofireichen Substanzen kann die
Menge des Ammoniaks vermehrt werden (selbst Salpeter gibt bei solcher
Verbrennung Ammoniak), aber niemals wird aller Stickstoff in Form von
Ammoniak entwickelt
Bestimmung des Stickstoffs als Stickstoffgas.
Eis ist oben (§. 30) schon erwähnt worden, dass bei der Yerbren- ^^'
nung sückstoflhaltiger Substanzen mit oxydirenden Körpern der Stickstoff
als Gas abgeschieden wird. Auch wurde bereits darauf aufmerksam ge-
macht ($.28), dass dabei häufig etwas Stickoxjd gebildet wird und dass
dieses durch metallisches Kupfer zu Stickstoff reducirt werden kann. Bei
Bestimmung des Stickstoffs nach einer der folgenden Methoden bringt
man desshalb stets in den vorderen Theil der Verbrennungsröhre metal-
lisches Kupfer und erhält dieses während der ganzen Verbrennung im
Glühen. Man kann nun entweder die ganze Menge des gebildeten Stick-
stoffs bestimmen (absolute oder quantitative Methoden); oder man ermittelt
♦) lieb. Jahrb. 1856. S. 718 und 732. ~ Ann. Chem. Pharm. XCVH. und
XCIX. 197.
28 ZuBammensetEung.
in den gasförmigen Producten der Verbrennung das Yerhältniss des Stick-
stoffs zur Kohlensäure (relative oder s. g. qualitative Methoden).
Relative Methoden.
34. Methode von Liebig. Man verbrennt ein Gemenge der zu
untersuchenden Substanz mit Eupferoxyd und vorgelegtem metallischem
Kupfer in einer Verbrennungsröhre, treibt erst durch Verbrennung eines
Theiles des Gemenges die im Apparat befindliche Luft einigermassen aus
und fängt die bei Verbrennung des übrigen Theiles des Gemenges sich
bildenden Gase über Quecksilber in graduirten Röhren auf. Man ermittelt
dann für jede einzelne Röhre das Verhältniss der Kohlensäure zum Stick-
stoff in folgender Weise. Man bringt die Röhre in einen mit Quecksilber
gefüllten Cylinder und liest, während die Röhre so gehalten wird, dass
das Quecksilbemiveau innerlich und ausserhalb möglichst gleich hoch
steht, das Gesammtvolum der Gase ab. Man bringt dann vermittelst ei-
ner unten umgebogenen Pipette Kalilauge in die Röhre, lässt durch
Schütteln die Kohlensäure absorbiren und misst das Volum des rückstän-
digen Stickstoff. Das Mittel von 6 oder mehr Röhren gibt das Verhält-
niss von Stickstoff zu Kohlensäure; also von Stickstoff zu Kohlenstoff.
Die Methode setzt , wie alle relativen Methoden , voraus , dass der Eohlen-
stoflf durch eine besondere Bestimmung schon ermittelt ist. Sie gibt erfahrungs-
mässig fär alle die Substanzen, welche auf 1 Atom Stickstoff nicht mehr als
4 Atome Kohlenstoff (B = 12) enthalten, hinlänglich genaue Resultate, ist aber
für alle Substanzen, welche weniger Stickstoff entlialten, nicht anwendbar.
35. Methode von Bunsen. Bunsen nimmt die Verbrennung in einer
auf beiden Seiten zugeschmolzenen Röhre, welche vorher durch Einleiten
von Wasserstoff und wiederholtes Auspumpen luftieer gemacht worden
war, vor. Die Röhre wird in einem Cylinder von Eisenblech eingelegt
und der Zwischenraum mit Gjps, Sand oder Lehm ausgestopft; die so
eingepresste Röhre wird dann zum Rothglühen erhitzt. Nach dem Er-
kalten öfinet man die Röhre unter Quecksilber; fängt die Gase imEudio-
meter auf und bestimmt durch Absorption mit Kali die Menge der mit
dem Stickstoff gemischten Kohlensäure.
Die Methode gibt ausnehmend scharfe Resultate, bietet aber in der Ausfüh-
rung so viele Schwierigkeiten dar, dass sie selten in Anwendung kommt. Weit
einfacher und ebenfalls genau ist die :
36. Methode von Gottlieb *J, eine Verbesserung der von Mar-
chand vorgeschlagenen und von Delbrück beschriebenen Methode.
•) lieb. Jahrb. 1851. 624. — Ann. Chem. Pharm. LXICVIII. 241.
(iaaatitatiTe Analyse.
29
Hau beschickt die Verb renn ungs röhre
in folgender Weise: a b Kupfer-
oxyd ; b c Gemenge der zu an alj siren-
den Substanz mit Kupferoxjd ; c d und
d e Kiipferoxyd ; e f metaUieches Ku-
pfer; fg Chlorcalciiim. Die m gefüllte
Röhre wird dann bei g ausgezogeD und
_ •--=^=- ---^ ~J~:-^ ■:^^"^^zi mit einem mindestens 28 Zoll langen
Gasentwickelungsrohr in Verbindung
gesetzt Man leitet dann aus einem bei a angefügten Wasserstoffgas-
apparat etwa zwei Stunden lang Wasserstoff durch dieselbe und schmilzt
bei a zu. Man erhitzt einen Theil des Kupferoxydes (d e) und erzeugt
so in der Röhre durch Verbrennung des sie erflallenden Wasserstoffgases
einen luftleeren oder wenigstens sehr luftverdünnten Raum. Wie weit
dies geschehen ist, kann leicht durch den Stand des Quecksilbers in der
Gasentwickelungsröhre, welche selbst als Barometerröhre wirkt, oontrolirt
werden. Die Verbrennung geschieht dann wie gewöhnlich; die Gase
werden in einer graduirten Glocke aufgefangen und in ihnen das Ver-
hältniss des Stickstoffs zur Kohlensäure bestimmt.
Ausser den hier mitgetheilten Methoden ist noch eine Anzahl von Modifi-
cationen beschrieben worden; die, mitgetheilten durch die Erfahrung bewährten
Methoden genügen, um von der Ausführung solcher relativen Analysen einen Be-
griff zu geben.
Absolute Methoden.
Wenn der bei der Verbrennung einer gewogenen Menge von Sub- 37.
stanz erzeugte Stickstoff ohne Verlust aufgefangen und genau gemessen
werden soll, ist es stets nöthig, einerseits den Apparat vor der Verbren-
nung vollständig luftleer *zu machen , andrerseits nach der Verbrennung
den noch in der Röhre enthaltenen Stickstoff vollständig auszutreiben.
Beides geschieht durch Kohlensäure, welche man gewöhnlich in der Ver-
brennungsröhre selbst entwickelt. Am meisten in Gebrauch ist die
Methode von Dumas. Die ziemlich lange Verbrennungsröhre 38.
enthält: e f doppelt-kohlensaures Natron; d e Kupferoxyd; c d Gemenge
von Substanz mit Kupferoxyd; b c Kupferoxyd; a b metallisches Kupfer.
Man erhitzt zuerst die eine Hälfte des doppelt-kohlensauren Natrons und
30
ZusammensetBung.
treibt so durch die sich entwickelnde Kohlensäure alle Luft aus dem Ap-
parat aus. Sobald dies geschehen, sobald also die austretenden Gasblasen
vollständig von Kalilauge absorbirt worden, beginnt man die Verbrennung,
indem man zunächst das metallische Kupfer (ab) und das Kupferoxyd
(b c) und dann das Gemenge, wie gewöhnlich von c nach d fortschreitend
erhitzt Die entweichenden Gase werden über Quecksilber in einer gra-
duirten Glasglocke aufgefangen, welche zum Theil mit Kalilauge gefüllt
ist. Wenn die Verbrennung beendigt ist, zersetzt man die zweite Hälfte
des doppelt kohlensauren Natrons und treibt allen in der Verbrennungs-
röhre noch befindlichen Stickstoff ebenfalls in die graduirte Glocke. Es
bleibt nun noch übrig, die Menge des gesammelten Stickstoffs zu bestim-
men. Man bringt zu dem Zweck die mit einer Schale unterfangene Glas-
glocke in ein grosses mit Wasser gefülltes Gefäss; lässt das Quecksilber
und die Kalilauge austreten; hält die Glocke so, dass das Wasser inner-
halb und ausserhalb gleich hoch steht und liest das Volum des Stickstoff-
gases ab. Man beobachtet gleichzeitig die Temperatur des Wassers und
den Barometerstand und findet das Gewicht P. der gemessenen Stickstoff-
menge nach der Formel:
P = °°«^256. V. 1 ^ o!o0367. t» -^
(worin V das beobachtete Gasvolum in Cub. Cent. m. ; t* die Temperatur des Was-
sers, B den Barometerstand in Millimetern und f die Tension des Wassers bei der
Temperatur t^ und ausgedrückt in Millimetern, bezeichnet.)
Die Methode von Dumas gibt den Stickstoff meist etwas zu hoch, weil die
in dem Apparat enthaltene Luft nie vollständig durch die Kohlensäure verdrängt
wird. Kommt es auf grössere Genauigkeit an, so ist es zweckmässige zwischen
der Verbrennungsröhre und dem Gasentwicklungsrohr eine Luftpumpe einzuschalten
(wobei natürlich das Gasentwicklungsrohr die Länge einer BarometeiTöhre haben
muss) und durch Auspumpen, oder noch besser durch mehrmals wiederholtes ab-
wechselndes Entwickeln von Kohlensäure und Auspumpen, die Luft möglichst aus
dem Apparat zu entfernen. Bei solchen genauen Stickstoffbestimmungen ist es
dann aber auch nöthig, statt des einfachen Messens des Stickstoffs über Wasser
Quantitative Analyse.
31
(was übrigens fEir gewöhnliche Zwecke hinlänglich genaue Resultate gibt) diesen
im Eudiometer mit all der Genauigkeit zu messen, deren die Gasanalyse fUhig ist.
Statt des doppelt kohlensauren Natrons bediente sich Dumas früher des
kohlensauren Bleioxyds oder des kohlensauren Kupferoxyds. Man kann die Koh-
lensäure auch ausserhalb der Verbrennungsröhre in einem besonderen Apparat
entwickeln; ein Verfahren, welcUes sogar ein vollständigeres Austreiben der Luft
möglich macht, weil man beliebig lange Kohlensäure durch die Röhre kann strö-
men lassen. Einen sehr geeigneten Apparat zu diesem Zweck hat Schiel *) an-
gegeben.
Simpson'*''*') hat eine Modification der Dumas'schen Methode an- 39.
gegeben, deren Vortheil wesentlich darin besteht, dass die Art des Auf-
fangens und des Messens des Stickstoffs weit grössere Genauigkeit dar-
bietet. Er entwickelt die zur Verdrängung der Luft dienende Kohlensäure
aus kohlensaurem Manganoxydul. Die Yerbrennungsröhre enthält: ab
kohlensaures Manganoxydul; b c Gemenge der zu analysirenden Substanz
mit Kupferoxyd und Quecksilberoxyd ; c d Kupferoxyd ; d e metallisches
Kupfer. ^Nachdem durch Erhitzen eines Theils des kohlensauren Mangan-
oxyduls alle Luft ausgetrieben worden, verbrennt man wie gewöhnlich
und f^gt die Gase in dem mit Quecksilber und Kalilauge gefällten Queck-
silbergasometer auf, aus welchem der Stickstoff dann ohne allen Verlust
in ein Eudiometer übergefQllt und mit all den fUr eudiometrische Mes-
sungen nöthigen Cautelen und Correcturen bestimmt werden kann.
Die Bestimmung des Stickstoffs nach der Methode von Dumas
(oder einer Modification derselben) ist fQr alle organische Substanzen,
auch für Nitroverbindungen und fOr salpetersäurehaltige Körper anwend-
bar, sie kommt indessen, des complicirteren Verfahrens wegen, meist nur
in den Fällen zur Anwendung, in welchen die Methode von Will und
Varren trapp nicht anwendbar ist.
In einzelnen seltenen Fällen lässt sich indessen der Stickstoff auch
nach dieser Methode nicht bestimmen, weil die Bildung von Stickoxyd
•) lieb. Jahrb. 1855. 795. — Silliman's american Journal. [2] XX. 221. —
♦♦) Ann. Chem. Pharm. XCV. 68.
32 ZuBammensetEimg.
nicht vollständig vennieden werden kann; man muBS dann aus dem er-
haltenen Oasgemenge das Stickoxjd mittelst schwefelsauren Eisenoxyduls
absorbiren und mit in Rechnung bringen*).
Bestimmung des Sauerstoffs.
40. Zur Bestimmung des Sauerstoffs in organischen Substanzen ist bis
jetzt keine directe Methode bekannt, die bei hinlänglicher Einfachheit der
Ausführung hinlängliche Genauigkeit der Resultate darböte **). Der Sauer-
stoffgehalt organischer Verbindungen wird immer aus dem Verlust be-
stimmt *
Bestimmung anderer Elemente in organischen Körpern.
41. Es ist oben (5. 22.) schon erörtert worden, dass nur der Kohlen-
stoff, Wasserstoff und Stickstoff durch besondere der organischen Elemen-
taranalyse eigenthümliche Methoden bestimmt werden, während alle übri-
gen Bestandtheile organischer Verbindungen entweder direct nach den
gewöhnlichen analytischen Methoden oder so bestimmt werden, dass man
zunächst den organischen Körper zerstört und in dem unorganischen
Rückstand die Bestimmung nach den gewöhnlichen Methoden vornimmt.
Eine ausführliche Beschreibung dieser Methoden erscheint desshalb über-
flüssig; es können hier nur die Methoden angegeben werden, welche man
gewöhnlich zur Zerstörung der organischen Verbindung in Anwendung
bringt In den meisten Fällen ist es nöthig, die Zerstörung durch Glüh-
hitze vorzunehmen.
Fast alle Metalle oder Metalloxyde können so bestimmt wer-
den, dass man die organische Verbindung in einem Tiegel glüht und das
zurückbleibende Metall, Metalloxyd, kohlensaure Salz u. s. w. direct wägt
oder durch geeignete Behandlung in zum Wägen brauchbare Verbindun-
gen überfahrt
Zur Bestimmung von Chlor oder Brom glüht man eine gewogene
Menge der zu untersuchenden Substanz mit chlorfreiem Aetzkalk in einer
Verbrennungsröhre; löst den Röhreninhalt in verdünnter Salpetersäure, fil-
trirt und bestimmt die gebildete Salzsäure als Ghlorsilber durch Fällen mit
salpetersaurem Siiberoxyd.
Zur Bestimmung von Schwefel, Phosphor, Arsenik etc. zer-
setzt man die organische Substanz mit oxydirenden Körpern und bestimmt
die Menge der gebildeten Schwefelsäure, Phosphorsäure oder Arsensäure
nach den gewöhnlichen analytischen Methoden. Nur in seltenen Fällen
♦) vgl. Prankland. Ann. Chem. Pharm. XCIX. 360.
••) vgl. übrigens Baumhauer's Methode. Lieb. Jahresb. 1864. 740 und 1865.
768. Ann. Chem. Pharm. XC. 228.
Quantitative Analyse. 33
gelingt es durch Kochen der organischen Substanz mit Salpetersäure oder
mit Salzsäure und chlorsaurem Kali eine vollständige Oxydation zu er-
reichen. Bisweilen (z. B. bei eiweissartigen Körpern) nimmt man die
Oxydation so vor, dass man die Substanz mitAetzkali schmilzt und nach
und nach Salpeter einträgt Meistens mischt man die zu analysirende
Substanz mit kohlensaurem Natron und Salpeter oder besser mit kohlen-
saurem Natron und chlorsaurero Kali *) und nimmt das Glühen in einer
Verbrennungsröhre vor. Noch zweckmässiger ist es, (nach RusseTs
Vorschlag) ein Gemenge von Quecksilberoxyd und kohlensaurem Natron
(zu etwa gleichen Theilen) anzuwenden.
Analyse gasförmiger Körper.
Grasfbrmige Körper können nach der für andere Körper gewöhnlichen 42.
Methode, durch Verbrennen mit Kupferoxyd analysirt werden. Eine re-
lative Bestimmung des Kohlenstoff- und Wasserstoffgehaltes eines Gases
bietet keinerlei Schwierigkeiten dar. Eine absolute Analyse dagegen
macht die Anwendung eigenthQmlicher gasometrischer Methoden nöthig.
Da indess Analysen der Art nur ausnehmend selten ausgeführt werden,
scheint eine Beschreibung der dazu dienlichen Methoden ungeeignet.
Weit häufiger als durch die gewöhnliche Verbrennungsanalyse wird
die Zusammensetzung gasförmiger Substanzen durch die gasometrische
oder eudiometrische Analyse ermittelt. Eine Beschreibung dieser
Methoden würde indessen zu weit führen; wir verweisen daher auf R.
Bunsen's gasometrische Methoden. Braunschweig, 1857. —
Ableitung der Formel aus den Ergebnissen der
Analyse.
Berechnung der procentischen Zusammensetzung aus
den directen Ergebnissen der Analyse.
Die organische Elementaranalyse gibt den Kohlenstoff der unter- 43.
suchten Substanz stets als Kohlensäure, den Wasserstoff in Form von
Wasser. Der Stickstoff wird entweder in gasförmigem Zustand gemessen
oder in Form von Ammoniak, meist als Platinsalmiak, gewogen.
Da nun 44 Gewichtstheile Kohlensäure (OO,) 12 Gewichtstheile Kohlen-
stoff enthalten, also 11 Theiie Kohlensäure 3 Theile Kohlenstoff^ so fin-
det man das Gewicht des in der gefundenen Menge Kohlensäure eirthal-
*) Dabei müssen stets auf 1 Theil Salpeter oder chlorsaures Kali mindestens
8 Theile kohlensaures Katron angewandt werdea, weil sonst äusserst gefähr-
liche Explosionen eintreten können.
KckaU, orgaa. Chaal«. 8
34 ZoBanunenBetzung.
tenen Kohlenstoffs, wenn man das Gewicht der gefundenen Kohlensäure
mit 3 multiplicirt und mit 11 dividirt
Da ferner 9 Theile Wasser 1 Gewichtstheil Wasserstoff enthalten, so
findet man die Menge des in der untersuchten Substanz enthaltenen Wasser-
stoffs, indem man das Gewicht des gefundenen Wassers mit 9 dividirt
«^= 9.
Der Stickstoff endlich ergibt sich aus dem gewogenen Platinsalmiak oder
aus der Menge des gebildeten Platins durch einfache Regel de tri ; (223-2
Th. Platinsalmiak enthalten 14 Th. Stickstoff; 98-7 Th. Platin entsprechen
14 Theilen Stickstoff). In welcher Weise bei der Bestimmung des Stick-
stoffs nach Dumas 's Methode das beobachtete Volum in das entspre-
chende Gewicht umgerechnet wird, ist §. 38. schon angegeben.
Eine einfache Regel de tri : Multiplication der gefundenen Mengen
Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff mit 100 und Division mit dem Ge-
wicht der zur Analyse verwendeten Substanz gibt dann die in 100 Thei-
len Substanz enthaltenen Mengen Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff.
Berechnung des Sauerstoffs. Da der Sauerstoff in organi-
schen Körpern nie direct bestimmt, sondern stets aus dem Verlust be-
rechnet wird, so ergibt sich die Menge des in 100 Theilen der Substanz
enthaltenen Sauerstoffs einfach, indem man die Summe der Procentgehalte
der übrigen Elemente von 100 abzieht und die Differenz als Sauerstoff
in Rechnung bringt
Diese Berechnung setzt natürlich voraus, dass alle in der Substanz enthal-
tenen Bestandthcile nüt Ausnahme des Sauerstoffs quantitativ bestimmt worden
sind und dass man sich durch sorgfältige Versuche davon überzeugt hat, dass aus-
ser den bestimmten Elementen kein anderes in der Verbindung enthalten ist
Die Geschichte der Chemie kennt ein Beispiel, welches die Nothwendigkeit
dieser Prüfung auf andere Elemente in auffallender Weise darthut. Das Taurin,
von Gmelin 1831 entdeckt, wurde analysirt von Demargay 1837 und von Fe-
lo uze und Dumas 1837^ die Analysen führten nur Kohlenstoff, Wasserstoff,
Stickstoff und Sauerstoff als Bestandtheile des Taurins auf und erst Redten-
b ach er wies 1846 nach, dass das Taurin Schwefel enthält (und zwar über 20*/|>)
der von sämmtlichcn Chemikern vorher übersehen worden war.
Ableitung des atomistischen Verhältnisses.
44. Die Chemiker sind gewohnt, die Zusammensetzung der Körper nicht
in den Gewichtsverhältnissen der Bestandtheile, also nicht in procentischer
Zusammensetzung auszudrücken; sie bedienen sich vielmehr eigenthüm-
licher Symbole, der Formeln, deren einzelne Buchstaben nicht nur qua-
litative, sondern auch quantitative Bedeutung haben. Manche Chemiker
wollen die einzelnen Zeichen für die Aequivalente der Elemente gelten
lassen, weit zweckmässiger ist es, durch sie die Atome der Elemente
Ableitung der Formel. 35
aaszudrücken , d. h. die kleinsten chemisch untheilbaren Mengen der-
selben.
Es bleibt späteren Betrachtungen (§. 162 if.) vorbehalten, den Begriff von Atom
n&her festzustellen und die Mittel anzugeben, welche zur Feststellung der relativen
Atomgrösse der einzelnen Elemente führen. Fflr jetzt genügt es, die relative Grösse
der Atome, also die Atomgewichte derjenigen Elemente mitzutheilen , die in den
nächstfolgenden Betrachtungen vorkommen.
Wenn H = 1, so ist: € = 12; O = 16; S = 32; etc.
Wenn man aus den Oewichtsverhältnissen, nach welchen 45.
die Elemente in einer Verbindung enthalten sind, das atomistische Ver-
hältnisse d. h. die relative Anzahl der Atome der einzelnen Elemente,
die in der Verbindung enthalten sind , ableiten will , so hat man nur nö-
thig, in die durch die Analj'se gefundenen Oewichtsmengen (seien es nun
die direct gefundenen oder, was in den meisten Fällen vorzuziehen ist,
die auf 100 Th. Substanz umgerechneten) mit den Atomgewichten der be-
treffenden Elemente zu dividiren. Die so gefundenen Quotienten drücken
schon die Verhältnisse aus, nach welchen die Atome in der Verbindung
enthalten sind. Da aber, dem BegrifT von Atom nach, Bruchtheile von
Atomen unmöglich sind, so hat man die einfachsten ganzen Zahlen auf-
zusuchen, welche dieses Verhältniss ausdrücken.
Es geschieht dies in den meisten Fällen am einfachsten, indem man den
kleinsten Quotienten als 1 annimmt, also mit diesem in die übrigen dividirt.
Einige Beispiele werden die Art der Berechnung deutlicher zeigen :
Die Analyse des Terpentinöls habe z. B. gegeben:
0.25O0 Gramm Substanz gaben: 0.8085 Grm. Kohlensäure und 0.2655 Grm.
Wasser.
Diese 0.8085 Grm. Kohlensäure enthalten 0.2205 Grm. Kohlenstoff.
„ 0.2655 „ Wasser „ 0.0295 „ Wasserstoff.
In 100 Theilen Terpentinöl sind demnach enthalten:
e = 88 . 20
H = 11.80
100.00.
Da die Summe des durch die Analyse gefundenen Kohlenstoffs und Wasser-
stoffs gleich ist dem Gewicht der angewandten Substanz (oder da der Procentgehalt
an Kohlenstoff -f- <1^™ Procentgehalt an Wasserstoff gerade 100 gibt), so sieht man
zunächst, dass der untersuchte Körper keinen Sauerstoff enthält, dass er nur aus
Kohlenstoff und Wasserstoff besteht.
Um nun zu finden, in welchem Verhältniss die Anzahl der Kohlenstoffatome
zur Anzahl der Wasserstoffatome steht, dividirt man in die Procentzahlen mit den
betreffenden Atomgewichten:
Procentgehalt. Atomgewicht. Quotient
e = 88.20 12 7.35
H = 11.80 1 11.80.
Man findet die Substanz enthält auf 7.35 Atome Kohlenstoff 11. 80 Atome Wasser-
stoff; ihre Zusammensetzung könnte ausgedrückt werden durch:
^T'Si H|i.a
8 ♦
36 ZusammensetEung.
Sucht man die einfachsten ganzen Zahlen auf, welche dasselbe Verfafiltniss
ausdrücken, berechnet man also wie viel Atome Wasserstoff auf 1 Atom Kohlen-
stoff enthalten sind, so findet man
"7736- ^•^•
Das Terpentinöl enthält demnach auf 1 Atom Kohlenstoff 1.6 Atome Was-
serstoff, oder auf 10 Atome Kohlenstoff 16 Atome Wasserstoff-, seine Zusammen-
setzung wird ausgedrückt durch die atomistische Verhältnissformel:
Oio H,i oder 0| He.
Angenommen man habe durch die Analyse gefunden : die krystallisirte Essig-
säure enthält in 100 Theilen: 39.96 Th. Kohlenstoff und 6.74 Th. Wasserstoff; so
zeigt dies zunächst, dass die Essigsäure ausser Kohlenstoff und Wasserstoff noch
ein anderes Element enthält. Hat man sich nun durch die qualitative Analyse da-
von überzeugt, dass die Essigsäure kein anderes durch Reactionen nachweisbares
Element enthält, so wird das an 100 fehlende als Sauerstoff in Rechnung gebracht
Die Essigsäure enthält also in 100 Theilen:
Procentgehalt
Atomgewicht
Atomistisches
Verhältniss.
e = 89.96
12
8.88.
H = 6.74
1
6.74.
0 =68.30
16
8.80.
Dividirt man in diese Procentzahlen mit den betreffenden Atomgewichten, so
findet man die Quotienten 8.33:6.74:8.40, welche das Verhältniss der Anzahl
der in der Essigsäure enthaltenen Atome Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff
ausdrücken. Diese Verhältnisszahlen entsprechen nun hinlänglich genau dem Verhält-
niss 1:2:1, um annehmen zu dürfen, dass die Essigsäure auf 1 Atom Kohlenstoff,
2 Atome Wasserstoff und 1 Atom Sauerstoff enthält Der einfachste Ausdruck der
atomistischen Zusammensetzung der Essigsäure ist demnach:
eH,e.
46. Durch einfache Rechnung leitet sich also aus den directen Ergeb-
nissen der Analyse das atomistische Verhältniss, die atomistische Zusam-
mensetzung ab; aber man sieht leicht, die Analyse lehrt nur das Verhält-
niss der Anzahl der Atome der einzelnen Elemente, also die relative
Anzahl der Atome kennen; sie gibt in keiner Weise Aufschluss darüber,
wieviel Atome eines jeden Elementes in der Verbindung enthalten sind;
sie lehrt nicht die absolute Anzahl def Atome kennen.
Wir erfahren durch die Analyse also nicht, ob:
das Terpentinöl = OsHs oder 6ioHi« oder BuHu etc.
die Essigsäure = ^HaO oder ^iH«^! oder 6iH<0s oder 64H«04 etc.
Denn diese verschiedenen Formeln, als Multipla von einer, drücken dasselbe Ver-
hältniss der Anzahl der Atome aus und entsprechen alle derselben procentischen
Zusammensetzung.
47. Es ist einleuchtend, dass die durch die Analyse gefundene procen-
tische Zusammensetzung niemals vollständig genau einem einfachen ato-
mistischen Verhältniss entsprechen wird. Eine absolute Uebereinstim-
mung kann auch bei den schärfsten Bestimmungsmethoden nicht erlangt
Ableitimg der Fonnel. 37
werden. Eine Analyse ist indessen zur Ableitung der Fonnel brauchbar, wenn
sie so genau ist, dass sie das Verhältniss, nach welchem die Atome in der
Verbindung enthalten sind, unzweideutig erkennen lässt; wenn also die
aus dem atomistischen Verhältniss berechnete procentische Zusammen-
setzung mit der durch den Versuch ermittelten hinlänglich genau über-
einstimmt. Han pflegt desshalb stets, wenn man aus einer Analyse die
atomistische Zusammensetzung einer Substanz herleitet, die empirisch ge-
fundene procentische Zusammensetzung mit der aus dem atomistischen
Verhältniss berechneten oder der s. g. theoretischen Zusammensetzung zu
vergleichen.
In 'welcher Weise man aus der atomistischen Zusammensetzung den theore-
tiBchen Procentgehalt berechnet , ist selbstverständlich ; man mnltiplicirt ftir jedes
Element die Anzahl der Atome mit dem Atomgewicht; man erhält so die Gewichts-
▼erhältnisae der Elemente, die man dann noch auf 100 umrechnet. Das Terpen-
tinöl z. B. zeigte das atomistische Verhältniss 'GiH«, daraus berechnet sich die
theoretische Zusammensetzung 88.24% Kohlenstoff und 11.76 «/o Wasserstoff, die
mit der durch den Versuch gefundenen hinlänglich genau Übereinstimmt.
Theorie. Versuch.
€, =r 60 — 88.24 88.20
H» = 8 — 11.76 11 .80
68 100.00.
In ähnlicher Weise findet man, dass die aus der vorhin für die Essigsäure
aofgeihndenen Verhältnissformel sich herleitende procentische Zusammensetzung
hinlänglich übereinstimmt mit den durch die Analyse gefundenen Zahlen :
Berechnet
Gefunden.
€!- 12
40.00
39.96
H,=: 2
6.67
6.74
^«16
53.33
—
80
100.00.
Kleinste Formel. Die Analyse lässt, wie eben erw&hnt, die VFahl ^•
zwischen einer grösseren Anzahl von Formeln, welche dasselbe atomi-
stische Terhältniss ausdrücken. Alle diese Formeln müssen nur, weil die
filr die Elemente gebrauchten Zeichen Atome ausdrücken, von der Art
sein, dass sie keine Bruchtheile von Atomen enthalten. Wenn nun aus
emer Substanz durch einfache Reactionen Abkömmlinge erhalten werden,
die zur ursprünglichen Substanz in einfacher Beziehung stehen, so kann
die Analyse dieser Abkömmlinge weitere Auskunft geben über die An-
zahl der in der ursprünglichen Substanz selbst enthaltenen Atome. Da
nämlich die atomistische Zusammensetzung dieser Abkömmlinge durch
solche Formeln dargestellt werden muss, die keine Bruchtheile von Ato-
men enthalten, so wird man, um die Beziehungen dieser Abkömmlinge
zu der ursprünglichen Substanz in einfacher Weise ausdrücken zu kön-
nen, von den nach der Analyse zuläissigen atomistischen Verb£l>ltnis8for<
mebi emzehie für unzulässig halten.
38 ZuBammenfletzung.
49. Für die oben als Beispiel benutzte Essigsäure sind nach der Analyse die fol-
genden atomistischen Verhältnissformeln möglich:
O HiO oder OiHiOi oder OsHeOa oder eiHgOi etc.
Stellt man aus der Essigsäure Salze dar und analysirt diese, so findet man,
dass für das essigsaure Silberoxyd z. B. der einfachste Ausdruck der atomistischen
Zusammensetzung ist:
e^HaAge,.
Ebenso zeigt die Analyse der durch Einwirkung von Chlor auf EBsigsäure
erhaltenen Monochloressigsäure , dass der einfachste Ausdruck der atomistischen
Zusammensetzung dieses Körpers ist:
€iHsC102.
'Beide Formeln können nicht kleiner geschrieben, z. B. nicht durch 2 getheilt
werden, ohne dass Bruchtheile von Atomen auftreten. Man wird also von den der
Analyse nach möglichen Formeln der Essigsäure nur diejenigen für zulässig halten,
aus welchen atomistische Formeln dieser Abkömmlinge hergeleitet werden können.
Man wird also die Formeln:
€ HiO und €sH«0»
ausschliessen, weil die aus ihnen hergeleiteten Formeln der oben erwähnten Ab-
kömmlinge Bruchtheile von Atomen enthalten würden:
e Hi.f Ago.»0 und 63 H4.$Agi.ie»
O H1.5CI0.S "G- „ 0j Hi.fCli.s'Oii'
Die Analyse dieser Abkömmlinge der Essigsäure lässt es aber immer noch
unentschieden, ob die Formel der Essigsäure:
61H4O1 oder O*H804 ete.
ist; sie schliesst demnach die eine Hälfte der nach der Analyse der Säure selbst
möglichen Formeln aus, lässt aber immer noch die Wahl zwischen der andern
Hälfte dieser Formeln.
50. Gesetzt man habe durch die Analyse des Kohlenwasserstoffs Butylen (Tetry-
len) gefunden, dass der einfachste Ausdruck der atomistischen Zusammensetzung
dieses Körpers ist:
en,.
Man fmdet nun, dass dieser Kohlenwasserstoff sich mit Chlor direct verbindet
zu einer Substanz, deren atomistische Zusammensetzung durch die Verhältnissformel
eiHiCl
ausgedrückt werden kann. Da diese Formel nicht theübar ist, ohne dass Bruch-
theile von Atomen entstehen, so wird man auch den durch die Analyse des Tetry-
lens gefundenen einfachsten Ausdruck verdoppeln und demselben die Formel bei-
legen :
e,H4.
Wenn man nun das durch Einwirkung von Chlor auf Butylen erhaltene
Chlorid (O2H4CI) mit alkoholischer Kalilösung behandelt, so entsteht Chlorkalium
und eine neue chlorhaltige Substanz, deren atomistische Zusammensetzung am ein-
fachsten ausgedrückt wird durch:
e*HtCl.
Die Existenz dieses Körpers und die Untheilbarkeit seiner Formel veranlasst
uns die Formel des oben erwähnten Chlorids und die des Tetrylens selbst noch-
mals zu verdoppeln; weil die Formeln:
Tetrylen OÄ
Tetrylenchlorid OJlsClj
Chlortetrylen e4HiCl
AequiYalentgewichtBbestiininung. 39
die einfachsten sind, welche die Beziehungen der verschiedenen Substanzen zu ein-
ander klar hervortreten lassen.
Betrachtungen der Art schliessen also von den der Analyse nach möglichen 51.
Formeln eine Anzahl aus, aber sie entscheiden nicht bestimmt für eine Formel,
lassen vielmehr immer noch die Wahl zwischen einer, jetzt ü*eilich kleineren, An-
zahl. Wenn nicht andere Betrachtungen Anhaltspunkte zur Feststelhmg der Foiincl
böten , bliebe es der Willkühr überlassen und es ist in der That in all den Fällen,
in welchen weitere Anhaltspunkte nicht gewonnen werden können, mehr oder we-
niger Sache der Willkühr, aus den diesen Anforderungen genügenden Formeln eine
auszuwählen. Zudem können solche Betrachtungen nicht einmal bestimmt einzelne
Formeln ausschliessen, da man durch alle Formeln, (wenn auch vielleicht weniger
einfach, indem man z. B. die ursprüngliche Substanz zweimal oder öfter in Rech-
nung bringt) die Beziehungen der aus einander entstehenden Substanzen dar-
stellen kann.
Bestimmung des Aequivalentgewichts *).
Wir nennen diejenigen relativen Mengen verschiedener Substanzen, 52.
welche chemisch gleich- oder ähnlichwerthig sind, äquivalent **J. Die
AequiyaJentgewichtsbestimmung hat demnach zur Aufgabe die Gewicht«-
verhältaisse chemisch gleich oder ähnlich wirkender Substanzen festzu-
stellen.
Nach dem BegriflF des Wortes äquivalent kann daher von Aequivalenz nur
unter solchen Substanzen dij Rede sein, die eine gewisse Analogie zeigen, die eine
ähnliche Rolle spielen. Man kann also wohl von dem Aequivalent einer Säure im
Yergleicb mit einer andern Säure oder von dem Aequivalent einer Base im Ver-
gleich mit einer andern Base sprechen-, aber nicht eigentlich von dem Äquivalent
einer Säure verglichen mit einer Base, also z. B. nicht vom Aequivalent der Salz-
säure im Vergleich zum Ammoniak, weil beide Körper niemals eine ähnliche
Rolle spieleoL
Wenn man also das Aequivalentgewicht einer Säui'e bestimmt, so 53.
heisst dies nichts anderes als: ermitteln, eine wie grosse Menge der zu
untersuchenden Säure (der Essigsäure z. B.) dieselbe Rolle spielt wie eine
bestimmte , für den Vergleich als Ausgangspunkt gewählte , Menge einer
anderen bekannteren Säure (der Salzsäure z. B.). Es geschieht dies am
einfachsten, indem man ermittelt, welche relative Mengen der zwei Säuren
nöthig sind, um mit einer und derselben Menge von Metall ein neutrales
Salz zu bilden. Da die bekanntere Säure in der Hinsicht natürlich er-
forscht ist, hat man den Versuch nur fiir die neu zu studirende Säure
nöthig. um das Aequivalentgewicht der Säuren zu bestimmen, dienen
also die Basen gewissermassen als Maassstab; aber die Bestimmung
schliesst stets, wenn auch stillschweigend, den Vergleich mit einer ande-
ren Säm-e ein.
*} IrrthÜmlich öfter: Atomgewichtsbestimmung genannt.
••) vgl. §. 178 flf.
40 ZusammensetEung.
5^^ Handelt es sich z. B. darum, das Aeqmvalentgewicht der Essigefture zu be-
stimmen, so stellen wir ein Salz dieser Säure dar, z. B. das Silbersalz, und unter-
werfen es der Analyse. Wir finden 100 Theile essigsaures Silberozyd enthalten:
Atomistisches
Atomgewicht.
12
1
16
108
VerhältnlBS.
1.2 oder 2
1.8 „ 8
1.2 „ 2
0.6 „ 1
ProcentgehaJt
B = 14.4
H = 1.8
e = 19.2
Ag=64.6
Wir leiten auf die bekannte Weise (§. 45) aus den Ergebnissen der Analyse
das atomistische Verhältniss her und finden, dass der einfachste Ausdruck der ato-
mistischen Zusammensetzung des essigsauren Silberozyd's ist:
€iH,Age,.
Wenn wir nun das essigsaure Silberozyd vergleichen mit dem Chlorsilber,
also die Essigsäure mit der Salzsäure, so finden wir, dass die Menge Essigsäure,
welche durch die Formel OsHtOi ausgedrückt wird, äquivalent ist der Menge Salz-
säure = HCl, insofern sie mit derselben Menge Silber ein neutrales Salz bildet
Wir finden also das Aequivalentgewicht der Essigsäure = 60 (wenn die Salz-
säure = 86.5 angenommen wird):
Essigsäure. Salzsäure.
€t = 2.12 = 24 Cl = 36.5
Hi = 4. 1 = 4 H = 1.
04 = 2.16 = 32^ 36.5.
60
55. Es ist nun zur BestimmuDg des Aequivalentgewichts einer Säure
nicht nöthig, ein Salz derselben vollständig zu analysiren; die Bestim-
mung der Menge von Metall, welche im Salz enthalten ist, genttgt zur
Feststellung des Aequivalentgewichtes.
Man findet z. B. das essigsaure Silberozyd hinterlässt beim Glühen 64.67 «/o
metallisches Silber; es ergibt sich daraus das Aequivalentgewicht der Essigsäure
durch folgende Betrachtung. 100 Theile essigsaures Silberozyd enthalten 64.67
Theile Silber, also 35 . 33 Gewichtstheile anderer Elemente ; mit einem Atom Silber
(^ Ag = 108 Gewichtstheilen) sind also verbunden 59.27 Gewichtstheile der an-
dern Elemente, nach der Gleichung:
64.67:108 = 35.33 :z.
Da nun die Essigsäure statt des einen Atoms Silber, welches im Silbersalz
enthalten ist, 1 Atom Wasserstoff (= H = 1 Gewichtstheü Wasserstoff) enthält , in
Verbindung mit demselben Rest, der im Silbersalz mit Silber verbunden war, so
ist: 59.27 4- 1 =60.27 das durch die Silberbesdmmung ermittelte Aequivalent-
gewicht der Essigsäure. Daraus und aus der früher (§. 45) ausgeführten Analyse
der Essigsäure lässt sich nun leicht die Aequivalentformel der Essigsäure herleiten.
Versucht man nämlich, ob das aus der Analyse hergeleitete einfachste atomistische
Verhältniss oder ob ein Multiplum davon die durch die AequivaJentgevnchtsbestim-
mung gefundene Zahl 60.27 liefert, so findet man:
eHiO = 12 + 2.1 4- 16 = 30 Gewichtstheüe.
eiHiO» = 2.12 4- 4.1 4- 2.16 = 60 „
Ein Aequivalent Essigsäure wird demnach ausgedrückt durch die Formel:
^
Aeqnivalentgewichtsbestiminimg. 4 t
Zur BestimmuDg des Aequivalentgewichts einer Säure dient also 66.
entweder die vollständige Analyse eines oder mehrerer Salze, oder die
Metalibesümmung in solchen Salzen. Im Grund genommen können alle
Salze zur Bestimmung des Aequivalentgewichtes verwendet werden, man
wählt dabei natürlich diejenigen aus, die ihrer physikalischen Eigenschaf-
ten wegen am meisten Garantie fdr Reinheit bieten und deren Metall eine
möglichst genaue Bestimmung zulässt.
Ans diesen Gründen bedient man sich mit besonderer Vorliebe der Silber-
salze, weil erfahrungsgemäss die Silbersalze meist direct frei von KrystaUwasser
erhalten werden; weil nur äusserst selten basische Salze des Silbers gebildet wer-
den; and weil in den meisten Fällen der Sübergehalt eines Salzes durch einfache
Operation (Glühen) in ausnehmend genauer Weise bestimmt werden kann. Indes-
sen sind, wie oben erwähnt^ alle Salze zur Aequivalentgewichtsbestimmung an-
wendbar und es ist stets zweckmässig, mehrere Salze zu untersuchen, um so durch
die Analyse des einen eine Controle für die des andern zu gewinnen.
Mit derselben Leichtigkeit wie fbr die Säuren kann auch das Aequi- 67.
yalentgewicht derjenigen organischen Substanzen ermittelt werden, welche
ausgepräg;t basische Eigenschaften besitzen. Eine grosse Anzahl orgcmi-
scher Verbindungen (welche alle Stickstoff enthalten), die s. g. organischen
Basen, zeigen in ihrem Verhalten eine grosse Analogie mit dem Ammo-
niak; sie yerbinden sich wie dieses mit den Wasserstoffsäuren und den
Sfturehydraten zu salzartigen Verbindungen; und geben, wie das Ammo-
niak, mit Platinchlorid (und andern Chloriden) dem Platinsalmiak entspre-
chende Verbindungen. Die Bestimmung des Aequivalentgewichtes dieser
Basen ist stets ein Vergleichen derselben mit dem Ammoniak; ein Be-
stimmen derjenigen Oewichtsmenge der organischen Base, welche dieselbe
Bolle spielt wie das Ammoniak. — Aehnlich wie man sich zur Bestimmung
des Aequivalentgewichtes der Säuren der Metalle oder Oxyde als Maass-
stab bedient, so misst man das Aequivalentgewicht der Basen vermittelst
der Säuren. Man hat also nur nöthig, durch den Versuch festzustellen,
eine wie grosse Menge von Säure in dem Salz einer solchen Base ent-
halten ist, oder wie viel Säure eine bestimmte Menge der Base zu binden
und zu sättigen vermag.
Diese Bestimmung, die man häufig Bestimmung der Sättigungscapacität 56.
nemit, geschieht entweder so, dass man ein Salz der Base analysirt oder wenigstens
die Menge der in ihm enthaltenen Säure bestimmt. Oder aber man lässt in einem
geeigneten Glasapparat flber eine gewogene Menge der Base trocknes 'Salzsäuregas
streichen und wägt, wenn keine weitere Absorption mehr stattfindet^ das gebildete
Salz. Aus der Gewichtszunahme des Apparates, welche die Menge der aufgenom-
menen Salzsäure ausdrückt, berechnet sich leicht das Aequivalentgewicht der Base
in folgender Weise:
0.4560 Grm. Chinin nahmen an Gewicht zu 0.1026 Grm.> da die organische
Base sich wie das Ammoniak direct mit Salzsäure verbindet, so ist die Menge
Base, welche HCl = 36.5 aufgenommen hat ein Aequivalent der Base; diese
Menge ergibt sich aus der Gleichung :
0.1026:0.4560 = 86.5 :z.
42 ZusammensetzTuig.
Man findet also 161.4 als Aequivalentgewicht des Chinins. Dieselbe oder
annähernd dieselbe Zahl würde aus der vollständigen Analyse eines jeden Salzes
des Chinins hergeleitet werden.
59. Mit besonderer Vorliebe bedient man sich bei der Aequivalentgewichtsbeslim-
mung organischer Basen der s. g. Platinsalze, d. h. der dem Platinsalmiak en^
sprechenden Verbindungen, weil diese einerseits in den meisten Fällen leicht
rein erhalten werden können und weil andrerseits durch einfaches Glühen der Pla-
tingehalt leicht und völlig genau ermittelt werden kann. Auch hier ist eine voll-
ständige Analyse des Platinsalzes nicht nöthig^ wenigstens nicht, wenn es sich nur
um Feststellung des Aequivalentgewichtes handelt, ihre Ausführung ist aber stet*
zweckmässig, weil sie der Analyse der Base selbst zur Controle dient.
Angenommen die Analyse des Chininplatinchlorids habe zu der Formel
geführt :
Ol oHi 3 NOClsPt
so führt dies fOr das Chinin zu der Aequivalentformel :
•GioHiiNO,
wobei man annimmt, dass das Chininplatinchlorid zum Chinin in derselben Be-
ziehimg stehe, wie der Platinsalmiak zum Ammoniak:
e,oH,3NeClsPt : e,aH,tN0 = NH4Cl,Pt:NH3.
60. Die vollstöndige Analyse ist indess zur Bestimmung des Aequivalentgewich-
tes nicht nöthig, man kann dieses Aequivalentgewicht aus der Bestimmung des
Platins allein herleiten. Gesetzt man habe beim Glühen des Chininplatinchlorids
26.85 Vo metallisches Platin als Glührückstand erhalten, so findet man das Aequi-
valentgewicht des Chininplatinchlorids, verglichen mit dem Platinsalmiak, durch die
Gleichung :
26.85:100 = 98.7: x
(98,7 = Atomgewicht des Platins). Zieht man von dem so zu 367.6 gefundenen
Aequivalentgewicht des Chininplatinsalzes 206.2 ab (d. h. die Summe der Atom-
gewichte der Elemente, welche in dem Platinsalz mehr entlialten sind als in der
freien Base, HCljPt), so erhält man 161.4 als empirisch gefundenes Aequivalent-
gewicht des Chinins. Daraus lässt sich dann leicht, wenn die Analyse des Chinins
selbst vorausgegangen ist, die Formel von 1 Aequivalent Cliinin herleiten. Die
Analyse des Chinins ergab das atomistische Verhältnis»
e,oH,»NO.
Die Summe der Atomgewichte der in dieser Formel entlialtenen Elemente ist:
e.o = 10.12 = 120
H„ = 12. 1 = 12
N = 14 = 14
O = 16 = J_6^
162
162^ eine Zahl, die hiidänglich mit dem durch den Versuch ermittelten Aequiva-
lentgewicht des Chinins (161.4) übereinstimmt, um annehmen zu können, dass
diese Formel der atomistische Ausdruck für ein Aequivalent Chinin ist
Statt der Platinsalze oder neben denselben bedient man sich häufig der ähn-
lich zusammengesetzten Gold-, Palladium- oder Quecksilberdoppelsalze.
61. Für alle organischen Verbindungen, welche au8geprä.gt saure oder
basische Eigenschaften besitzen, ist es also leicht durch vollständige oder
theilweise Analyse ihrer Salze das Aequivalentgewicht festzustellen, und
diese Bestimmungen sind es, die man Aequivalentgewichtsbestim-
Aeqniyaleiitgewichtsbestiinmting. 43
mungen nennt. Für alle die Substanzen dagegen, welche sich weder
den unorganischen Säuren noch den unorganischen Basen analog verhal-
ten , ist keine eigentliche Aequivalentgewichtsbestimmung möglich.
Man sieht, dass es zwar nicht für alle Substanzen, aber wenigstens 62.
für Säuren und Basen leicht wäre, die chemische Formel aufzustellen,
wenn nämlich die Formein äquivalente Mengen der verschiedenen Substanzen
bezeichneten. Die chemischen Formeln drücken aber nicht äquivalente
Mengen der verschiedenen Verbindungen aus, es sind keine Aequiva-
lent formein, wenn man sie auch bei der heute herrschenden BegriflFs-
verwirrung häufig dafür hält. Dass sie es nicht sind, zeigen schon ein-
zelne der bekanntesten Verbindungen der unorganischen Chemie. Man
schreibt z. B. die Phosphorsäure PO4H3
das Eisenchlorid FcjCla
und doch ist PO4H3 nicht ein Aequivalent, sondern drei Aequivalente
Phosphorsäure (verglichen mit einer anderen Säure, mit Salzsäure = HCl
z. B.) und ebenso ist FcsCl, nicht ein Aequivalent, sondern drei Aequi-
valente Eisenchlorid (verglichen mit andern Chloriden z. B. mit Chlor-
kalium =: KCl). Die chemischen Formeln drücken nicht Aequivalente 63.
aus, sie bezeichnen vielmehr die kleinste Menge der chemischen Verbin-
dung, die in freiem Zustand existiren kann, sie bezeichnen die Grösse
des chemischen Molecüls '"), es sind Molecularformeln.
In vielen Fällen ist zwar ein Molecül gleichzeitig ein Aequi-
valent, und dann ist natürlich die Aequivalent formel gleichzeitig
die Molecular formel; in andern Fällen findet dies nicht statt und
dann kann die Aequivalentgewichtsbestimmung (selbst wenn der Natur
der Substanz nach eine solche möglich ist) nicht zur Feststellung der
Formel führen.
Angenommen man habe z. B. durch die Analyse der Bemsteinsäure gefun- 64.
den, dass diese Säure in trocknem Zustand die Elemente Kohlenstoflf, Wasserstoff
und Sauerstoff in solchen Gewichtsverhältnissen enthält, dass ihre atomistische Zu-
sammensetzung ausgedrückt wird durch eine der folgenden Verhältnissformeln:
ßt^rlh oder e^e^H« oder eeOcHg etc.
Um zu entscheiden, welche dieser Formeln ein Aequivalent Bernstein-
saure ausdrückt, stellen wir Salze der Bemsteinsäure dar und unterwerfen diese
Salze der Analyse. Wir fmden in einem Barytsalz z. B.: 54.15 % Baryimi, und
leiten daraus ftlr die Bernstein säure das Aequivalentgewicht = 59 her-, wir beob-
achten aber gleichzeitig die Bildung eines Barytsalzes von anderem Ansehen, eine
Barytbestimmnng gibt 36.92% Baryum, woraus sich für die Bemsteinsäure das
Aequivalentgewicht =118 herleitet.
Das erste Barytsaiz wird ausgedrückt durch die Formel:
OjOjHjBa, das zweite durch 04^4HiBa.
Damach erscheint die Bemsteinsäure selbst als:
eiOjHa oder als e4e4H6.
♦) vgL weiter §.
44 ZusammensetEimg.
Welche der beiden Formeln soll nun gebraucht werden? welche drückt die
Moleculargrösse der BemBteinsänre aus? Die Analyse der Säure und die Aequiva-
lentgewichtsbestimmung können beide diese Frage nicht beantworten. Es bedarf
eines genaueren Studiums des chemischen Verhaltens der Bemsteinsänre , um zu
der Ansicht zu führen, dass die Bemsteinsäure eine zweibasische Säure ist, d. h.
dass ein Molecül Bemsteinsäure zwei Atome Wasserstoff enthält, die durch Metalle
vertretbar sind; dass die Molecularformel der
Bemsteinsäure t= ^iOiH«
die des einen (des sauren) Salzes = OiOiHfBa
die des zweiten (neutralen) Salzes s OiOiHiBai.
Etwas Aehnliches findet bei einer grossen Anzahl organischer Säuren statt,
zeigt sich aber auch bei einzelnen der dem Ammoniak analogen organischen Basen.
Für das Chinin, welches oben (§. 58 — 60) als Beispiel benutzt wurde, führt die
Aequivalentgewichtsbestimmung zu der Formel :
welche unbestreitbar die Menge von Chinin ausdrückt, welche dem Ammoniak
(sB 1S[H$) äquivalent ist. Ein genaueres Studium des Chinins führt uns aber zu
der Ansicht, dass das Molecül Chinin doppelt so gross ist und wir geben dem
Chinin demnach die Formel:
ea. Die Aequivalentgewichtebestiminung führt also nicht zur An&tellang
der ohemischen Formel, weil die chemischen Formeln nicht Aequivalent-
formeln, sondern Molecularformeln sind und weil weder die Analyse noch
die Aequivalentgewichtsbestimmung über die Grösse (d. h. die relative Grösse)
der Moleoüle Aufschluse geben kann. Zur Bestimmung dieser Molecular-
grosse ist es vielmehr nöthig, alle Eigenschaften der betrffenden Substanz,
die chemischen sowohl wie die physikalischen, in Betracht zu ziehen; es
ist nöthig, möglichst viel Umwandlungsproducte darzustellen und die Be-
ziehungen zu ermitteln, in welchen die zu untersuchend^ Substanz zu einer
möglichst grossen Anzahl anderer bekannterer Körper steht Eine aus-
führlichere Entwicklung der zur Feststellung der Moleculargrösse dienen-
den Anhaltspunkte muss späteren Betrachtungen vorbehalten bleiben*).
Bestimmung der physikalischen Eigenschaften
chemischer Verbindungen.
^ Das Studium der physikalischen Eigenschaften der chemischen Ver-
bindungen hat zur Erkenntniss von Regelmässigkeiten und Gesetzmässig-
keiten in diesen Eigenschaften, in manchen Fällen auch zur Erkenntniss
einer Abhängigkeit der physikalischen Eigenschaften von der chemischen
Zusammensetzung und namentlich von der Moleculargrösse geftlhrt
Die Ermittlung einzelner physikalischer Eigenschaften, besonders des
speciflschen Gewichtes der Dämpfe, der Siedetemperatur, des Schmelz-
•) S- 167 ff.
Bestunmung des spec. Gewichtes. 45
pnnktes a. 8. w. wird so häufig als Erkennungs- oder UnterscheiduDgs-
mittel chemischer Verbindungen oder als Anhaltspunkt zur Feststellung
der Holeculargrösse gebraucht, dass eine kurze Andeutung wenigstens der
dazu dienenden Methoden, die gewissermassen einen Theil der chemischen
Analyse ausmachen , hier nicht umgangen werden kann *).
Bestimmung des specifischen Gewichtes.
unter speciflschem Oewicht versteht man bekanntlich das Verhält- 67.
niss der absoluten Gewichte gleicher Volume. Man ist gewohnt, die spe-
cifischen Gewichte fester und flüssiger Körper zu beziehen auf das Ge-
wicht des Wassers als Einheit; bei den elastisch flüssigen Körpern: den
Gasen und den Dämpfen wird gewöhnlich das specifische Gewicht be-
zogen auf das der atmosphärischen Luft als Einheit **).
Die specifischen Gewichte sind also die Zahlen, welche ausdrücken,
wieviel mal so schwer ein gewisses Volum eines Körpers ist alsnlas gleich
grosse Volum Wasser oder Luft.
Die Bestimmung des specifischen Gewichtes von festen Körpern und
von Gasen findet in der organischen Chemie verhältnissmässig selten An-
wendung; weit häufiger ist die Bestimmung des specifischen Gewichtes
von flOssigkeiten ; von ganz besonderer Wichtigkeit die Bestimmung des
specifischen Gewichtes der Dämpfe.
Bestimmung des specifischen Gewichtes von Flüssig- 68.
keiten. Die specifischen Gewichte der Flüssigkeiten werden meistens
so bestimmt, dass man unmittelbar die absoluten Gewichte gleicher Vo-
lume (von der zu untersuchenden Substanz und von Wasser) vergleicht
Man führt dies gewöhnlich so ans, dass man ein kleines Glasfläschchen erst
leer, dann mit Wasser gefüllt und endlich mit der zu untersuchenden Flüssigkeit
^ftillt wägt. Das spec. Gewicht ergibt sich, indem man mit dem Gewicht des
Wassers in das der anderen Füssigkeit dividirt.
Man bedient sich zu diesen Bestimmungen kleiner Glasfläschchen, die mit
einem eingeschliffenen, von einer Haarröhrenöffnung durchbohrtem Glasstopfen ver-
sehen sind ; oder aber kleiner Flfischchen , deren Hals an einer Stelle verengt und
mit einer Marke versehen ist, und die man dann genau bis zu dieser Marke füllt
Da das spec. Gewicht gleichzeitig vom absoluten Gewicht und vom Volum
abhängig ist und da das Volum der Flüssigkeiten sich bei Temperaturänderungen
indert, so ist es nöthig, beide Flüssigkeiten bei gleicher Temperatur zu wägen.
^) Für ausführlichere Beschreibung dieser Methoden und Angabe der Methoden
zur Bestinunung anderer physikalischer Eigenschaften vgl. besonders: Lehr-
buch der physikalischen und theoretischen Chemie von Buff, Kopp und Zam-
miner (auch als erster Band von Graham-Otto's ausführlichem Lehrbuch der
Chemie. S. Auflage).
^^) Es wird später gezeigt werden , dass es für gas - und dampfförmige Körper
weit zweckmässiger ist, statt der Luft den Wasserstoff als Einheit zu be-
nutzen.
46
ZuBammensetzung.
Da das spec. Gewicht bei Bestimmungen, die bei verschiedenen Temperaturen aus-
gefülirt sind , ungleich gross gefunden wird , und eine Reduction auf eine Normal-
temperatur nur dann möglich ist, wenn man die durch Temperaturveränderung
veranlasste Ausdehnung der untersuchten Flüssigkeit durch besondere Beobachtung
ermittelt hat, ist es zweckmässig die Temperatur anzugeben, bei welcher dk Be-
stimmung vorgenommen wurde.
Eine Correction des spec. Gewichtes auf den luftleeren Raum ist, wenn es
sich nicht um Erforschung physikalischer Gesetzmässigkeiten handelt, nicht nöthig,
weil bei der geringen Verschiedenheit des spec. Gewichtes der meisten Flüssig-
keiten diese Correctur weniger beträgt als die gewöhnlichen Versuchsfehler.
69. Bestimmung des specifischen Gewichtes derDämpfe*);
Bestimmung der Dampf dichte. Bei der Bestimmung der specifi-
schen Gewichte der Dämpfe verfährt man entweder so: dass man das
Gewicht der Menge Dampf ermittelt, welche bei beobachtetem Druck
und bei beobachteter Temperatur einen bekannten Raum erfüllt (Me-
thode von Dumas); oder man bestimmt den Raum, welchen der
Dampf einer gewogenen Menge von Substanz bei beobachtetem Druck
und beobachteter Temperatur einnimmt (Methode von Gay-Lussacj. —
70. Methode von Dumas. Ein leichter Glasballon, von 200 — 500
C. C. m. Inhalt, dessen Hals in eine umgebogene Spitze ausgezogen ist,
wird sorgfältig ausgetrocknet und leer, d. h. mit trockner Luft erfüllt,
gewogen ; Temperatur und Barometerstand werden beobachtet. Man füllt
dann 5 — 10 Gramm der zu untersuchenden Flüssigkeit durch Einsaugen-
iassen in den Ballon und erwärmt diesen je
nach der Natur der zu untersuchenden Sub-
stanz in einem mit Wasser, Oel, Paraffin oder
Cblorzink gefüllten Gefilsse. Wenn die Tem-
peratur des Bades den Siedepunkt der Flüssig-
keit um etwa 30 — 50^ überschritten hat, hält
man sie einige Zeit constant und schmilzt, so-
bald keine Dämpfe mehr aus der offenen Spitze
des Ballons entweichen, diese Spitze mittelst
des Löthrohres zu. Man beobachtet die wäh-
rend des Zuschmelzens stattfindende Tempera-
tur des Bades, nimmt den Ballon aus demselben, lässt ihn erkalten und
wägt. Man kennt so das Gewicht des mit Luft erfüllten und das Gewicht
des mit Dampf erfüllten Ballons; es ist nun noch nöthig, den Inhalt der-
selben zu ermitteln. Dies geschieht, indem man die Spitze des Ballons
unter Quecksilber abbricht; das in den Ballon eingetretene Quecksilber in
einen nach Cubikcentimetern graduirten Cylinder entleert und misst.
Häufig, namentlich wenn nicht hinlänglich viel Substanz angewandt wurde.
♦) Für Bestimmung des spec. Gewichts der Gase vgl. Buff, Kopp und Zamnii-
ner, S. 324; und besonders Bunsen: Gasometrische Methoden, S. 124.
Bestiminiiiig der Dampfdichte. 47
kommt es vor, dass nicht alle Luft durch den Dampf aus dem Ballon .
ausgetrieben wurde, dass also das Quecksilber den Ballon nicht vollstän-
dig erfQllt, sondern eine Luftblase zurücklässt. Das Volumen dieser Luft^
blase und die Gapacität des Ballons werden dann bestimmt, indem man
den Ballon nochmals und jetzt vollständig mit Quecksilber (oder Wasser)
füllt und die Menge desselben durch Entleeren in den graduirten Cylin-
der misst
Die so gefundenen Daten genügen zur Berechnung des spec. Gewichtes des 71.
Dampfes. Die Berechnung selbst kann in verschiedener Weise ausgeführt werden,
immer natürlich so: dass man in das absolute Gewicht des Dampfes mit dem Ge-
wicht dividirt, welches ein gleichgrossefl Volum Luft bei demselben Druck und
derselben Temperatur besitzt. Da man nun weder den Dampf noch die Luft für
sich gewogen hat , vielmehr beide mit dem angewandten Glasballon , so muss zu-
uSchBt das Gewicht dieses Glasballons berechnet und von den durch Wägung ge-
fundenen Zahlen in Abzug gebracht werden.
Nennen wir die Ergebnisse der Beobachtung:
Gewicht des mit Luft erfüllten Ballons = B
Temperatur während der Wägung = t
Barometerstand „ „ „ = h
Gewicht des mit Dampf erfüllten Ballons = B'
Temperatur während des Zuschmelzens = t'
Barometerstand „ ,, ,, := h'
Gapacität des Ballons = V.
Man findet das Gewicht (B«) des luftleeren Ballons, indem man vom Ge-
wicht des mit Luft erfüllten (B) das Gewicht (p) abzieht, welches V Oubikcenti-
meter Luft bei der Temperatur t und bei h Barometerstand besitzen.
B« = B — p.
V Cubikcentimeter Luft wiegen aber bei f und h Barometerstand, (da 1 Cub. C.
bei 09 und 760 M. m. Barometerstand 0.001293 Gr. wiegt):
p=0.001293.V.3-p^L__.^
Man findet weiter das Gewicht des Dampfes, indem man vom beobachteten
Gewicht des mit Dampf erfüllten Ballons (B') das Gewicht des luftleeren Ballons
(B«) abzieht:
= B' — B» = B' — (B — p).
Das spec. Gewicht des Dampfes ergibt sich nun, indem man in dieses
Gewicht des Dampfes dividirt mit dem Gewicht, welphes V Cubikcentimeter Luft
bei derselben Temperatur (f) und bei demselben Barometerstand (hO besitzen, bei
welchem der Dampf eingeschlossen und gewogen wurde •).
B'-(B-p)
S =
0. 001293. V. ^ ^'
1 + 0. 00366. t' 760.
(worin p den oben angegebenen Werth hat).
*) Man kann auch umgekehrt das Volumen des Dampfes auf Qo und 760 M. m.
redudren und das Gewicht dieses Dampfes dann vergleichen mit dem Ge-f
wicht, welches ein gleich grosses Luftvolum ebenfalls bei 0<» und 760 M. m. be-
sitzt. Die Rechnung muss zu genau denselben Resultaten führen; sie macht
48 Zasammensetzimg.
72. Bei dieser Berechnung wurde angenommen, dass keine Luftblase im Ballon
zurückgeblieben war. Ist dieses der Fall , so kommen zu den Ergebnissen der Be-
obachtung noch hinzu:
Volum des zuerst eingetretenen Quecksilbers = Y'
Demnach Volum der Luftblase = V — V
Temperatur während dieser Bestimmung . = i"
Druck auf die eingeschlossene Luftblase . := h''.
Um in diesem Falle das Gewicht des im Ballon enthaltenen Dampfes zu fin-
den, muss man also von dem Gewicht des mit Dampf erfüllten Ballons (B') ausser
dem Gewicht des luftleeren Ballons (B^ =: B — p) noch das Gewicht (p") dieser
Luftblase abziehen. Man hat also:
Gewicht des Dampfes = B' — (B — p) — p".
Worin:
P" = o.ooim(v-vo. ^^o.io366.t» -mr
Man findet das spec. Gewicht des Dampfes, wenn man in dieses Gewicht mit
dem Gewicht dividirt, welches ein gleich grosses Luftvolum bei derselben Tempe-
ratur (t') und demselben Druck (h') besitzt, bei welchem der Dampf eingeschlossen
wurde.
Der Dampf erfüllte nun während des Zuschmelzens den ganzen Inhalt des
Ballons minus dem Raum (v'), welchen die zurückgebliebene Luftblase bei der Tem-
peratur und dem Druck während des Zusammenschmelzens einnahm. Dieser Raum
v' ist nun:
V' - (Y y^ ^ + 000366. t- h"
V — IV y j ^ 4-0. 00366. t" h'.
Das Gewicht einer dem gewogenen Dampfvolum gleichgrossen Luilmenge bei
der Temperatur t' und dem Druck h' ist demnach:
- 0.001298. (V-V) ,^,^3ee., • w
Und folglich das spec. Gewicht des Dampfes:
TT Q B'_(B-p)-p''
7
0.001293. (V~vO
h'
1 4- 0.00366t' 760.
,8. Es ist einleuchtend, dass bei dem Messen der zurückgebliebenen Luftblase
nicht nur der Barometerstand, sondern auch die Höhe des Quecksilbers im Glas-
baUon über dem äusseren Quecksilbemiveau berücksichtigt werden muss und dass
der beobachtete Barometerstand minus dieser DiflPerenz der beiden Quecksilber-
niveau's erst den Werth h'' gibt. Da es indessen verhältnissmässig schwierig ist
diesen Unterschied der beiden Quecksilbemiveau's zu bestimmen, so vernachlässigt
man denselben meistens ; was auf das Resultat der Rechnung um so weniger Ein-
fluss hat, je kleiner die zurückgebliebene Luftblase ist. Da nun femer die Berück-
sichtigung der geringen , während eines Versuches stattfindenden Barometerschwan-
kungen, auf das Resultat der Berechnung sehr wenig Einfluss ausübt, weit weniger
als die durch Ausdehnung des Glases veranlasste Verschiedenheit in der Capacität
der Ballons, so kann man füglich alle Correcturen für Veränderung des Barometer-
aber die unrichtige und verwirrende Annahme, der untersuchte Dampf könne
bis 0« erkaltet werden, ohne sich zu verdichten und folge dem Mariotte'-
schen Gesetz, verändere also bei Veränderung des Drucks und der Tempe-
ratur sein Volum genau in demselben Verhältnisse wie die Luft
Bestimmung der Dampfdichte. 49
Standes weglassen. Thut man dieses, so gewinnen die oben gegebenen Formeln
die folgende einfachere Form :
1
p" = 0. 001293. (V—V)
v' = (V-VO-
L Ohne Luftblase: S =
1 + 0. 00366. t"
1 4- 0. 00866. t^
1 +0. 00366. t"
B'-"(B-p)
0. 001293. V
IL Mit Luftblase: S =
1 -I- 0. 00366. t'
B'- (B-p) -p"
0.001293.(V-v0^^^^3^^,
Statt bei dieser Berechnung das Gewicht der Luftvolume für die betreffenden 74.
Temperaturen jedesmal auszurechnen, kann man sich — wodurch die Rechnung
wesentlich vereinfacht wird — einer Tabelle bedienen , welche die Werthe von :
Hb* die verschiedenen Temperaturen (also die Gewichte von 1 C. C. m. Luft bei t«)
enthält Kennt man diesen Werth nt, so erhalten die zwei Gleichungen die Form :
X Ohne Luftblase: S = ^' ~ ^r'^7'^^
V . nt'.
n. Mit Luftblase: S = -^ rr-^
(V — v^nt'.
Ist die zurttckgebliebene Luftblase nicht bedeutend, wie dies bei gut geleiteten 75.
Versuchen stets der Fall ist, so kann man ohne Nachtheil von der Differenz der
Volume, welche diese Luftblase bei gewöhnlicher Temperatur und bei der Tempe-
ratur des Zuschmelzens einnimmt, ebenfalls absehen. Man kann also (V — v') = V
annehmen und man hat:
B'— B + V.nt — (V— V) nt"
V'.nt'.
Ist die Temperatur, bei welcher der Inhalt des Ballons gemessen ^^'u^de, die- 76.
selbe wie die, bei welcher der mit Luft gefüllte Ballon gewogen wurde, was bei
den meisten Versuchen der Fall sein wird, oder wenigstens annähernd genug der
Fall sein vnrd; ist also t = t"; so gewinnt die Gleichung die noch einfachere und
fOr die Berechnung bequemste Form *):
XX X. o B' — B4- V'.nt
XL b. S = -^
^ V'nt'.
Die folgende Tabelle enthält die Werthe von nt, also das Gewicht (in Gram- 77.
men) von 1 Cubikcentimeter Luft, fOr Temperaturen von 10 zu 10« C; es ist leicht
die Tabelle für zwischenliegende Temperaturen durch Proportionalberechnung (oder
Interpolation) zu ergänzen:
*) Will man die Berechnung der Dampfdichten mit Anbringung aller Correcturen
ausführen, so bedient man sich am zweckmässigsten der von Poggendorff an-
gegebenen Formel. (Pogg. Ann. XLI. 449.)
KekvU, Organ. Ch«Bie. 4
50
ZnsaauneiiBetBimg.
toC
n
t*C
n
t*C
n
0
0 . 001293
110
0.000921
220
0 . 000715
10
0 . 001248
120
0 . 000898
230
0 . 000701
20
0 . 001205
130
0 . 000876
240
0.000688
30
0.001165
140
0 . 000854
250
0 . 000674
40
0 . 001128
150
0.000834
260
0.000662
50
0 . 001093
160
0 .000815
270
0 . 000650
60
0.001060
170
0 . 000796
280
0.000638
70
0 . 001029
180
0 . 000779
290
0 . 000626
80
0.001000
190
0 . 000762
300
0 . 000616
90
0 . 000972
200
0.000746
310
0 . 000605
100
0 . 000946
210
0 . 000730
320
0 . 000595
78. In neuester Zeit haben St. Ciaire Deville und Troost *) eine
Modification der Dumas'schen Methode angegeben , welche es möglich
macht, die Bestimmung des specifischen Gewichtes bei sehr hohen Tem-
peraturen (Siedetemperatur des Schwefels, des Quecksilbers und selbst
des Zink's) auszuführen. Sie benutzen entweder einen Glasballon oder,
wenn die Bestimmung bei einer Temperatur ausgeführt werden soll, welche
das Glas nicht aushalten würde, einen ähnlich geformten Ballon von
Porzellan, den sie dann mit dem Knallgasgebläse zuschmelzen. Statt den
Ballon in einem Bad von Flüssigkeit zu erhitzen, bringen sie denselben
in die Dämpfe von Schwefel, Quecksilber oder Zink, die in einem eiser-
nen , aus einer Quecksilberflasche hergestellten Gefässe destillirt werden.
79. Methode von Gaj-Lussac. Die Methode von Gay-Lussac ver-
fährt, wie oben schon angegeben, nach dem umgekehrten Princip, wie
die von Dumas; sie bestimmt das Volum, wel-
ches der Dampf einer gewogenen Menge von
Substanz einnimmt.
Ein möglichst dünnwandiges Glaskügel-
chen wird vollständig mit der zu untersuchen-
den Flüssigkeit gefüllt und, zugeschmolzen, in
eine graduirte , mit Quecksilber gefiillte Glas-
glocke eingebracht, welche in einem eisernen,
mit Quecksilber gefüllten Gefässe steht Die gra-
duirte Glasglocke wird dann mit einem wei-
teren Glascylinder umgeben, den man mit Was-
ser , oder bei höher siedenden Substanzen mit
Oel oder einer anderen durchsichtigen Flüssig-
keit anfüllt. Der ganze, auf einem kleinen Ofen
oder über einer Lampe stehende Apparat wird
nun erwärmte Durch die bei der Erwärmung
stattfindende Ausdehnung berstet zunächst die
•) Compt. rend. XLY. 821. — Ann. Chem. Pharm. CV. 213.
Bestimmimg der DampAUchte. 51
dflnnwaxidige CHaskugel und ihr Inhalt verwandelt dich bei höherer Tem-
peratur in Dampf. Mao steigert, während man, um ^leichmässige Er-
hitzung zu erzielen, die Flüssigkeit in dem die Glasglocke umgebenden
Bade umrührt, die Temperatur bis zu dem Punkt, bei welchem man die
Befitinimung «usfbhren will und man beobachtet dann:
das Volum des Dampfes . . . . Y
die Temperatur des Bades . . . t'
den Barometerstand h
die Temperatur der Luft . . . . t
und den Unterschied h',
der zwischen d^n Stand des Quecksilbers innerhalb und ausserhalb der
Glooke stattfindet (was leicht mittelst eines in Millimeter eingeiheilten
Eisenstabes geschieht).
Aus diesen Ergebnissen der Beobachtung ergibt eich das specifische Gewicht 80.
des Dampfes, indem man berechnet, wieviel ein dem Dampfvolum gleiches Luftvo-
lum bei derselben Temperatur und unter demselben Druck, bei welchem das Dampf-
volmn beobachtet wurde, wiegt und indem man mit diesem Gewicht in das direct
gewogene Gewicht (p) der zum Versuch verwandten Substanz dividirt:
0. 001293. V,
1 + 0. 00366. t' 760.
In dieser Gleichung bedeutet H den auf den Dampf ausgeübten, auf 0* re-
ducirten Druck. Es ist nämlich einleuchtend , dass man nicht direct die Höhe der
Quecksilbersäule in der Glasglocke über dem äusseren l^iveau von dem Barometer-
stand abziehen kann, weil beide Quecksilbersäulen sehr ungleiche Temperatur be-
eitien ; man muss desshalb beide Höhen, ehe man sie subtrahirt, auf dieselbe Tem-
peratur , am besten auf 0<* reduciren. Da nun der Ausdehnungscoefiicient des
Quecksilbers = 0.00018 (genauer 0.00018158) fOr 1« C. ist, so hat man:
H= h . ^
1 + 0.00018. t 1 + 0.00018. f.
Die Methode von Gay-Lussac ist nur anwendbar oder wenigstens 81.
mit Vortheil nur anwendbar, wenn die zu untersuchende Substanz so niedrig
siedet, dass die Bestimmung der Dampfdichte beim Siedpunkt des Was-
ser», oder bei noch niederem Temperaturen ausgeführt werden kann. Bei
höher siedenden Substanzen wird die Methode ungenau und unangenehm
in der Ausführung. Ungenau , weil bei der Art des Erhitzens eine gleich-
mäissige Erwärmung des Bades nicht mehr möglich ist und weil die bei
höheren Temperaturen nicht unbedeutende Tension der Quecksilberdämpfe
einen Fehler veranlasst; lästig wegen der bei stärkerer Erhitzung aus
dem äusseren Bade entweichenden Quecksilber - Dämpfe.
Fflr Substanzen, bei welchen die Dampfdichtbestimmung, bei höheren
Temperaturen ausgeführt werden muss, hatNatanson*) eineModification
♦) Vgl Ann. Chem. Phann. XCVIII. 801.
52
Zugammensetzimg.
des Gay-Lu8 8ac*8chen Verfahrens in Vorschlag gebracht. Statt von
unten zu erhitzen, erwärmt Natanson den oberen Theil der Glasglocke,
also den gebildeten Dampf, durch ein
um die Glocke angebrachtes Luftbad,
welches durch glühende Holzkohlen, die
zwischen der doppelten Blechwand die-
ses Bades eingefüllt werden, erhitzt wird.
Sämmtliche Blechwandungen des Luft-
bades haben parallel mit der Axe und
in Einer Richtung Einschnitte, welche '
das Ablesen des Dampfirolums möglich
machen. Natürlich müssen bei diesem
Verfahren wegen der Tension des Queck-
silberdampfes und wegen Ausdehnung
des Quecksilbers Correctionen angebracht
werden, deren Grösse man am zweck-
mässigsten durch einen directen Ver-
gleichsversuch mit atmosphärischer Luft
ermittelt.
Vergleicht man die beiden Metho-
den zur Bestimmung der DampfdicHte,
80 ergibt sich, dass die Methode von Dumas mit grösserer Einfach-
heit der Ausführung den Vortheil verbindet, dass sie auch für höhere
Temperaturen noch ausführbar ist Sie hat dagegen den Nachtheil, dass
man für jeden Versuch eine verhältnissmässig grosse Menge von Substanz
opfern muss, weil bei weitem der grösste Theil des Dampfes zum Aus-
treiben der im Ballon enthaltenen Luft verwendet wird. Sie hat weiter
den Nachtheil, dass auch die geringste Verunreinigung der zu untersu-
chenden Substanz mit einem höher siedenden Körper einen beträchtlichen
Fehler veranlasst, weil, der Art des Verfahrens nach, diese höher siedende
Substanz sich im Ballon anhäuft, so dass der den Ballon zuletzt erfüllende
Dampf bei weitem mehr Verunreinigung enthält, als die angewandte
Substanz. Die Methode von Gay-Lussac hat den wesentlichen Vor-
theil, dass man bei weitem weniger Substanz zur Bestimmung der Dampf-
dichte nöliiig hat und dass sämmtlicher von der Flüssigkeit gebildete
Dampf gemessen wird, so dass eine geringe Verunreinigung das Resultat
nur wenig beeinflusst. Sie gestattet ferner, mit einer und derselben Menge
Substanz verschiedene Beobachtungen bei verschiedenen Temperaturen
auszuführen und aus diesen das Mittel zu nehmen. Sie leidet daftlr an dem
Nachtheil, dass sie bei Temperaturen, welche die Anwendung einer an-
deren Flüssigkeit statt des Wassers nöthig machen , schwierig und unan-
genehm auszuführen ist und dass bei Temperaturen, die höher sind ab
170 — 180', die Genauigkeit des Resultates durch die Spannkraft des
Quecksilberdampfes u. s. w, wesentlich beeinträchtigt wird. Die von
Bestimmung der Dampfdichte. 53
Natanson vorgeschlagene Modification hebt diese Uebelstände und
macht die Methode auch f^r höhere Temperaturen anwendbar.
Substanzen^ welche von Quecksilber zersetzt werden, können natürlich nicht
nach der Methode von Gay-Lussac untersucht werden.
Bei allen Bestimmungen des specifischen Gewichtes der Dämpfe, 83.
nach welcher Methode man sie auch ausführen möge, ist es nöthig, die
Bestimmung bei einer Temperatur vorzunehmen, die ziemlich hoch (min-
destens 30 — 40») über dem Siedepunkt der Flüssigkeit liegt
Man hat nämlich gefunden, dass die Dämpfe nur bei Temperaturen,
die beträchtlich höher sind wie die Siedetemperatur ein den Oasen ana-
loges Verhalten zeigen und, wenigstens annähernd, dem Mariotte'schen
Gesetze Folge leisten^ bei Temperaturen, die dem Siedepunkt der Flüs-
sigkeit noch nahe liegen, zeigen die Dämpfe meistens ein höheres speci-
fisches Grewicht; bei steigender Temperatur wird das specifische Gewicht
fortwährend niedriger, bis es endlich bei höheren Temperaturen constani
bleibt. Bei manchen Substanzen tritt dieses constante specifische
Gewicht schon bei wenigen Graden über dem Siedepunkt ein, bei vie-
len bei Temperaturen, die 20® — 30" höher sind, bei manchen sogar erst
bei weit höheren Temperaturen. Es ist daher immer zweckmässig, die
Dampfdichtebestimmung bei möglichst hoher Temperatur auszuführen,
jedeufalls bei einer Temperatur, die beträchtlich höher ist, als der Siede-
punkt
Für den Alkohol hat man z. B. die folgenden specifischen Gewichte ge-
fanden.
Bei 88» ... . 1.725
98» ... . 1.649
110« . . . . 1.610
125« .... 1.603
150» .... 1.604
175» .... 1.607
200» .... 1.602.
Für das Essigsäurehydrat fand Cahours das specifische Gewicht bei
125» .... 3.180 200» . . . . 2.248
130» .... 3.105 220» .... 2.132
140» . . . . 2.907 240» . . . . 2.090
150» .... 2.727 270» .... 2.088
160» .... 2.604 310» .... 2.085
170» .... 2.480 320» .... 2.083
180» .... 2.438 336» .... 2.083
190» .... 2.378
80 dass also bei dem Alkohol das specifische Gewicht des Dampfes bei Tempera'
toren , die mehr als 30», bei dem Essigsäurehydrat erst bei Temperaturen , die
mehr als 120* höher sind als der Siedepunkt constant zu werden anfängt.
Bestimmung des Siedepunktes.
Der Siedepunkt einer Flüssigkeit kann, annähernd wenigstens, schon 84.
bei jeder Destillation beobachtet werden. Wenn das in den Dämpfen
54 ZoBammensetzuiig.
der siedenden Flttssigkeit befindliche Thermometer längere Zeit confltant
bleibt, so zeigt es die Siedetemperatur der gerade ttberdestUlirenden Sub-
stanz an. Stehen nur geringe Mengen von Substanz zur Bestimmung des
Siedepunktes zur Disposition, so bedient man sich einer Probirröhre als
Siedegefoss.
85. Bei allen Siedepunktsbestimmangen ist es zweckmftssig, das Thermometer
nicht in die siedende Flüssigkeit , sondern nur in den Dampf eintauchen zu lassen.
Man hat nämlich gefdnden, dass die Temperatur einer siedenden Flüssigkeit nicht
nur durch Beimengung von Verunreinigungen, sondern auch durch die Besdiaffen-
heit der Wand des SiedegefUsses imd durch die Adhäsion der Flüssigkeit an dieser
Wand wesentlich beeinüusst wird, während die aus einer siedenden Flüssigkeit
entweichenden Dämpfe stets dieselbe Temperatur zeigen.
86. Bei genaueren Siedepunktsbestimmungen ist es nöthig , eine durch die Con-
struction und die Art der Anwendung der Thermometer veranlasste Correctur
anzubringen, welche leicht mehrere Grade betragen kann. Die Thermometer wert
den nämlich den Siedepunkt stets zu niedrig anzeigen, wenn ein Theil des Queck-
silberfadens nicht in den siedenden Dämpfen befindlich ist. Der Fehler, welchen
die geringere Erwärmung des Theiles des Quecksilberfadens , der sich ausserhalb
des Siedegefässes befindet, veranlasst, kann nach Kopp*) mit hinreichender Ge-
nauigkeit corrigirt werden, wenn man zu dem direct beobachteten Thermometer-
stand hinzuaddirt :
N (T — t). 0.000164,
worin N die Länge des ausserhalb des Siedegefässes befindlichen Quecksilbeifadens
in Graden^ T den Stand des Thermometers, t die mittlere Temperatur des ausserhalb
des Siedegefl&sses befindlichen Quecksilberfadens, welche durch ein zweites, an die
Mitte dieses Fadens gestelltes Thermometer beobachtet wird, ausdrückt-, während
0.000154 die scheinbare Ausdehnung des Quecksilbers im Glas fär 1^ C. be-
zeichnet.
Da auch der Luftdruck von Einfluss auf die Siedetemperatur der Flüssig-
keiten ist, so kann man bei genauem Siedepunktsbestimmungen eine Correction
für den während des Versuchs stattfindenden Barometerstand ausfuhren und den
Siedepunkt auf Normalbarometerstand (= 760 M. M.) reduciren. Es geschieht dies
mit annähernder Genauigkeit, wenn man für je 2,7 M.M. Differenz im Barometer-
stand den direct beobachteten Siedepunkt um 0^,1 C. erniedrigt oder erhöht (letz-
teres, wenn der Barometerstand höher ist als 760 M.M.)
Bestimmung des Schmelzpunktes.
87. Der Schmelzpunkt eines festen Körpers f&llt gewöhnlich mit dem Ge-
frierpunkt oder Erstarrungspunkt, d. h. mit der Temperatur, bei welcher
der flüssige Körper beim Erkalten wieder fest wird , zusammen. Viele
Körper können indess mehrere Orade unter ihren Schmelzpunkt abge-
kühlt werden, ohne zu erstarren.
Man kann den Schmelzpunkt oder den Erstarrungspunkt so bestim-
men, dass man ein Thermometer in die eben schmelzende oder eben
*} Vgl. Ann. Chem. Pharm. XCIV. S. 262.
Siedpunkt Schmelzpiuikt 55
eratairende Substanz eintaucht Weit genauere Resultate erhält man,
wenn man zum Versuch nur sehr geringe Mengen von Substanz ver-
wendet, die sich in dünnwandigen und engen Glasröhrchen befinden. Man
bringt mehrere solche Röhrchen in ein mit "Waser, oder bei Substanzen,
die über 100® schmelzen, mit Schwefelsäure etc. gefülltes Becherglas, wel-
ches auf einem Sandbad stehend, langsam erwärmt wird. Man erwärmt
das Bad bis zum Schmelzen der Substanz; lässt dann langsam abkühlen
bis zum Erstarren ; erwärmt dann wieder und wiederholt dies öfter, wäh-
rend man jedesmal die Temperatur des Bades , bei welcher das Schmel-
zen oder Erstarren stattfindet, beobachtet. Das Mittel aus mehreren Be-
obachtungen gibt den Schmelzunkt und Erstarrungspunkt Zeigen sich
beide bei wiederholten Versuchen constant verschieden, so werden beide
Temperaturen aufgeführt
ABsichten über die Constitution der organischen Ver-
bindungen.
Grenze von Thatsache und Hypothese.
Da in der Chemie nur zu häufig und fast gewohnheitsmässig Hjpo- 88.
fliesen fär Thatsachen augesehen, oder wenigstens wie solche gehandhabt
werden, ist es vor allem nöthig, sich darüber klar zu werden: wo in
der Chemie das Gebiet der Thatsachen authört und das der Betrachtun-
gen und Hypothesen aniUngt.
Wenn durch die Elementaranalyse die Zusammensetzung einer Sub-
stanz ermittelt worden ist , wenn wir z. B. gefunden haben :
Kohlenstoff. Wasserstoff. Sauerstoff.
Essigsäure enthält m 100 Theilen 89.96 6.74 53.80
Bemsteinsfiure „ „ „ „ 40.68 5.08 54.24
80 ist dies das Resultat exacter Versuche, es ist eine Thatsache.
Wenn die Chemiker übereinkommen, sich einer abgekürzten Schreib-
weise zu bedienen und die Zusammensetzung der Körper nicht in Ge-
wichtsyerhältnissen der Elemente, sondern in Formeln darzustellen, deren
einzelne Buchstaben nicht nur die Qualität , sondern auch die relative
Quantit&t der Elemente ausdrücken; wenn solche Proportionszahlen oder
Mischungsgewichte durch Uebereinkunft festgesetzt worden sind, z. B. für:
Kohlenstoff 0 = 6 Gewichtstheile
Wasserstoff H = 1 „
Sauerstoff 0 =: 8 „
Dann kann die Zusammensetzung der beiden Säuren ausgedrückt
werden durch:
56 Gonstitation der org. Verbindungen.
Essigsäure C H 0 oder ein Multiplum
Bemsteins&ure C4H3O4 „ „ ,,
und es ist dies: der übereinkunftsmässige Ausdruck einer
Thatsache. Durch weitere Uebereinkunft kann dann ftir jede Substanz
eines der möglichen Multiplen festgesetzt werden und man kann über-
einkunftsmässig schreiben, z. B.:
Essigsäure C4H4O4
Bemsteinsäure CsOeHs.
91. Legt man den Buchstaben der Formeln aber eine andere Bedeutung
unter ; betrachtet man sie als den Ausdruck der Atome und der Atom-
gewichte der Elemente, wie dies jetzt meistens geschieht, so wirft
sich die Frage auf: wie gross, oder wie schwer (relativ) sind die Atome?
Da die Atome weder gemessen noch gewogen werden können, so ist es
einleuchtend, dass nur Betrachtung und Speculation zur hypothetischen
Annahme bestimmter Atomgewichte führen kann. Daher kommt es denn,
dass die Chemiker nicht einig sind über die relative Grösse der Atome ^
dass ein Theil derselben den Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff zu :
C =6^ H = 1-, 0 = 8
ein andrer zu:
e = 12 ; H = 1 •, e = 16
annimmt*).
Sobald man also die Zusammensetzung der Körper in atomist i-
schen Formeln darstellt, schliesst die Formel (selbst die Verhältniss-
formel) Hypothesen ein, weil die relativen Grössen der Atome hypo-
thetisch sind. Je nachdem ein Chemiker also die einen oder die andern
Atomengrössen für die wahrscheinlichsten hält, wird er schreiben:
Essigsäure == C H 0 oder G4H4O4
Bemsteinsäure = C4Ht04 „ CaHcOg
oder aber
Essigsäure = GH»0 oder €iH46^
Bemsteinsäure := 6»HsO!i „ G4HJG4.
92. Die Aeq uivalentge wich te analoger Substanzen können, wie
§. 52 etc. gezeigt wurde, mit Leichtigkeit durch Versuche ermittelt werden.
Wenn man die Essigsäure und die Bemsteinsäure z. B. vergleicht mit
der Salzsäure, so ergeben sich die Aequivalentgewichte:
Salzsäure =36.5
Essigsäure =60.0
Bemsteinsäure = 59.0.
*) In den folgenden Betrachtungen und in dem späteren historischen Theil sind
häufig die alten Atomzeichen und Atomgewichte neben den neuen gebraucht
Es bedeutet dabei stets :
alt: C = 6-, 0=8; H = 1
neu: e = 12; O = 16; H = 1.
Constitution der org. Verbindungen. 57
Die Aequivalentgewichte , als durch den Versuch direct feststell-
bar, sind, wenn überhaupt ermittelt, wirkliche Thatsa che; und alle
Chemiker müssen darüber einerlei Ansicht sein, welche Mengen von ana-
logen Substanzen einander äquivalent sind. Schreibt man die Formeln
also so, dass sie äquivalente Mengen darstellen, so werden sie zwar
verschiedenes Aussehen gewinnen, jenachdem man die einen oder die
andern Atomgewichte annimmt, man wird z. B. schreiben :
Salzsäure H Cl oder H Cl
Essigsäure C4H4O4 „ ^iHiOs
Bernsteinsäure C4H3O4 ^^ OiHsOt ,
aber die durch die Formel ausgedrückten Mengen, die Aequivalente wer-
den, welcher Schreibweise man sich auch bedienen mag, dieselben Ge-
wichtsverhältnisse, dieselben Aequivalentgewichte besitzen. Man hat z.B.
fiHr Essigsäure:
C, = 4.6 = 24 oder 6, = 2.12 = 24
H, =4.1 = 4 H, = 4.1 = 4
0^ = 4.8 = 32 Oj = 2.16 = 32
60 60.
Die chemischen Formeln bezeichnen aber nicht äquivalente Mengen, ^^^
es sind nicht Aequivalentformeln ; sondern vielmehr, wie früher ($. 63)
hervorgehoben wurde, Molecularformeln (vgl. S-162, lG7j. Wie bei den Ato-
men, so wirft sich auch hier die Frage auf: wie gross oder wie schwer
(relativ) sind die Molecüle der verschiedenen Körper? Nur eine Reihe
von Betrachtungen, eine Speculation kann darüber zu einer Ansicht fuhren;
und wie bei den Atomen, ja mehr noch als dort, so weichen auch üb^r
die Grösse der Molecüle die Ansichten verschiedener Chemiker von ein-
ander ab. Für die Essigsäure sind alle Chemiker darüber einig, dass ein
Molecül
Essigsäure = C^H^O^ oder €,H^0,
fUr die Bernsteinsäure dagegen nimmt ein Theil der Chemiker die Mole-
cularformel halb so gross an, als die andern :
Bernsteinsäure = C^H,04 oder 6,H,0^
Oder = C.H.O, „ e,H,0,.
Geht man in den Betrachtungen noch etwas weiter , begnügt man 94.
sich nicht damit, eine Vorstellung gewonnen zu haben über die Anzahl
der Atome der Elemente, die zu Einem Molecül der Verbindung zusam-
mengetreten sind; fragt man vielmehr nach der Art der Lagerung oder
Gruppirung der Atome im Molecül (nach der Constitution der Verbin-
dung)^ so sind der Natur der Sache nach — weil man sich weiter vom
Gebiet des Thatsächlichen entfernt und tiefer in Betrachlungen und Spe-
culationen verliert — noch mehr verschiedene Ansichten möglich; und
desshalb bedienen sich die verschiedenen Chemiker für ein und dieselbe
Substanz einer ofl sehr grossen Anzahl verschiedener rationeller Formeln.
Für die Essigsäure, eine der best untersuchten organischen Verbindungen
58 Conatitation der arg, Vei^bindimgeni.
sind z. B* die folgenden rationellen Formeln gebraacht oder wenigstens vorgeschla-
gen worden*).
CfH^O^ empirische Formel.
G4H,0, -^ HO dualistische Formel.
0^11,04 . H Wasserstoffsäure-Theorie.
C4H4 + O4 Kemtheorie.
C4H,0, "1- HO, Longchamp's Ansicht
C4H + Hj04 Graham's Ansicht
C4H,0,.0 4-HO Radicaltheorie.
C4H, . 0, + HO Radicaltheorie.
^*^'h'I^* Gerhardt Typentheorie.
^4J^»|04 Typentheorie (Schischkoff etc.)
0^0, + C,H, -{-HO . . . Berzelins' Paarlingstheorie.
H 0.(C,Hj)C,,Oj Kolbe's Ansicht
HO.(C,H,)C„0.0, .... ditto
C,(C,H,)0,JQ^ YT^j^rtz
C,H3(C,0^)|q^ Mendius.
^«'^••JJJC^O, Geuther.
jC,H,)
C,jO >0 4-H0 .... Rochleder.
(C, '^- + Co») + HO . P
ersoz.
H
o.jk-
"T — jo; Buff.
95. Eine einmal festgestellte Thatsache kann nie Gegenstand des Strei-
tes sein. Die Chemiker können also nie verschiedener Ansicht sein aber
die procentische Zusammensetzung und über das Aequivalentgewicht genau
. untersuchter Substanzen. Betrachtungen dagegen können, von densel-
ben Thatsachen als Orundlage ausgehend, je nachdem man der einen
oder der anderen vorwiegend Werth beilegt, zu ganz verschiedenen An-
sichten fahren. Durch Erkenntniss und Beracksichtigung neuer Thatsa-
^) Für deren Vollstftndigkeit übrigens nicht garantirt werden kann.
Lavoiner's Anfliehton. 59
oheu mflssen diese Ansichten der Natur der Sadie nach fortwährende
Veränderangen erleiden. Da nun die Ansichten über Atomgewicht
der Elemente, Holeculargrösse und Constitution der Verbindungen
nur aus Betrachtungen hergeleitet werden können, so ist es einleuchtend,
dass sie im Verlauf der Entwicklung der Wissenschaft sich fortwährend
ändern mussten , dass sie jetzt noch fortwährend sich ändern und dass
zu derselben Zeit verschiedene Chemiker verschiedener Ansicht sein kön-
nen. Zum Verständniss unserer jetzigen Ansichten über diese Gegen-
stände ist es nöthig, die historische Entwicklung dieser Ansichten, in all-
gemeinen Zügen wenigstens, zu verfolgen.
Historische Entwicklung der Ansichten über die
Constitution der organischen Verbindungen.
Lavoisier's Ansichten. Duahsmus; Radicale.
Ein grosser Theil der jetzt noch aUgemein oder wenigstens von 96.
einer grösseren Anzahl von Chemikern adoptirten Ansichten über die
Constitution der chemischen Verbindungen rührt von Lavoisier, dem
eigentlichen Begründer wissenschaftlicher Chemie her. Die völlige Um-
gestaltung, welche die Chemie durch Lavoisier erfuhr, lässt es unnöthig
erseheinen, hier auf die Ansichten früherer Chemiker ausführlicher einzu-
gehen , zu dem ist das ftlr die organische Chemie wichtigste oben (J. 3)
schon mitgetheüt worden. Zu den S. 6 besprochenen Ansichten StabPs
mnss indessen hier noch zugefügt werden, dass Stahl schon bei den Be-
trachtungen über die Constitution der Körper von derselben Idee aus-
ging, die auch den späteren Chemikern als Grundlage diente und jetzt
noch häufig als solche dient, von der Idee nämlich : man könne aus den
Producten der Zersetzung eines Körpers Schlüsse ziehen auf die Constitu-
tion des Körpers selbst. Erwähnt zu werden verdient weiter, dass ftir
Stahl schon, wie für die meisten der späteren Chemiker das Studium der
Verbrennungserscheinungen den wesentlichen Ausgangspunkt für theore-
tische Beiracl^tungen bildete.
Die Verbrennungstheorie von Lavoisier ist der Anfang der neuen 97.
Periode in der Chemie; sie bildet die Grundlage aller späteren Ansichten.
Nachdem Lavoisier den Sauerstoff als das bei der Verbrennung thätige
Element erkannt hatte, wurden alle Körper der Einwirkung des Sauer-
stoffes ausgesetzt, alle auf Gehalt an Sauerstoff geprüft. Die Chemie der
damaligen Zeit war wesentlich eine Chemie des Sauerstoffs. Bei
allen Untersuchungen war der Sauerstoff die Hauptsache; der mit ihm
verbundene Theil wurde weit weniger berücksichtigt, es war der Rest, um
dessen Zusammensetzung man sich verhältnissmässig wenig kümmerte
und den man la base^ le radical nannte. Die einfacheren Verbindun-
gen bestanden aus zwei Theilen : aus Sauerstoff und aus dem Rest
60 Constitution der org, Verbindungen
Die auffallende Verschiedenheit der einfachsten Sauerstoffverbindungen
liess sie in zwei Gruppen theilen : in Basen und Säuren. Da durch
Zusammenbringen beider die Salze entstanden, so hielt man diese ein-
fach f[lr eine Vereinigung von Säure mit Base. Betrachtungen der Art
bildeten die Grundlage und bilden noch jetzt den Hauptinhalt der dua^
listischen Ansichten, die vonLavoisier bis auf die neueste Zeit
in der unorganischen Chemie fast allgemein angenommen wurden und die
in ihrer Anwendung auf die organische Chemie die s. g. Radicaltheorie
erzeugten.
98. Lavoisier dehnte, wie in anderer Beziehung so auch hier seiner
Zeit um vieles vorauseilend, diese Anschauung schon auf die organischen
Verbindungen aus. Gerade so, wie er den Stickstoff das Radical der
Salpetersäure nennt, gerade so wie er sagt: le carhone est le radical de
Vadde carbonique (Traiti elementaire de Chimie 1793, S. 251), so spricht
er auch von den Radicalen: oxalique^ malique, citrique, tartareux etc.
und versteht darunter stets den Theil der Verbindung, der mit dem Sauer>
Stoff die Säure ausmacht.
Er sagt sogar (a. a. 0. S. 209). ^^tPai d^ja fait observer^ que
dans le r^gne min^ral presque to^ts les radicaux nxidables et acuUfiables
itaient simple$\ que dans le regne vegctal au contraire et sur^tout dans
le r^gne animal , il rCen existait presque pas qui ne fusserd composSs au
moins de deux substances^ d^hydrogene et de carbone ; que soucent Pazote et le
phosphore s'y reunissaient, et quHl en resultait dfs radicaux a quatre bases *).'*
Einfluss der atomistischen Theorie und der elektrochemischen
Hypothese,
In der nächsten Zeit nach Lavoisier's Tod waren die Chemiker
wesentlich mit Ausarbeitung der von ihm und seinen Zeitgenossen ange-
bahnten Untersuchungen und der von ihm ausgesprochenen Ansichten be-
schäftigt.. Die meisten Untersuchungen, im Sinn der dualistischen Theorie
ausgeführt, schienen nur weitere Belege für deren Richtigkeit zu geben.
99. Inzwischen war die von Dalton zuerst durchgeführte Atomen-
theorie (1804 — 1808), dieHiggin's 15 Jahre vorher (1789) schon
in ähnlicher Form aufgestellt hatte, von den Chemikern fast allgemein
angenommen worden, weil sie den einfachsten Ausdruck und gewisser-
massen den Schlüssel bot zu den in der Zusammensetzung der chemi-
schen Verbindungen erkannten Gesetzmässigkeiten. Durch sie gewannen
♦) Lavoisier muss demnach als der eigentliche Urheber der, von Berzelius
nur weiter ausgetiihrten , Radicaltheorie betrachtet werden; und desshalb ist
der den französischen Chemikern von mancher Seite gemachte Vorwurf un-
begründet : „die Radicaltheorie habe bei französischen Chemikern wenig Ein-
gang gefunden , bei vielen wohl desshalb , weil sie nicht auf französischem
Boden gewachsen.^^
Atomistische Theorie. 61
theoretische Betrachtungen über die Constitution der chemischen Verbin-
dangen wesentlich an Interesse. Hatte man vorher vielleicht klare Vor-
stellungen nur dunkel auszudrücken vermocht, so war es jetzt an sich
verständlich, was man unter Zusammensetzung und Constitution der Ver-
bindung verstand; man meinte die Lagerung der Atome. Während
die atomistische Theorie so im allgemeinen zu Speculationen anregte und
das Interesse an theoretischen Betrachtungen erhöhte, diente sie gleich-
zeitig zur Verbreitung der dualistischen Ansichten. Obgleich an sich
nicht eigentlich dualistisch , konnte sie doch — und wurde es von An-
fang an — dualistisch aufgefasst werden, und sie schien so, weil sie mit
dem Dualismus leicht in üebereinstimmung gebracht werden konnte, dem-
selben zur Stütze zu dienen.
Weit mehr noch trugen zur Verbreitung der dualistischen Ansicht 100.
die Vorstellungen bei, die man sich von der Ursache der chemischen
Verwandtschaftserscheinungen machte. Man hatte gefunden , dass der
elektrische Strom Verbindungen zersetzt*) und Verbindungen veranlasst**);
man fand , dass der galvanische Strom in ähnlicher Weise zersetzend
einwirkt **♦) ; man beobachtete weiter, dass bei Berührung ungleichartiger
Substanzen stets Elektricitätserscheinungen auftreten f) und dass bei che-
mischer Einwirkung stets gleichzeitig elektrische Phänomene stattfinden.
Man schloss daraus, nicht etwa, dass chemische und elektrische Erschei.
nuDgen, weil gleichzeitig auftretend, von derselben Ursache bedingt seien;
man hielt vielmehr die elektrischen Eigenschaften der Atome für die Ur-
sache der chemischen Verwandtschaftserscheinungen. Die am besten aus-
gebildete und am meisten verbreitete elektrochemische Theorie,
die von Berzelius (1819), nahm an: die Atome der Körper sind
an den entgegenstehenden Polen mit entgegengesetzten Elektricitäten be-
laden, so dass stets die eine Elektricilät vorherrschend ist; die Anziehung
der ungleichen Elektricitäten und die Ausgleichung derselben veranlasst
die chemische Verbindung.
Da ein Gegensatz der Elektricitäten die Ursache der chemischen
Vereinigung war, so musste die Verbindung nothwendig aus zwei Theilen
bestehcD, welchen diese entgegengesetzten Elektricitäten eigen waren. Die
elektro-chemische Theorie fügte also den dualistischen Ansichten nichts
wesentlich Neues bei, aber sie diente denselben nicht nur zur Stütze, sie
liess dualistische Zusammensetzung geradezu nothwendig erscheinen.
*) Wasser: Deymann und Paets van Troostwyk, 1789. — Ammoniak:
Berthollet 1785.
♦♦) Wasser: Watt, 1781. — Salpetersäure: Cavendish, 1784.
♦♦♦) Wasser: Nicholson und Carlisle, 1800. — Salze: Berzelius und
Hisinger, 1803.
f) Galvani, 1790.
62 ConBÜtntion der org. Verbindimgen.
Dasa die elektro-diemische Theorie ungemein rasch Eingang fand, und dass
sie sich lange eines fast allgemeinen Beifalls erireute, hat seinen Grund nicht sowohl
darin, dass ihre Erklärungen gerade besonders befriedigend waren j es ist vielmehr
wesentlich dem Umstand zuzuschreiben, dass sie gleich von Anfang in abgerunde-
ter Form, und es lässt sich niclit läugnen, in geistreicher Weise durchgeführt, auf-
trat. Befremdend ist es dagegen , dass sie jetzt, nachdem das H3^othetische ihrer
Grundlage und das Kichtübereinstimmen mit den einfachsten Thataadien so häufig
nachgewiesen worden ist, noch immer Anhänger hat ; befremdend ist es nament-
lich , dass einzelne ihrer Anhänger sie geradezu zu einem Glaubensartikel erhoben
haben , über dessen Begründetsein sie in keiner Weise Betrachtungen anzustellen
sich veranlasst finden. Das selbstbefriedigte und absprechende Auftreten der
elektro-chemischen Theorie macht es nöthig, darauf aufmerksam zu machen, dass
selbst die am häufigsten und merkwürdigerweise noch in neuester Zeit gebrauchte
Argumentation — als zerfiele das schwefelsaure Kali bei elektrolytischer Zersetzung
in S0| und KG — gerade die Auffassung dieses Vorganges ist, welche nachgewie-
senermassen mit den Thatsachen im Widerspruch steht.
Berzelius. — Radicaltheorie.
100. Die dttalistischen Ansichten über die Constitution der chemischen
und zunächst der unorganischen Verbindungen mussten nothwendig zu
weiterer Ausbildung der Ideen führen, welche Lav eis i er schon über die
Constitution der organischen Verbindungen ausgesprochen hatte.
Nachdem Berzelius durch eine Reihe sorgfältiger Versuche (wesent-
lich 1815 — 1817) das Gesetz der constanten und multiplen Verhältnisse
auch für organische Körper bestätigt gefunden hatte, verglich er, ähnlich
wie dies Lavoisier schon gethan, die organischen Verbindungen mit
den unorganischen und stellte, indem er im Wesentlichen die von La-
voisier 24 Jahre vorher ausgesprochenen Ansichten '^) wiederholte, den
Satz auf:
„Nachdem wir den unterschied zwischen den Producten der orga-
„nischen und der unorganischen Natur, und die verschiedene Art und
„Weise, wie ihre entfernteren Bestandtheile untereinander verbunden sind,
„näher kennen gelernt, haben wir gefunden, dass dieser Unterschied
„eigentlich darin besteht, dass in der unoi^anischen Natur alle oxydirten
„Körper ein einfaches Radical haben, während dagegen alle orga-
„nischen Substanzen aus Oxyden mit zusammengesetztem Ra-
„dioal bestehen. Bei den Pflanzensubstanzen besteht das Radical im
„Allgemeinen aus Kohlenstoff und Wasserstoff, und bei den Thierstoffen
„aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff.'' (Lehrbuch der Chemie.
2. Aufl. Stockholm 1817, L 544.)
In der nächsten Zeit wurde diese Ansicht von Berzelius selbst
nicht weiter ausgeführt und sie blieb; obgleich die fast gleichzeitige Ent-
•) Vergl. §. 98.
Aeltere Radfealüicotie.
63
deckuDg des Cyans (Gaj-Lussac 1815) ein hrefilichea Beispiel eines
zusammengesetzten (dem Chlor ähnlichen) Radicales abgab, fast ohne
Anhang; wesentlich wohl desshalb , weil fast gleichzeitig für eine der
bestgekannten Eörpergruppen eine andere Anschauungsweise mitgetheilt
wurde, die sich den Thatsachen ebenso gut, wenn nicht besser, anzupas-
sen schien. Gay-Lussac hatte gefunden, dass die Dampfdichte des
Alkohols gleich ist der Summe der Dampfdichten des Wassers und des
ölbildenden Grases; and, dass man die Dampfdichte des Aethers erhält,
wenn man zu zweimal der Dampfdichte des ölbildenden Gases noch die
des Wassers addirt Er schloss daraus , der Alkohol sei eine Vereinigung
von 1 Vol. ölbildendem Gas mit 1 Vol. Wasser, der Aether eine Verbin-
dung von 2 Vol. ölbildendem Gas mit 1 Vol. Wasser. Nicht nur die
damals vom Aether und Alkohol bekannten Thatsachen fanden durch
diese Anschauung ihre einfachste Deutung, auch die von Dumas und
Boullay 1828 entdeckten zahlreidien Verbindungen konnten nach ihr
in einfacher Weise dargestellt werden. Da die erste Zusammenstellung
einer grösseren Anzahl von auseinanderentstehenden Substanzen in dieser
Anschauungsweise — der s. g. Aetherintheorie — gegeben wurde, so
musste sie natürlich, obgleich nie auf eine grössere Anzahl organischer
Substanzen ausgedehnt, der Annahme der Radicaltheorie hindernd im
Wege stehen.
Die Aetherintheorie nahm in allen vom Alkohol sich ableitenden
Körpern die Gruppe C4H4 an; sie verglich so diese Verbindungen wesentlich mit
dem Ammoniak und seinen Salzen.
Aetherin
(OelbildendesGas) C^H^
Aether C^H^ + HO
Alkohol C,H, + 2H0
NH
Chloräthyl
Schwefeläthyl
Mercaptan
C,H, + HCl
C^H, + HS
C,H, + 2HS
Schwefelweinsäure * C^H^ •{- 2(S0, . HO)
etc.
Ammoniak
Ammoniumoxyd
Ammoniumozydhy-
drat
Salmiak
Schwefelammonium
Schwefelwasserstoff-
schwefelammonitmi
KH, + 2(S0,.H0) Saures schwefelsau-
res Ammoniak,
etc.
NH, +H0
NH3 +2H0
NH, + HCl
NH, 4- HS
NH, 4 2HS
Die weitere Ausbildung der Radicaltheorie wurde zunächst veran- 108.
lasst durch die ausgezeichneten Untersuchungen, welche Liebig und
Wöhler 1832 über die Benzojlverbindungen anstellten. Diese Unter-
suchungen zeigten , dass in den Benzojlverbindungen eine zusammenge-
setzte Atomgruppe (Benzoyl = CuH^O«!) angenommen werden kann, die
in ihren Verbindungsverhältnissen mit den einfachen Badicalen (Metallen)
der unorganischen Natur die grösste Analogie zeigt und wie diese von
einer Verbindung in eine andere fibertragen werden kann. Berzelins
begrasste diese Entdeckung mit besonderer Freude; er meinte: es breche
64 Constitation der org. VerbiBdungen.
ein neuer Tag jetzt an für die Chemie übeiiiaupt und besonders für die
Radiealtheorie. Er schlug vor, das neu entdeckte Radical statt Benzojl,
Proin oder Orthrin zu nennen (von nqM morgens — und oQÖqog der
Morgen). Er entwickelte jetzt die Radiealtheorie ausführlicher, indem er
sie zunächst (1834) auf den Alkohol und seine Umwandlungsproducte
anwandte , in welchen er das den Metallen analoge Radical Aethjl
= C4H5 annahm. Während die Aetherintheorie diese Substanzen mit
dem Ammoniak und seinen Verbindungen verglichen hatte, verglich die
Radiealtheorie (speciell : Aethjltheorie) dieselben Körper mit dem Kalium
und seinen Verbindungen. Da nun gerade in jener Zeit in den Am-
moniaksalzen ein dem Kalium analoges, zusammengesetztes Metall ange-
nommen wurde, so musste natürlich in demselben Maasse, in welchem
die Theorie des Ammoniums die Ammoniaktheorie verdrängte, auch die
Radiealtheorie den Sieg über die Aetherintheorie davon tragen. In der
That fand die Radiealtheorie jetzt fast allgemeinen Beifall. Die deutschen
Chemiker besonders schlössen sich an und Lieb ig definirte, wie S. 9
erwähnt, die organische Chemie als Chemie der zusammengesetzten Ra-
dicale. Auch die französischen Chemiker traten, zum Theil freilich nur
für kurze Zeit, zur Radiealtheorie über , und selbst Dumas, der bisher
der Aetherintheorie gehuldigt hatte, gab bei persönlicher Zusammenkunft
den Argumenten von Lieb ig nach und erklärte sich (1837) für einen
Anhänger der Radiealtheorie.
So war, freilich für nicht lange. Eine theoretische Anschauung von
allen, wenigstens von den bedeutenden Chemikern adoptirt. —
104. Die Radiealtheorie ist ihrer Grundidee nach dualistisch. Wenn
dies bei den früheren Entwicklungen derselben nicht besonders hervorgehoben
wurde, so geschah dies, weil es sich zu einer Zeit, in welcher dualistische Ansich-
ten allgemein und fast ohne Widerspruch angenommen waren, von selbst verstand.
Da man die dualistische Constitution der unorganischen Verbindungen ftir absolut
bewiesen hielt , war es nur nöthig zu sagen: die organischen Verbindungen sind
den unorganischen analog zusammengesetzt , mit dem einen Unterschied , dass
zusammengesetzte Atomengruppen, Radicale, die Rolle von Elementen spielen,
also wie diese mit Elementen und unter einander Verbindungen eingehen und von
einer Verbindung durch Austausch in andere übertragen werden können. Das
eigentliche Wesen der Radiealtheorie ist also nicht sowohl ein Vergleichen der or-
ganischen Verbindungen mit den unorganischen; sondera vielmehr gleichzeitig eine
Anwendung der bei den unorganischen Verbindungen für wahr gehaltenen dualisti-
schen Hypothese auf die organischen Substanzen.
In welcher Weise die Radiealtheorie organische Körper mit unorganischen
verglich , zeigt das folgende Beispiel :
Kalium
K
Ae = C,H,
Aethyl
KaU
KO
AeO
Aether
Kalihydrat
KO + HO
AeO + HO
Alkohol
Chlorkaliam
KCl
AeCl
Chlorftthyl
Schwefelkalium
KS
AeS
SchwefelfiÜiyl
Aeltere Radicaltheorie. 65
SchwefelwassentoiT
schwefelkalium KS 4- HS AeS 4- HS Mercaptan
Saures schwefelsau-
res Kali E0.S0,4-H0.S0, AeO.SO,4-BO-SO> SchwefelweinsäuTe.
Die jetzt noch vielfach gebrauchte Nomenclatur der organischen Verbindun-
gen , Ton der Radicaltheorie herrührend , ist eine Anwendung der in der unorga-
mschen Chemie gebräuchlichen und durch die dualistische Hypothese veranlassten
Bezeichnungsweise. Die Namen der Radicale enden meistens auf yl , von
Ulf z= Stoff.
Diese UebereinstimmuDg der Ansichten dauerte indess nicht lange. 106.
Merkwürdige Thatsachen, die von französischen Chemikern anfangs verein-
zelt, bald aber in reichlicher Anzahl entdeckt wurden, Hessen die Frage auf-
werfea, ob der Sauerstoff, das Chlor und andere elektronegative Elemente
in die Radicale eintreten könnten oder nicht Berzelius, der anfangs das
sauerstoffhaltige Radical der Benzojlverbindungen mit so grosser Freude
begrasst hatte, hielt jetzt die Annahme sauerstoffhaltiger Radicale für
Yöllig unzulässig. „Eine solche Ansicht, sagt Berzelius (Lehrbuch
„öte Aufl. I. 674) ist derselben Art , wie wenn man die schweflige Säure
,/ar das Radical der Schwefelsäure , oder das Manganhyperoxyd für das
„Radical der Mangansäure ansehen wollte. Ein Oxyd kann kein Radi-
„cal sein. Es liegt im Begriff des Wortes Radical, dass es den Körper
„bedeutet , welcher in dem Oxyd mit Sauerstoff verbunden ist
Nach der einen Ansicht erschien die Benzoesäure z. B. vergleichbar dem
KaHhydrat, sie enthielt das Radical: Benzoyl C,4H30, ; die Essigsfture in ähnli-
cher Weise betrachtet, war das Oxydhydrat des Radicals C^HsO,:
Kalihydrat K . 0 + HO
Benzoesäure 0, 4H4O, . 0 + HO
Essigsäure C, H3O, . 0 + HO.
Die andere Ansicht nahm sauerstofiffireie Radicale an , deren höhere , sauer-
stoffireichere Oxyde in Verbindung mit Wasser die Säuren bildeten ; die zwei orga-
nischen Säuren wurden dann mit der Schwefelsäure vergleichbar.
Schwefelsäure S . 0, -f- HO
Benzoesäure Cj^H^.O, -|- HO
Essigsäure C, H, . 0, 4" HO.
Ungleich grössere Schwierigkeiten machte der älteren Radical- 106.
theorie, von ihrem elektro-chemisch dualistischen Standpunkt aus, die
Deutung der stets zahlreicher entdeckten chlorhaltigen Substanzen, für
welche die„Sub8titutionstheorie" eine einfache Vertretung von Was-
serstoff durch Chlor annahm. Dass zwei elektro - chemisch so verschie-
dene Körper wie Chlor und Wasserstoff in Verbindungen sich Atom für
Atom sollten ersetzen und eine auch nur annähernd ähnliche Rolle spie-
len können, konnte die Radicaltheorie nie zugeben und ihre Vertreter be-
mühten sich auf alle mögliche Weise , diese Thatsachen durch andere
Deutung mit ihren elektro-chemischen Ansichten in üebereinstimmung zu
bringen , bis sie endlich , der Macht der Thatsachen nachgebend , freilich
KtkaU, orgaa. Chemie. 5
Qß Constitutum der org. Verbindungen.
unter fortwährendem Widerspruch und halb unbewusst die Hauptiehren
der bekämpften Ansicht annahmen. Ehe wir indess diesen Stareit der
Radicaltheorie gegen die Substitutions - und Typentheorie näher kennen
lernen, ist es nöthig, die Geschichte der Entdeckung solcher Substitutions-
producte und die Entwicklung der durch sie veranlassten theoretischen
Betrachtungen selbst zu verfolgen.
Ansichten von Laurent und Dumas. Gesetz und Theorie der
Substitution; Typentheorie, Kemtheorie.
107. Die Entdeckung neuer Thatsachen, welche mit den herrschenden
Theorien im Widerspruch sind oder durch dieselben eine ungenügende
Erklärung finden, führt stets zur AufsteUung neuer theoretischer Ansich
ten. So erzeugte das Studium der merkwürdigen Körper, welche durch
Einwirkung von Chlor etc. auf organische Substanzen erzengt werden,
eine Anzahl von für die weitere Entwicklung der Chemie ungemein fol-
gereichen Theorien: die Substitutionstheorie, die Tjrpentheorte und die
Eerntheorie.
106. Oay-Lussac hatte die Beobachtung gemacht, dass das Wachs
beim Bleichen mit Chlorgas „Wasserstoff verliert, indem es ein Yol.
Chlor aufnimmt, welches dem des entzogenen Wasserstoffs ganz gleich
ist/^ Dumas beobachtete dasselbe bei dem Terpentinöl; er verfolgte
dann die Einwirkung des Chlors auf organische Substanzen genauer und
wurde so zu dem empirischen Gesetz der Substitution ge-
führt, welches er zuerst (13. Januar 1834) in folgenden drei Sätzen aus-
sprach :
1) Wenn ein wasserstoffhaltiger Körper der dehjdrogenirenden Ein-
wirkung des Chlors, Broms, Jods, Sauerstoffs u. s. w. unterworfen
wird, so nimmt er für jedes Atom Wasserstoff, das er verliert, ein
Atom Chlor, Brom, Jod oder Sauerstoff auf.
2) Enthält ein wasserstofilialtiger Körper Sauerstoff, so gilt dieselbe
Regel ohne Modification.
3) Enthält ein wasserstoffhaltiger Körper Wasser , so verliert dieses
seinen Wasserstoff ohne Ersatz und entzieht man ihm, von diesem
Punkt an, eine neue Quantität Wasserstoff, so wird dieser, wie vor-
her, ersetzt.
Das Dumas'sche Gesetz der Substitution ist, wie man sieht, ein empiri-
sches Gesetz, welches nur die Beziehungen der eintretenden Chlor-Menge zur
Menge des austretenden Wasserstoffs ausdrückt , ohne auf die dadurch etwa veran-
lasste Veränderung in der Natur der Substanz irgendwie Rücksicht zu nehmen.
Statt des Namens Substitution schlug Dumas in dieser ersten Abhandlung
schon das Wort Metalepsie vor. — In einer kurz nachher mit Peligot gemein-
schaftlich veröffentlichten Arbeit über die Einwirkung des Chlors auf Zimmtalddiyd
findet sich zuerst der Vorschlag für die später öfter gebrauchte Nomendatur^ nach
Substitutioiisdieorie. 67
welcher die Anzahl der Chloräquivalente durch den Vocal der angehängten öid-
sflbe ÄUBgedradU wird (so dass a = 1, e = 2 etc.)^ das vierfach gechlorte Zimmtr
Öl wird a]£: Chlorocinnose beschrieben.
Das Sobstitationagesets von Dumas gab Veranlassung zu einer 109.
grösseren Anzahl von Versuchen in ähnlicher Richtung; das empiri-
sebe 6 e 8 e t B der Substitution wurde bald durch Laurent erweitert,
welcher zuerst dafi entstandene Prodact seinen Bigenschaften nach mit
dem angewandten Substanz verglieh und über die Rolle, welche das ein-
wirkende Element bei solchen Bubstilutionen spielt, Betrachtungen an-
st^te« So wurde aus dem empirischen Oesetz der Substitution die
Th eorie der Substitution, deren Hauptinhalt Laurent 1835
so aosdrückte:
W«nn äquivalente Substitution des Wasserstoffs durch Chlor
oder Brom stattfindet, so trit( das Chlor an die Stelle, welche
Yom Wasserstoff eingenommen war und spielt gewissermassen
seine Rolle; desshalb muss das gechlorte Product Analogie
mit dem Körper zeigen, aus welchem es erhalten wurde.
DieSubstitutionstheorie von Laurent ist eine weitere Ausbildung des
Damas'schen Substitationsgesetzes, was Laurent selbst zugibt, indem er
(1836) sagt: „wenn man die zwei Gesetze anwendet, welche Dumas über die Substi-
tutimi au%estellt hat;^^ sie fügt aber demselben völlig neue Gesichtspunkte bei und
muss darum, als wesentlich verschieden, von demselben getrennt werden. Es ver-
dient dies desshalb besonders hervorgehoben zu werden, weil man gewöhnlich die
beiden Ansichten zusammenwirft und Dumas für den Urheber der Substitutions-
theorie hält, während Dumas so weit davon entfernt war, die Ansichten Lau-
rent's zu theilen, dass er wiederholt gegen dieselben protestirte. Zunächst in den
Sitzungen der Pariser Academie , als Laurent (1837, 20. Dec.) gelegentlich der
Kemdieorie auch seine Ansichten über die Substitution weiter entwickelte , und
dann entschiedener noch, als Bcrzelius aus Verwedislung ihn statt Lau-
rent wegen dieser Ansichten zu Rede stellte. ,,Berzeliu8, so sagt Dumas
(1838) , legt mir da eine Ansicht unter , die genau das Gegentheü von dem ist,
was idi stets behauptet habe, nämlich die, es trete bei dieser Einwirkung das
Chlor an die Stelle des Wasserstoffs. Aussagen der Art haben mir nie ange-
gehört, und es möchte schwer halten, solche aus den Ansichten zu folgern, welche
ich über diese Thatsache aufgestellt habe. Wenn man mir die Angabe unter-
legt, dass der Wasserstoff durch Chlor vertreten wird, welches ganz dieselbe Rolle
spielt , 80 schreibt man mir eine Meinung zu , gegen die ich feierlich protestire,
indem sie mit Allem , was ich je über diesen Gegenstand gesagt habe , in direc-
tem Widerspruche steht. Das Gesetz der Substitutionen ist ein empirisches Gesetz,
nichts weiter; es drückt die Beziehungen aus zwischen dem Wasserstoff, welcher
entweicht und dem Chlor, welches eintritt. Ich bin nicht verantwortlich für die
übertriebene Erweiterung, welche Laurent meiner Theorie gegeben hat.^^
Während Dumas anfangs protestirt hatte gegen L a u r e n t's An- HO.
siebten bezüglich der Bolle, welche das CSilor bei diesen Substitutionen spielt,
so trat er bald, n€U)hdem durch Laurent, Mala^guti, Kegnault u. a.
eine grössere Anzahl von Substitutionsproducten entdeckt worden war
6*
6g Constitution der org. Verbindungen.
und nachdem er selbst die Trichloressigsäure dargestellt hatte , zu den
selben über. Er ging sogar weiter, er dehnte diese Ansichten auch auf
den Sauerstoff aus und entwickelte zuerst 1839 und dann ausfilhrlicher
in einer Reihe von Abhandlungen „über die chemischen Tjpen^' die Ty-
pentheorie, deren Hauptsätze er 1839 so ausdrückte:
1) Die Elemente eines zusammengesetzten Körpers können in sehr vie-
len Fällen ersetzt werden , und zwar nach gleichen Aequivalenten,
durch andere Elemente, oder auch durch zusammengesetzte Köi^
per, welche die Rolle der einfachen spielen.
2) Wenn solche Substitution zu gleichen Aequivalenten stattfindet,
so behält der Körper , in welchem Vertretung stattgefunden hat,
seinen chemischenTypus bei und das eingetretene Element
spielt in ihm dieselbe Rolle, wie das Element, welches ent-
zogen worden ist.
Dumas unterscheidet dann noch chemische und mechani-
sche Tyjpen. Zu demselben chemischen Typus zählt er alle die ^r-
bindungen, welche eine gleich grosse Anzahl von Aequiyalenten auf die-
selbe Weise vereinigt enthalten und welche dieselben Fundamentaleigen-
schaften besitzen. Zu demselben mechanischen Typus oder Molecular-
Typus rechnet er (indem er Ansichten, welche Regnault zuerst ausge-
sprochen hatte, adoptirt und weiter ausdehnt) , alle die Substanzen,
welche zwar eine gleich grosse Anzahl von Aequivalenten enthalten, aber
dabei in ihren Eigenschaften wesentlich verschieden sind. — Er hebt dann
noch besonders hervor: „dass die Eigenschaften einer Verbindung vor-
zugsweise durch die Lagerung der Theilchen und weit weniger durch
deren Natur bedingt seien."
An einer anderen Stelle (1840) drückt Dumas die Typentheorie in folgen-
der Weise aus: Man kann die Verbindungen mit Planetensystemen vergleichen,
worin die Atome durch Affinität zusammengehalten sind. Wird darin ein Atom
der einen Materie durch das einer anderen ersetzt, so bleibt dasselbe System. Es
kann liiebei ein einfaches Atom durch ein zusammengesetztes vertreten werden,
ohne dass dadurch die allgemeine Constitution geändert wird. Erfolgt die Substi-
tution nach gleicher Atomzahl und bleibt die gegenseitige Stellung der Atome, so
behält die neue Verbindung denselben Typus.
111. Wenn man die Typentheorie mit Laurents Substitutionstheorie
vergleicht, so sieht man leicht, dass sie in den Hauptpunkten nur eine
Erweiterung derselben, aber eine wesentliche Erweiterung derselben , ist.
Dies gibt auch Dumas selbst zu. Er sagt 1840 : „Da der Haupteinwurf,
welchen man der Nebeneinanderstellung der Essigsäure und der Chloressigsäure
entgegengesetzt hat, in der ähnlichen Rolle liegt, welche man dem Chlor und dem
Wasserstoff zuzuschreiben genöthigt ist, so ist es von Wichtigkeit hier zu bemer-
ken, dass Laurent, lange bevor der Versuch dies positiv entschieden hatte, auf
der Identität der Rolle des Chlors mit der des Wasserstoffs bei den durch Substi-
tution gebildeten Körpern i bestanden hat." Und später (1857): „Was Laurent
später erkannte , ist , dass bei Substitutionserscheinungen der Typus beibehalten
Typentheorie. 69
wird, das heisst, dass das Chlor nicht nnr an die Stelle des WasserstoffB tritt,
sondern auch dieselbe Rolle spielt, wie er. Die Wichtigkeit dieses Gesichtspunk-
tes ist einleuchtend, aber er kam nach den vorhergehenden und diente ihnen als
Erg&nzung/^
Bei unbefangener Betrachtung kommt man also zu der Ansieht, 113.
dass Laurent und Dumas gleich sehr bei Entwicklung dieser Ansich-
ten betheiligt sind, dass weder der eine noch der andere als einziger
Urheber der Substitutions - oder der Typentheorie betrachtet werden
kann; dass vielmehr die Verdienste beider nicht getrennt werden kön-
nen. Dabei muss aber gleichzeitig zugegeben werden, dass Dumas
durch seine Entwicklung der Typeniheorie in so fem einen grösseren
Einflass auf die Entwickelung der Wissenschaft ausübte , als er (abge*
sehen davon, dass sein Name und seine Stellung den von ihm vertrete-
nen Ansichten rascher Anhang verschafften) gelegentlich dieser zuerst mit
Energie den Ansichten vonBerzelius und besonders der elektrochemisch-
dualistischen Hypothese entgegentrat Er war der erste, der diesen An-
sichten den Fehdehandschuh hinwarf, indem er (1839) sagte: „Aber
diese elektro - chemischen Vorstellungen , diese specielle den Atomen der
einfachen Körper zugeschriebene Polarität , beruhen sie denn auf so evi-
denten Thatsachen, dass man sie zu Glaubensartikeln erheben dürfte?
Oder wenn sie als Hypothesen betrachtet werden sollen, haben sie wenig-
stens die Eigenschaft, sich den Thatsachen anzupassen, sie zu erklären,
sie mit einer so vollkommenen Sicherheit vorauszusetzen, da man bei
chemischen Untersuchungen grossen Nutzen daraus gezogen hätte? Man
muss zugeben, dass dem nicht so ist!^' Dumas gab so Veranlassung
za dem erbitterten Kampf, welchen Berzelius und seine Anhänger ge-
gen die Anhänger der Substitutions - und Typentheorie führten und aus
welchem diese Ansichten in vollkommenerer Form und in den Hauptsa-
chen siegreich hervorgingen; wesenüich weil man einerseits nur zu Le-
gionen neuer und stets complicirterer Hypothesen seine Zuflucht nehmen
konnte, während man andrerseits eine wirksamere Waffe, ein fortwäh-
rend wachsendes Heer neuer Entdeckungen ins Feld sandte.
Wir werden später sehen, wie die Substitutions- und Typentheorie,
trotz des Widerspruchs , den sie anfangs fand , die Hauptgrundlage der
Entwicklung der theoretischen Ansichten wurde und wie aus ihr die
jetzigen Ansichten hervorwuchsen.
Kerntheorie. Erwähnung verdient hier noch die unter dem Namen ^.Kem. 113.
theorie" bekannte Anschauungsweise der organischen Verbindungen, welche Lau-
rent 1836 zuerst aufstellte und in späteren Abhandlungen weiter ausführte.
Obgleich für die Entwicklung der theoretischen Ansichten im Allgemeinen von
verhältnissmässig imtergeordneter Bedeutung, ist diese Theorie desshalb hier zu er-
wähnen, weil sie vonGmelin adoptirt wurde und in dessen trefflichem Handbuche
sogar dem System zu Grunde gelegt ist.
Indem Laurent sich bemühte, eine Vorstellung zu gewinnen von der La-
gerung der Atome in einer chemischen Verbindung^ verglich er diese mit einer
70 ConBÜtutution der org. Verbindangen.
geometrischen Figfur, mit einer Säule z. B., deren Kanten und Ecken 'durch aneinan-
der gelagerte Atome gebildet werden. Es kann dieser Säule keine Kante (kein
Atom) entzogen werden, ohne dass sie zusammenfällt; tritt dagegen an die Stelle
des entzogenen Atoms ein anderes, so bleibt die Gruppe als solche bestehen, denn
die neu eingefügte Kante, wenn auch von anderem Material, hält nach wie vor das
Gebäude zusammen. Ausserhalb dieser Säule, an diesen Kern also, können sidi
andere Atome in Form von Pyramiden z. B. auflagern imd ihn sogar völlig um-
hüllen.
Solche zusammengesetztere Verbindungen sind dann, ähnlich wie Krystalle
durch mechanische Mittel, so durch chemische Einwirkung spaltbar; die secun-
däre Hülle kann von dem primitiven Kern entfernt werden.
114. Der Hauptinhalt der Kerntheorie kann in ^e folgenden Sfttee zus»n>
mengefaest werden:
Die Atome der organischen Verbindungen sind theils Kerne, theils Verbindun-
gen der Kerne mit verschiedenen sich ausserhalb an die Kerne anlagernden
Stoflfen.
Die Kerne sind Zusammenhäufungen von Kohlenstoffatomen mit den Ato-
men einiger anderer Elemente , nach einer für jede Art von Kern bestimmten Zahl
und Ordnung, zu mathematischen Figuren.
In den nur aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestehenden Kernen (Stamm-
kernen) kann 1 oder mehrere oder sogar alle Atome Wasserstoff durch Atome an-
derer Elemente und sogar durch Atomgruppen ersetzt werden, welche dabei
genau dieselbe Stelle einnehmen, wie die Wasserstoffatome; so entstehen die ab-
geleiteten Kerne, oder Nebenkerne. Dabei kommt es also weit mehr auf die
Stellung der Atome als auf ihre Natur an.
Tritt bei einer Zersetzung kein Kohlenstoff aus der Verbindung aus, so bleibt
der Kern entweder unverändert oder er geht in einen mehr oder weniger abgelei-
teten Kern über. Entstehen dagegen zwei oder mehr kohlenstoffhaltige Producte,
tritt also Kohlenstoff aus , so enthalten die neuen Verbindungen kohlenstoffUrmere
Kerne, die anderen Reihen angehören.
Vertretung der Atome im Kern ändert die Fundamentaleigenschailen nicht
(das Chlor im Kern ist z. B. durch gewöhnliche Reagentien nicht nachweisbar).
Was sich dagegen ausserhalb des Kerns anlagert, ändert vollständig die Eigen-
schaften der Verbindung; auch werden diese ausserhalb des Kerns sich anlagern-
den Atome weit leichter angegriffen, ersetzt oder weggenommen.
Die Anzahl der Kohlenstoffatome im Kern ist stets eine paai*e; ebenso die
Anzahl aller übrigen Kematome.
Die Natur und Anzahl der sich an den Kern anlagernden Atome ist von
wesentlichem Einfluss auf die Natur der Verbindimg. So sind z. B. Anlagerungen
von 2 Atomen Sauerstoff zum Kern neutrale Oxyde, durch Anlagerung von 4 Ato-
>. men Sauerstoff entstehen einbasische, durch Anlagerungen von 6 Atomen Sauer-
stoff zweibasische Säuren. —
Einige Beispiele werden diese Anschauung klarer machen.
Stammkem: Vine (Ölbildendes Gas) C4H4
Verbindungen des Stammkemes
Aether C.H^ + HO
Alkohol C,H, + 2H0
Chloräthyl C,H, + HCl
Aldehyd C^H^ + 0,
Kemtheorie. 71
BtoigstStore C^H, + O^
Elaylchlorid C,H, + Cl,
Gepaarte Verbindungen des Stammkems
Schwefelsäure-äthyläther . . C^H^ -f HO + SO,
Aethylschwefelsäure . . . C^H^ + 2H0 + 2SO3
Abgeleitete Kerne
Sauerstoffkem (unbekannt) . C4H,0,
Oxalsäure C^H^Oj + 0«
Chlorkern C^H Cl, .
Chloral C,H Cl, + 0,
Tridilor^Bigsäure .... C^H Cl, + O^
Chlorkem (Chlorkohlenßtoflf) . . C4CI4
Perchlorvinäther C4CI4 + CIO
Anderthalbchlorkohlenstoflf . C4CI4 + Cl,
Anudkem C4(NH,)H,
Acetamid C4(NH»)H, + 0,
GlycocoU C^CKHJH, + O4 etc.
Die Formeln der Kerntheorie sind, wie man leicht sieht, sämmtlich verschie-
den von denen der Radicaltheorie (die Radicale enthalten stets eine unpaare Anzahl
von Atomen) sie fallen dagegen für viele Verbindungen zusammen mit denen der
Aetherintheorie (§. 102).
Die Kemtheorie war, weil sie nach einem einheitlichen Princip, und dabei
nach verhältnissmässig leicht nachweisbaren Merkmalen, nach der Zusammensetzung
nämlich, die Verbindungen zusammenstellt, besonders gut zur Systematik geeignet;
wesentlich desshalb wurde sie von Gmelin adoptirt. Sie hat jetzt keine Anhänger
mehr und konnte darum hier nur dem Hauptinhalte nach mitgetheilt werden.
Streit der elditrochemischen Radicaltheorie gegen die Sabstitntions-
theorie.
„Die Gewohnheit einer Meinung erzeugt oft die völlige Uebenseugang 115.
von ihrer Richtigkeit; sie verbirgt die schwächeren Theile davon und
macht uns unfähig, die Beweise dagegen anzunehmen/^ So sagt Ber-
zeliuB, man könnte meinen prophetisch, gelegentlich der Entwicklung
der elektro- chemischen Hypothese (Lehrbuch, 1827. Bd. HI, S« 50). In
der ganzen Entwicklung der Wissenschaft ist dies auf keine Ansicht mit
grösserem Recht anwendbar, als auf die elektro -chemische Hypothese
selbst-
Die zahlreichen Thatsaehen der Substitution, von welchen im Vori-
gen die Bede war, standen mit der Grundidee der elektro -chemischen
Hypothese im Widerspruch. Wie war es möglieh, dass zwei in ihren
Haupteigenschaften so verschiedene Elemente, dass das elektronegative
Chlor und der elektropositive Wasserstoff sich in Verbindungen sollten
ersetzen können; wie konnte sich Jemand zu der Ansicht verirren, dass
beide dieselbe Rolle spielen?
Alle Arten von Widerspruch erhoben sich gegen die Thatsaehen
der Substitation und gegen die durch sie veranlassten Theorien. Anfangs
72 Constitation der org. Verbindungen.
bezweifelte man die Wahrheit der Thatsachen; aber neue Analysen und
zahlreiche neue Entdeckungen stellten die Thatsachen fest Dann ver-
suchte man die Auffassung der Thatsachen lächerlich zu machen oder an
die Stelle der von den Anhängern der Substitutionstfaeorie gegebenen Elr-
klärungen andere zu setzen, die mit dem herrschenden Lehrgebäude in
besserer Uebereinstimmung standen.
So lange Laurent der einzige Vertreter der Substitutionstheorie
war, schien es kaumnöthig, diesen Ansichten mit Ernst entgegenzutre-
ten; als aber Dumas sie adoptirt, als er ihnen in der Tjpentheorie noch
mehr Ausdehnung gegeben hatte, war es doch geboten, sie mit Energie
zu bekämpfen. Berzelius erkannte von Anfang an die Tragweite der
Dumas'schen Ansichten.
In seinen „Bemerkungen zur Substitutionstheorie" sagt er (1839) :„ Die Schlüsse,
,, welche Dumas aus seiner interessanten Entdeckung (Trichloressigsäure) zieht,
„sind: dass in der unorganischen Chemie die leitende Grundidee der Isomorphis-
„mus sei , von welchem man wisse, dass er mit den elektro-chemischen Ansichten
„im Widerstreit stehe ; und dass in der organischen Chemie die Substitutionstheorie
„dieselbe Rolle spiele wie der Isomorphismus in der unorganischen. Er spricht
„dabei die Hoffnung aus, dass man einst noch auf dem Wege der Erfahrung diese
„beiden unter derselben Benennung werde begreifen können. Daraus folge , dass
„die damit unvereinbaren elektro- chemischen Ansichten für die Substitutionstheorie
„aufgegeben werden müssten, zumal da sie nicht so befriedigend wie diese die Ei-
„genschaften der Verbindungen voraussehen lasse. Diese Darstellung enthält un-
„bedingt den Umsturz des ganzen chemischen Lehrgebäudes , so wie es jetzt ist"
116. Er suchte zu zeigen , dass die Trichloressigsäure der Essigsäure
durchaus nicht ähnlich sei , dass beide vielmehr in den Fundamentalei-
genschaflen völlig verschieden seien. Die Essigsäure sei ein Oxyd des
Radicals G4H3; die Trichloressigsäure eine mit Chlorkohlenstoff gepaarte
Oxalsäure:
Essigsäure . . . C^H, . 0, •+- HO
Trichloressigsäure CjCl, + C,Oj + HO.
Für die zahlreichen Substitutionsproducte , welche bald nachher von
Malaguti und Regnault entdeckt wurden, ersann Berzelius ähnli-
che Formeln, so war:
= C,H,.0, +2C,H,.C1,
= C,0, + 5C,Cl3
= 2C,H..O, +C,H3.Cl3
= 2C,H .0, 4- C,H.C1, 4- 2C4H,.0,4- C,H, .01,
= 2C.,H,0, +C.,H,.Cl3 + C,H. .0, +2C,H..C1,
= C,H,.0, + c,H,.a,
= CjH.Oj 4- 2C,H.Cl3
= CO» 4- 3CC1,
Gechlortes Schwefeläthyl = SH 4- 4CC1.
117. Solche Formeln, obgleich von Berzelius als wahrer Ausdruck der
Thatsachen und als an sich einleuchtend empfohlen, konnten nicht wohl
Beifall finden. In der That trat ihnen L i e b i g direct entgegen.
Dichlorftthyläther
Perchloräthyläther . .
Dichloressigäther . .
Dichlorameisenäther .
Trichlorbenzoeäther .
Monochlormethyloxyd
Dichlormethyloxyd .
Perchlormethyloxyd .
Streit der Radiealtheorie mit der SabBtitationstheorie. 73
Er sagt (1839): ,,Im Interesse der Sache selbst glaube ich erklären zu
.^müssen, dassieh die Ansichten vonBerzelius nicht theUe, weil sie auf einer Menge
,,von hypothetischen Voraussetzungen beruhen, für deren Richtigkeit jede Art vonBe-
,,wei8 fehlt. Man hat in der unorganischen Chemie die sonderbare Erfahrung ge-
,^macht, dass das Mangan der üebermangansäure durch Chlor vertreten werden
.^ann, ohne die Form der Verbindungen zu ändern, welche die üebermangansäure
..mit Basen zu bilden vermag. Eine grössere Unähnlichkeit kann es kaum geben,
„ais die zwischen Mangan und Chlor. An eine Erfahrung der Art lässt sich keine
^4)i8cus6ion knüpfen, wir sind gezwungen, die Thatsache für das gelten zu lassen,
,.wa8 sie an und für sich ist Chlor und Mangan können sich in gevnssen Verbin-
,,dungen vertreten, ohne Aenderung der Natur der Verbindung. Ich sehe nicht
„ein, warum ein ähnliches Verhalten für andere Körper, für Chlor und Was-
„serstoff z. B., für unmöglich gehalten werden soll, und gerade die Auffassung der
,^£r8cheinungen, so wie sie von Dumas hingestellt wird, scheint mir den Schlüs-
„sel zu den meisten Erscheinungen in der organischen Chemie abzugeben. Ohne
„zu leugnen, dass sich in einer grossen Anzahl von Verbindungen die Körper nach-
,4hrer Stellung in der elektrischen Reihe vertreten, glaube ich, dass aus dem Ver-
„halten der organischen Verbindungen der Schluss gezogen werden muss: dass
„eine allgemeine gegenseitige Vertretung von einfachen sowohl als von zusammen-
„gesetzten , nach Art der isomorphen Körper als ein durchgreifendes Naturgesetz
,,anzusehen ist; dass sogar eine gegenseitige Vertretung stattfindet zwischen Kör>
„pem , die weder eine ähnliche Form noch eine ähnliche Zusammensetzung be-
„sitzen etc.
An einer anderen Stelle sagt Liebig: „Ich kann nicht umhin, die
„obige Auseinandersetzung von Berzelius mit ein paar Bemerkungen zu
„begleiten. Ich theile nämlich die Ansichten nicht, welche er der Zusammen-
,.setzung der von Malaguti entdeckten Verbindungen zu Grunde legt Ich glaube
.,im Gregentheil , dass diese Materien durch einfache Substitution entstanden sind -,
„dass sie mithin nicht nach Art der unorganischen Verbindungen zusammengesetzt
„betrachtet werden können. Berzelius hat in der organischen Chemie schon
„vor vielen Jahren die Analogie zwischen den unorganischen und organischen Kör-
„pem geltend gemacht. Er ist der Erste gewesen, der die organischen Säuren, den
,JLether etc. als Oxyde zusammengesetzter Radicale betrachtet hat. Diese Ansicht
„war ein Leitstern in einem Labyrinth , in dem sich Niemand zurecht zu linden
„wusste. Wir können und dürfen diesen Führer nicht verlassen in allen FäUen,
„wo er uns Licht gibt und Unbekanntes aufklärt Allein wenn auch die organi-
„Bchen Verbindungen, in gewisser Richtung betrachtet, den unorganischen gleichen,
„so weichen sie in unzählichen anderen davon ab ; sie besitzen Eigenthümlichkeiten,
„die wir gelten lassen müssen, weil wir sie nicht erklären können. Dieses Gelten-
,Jas8en führt nun zu weiteren Ansichten, in ihm liegt von selbst die Fortbildung,
„die Erweiterung und Vervollkommnung unserer Begriffe. Bis zu einem bestimm-
„ten Punkt folgen wir also den Principien der unorganischen Chemie, aber über
„diesen Punkt hinaus , wo sie uns verlassen, wo sie anstatt Verwicklungen zu lö-
„sen , Verwicklungen schaffen , über diesen Punkt hinaus bedürfen vnr neuer Prin.
„dpien."
Einwände solcher Art machten die Vertheidigung der elektro-
chemiach-dualistischen Ansichten zu einer misslichen Aufgabe. Indessen Um-
fahr Berzelius fort, die neue Ansicht mit allen möglichen Mitteln zu
bekämpfen. Um die neuentdeckten Thatsachen mit den alten Hypothesen
74 Gonstitiition der org. Verbmdimg«n.
in Uebereinstimmung zu bringen, erfand er mit beispielloser Fmchtbarkeit
an Hypothesen für jeden neuen Köi3)er neue Formeln; alle wurden in
Paarlinge zerlegt, überall neue Radicale angenommen ; fast jede neue Sub-
stanz enthielt ein neues Radical. Dabei hielt er ausführlichere Erwähnung
der neuen Ansichten in seinem Jahresbericht nicht für der Mühe werth^
„weil die Wissenschaft doch keinen Nutzen daraus ziehen würde; weil
sie nur Interesse hätten für die blinden Anhänger der Theorie der Meta-
lepsie, dieser wenig wahrscheinlichen Hypothese." Er anerkannte die
Wichtigkeit der Thatsachen , bisweilen sogar Laurents Geschick im
Experimentiren, bedauerte aber dabei den Zustand seines Gehirns und
gab höchstens zu, dass hie und da eine klare Idee durch den Cralimatias
durchblicke. —
1X9. Inzwischen hatten sich die Thatsachen der Substitution rasch ge-
mehrt. Aus Substanzen, die den verschiedensten Eörpergi'uppen zugehör-
ten , waren Substitutionsproducte erhalten worden , die in den hauptsäch-
lichsten Eigenschaften mit der Muttersubstanz übereinstimmten. Als es
garMelsens (1842) gelang, aus der Trichloressigsäure wieder Essig-
säure zu erzeugen , da war die Ansicht , dass beide Säuren keine Aehn-
lichkeit zeigten und desshalb durch verschiedene rationelle Formeln dar-
gestellt werden müssten, nicht mehr haltbar. Da man es früher für un-
zulässig erklärt hatte, die Chloressigsäure für der Essigsäure analog zu-
sammengesetzt zu halten und sie als gepaarte Oxalsäure betrachtet
hatte
Essigsäure .... C4H, .0, + HO
Chloressigsäure . . C^Clg + 0,0, -f HO;
SO änderte man jetzt nicht die Formel der letzteren, man betrachte viel-
mehr die Essigsäure ebenfalls als gepaarte Oxalsäure.
Essigsäure .... CjH, + 0,0, + HO,
und man fand einen besonderen Beweis dafür gerade in dem Umstand,
dass es gelinge, „das Chlor im Paarung durch Wasserstoflf zu substituiren."
Die interessanten, von Eolbe entdeckten Körper (Methyldithionsäure
etc.) wurden ihn ähnlicher Weise aufgefasst und gaben für die Richtig-
keit dieser Ansicht den Beweis:
Trichlormethyldithionsäure = CjCl, + S^O^ + HO
Dichlormethyldithionsäure = CjHClj 4- 8,0^ + H^-
Die eine entsta-nd aus der andern , „indem ein Atom Wasserstoff in den
120. Paarung eintrat und in ihm ein Atom Chlor ersetzte." Kurz, Ber-
zelius entwickelte jetzt selbst die Substitutionstheorie: das Chlor wax
im Stande, eine gleichgrosse Anzahl von W^asserstoffatomen zu er-
setzen, die Substitution fand aber nur im Paarling statt Was widersinnig
gewesen, so lange man es ohne Hypothese betrachtet hatte, wurde „über-
raschend klar und einfach," nachdem man die Hypothese der Paaiiinge
hinzu gethan hatte.
Ifodificationen der Radioaltfaeorie. 75
•
So vollständig war man TOn der Richtigkeit dieser Ansichten überseogt^ dass
Berzelins es nicht verstehen konnte, wie Jemand anderer Ansicht sein könne.
Als Lieb ig 1845, in einer Anmerkung zu Hofmann's trefflicher Untersuchung
über die Bildung der chlorhaltigen Aniline aus den Chlorsubstituüonsproducten
des Isatins , nnumwimdener noch wie friiher den neuen Ansichten beitrat und ge-
radezu erklärte : er glaube , dass die Natur einer chemischen Verbindung nicht
von der elektro-chemisohen Natur der Elemente , sondern vielmehr von dem Platz,
den die Elemente einnehmen, herrühre, hielt IhmBerzelius vor: die Basen seien
alle gepaarte Ammoniakverbindungen , es sei also ganz einerlei , ob der Paarling
C11H4 oder C11H3CI sei, denn immer sei das Ammoniak die Base. —
Dass Äese Paarlinge meistens hypothetische Körper waren, brachte der An-
sicht keinen Nachtheil. Man brauchte nur daran zu erinnern, dass wenigstens ein-
zelne der firüher hypothetischen Körper später dargestellt worden, und dass es über-
haupt viele hypothetische Körper gebe. Man hatte sogar noch den Vortheil, dem
hypotheläsciien Paarling durch eine Hypothese olle die Eigenschaften zuschreiben
zu können, die zur Erklärung der Eigenschaften der Verbindungen wünschcnswerth
erschienen.
Aus Freude über die Paarlinge hatte man vergessen , dass man ei*
gentlieh die BubstitutionsÜieorie bekämpfen wollte. Während man noch
gegen die Substüutionstheorie stritt, hatte man sie ihrem ganzen Inhalt
nach angenommen; man drückte sogar in rationellen Formeln (freilich
mit Gebrauch zahlreicher Hypothesen) genau das aus, was Laurent, als
er die Substitutionstheorie zuerst aufstellte , in Worten aussprach : dass
das Chlor gerade an die Stelle trete, welche der Wasserstoff vorher ein-
genommen.
Genug, die Substitutionstheorie war zugegeben und ist seitdem in
alle theoretischen Ansichten aufgenommen.
Neuere Modificationen der Radicaltbeorie.
Während des Kampfes gegen die Substitutionstheorie hatte die Ra- 121.
dicaltheorie ihrer selbst vollends vergessen. Die Radicale hatten sich
aufgelöst zu Paarungen; aus der Theorie der Radicale war eine Theorie
der Paarlinge geworden. In solch aufgelöstem Zustand befand sich die
Radiealtheorie beim Tode von Berzelins. Seine Nachfolger und An-
hänger hatten nicht geringe Mühe, aus den Bruchstücken der Radicale
(den Paarlingen) sich wieder Radicale zusammenzulesen. So entstanden
zahlreiche Modificationen der Radiealtheorie, welche alle , mehr oder
weniger von andern theoretischen Ansichten in sich aufnehmend , die
Hauptsätze der elektrochemischen Radiealtheorie als Grundlage beibe-
hielten.
Der Einflass der von Berzelins vertheidigten Paarlingsfonneln und 122.
die Anwendong und Vereinigung dieser mit der Radiealtheorie erzeugte
die Ansicht der gepaarten Radicale (Kolbe 1848).
Die Essigsäure erscheint dieser Ansicht nach als Oxyd eines Radicals , wel-
ches aus Me&yl und Kohlenstoff gepaart ist; bei der Benzoesäure ist das Radical
76 Constitation der org. Verforndungen.
gepaart ans Kohlenstoff und Phenyl; bei der Methyldithionsttnre ist der eine Paar-
ung Methyl , der andere (der dem Kohlenstoff der Essigsäure entspricht) ist
Schwefel:
Essigsäure (C, H,)Cj.O, + HO
Benzoesäure (Ci,Hj)C,.0, + HO
Methyldithionsäure . . . (C, H,)S, .O* + HO.
Solche Radicale werden zum Unterschied von den einfacheren Radicalen (z. B.:
Aethyl = C4H5 ^ Methyl = C,H, etc.) gepaarte oder combinirteRadicale
genannt.
128. Die Adoption der Substitutionstheorie Alhrte zur Annahme sabsti-
tuirter Radicale; z. B.
Phenol = Phenyloxydhydrat . . . . (C,, HJ O + HO
Chlorphenol = Chlorphenyloxydhydrat . . ("c,, J^M 0 + HO
Picrinsäure = Trinitrophenyloxydhydrat . (C|, j^A ^ j^ + ^^•
Für die Anhänger der gepaarten Radicaltheorie ist eine solche Substitution
auch innerhalb der gepaarten Radicale möglich ; so entstehen Verbindungen, welche
em gepaartes Radical mit substituirtem Paarling enthal-
ten, z. B.:
Essigsäure (C,H, )C,.0, 4- HO
Trichloressigsäure . . . . (C,C1,)C,.0, + HO
Methyldithionsäure . . . (C,H, )S, .0. + HO
Trichlormethyldithionsäure . (C,C1,)S» .0, -j- HO.
124. Die Annahme der Substitutionstheorie hat viele Chemiker, selbst Anhänger der Ra^
dicaltheorie, veranlasst, die elketrochemische Hypothese zu verlassen, oder wenig-
stens sie nicht mehr streng in dem früheren Sinn beizubehalten. Andere haben
bei Annahme der Substitutionstheorie die elektrochemische Theorie in aller Strenge
als einzig sichere Grundlage beibehalten. In welcher Weise aber die Substituir-
barkeit elektrochemisch so verschiedener Elemente wie Wasserstoff und Chlor mit
der elektrochemischen Theorie in Einklang gebracht werden kann, ist schwer ver-
ständlich und würde sicher von Niemanden verstanden worden sein, wenn nicht
Chemiker, die gleichzeitig beiden Theorien anhängen, das Räthsel in der Weise
gelöst hätten : „da , wo wir dieselben sich vertreten sehen, ist daher anzunehmen,
dass das eine derselben oder vielleicht beide, andere elektrochemische Eigenschaf-
ten besitzen, als wir ihnen beizulegen gewohnt sind." Wobei natürlich noch die
weitere Frage zu erörtern bleibt : „Ist es aber denkbar , dass der elektropositive
Wasserstoff und das elektronegative Chlor in einem Zustand existiren, wo sie sich
dieser elektrochemischen Eigenschaften bis zu einem Grade entäussert haben, dass
sie sich in ihren Verbindungen einander vertreten können ?" Eine Frage, die dann
nach Betrachtungen über den Status nascens dahin entschieden wird: „Mit ande-
ren Worten: der Wasserstoff ist nicht absolut elektropositiv- und in gleicher Weise,
aber in umgekehrtem Sinn lässt sich diese Betrachtung auch auf das Chlor und an-
dere Elemente anwenden."
125. Auch die früher schon discutirte Frage, ob Sauerstoff im Radical
angenommen werden könne oder nicht (vgl. $. 105), erzeugt jetzt noch
Modificationen der Radicaltheorie. ^^
Meinangsyerschiedenheit unter den Anhängern der Radicaltheorie. Wäh-
rend einige, der Ansicht von Berzelius sich anschliessend, allen Bauerstoff
ausserhalb des Radicak annehmen, betrachten andere, wesentlich auf in
neuei^r Zeit entdeckte Thatsachen gestützt, dieselben Substanzen als Ver-
bindungen sauerstoffhaltiger Radicale. Z. B.
Sauerstofffreie Sauerstoffhaltige
Radicale. Badicale.
Aldehyd . . . C, H^ . 0 + HO
Essigsäure . . C« Hs • Ot+ ^^
Acetylchlorid C^ H, j^* . .
Bittermaudelöl C, «H^ . 0 -f HO
Benzoesäure . Cj^H« . 0,4- HO
Benzoylchlorid C g «H, j ^<
C4 H,0,.H
C4 H,0,.0 +H0
C, H,0,.C1
CmH»O..H
C,,H,0,.0 + H0
C,,H,0,.CL
Die ausgebildetste der neueren Modificationen der Radicaltheorie 126.
(Kolbe) vereinigt auch hier beide Ansichten und nimmt an: dass die
chemischen Verbindungen entferntere Radicale enthalten , die dann
durch Vereinigung mit einer gewissen Anzahl von Sauerstoffatomen neue
nähere Radicale erzeugen.
So enthält z. B. die Essigsäure das entferntere Radical Acetyl == C4HM
= (C,H,)G,, welches in Verbindung mit zwei Atom Sauerstoff das nfthere Radi-
cal: Acetoxyl erzeugt = C4H,0, = (C,H,)C,, 0,; die Essigsäure. ist also:
[(C,H,)C„ 0,]0 + HO oder (C,H,)C,.0, -f HO.
Es scheint unnöthig, auf ausfiihrlichere Darlegung der zahlreichen 127.
Modificationen der Radicaltheorie hier einzugehen, namentlich weil bei
der grossen Mannigfaltigkeit der Ansichten Vollständigkeit unmöglich er-
langt werden kann. Der Hjpothesenreichthum der Radicaltheorie in der
Grundidee sowohl als in der Auffassung der einzelnen Verbindungen ist
augenftllig. Die Betrachtung einzelner Verbindungen wird noch öfter
Gelegenheit geben, darauf aufmerksam zu machen. Hier verdient nur
der Umstand noch besonders Erwähnung, dass viele Chemiker, obgleich
ftusserlich Anhänger der Radicaltheorie (namentlich insofern sie die For-
meln nach der Schreibweise der Radicaltheorie darstellen), diese Theorie
nicht mehr in dem ursprünglichen, streng dualistischen Sinn auffassen und
namentlich die Radicale nicht mehr ftlr an sich enger geschlossene und
in den Verbindungen präexistirende Atomgruppen halten, wie dies von
Berzelius und den strengen Anhängern der ursprünglichen Radicaltheorie
geschah und von einzelnen Chemikern noch geschieht.
Weitere Entwickelimg der Typentheorie.
Die Theorie der Substitution und der Typen, so wie sie Laurent 128.
und namentlich wie sie Dumas entwickelt hatten, enthielt, wäh-
78 Constitution der org. Verbindimgen.
rend sie zum grossen Theil den Thatsachen sich einfach und unge-
zwungen anposste, doch gleichzeitig etwas weit gehende Verallgemei-
nerungen von fast poetischer Färbung. Die zahlreichen Angriffe, welche
von Seiten der Radicaltheorie gegen .sie vorgebracht wurden , so wie die
geistreiche und meist auf neue Experimente gestützte Vertheidiguog von
Seiten ihrer Anhänger, Hessen bald das Zweckmässige und Begründete
von dem weniger Wahrscheinlichen unterscheiden. So wurde die Ver-
tretbarkeit des Wasserstoffs durch Chlor, Brom, Jod und die s. g. Nitro-
gruppe (NO^) durch zahlreiche Versuche dargethan und bald von allen
Chemikern adoptirt. Dagegen fand die von Dumas 1840 ausgesprochene
Ansicht, „man könne auch mit dem Kohlenstoff wahre Substitutionen vor-
nehmen" weder Anhänger, nodi wurde sie von Dumas selbst weiter
vertheidigt *). Ebenso fand man bald, dass die durch Einwirkung von
Sauerstoff entstehenden Substanzen, eine weit grössere Verschiedenheit
von der Muttersubstanz zeigen als die durch Einwirkung von Chlor, Brom,
Jod oder Salpetersäure entstehenden Substanzen, in welchen ohne wei-
«) Die Ansicht, dass auch der Kohlenstoff der organischen Substanzen der
Substitution fähig sei, veranlasste mehr als irgend eine andere während der
Entwicklung der Typentheorie geäusserte Ansicht, den Widerspruch und
selbst den Spott anderer Chemiker. So brachten z. B. Liebig*s Annalcn
(1840) eine mit S. C.H. Wind 1er unterzeichnete Correspondenz aus Paris, in
welcher ausführlich mitgetheüt wird, dass beim Behandeln des essigsauren
Mauganoxj'duls mit Chlor nicht nur der Wasserstoff, der Sauerstoff und das
Mangan, Atom für Atom, sondern zuletzt auch der Kohlenätoff durch Chlor
vertreten werden könne und dass so ein Product entstehe, welches obgleich
nur aus Chlor bestehend, doch noch die Haupteigenschaften des angewen-
deten Mangansalzes besitze. In einer Anmerkung wurde dabei noch weiter
mitgethcih, dass in den Magazinen von London bereits Stoffe aus gcsü-ickt^m
Chlor zu haben seien, die für Schlafmützen etc. allen anderen vorgezogen
würden.
Zur richtigen Würdigung dieser von Duiiias vermuthcten Vertretbar-
keit des Kohlenstoffs, ist es nöthig, die Thatsaohe zu kennen, aufweiche
Dumas diese Ansicht begi-ündete. Walter hatte durch Einwirkung von
conccntrirter Schwefelsäure auf wasserfreie Camph'ersüurc eine Säure erhal-
ten (Sulfocamphorsäure), bei deren Bildung sich die angewandten Substanzen
unter Austritt von Kohlenoxyd vereinigten. Diese Reaction , damals voll-
ständig und noch jetzt £äst ohne Analogie wurde von Dumas so aufge-
fasst, als sei ein Rest der Schwefelsäure (SO«) an die Stelle von 1 At Koh-
lenstoff der Catnphorsäure getreten, während dieses eine Atom C in Verbin-
dung mit dem einen Atom 0 der Schwefelsäure als Kohlenoxyd weggegan-
gen sei.
Die Sulfocamphorsäure wurde also betrachtet als Camphorsäure, in wel-
cher 1 At. C vertreten ist durch die Gruppe: SOi:
CtoHeO* CgCSOOHeOi
Camphorsäure. Sulfocamphorsäure.
Entwicklung der Typentiieorie. 79
tere Aendening eine gewisse Anzahl Wasserstoffatome durch eine gleich-
grosse Anzahl von Chloratomen u, s. f. ersetzt ist. Man reservirte da-
her den Namen „Substitutionsproducte'^ ausschliesslich für diese
letzteren Körper. Man gab ferner bald zu, dass sich die wirklichen Sub-
stitutionsproducte in allen Haupteigenschaften den Körpern, von welchen
sie sich herleiten lassen, sehr ähnlich verhalten; dass also, wie man
sich ausdrückte, bei der Substitution der Typus beibehalten werde. Das
Zusammenstellen dervonDumas demselben mechanischen Typus zu-
gezahlten Substanzen dagegen zeigte sich weniger zweckmässig, obgleich
Dumas gerade von den mechanischen Typen erwartet hatte, dass sie eine
natürliche Systematik ermöglichen würden. Denn obgleich so eine gewisse
Anzahl analoger und in naher Beziehung stehender Substanzen zusam-
mengefasst werden konnte, so mussten doch andere bisweilen nahe-
stehende Körper aus der Familie ausgeschlossen werden, weil sie eine
andere Anzahl von Atomen enthielten.
Wie man sieht, wurde gerade der Theil der Theorie, der von Lau- 129.
rent ausgegangen war, fast direct adoptirt, während nahezu Alles, was
Dumas hinzugethan hatte, in der nächsten Zeit nur wenig Beifall fand.
Nichtsdestoweniger muss man zugeben, dass gerade die Auffassung der
chemischen Verbindungen, so wie sie damals von Dumas mitgetheilt
wurde, von ganz besonderem Einfluss auf die Entwicklung der Wissen-
schaft wurde und dass sie eine der Hauptgrundlagen unserer heutigen
Ansichten ist.
Auf ein Hauptverdienst der Dumas'schen Typentheorie ist früher schon
(S. 112) aufmerksam gemacht worden; darauf nSmlich, dass sie zuerst das
Unzulängliche der elektro-chemischen Hypothese nachwies. — Ein weiterer we-
sentlicher Einfluss, den sie auf die Entwicklung der Wissenschaft ausübte, bestand '
darin, dass sie durch die Auffassung der Verbindungen als einheitliche Atomgruppe
and durch die besondere Wichtigkeit, die sie der Analogie in den Haupt-
eigenschaften beilegte, im voUstöndigen Gegensatz zu der fortwährend zu
Hypothesen anregenden dualistischen Radicaltheorie^ von nutzlosen Speculationen
über die Lagerung der Atome abhielt, dagegen zu einem vergleichenden Studium
der Ifetamorphosen ähnlicher Substanzen anregte. Kicht minder wichtig für die
weitere Entwicklung der Wissenschaft ist der Einfluss der Typentheorie auf die
Ansichten über die relative Grösse der Atome und der Molecüle. Indem sie näm-
lich die Verbindungen nach Eigenschafben und Zusammensetzung verglich und nur
die Körper einer natürlichen Familie (Typus) zuzählte, die eine gleiche Anzahl von
Atomen enthalten , veranlasste sie Betrachtungen dai'Über, welche relative Mengen
der verschiedenen Substanzen eigentlich vergleichbar sind und welche relative Men-
gen der Elemente sich gegenseitig vertreten*, sie führte so zu einer klareren Auffas-
sung der Begriffe von A t om, Molecül und Aequivalent. —
Wie immer in solchen Fällen, so war man auch während des Strei- 180.
tes der Radicaltheorie mit der Substitutions- und Typentheorie von beiden
Seiten zu weit gegangen. Gerade so wie die meisten Anhänger der Rar
gO Constitution der org. Verbindungen.
dicaltheorie lange Zeit, wenn gleich vergeblich, sogar das Thats&chliche
der Substitution nicht anerkannten ; so ging man andererseits zu weit,
indem man das Gute der Radicaltheorie in nicht genügender Weise
würdigte.
Zwar hatte Dumas in seinen ausführlichen Betrachtungen über
das Gesetz der Substitution und die Theorie der Typen (1840) darauf
aufmerksam gemacht, dass nicht nur Elemente an die Stelle anderer
Elemente treten könnten, dass nicht nur die Gruppe NO«) (in den Nitrokor-
pem) den Wasserstoff zu ersetzen im Stande sei, sondern dass es auch
in einem gegebenen Typus gewisse zusammengesetzte Gruppen gebe, die
durch einfache Körper ersetzt werden könnten und welche in dieser Be-
ziehung den Namen von Radicalen verdienten (z. B. das Aethyl, das
Benzoyl etc.). Aber diejenigen Chemiker, welche zunächst zur Verbreitung
der Typentheorie beitrugen, zogen es vor, auf Andeutung des chemischen
Verhaltens durch rationelle Formeln vorerst Verzicht zu leisten und sich
nur der empirischen Formeln zu bedienen. So ging ein Hauptvortheii
der Radicaltheorie verloren, der nämlich, dass man durch analoge Schreib-
weise der Formeln an analoges Verhalten erinnerte. Diesem Umstände
ist es offenbar zuzuschreiben, dass die Radicaltheorie von vielen Chemikern
wenigstens der äusseren Form nach beibehalten wurde , wenn man auch
die Grundidee nicht mehr in der früheren Strenge beibehielt. Es bedurfte
längerer Zeit, bis das Gute der Radicaltheorie von den Anhängern der Ty-
pentheorie anerkannt und in diese aufgenommen wurde und bis durch
Verschmelzung beider Theorien und durch weitere Ausdehnung der aus
beiden entlehnten Ansichten, die jetzigen theoretischen Vorstellungen sich
bildeten.
131, Es ist nicht wohl möglich, diese den letzten zwei Decennien ange-
hörende Entwicklung der theoretischen Ansichten hier ausführlicher zu
erörtern. Bei der zwar raschen aber immerhin ruhigen Entwicklung
der Wissenschaft änderten sich die Ansichten sehr allmälich und bis-
weilen fast unbemerkt; eine nur gelegentlich ausgesprochene , bisweilen
selbst eine nur angedeutete Ansicht wurde in späteren Arbeiten weiter
ausgeführt und gewann so nach und nach Boden; so dass sich nicht,
oder wenigstens nicht ohne allzusehr in Details einzugehen, verfolgen
lässt, von wem und bei welcher Gelegenheit eine neue Ansicht zuerst
ausgesprochen wurde. — Wir begnügen uns desshalb damit, die wich-
tigsten der Gesichtspunkte, welche die Entwicklung der jetzigen An-
sichten aus der Typentheorie vermittelten, hier kurz zusammenzustellen.
Versuche zur Feststellung der relativen Grösse der
Molecüle und der Atome.
182. Theorie der mehrbasischen Säuren. Es ist früher mehrfach
erwähnt worden, dass die dualistische Theorie die Zusammenstellung com-
Theorie der mehrbasischen Säuren. gl
plioirter Verbindungen durch eine beliebige Anzahl von additionell neben
einander geschriebenen einfacheren Körpern darstellte. So schrieb sie
z. B. die sauren Salze als additioneile Verbindungen des neutralen Salzes
mit dem Säurehydrat:
neutrales schwefelsaures Kali . . KO.SO3
saures schwefelsaures Kali . . . KO.SO3 -{- HO.SO3
Schwefelsäurehydrat HO.SO3.
Die durch die Formel dargestellte Menge des sauren Salzes enthielt also
doppelt soviel Säure wie die durch die Formel ausgedrückte Menge des
neutralen Salzes. Eine Ausnahme machte man nur bei der Phosphor-
säure und der Citronensäure , bei welchen man alle Salze mit gleichviel
Säure schrieb, weil die Formeln der beiden Säuren nicht getheilt werden
konnten, ohne dass Bruchtheile von Atomen entstanden wären.
Phosphorsäure. ' Saure Salze. Neutrales Salz.
PO5.8HO PO5.2HO.MO PO5.HO.2MO PO5.3MO.
Citronensäure.
CiA0„.8H0 C,2H50„.2HO.PbO CnH5O11.HO.2PbO CiaH^On • 3AgO.
Beide Säuren wurden für dreibasisch gehalten, weil ihre Formeln
nicht durch drei getheilt werden konnten. FürBerzelius warUntheil-
barkeit der Formel der einzige Grund, eine Säure für mehrbasisch
SU halten. 133.
Nadidem dann Graham die verschiedenen Salze und Modificationen der
Phosphorsäure genauer untersucht hatte, entwickelte Lieb ig (1838), gestützt
auf ausführliche Untersuchungen über die Salze einer grossen Anzahl organi-
scher Säuren, seine Ansichten über die Constitution der Säuren; Ansichten, die
unter dem Namen : Theorie der mehrbasischen Säuren, bekanntwur-
den. Lieb ig fand, dass eine grosse Anzahl von Säuren sich der Phosphor-
säure in sofern analog verhalten, als ein Atom Säure 1 oder 2 oder auch
1, 2 oder 3 Atome Basis aufzunehmen im Stande ist. Er betrachtete alle
solche Säuren, selbst wenn ihre Formeln getheilt werden konnten, als mehr-
basisch; und zwar als zweibasisch, wenn sie mit ein und derselben
Basis zwei, als dreibasisch, wenn sie drei verschiedene Salze zu bil-
den vermochten. Er hielt indess nicht sowohl die Existenz saurer SaJze,
als vielmehr die von Doppelsalzen für charakteristisch für die mehrbasische
Natur einer Säure; so zwar, dass er, ohne sich gerade bestimmt darüber
auszusprechen, nur Doppelsalze mit gewissen Basen für entscheidend hielt.
L i e b 1 g hebt z. B. besonders hervor , dass die sauren schwefelsauren Salze
zwei Atome Säure auf ein 1 Atom Basis enthalten , dass also die Schwefelsäure
eine einbasische Säure sei, weil bei Einwirkung von Natron auf saures schwe-
feLsaures Kali kein Doppelsalz der beiden Basen entstehe, sondern vielmehr ein
Gemenge von neutralem schwefelsaurem Kali mit schwefelsaurem Natron.
Der Begriff der mehrbasischen Säuren wurde zunächst durch 134.
Oerhardt weiter ausgedehnt. Nach Gerhardt ist eine jede Säure mehr-
KeknU, organ. Chemie. ß
82 Constitation der org. Verbindungen.
basisch, wenn sie saure Salze und Doppelsalze, gleichgOltig mit welcher
Base, zu bUden vermag; wenn sie also mehr als 1 Atom durch Metalle
vertretbaren Wasserstoff enthält. Gerhardt fügte femer als weiteres (und
zwar, weil auch einzelne e i nbasische Säuren saure Salze und Doppelsalze
zu bilden vermöchten, als besonders charakteristisches) Merkmal der zwei-
basischen Säuren bei, dass sie zwei Aetherarten zu bilden im Stande
seien, saure und neutrale (den beiden Salzen entsprechend) und dass die
neutralen Aether der zweibasischen Säuren (bei älterer Schreibweise der
Formel) 2 Vol. Dampf entsprechen, während die der einbasischen Säuren
4 Vol. Dampf bilden; oder dass, wenn man beide so schreibt, dass die
durch die Formel ausgedrückte Menge 4 Vol. Dampf entspricht, in dem
Aether der zweibasischen Säure doppelt so viel Aethyl enthalten sei als
in dem der einbasischen Säure. Z. B.
Einbasische Sänre. Zweibasische Säure.
Salpetersäure. Schwefelsäure.
NO5 . C.H^O = 4 Vol.; SO, . C4H,0 = 2 Vol.
2 SO, . 2 C^H.O = 4 Vol.
135. Laurent schloss sich den Ansichten von Gerhardt an, stellte die
Kennzeichen der mehrbasischen Säuren nochmals zusammen und fügte als
weiteres bei, dass eine einbasische Säure nur ein Amid zu bilden ver-
möge, eine mehrbasisohe Säure dagegen mehrere, eine zweibasische z. B.
zwei, von welchen das eine neutral, das andere dagegen sauer sei. —
186. Man sieht leicht den Zusammenhang der Theorie der mehrbasi-
schen Säuren mit den typischen Ansichten. Während der Dualis-
mus die Salze derselben Säure oft durch sehr ungleich grosse Formeln ■
darstellte, suchte die Theorie der mehrbasischen Säuren nach vergleich-
baren Mengen; sie schrieb alle Salze, die sauren sowohl wie die neutra-
len, so, dass sie demselben Typus zugehörten wie die Säure selbst. Die
Theorie der mehrbasischen Säuren war also ein Versuch, die Molecular-
grösse der Säuren und der Salze festzustellen und sie bediente sich dazu
derselben Betrachtungen, die jetzt noch, freilich neben einer Anzahl an-
derer, zu demselben Zweck in Anwendung gebracht werden.
Die Theorie der mehrbasischen Säuren war nicht nur durch die
zahlreichen durch sie veranlassten Entdeckungen für die Wissenschaft
fruchtbringend; sie trug auch wesentlich zur Entwicklung klarerer Ansichten
bei. Ein grosser Theil der jetzigen Anschauungsweise ist in der That
nichts weiter als eine weitere Ausdehnung und consequentere Durchfüh-
rung der von der Theorie der mehrbasischen Säuren zuerst benutzten
Betrachtungsweise.
Laurent's und Gerhardt's Ansichten tiber Molecular-
grosse.
137. Unsere jetzigen Ansichten über die relative Ghrösse der Moleoüle der
QerharcU'a Atomgewidite. 83
ohenüschen Yerbmdungen sind wesentlich henrorgemfen und vorbereitet
worden durch die geistvollen Betrachtungen, welche Laurent und Ger-
hardt*) aber diesen Gegenstand veröffentlichten. Die meisten der von
diesen Chemikern mitgetheilten Argumente sind heute noch in vollem
Maasse gfiltig und werden bei der später zu gebenden Begründung der
jetzigen Theorie benutzt werden ($. 167 ff.) , so dass ein ausführlidieres
Eingehen darauf hier unnöihig erscheint.
Hier mag nur einstweilen bemerkt werden, dass Gerhardt bei
Feststellung der von ihm gebrauchten Molecularformeln wesentlich von
Yolumspeculationen ausging; also von Ideen über die Beziehung zwischen
dem specifischen Gewicht der Dämpfe und der durch die Formel ausge-
drflekten Menge von Substanz. Er schrieb allgemein die Formehi der che-
mischen Verbindungen so, dass sie eine gleich grosse Anzahl von Volu-
men ausdrückten und benutzte dabei die oben (§• 134) gegebenen Be-
trachtungen als weitere Anhaltspunkte.
Laurent stützte sich bei seinen Betrachtungen wesentlich auf che-
mische Analogie und auf gleichmässige Interpretation ähnlicher Metamor-
phosen. Von den zahlreichen von ihm herrührenden Argumenten heben
wir einstweilen hervor:
1) Da bei chemischen Metamorphosen stets nur solche Mengen von
Substanz in Wirkung treten oder ausgeschieden werden, die eine paare
Anzahl von Atomen enthalten, so enthält das Molecül stets eine paare
Anzahl von Atomen. Da z. B. bei Einwirkung von Chlor auf organische
Eöiper stets 2, 4, 6 etc. Atome Chlor und niemals 1, 3, 5 etc. Atome
in Wirkung treten, so enthält 1 Molecül Chlor zwei Atome.
2) Wenn verschiedene Körper völlig analoge Metamorphosen zeigen,
so müssen sie als analog zusammengesetzt betrachtet werden. Vergleicht
man z. B. die Wirkung des Chlors mit der des Chlorcjans, Benzoylchlo-
rids etc., so fahrt dies zu dem Schluss, dass 1 Molecül Chlor zwei Atome
enthält. —
Gerhardt's Atomgewichte.
Gerhardt war der erste, welcher den Begriff von Atom in kla- 188.
rerer Weise auffasste und die relative Grösse der Atome der Elemente
festzustellen sich bemühte. Obgleich die von ihm 1842 vorgeschlagenen
Atomgrössen und Atomgewichte anfangs den lebhaftesten Widerspruch
*) Die von Clark (1826) und Griffin (1884) über denselben Gegenstand
(besonders über die Hydrate der Säuren und der Oxyde) veröffentlichten An-
siditen -- vgl. The Radical Theory in Chemistry, by GrifGn. London 1858 —
zeigten nur das Unbewiesene der (üteren Ansichten ohne die neuen durch
Gründe zu stützen. Sie übten zudem auf die Entwicklung der Wissenschaft
keinerlei Einfluss aus und bleiben desshalb ohne weitere Berücksichtigung.
6 ♦
84 CSonstitntion der org. VerbinduiLgeiL
fanden und namentlich von Berzelius für so widersinnig gehalten wur-
den, dass er es nicht für nöthig hielt, sie in seinem Jahresbericht mitzuthei-
len, so hat doch der Fortschritt der Wissenschaft in so schlagender Weise
dargethan, dass Gerhardts Atomgewichte ein wahrerer Ausdruck der
Thatsachen sind und dass sie Analogien und Verschiedenheiten besser
hervortreten lassen , als die früher gebräuchlichen , dass sie schon jetzt
von vielen Chemikern angenonunen sind *) und voraussichtlich in kur-
zer Zeit allgemein werden angenommen werden.
Die später zu gebenden Betrachtungen über die Atomgrösse (§. 163 ff.)
und über die Beziehungen zwischen der Dampfdichte und der atomisti-
schen Molecularformel werden die Zweckmässigkeit der Oerhardt'schen
Atomgewichte genügend darthun. Hier muss nur erwähnt werden, welche
Betrachtungen Gerhardt damals zur Umänderung der vorher gebräuch-
lichen Atomgewichte veranlassten.
Indem Gerhardt den Volumverhältnissen' der gasförmigen Elemente
möglichst Rechnung trug, nahm er wie Berzelius an, dass in gleich
grossen Volumen der einfachen Gase eine gleich grosse Anzahl von Ato-
men enthalten sei. Er wählte die Atomgewichte so, dass die Anzahl der
Atome gleichzeitig die Volumverhältnisse ausdrückte. Er schrieb dem-
nach, wie Berzelius, das Wasser: HjO; halbirte ako das Atomgewicht
des Wasserstoffs verglichen mit dem des Sauerstoffs als Einheit oder,
was dasselbe ist, er verdoppelte dcus Atomgewicht des Sauerstoffs im Ver-
gleich mit dem des Wasserstoffs als Einheit
Für alle die Elemente, welche nicht in gasförmigem Zustand existi-
ren, liess er chemische Analogie entscheiden; und er halbirte
80, indem er seine Principien mit möglichster Consequenz durchführte,
(was Berzelius nicht gethan hatte) auch die Atomgewichte der meisten
Metalle.
Die so festgesetzten Atomgrössen fanden dann weitere Stützen in
der Betrachtung der atomistischen Zusammensetzung der chemischen Ver-
bindungen. Die glückliche Idee, die Zusammensetzung der Verbindungen
durch rein empirische Formeln auszudrücken und diese, also die That-
sachen direct, mit einander zu vergleichen, statt die Betrachtung durch
das stets trügerische Glas angeerbter Hypothesen vorzunehmen, zeigte
ihm, dass die Formeln der meisten und gerade die der best bekann-
ten Substanzen von einzelnen Elementen stets eine paare Anzahl von
Atomen enthalten und dass für bei weitem die meisten der Körper, bei
welchen dies nicht der Fall ist. Gründe zur Verdopplung der Formel,
d. h. zur Verdopplung der Moleculargrösse vorlagen. Er schloss daraus,
dass diejenige Menge solcher Elemente , die man vorher fttr zwei Atome
gehalten hatte, eigentlich nur ein Atom sei; dass man also die Atom-
gewichte dieser Elemente (z. B. 0, S, C etc.) verdoppeln müsse. —
*) Sie sind in diesem Lehrbuche gebraucht.
Classiiications-Versache. 85
Gerhardt's Unitätstheorie.
Die Ansichten über die Moleculargrösse der Verbindungen und über 139.
die Atomgrösse der Elemente, welche er früher vereinzelt in Abhandlun>
gen mitgetheilt hatte, fasste Gerhardt später zu einem systematischen
Ganzen zusammen, welches er zunächst in einem besonderen Werkchen
(Introduction d Vetude de la chimie par le Systeme unUaire. 1848.) der
ganzen Betrachtung der Chemie zu Grunde legte und später im Bd. IV.
seines Traue de Chimie organiquc 1856 noch weiter ausführte. Das We-
sentlichste dieser Betrachtungen, welche Gerhardt selbst Unitätstheo-
rie, Systhne unHaire^ nennt, ist folgendes.
Die Grösse der Atome der Elemente sowohl, als die Grösse der
Holecüle der Verbindungen sind der Natur der Bache nach nicht abso-
lut bestimmbar; sie können vielmehr durch vergleichende Betrachtung
nur relativ festgestellt werden. Desshalb ist es nöthig, dass man von
einer und derselben Substanz als gemeinschaftlicher Einheit für alle Kör-
per ausgeht (unüe de moUcule) und dass man weiter den Vergleich selbst
immer in derselben Art vornimmt, also dass man alle chemischen Meta-
morphosen, so weit irgend thunlich, in einer und derselben Weise auf-
fasst und durch analoge Formeln darstellt (ricuAion type) : denn nur wenn
man alle Körper mit einem und demselben Maasse misst und wenn man
dieses Maass stets auf dieselbe Weise anwendet, können die Grössenver-
hältnisse richtig ermittelt werden.
Als Einheit des Maasses, als Ausgangspunkt des Vergleiches, be-
nutzt Gerhardt das Wasser, dessen Formel er, aus oben angedeuteten
Gründen H2O schreibt, die Moleculargrösse aller andern Körper wird
durch Vergleichung mit dieser Einheit festgestellt.
Als Reactionstypus betrachtet Gerhardt die doppelte Zersetzung, den,
wie wir später sehen werden, am häufigsten vorkommenden Fall der che-
mischen Metamorphose.
Alle derartigen Argumentationen Gerhardt's waren hier nnr anzudeuten,
nicht ausführlicher zu besprechen, weil sie, zu bei weitem dem grössten Theil,
Theile des jetzigen Lehrgebäudes ausmachen.
Classifications- Versuche.
Die Systematik ist der Natur der Sache nach stets ein Ausdruck 140.
der theoretischen Ansichten. Jede tiefer gehende Aenderung dieser wird
eine Aenderunng der Systematik zur Folge haben; aber umgekehrt sind
alle Versuche, übersichtlichere Systeme aufzufinden, auf die Entwicklung
der theoretischen Ansichten von besonderem Einfiuss.
Die ersten Anfänge wissenschaftlicher Systematik gab die 1828 von
Dumas und Boullay mitgetheilte Zusammenstellung der Alkoholverbin-
dungen im Sinne der Aetherintheorie (vgl. $. 102). Zahlreiche ähnliche
Zusammenstellungen von in verwandtschaftlicher Beziehung stehendeg
86 Constitution der org. Verbindongen.
Substanzen gab später die Radicaltfaeorie ; z. B. BenzoylTerbindimgeQ
(liebig und Wöhler 1832); Aethylverbindungen (1834) etc.
141. Der erste Versuch einer allgemein durchgeführten, alle orgomschen
Verbindungen umfassenden Systematik wurde von Laurent 1836, ge-
legentlich der Entwicklung der Kemtheorie mitgetheilt. Des damaUgen
Standes der Kenntnisse wegen musste ein solcher Versuch natürlich auf
zahllose Schwierigkeiten stossen, zu zahlreichen Hypothesen seine Zuflucht
nehmen und war so von vorneherein des lebhaftesten Widerspruchs sicher.
Nichtsdestoweniger war Laurents Classification von besonderem Einfluss,
sie wurde der Vorläufer und die Grundlage der meisten späteren
Systeme.
Laurent stellte bei diesem ersten Versuch, der später mannigfach modificirt
wurde, zunächst alle die Verbindungen in eine Reihe, welche von einem Stamm-
kern abgeleitet werden konnten, in welchem der Kohlenstoff und Wasserstoff in
demselben Verbfiltniss enthalten war. Innerhalb dieser Reihen wurden die Stamm-
kerne so geordnet, dass man von den kohlenstofireichsten zu den kohlenstoff&rme-
ren Überging. An die Verbindungen der Stammkeme wurden Jedesmal die der
mehr und mehr abgeleiteten Kebenkeme angereiht.
Da die Classification von Laurent, obgleich vor der Dumas^-
schen Typentheorie mitgetheilt, schon die Vertretbarkeit des Wasserstofi
im Kern durch Chlor und das Entstehen anderer abgeleitete Kerne durch
Eintritt von Sauerstoff an die Stelle von Wasserstoff angenommen hatte,
so konnte die weitere Entwicklung der Typentheorie (von Dumas) der
Systematik kaum neue Gesichtspunkte beibringen. Laurents Systema-
tik wiirde vielmehr von den Anhängern der neuen Richtung, in mehr
oder weniger veränderter Form als Grundlage neuer Systeme benutzt
Sie ist z. B. mit einigen Modificationen \n L. Gmelin's trefilichem Hand-
buch der Chemie benutzt, „weil sie,^^ wie Gmelin sagt, „die organischen
Verbindungen in eine naturgemässe Ordnung bringt, welche so leicht zu
übersehen ist, als es die ausserordentliche Mannigfaltigkeit dieser Verbin-
dungen nur immer erlaubt
142. Ein fOr die Systematik ausnehmend einflussreicher Schritt geschah
durch die Erkenntniss der s. g. Homologie.
Lehre von den Homologen. J. Schiel machte zuerst 1842
darauf aufmerksam, dass: „die Radicale der als Alkohole bezeichneten
Körper eine höchst einfache regelmässige Reihe bilden, und dass in den
Eigenschaften dieser Körper eine der Zusammensetzung entsprechende
Regelmässigkeit stattfinde.^' Er gab damals die Reihe:
CiH« = R
Methyl . . .
Aethyl . . .
Amyl . . .
Cetyl . . .
Cerosyl . . .
1 R + H
2R4.H
6 R +H
16 R + H
26 R + H.
GlA6fiifi€stion6-Ver8uche. 87
Er liob noch besonders hervor, dass auch die höheren Glieder die-
ser Reihe dieselbe Siedepunktsdifferenz zeigen (19® für CjHj), welche
Kopp kurz vorher für die Methyl - und Aethylverbindungen nachgewiesen
hfl^te. Er sprach weiter die Ansicht aus, dass es gewiss noch viele
solcher Reihen gäbe. Bald nachher zeigte Dumas (1842), dass die
wichtigsten fetten Säuren eine ähnliche Reihe bilden; dass auch filr
sie eine Differenz in der Zusammensetzung um n C2H2 stattfindet und
dass ebenso wie die Siedepunkte so auch die Schmelzpunkte mit der Zu-
nahme von G2H2 steigen.
Gerhardt, welchem die Systematik der organischen Verbindungen 148.
ihre jetzige Gestalt zum grössten Tlieil verdankt, machte zuerst 1843 und
dann in seinem Pr^cia de Chimie organique (1844 und 1845) diese Reihen,
von welchen er eine grosse Anzahl zusammenstellte, und für welche er
zuerst den Namen homolog gebrauchte, zu einer der Hauptgrundlagen
der Systematik. Neben der am Schlüsse des erwähnten Werkes gegebe-
nen Classification nach chemischen Functionen und nach homo-
logen Reihen, benutzte Gerhardt damals noch eine andere Classifica-
tion, die er Schelle de combustion nennt, weil sie von den kohlenstofireich-
sten Verbindungen ausgehend die andern in solcher Weise anreihte, wie
sie durch Verbrennung aus diesen entstanden gedacht werden konnten;
eine Systematik, welche mit der von Laurent früher gegebenen grosse
Aehnlichkeit hat. Obgleich durch den raschen Fortschritt der Wissen-
schaft nie allgemein angenommen hatte das ersterwähnte der beiden Sy-
steme von Gerhardt auf die Entwicklung ungemeinen Einfluss. Einzelne
der nach chemischen Functionen zusammengestellten Gruppen und na-
mentlich die homologen Reihen wurden in alle späteren Systeme aufge-
nommen. —
Während so die genannten Chemiker in das Chaos der stets zahl- 144.
reicher werdenden organischen Verbindungen nach wissenschaftlichen
Principien systematische Ordnung zu bringen bemüht waren, begnügte sich
eine nicht unbedeutende Zahl anderer immer noch mit Wiederholung der
von früheren Jahrzehnten ererbten Classification nach s. g. natürlichen
Familien. Nach den verschiedenartigsten Principien stellte man die orga-
nischen Substanzen theils nach Vorkommen, theils nach Farbe, Consistenz
oder anderen der alleräusserlichsten physikalischen Eigenschaften in bun-
tem Gewirre zusammen. Die gelegentliche Aufiiahme einzelner Gesichts-
punkte ans den Systemen von Laurent und Gerhardt gab diesen Classi-
ficationen zwar äusserlich einen etwas wissenschaftlichen Anstrich, ver-
mehrte aber gleichzeitig die leitenden Principien. Dass man früher, als
noch die Metamorphosen der wenigsten Substanzen so weit erforscht
waren, dass die Beziehungen der verschiedenen Körper untereinander
hervortraten, in solcher Weise zu Gruppen zusammengestellt hatte, war
durch den damaligen Stand der Kenntnisse geboten; eine solche Ciasei-
9g Constitation der org. VerbinduDgen.
ficätion jetzt noch beibehalten oder auch nur ausfOhrlicher besprechen
zu wollen, hiesse den heutigen Stand der Wissenschaft verkennen.
145. Nach der in früheren Abschnitten besprochenen Aufgabe der Chemie
ist es an sich klar, dass ein System nur dann wissenschaftlich und
chemisch sein kann, wenn es chemische Metamorphosen, che-
mische Function und genetische Beziehungen als Hauptanhalts-
punkte benutzt. Ausser den eben erwähnten Classifications- Versuchen,
welche, veranlasst durch den jemaligen Stand der chemischen Kenntnisse,
sehr unvollkommen sein mussten, bedarf also nur noch die Classification
einer besondem Besprechung, welche Gerhardt 1853 — 1856 in seinem
TraiU de chimie organique entwickelte. Obgleich wesentlich auf den frü-
heren Ideen von Laurent und von Gerhardt fussend hat diese Classifica-
tion in den Einzelnheiten der Durchführung, veranlasst durch den raschen
Fortschritt der Wissenschaft, kaum Aehnlichkeit mit den früheren Syste-
men. Wir geben den Hauptinhalt dieser Systematik, die von Gerhardt
selbst: Classification nach Reihen genannt wird, so weit als than-
lieh in Gerhardt's eigenen Worten. '-
146. Der Zeitpunkt ist gekommen , wo die organische Chemie auf Äus-
sere Eigenschaften als Classificationsmittel weniger Werth legt, wo sie
sich vielmehr auf allgemeinere und auf alle Körper anwendbare Princi-
pien stützt Nachdem sie die Metamorphosen der Verbindungen erforschl
hat, stellt sie diejenigen zu Gruppen oder Reihen zusammen, welche aus-
einander erzeugt werden. Nachdem so eine Anzahl von Reihen entstan-
den ist, sucht sie, ob unter den eingereihten Substanzen einzelne eine
grössere Aehnlichkeit unter einander besitzen als mit anderen Substanzen,
so dass sie mehr oder weniger noch denselben Typus besitzen. Indem
sie dann von der Vergleichung einzelner Glieder zur Vergleichung ganzer
Reihen übergeht, entdeckt sie neue Analogien; sie findet Gruppen, welche
sich wiederholen, Reihen, welche p'arallel laufen und aus diesem Paralle-
lismus leitet sie endlich allgemeine Formeln ab, -welche die Constitution
und die Beziehungen ganzer Reihen zusammenfassen.
Man stellt also nach einer Seite hin alle die Substanzen in eine
Reihe zusammen, die durch chemische Metamorphosen auseinander er-
zeugt werden und man ordnet die so erhaltenen Reihen dann in der
Weise, dass nach der andern Seite hin alle die Körper in eine Reihe
kommen, welche die grösste Aehnlichkeit zeigen, also demselben Typus
zugehören.
147. Die erste Art von Reihen nennt Gerhardt heterx)loge Reihen,
weil die derselben Reihe zugehörenden Substanzen in chemischer Natur
und in Zusammensetzung wesentlich verschieden sind; man bezeichnet
sie bisweilen als genetische Reihen, insofern sie die Körper umfas-
sen, welche durch einfache Metamorphosen aus einander entstehen können.
Gerhardts ^laseificAtioii. 89
Die zweite Art von Reihen umfasst die untereinander ähnlichsten
Körper, also ssunächst die Homologen und ausserdem Substanzen, die
bei grosser Analogie der Eigenschaften doch eine grössere Differenz der
Zusammensetzung zeigen als die homologen. Gerhardt nennt solche Kör-
per isolog (z. B. Alkohol und Phen jlalkohol , Essigsäure und Benzol
saure u. s. w.).
Gerhardt vergleicht sinnig eine solche Classification mit der folgen«
den Anordnung eines Kartenspiels. Man lege alle Karten von derselben
Farbe in eine verticale Reihe und die so erhaltenen Reihen so nebenein-
»ider, dass alle gleichwerthigen Karten in dieselbe horizontale Reihe zu
liegen kommen. Die verticalen Reihen entsprechen dann den heterologen
(oder genetischen), die horizontalen den homologen und isologen Reihen.
Fehlt eine Karte im Spiel, so ist ihr Platz dennoch angezeigt und man
kann, ohne sie zu sehen, sich von ihr eine vollständige Vorstellung ma-
chen. Ebenso geht es in der organischen Chemie; die Reihen können
fes^estellt werden, ohne dass man alle Glieder derselben kennt und der
Vortheil einer solchen Classification nach Reihen besteht weniger darin,
dass man alle bekannten Körper methodisch gruppiren kann, als vielmehr
darin, dass man die Existenz noch unbekannter Körper voraussehen und
ihre Eigenschaften vorher bestimmen kann.
Man kann also nach zwei verschiedenen Arten classificiren. Man
stellt entweder alle durch chemische Metamorphosen auseinander entste-
henden Substanzen zu heterologen Reihen zusammen; oder man stellt
alle homologen und isologen Körper und überhaupt alle, die ihrer chemi-
schen Function nach ähnlich sind, also demselben Typus zugehören, in
dieselbe Gruppe. Beide Classificationen sind von gleicher Wichtigkeit
und zur vollständigen Kenntniss der Natur der chemischen Verbindungen
ist die Anwendung beider nothwendig. — Die erste Classificationsmethode
wird desshalb von Gerhardt im speciellen Theil seines Lehrbuches einge-
halten ; nach der zweiten gibt er im 4. Bande eine Zusammenstellung der
Gruppeneigenschaften der organischen Verbindungen.
Verschmelzung der Radicaltheorie mit der Typen-
theorie.
Es ist oben schon hervorgehoben worden (§. 130), dass die An- 148.
h&nger der Typentheorie während des Streites gegen die dualistische Ra-
dicaltheorie und vielleicht zum Theil wegen dieses Streites, von der
Radicaltheorie nichts auch nicht das Gute aufnahmen; so zwar, dass man
nieht nur den dualistischen Begriff von Radical, sondern die Annahme
und den Gebrauch von Radicalen überhaupt verwarf und zu rein empiri-
sehen Formeln zurückkehrte. Noch 1848 in seiner Introduction benutzte
Gerhardt nur empirische Formeln. Da man indessen doch fand, dass diese
die Bezidiungen der Körper untereinander bei weitem nicht so klar her-
90 ConstUntion der org. Verbindangen.
Tortreten Hessen als die freilich hypothetischen Formeln der Radiealtheo-
rie, so bediente man sich zur Darstellung solcher Beziehungen der s. g.
synoptischen Formeln, in welchen der einer Reihe von auseinander
entstehenden Substanzen gemeinsame Theil von den übrigen Bestandthei-
len getrennt geschrieben und auch wohl durch ein besonderes Zeichen
ausgedrückt wurde. Man schloss sich bei solcher Darstellung bald mehr
aa die Radicaltheorie, bald mehr an die Eemtheorie an, ohne indess da-
mit etwas anderes zu bezwecken als die Beziehungen der Körper zu ein*
ander besser hervortreten zu lassen.
149. Der grösste Fortschritt der Typentheorie und der theoretischen An-
sichten überhaupt ist die Aufnahme der Radicaie in die Typen. Diese
Verschmelzung beider Theorieen wurde wesentlich vorbereitet und ver-
mittelt durch Betrachtungen, welche Gerhardt 1839 schon mittheilte und
später noch weiter ausführte und die er: loi oder theorie des residues
nannte. Er meint: „wenn eine s. g. Vertretung eines einfachen Körpers
„durch einen zusammengesetzten stattfindet, so ist dies nicht einfache
„directe Substitution, die Reaction erfolgt vielmehr in der Weise, dass
„ein Element (z. B. H) des einen Körpers sich mit einem Element (z. B.
„0) des andern verbindet, dass das entstandene Product (z. B. HO) aus-
„tritt, während die von beiden Körpern übrig bleibenden Elemente (Reste)
„in Verbindung treten.^' Er hebt dabei besonders hervor, dass diese
Theorie der Reste die Annahme aller hypothetischen Radicaie un-
nöthig mache.
Man sieht leicht, dass die Reste von Gerhardt in vielen Fällen dieselben
Atomgmppen sind wie die Radicaie der Radicaltheorie , aber aller Hypothese ent-
kleidet ^ so dass die Theorie der Reste die Beziehungen der Substanzen untereinan-
der mit derselben Klarheit darzustellen vermochte wie die Radicaltheorie, ohne
dabei die Annahme einer endlosen Anzahl enger geschlossener und in den Ver-
bindungen präexistirender Radicaie nöthig zu machen.
160. In welcher Weise dieser Gerhardt'sche Begriff der Reste allm&hlig
den der Radicaie der älteren Theorie verdrängte und so zu den jetzigen
Ansichten über Radicaie und gleichzeitig zur Verschmelzung beider Theo-
rieen führte, ist schwer zu verfolgen. Der bedeutendste Schritt darin ge-
schah offenbar durch die epochemachende Entdeckung der dem Ammo-
niak entsprechenden Basen, die wir Wurtz verdanken (1849). Damals
gab man für diese Substanzen zwei Betrachtungsweisen, von welchen die
eine sich mehr an die Radicaltheorie, die andere sich mehr an die Ty-
pentheorie anschloss. Man sagte, sie lassen sich betrachten als die Oxyde
der Alkoholradicale, deren Sauerstoff durch Amid ersetzt ist; oder als
Ammoniak, in welchem Wasserstoff durch Aethyl u. s. w, ersetzt ist
Hofmann gab der letzteren typischen Anschauung den Vorzug.
Die Betrachtung, dass auch die beiden andern Wasserstoffatome des Am-
moniaks, ebenso wie das eine, durch die Alkoholradicale müssten vertreten
werden können, führte ihn zu der Entdeckung der zahlreichen dem Ammo-
Geriiwdt'B Typentheoite. 9i
niak m eo merkwürdiger Weise analogen Basen (1849 und 1S60). Damit
war die Anfhahme der Radicale in die Typentheorie und zugleich eine
weeentUche Erweiterung der ursprünglichen Typentheorie gewonnen. Die
Entdeckung der dem Ammoniak entsprechenden Basen ist unbestreitbar
der Grundstein der jetzigen Anschauungsweise. Man bezog jetzt orgi^
nische Verbindungen auf einfache unorganische Verbindungen als Typus;
und man nahm an, dass in dem Typus Ammoniak (= NH3) der Wasser-
stoff Atom für Atom, nicht nur durch Metalle (Laurent), sondern auch
durch Alkoholradicale vertreten werden könne.
Von besonderer Wichtigkeit für die Entwicklung dieser Ansichten 161.
wurden nachher die Betrachtungen, welche Willi am son 1850 über die
Aetherbildung und die Constitution der Aether und Alkohole mitthalte.
Dem Typus Ammoniak trat jetzt der Typus Wasser = Hj0 zur
Seite; der Wasserstoff des Wassers war wie der des Ammoniaks, Atom
filr Atom , also entweder zur Hälfte oder ganz vertretbar durch Alkohol-
radicale.
Williamson dehnte diese Ansichten kurz nachher (1851) auch auf
die Säuren (z. B. die Essigsäure = 62^4^2) ^^s; ^^ betrachtete das Essig-
säurehydrat als Wasser, in welchem 1 Atom H durch das Radical ^^HaO
vertreten sei und meinte durch Vertretung des zweiten Wasserstoffatoms
durch dasselbe Radical müsse eine Substanz erhalten werden können, (die
wasserfreie Essigsäure), welche zum Essigsäurehydrat genau in derselben
Beziehung stehe wie der Aether zum Alkohol. Gerhardt schloss sich
direct diesen Ansichten an und beide Chemiker betrachteten jetzt das
Wasser als Typus einer grossen Anzahl organischer Substanzen, sie nah-
men an, dass es zwei Atome vertretbaren Wasserstoff enthalte, also ge-
wissermassen eine zweibasische Säure sei.
Als es dann Gerhardt 1852 gelang die wasserfreie Essigsäure und 152.
ähnliche Anhydride wirklich darzustellen, fanden diese Ansichten rasch
weitere Ausdehnung. Man fing jetzt an alle organischen Substanzen
nicht nur untereinander, sondern auch mit den einfachsten Verbindungen
der unorganischen Chemie zu vergleichen. Man suchte nach den ein-
fachsten Repräsentanten, den Typen, aus welchen ganze Gruppen von
Körpern durch Einführung von Radicalen an die Stelle von Wasser-
stoff abgeleitet werden könnten. So entstanden die Ansichten, die na-
mentlich von Gerhardt weiter ausgeführt wurden und die desshalb un-
ter dem Namen: „Gerhardt'sche Typentheorie" bekannt gewor-
den sind.
Dabei darf nun wohl darauf aufmerkBam gemacht werden , dass die weitere
AuBfÜhrong dieser Ansichten^ obgleich ohnstreitig verdienstlich und fOr die Ent-
wicklimg der Wissenschaft von hoher Bedeutung, nachdem erst das Ammoniak
und das Wasser als solche Typen erkannt worden waren, etwas sehr nahe liegen-
des war; so swar, dass man fitr eine sehr grosse Anzahl von Verbindungen nur
nddiig hatte, die dualistischen Formeln der alten Radicaltheorie in typische Schreib-
92 Gonstitation der org. VerbindangeiL
weise umzuändern, nur nöthig also, die alte Art der Betrachtung in die neue An-
schauungsweise zu übersetzen. —
153. Bei dieser weiteren Ausdehnung gewann nun die neue Tjpen-
theorie eine gewisse, freilich nur äusserliche Aehnlichkeit mit der alten
Radicaltheorie; der Begriff derRadicale war ein vöilig anderer geworden.
154. Da in der späteren Entwicklung der jetzigen theoretischen Ansich-
ten die Gerhardt'sche Typen theorie noch ausführlicher besprochen
werden wird, stellen wir hier nur einzelne Sätze zusammen, die für die
Ansichten Gerhardts besonders charakteristisch sind:
Die rationellen Formeln der Chemiker drficken nicht die Lage-
rung der Atome aus und können sie nicht ausdrücken, sie bezeichnen
vielmehr nur: Beziehungen, Analogieen und Reactionen; es sind keine
Constitutionsformeln, sondern nur Umsetzungsformeln.
Die rationellen Formeln drücken in einer durch Convention festge-
stellten Schreibweise eine gewisse Anzahl von Reactionen aus; sie sind
gewissermassen zusammengezogene Ausdrücke für die als Gleichung ge-
schriebenen Reactionen.
Die meisten chemischen Zersetzungen sind wechselseitige Zer-
setzungen und können aufgefasst werden als doppelter Aastausch;
so also, dass die eine Verbindung einen Theil ihrer Elemente austauscht
gegen Elemente der anderen. Radicale oder Reste (residues) werden
die Elemente genannt, welche durch solchen doppelten Austausch in an-
dere Verbindungen übertragen werden können. Die Radicale sind also
nicht isolirbare oder isolirte Körper, sie bezeichnen vielmehr nur die Be-
ziehungen, welche zwischen den sich vertretenden Elementen stattfinden.
Eine und dieselbe Substanz kann durch verschiedene rationelle For-
meln, in welchen verschiedene Radicale vorkommen, ausgedrückt werden.
Wenn man die chemischen Verbindungen nach ihren Analogieen im
chemischen Verhalten also nach ihrer Function zusammenstellt, so erhält
man Gruppen oder Reihen, deren einzelne Glieder getnsse Eigenschaften
gemeinsam haben. Jedes Glied einer solchen Reihe kann demnach als
Repräsentant aller anderen betrachtet werden; zweckmässig wählt man
die einfachste Substanz einer Reihe als Hauptrepräsentant, als Typus
der andern.
Die Typen bezeichnen also in keiner Weise die Art der Gruppi-
rung der Atome, vielmehr nur Analogien der Metamorphosen. Der Ty-
pus ist die Einheit des Vergleiches für alle die Körper, welche analoge
Zersetzungen zeigen wie er, oder welche dasProduct analoger Zersetzun-
gen sind.
Man wählt am zweckmässigsten das Wasser = H2O als Einheit
des Molecüls und gleichzeitig als Haupt- oder Grundtypus, mit
welchem man alle anderen Körper vergleicht. Dabei ist es zweckmässig,
ausser dem Wasser, noch andere, von demselben durch Vertretung des
Theorie der mehratomigen Radicale. 93
Sauerstofis durch andere Elemente sich ableitende Typen s. g. Neben-
tjpen oder abgeleitete Typen anzunehmen. Für eine methodische
Classification genügt die Annahme der folgenden 4 Typen (formules
types):
Wasser. Salzsäure. Ammoniak. Wasserstoff.
H,0 HCl NH, H,
Theorie der mehratomigen Radicale.
Eine wichtige Erweiterung haben die theoretischen Ansichten in 155.
neuester Zeit erfahren durch eine Ansicht, welche Williamson 1851
in der oben schon erwähnten Abhandlung über die Constitution der Säu-
ren mittheilte.
Gerade so wie die Essigsäure betrachtet .werden kann als Wasser,
in welchem 1 Atom WasserstofiT durch das Radical GsHaO (Acetyl oder
Othyl von Williamson) ersetzt ist, so kann das Schwefelsäurehydrat an-
gesehen werden als 2 Molecüle Wasser, in welchen zwei Atome Wasser-
stoff durch das zweiatomige Radical Sulfuryl: = SO^ vertreten sind.
Typus. Essigsäure. Typus. Schwefelsäure.
Williamson hat diese Ansicht nie allgemein durchgeführt, aber
an einzelnen Beispielen ihre Berechtigung experimentell begründet. Er
zeigte z. B. 1854, dass durch Einwirkung von Phosphorsuperchlorid auf
Schwefelsäurehydrat zwei verschiedene Chloride des Radicals Sulfuryl er-
halten werden können;
Schwefelsäurehydrat. Chlorschwefclsäurehydrat. Clilorschwefelsäure.
Hj^ Hje S^,.C1,
«0,1 S0jCl
und kurz nachher (1854), dass das Chloroform sich gegen Alkohol-
natrium wie das Chlorid des dreiatomigen Radicals 6H verhält, indem
bei der Einwirkung der beiden Stoffe aufeinander ein Körper gebildet
wird (dreibasischer Ameisensäureäther von Williamson), welcher betrachtet
werden kann als drei Molecüle Alkohol, in welchen 3 Atome Wasser-
stoff vertreten sind durch das dreiatomige Radical des Chloroforms.
Typus. Chloroform. Typus. Dreibasischer Ameisensäureäther.
3Ha eH.Cl, 3H,0 ^H)^
Diese Ansichten wurden zunächst weiter ausgedehnt von Odling i56.
(1854), der sie auf eine grosse Anzahl unorganischer Verbindungen an-
wandte, indem er zeigte, dass viele Metalle als mehrbasisch betrachtet
94 CoiL8titation der org. Verbindimgeii.
werden müssen und dass die Phosphorsäure betrachtet werden kann als
eine Verbindung des dreiatomigen Radicals : PO =: Phosphoryl *) :
TypUB. Phoßphor- Typus. Metaphos- Typus. Pyrophos- Typus. Phosphor-
säure. phorsäure. phorsäure. ozychlorid.
8H,e Pe|03 2H,0 P^|0, &H,e Pe) 3HC1 Pa.Q,
P0V
Hj
Odling machte auch schon darauf aufmerksam, dass die unter-
schweflige Säure betrachtet werden kann als eine Vereinigung von HjO
und H2S:
Typus. Unterschweflige Säure.
hP
157. Seitdem sind diese Ansichten auch von Gerhardt adoptirt und in
Bd. IV. seines Trait6 benutzt worden; bisweilen freilich nicht vollständig
im Sinn der 'Williamson'schen Ansicht und mit nicht völlig consequenter
Durchführung.
158. Die wichtigsten Stützen erhielt die Theorie der mehratomigen
Radicale zunächst durch die ausführlichen Untersuchungen von Bert he-
lot über die Verbindungen desGlycerins mit Säuren; Substanzen, die ihre
richtige Deutung erst 1855 erhielten durch Wurtz, welcher seitdem durch
seine geistvolle Auffassung und seine glänzenden Entdeckungen (mehr-
säurige Alkohole, Glycole, künstliche Bildung der Glycerine u. s. w.) zum
wesentlichen Förderer dieser Theorie wurde.
159. Eine ausführlichere Entwicklungsgeschichte dieser Theorie, welche
voraussichtlich die Richtung angibt, nach welcher die Wissenschaft sich
in den nächsten Jahren vorzugsweise entwickeln wird, so wie ein Auf-
zählen der fortwährend zahlreicher werdenden Entdeckungen mehratomi-
ger Verbindungen, kann hier umgangen werden, da diese Theorie in dem
Lehrbuche benutzt ist und in den folgenden Eapitehi ausführlicher be-
sprochen werden wird.
*) Die nach Odling's Vorschlag den Radicalen beigefügten Striche drücken die
Basicität der Radicale aus, sie bezeichnen also: einer wie grossen Anzahl
Yon Wasserstoffatomen das Radical äquivalent ist.
Theoretischer Theil.
Die Chemie, auf ihrem jetzigen Stand, hat ausser dem Gesetz der 160.
eonstanten und der multiplen Proportionen (im Gewicht, bei gasför-
migen Körpern auch im Volum) noch keine Gesetze mit Sicherheit er-
mittelt Ueber die Ursache der Verschiedenheit der Elemente; über die
Natur der Kraft, die die chemischen Verbindungen veranlasst; über die
Gesetze, welche die chemischen Metamorphosen beherrschen u. s. f. haben
wir keinerlei exacte Kenntniss. Von einer eigentlichen Theorie kann
also bis jetzt in der Chemie nicht die Rede sein. Alle s. g. theoretischen
Betrachtungen sind nur Wahrscheinlichkeits- und Zweckmässig-
keitsbetrachtungen. Aus einer grossen Anzahl von Thatsachen her-
geleitet, bei Anwendung auf andere passend gefunden, sind sie vorerst
als ein der Wahrheit sich nähernder Ausdruck , aber desshalb nicht als
erkannte Wahrheit zu betrachten.
Alles was also dermalen in theoretischer Beziehung geschehen kann,
ist: eine Anschauungsweise aufzusuchen, welche sich einer möglichst
grossen Anzahl von Thatsachen in möglichst ungezwungener Weise an-
passt; welche die chemischen Vorgänge in möglichst einfacher und um-
fassender Weise darstellt und von ihnen, wenn auch keine Erklärung,
doch wenigstens eine einigermassen klare Vorstellung gibt.
Betrachtungen über Atom und Molecül.
Die froher oft diseatirte Frage, die übrigens mit der Chemie in kei- 161.
ner direeten Beziehung steht, ob die Materie den Baum stetig erfülle oder
ob sie aus von einander abstehenden Theilchen bestehe, ist jetzt ziemlich
allgemein zu Gunsten der letzteren Ansicht entschieden. Die atomistische
Hypothese gibt von den physikalischen und chemischen Veränderungen
d^ Materie am besten Rechenschaft; sie erklärt unter anderem das Ge-
96 Theoretischer Theil.
setz der constanten und multiplen Verhältnisse, sie gibt eine Vorstellung
von der Verschiedenheit poljmerer und metamerer Substanzen.
In der That führen physikalische sowohl als chemische Betrachtun-
gen zur Annahme kleinster Theilchen, die man: Massetheilchen , Hassen-
element, Partikel, Atom oder Holecül etc. genannt hat. Wir denken uns
einen krystallisirten Körper z. B. als eine Aneinanderlagerung kleinster
Theilchen: Erystallmolecale; wir denken uns ein Gas aus einer Anzahl
von in verhäJtnissmässig grösseren Abständen stehenden (oder sich be-
wegenden) kleinsten Theilchen gebildet, die wir ebenfalls Molecüle nen-
nen. Ob beide, das Erystallmolecül und das Gasmolecül, identisch und
gleich gross sind, ist damit noch keineswegs bewiesen. Das Erystall-
molecül (des Schwefels z. B.) kann möglicherweise eine Zusammenhäu-
fung einer grösseren Anzahl der Massetheilchen sein, die bei demselben
Eörper in gasß>rmigem Zustand als kleinste Theilchen, als Atome oder
Holecüle, auftreten. Ebenso wenig kann es als a priori feststehend be-
trachtet werden, dass die Theilchen, die wir als Gasmolecüle anzunehmen
berechtigt sind, gleichzeitig die geringsten Mengen derselben Substanz
sind, welche in chemischen Verbindungen vorkommen. Es ist z. B. mög-
lich, dass in der Schwefelsäure oder dem Schwefelwasserstoff eine ge-
ringere Menge von Schwefel vorkommt als diejenige, welche in dem
Schwefeldampf als kleinstes Massetheilchen, als Gasmolecül aufhitt; mög-
lich also, dass ein Gasmolecül Schwefel eine Zusammenhäufimg einer
grösseren Anzahl chemischer Atome ist.
Physikalische und chemische Betrachtungen führen also zur An-
nahme kleinster Theile; aber die eine Betrachtung kann nicht zur Bestim-
mung der Grösse der kleinsten Theile überhaupt führen. Man kann aus
den physikalischen Eigenschaften eines Gases z. B. keinen Anhaltspunkt
gewinnen für die Grösse der Erystallmolecüle desselben Eörpers; man
kann ebenso wenig durch das Studium der physikalischen Eigenschaften,
die Grösse der bei chemischen Metamorphosen als kleinste Theile auf-
tretenden Mengen direct herleiten. A priori wenigstens können die
kleinsten Theile, die man, gestützt auf physikalische Betrachtungen, in festen,
flüssigen oder gasförmigen Eörpern annimmt, weder untereinander noch
mit den bei chemischen Metamorphosen als kleinste Massetheilchen er-
scheinenden Mengen für identisch gehalten werden. Es muss vielmehr
für jede einzelne Substanz erst nachgewiesen werden, ob die bei den ver-
schiedenen Erscheinungen als kleinste Theilchen erscheinenden Mengen
dieselben sind oder nicht.
Die Feststellung der relativen Grösse der kleinsten Theile, deren Be-
wegung die physikalischen Erscheinungen veranlasst (physikalische Atome
oder Molecüle), gehört der Physik zu. Ebenso hat die Chemie nichts zu
thun mit der an sich unfruchtbaren Frage, ob die als chemisch -kleinste
Theilchen erscheinenden Mengen einer weiteren Theilung absolut unf&hig,
ob sie ideell untheilbar (metaphysische Atome) sind. Von ausnehmender
Atom. HolecOL 97
Wichtigkeit für die Chemie ist dagegen die BestimmuDg der relativen
Grrösse der Hassentheilchen, die bei chemischen Metamorphosen als un-
theilbar erscheinen.
Die Betrachtung der chemischen Metamorphosen führt uns nun zu
der Annahme von zwei verschiedenen „kleinsten Mengen/' die schon
dem Begriff nach scharf unterschieden werden müssen , und die wir mit
Atom und Molecfll bezeichnen.
Wir bezeichnen mit Atom die kleinste chemisch untheilbare Menge 162.
von Materie, die wir in Verbindung mit anderen Stofilheilchen an-
nehmen.
Wir nennen Molecül die geringste Menge von Substanz, welche
in freiem Zustand existiren kann, die also als kleinste bei chemischen
Metamorphosen in Wirkung tritt.
Eine chemische Verbindung ist eine Aneinanderlagerung stofflich verschiedener
Atome. Die Salzsäure z. B. enthält Chlor und Wasserstoff*, und es kann für zusam-
mengesetzte Körper überhaupt nicht bezweifelt werden, dass ein Molecül minde-
stens zwei Atome enthält. Auch bei den einfachen (d.h. jetzt noch unzerlegten
Körpern) besteht, wie nachher gezeigt werden wird, die geringste frei existirende
Menge (das MolectÜ) aus mehren Atomen. Die Molecüle der einfachen Körper
unterscheiden sich also von denen der zusammengesetzten dadurch, dass sie aus
einer Aneinanderlagerung gleichartiger Atome bestehen , während bei den zusam.
mengesetzten Körpern ungleichartige Atome zu einem Molecül vereinigt sind.
Die Ursache der Vereinigung der Atome zu Molecülen muss für jetzt einer
den Atomen innewohnenden Anziehungskraft, die wir Affinität oder chemische Ver-
wandtschaft nennen^ zugeschrieben werden. Schon diese Vorstellung lässt es wahr-
scheinlich erscheinen, dass die Atome nie einzeln existiren; die kleinsten frei exi-
stirenden Mengen (MolectÜe) also mindestens zwei Atome enthalten.
Die Molecüle existiren also frei und werden bei chemischen Metamorphosen
verändert', die Atome existiren nie in freiem Zustand und sind durch chemische
Einwirkung nicht veränderlich, nicht theilbar.
Die Bestimmung der absoluten Grösse oder des absoluten Gewichtes
solcher chemisch -kleinsten Mengen, der Atome sowohl als der Molecüle,
ist nun, für^jetzt wenigstens, unmöglich; wir können ihre Grösse nur re-
lativ bestimmen. Es ist desshalb nöthig, Eine Substanz als Ausgangs-
punkt des* Vergleichs , als chemische Einheit anzunehmen und alle
Substanzen in Bezug auf Atomgrösse und Moleculargrösse mit dieser
Einen Substanz zu vergleichen. Als solche Einheit hat man nun aus
mehrfachen Gründen den Wasserstoff gewählt, so zwar, dass man zweck-
mässig den Wasserstoff als Einheit des Atoms und als Einheit des Ge-
wichtes annimmt. Man misst also alle übrigen Körper mit dem Wasser-
stoff: H = 1 Atom = 1 Gewichtstheil.
Um nun die Atomgrösse und die Moleculargrösse der Ele-
mente and der Verbindungen mit einiger Wahrscheinlichkeit herleiten zu
können, ist es nöthig, eine sehr grosse Anzahl von Verbindungen und
eine sehr grosse Anzahl chemischer Metamorphosen der Betrachtung und
K«k«U, or|U. Chemie. 7
98 Theorie.
VerleiohuDg zu unterziehen. Ausfahrliche Betrachtungen über diesen 6e-
genstand gehören indess in das Gebiet der allgemeinen theoretischen Che-
mie, hier kann nur an wenigen Beispielen gezeigt werden, welche Be-
trachtungen wesentlich zur Annahme einer bestimmten Atomgrösse und
Moleculargrösse veranlassen.
Bestimmung der Atomgrösse der Elemente.
163. Nach dem §. 162 gegebenen Begriff von Atom ist es einleuchtend,
dass schon eine einfache Betrachtung der existirenden Verbindungen über
die relative Grösse der Atome eine gewisse Auskunft geben wird. Wenn
man z. B. die Sauerstoffverbindungen mit den Schwefelverbindungen und
den Chlor - oder Bromverbindungen derselben Elemente oder Radicale *}
vergleicht, so findet man, dass unter den Sauerstoff- und Schwefelverbin-
dungen eine weit grössere Mannigfaltigkeit stattfindet als unter den Chlor-
und Bromverbindungen ^ dass die Zahl der ersteren weit grösser ist wie
die der letzteren; dass namentlich Oxyde und Sulfide von zwei verschie-
denen Elementen oder Kadicalen regelmässig vorkommen, während
die entsprechenden Chloride oder Bromide nie (oder doch höchst selten)
bekannt sind. Z. B. **) :
Oxyde.
Sulfide.
Chloride.
Bromide.
H H
0,
H H
s.
H Ol
H Er.
K H
0.
K H
s.
fehlt.
fehlL
K E
0,
K K
s.
K Gl
K Er.
(C,H.) H
0,
(C,H.) H
s.
fehlt.
fehlt
(C,H.) K
0,
(C,H.) Hg
s.
fehlt
fehlt
(C,H,) (C,H.)
0.
(C,H.) (C,H,)
s.
(C,HJ Cl
(C,H J Er.
(C,H,0,) H
0,
(C.H,0,) H
s.
fehlt.
fehlt
(C,H,0,) K
0,
(C,H,0,) Pb
s.
fehlt.
fehlt
(C,H,0,XC,H,)
0,
(C,H,0,KC,HJ
s.
feldt.
fehlt
(C,H,0,XC,H,0,) 0,
(C,H,O.KC,H»OJ
' s.
(C,H,00C1
(C,H.O,) Br.
Dies führt
zu
der Ansicht, dass
die
mit 0] und
Ss^ bezeichne-
ten Mengen Sauerstoff und Schwefel nicht zwei Atome, sondern viel-
mehr ein untheilbares Ganze, ein chemisch kleinstes Theilchen,
ein Atom sind. So dass die zwei Atome von Elementen oder Radica-
len, die mit O2 und S2 verbunden sind, durch die Untheilbarkeit der durch
Oj und S2 ausgedrückten Mengen zusammengehalten werden. Bei den
Chloriden und Bromiden dagegen spricht die Nichtexistenz solcher inter-
*) Unter Radical verstehen wir vorerst Atomgruppen , die sich den Elementen
ähnlich verhalten.
**) In den folgenden Entwicklungen bedienen vt^ir uns zunächst der alten von vie-
len Chemikern noch gebrauchten Atomgrössen, um so die grössere Wahr-
scheinlichkdt und Zweckmässigkeit der neuen besser hervortreten zu lassen.
AtomgröB^e. 99
nediärer , d. h. zwei yerschiedene Radi(>ale oder Elemente enthaltenden
Verbindungen dafür, dass eine solche Ursache des Zusammenhaltens nicht
stattfindet, wdl die mit Cl und Br bezeichneten Mengen Chlor oder Brom
wirklich die kleinsten chemisch-unth eilbaren Mengen, also diechemischen
itome darstellen.
Deutlicher noch als bei der Betrachtung der bestehenden Yerbin- l^^«
düngen zeigt sich diese Verschiedenheit bei einzelnen Metamorphosen.
Wenn man z. B. dureh Einwirkung von Füinffachschwefelphosphor oder
Ton FOnffaohehlorphosphor den Sauerstoff des Alkohols oder der Essig-
8&ure durch Schwefel oder durch Chlor ersetzt, so entsteht:
AlkohoL Mercaptan. Aethylchlorid -{-
Salzsäure.
Essigsäure. Thiacetsäure. Acetylchlorid 4^
Salzsäure.
C,H,0,|q^ C,H,OJg^ C,H,0,,C1
Während also durch den Sauerstoff und durch den Schwefel die
Gruppen C4H5 und H, C4H3O2 und H zusammengehalten werden, weil
die mit 0^ and S2 bezeichneten Mengen ein chemisch untheilbares
Ganze, ein Atom darstellen; tritt ein Zerfallen in zwei Körper ein, so-
bald an die Stelle des Sauerstoffs Chlor tritt, weil die das eine Atom
Sauerstoff CO2) ersetzende Menge Chlor (Cl,) chemisch theilbar ist; mit
andern Worten, weil Clj z=z 2 Atomen Chlor ist.
Ebenso deutlich tritt diese Verschiedenheit hervor bei dem von
Frankland untersuchten Verhalten des Zinkäthyls gegen Sauerstoff, Schwe-
fel, Chlor und Brom; es entsteht dabei:
ZinkiChyL Zxnkäthylat Zinkmercaptid. Aethylchlorid «^ Aethylbromid. -^
Zinkchlorid. Zinkbromid.
C,H,{ C,H,{^ ^^^^{s. C4H,»C1 C,H,,Br
" ' Zn Cl Zn Br
4H5) ^4^5 )/V C^Hj.)«
ZnJ ZnJ"* Znr
Auch hier ist die Verschiedenheit des Verhaltens dadurch veranlasst,
dass die mit Cl] und mit Brj bezeichneten Mengen Chlor oder Brom che-
miseh in zwei Theile zerfallen können, während die mit Oj und S2 ge-
aehriebenen Mengen Sauerstoff und Schwefel chemisch nicht spaltbar sind
ond so den Zusammenhang der zwei Gruppen : C4H5 und Zn veranlassen.
Solche Betrachtungen, die sich leicht vermehren Hessen, fdr die in-
dess hier nur der Weg gezeigt werden kann, führen zu der Ansicht, dass
die seither als 20 und als 2S bezeichneten Mengen Sauerstoff und Schwefel
meht zwei Atome, sondern nur ein Atom darstellen. Da nun die
einzelnen Buchstaben unserer chemischen Formeln die Atome der Ele-
7 *
100 Theorie.
mente darstellen, schreiben wir den Sauerstoff: O = 2 O (alt), den
Schwefel Ö = 2 S (alt).
165. Auch für den Kohlenstoff erscheint eine Verdopplung der seither ge-
bräuchlichen Atomgrösse zweckmässig. Da nämlich keine der besser ge^
kannten Eohlenstoffverbindungen weniger als C2 enthält und da in keiner
eine unpaare Anzahl der alten Eohlenstoffatome vorkommt (also nie C|,
C3, G5 u. s. w.), so ist kein Grund vorhanden, warum man nicht € =
2 C (alt) als Atomgrösse des Kohlenstoffs annehmen solL Es hiesse, bei
dem heutigen Stand der chemischen Kenntnisse, einer alten Gewohnheit
allzusehr Rechnung tragen, wenn man immer noch den Kohlenstoff mit
C (= 6 wenn H = 1) schreiben und so die Formeln aller organischen
Verbindungen unnöthig compUciren wollte.
166. Betrachtungen dieser und ähnlicher Art führen zur Annahme der fol-
genden Atomgrössen:
H = 1 K = 89.2 N = 14 0 = 16*)
Cl = 85.6 Na =
23
P = 81
B =
82
Br =80 Ba =
68.5
Afl = 76
Se =
80
J «127. Ca =
20
Sb = 120
Te =
128
Zn =
82.6
Bi = 208
e =
12
Ag =
108
Si =
28.4.
Bestimmung der Moleculargrösse.
167. Da wir unter Molecül (vgl §. 162) die geringste Menge von Sub-
stanz verstehen, die bei chemischen Reactionen in Wirkung tritt, so ist es
einleuchtend, dass die Betrachtung einer grösseren Anzahl von Reactio-
nen, bei welchen ein Körper auf andere von bekannter (oder als bekannt
angenommener) Moleculargrösse einwirkt, zur Bestimmung der Molecular-
grösse dieses Körpers den nächsten Anhaltspunkt geben wird.
Betrachtet man z. B. alle Reactionen, bei welchen Chlor auf andere
Körper einwirkt, so findet man, dass niemals weniger als zwei Atome
Chlor in Wirkung treten und dass, wenn mehr als zwei Atome Chlor
einwirken, die Anzahl der Chloratome stets eine paare ist. Z. B.:
*) Wie man sieht, können die mit alten Atomgrössen geschriebenen Formeln
mit Leichtigkeit in die neue Schreibweise übertragen werden, üan hat nur
nöthig die Zi£fem, welche die Anzahl der Atome von Sauerstoff, Schwefel,
Selen, Tellur, Kohlenstoff, Siliciumetc. ausdrücken, zu halbiren; während die
Anzahl der Atome der andern Elemente dieselbe bleibt
Umgekehrt werden die Formeln der neueren Schreibweise in die alte ver-
wandelt, wenn man die Anzahl der Atome dieser Elemente (0, S, Se, Te,
6 Si) verdoppelt; während die Anzahl der Atome Wasserstoff, Chlor, der
Metalle etc. dieselbe bleibt
Ifoleciüargröflae. 101
EsaigBftiire . ß^E^B^ + a, = 6, H,C10, + HCl
— ^jH^e, 4- 3 ci, = e, Hci,0, 4- s hci
Eiayi . . . e, H4 4. a, = e, H4ca,
Rropylcn . . 6, H. + Ca, = 6, H,a,
Naphthalin . 6,oH, + G, =6,,H,G,
— e,.H, +2a, = e,,H,ci,
— ^.»Hg +2a, = e,.H,a, +*2Hci
- e.oH. + 8CI, = e,.Clg + ÖHG
Alkohol . . e, H,0 4- Cl, = e, H,e 4- 2 HCl
Aldehyd . . e, H,0 4. Cl. = e, H,0.C1 + HCl
CyanquecksilbereNHg 4- Q, = 6N.C1 4- HgCl.
Dasselbe findet auch bei der Einwirkung von Chlor anf unorganische
Yerbindungen statt; z. B.:
Kalihydrat KH0 4. a, =r CIHO 4- KG u. s. w.
Wir schliessen daraus, dass die geringste Menge Chlor, welche in
fireiein Zustand existiren kann, zwei Atome Chlor enthält; dass also ein
Ufolecfll Chlor aus zwei Atomen Chlor besteht
Eine ähnliche Betrachtung zeigt auch, dass ein Holecül Wasser-
stoff zwei Atome enthält, so dass die Einwirkung des Chlors auf Was-
serstoff sich an die eben gegebene Reihe von Reactionen anschliesst:
H H 4. G, = Ha 4. HCl.
Man kennt in der That keine Reaction, bei welcher weniger als
zwei Atome Wasserstoff in Wirkung treten; und bei allen Reactionen, bei
welchen Wasserstoff austritt, werden stets zwei Atome oder bei grösseren
Mengen eine paare Anzahl von Atomen in Freiheit gesetzt. Z. B.:
Alkohol . . e,H,0 4- KHO = e,H,Ke, 4- 2H,
Aldehyd . .. e,H,e + KHO = e,H,K0, 4. H,
Ameisensäure 2€HKO, = OjO^K, -f. H,
Jodäthyl . . 2e,H,J = e,H,J, 4- e,H, 4- H,
Zucker . . 6eH,,0^ = e.H^O, 4-200, -f 2Hi
Glycerin . . O^R^B^ 4- KHO = OiHjKOt + OHtO^i + 2Hi
Angelicasäure O^HgO, +2 KHO = ejHjKO, + 0,HjKO, 4. H,
Odsfiure . . e,sH,,ei4.2KH0 = e,,H,,KO, + e,H,KO, + H»
Isatin . . . 0,H.NO,4.4KHO = e,H,N 4. 2ee,K, 4. H,
Bittermandelöl 0,H,0 + KHO = O.Hj^KO, 4- Hi
Saligenin . . O^HgOi -f KHO = O^H^KO, -j- 2H,
Cumarinßäure 6,HgO, 4-2KHO = O^HjKO, -f- OiHaKO, 4- H,
Zixnmteänre . O.HgO, 4-2KHO = O^H^KO, 4- 0,H,KO, 4- H,.
Wir schliessen daraus, dass die geringste Menge von frei existiren-
dem Wasserstoff, d. h. ein Molecül, zwei Atome enthält
102 Thcone.
168. In vielen Fällen ist zur Feststellung der Holeculargrösee eine andere
Art der Betrachtung anwendbar, die übrigens zu demselben Resultate
führt
Vergleicht man z. B. die Einwirkung einer Anzahl von Chlorverbin-
dungen auf Ealihjdrat :
Salzsäure . . HCl + KHO = KCl + HH^ WMser
Kupftrchlorid . CuCl + KHO = KCl + CuH0 Kupferoxydhydrat
Chlorcyan , . ON.Cl + KH0 = KCl + eN.H0 Cyansäurc
Aethylchloiid . e,H,.Cl + KHO = KCl + e^H^-HO Alkohol
Acetylchlorid . e,H,O.Cl + KHO = KCl 4- e,H,O.HO Essigsäure
Benioylchlorid e,H,e.Cl + KHO = KCl + 6,H^O.HO Benzoesäure,
SO findet man, dass alle diese Reactionen analog sind und durch sym-
naetrische Formeln dargestellt werden können; dass n&mlich stetsr Chlor-
kalium gebildet wird neben einem Körper, welcher aus dem angewandten
Ealihjdrat entstanden gedacht werden kann, indem an die Stelle des Ka-
liums der mit dem Chlor verbunden gewesene Res! getreten ist Betradi-
tet man nun die Einwirkung des freien Chlors auf Kalihydrat, so findet
man , dass die Reaction durch die symmetrische Formel dargestellt wer-
den kann:
a Cl + KH^ = KCl 4* CIH^ Unterchlorige Säure.
Wie in den anderen Fällen, so entsteht auch hier Chlorkalium; und
die unterchlorige Säure leitet sich auf dieselbe Weise aus dem Kalihydrat
her, wie dort das Kupferoxydhydrat, die Essigsäure etc. Wenn man also
die oben betrachteten Körper als Chloride, als Kupferchlorid, Cyanchlo-
rid, Aethylchlorid, Benzoylchlorid etc. ansieht, so erscheint das freie
Chlor als Chlorid des Chlors; es enthält zwei Atome Chlor, welche
au einem Molecül vereinigt sind.
Auch die Einwirkung des Cyans auf Kalihydrat ist ganz analog:
CN.CN 4- KHe = K.CN 4. CN-HO.
Das freie Cyan enthält zwei Atome Cyan, die zu einem Mo-
lecül Cyan vereinigt sind.
169. Für das freie Cyan kann man noch auf andere Weise zeigen, dass
seine Zusammensetzung 62N2 isL Aus den Ammoniaksalzen der organi-
schen Säuren entstehen durch Austritt von Wasser die Anride und die
Nitrile. Z. B.:
Benzoesaures Ammoniak: C^HjOj.NH^ — H,0 = C,H,0N Benzamid
C^HjO, .NH, — 2H,0 = C^H^N Benzonitril.
Aus dem Oxalsäuren Ammoniak entsteht ebenso Oxamid und Cyan :
Oxalsaures Ammoniak: 026^4. NjHg — 2 HjO^ = Ca^jNjH^ Oxamid
Ca^^.NaHg — 4H2e = ^^Nj Cyan,
während umgekehrt aus Cyan durch Wasseraufnahme wieder oxalsaures
Ammoniak gebildet wird.
MoleenlargrösBe. 103
Eäne ihnUche Betrachtnng zeigt auch, dass ein Mole cül Stickstoff
zwei Atome Stickstoff enthält. Beim Erhitzen des Salpetersäuren Am-
moniaks entsteht Stickoxjdul, beim Erhitzen des salpetrigsauren Aromo-
Diaks entsteht Stickstoff. Beide Zersetzungen sind offenbar analog. In
beiden BUIlen tritt Wasser aus. Der übrig bleibende Rest ist in dem
einen Fall Stiekoxydul, im anderen Stickstoff. Man hat:
Salpetersaures Ammoniak. Salpetrigsaures Ammoniak.
NO
0 e
N
e 0
N
Ha H,
N
H, H,
StickoaqrduL
Wasser.
Stickstoff.
Wasser.
Da das bei der einen Reaotion entstehende Stickoxydul entschieden einen
Rest (N0) der Salpetersäure enthält in Verbindung mit einem Rest (N)
iea Ammoniaks, so muss man der Analogie nach annehmen, dass der im
anderen Fall frei werdende Stickstoff die Reste der salpetrigen Säure und
des Ammoniaks enthält Jedes ^ frei werdende Molecül Stickstoff enthält
also zwei Atome, von welchen das eine aus der salpetrigen Säure, das
andere aus dem Ammoniak herrührt. Die beiden Atome Stickstoff blei-
ben zu einem Molecül vereinigt, in derselben Weise wie in dem an-
deren Fall K0 und N zu einem Molecül Stickoxjdul (= N^O) vereinigt
bleiben.
Betrachtungen ähnlicher Art führen für die freien Elemente über- 170.
haopt, auch für die Metalle, zu der Ansicht, dass stets (oder wenigstens
in der bei weitem grössten Mehrzahl der Fälle) zwei Atome zu einem
Molecül verbunden sind. Man findet für die Elemente beispielsweise
die folgenden Moleculargrössen:
Wasserstoff Hj
Chlor Cla
Sauerstoff O^
Stickstoff N,
Kalium K,
u. s. w.
Eine grosse Anzahl der einfacheren Verbindungen erscheinen dann 171.
als intermediär zwischen den sie zusammensetzenden Elementen oder
Badicalen z. B.:
H H
E K
a Cl
H H
K K
Cl Cl
Hca
K Cl
(€N) Cl
(eN)H
(ON) K
(e,H j Cl
ClCl
Cl Cl
(ONK^N)
(eN)(eN)
(ONxeN)
(€aHJ(6aHJu.8.w
Für zusammengesetzte Körper sind natürlich dieselben Argu- 172.
mente zur Feststellung der Moleculargrösse anwendbar, wie für die Ele-
mente; bei vielen derselben geben indessen noch andere Betrachtungen
Anhaltspunkte zur Bestimmung der relativen Grösse der Molecüle.
So kann z. B., worauf früher §. 48 schon aufmerksam gemacht
wurde, keine Molecularformel so gewählt werden, dass sie BruchtheUe
104
Theorie.
173.
von Atomen enthält oder dass Körper, deren Holecfll man nach Analogie
Ton ähnlicher Grösse anzunehmen berechtigt ist, Bruchtheile von Atomen
enthalten.
Solange man also dos Atom des Sauerstoffs zu 0 = 8 annahm,
konnte das Wasser als HO (= 9) betrachtet werden; sobald man, wie
dies offenbar geschehen muss, das Atom des Sauerstoffs zu 0 = 16 an-
nimmt, ist, abgesehen von allen übrigen Betrachtungen, keine geringere
Menge Wasser möglich als HjO. Ebenso kann schon aus diesem Grunde
das Molecül Aether nicht C4H5O (= 621150^/2) sein, es muss mindestens
durch die Formel C8H|q02 (^^^ 0J3.iq^) ausgedrückt werden.
Ganz dasselbe gilt von dem Schwefelwasserstoff und von allen
Schwefelverbindungen. Das Wasser und der Schwefelwasserstoff müssen,
weil keine geringere Menge von Sauerstoff möglich ist, als 0 = 16 und
keine geringere Menge von Schwefel als B = 32, mindestens zwei Atome
Wasserstoff im Molecül enthalten, so dass ihre Molecularformeln = H^O
und E^B sind. '
Die s. g. Hydrate erscheinen dann als intermediär zwischen dem
Wasser und den trockenen Oxyden, gerade so wie nach der früheren Be-
trachtung (§. 171) die Salzsäure intermediär ist zwischen dem Wasserstoff
und dem Chlor, das Cyankalium intermediär zwischen dem E[alium und
dem Gyan. Z. B.:
174.
Eali-
hydrat
a. Eali.
Unterchlorige
Säure als Hy-
drat u. was-
serfrei.
Alkohol u.
Aether.
Essigsäure n.
Essigsäure-
anhydrid.
Essigsaares Eali
u. Essigsfiure-
anhydrid.
HH0
E H0
KEe
HH 0
CIH 0
CICIO
H H 0
(GaH,) H 0
(e,H,XG,H,)0
H H 0
(GaHje) H 0
E EG
(GaHjG) E G
(GjH,G)(GjH,G)G
Ebenso ist das Schwefelwasserstoffschwefelkalium intermediär zwi-
sehen dem Schwefelwasserstoff und dem Schwefelkalium, das Mercaptan
intermediär zwischen dem Schwefelwasserstoff und dem Schwefeläthyl etc.
liumsiilfhydrat und
Ealiumsulfid.
Mercaptan und
Schwefelfithyl.
Schwefelquecksilber und
Quecksilbermercaptid.
H H 6
E H 6
E E 6
H H S
(G^H,) H B
(G,H,) (GaHJ S
Hg Hg B-
(GjHj Hg e
(G,H,) (GaH,) e
In der That lässt sich leicht durch vergleichendes Studium der Me-
tamorphosen verfolgen, dass diese Körper wirklich intermediär sind, in-
sofern sie als Zwischenglieder bei den .Reactionen gebildet werden.
Es sind dies genau dieselben Betrachtungen, welche schon seit lange
(vgl. Theorie der mehrbasischen Säuren §. 132) zu der Ansicht geführt
haben, dass die Moleculargrösse vieler Säuren (der zweibasischen Säuren)
doppelt so gross angenommen werden muss, als es vorher geschah. So
HoleenlargrOsfle.
105
Bernsteinsäure.
Oxalsäure.
Schwefelsftare.
Ty^H^'^^ H li
03^4 H H
D'O'4 H H
ijJA.^Tj'^ H. ii.
6304 H K
'&O4 H K
^4**'1^4 **^ '^
0^04 K K
1704 H. J^
eSi^t («A) K
e,e4(^2H5) K
«4Hie4(€,H,)(0,H,)
e,04(^A)(^aH5)
6e4(€,H,)(e,H,)
€A04(e,H,) H
0,04 (^aH,) H
604 (02H5) H
T/^U^TT^ 11 xl
€,04 H H
&04 H M
dass die saaren Salze (2) als intermediär zwischen dem Sänrehjdrat (1)
nnd dem neutralen Salz (3); die Salze der s. g. Aethersäuren (4) inter-
mediär zwischen dem neutralen Salz und neutralen Aeiher (5) und die
8. g. Aethersäuren (6) intermediär zwischen dem neutralen Aether und
dem Säurehydrat erscheinen. Z. B.:
WeinsSnre.
1. e.A^« H H
2. 04H404 H K
8. '04H404 K K
4. e^4&, («A K
6. '041140^(02^5 H
7. 0^04 H H
genau so wie die Hydrate (§. 173) intermediär, sind zwischen dem Was-
ser und den Oxyden. Eine Betrachtung die zu der einfachen Consequenz
filhrt, dass der Schwefelwasserstoff und das Wasser den zweibasischen
Säuren völlig analog, gewissermassen selbst zweibasische Säuren sind,
bei welchen nur der mit den zwei Atomen Wasserstoff verbundene Theil
ein Element ist, während er bei den eigentlichen zweibasischen Säuren
aus mehren Atomen besteht
Die Existenz intermediärer Verbindungen gibt also häufig 175.
Anhaltspunkte zur Feststellung der Holeculargrösse. Die Existenz der
intermediären Aether (Aethylmethyläther u. a.) würde also allein schon,
selbst wenn die Untheilbarkeit der im Aether enthaltenen Sauerstoffmenge
nicht dazu nöthigte, Veranlassung sein müssen, die Holecularformel des
Aethers zu OJi^,GJB.^.B anzunehmen;
Aethylfither.
0AU
«aH5r
Aethylmethyläther.
0H,r
Ifethyläther.
0H,U
Essigsäureanhydrid.
0afl30r
Essigsäure • Benzoe-
säureanhydrid.
02Hj0Jrv
6^0^
Benzoesäureanhydrid.
0,H50I^
e,H50}^
Benzoesänreanhydrid.
Nitrobenzoebenzoe-
fiäureanhydrid.
Nitrobenzoesänreanhydrid.
0,H.|(N02)0J^
0,H4(N0a)0r
Ebenso müssen schon der Existenz der intermediären wasserfreien
Säuren wegen, abgesehen von anderen Gründen, die Formeln der wasser-
freien Säuren mit zweimal demselben Radical geschrieben werden.
Ganz besonderes Interesse bietet in der Beziehung das NitrobenzoS-
benzoSsäureanhydrid; ein Körper, welcher offenbar als Nitrosubstitutions-
product des Benzoesäureanhydrids betrachtet werden muss und der inter-
mediär ist zwischen diesem und dem NitrobenzoCanhydrid.
106 Theorie.
Das Zerfiailen der Anhydride mit Wasser erscheint dann dem Zer-
fallen der intermediären Anhydride völlig analog:
Essigsäureanhydrid. Wasser. Esßigsäurehydrat. Essigsäurehydrat.
Eesigsäurebenzoe- Essigsäure- Bensoesäure-
anhydrid. hydrat. hydrat
tfM^ + ?!^ = ^^'^^ + ^'^ü^
nur dass im ersten Fall die beiden entstehenden Hydrate identisch, im
letzteren dagegen verschieden sind.
Dass dies wirklich so ist, zeigt sich deutlich bei Einwirkung der
wasserfreien Thiacetsäure auf Wasser :
Thiaeetsäureanhydrid. Wasser. Thiacetsäure. Essigsäure.
SS?!« + ?K = ^-^'^ + ^"^'^
Eine Zersetzung*), welche dem seit lange bekannten Zerfallen des
Schwefelbaryums zu Schwefelwasserstoffschwefelbaryum und Barythydrat
vollständig analog ist:
13' + S» = il« + 11*.
176. Von der Holeculargrösse der chemischen Verbindungen gilt übrigens
dasselbe wie von der Grösse der Atome. Eine ex acte Bestimmung,
auch nur der relativen Grösse der Molecüle, ist nicht ausflihrbar. Durch
Betrachtung einer grossen Anzahl von Verbindungen , durch Vergleichung
einer grossen Anzahl von Metamorphosen findet man diejenigen Atom - und
Moleculargrössen , deren Annahme die Eigenschaften der Verbindungen
und die Vorgänge bei Metamorphosen in umfassendster, einfachster und
klarster Weise auffassen und darstellen lässt, die also zweckmässig
und wahrscheinlich erscheinen, aber desshalb immer nicht bewie-
sen sind.
Im weiteren Verlauf dieser Betrachtungen und gelegentlich der Be-
schreibung einzelner Verbindungen wird sich häufig Gelegenheit bieten
auf Anhaltspunkte zur Feststellung der Atom- tind Moleculargrösse **)
aufmerksam zu machen, so dass es unnöthig erscheint, hier eine grössere
Anzahl von Beispielen anzuhäufen.
•) Wäre das Essigsäureanhydrid , wie dies von den Anhängern der älteren
Theorie angenommen wird = C1H3O3 und ginge cr durch Aufnahme von
HO in Essigsäurehydrat über, so müsste das Thiaeetsäureanhydrid €4113028
durch Aufnahme von HO eine Säure von der Formel CjH^OaS liefern , wäh-
rend es dabei zu Thiacetsäure und Essigsäure zerfUlU.
**) vgl. besonders: Beziehungen zwischen Dampfdichte und Moleculargrösse.
Atomgewidit Jtokeenlargewicht. 1^
Atomgewicht — Moleculargewichk
Die chemischen Verbindungen sind, wie oben ($. 162) erwähnt, als, 177.
durch unbekannte Ursachen zusammengehaltene Gruppen von Atomen der
Elemente zu betrachten.
Gerade so wie die Atome der Elemente constante (oder wenn über-
haupt, dann jedenfalls innerhalb sehr enger Ghrenzen schwankende) Grös-
sen sind; so sind auch die chemischen Molecüle der Verbindungen, für
dieselbe Substanz, stets gleich gross und gleich schwer.
Atomgewichte nennt man die Zahlen, welche das Gewichtsver-
hältniss der Atome der Elemente ausdrücken; Holeculargewichte
die Zahlen, welche die relativen Gewichte der Molecüle bezeichnen.
Die Atomgewichte und Holeculargewichte sind nur Verhältniss-
zahlen, nicht absolute Grössen. Es ist desshalb im Grund gleichgültig
und vollständig der Willkür und der Convention überlassen, welche Sub-
stanz man als Einheit bei der Wahl dieser Verhältnisszahlen benutzen
will. Man bezieht jetzt fast allgemein (und zwar aus mehrfachen Grün-
den, unter welchen Einfachheit und Bequemlichkeit dermalen die am mei-
sten entscheidenden sind) die Atomgewichte auf das Gewicht von Einem
Atom Wasserstoff als Einheit
Das Moleculargewicht einer Verbindung ist natürlich
gleich der Summe der Atomgewichte der die Verbindung
zusammensetzenden Elemente.
Wie von Atomen und Atomgewichten der Elemente, so spricht man
bisweilen auch von Atomen und Atomgewichten zusammengesetzter Grup-
pen, von deren Zusammengesetztsein man bei den gerade angestellten
Betrachtungen absieht, die man also als den Elementen analoge Körper
(als 8. g. Radicale) betrachtet
Man nennt z. B. GN = Cy ein Atom Cyan; Bfi^=:Ae ein Atom Aethyl.
Das Atomgewicht des Cyans ist also 26 (G = 12 »f- ^ = 14)^ das des Aethyls 29.
Ein Molecül Cyan = 63^3 enthält zwei Atome Cyan, es ist Cy Cy (ähnlich wie
ein MolectÜ Chlor = CI^ ist); das Moleculargewicht des freien Cyans ist also
= 62. —
Aequivalent.
Nachdem im Vorhergehenden die Begriffe von Atom und Molecül 178.
festgestellt worden, ist es möglich, ein klareres Verständniss vom Begriff
des Wortes Aequivalent*) zu gewinnen.
Wir nennen äquivalent diejenigen Mengen verschiedener Substan-
zen, welche chemisch gleich- oder ahn lieh werthig sind, welche also den-
selben chemischen Effect hervorbringen.
Es ist demnach einleuchtend, dass nur bei wirklich ähnlichen Sub-
*) Ygl. Aequivalentgewichtsbestimmung §. 62.
108 Theorie.
stanzen von Aequivalenz gesprochen werden kann. Da aber der Begriff
der Aehnlichkeit an sich schwankend ist, da man bald die eine, bald die
andere Eigenschaft vergleichen, also manchmal Körper in einer Hinsicht
ähnlich finden kann, die in anderer Beziehung nicht die geringste Ana-
logie zeigen, so ist es einleuchtend, dass auch der Begriff von äquiva-
lent ein schwankender sein muss.
179. Wenn man z. B. die Verbindungen des Kaliums mit denen des Silbers
vergleicht, so zeigt es sich, dass in aUen diesen Verbindungen eine be-
stimmte Menge Kalium dieselbe Rolle spielt, wie eine bestimmte Menge
Silber; wir nennen diese Mengen äquivalent — Wir sprechen ebenso von
der Aequivalenz des Chlors und des Broms oder von der Aequivalenz
des Chlors und des Wasserstoffs; oder, indem wir die Salze mit den Säu-
ren vergleichen, von der Aequivalenz von K, Ag oder anderen Metallen
mit H.
In aUen diesen Fällen ist 1 Atom K äquivalent 1 Atom Ag; oder
1 Atom Cl äquivalent 1 Atom Br, oder 1 Atom H oder 1 Atom K oder
Ag. Bei allen diesen Elementen ist ein Atom des einen Elementes
äquivalent einem Atom des andern.
Ganz in derselben Weise ist auch ein Atom Sauerstoff (=0) äqui-
valent einem Atom Schwefel (=: 9).
Es findet indess auch zwischen Körpern, welche eine grössere Ver-
schiedenheit zeigen wie das Chlor und Brom oder die Metalle und der
H eine gewisse, wenn gleich nicht so weit gehende Aehnlichkeit statt
"Wenn wir z. B. die Einwirkung des fünffach Chlorphosphors (PCl^)
oder des fünffach Bromphosphors (PBrj) auf Wasser, auf Alkohol oder
auf Essigsäure betrachten:
H^e + PCI5 = 2HC1 + POCI3
HjO + PBrj = 2HBr + FOBt^ etc.,
so finden wir, dass stets an die Stelle des einen Atoms O, im Wasser,
dem Alkohol oder der Essigsäure, 2 Atome Chlor treten, dass also 2
Atome Chlor oder Brom denselben chemischen Effect ausüben wie 1 Atom
0; mit andern Worten, dass 2 Atom Cl oder 2 Atom Br äquivalent sind
1 Atom 0. Ebenso ist auch 1 Atom S äquivalent 2 Atom Cl oder 2
Atom Br und mithin 2 Atom H.
180. Man spricht also von der Aequivalenz der Atome unter
einander und man findet, dass häufig:
1 Atom des einen Elements Einem Atom des andern äquivalent
ist, z. B.:
1 At H äq. 1 At Cl, äq. 1 At Br, äq. 1 At K oder Ag etc.
oder 1 At. 0 äq. 1 At. S.
Dass aber oft auch 1 Atom des einen Elements äq. ist 2 Atomen
eines anderen, z. B. :
1 At 0 äq. 2 At Cl, äq. 2 At. H etc.
1 At S äq. 2 At Cl, äq. 2 At Br etc.
Aeqmyalent 109
In derselben Weise wie man Atome untereinander in Beziehung auf 181.
ihren chemischen Effect vergleichen kann, so können auch Molecüle mit
Molecfllen — aber nie mit Atomen verglichen werden; und man kann,
wie von der Aequivalenz der Atome untereinander, so auch von Aequi-
valenz der Molecüle untereinander sprechen.
So ist z. B.: 1 Mol. HCl äquivalent 1 Mol. HBr
und ebenso 1 Mol. KCl „ 1 Mol. AgClu.äq.lMol.HCletc.
Dehnt man die Betrachtung noch weiter aus, so kann man auch
sagen:
1 Mol. HCl äq. 1 Mol. H2 oder 1 Mol. Gl, oder 1 Mol. E, etc.
Ebenso ist: 1 Mol. HjO äq. 1 Mol. E^S oder 1 Mol. EjS etc.
Vergleicht man aber das Wasser oder den Schwefelwasserstoff mit der
Salzsäure oder dem Bromwasserstoff, so findet man stets, welche Reac-
tionen man auch vergleichen mag, dass
1 Mol. H2O äq. ist 2 MoL HCl oder 2 MoL HBr.
1 Mol. HjS „ „ 2 Mol. HCl oder 2 MoL HBr.
Lässt man z. B. Kalium (= K2) auf Schwefelwasserstoff und auf
Salzsäure einwirken, so wird, um ein neutrales Salz zu bilden, für 1 Mol.
Kalium 1 MoL HjÖ, dagegen 2 MoL HCl erforderlich sein. 2 MoL HCl
bringen also denselben Effect hervor wie 1 MoL H2d; d. h. 2 MoL HCl
sind äq. 1 MoL H29.
Dasselbe zeigt sich bei Yergleichung der Säuren untereinander. Ver-
gleicht man z. B. die HCl , die Salpetersäure N03H und die Essigsäure
62H4O2 ^ Bezug auf ihre Fähigkeit Salze zu bilden , also Basen zu neu-
tralisiren, so findet man: um eine bestimmte Menge einer Base zu sätti-
gen, sind gleichviel Molecüle der verschiedenen Säuren erforderlich (was
sich leicht schon daraus herleiten lässt, dass alle diese Säuren eine gleich-
grosse Anzahl von durch Metalle vertretbaren Wasserstoffatomen enthal-
ten), mithin ist:
1 MoL HCl äq. 1 MoL NO3H und äq. 1 Mol. ejHiOa-
Vergleicht man ebenso die Weinsäure, die Berns teinsäure, die Oxal-
säure und die Schwefelsäure untereinander, so zeigt sich, dass auch bei
diesen Säuren 1 Mol. der einen stets 1 MoL der andern äquivalent ist.
1 MoL efi4ßt'^i äq. 1 MoL e4H4e4.H2 äq. 1 MoL e204.H2 äq. 1 MoL
&V4,H2.
Alle diese Säuren sind zweibasisch, sie enthalten in 1 Molecül 2
Atome durch Metalle vertretbaren Wasserstoff.
Vergleicht man dagegen eine der eben besprochenen zweibasischen
Säuren mit der Salzsäure, der Salpetersäure, der Essigsäure oder irgend
einer anderen einbasischen Säure, so findet man:
1 MoL einer zweibasischen Säure ist äq. 2 MoL einer einbasischen, z. B.
1 Mol. Se4H2 äq. 2 MoL HCl oder 2 MoL e2H4e2
1 MoL 62O4H2 äq. 2 MoL HCl oder 2 MoL esH^e,}
110 Theorie.
insofern man nftmlioh eine doppelt so grosse Anzahl von Salzsäure- oder
von Essigsäuremolecülen braucht, um eine bestimmte Menge von Base zu
neutralisiren , als Molecüle der zweibasischen Säure (Schwefels&ure oder
Oxalsäure) für dieselbe Menge ron Basis erforderlich sind.
Dieselbe Betrachtung zeigt, dass fiir die dreibasisohe Phosphorsäure
PO4H,
1 Mol. Pe^ äq. 3 Mol. HCl, äq. IV2 Mol. SO^Hj
oder
2 Mol. FOÄ äq. 3 Mol. ä&^E^.
182. Man sieht also, bei den Moiecülen findet dasselbe statt wie bei den
Atomen: in vielen Fällen ist 1 MoL der einen Subst äq. 1 MoL der andern;
in andern Fällen dagegen sind 2 MoL der einen Bubstanz erforderlich, um
denselben chemischen Effect hervorzubringen, der von 1 Mol. einer andern
Substanz geleistet wird, es sind dann 2 Mol. der einen Substani« äq.
1 Molecül der anda.*n etc.
133. Es ist nun weiter einleuchtend, dass es bei Feststellung äquivalenter
Mengen ganz auf die Art der Beaction ankommt, bei welcher man die
verschiedenen Substanzen mit einander vergleicht; und dass oft in ver-
schiedenen Beactionen ungleiche Mengen von Einer Substanz äq* sein kön-
nen einer und derselben Menge der andern Substanz.
Wenn man z. B. die Einwirkung des Wassers H2O, des Alkohols
OjH^O und der Essigsäure O2H402 auf Phosphorsuperchlorid vergleicht:
so zeigt sich, dass eine gleich grosse Anzahl von Moiecülen der drei Sub-
stanzen nöthig ist, um auf das Phosphorsuperchlorid denselben Effect aus-
zuüben, d. h. um es in Phosphoroxychlorid zu verwandeln:
PCI, + H,e = PeClj + 2 HCl
PCI5 + e^E^e = POCI3 + HCl + OaHsCl
PCI5 + CjH^ej = POCI3 + HCl -f ejHgeci;
in diesen Reactionen ist also 1 Mol. H2O äq. 1 Mol. €2HeO, äq. 1 Mol.
T72H4t/2«
Vergleicht man dagegen dieselben Substanzen untereinander in Be-
zug auf ihre Fähigkeit Metall an die Stelle von H aufzunehmen, so zeigt
sich, dass:
1 Mol. H2e äq. 2 Mol. CaH^O äq. 2 Mol. e2H4e2,
weil in dem Wasser 2 Atome durch Metall vertretbaren. Wasserstoffs ent-
halten sind, während der Alhohol und die Essigsäure nur 1 At. durch
Metalle ersetzbaren Wasserstoff im Molecül enthalten.
Vergleicht man ebenso die Schwefelsäure mit dem Wasser in Be-
ziehung auf diese Vertretbarkeit des Wasserstoffs durch Metall, so ist:
1 Mol. HjO äq. 1 Mol. 9e4H2,
insofern beide 2 Atome H enthalten, die durch Metalle ersetzbar sind.
Vergleicht man dieselben zwei Substanzen in Beziehung auf die Wirkung,
die sie auf Phosphorsuperchlorid ausüben, so ist:
2 MoL Hb0 äq. 1 Mol. Q&^E2,
Aeqwaleiit Hl
denn man hat:
2PCI5 + 2H,e = 2PeCl, + 4HC1
2PCI5 + mjaii= 2Peci, + 2HC1 + 00401,.
Man sieht ans all dem, dass man von äquivalenten Mengen nur fOr 184.
bestimmte Reactionen sprechen kann, bei welchen man die Körper ge-
rade vergleicht; dass nicht ein für allemal und für alle Reactionen eine
bestimmte Menge der einen Substanz einer bestimmten Menge einer
andern Substanz äquivalent ist; dass das Aequivalent also keine sich
immer gleich bleibende Menge von Substanz bezeichnet und dass es dess-
halb völUg unzulässig ist, Atom und Aequivalent (wie dies häufig ge-
schieht) zu identificiren.
Man gebraucht nun häufig das Wort Aequivalent noch in einem et- 186.
was anderen Sinn. Man spricht z.B. von Einem Aequivalent Sauer-
stoff' oder von Einem Aequivalent Schwefelsäure oder von Einem
Aequivalent Phosphorsäure. Auch dabei vergleicht man stets (in der Idee
wenigstens) den in Rede stehenden Körper mit einer andern einfacheren
Substanz, mit welcher er gewisse AehnlicUkeit hat und die bei dem Ver-
gleich als Einheit vorschwebt.
1 Aeq. Sauerstoff ist z. B. die Menge Sauerstoff, welche mit 1
Atom H oder mit 1 Atom Gl äquivalent ist; da nun
1 Atom Sauerstoff =r O äq. ist 2 At. H, oder 2 At Cl, so ist:
Vj Atom Sauerstoff = Oi/, äq. 1 At. H, oder 1 At Cl;
d. h. Ol/, ist Ein Aequivalent Sauerstoff.
Ebenso ist ein Aequivalent Schwefelsäure die Menge Schwefelsäure,
welche mit Einem Molecül Salzsäure äq. ist Da nun
1 Hol. Schwefelsäure = Se4H2 äq. ist 2 Mol. HCl, so ist:
1/2 Mol. Schwefelsäure = Si/^e^H äq. 1 Mol. HCl,
also 1 Aeq. Schwefelsäure ist = 1/2 MolecQl Schwefelsäure.
In derselben Weise ist:
1 Aeq. Phosphorsäure = ^3 Molecül = Fi/^ßi/ß.
Denn:
1 Mol. Phosphorsäure = PO^Ha äq. 3 Mol. HCl oder
1 Molecül = 3 Aequivalent;
1/3 Molecül also = 1 Aequivalent
Man sieht aus den wenigen Beispielen schon, dass fUr die Säuren
allgemein diejenige Menge 1 Aequivalent ist, welche 1 Atom durch
Metall ersetzbaren Wasserstoff enthält —
Ganz in derselben Weise ist 1 MoL Eisenchlorid =r (FcjClj) äquiva-
lent 3 Mol. KCl; mithin ist 1 Aequivalent Eisenchlorid •= 1/3 Molecül =
Fev.Cl*).
•) vgl S. 62.
112 Theorie.
186. Wie früher (§. 63) schon erwähnt, drücken die chemischen Fonnebi,
deren wir uns bedienen, die Moleculargrösse (vgl. §. 167 ff.) der dar-
gestellten Verbindungen aus; die einzelnen Buchstaben derselben bezeichnen
die Atome der Elemente (vgl. §. 163 ff.).
Bisweilen ist es indessen zweckmässig, statt in Molecularformeln
in Aequivalent formein zu schreiben, weil diese direct die Mengen
von Substanz ausdrücken, welche gleichen chemischen Effect hervorbrin-
gen« Man kann also die Salzsäure, Schwefelsäure und Phosphorsäure, z.B.:
HCl 9i/,02H Pi/,OvjH
schreiben, wo dann die Formeln äquivalente Mengen ausdrücken. Dass
in diesen P'ormeln Bruchtheile von Atomen vorkommen, ist von keinem
Belang, weil diese Formeln nicht exisürende Mengen, sondern nur Ver-
hältnisse darstellen sollen.
187. Ebenso ist es für einzelne Betrachtungen von Vortheil, den Buch-
staben, mit welchen wir die Formeln schreiben, nicht den Sinn unter-
zulegen, den wir ihnen gewöhnlich beilegen, sie also nicht für Atome,
sondern für äquivalente Mengen der Elemente gelten zu lassen. Na-
mentlich bei Vergleichung complicirt zusammengesetzter Salze; und ganz
besonders der Salze derjenigen Metalle, welche verschiedene Aequivalente
besitzen, ist eine solche Schreibweise der Formeln häufig von Vortheil und
gestattet eine leichtere üebersicht, und ein leichteres Vergleichen der ver-
schiedenen Salze.
Da diese Schreibweise der Formeln, bei welcher die Zeichen nicht die
Atome, sondern die Aequivalente bezeichnen, für manche Betrachtungen von
Vortheil ist und da sie von einzelnen Chemikern mit Vorliebe, von andern wenig-
stens in einzelnen Fällen gebraucht wird, so kann sie hier nicht ohne Ei*wähnung
bleiben. Eine ausführliche Erörterung dieses Gegenstandes gehört indess in das
Gebiet der allgemeinen theoretischen Chemie, und es kann hier nur das Wesent-
lichste dieser Darstellungs- und Betrachtungsweise mitgetheilt werden*).
Wenn man das Eisenchlorür mit dem Eisenchlorid, das Eisenoxydul mit dem
Eisenoxyd \ wenn man überhaupt die s. g. Eisenoxydulverbindungen mit den Eisen-
Oxydverbindungen und mit den correspondirenden Verbindungen eines anderen
Metalles (Kalium z. B.) vergleicht; so findet man, dass in dem Eisenoxydul und
allen seinen Verbindungen 28 Gewichtstheile Eisen äquivalent sind 39.2 Gewichts-
theilen Kalium, während in dem Eisenoxyd, dem Eisenchlorid und allen Eisenoxyd-
salzen 18,7 Gewichtstheile Eisen derselben Menge Kalium äquivalent sind.
Wenn man also Fe = 28 (wenn K = 39,2 und H = 1) als Atom des Ei-
sens annimmt, so ist in dem Eisenoxydul und seinen Verbindungen:
1 At. Fe äq. 1 At. K.,
in dem Eisenoxyd und seinen Verbindungen dagegen:
Vi At. Fe äq. 1 At. K.
Mit anderen Worten 1 Atom Eisen des Eisenoxyduls ist äquivalent */« Atom Eisen
des Eisenoxyds. Es ist demnach nur der Ausdruck einer Thatsache, wenn man
dem Eisen zwei verschiedene Aequivalente beilegt.
*) vgl. Übrigens: Lehrbuch der physikalischen und theoretischen Chemie von
Buff, Kopp und Zamminer. S. 682—685.
Aequivalent. 113
Vergleicht man z. 6. dcis EisenchlorOr mit dem Eisenchlorid und mit dem
Oilorkalinm , so hat man:
1 Mol. KCl ist ftq. 1 Mol. FeCl und &q. i/, Mol. FesCl,,
mithin:
KCl äq. FeCl äq. Fe»/,C1.
Ein Aequivalent Eisenchlorid ist demnach Fea/,G1 oder, wie man statt
dessen schreibt feCl, worin fe = \ Fe (also = 18,7 Gewichtstheile Eisen).
Aequivalente Mengen der verschiedenen Eisenverbindungen können demnach
ausgedrückt werden durch die Formeln:
EisenchlorOr: FeCl feCl Eisenchlorid.
Eisenoxydul: Fe^O fe^O Eisenoxyd.
Schwefelsaures Schwefelsaures
Eisenoxydul: Fe^BO^^ fe2Ö04 Eisenoxyd.
Ein ähnliches Verhalten wie das Eisen zeigen noch eine Anzahl anderer Me-
talle z. B. Chrom, Kobalt, Gold, Platin, Kupfer, Quecksilber etc. Wenn man die
in den verschiedenen Verbindungen dieser Metalle einander äquivalenten Mengen
Biit besoniieren Buchstaben bezeichnet, so kann man schreiben:
1 Aeq. Chromchlorür = CrCl
1 Aeq. Chromchlorid = crCl,
worin CT = */,Cr; ebenso für Kobalt co = ^/, Co.
Ftlr Gold hat man:
1 Aeq. Goldchlorür = AuCl
1 Aeq. Goldchlorid = auCl,
worin au = ^/j Au. Für Platin :
1 Aeq. Platinchlorür = PtCl
l Aeq. Platinchlorid = ptCl ,
worin pt = */j Pt.
Für Quecksilber (und ebenso für Kupfer) ist:
1 Aeq. Quecksilberchlorid = HgCl oder hgCl
1 Aeq. Quecksilberchlorür = ÄgCl „ HgjCl,
worin Ug = 2Hg oder hg = ^/j Hg etc.
Die Annahme verschiedener Aequivalente für dasselbe Metall ist in
so fem rein Ausdruck der Thatsache, als wirklich verschiedene Mengen sol-
cher Metalle unter sich und mit einer bestimmten Menge eines anderen Metalls
äquivalent sind. Sie widerspricht in keiner Weise dem Gesetz der multiplen
Proportionen, nicht einmal der atomistischen Theorie, wenn man sich daran erin-
nert, dass die so geschriebenen Formeln nicht Molecüle, sondern nur äquiva-
lente Mengen ausdrücken sollen und dass die mit dem Buchstaben bezeichneten
Mengen der Elemente nicht Atome, sondern äquivalente Mengen der Ele-
mente bezeichnen.
Man überzeugt sich leicht davon, dass die Vortheile, welche der Gebrauch
dieser verschiedenen Aequivalentzeichen für dasselbe Element darbietet,
am deutlichsten hervortreten, wenn man die Salze z. B. vergleicht, welche eine und
dieselbe Säure mit verschiedenen Metallen zu bilden im Stande ist, und wenn man
dabei auf die Verschiedenheit des Metalls nur verhältnissmässig untergeordneten
Werth legt Die Schreibweise lässt es dann besonders deutlich hervortreten, dass
alle Salze aus der Säure hergeleitet werden können, indem der Wasserstoff durch
eine äquivalente Menge vom Metall ersetzt wird. Z. B.:
KekaU, orgaa. Chemie. S
114 Theorie.
Oxalsäure ^AO^
Saures oxalsaures Kali OaKH04
Oxalsaures Kali B^^i^t
Oxalsaures Eisenoxydul O^Fe^'O-«
Oxalsaures Eisenoxyd Osfe^-O«
Oxalsaures Eisenoxyd-Kali .... 'G^feKO^
Oxalsaures Chromoxyd-Kali .... ß^^KB^
Oxalsaures Quecksilberoxyd .... B^hg^B^
Oxalsaures Quecksilberoxyul . . . OaKgaO«.
Will man dagegen durch die Schreibweise die Verschiedenheit im Verhalten
und namentlich in den Verbindungsverhältnissen der verschiedenen Metalle
hervortreten lassen, so ist die ato mistische Schreibw^eise der Formeln weit
geeigneter, weü sie deutlich zeigt, dass die verschiedenen Metalle sich in ver-
schiedenen, aber für dasselbe Metall immer oder wenigstens för ganze Reihen
von Verbindungen constanten Verhältnis!?en mit anderen Körpern (Chlor oder Säure-
resten z. B.) verbinden.
Z. B.:
Chlorkalium KCl Eisenchlorür FeCl Eisenchlorid . Fe^Cl,
Eisenoxydul- Eisenoxyd-
Kalihydrat . K(He) hydrat . . Fe(HO) hydrat . . . Fj(He),
Schwefelsau- Schwefelsaur. Schwefelsaures
res Kali . K2(S04) Eisenoxydul Fe2(Se4) Eisenoxyd . Fe4(Se4),
Oxalsaures Oxalsaures Oxalsaures
Kali . . K2(6204) Eisenoxydul Fe2(ej04) Eisenoxyd . ¥e^(BiB^)z
Benzoesaures Benzoesaures Benzoesaures
Kali . . KCe^HaOa) Eisenoxydul FeCe^HjOj) Eisenoxyd . Fe2(e,Hj0,),
Will man endlich, wie dies jetzt gewöhnlich geschieht, durch die chemischen
Formeln die Moleculargrösse der Verbindungen ausdrücken, so bietet der Ge-
brauch der Aequivalentzeichen keinen Vorfheil dar und man bezeichnet dann
die Atome der Elemente mit besonderen Buchstaben, welche eine für jedes Ele-
ment unveränderliche Gewichtsmenge (relativ) ausdrücken.
Die Vortheile der Schreibweise mit Aequivalentzeichen sind also be-
schränkt; sie treten besonders schlagend nur bei einzelnen complicirter zusammen-
gesetzten Körpern hervor. In manchen Fällen aber ist nur eine solche Schreib-
weise der Formeln geeignet^ die Beziehungen verschiedener Substanzen unterein-
ander hervortreten zu lassen. So können z. B. die Beziehungen der verschiedenen
Eisendoppelcyanide (Blutlaugensalz, Berlinerblau etc.) zu einander auf keine andere
Weise so klar dargestellt werden, als durch Aequivalentformeln , deren einzelne
Zeichen Aequivalente der verschiedenen Metalle ausdrücken, (vgl. Eisendoppel-
cyanide.)
Natur der Elemente. Idee der Typen,
188. Wenn man nach den im Vorhergehenden gegebenen Principien die
Atomgrösse der Elemente bestimmt und sie in Bezug auf Aequivalenz
Natur der Elemente. 115
vergleicht, so findet man, dass die Elemente*) in wenige Gruppen ein-
getheilt werden können.
1. Gruppe. Einatomige oder einbasische, d. h. solche, von
welchen ein Atom äquivalent ist einem Atom H.
2. Gruppe. Zweiatomige oder zweibasische, von welchen
ein Atom äquivalent ist zwei Atomen Wasserstoff.
3. Gruppe. Dreiatomige oder dreibasische, von denen ein
Atom äquivalent ist drei Atomen H.
Die Verhältnisse der Eohlenstoffverbindungen finden, wie nachher
gezeigt werden soll, ihre einfachste Deutung, wenn man annimmt, dass
der Kohlenstoff vieratom ig oder vierbasisch ist; so dass also ein
Atom Kohlenstoff äquivalent ist vier Atomen Wasserstoff.
Der Kohlenstoff reiht sich also den drei Gruppen als bis jetzt einziger
Repräsentant einer vierten Gruppe an, welcher indess, wie es scheint,
auch Silicium und vielleicht das Bor, Titan etc. zugehören, deren Ver-
bindungsverhältnisse indessen noch zu wenig erforscht sind.
Die Elemente, welche einer und derselben Gruppe zugehören, zei- 189.
gen untereinander in vielen ihrer Eigenschaften eine grosse Aehnlichkeit
(Gruppeneigenschaften). Sie zeigen namentlich dieselben Verbin-
dungsverhältnisse, d. h. ihre correspondirenden Verbindungen mit
andern Elementen enthalten eine gleich grosse Anzahl von Atomen die-
ser Elemente.
Die derselben Gruppe zugehörigen Elemente besitzen indess auch
individuelle Eigenschaften, welche das eine Element von den an-
dern derselben Gruppe unterscheiden und die sich ebenfalls in die Ver-
bindungen tibertragen.
Die Verhältnisse, nach welchen sich die Atome der Elemente zu 190.
Holeeülen vereinigen (und bei chemischen Zersetzungen vertreten), sind
abhängig und veranlasst von der Basicität dieser Atome.
Ein Atom eines Elementes der ersten Gruppe, ein einatomi-
ges Element, verbindet sich mit einem Atom eines andern Elementes
derselben Ghruppe, z. B.:
HCl KCl H H.
Ein Atom eines zweiatomigen Elementes verbindet sich mit
KW ei Atomen eines Elementes oder zweier verschiedener Elemente der
ersten Gruppe, z. B.:
0H3 eH, GEH.
Ebenso bedarf ein Atom eines dreiatomigen Elementes drei
*) Es handelt sich hier nur um die für organische Chemie wichtigen Elemente
und es bleiben desshalb die bei verschiedenen Metallen vorkommenden com-
plidrteren Yerh^tnisse unberücksichtigt
8*
116 Theorie.
Atome von einatomigen Elementen, um eine Verbindung zu bilden,
z. B.:
NH3 PCI, SbAga.
191. Diese einfachsten Gombinationen der Elemente unter-
einander erzeugen die einfachst zusammengesetzten chemi-
schen Verbindungen, die man also wieder in drei Gruppen eintheilen
kann, welche man durch:
I + I n + 21 m + 3i
bezeichnen könnte, worin die römischen Ziffern dieBasicität der Atome,
die arabischen die Anzahl der Atome ausdrücken. Statt indess diese
Gruppen von Verbindungen in so allgemeiner Weise durch die Zahlen-
verhältnisse der sie zusammensetzenden Atome auszudrücken, zieht man
es meistens vor, aus jeder Gruppe einen Körper auszuwählen, den man
als Repräsentant aller der Körper betrachtet, die derselben Gruppe
zugehören. Man wählt dazu den Wasserstoff, das Wasser und das Am-
moniak :
HH OH, NH3
und bezeichnet diese Körper als Typen oder Haupttjpen.
Wenn wir also einen Körper dem T3^U8 Wasser zuzählen, so heisst dies nichts
anderes als : seinem ganzen Verhalten nach muss er betrachtet werden als eine
Verbindung eines zweiatomigen Elementes mit zwei einatomigen Elementen (oder
Radicalen).
192. In diesen Haupttypen ist jedes Element der Repräsentant zunächst
aller andern Elemente, die derselben Gruppe zugehören.
Man kann also alle Verbindungen, die derselben Gruppe zugehören, mit der
als Repräsentant ausgewählten, dem s. g. Typus vergleichen, indem man z, B. sagt:
das Kalihydrat (KH0) gehört dem Typus Wasser zu, es kann betrachtet werden
als H^^, worin 1 Atom Wasserstoff vertreten ist durch 1 Atom Kalium; oder: die
Salzsäure gehört dem Typus Wasserstoflf zu , sie ist H, , in welchem 1 Atom H
ersetzt ist durch 1 Atom Cl; der Schwefelwasserstoff ist Wasser, in welchem
1 Atom O vertreten ist durch 1 Atom B.
198. Gomplicirter zusammengesetzte Körper können ebenfalls mit diesen
einfachsten Verbindungen verglichen werden, indem man von dem Zu-
sammengesetztsein gewisser Atomgruppen absieht und diese,
bei der gerade anzustellenden Betrachtung als den Elementen analoge
Gruppen, als s. g. Badicale betrachtet
Man kann also sagen: die Cyanwasscrstoffsäure (= GNH) gehört dem Ty-
pus Wasserstoff zu; sie kann betrachtet werden als Wasserstoff, in welchem 1 Atom
H ersetzt ist durch das zusammengesetzte (aus Kohlenstoff und Stickstoff beste-
hende) Radical Cyan (= GN). Ebenso kann man den Alkohol mit dem Wasser
oder mit dem Kalihydrat u. s. w. vergleichen*, man kann sagen, der Alkohol
(= G^H^G) gehört dem Typus HjG zu, er ist Wasser, in welchem 1 Atom H ver-
treten ist durch das zusammengesetzte Radical Aethyl (=: G^Hj), oder: er ist
Kalihydrat (KHG^)) dessen Kalium durch das Radical Aethyl ersetzt ist.
Typen. 117
Wenn miin so zusammengesetztere Verbindungen, indem man von
dem Zusammengesetztsein der Radicale absieht, mit den einfachen Ver-
bindungen vergleicht, also auf die drei Haupttypen zurückführt, so ist in
diesen Haupttjpen jedes Element der Repräsentant nicht nur aller andern
Elemente, die derselben Gruppe zugehören , sondern auch aller Radicale,
die dieselbe Basicität besitzen.
Da bei solcher Ausdehnung der typischen Betrachtung eine sehr 194.
grosse Anzahl von Verbindungen demselben Typus zugezählt werden kann^
ist es für viele Betrachtungen zweckmässig, innerhalb der drei Hauptgrup-
pen (Haupttypen) wieder Unterabtbeilungen zu machen, also Neben typen
anzunehmen. Man rechnet z. B. alle die Verbindungen, die dem Haupt-
typus Wasser (H^O) zugehören, aber statt des Sauerstoffs Schwefel ent-
halten, zu dem Nebentypus Schwefelwasserstoff (H,^).
Man sagt also z. B., das Schwefelwasserstoff -Schwefelkalimn (KHS) gehört
dem Typus Schwefelwasserstoff zu, es kann betrachtet werden als H2$<) in welchem
1 Atom H ersetzt ist durch 1 Atom K; man rechnet ebenso das Mercaptan dem
Typus H^S zu, indem man es als E2B betrachtet, in welchem 1 Atom H durch
das Radical : Aethyl (62H5) vertreten ist. Der Nebentypus Schwefelwasserstoff
wird dabei gewissermassen als eigenthümliche (schwefelhaltige) Modification des
Hauptiypus Wasser angesehen, welcher seinerseits wieder nichts anderes ist als ein
conventionell gewählter Repräsentant aller der Körper, die nach der allgemeinen
Formel 11 4- 21 zusammengesetzt sind.
Man nimmt z. B. die folgenden Nebentypen an:
Haupttypns: HH H^e H,N
Nebentypen: HCl H^S H,P
HBr Ha6e H,As
HJ etc. etc.
etc.
Man sieht nun leicht, dass mehre Molecüle der Typen vereinigt wer- 196.
den können, wenn an die Stelle von mehreren Wasserstoffatomen, (die
dabei selbst nur als Repräsentant aller einatomigen Elemente betrach-
tet werden,) ein Atom eines mehratomigen Elementes tritt.
So kann z. B. der dreiatomige Phosphor drei Molecüle Wasser und
ebenso drei Molecüle Salzsäure zu einem uhtheübaren Molecül zusammen-
halten. Im ersteren Fall entsteht die phosphorige Säure, welche betrachtet
werden kann als 3 Molecüle des Typus HjO, welche durch Eintritt von
ein Atom Phosphor an die Stelle von drei Atomen Wasserstoff zusam-
mengehalten werden:
Typus. Phosphorige Säure.
8 HjO P \r.
im letzteren Fall entsteht das Phosphorchlorür, welches als eine Vereinigung
118 Theorie.
von drei Molecttlen HO betrachtet werden kann, in denen die 3 Atome H
dorch ein Atom P ersetzt sind:
TypxxB, Phosphorchlorür.
3 Ha pca,.
Diese letztere Verbindung kann indessen auch als dem dritten Ty-
pus: m -f- 31 oder NHj zugehörig betrachtet werden, als Nfi^, dessen
N durch P und dessen 3 H durch 3 Cl ersetzt sind.
Ganz in derselben Weise kann das NH3 selbst, also der dritte Haupt-
typus zurückgeftlhrt werden auf den Typus: H^; man kann es betrachten
als 3 H), die durch Eintritt des dreiatomigen Phosphors zu einem Holecdl
zusanmiiengehalten sind; ebenso kann man das Wasser, also den zweiten
Haupttypus betrachten als 2 Mol. H2, in welchem 2 Atome H durch das
zweiatomige Element 0 ersetzt sind.
Man sieht, die verschiedenen Typen können alle auf einen, auf den
Wasserstoff, der dabei selbst nur als Repräsentant der kleinsten Molecu-
largrösse als Einheit des Molecüls betrachtet wird, zurfickgefUhrt werden.
Mit andern Worten: alle chemischen Verbindungen können betrachtet
werden als eine Anzahl ideeller Wasserstoffmolecüle, die durch Eintritt
eines oder mehrerer mehratomigen Elemente oder Badicale zu grösseren
Gruppen zusammengehalten werden.
196. D^ Zurückführen der typischen Betrachtungsweise bis zu dieser
letzten Gonsequenz zeigt deutlich, dass die ganze Anschauung nichts wei-
ter ist als ein Vergleichen der verschiedenen Verbindungen
in Bezug auf ihre Zusammensetzung; nicht etwa eine wirk-
liche Theorie, welche uns die Zusammensetzung selbst ken-
nen lehrt. Die verschiedenen Typen sind also nicht etwa durch völlig
verschiedene Constitution scharf getrennte Klassen von Verbindungen, es
sind vielmehr bewegliche Gruppen, in die man immer die Verbindungen
zusammenstellt, welche den Eigenschaften nach, die man gerade be-
sonders hervorheben will, eine gewisse Analogie zeigen.
197. Zusammengesetzte Atomgruppen, welche, wie früher schon erwUint
wurde und später ausführlicher gezeigt werden soll, häufig eine den Ele-
menten ähnliche Rolle spielen, oder wie man sich ausdrückt als zusam-
mengesetzte Radicale erscheinen, — d. h. so lange man von ihrem
Zusammengeseiztsein absieht, mit Elementen verglichen werden können —
zeigen in Basicität genau dieselben Beziehungen wie die Elemente oder
einfachen Radicale. Sie sind, wie diese:
einatomig, d. h. äquivalent 1 Atom H oder 1 ehem. Einheit
zweiatomig „ „ 2 „ „ „ 2 „ „
dreiatomig „ „ 3 „ „ „ 3 „ „
Typen. 119
Die complidrter zusammengesetzten Verbindungen lassen sich dem- 198.
nach (5. 193) denselben Gruppen einordnen und auf dieselben Typen be-
ziehen, wenn man annimmt, dass ein zusammengesetztes Radical
die ihm äquivalente Menge von Atomen der Elemente in den ein-
fachsten Verbindungen ersetzt
80 kann die Salpetersäure z. B. betrachtet werden als H2O, in wel-
chem l Atom H vertreten ist durch das einatomige Radical NOj; ^^
salpetrige Säure ist dann der diesem abgeleiteten Wasser entsprechende
Wasserstoff, sie erscheint als 1 Molectll H], in welchem 1 Atom H durch
das ihm äquivalente Radical N02 ersetzt ist.
Tjrpufl. Salpetersäure. Typus. Salpetrige Säure.
In ähnlicher Weise kann das Schwefelsäurehydrat betrachtet werden
als 2 MolecOle HjO, die durch Eintritt des zweiatomigen Radicals Sul-
fiiryl = S02 an die Stelle von 2 Atomen H, die den zwei verschiedenen
Wassermolecülen angehörten, zu einem chemisch untheilbaren Ganzen, zu
einem Holecül zusammengehalten werden. Die Ghlorschwefelsäure (Sul-
fuiylchlorid) erscheint dann als zwei in derselben Weise, d. h. durch
Eintritt des zweiatomigen Radicals SOj *) an die Stelle von 2 Atomen H
zusammengehaltene SalzsäuremoleciQe.
Typus. Schwefelsäure. Typus. Ghlorschwefelsäure.
Hl
0 h|o
Die gewöhnliche (dreibasische) Phosphorsäure erscheint bei ähnlicher
Betrachtung als 3 Molecüle Wasser, die durch Eintritt des dreiatomigen
Radicals Phosphoryl = PO an die Stelle von drei Atomen H zu einem
MolecOl vereinigt sind; während das Phosphoroxychlorid die dem Typus
3 HCl zugehörige Verbindung desselben Radicals ist, d. h. als drei durch
Eintritt des dreiatomigen Radicals zusammengehaltene Salzsäuremolecüle
betrachtet werden kann.
Typus. Phosphorsäure. Typus. Phosphoroxychlorid.
Jjje, PGJe, 3 HCl PO.CI3.
Dieselben Betrachtungen, welche §. 195 über die Beziehungen der 199.
drei Haupttypen untereinander angestellt wurden, können jetzt wiederholt
*) Um die Basicität der Radicale in der Schreibweise anzudeuten, bezeichnet
man sie mit darüber gesetzten Strichen, welche die Anzahl der Wasserstoff-
atome ausdrücken, denen das Radical äquivalent istj vgl. §. 156.
120 Theorie.
werden. Die Ghlorschwefelsäure z. B., die man gewöhnlich ab dem Ty-
pus 2 HCl zugehörig betrachtet, kann ebenso als dem Typus HjO zuge-
hörig betrachtet werden, in welchem der zweiatomige Sauerstoff durch
das zweiatomige Radical S02 ^^^ ^^^ beiden Wasserstoffatome durch
Chlor ersetzt sind. Ebenso kann man das Phosphorozjchlorid, statt dass
man es auf 3 HCl bezieht, vergleichen mit dem Ammoniak NH^; man
kann sagen, es gehöre dem Typus NH3 zu und es seien die 3 Atome H
durch drei Atome Cl, der N aber durch die ihm äquivalente, d. h. eben-
falls dreiatomige Gruppe PO ersetzt. Diese verschiedenen Betrachtungen
für eine und dieselben Substanz sind indessen im Grund genommen iden-
tisch, weil (nach §. 195) das H2O und das NH, selbst auf den Typus H^
bezogen werden können und weil die beiden Typen H^O und NH^ nichts
weiter bedeuten als: durch Eintritt mehratomiger Elemente vereinigte
Wasserstoffmolecüle oder, allgemeiner ausgedrückt, zu einem untheilbaren
Molecül vereinigte chemische Einheiten.
200. I^i® Grundidee dieser Ansicht — der Theorie der mehr-
atomigen Radicale — ist also, dass durch Eintritt mehr-
atomiger Radicale, mögen diese nun einfach (Elemente) oder
zusammengesetzt sein, eine grössere Anzahl vorher getrenn-
ter Molecüle zu einem jetzt untheilbaren Molecül vereinigt
werden können.
201. Es ist nun einleuchtend, dass mehratomige Radicale ebensogut, wie
sie die Vereinigung von zwei gleichartigen und demselben Typus zu-
gehörigen Molecülen veranlassen, so auch zwei Molecüle zusammenhalten
können, welche verschiedenen Typen angehören.
Das von Berthelot dargestellte Epichlorhydrin erscheint z. B. als
eine Vereinigung von einem Molecül HjO und einem Molecül HCl, die
durch Eintritt des dreiatomigen Radicals G^Hs an die Stelle der drei
Atome H zusammengehalten werden.
Typus. Epichlorhydrin.
=" «Aß
Ebenso kann das s. g. Chlorschwefelsäurehydrat betrachtet werden als
1 Mol. HjO + 1 Mol. HCl, die durch Eintritt des zweiatomigen Radicals
an die Stelle von 2, den beiden Molecülen angehörenden, Atomen H ver-
einigt sind.
lypuB. ChlorschwefelBäorehydrat
Hl
h}^
't
G.
Typen. 121
In ähnlicher Weise können die von Berthelot aus dem Glycerin
dargestellten Verbindungen: das Monochlorhydrin und das Dichlorhjdrin,
betrachtet werden als IHCI + 2H20 und 2 HCl + iHjO, die durch
Eintritt des dreiatomigen Radicals G^E^ an die Stelle von 3 Atomen H
vereinigt sind:
Typns. Monochlorhydrin. T3rpa8. Dichlorhydrin.
E\r. H x^ /HCl « (Cl
\ - e,H,)ci <HC1
i"^ hW )hT-
'§« »l
während das Trichlorhydrin und das Glycerin selbst als die dem Typus
3 HCl und 3H2O zugehörigen (also dem Phosphoroxychlorid und derPhor-
phorsäure vollständig entsprechenden) Verbindungen desselben Radicals
betrachtet werden:
Typus. Trichlorhydrin. Typus. Glycerin.
{HCl ejHftIci H,f^» ^»"»{e,.
'HCl 'Cl H,>
Die untersohweflige Säure kann nach Odling's Vorschlag betrachtet
werden als eine Vereinigung von HjO mit H2S:
Typus. Unterschweflige Säure.
Die schweflige Säure (als Hydrat betrachtet) erscheint, wenn man
in ihr dasselbe Radical annehmen will, wie in der Schwefelsäure, als dem
Typus H2O -+" H2 zugehörig:
Typus. Schweflige Säure.
(m H
Hl
Auch die s. g. Aminsäuren finden ihre einfachste Deutung, wenn
man sie aofifasst als eine Vereinigung zweier Molecüle: H2O 4~ ^^3, die
durch Eintritt eines zweiatomigen Radicals vereinigt werden, z. B.:
Typus. Sulfaminsäure. Carbaminsäure. Ozaminsäure.
H, H H H
122 Theorie.
202. ^^^ ksxin die eine Art von Verbindungen, die nämlich, bei wel-
chen gleichartige Molectile durch mehratomige Radicale vereinigt sind,
multiple Typen oder Polymertypen; die andern, bei welchen die
zusammengehaltenen Molecüle verschiedenen Typen zugehören: inter-
mediäre oder gemischte Typen nennen.
208. Um diese Betrachtungsweise vollständig klar zu machen, ist es
nöthig, an einzelnen Beispielen die durch mehratomige Radicale möglichen
Combinationen zusammenzufassen.
Ein einatomiges Radical kann nie eine Vereinigung mehrer
Molecüle veranlassen.
Ein zweiatomiges Radical kann, indem es an die Stelle von
zwei einatomigen, resp. von 2 At. H tritt, eine Vereinigung von 2 Molecü-
len veranlassen, die entweder gleichartig oder verschieden sind, z. B.:
Chlorschwefelsäurc. Schwefelsänrehydrat. Carbamid (HamstoiT).
iSOj
»Cl H »^ H
Cl
h{n
Chlorsckwefelsäurehydrat. CiBtrbaminsäure.
H <0 ^j
h;
o.
Ein zweiatomiges Radical kann aber auch zwei Atome H in
einem Molecül ersetzen*), z. B.:
Typns. Schwefelsäure- Kohlensäure. Carbimid
anhydrid. (Cyansäure.)
Ein dreiatomiges Radical kann drei Molecüle der Typen ver-
einigen :
Phosphorsäure. Glycerin. Trichlorhydrin. Chloroform.
pou ^aXu ^A.ci, eä.ci,.
Diese drei Molecüle sind entweder gleichartig, oder wie bei den
früher §. 000 betrachteten Chlorhydrinen ungleichartig. —
Ein dreiatomiges Radical kann ebenso drei Atome H ersetzen,
welche zwei Molecülen angehören, z. B.:
•) Der freie SauerstoiT muss in derselben Weise aufgefasst werden; er ist
O.e.
Typen. 123
Typus. MetophoBphorsäure. Typua. Acediamin.
Hf^
I«
m^ ^H
h{n
Ein dreiatomiges Radical kann endlich, natärlich nur beim
Typus NH3, drei Atome H ersetzen, die einem Molecül angehören, z.B.:
Typns. Acetonitril. BlauBäore.
H,N eaH,.N ek.N.
Die Anzahl der möglichen Verbindungen wird nun dadurch noch 204.
vermehrt, dass mehratomige Radicale, wenn sie mehrmals in die Typen
eintreten, eine grössere Anzahl von Holecülen zu vereinigen im Stande
sind.
80 können z. B. das Nordhäuser Vitriolöl und das ihm entsprechende
von Jacquelin dargestellte Kalisalz betrachtet werden als 3 Mol. HjO, die
dnrch Eintritt von 2 Atomen des Radicals Sulfuryl = SOj zusammen-
gehalten sind:
T^iu. Nordh&nser Vitriolöl. Jacqnelin's Kalisalz.
H»^ H U K U
'5!
^
Ebenso kann nach Odling's Vorschlag die Pyrophosphorsäure be-
trachtet werden als 5 Molecüle H^O, die durch Eintritt von 2 mal dem
Radical PO (Radical der gewöhnlichen Phosphorsäure) vereinigt sind.
T3rpii8. Pyrophosphorsäure.
Jjje, oder Jjje, PO j
PO (^»•
Ebenso wie durch mehrmaligen Eintritt desselben zweiato- 205.
migen Radicals, so können auch durch gleichzeitigen Eintritt mehr er
verschiedener zweiatomigen Radicale eine grössere Anzahl von Mole-
cQlen der Typen vereinigt werden.
So erscheint z. B. die Sulfosalicylsäure dem Nordhäuser Vitriolöl völlig
analog. Beide können dem Typus 3H2O zugezählt werden.
206.
124 Theorie.
Typus. lITordhäuser Vitriolöl. Sulfosalicylsäiire.
hJ^ h }^ H r-
Das Nordhäuser Vitriolöl enthält zweimal das Radieal: Sulfurjl =r
SO2 an der Stelle von je 2 Atomen WasserstoflF; die Sulfosalicjlsäure
enthält dieses Radieal SO2 ^^^ einmal, dagegen sind zwei andere Was-
serstoffatome durch das Radieal Salicyl (= O7H4O) vertreten*).
Eigenschaften der chemischen Verbindungen.
Die Eigenschaften der chemischen Verbindungen sind der Natur der
Sache nach zunächst bedingt durch die Natur der sie zusammensetzenden
Atome. Man wird also einerseits die Gruppeneigenschaften der
Elemente, andererseits aber auch ihre individuellen Eigenschaften in
den Verbindungen wiederfinden.
Die Gruppeneigenschaften der Elemente (also wesentlich ihre
Basicität) veranlassen die typischen Eigenschaften der Verbin-
dungen, d. h. die Eigenschaften, welche allen Verbindungen desselben
Typus gemein sind.
^^' So ist es z. B. eine typische Eigenschaft aller der Körper, die dem
einfachen Wassertyp zugehören, dass sie zwei Atome eines einatomigen
Elementes oder Radicales enthalten, die bei Metamorphosen gegen andere
ausgewechselt werden können. Ist von den beiden Wasserstoffatomen
des Wassers das eine schon durch ein Radieal (gleichgültig ob einfach
oder zusammengesetzt) vertreten, so entstehen Substanzen, welche die
eine Eigenschaft gemeinsam haben, dass sie ein Atom Wasserstoff ent-
halten, w.elcher mit Leichtigkeit gegen Radicale ausgetauscht wird, z. B. :
Kalihydrat. Alkohol. Essigsäure. Salpetersäure.
In ähnlicher Weise haben alle Verbindungen, die sich von dem Ty-
pus: 2H2O herleiten, in welchem 2 Atome H durch ein zweiatomiges
Radieal ersetzt sind, die eine Eigenschaft gemeinsam, dass in ihnen noch
zwei Wasserstoffatome enthalten sind, welche mit Leichtigkeit durch
zwei einatomige Radicale vertreten werden können, z. B.:
Quecksilberoxyd- Glycol. Glycolsäure. Oxalsäure. Schwefelsäure,
hydrat**).
Haf^2 Hjf^a Haf^a Hjf^a Haf^»
•) In ähnlicher Weise können noch andere der s. g. „gepaarten Verbindungen^'
aufgefasst werden. Vgl. diese §. 000. —
••) Hg = 200 wenn H = 1 und O = 16.
Typische Eigenschaften. 125
Alle die Verbindungen endlich, welche dem Typus 3 HjO zugehören,
in welchem 3 Atome H durch ein dreiatomiges Radical vertreten sind,
haben die eine gemeinsame und charakteristische Eigenschaft, dass sie
noch 3 durch Radicale vertietbare Wasserstoffatome enthalten, z. B.:
\^muthozyd- Eisenoxyd- Glycerin. Glycerinsäure. Phosphorsäure,
hydrat hydrat
Haf^» H, i^9 H,f^« H,f^8 H,f^»
Es ist weiter eine typische Eigenschaft aller dem Wassertyp zuge- 208.
hörigen Substanzen, dass bei geeigneten Reactionen aller dem Typus
Wasser zugehörige Sauerstoff gegen Chlor ausgetauscht werden kann
und dass dabei, der einatomigen Natur des Chlors wegen, eine Spaltung
eintritt, indem aus 1 Molecül HjO zwei Molecüle des Typus HCl ent-
stehen. Lässt man z. B. auf irgend einen Körper des Typus HjO Phos-
phorsuperchlorid einwirken, so findet eine solche Reaction statt, der ty-
pische Sauerstoff wird durch Chlor ersetzt, während andrerseits Phosphor-
oxychlorid entsteht, z. B.:
Waaser ?(^ Pbt 5g_
Alkohol
«AU e,H».CL
A««»«' Iä(^
Essigsäureäther ^^'^}^
äure ^»^«2)^
Wasserfreie Essigsäure . . ^^g'^Sl^
H a
eaH30.Cl
OaH» .CI
eaHaO.Cl
H.Cl
ejHae.ci
eaHaO.Cl.
Diese Reaction ist allen Verbindungen des Wassertyps eigen, sie
findet sich auch bei den dem Nebentyp HjS zugehörigen Substanzen, die
also aus den entsprechenden Verbindungen des Typus H2O durch Eintritt
von S an die Stelle von O erzeugt werden, z. B.:
Schwefelwasserstoflf . Ss gibt 55
^f HCl
Thiacetsäure . . . ^»^»^iß „ ^»^»^-^
Hf '' H.Cl.
In ähnlicher Weise ist es eine charakteristische Reaction aller Kör-
per, die dem Typus HCl zugehören — es ist eine typische Eigenschaft
dieser Körper — dass sie leicht doppelte Zersetzung zeigen, bei welchen
der mit dem Chlor verbundene Theil (also die den H der HCl ersetzende
Gruppe) gegen ein Atom Metall ausgetauscht wird.
Ebenso ist es eine typische Eigenschaft aller der Körper, die dem
Typus NH, zugehören, dass sie, ähnlich wie das Ammoniak selbst, sich
126 Theorie.
mit Salzsäure oder einem andern demselben Typus zugehörigen Körper
verbinden und so dem Salmiak correspondirende Verbindungen erzeugen.
209. Bei solcher Gemeinsamkeit der typischen Eigenschaften zei-
gen aber die demselben Typus zugehörigen Substanzen doch wesent-
liche Verschiedenheiten, die durch die individuelle Natur der
in ihnen enthaltenen Elemente (oder Radicale) veranlasst sind.
Die oben erwähnten Schwefelverbindungen unterscheiden sich z. B.
beti*ächtlich von den correspondirenden Sauerstoffverbindungen; die dem
Nebentypus H29 zugehörenden Substanzen also von den dem Haupttyp
H2O zugehörenden Körpern. In allen ist zwar 1 Atom H durch Metalle
vertretbar; aber, alles üebrige gleich angenommen, zeigen die Schwefel-
verbindungen stets grössere Neigung, den H gegen Metalle auszutauschen
wie die Sauerstoffverbindungen. Der Schwefelwasserstoff selbst zeigt weit
mehr die Eigenschaften einer Säure wie das Wasser und dies wiederholt
sich in allen von den beiden Körpern sich herleitenden Verbindungen.
Das Mercaptan = ^rj^ | S bildet z. B. mit vielen Metalloxyden direct
salzartige Verbindungen, während in der entsprechenden Sauerstoffverbin-
düng, dem Alkohol = ^ 4 ( ^ ^^r bei Einwirkung der Alkalimetalle direct
vertretbar ist. Ebenso ist die Thiacetsäure = * *h(^ ^^^^ stärkere
© H O^
Säure wie die Essigsäure = ^ 'g>0; sie zersetzt das essigsaure Blei-
oxyd unter Bildung von thiacetsaurem Bleioxyd.
Eine solche Verschiedenheit in der Natur con-espondirender Ver-
bindungen, die sich nur dadurch von einander unterscheiden, dass die
einen Sauerstoff, die andern Schwefel enthalten, ist offenbar durch die
Verschiedenheit der individuellen Eigenschaften der sonst so ähnlichen
Elemente : Sauerstoff und Schwefel veranlasst.
Dasselbe findet sich bei den dem Ammoniaktypus zugehörenden
Substanzen. Während das NH3 selbst stark basische Eigenschaften hat
und sich mit Leichtigkeit mit Wasserstoffsäuren verbindet, gibt der PH,
nur mit Jodwasserstoffsäure eine bestimmte Verbindung, das AsH, end-
lich hat so schwach basische Eigenschaften, dass man von ihm bestimmte
salzartige Verbindungen bis jetzt nicht erhalten konnte.
210. Dass die individuellen Eigenschaften der Elemente sich in den
Verbindungen wiederfinden, zeigt sich am deutlichsten, wenn man die-
jenigen demselben Typus zugehörenden Verbindungen vergleicht, in wel-
chen die einzelnen Elemente in ihren individuellen Eigenschaften grosse
Verschiedenheit zeigen. Aus dem indifferenten Wasserstoff (Hj) wird z. B.
durch Eintritt von 1 At Gl an die Stelle von 1 At H die Salzsäure.
Eigenachaften der ehem. Verbindungen. 127
Ebenso entsteht aus dem Wasser, wenn an die Stelle von 1 At. H, 1
At. Cl tritt, die unterchlorige Säure. Umgekehrt zeigt das demselben Ty-
pus zugehörige Ealihjdrat die Eigenschaften einer Base, d. h. es tauscht
den noch vertretbaren Wasserstoff mit besonderer Vorliebe gegen chlor-
fthnliche (saure) Elemente oder Radicale aus. Die Atomgruppe N02
steht in ihren Eigenschaften dem Gtilor nahe, sie ändert durch Eintritt an
die Stelle von H die Natur der Verbindungen in ähnlicher Weise um wie
dieses. Die dem Typus H2 zugehörende Verbindung dieses Radicals (die
salpetrige Säure) ist ebenso wie die dem Typus H2O zugehörende Ver-
bindung desselben Radicals (die Salpetersäure) eine Säure; beide tauschen
1 At. H mit besonderer Leichtigkeit gegen Metalle aus *).
Dieser Einfluss der individuellen Eigenschaften der Elemente 211.
(oder Radicale) auf die Eigenschaften der Verbindung zeigt sich auch
dann noch, wenn, wie dies bei den sogenannten Substitutions-
producten der Fall ist, die Vertretung innerhalb des bei vielen Zer-
setzungen unverändert bleibenden Restes, also innerhalb des Radicales
stattfindet. Dabei ist indess der Einfluss weit weniger hervortretend, weil,
der Anzahl und der Stellung der Atome wegen, die Veränderung der
einzelnen Atome eine verhältnissmässig untergeordnete Rolle spielt.
O H i
Aus der Carbolsäure = *jt'^/^5 bei welcher die Eigenschaft;en der
Säure nur schwach ausgeprägt sind, entstehen z. B. durch Eintritt von
Chlor oder durch Eintritt der chlorähnlichen Gruppe N02 Körper, die den
Wasserstoff mit weit grösserer Leichtigkeit gegen Metalle austauschen,
so dass die Trinitrocarbolsäure (oder Pikrinsäure) z. B. = • *^ H |^
eine starke Säure ist.
Gerade so, wie in diesen Fällen durch Eintritt eines sauren (chlor-
ähnlichen) Elementes oder Radicals die saure Natur einer Verbindung
erhöht wird, so wird durch Eintritt desselben Elementes oder Radicals
♦) Wenn man die dem Typus Hj und dem Typus H2O zugehörenden Verbin-
dungen in Reihen ordnet, in welchen die Verbindungen des Chlors am einen,
die des Kaliums am andern Ende stehen und die übrigen nach der grösse-
ren oder geringeren Aehnlichkeit mit einem der beiden eingeordnet sind, so
findet man, dass die Endglieder und die ihnen nahestehenden Substanzen in
ihren Eigenschaften förmlich contrastiren, dass die Verbindungen des Chlor-
endes z. B. den H besonders leicht gegen Metalle oder metallähnliche Radi-
cale, die Verbindungen des Ealiumendes dagegen den H besonders leicht
gegen chlorähnliche Elemente oder Radicale austauschen*, man unterscheidet
daher beide als Säuren und Basen. Die in der Mitte der Reihen stehen-
den Substanzen zeigen alle Arten von Uebergängen, sie können weder be-
stimmt für Säuren noch für Basen gehalten werden. Man überzeugt sich so,
dass ^äiure^^ und „Basis^^ in keiner Weise scharf zu trennende Begriffe sind.
128 Theorie.
in basische Körper die basische Natur dieses vermindert Aus
dem Anilin = H \N, einem Körper, der dem Typus Ammoniak zuge-
H )
hört und der wie dieses sich mit Leichtigkeit mit Salzsäure zu einer salz-
artigen Verbindung vereinigt, können drei chlorhaltige Substitutionspro-
ducte abgeleitet werden:
Anilin. Chloranilin. Dichloranilin. Trichloranilin.
^«H«! 'G«H4C1) '^«HaClai ^i^a^^j)
H |n H}N H5N h|n.
H i H* H* H>
Das Chloranilin und das Dichloranilin verbinden sich noch wie das
Anilin selbst mit Salzsäure, aber sie sind schon schwächere Basen wie
dieses; das Trichloranilin endlich hat völlig die Eigenschaft verloren mit
Salzsäure sich zu verbinden, obgleich es offenbar noch demselben l^ypus
zugehört wie die andern. . Man sieht also, dass der Einfluss, den die in-
dividuelle Natur der Elemente ausübt, sogar bei Substitutionsproducten
so weit gehen kann, dass die Verbindung die am meisten charac-
teristischen Eigenschaften der Substanz, aus welcher sie erhalten wurde,
verliert —
212. ^^^ ähnliche Verschiedenheit zeigt sich zwischen dem Alkohol und
der Essigsäure, zwischen dem Aethylamin und dem Acetamid etc. Wäh-
rend der Alkohol, obgleich er 1 At H gegen Metalle auszutauschen im
Stande ist, doch, weil dieser Austausch verhältnissmässig schwierig er-
folgt, nicht eigentlich eine Säure genannt werden kann, ist die Essig-
säure eine entschiedene Säure. Beide Körper gehören dem Typus H2O zu :
T3^U8. Alkohol. Essigsäure.
Die Verschiedenheit ist offenbar veranlasst durch die Natur der Ra-
dicale, die den Wasserstoff des Typus ersetzen.
Vergleicht man die dem Ammoniaktypus zugehörenden Verbindun-
gen derselben Radicale:
Typus. Aethylamin. Acetamid.
h|n HJN hJn,
Hl H) H)
so zeigt sich derselbe Einfluss. Der Eintritt von 62H3O an die Stelle
von 62H5, welches vorher die sauren Eigenschaften der Verbindung er-
höht hatte, vermindert jetzt die basischen. Während das Aethyl-
amin sich dem Ammoniak höchst ähnlich verhält und mit Leichtigkeit salz-
artige Verbindungen erzeugt, entstehen solche Verbindungen bei dem
Acetamid so schwer, dass man ihre Existenz bis auf die allemeueste Zeit
übersehen hat Während das Aethylamin weder bei Einwirkung von Me-
talloxyden noch von Metallen Wasserstoff gegen Metalle auszutauschen
Eigenschaften der chemischen Verbindungen. 129
im Stande ist, kann im Acetamid ein At. H, wie Strecker gefunden hat,
mit Leichtigkeit durch Metalle ersetzt werden. Obgleich also dem Am-
moniaktypus zugehörig, verhält sich das Acetamid wie eine (freilich
schwache) Säure, weil durch den Einfluss des in den Typus eingetretenen
sauren Radicales die Natur der Verbindung eine wesentliche Veränderung
erlitten hat —
Aehnliche Verschiedenheiten zeigen sich bei den dem Typus HCl
zagehörenden Verbindungen derselben Radicale.
Typus. Aethylchlorid. Acetylchlorid.
HCl. eA.ci ejHj^.a.
Während das Acetylchlorid mit Oxydhydraten und selbst mit Wasser
leicht Zersetzung erleidet und mit Silbersalzen leicht Chlorsilber erzeugt,
erfolgen dieselben Zersetzungen bei dem Aethylchlorid bei weitem schwie-
riger; es wird in der Kälte weder von Wasser noch von Metalloxyden
zersetzt, es erleidet selbst durch Silbersalze in der Kälte keine Zersetzung.
Bei Anwendung höherer Temperaturen treten dagegen alle diese Zer-
setzungen ein, so dass das Aethylchlorid alle für den Typus HCl charak*
teristischen Reactionen zeigt, wenn auch mit weit geringerer Leichtigkeit
wie das Acetylchlorid.
Vergleicht man nun die beiden Radicale: Aethyl = €21^5 ^^^ ^^^' ^^^'
tyl = 62H3O mit einander, so findet man, dass das letztere aus dem
ersteren entstanden gedacht werden kann, indem an die Stelle von 2 At
H die äquivalente Menge, d. h. 1 At. O getreten ist. Der Unterschied in
der individuellen Natur der beiden Elemente : O und H ist offenbar die
Ursache der Verschiedenheit der Natur der beiden Radicale, die sich dann
auf sonst ähnliche und demselben Typus zugehörige Verbindungen überträgt.
Man sieht also, dass von der Natur dieser in einer Verbindung schon 214.
enthaltenen Radicale und der sie zusammensetzenden Elemente viele Ei-
genschaften der Verbindung abhängig sind, unter andern auch, ob der
noch vertretbare Wasserstoff des Typus mit grösserer Leichtigkeit durch
Metalle und metallähnliche Radicale oder durch saure (chlorähnliche) Ra-
dicale ersetzt wird.
Der Alkohol z. B. nähert sich in dieser Beziehung den eigentlichen
Basen, indem sein typischer Wasserstoff mit grösserer Leichtigkeit durch
saure Radicale ersetzt wird; die Essigsäure verhält sich wie eine Säure
d. h. ihr noch vertretbarer Wasserstoff wird mit besonderer Leichtigkeit
durch Metalle oder metallähnliche Radicale vertreten ($. 212). Dieselbe
Beziehung findet zwischen der Carbolsäure und der Pikrinsäure statt
(S. 211).
Von besonderem Interesse sind in dieser Beziehung einige Körper, 216.
welche zwei Atome typischen (also leicht durch Radicale vertret-
baren) Wasserstoff (§. 207) enthalten, die aber insofern nicht völlig gleich-
KeknU, organ. Chemie. 9
130 Theorie.
werthig sind, als der eine leichter durch saure, der andere leichter durch
metallfthnliche Radicale vertreten wird. Ein solches Verhalten zeigt z. B.
die Olycols&ure, und ebenso die Milchsäure etc.
Qlycolsftore. Ifilchsfture.
^2'
Beide enthalten zwei Atome typischen (d. h. noch vertretbaren j
Wasserstoffs. Aber von diesen beiden wird nur der eine durch Metalle
ersetzt; die beiden Substanzen verhalten sich wie einbasische Säuren;
ihre s. g. neutralen Salze sind:
Glycolsaurer Kalk. Milchsanrer Kalk.
Ca' Ca'
Das zweite Wasserstoffatom wird nicht (oder nur sehr schwer!
durch Metalle vertreten, es kann dagegen leicht durch saure Radicale,
z. B. Benzoyl, ersetzt werden. So entstehen:
BenzoglycolsSure.
Benzomilchattur
H
Zwei Säuren, die selbst wieder *e in basische Säuren sind, insofern
sie 1 At. H enthalten, welches mit Leichtigkeit durch Metalle ersetz-
bar ist:
Benzoglycolsaurer Baryt. Benzomilchsaurer Baryl.
Ba^ Ba'
Von den beiden Wasserstoffatomen der Gljcolsäure (und der Milch-
säure) zeigt der eine also dasselbe Verhalten wie der Wasserstoff des
Alkohols , der andere dasselbe wie der Wasserstoff der Essigsäure. Die
Gljcolsäure steht in dieser Beziehung in der Mitte zwischen dem Gljcol und
der Oxalsäure, von welchen das erstere ein zweisäurigtr Alkohol, die
letztere eine zweibasische Säure ist:
Glycol. Glycolsftare. Oxalsäure.
ejH,^; Ca) Ca)
EigenBchaften der chemischen Verbindungen. 131
Vergleicht man die Radicale des Oljcols, der Oljcolsäure und der
Oxals&ure:
M H tt
€2^4 ©2" 2^ ^2^2 y
80 sieht man, dass das letztere sich von dem Radical der Gljcolsäore
in derselben Weise herleitet, wie dieses vom Radical des Olycols. Der
Eintritt von 1 At O an die Stelle von 2 At. H im Radical €2114 veran-
lasst also, dass eines von den beiden typischen Wasserstoffatomen mit
Leichtigkeit durch Metalle vertreten wird, während das andere noch (wie
die beiden Wasserstoffatome des Glycols) durch saure Radicale ersetzbar
bleibt Tritt nochmals 1 At. 0 an die Stelle von 2 At H des Radicals, so
ändert auch das zweite Wasserstoffatom seine Natur, d. h. es wird jetzt
(wie das erste) mit Leichtigkeit durch Metalle vertretbar*).
Ein ähnliches Verhalten zeigt auch die aus dem Olycerin sich her- ^,^^-
leitende 61y cerinsäure :
Glycerln. Glycerinsfiure.
Obgleich sie der typischen Formel nach eine dreibasische Säure sein
sollte, zeigt sie doch nur das Verhalten einer einbasischen Säure. Ihre
Sake sind:
H2^.-
Die zwei weiteren Wasserstoffatome sind offenbar ebenfalls durch
Radicale vertretbar; bei ihnen findet aber die Vertretung nicht durch Me-
talle (basische Radicale) statt, sie werden voraussichtlich mit grösserer
Leichtigkeit durch saure Radicale ersetzt werden **).
*) Dies Beispiel zeigt deutlich, dass zwei Atome, die der typischen Auffassung
nach eigentlich gleichwertkig sein müssten, dies nicht immer sind. Es wird
später, wo von dem Einfluss der relativen Stellung der Atome auf die Katmr
der Verbindung die Rede ist (§. 293), gezeigt werden, dass dieses gewisser-
massen unsymmetrische Verhalten der Glycolsäure seine Ursache in der un-
symmetrischen Stellung hat, welche die beiden Wasserstoffatome in Bezug
auf den Sauerstoff einnehmen.
*) Man wird z. B. eine Dibenzoylglycerinsäure erhalten, welche selbst noch eine
einbasische Säure ist.
(0TH5O)a>^3-
Ca)
132
Theorie.
217. Es ist an sich klar, dass die Verbindungen eine um so grössere
Aehnlichkeit zeigen, je ähnlicher die in ihnen enthaltenen Radicale in
Natur und in Zusammensetzung sind. Dies tritt besonders deutlich her-
vor bei gGOizen Reihen organischer Verbindungen, deren Radicale die-
selben Elemente nur in verschiedenen Verhältnissen enthalten. Betrach-
tet man z. B. die homologen Reihen der Alkohole und der fetten
Säuren :
Methylalkohol . .
^•K
Ameisensäure . .
«H^e
v/Aethylalkohol . .
• ^'hI^
Essigsäure . . .
€j|H,0j0
Propylalkohol . .
• ^'hI^
PropionBfture . .
H (
Butylalkohol . .
«*H.je
Buttersäure . .
O^H^'O' AV
u. s. w.
U. 8. w.
so kann man aus der Zusammensetzung schon herleiten, was auch durch
Beobachtung bestätigt wird, dass die verschiedenen Glieder einer solchen
Reihe untereinander eine grössere Aehnlichkeit zeigen werden, als mit
irgend einem Körper der andern Reihe. Bei sehr nahe liegenden, also
sehr ähnlich zusammengesetzten Körpern ist die Analogie der Eigenschaf-
ten oft so gross, dass nur mit Mühe Reactionen aufgefunden werden kön-
nen, durch welche die Körper sich von einander unterscheiden lassen.
218. Andererseits kann bei sehr starker Verschiedenheit der Elemente
oder Radicale die Verschiedenheit von Verbindungen, die demselben Typus
zugehören, so gross werden, dass die Verbindungen kaum mehr die für
den Typus charakteristischen Reactionen zeigen, dass sie gewissermassen
ihren Typus verläugneu und dass nur mit Mühe eine Analogie des Ver-
haltens aufgefunden werden kann. Die vorhin erwähnte Verschiedenheit
des Trichloranilin'ö und des Anilin's gehört schon hierher. Am deutlich-
sten vielleicht tritt solche Verschiedenheit hervor bei dem Ammoniak und
dem Phosphorchlorür, welche, obgleich sie demselben Typus zugehören,
in ihren Eigenschaften so stark von einander abweichen, dass sie ausser
den Verbindungsverhältnissen kaum etwas gemeinsam haben und dass
sie kaum eine gemeinschaftliche Reaction zeigen. Indessen geben doch
beide, was oben als charakteristisch filr den Typus angegeben wurde,
direct Verbindungen mit einem Körper des Wasserstoflftyps; das NH3 be-
sonders leicht mit HCl; das PCI3 besonders leicht mit Clj; das Phos-
phorsuperchlorid und der Salmiak sind offenbar, obgleich in den Eigen-
schaften kaum ähnlich, correspondirende Verbindungen.
Ammoniak . .
Phosphorchlorür
NH,
PCI,
Sabniak Jm^jCl^
Phosphorsuperchlorid PCI4CI.
EigeuBchafteii der chemiBchen Yerbindiingen.
133
Bisweilen hat die Verschiedenheit in der Natur der Bestandtheile 219.
einen so grossen Einfluss, dass demselben Typus zugehörende nnd
völlig correspondirende Substanzen, ganz verschiedene und sogar
entgeg^engesetzte Reactionen zeigen.
Ein solches Verh<nise findet z. B. zwischen der Monochioressigsäure und
derTrichloressigsäure Btatt^ obgleich beide, als Substitutionsproducte der Essigsäure,
für analog zusammengesetzt gehalten werden müssen und in vielen Reactionen auch
ein analoges Verhalten zeigen. Das monochloressigsaure Kali zerffiUt nämlich mit
Ealihydrat (oder mit Wasser) zu Glycolsäure nnd Chlorkalium, das trichloressig-
saore Kali dagegen liefert kohlensaures Kali und Chloroform:
Monochloressigsaure.
eAci^l^ 4-
Trichloressigs&ure.
eaCl30J^ +
O =
i!«
Glycolsäure.
Chloroform.
eHCl,
+
KCl.
eeaKj.
Nicht minder merkwürdig ist das (von Hofmann beobachtete), völlig ver- 220.
Bchiedene Zerfallen der beiden, offenbar analog zusammengesetzten, Körper: des
Tetrftthylammoniumozydhydrats und des Teträthylphosphoniumoxydhydrats, bei
Einwirkung der Hitze:
N(ejH5)4He =
Teträthylammonium-
oxydhydrat.
N(6A),
Triäthylamin.
P(eA)4He
Teträthylphosphonium-
oxydhydrat
= P(eA),0
Triäthylphos-
phinoxyd.
+ €A H
Elayl.
Aethylwasser-
stoff.
Hoe
Von ganz besonderem Interesse ist die von Baeyer beobachtete Einwirkung 221.
von Schwefelwasserstoff auf Arsenmonom ethyldichlorid und auf das von Wurtz
entdeckte Dichloräthylamin :
Arsenmonomethyl-
dichlorid.
As(6H3)Cl, +
Dichloräthyl-
amin.
Arsenmonomethyl-
sulfid.
Haß = As(€H3)S + 2HCa.
2H,S =
Salzsaures
Aethylamin.
N(ejH5)H,Cl +
HCl 4- &,.
Dabei geht die Verschiedenheit soweit, dass in dem einen Fall die eine, im
andern die andere Seite des Schwefelwasserstoffmolecüls , im einen also der
Schwefel, im andern dagegen der Wasserstoff verwendet wird. Die individuelle
Verschiedenheit der zwei, derselben Gruppe zugehörigen Elemente: N und As, ist
offenbar die Ursache dieser auffallenden Verschiedenheit. Die Arsenik enthaltende
Gruppe zeigt wie das Arsenik selbst eine besondere Neigung zur Bildung eines
Sulfids, während bei der Stickstoff enthaltenden Verbindung die Vorliebe, mit wel-
134 Theorie.
eher der Stickstoff Ammoniak erzengt, zur Bildung einer dem Salmiak entsprechen-
den Verbindung Veranlassung gibt
Die chemischen Metamorphosen. — Verbindung und
Zersetzung.
222. Wenn rerschieden zusammeDgesetzte Molecüle zusammengebracht
oder auch, wenn gleichartige Molecüle in veränderte Verhältnisse ge-
bracht werden, so treten häufig Veränderungen ein, deren Resultat darin
besteht, dass die Molecüle nach denselben anders zusammengesetzt
sind wie vorher. Solche Veränderungen bezeichnet man im Allgemeinen
als chemische Metamorphosen, ab Verbindung oder Zer-
setzung.
Betrachtet man nun diese Metamorphosen, indem man sich eine
Vorstellung von dem dabei stattfindenden Vorgang zu machen sucht, so
findet man, dass sie zunächst unter die folgenden Gesichtspunkte zusam-
mengefasst werden können.
223. Direote Addition mehrer Molecüle zu einem findet bisweilen,
aber doch in verhältnissmässig seltenen Fällen statt
So addirt sich z. B. 1 Mol. Ammoniak direct zu 1 Mol. Salzsäure und bildet
1 Mol. Salmiak; ebenso addirt sich 1 Mol. Püosphorchlorür direct zu 1 Mol. Chlor
und erzeugt 1 Mol. Phosphorsuperchlorid; in derselben Weise addirt sich 1 Mol.
Triäthylamin direct zu 1 Mol. Jodäthyl und gibt Teträthylammoniun\jodid. Nahezu
alle dem Typus NE, zugehörenden Körper geben mit irgend einem Körper, der
dem Typus H, zugehört, solche directe Additionen, die desshalb (vgl. §. 208) für
die am meisten charakteristische Reaction dieses Typus angesehen werden können.
In ganz ähnlicher Weise addirt sich Kohlenoxyd direct zu Chlor und erzeugt
Phosgengas (= Carbonylchlorid) ; und ebenso schweflige Säure zu Chlor und lie-
fert Chlorschwefelsäure (Sulfurylchlorid). Ebenso verhalten sich einige Kohlen-
wasserstoffe z. B. das Aethylen und seine Homologen und einige andere.
1 Molecül 4- 1 Molectil = 1 Molecül.
Kohlenoxyd €0 + Clj = 60Cla Phosgen.
Schweflige Säure S03 + Cl^ = GOa^la Chlorschwefelsänre.
Aethylen ^aH^ + Qj = ^aH4Cla Elaylchlorid.
Butylen ßfi^ + Clj = e^HgCla Butylenchlorid.
Für die dem Typus Ammoniak zugehörigen Körper und ftlr die iso-
lirten zweiatomigen Radicale sind solche directe Additionen regelmässig
vorkommende und sogar charakteristische Reactionen ; sie kommen indess
auch bei anderen Körpern, wenn gleich seltener vor.
224. Mit diesen directen Additionen, bei welchen durch Aneinanderlage-
rung zweier chemischer Molecüle ein neues chemisches Molecül
erzeugt wird, sind diejenigen Aneinanderlagerungen nicht zu verwechseln,
Chemische Metamorphosen. 135
bei welchen mehrere chemische Molecüle sich zu einem Krystall-
molecül vereinigen*).
Vereinigungen der Art kommen ausnehmend häufig vor. Z. B. bei
den mit KrystaJlwasser krystallisirenden Salzen, bei einer grossen Anzahl
von Doppelsalzen, bei vielen basischen Salzen und bei den s. g. über-
saoren Salzen ♦•).
Bei der bei weitem grössten Anzahl der chemischen Metamorphosen 226.
kann man sich eine Vorstellung von dem Vorgang während derselben
bilden, welche eine gewisse Rechenschaft von der Ursache der Verände-
rung gibt Man kann nämlich annehmen: dass eine Umlagerung der
Atome (und resp. Radicale) stattfindet.
Dabei wird bisweilen, ähnlich wie bei den directen Additionen die 226.
Anzahl der MolecOle vermindert und man könnte daher, bei oberfläch-
licher Betrachtung, diese Art der Verbindung für eine directe Addi-
tion halten.
*} Es ist froher (§. 161) schon darauf aufrnerksam gemacht worden, dass das
Erystallmolecül der Idee nach eine vom chemischen Holeclil völlig verschie-
dene Grösse ist und dass möglicherweise eine grössere Anzahl von chemi-
schen Molecülen erst die Massentheilchen bilden, durch deren, nach bestimm-
ten Gesetzen erfolgende, Aneinanderlagerung die Erystalle entstehen. Es
mnss jetzt zugefügt werden, dass, nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft,
eine solche Aneinanderlagerung der chemischen MoleciQe zu Krystallmolectl-
len, wenn nicht allgemein, so doch jedenfalls häufig stattzufinden scheint.
Man kennt bis jetzt durchaus keine Anhaltspimkte zur Bestimmung der
relativen Grösse der Erytallmolecüle. Wenn man also krystallisirte Salze etc.
in Formeln darstellt, so bezeichnen diese Formeln nicht die Molecüle, es sind
vielmehr nur Verhältnissformeln. Desshalb ist es auch zulässig,
und weder mit der atomistischen Theorie, noch mit den Ansichten über die
Molecüle etc. im Widerspruch, die Formeln krystaUisirter Salze so zu schrei-
ben, dass halbe Molecüle oder dass Bruchtheile von Atomen darin vorkom-
men. Z. B.
Essigsaures Kupferoxyd = Bfi^Cu.^^ + Va HaO.
Essigsaures Bleiozyd = OaEsPhO, + ^Va B^O.
**) Unter üb er sauren Salzen verstehen wir die Salze, welche als eine An-
einanderlagerung von einem Molecül Säurehydrat zu einem Molecül des neu-
tralen oder sauren Salzes betrachtet werden können. Z. B.:
Uebersaures oder s. g. 6aH,0>^ _i_ ri -a n
saures essigsaures Kali Kf^ "T" ^i^a^i-
Uebersaurer oder s. g. ^jB^O»
saurer milchsaurer K^k B > O3 -f- O^B,^,.
Ca^
Uebersaures oder s. g. ^2^2 i
vierfach sam*e8 ozaLsau- hIo^ 4- ^sB^O«.
res Kali E'
136 Theorie.
Wenn z. B. Schwefelsttnreanhydrid auf Wasser einwirkt, so entsteht Schwe-
felsflurehydrat:
Vor der Einwirkung. Nach derselben. In Typen.
e ffie Se.
Die Metamorphose kann anfgefasst werden , als habe das zweiatomige Ra-
dical SOa seine Lage in der Weise geändert, dass es, während es vorher zwei
Atome Wasserstoff ersetzte, die einem Molectil Wasser angehörten, jetzt an die
Stelle von zwei Atomen Wasserstoff getreten ist, welche zwei verschiedenen Wasser-
molectüen zugehören. Die beiden Holecüle ($02.0 und H20) werden so au
einem untheilbaren Ganzen, zu einem Molecül vereinigt.
Dieselbe Art von Reaction findet z. B. statt, wenn aus Glycolid (= ^^2^2)
durch Aufnahme von Wasser Glycolsäure (= ^2^4^i)] ^^^ Lactid (= 0^0 j)
durch Aufnahme von Wasser Milchsäure (=: 03H903) wird; wenn Bemsteinsäure-
anhydrid (= 04H403) mit Wasser Bemsteinsäurehydrat (= 04H^0a) erzeugt; oder
wenn Schwefelkohlenstoff (= 0S2) ^^ Schwefelkalium (= E2&) sulfocarbonsaures
Kali (0S3K2) bildet; oder wenn aus Schwefelsäureanhydrid und Methyläther
(= 02H30} Schwefelsäuremethyläther entsteht u. s. w.
Z.B.:
vor: nach: vor: nach:
02**3'^ « 0 0, J0 04H402.0 « J0.
h|^ Er-
▼or: nach: vor: nach:
Dieselbe Art von Metamorphosen findet auch statt bei der Bildung von Harn-
stoff aus Cyansäure und Ammoniak ; bei Bildung von Sulfobenzol säure aus Benzol
und Schwefelsäureanhydrid:
Cyansäure und Harnstoff. Benzol und Sulfobenzol-
Ammoniak. Schwefelsäure. säure.
(«,
^)4ft N H H ^
__?Y ' " ""w ötr2
N H N{H
und ebenso bei der Bildung der SulfosaUcylsäure , die der Entstehung des Nord-
h&aser Vitriolöls völlig analog ist:
Chemische Metamorphosen.
13T
Sehwefels&iiTehydrat
und wasserfireie Schwe-
felsäure.
?\«
Nordhftuser
Vitriolöl.
Salicylsfiure und
wasserfreie Schwe-
felsäure.
Hl
nh
}<
&0'j»'w
SnlfosaUcyl-
säore.
HJ^-
Das Umgekehrte iäieeer Art von Verbindung findet bei manchen 227.
Zersetzungen statt. Durch Umlagerung eines zweiatomigen Radicedes
wird eine vorher untheilbare Atomgruppe theilbar und zerfällt in zwei
Holecüle, so dass also die Anzahl der Molecüle sich vermehrt.
Hierher gehört z. B. das von Marignac beobachtete Zerfallen des Schwefel-
sänrehydrats in Wasser nnd Schwefelsäureanhydrid und ebenso die öfter bei zwei-
basischen organischen Säuren vorkommende Bildung von Anhydrid und Wasser,
»- B.:
Wasserfreie Schwefel-
säure und Wasser.
n
iH'
Bemsteinsänre-
hydrat
Wasserfreie Bemstein-
säure und Wasser.
Schwelsäure-
hydrat
In derselben Wdse erfolgt auch das Zerfallen des Nordhäuser Vitriolöls in
der Bitze und das Zerfallen des Sucdnamid's in Succinimid und Ammoniak u. a. :
§«■
Nordhänser
VitriolöL
- 1^
4^
Wasserfreie Schwefelsäure
und Schwefelsäurehydrat
Succinamid.
Ammoniak und
Succinimid.
SO2
H
H
h)^
hJn eÄejfu
Weit häufiger als die beiden ebenbesprochenen Metamorphosen, bei 228.
welchen also die Umlagerung der Atome so erfolgt, dass zwei Molecüle
eich zu einem verbinden oder dass sich ein Molecül in mehrere spaltet, sind
die Metamorphosen, bei welchen da« eine Molecül einen Theil seiner Be-
standtheile gegen einen Theil der Bestandtheile eines anderen Molecüls
austauscht Man nennt diese Art von Veränderung: „wechselseitige
Zersetzung oder doppelten Au.stausch.^^
Wenn z. B. durch Einwirkung von Salzsäure auf salpetersaures Silberoxyd,
Chlorsilber und Salpetersäurehydrat entsteht, so kann diese Metamorphose aufge-
ÜMst werden, als habe die Salzsäure ihren Wasserstoff ausgetauscht gegen das Sil-
ber des salpetersauren Silberoxyds:
N^./
138
Theorie.
229. Dass dabei stets äquivalente Mengen gegeneinander ausgetauscht
werden , bedarf kaum der besonderen Erwähnung.
Ein mehratomiges Element oder Radical wird also ausgetauscht
gegen ein anderes einatomiges Element oder Radical.
Ein Atom eines zweiatomigen Elementes oder Radicals gegen
zwei Atome eines einatomigen.
Ein Atom eines dreiatomigen gegen drei Atome eines ein-
atomigen Elementes oder Radicals, etc.
230. Ebenso ist es nach den früheren Betrachtungen selbstverständlich, dass,
immer wenn an die Stelle eines mehratomigen Radicals mehrere einatomige
treten, eine Spaltung in mehrere Molecüle stattfindet und dass umgekehrt
mehrere Molecüle zu einem untheilbaren Ganzen vereinigt werden können,
wenn ein mehratomiges Element oder Radical an die Stelle mehrerer ein-
atomigen tritt, welche verschiedenen vorher getrennten Molecülen ange-
hören.
Die folgenden Beispiele werden das ebengesagte deutlicher machen. Sie zei-
gen zugleich, dass die Betrachtung solcher Metamorphosen, die als doppelter Aus-
tausch aufgefasst werden können, deutlich erkennen lässt, ob ein Radical einbasisch,
zweibasisch oder dreibasisch (oder atomig) ist, d. h. ob es einem, zwei oder drei
Atomen Wasserstoff äquivalent ist.
Austausch eines einatomigen Radicals gegen ein anderes ein-
atomiges:
ci(cr
Chlor.
■\. r
H]H = Cl H 4- a H
Wasserstoff. Salzsäure. Salzsäure.
3.
a(F
-X r
"^eaH5= Cl Zn + H.e^
Salzsäure.
Zinkäthyl.
Chlorzink.
ci.e,H,e +
Benzoyl-
Chlorid.
Cl.K +
Chlorkalium.
Aethylwasser-
stoff.
Chlor.
Bittermandelöl.
Salzsäure.
cifa
Chlor.
H
Kalihydrat
Unterchlorige
Säure.
Cl(T
Salzsäure.
NO,
Zfj
e =
Salpetersauree
Silberoxyd.
ClAg 4- ^%^
Chlorailber. Salpetersäure.
6.
7.
ChemiBche Metamorphosen. 139
Salzs&ure. Alkohol. Aethyl- Wasser.
Chlorid.
cif^Ü^oTx^ Hjj^ = CIH + ^Agje
8.
10.
Acetylchlorid.
-~-^J0 = CIK +
^€Si^
ci[eA ,\^
Aethylchlorid.
Chlorkalium.
Essigäther.
J(«A ;\L
5^ N = JH 4-
H '
1!"
Aethyljodid.
Ammoniak. Jodwasser-
stoffsäure.
Aethylamin.
H ^ ^^
Acetylchlorid. Ammoniak. Salzsäure. Acetamid.
^ H ^2^5
Wasser. Essigäther. Essigsäure. Alkohol.
12. ^jdZI^NlH^ElU = ej|A« + «AJje
' H 'GjHjO' '
Wasser. Essigsäure- Essigsäure. Essigsäure,
anhydrid.
Wasser. Acetamid. Essigsäure. Ammoniak.
Essigäther. Ammoniak. Alkohol. Acetamid.
140
Theorie.
Austausch eines zweiatomigen Radicals gegen zwei einato-
mige:
16.
Hj
Wasser.
7s r
"ci7)a»p =
H o
+ ea,p
Phosphor-
superchlorid.
H Cl
Salzs&ure. Phosphor-
ozy Chlorid.
16. ^^^^\ f^ >v<^ cina^P = ^&^ + ^cijP
Alkohol.
Phosphor- Aethylchlorid Phosphor-
superchlorid. 4* Sslzsäure. oxychlorid.
17.
eil
Cl(
H
H i
I« _
Sulfürylchlorid.
H
Wasser.
CIH
Cl
Salzsäure. Schwefelsäure.
la
ä(
eaHaO
^aH^
Elayljodid.
J V
f8
EesigsanreB
Silberoxyd.
11 = Lii
Jodsilber.
äure-
Glycol.
19.
§iEj
Carbonyl-
chlorid.
CIH , ee
Cl H
Salzsäure.
Carbamid
(Harnstoff).
20.
Benzol.
ÖOa
^ = tfi^' + S[^
Wasserfreie
Schwefelsäure.
Sulfobenzid.
S!
Wasser.
Austausch eines dreiatomigen Radicals gegen drei einato>
mige:
21.
CI3.
PO
-X r
J "x
He
He = 3C1H -«- P^«
He
+ ^j«.
Phosphoroxy-
chlorid.
3 Mol. Wasser. Salzsäarc. Phosphorsäure.
ChemiBche Metamorphosen.
141
22.
Cl,.
Phosphor-
chlorür.
J V
H0
He = 3C1H +
H^
8 Mol. Wasser. Salzsäure.
Phosphorige
Sfiure.
28.
Cl,
Phosphor-
chlorür.
r
6H,
H.
8 Mol. Methyl- Methylchlo- Methylphos-
alkohol. rid u. Salz- phorige
sftore. Säure.
24.
Essigsaures
Silberoxyd.
Brom-
süber.
Triacetin.
Wenn man die einzelnen Beispiele Überblickt, so findet man, dass häufig die 231.
bei der Reacüon entstehenden Producte gleichartig sind; so entsteht z. B. (Nr. 1.)
bei Einwirkung von Chlor auf Wasserstoff nur Salzsäure; bei Einwirkung von
Wasser auf Essigsäureanhydrid nur Essigsäurehydrat (Nr. 12.). Man könnte ver-
sucht öein, diese Reactionen als directe Additionen au&ufassen (z. B.: Cl -4- H =z
HCl), aber die Analogie mit anderen Metamorphosen und eine Anzahl der früher
gegebenen Argumente *) sprechen dafür, dass sie ebenfalls doppelter Austausch sind.
In ähnlicher Weise wirken oft zwei gleichartige Molecüle aufeinander ein 282.
und geben neue Producte, indem sie einen Theil ihrer Bestandtheile austauschen.
So entsteht z. B. aus Salzsäure durch die zersetzende Einvidrkung des galvanischen
Stroms Chlor und Wasserstoff, ebenso gibt das Wasser bei der Elektrolyse Sauer-
stoff und Wassei-stoff; das Cyanquecksilber zerfällt beim Erhitzen zu Quecksilber
und Cyan, das Quecksilberoxyd zu Quecksilber und Sauerstoff.
g[QI X r HJCl gibt HH + ClCl
HgfeN jX^ Hg](€N) „ HgHg + (6N)(9N)
HgHg
iäftO
\
Sjd
-X r
i)t<
HgHg
HH
+ ee
oo.
•) vgl. SS. 167, 168.
142 Theorie.
Solche Zersetzungen, die als directes Zerfallen betrachtet werden könn-
ten (z. B.: Hg(€N) = Hg 4- "BN), müssen ebenfalls, allen Analogieen nach, als
doppelter Austausch aufgefasst werden und erscheinen also der bei weitem
grössten Anzahl chemischer Metamorphosen vollständig analog.
288. Es lässt sich nicht läugnen, dass diese Aufifassung der chemischen
Metamorphosen (doppelter Austausch), welche auf bei weitem die Mehr-
zahl der genauer erforschten Fälle anwendbar ist, eine verhältnissmässig
klare Vorstellung von diesen Metamorphosen gibt. Sie drückt wenigstens
die Beziehungen, in welchen die nach der Einwirkung vorhandenen Mo-
lecüle zu den vor derselben dagewesenen stehen, in möglichst einfacher
Weise aus. Sie ist aber zunächst, auf die oben (§. 223) erwähnten di-
recten Additionen und ausserdem auf eine Anzahl anderer Metamorphosen
(§. 236J nicht (oder nur höchst gezwungen) anwendbar; sie gibt femer
nicht eigentlich eine Vorstellung von dem, was während der Reaction
vorgeht, könnte vielmehr, namentlich bei den gebräuchlichen Ausdrücken :
ein Radical tritt aus, wird ersetzt etc., leicht zu der offenbar irrigen An-
sicht. Veranlassung geben, als existirten die Atome und Radicale während
des Austausches, während sie gewissermassen unterwegs sind, in freiem
Zustand. — Die einfachste und für alle Fälle anwendbare Vorstellung
von dem Vorgang bei chemischen Metamorphosen ist die folgende.
284. Wenn zwei Molecüle aufeinander einwirken, so ziehen sie sich zu-
nächst, vermöge der Affinität, an und lagern sich an einander; das Ver-
hältniss zwischen den Affinitäten der einzelnen Atome veranlasst dann
häufig, dass Atome in engsten Zusammenhang kommen, die vorher ver-
schiedenen Molecülen angehört hatten. Desshalb zerfällt die Atomgruppe,
welche, nach einer Richtung getheilt, sich aneinander gelagert hatte, so,
dass jetzt Theilung nach anderer Richtung stattfindet *). Z. B. :
*) Man kann sich vorstellen, dass dabei während der Annäherung der Holecülc
aa' und bb' schon der Zusammenhang der einzelnen Atome in denselben
geschwächt wird, weil ein Theil der Verwandtschaftskraft durch die Atome
des andern Molecüls gebunden wird. Während also der Zusammenhang der
Atome a und a', b und b' fortwährend gelockert wird , nimmt der der Atome
a und b und a' und b' fortwährend zu, bis endlich die vorher vereinigten
Atome ganz ihren Zusammenhang verlieren und die neu gebildeten Molecüle
sich loslösen.
Diese Auffassung gibt dann auch eine verhältnissmässig einfache Er-
klärung von Massenwirkung und von katalytischer Wirkung. Gerade so
nämlich wie ein Molecül eines Stoffes auf ein Molecül eines andern ein-
wirkt, so wirken auch alle andern in der Nähe befindlichen*, sie lockern
den Zusammenhang der Atome. Die Thätigkeit des einen Molecüls erleich-
tert so dem andern die Arbeit-, das nächstliegende wirkt am stärksten und
erleidet mit dem stofflich verschiedenen wechselseitige Zersetzung. Die ent-
fernter liegenden sind ihm dabei behülflich; sie erleiden, während sie den
Zusammenhang der Atome im anderen Molecül lockern, selbst die gleiche
Chemlflche Metamorphosen,
vor der Zersetzung während
143
:t 8i
nach der Zersetzung
Vergleicht man dabei d«l8 Product mit dem angewandten Material,
so kann die Zersetzung aufgefasst werden als wechselseitiger Austausch:
'G
a a-
bjb^ gibt
ab
a'b'.
Alle die Metamorphosen , welche vorhin ($. 228 ff.) als doppelter 286.
Austausch betrachtet wurden, können in dieser Weise aufgefasst werden,
mögen die auf einander einwirkenden Holecüle zwei oder noch so viel
Atome enthalten.
Z. B.:
Bildung von Salzsäure
aus Wasserstoff und
Chlor.
Zerfallen des Cyan-
quecksilbers.
Hg Hg
Einwirkung von Salzsäure
auf Zinkäthyl.
Gl Zn
H e,H,.
Salzsäure auf salpeter-
saures Silberozyd.
H Ne-
Gl
1Z2- /
Ag|i<
Ghloracetyl auf
Wasser.
PaHaO H
Gl H
]\'
Ghloracetyl auf
Ammoniak.
H
eaH>^ H
Gl H
N.
Bildung von
Wasser.
H 0 H
HÖH
Wasser auf Phosphor-
superchlorid.
H Gll
H
Gl
Gl,
Wasser auf Phosphor-
ozy Chlorid.
P0 H,
Gl, H, ll^r
f
Veränderung; sobald aber die Zersetzung stattgefunden hat, gewinnen sie
ihren früheren Zusammenhang wieder. Massenwirkung und Katalyse unter-
scheiden sich dieser Auffassung nach nur dadurch von einander, dass bei
Massenwirkimg das katalytisch wirkende Holecül gleichartig mit einem der
sich zersetzenden Molecüle, bei Katalyse dagegen stofflich verschieden von
beiden ist. —
144
Theorie.
Aber auch eine Anzahl anderer Metamorphosen, welche nicht wohl
als doppelter Austausch angesehen werden können *) , lassen dieselbe
Auffassung zu und erscheinen also allen übrigen Metamorphosen yollstän-
dig analog. Z. B. die folgenden:
Essigsaures Kali 4* Kalihydrat gibt Sumpfgas und kohlensaures Kali.
K
^jo
0H,.H
+ !!«■
Trichloressigsaures
Kali. Kalihydrat. „
Chloroform.
„ Kohlensaures Kali.
eci,
K
K'je
0C1,H
+ tt*'
Chloral.
Kalihydrat „
Chloroform.
„ Ameisensaures Kall.
0C1,
0 0
H
Hl
K j^
0CI3H
+ ^«|}e.
Chloral.
Salpetersäure. „
Clilorpikrin.
„ Ameisensäure.
0CI3
0 0
H
H 1^
0Cl3(N02)
+ «"?}«■
Ameisensaurer
Essigsaurer „
Aldehyd.
„ Kohlensaurer
Kalk.
Kalk.
Kalk.
H
0 00
Ca
02H,0 j
Ca \^
021130
Ca,^
Essigsaurer
Valeriansaurer „
Intermediäres
„ KohleuBaurer
Kalk.
Kalk.
Aceton.
Kalk.
0 H,
0 00
Ca
0,H.0 1
Ca ^
W
Caji
Essigsaturer
Essigsaurer „
Aceton.
„ Kohlensaurer
Kalk.
Kalk.
Kalk.
0H3
0 00
Ca
0aH30 K
Ca'jO
"■aa
•) Es sei denn, dass man die Gruppen: H0 (Wasserstoffsuperoxyd) und K0
(Kaliumhyperozyd) als Radicale, und zwar als des doppelten Austausches
fähige Radicale, ansehen will; eine Ansicht, die von Laurent öfters ironisch
vorgeschlagen und als einfache Consequenz empfohlen wurde *, aber, in diesem
Sinne wenigstens, niemals Beifall fand.
Chemische Metamorphosen. 145
Sind bei solchen Metamorphosen die aufeinander einwirkenden Mo- 287.
lecflle complicirter zusammengesetzt, so ist es möglich, dass sie nach der
Aneinanderlagerung zum Theil an einer, zum Theil an anderer Stelle sich
spalten. Auf solche Weise entstehen wohl verschiedene Substanzen als
Producte gleichzeitiger R^acdonen und man iat nicht gerade zu der An-
nahme genöthigt, alle Molecüle zerfielen anfonglich in derselben Weise
und es entstünden nur durch Einwirkung der anfangs erzeugten Producte,
also durch secundäre Einwirkung, noch von den Hauptproducten ver-
sehiedene Nebenproducte.
In bei weitem der Mehrzahl solcher Reactionen wird die Kraft, 2B8.
welche die Ann&herung der Molecttle veranlasste, auch die Zersetzung
der anfangs gebildeten Aneinanderlagerung hervorbringen. Es ist indess
denkbar, und es kommen Fälle der Art vor, dass die Affinität von a und
a' zu b und b' zwar die Aneinanderlagerung der beiden Molecüle, inner-
halb derselben Bedingungen aber nicht das Zerfallen zu zwei neuen Mo-
lecfllen veranlasst, weil sie nicht hinreicht um den Zusammenhang der
ursprünglich verbundenen Atome völlig aufzuheben. Solche Fälle, bei wel-
chen also das Zwischenstadium festgehalten, die Zersetzung aber durch
Yer&nderung der Bedingungen doch zu Ende geführt werden kann, sind
fbr das Verst&ndniss des Vorgangs bei chemischen Metamorphosen von
besonderem Interesse.
Wenn z. B. Chlorzink auf Alkohol einwirkt, so entsteht eine krystallisirte Ver-
bindung, welche als directe Addition, als Aneinanderlagerung von 1 Molecüi Chlor-
link und 1 Molecüi Alkohol betrachtet werden muss: 62H«'0' -{- ZnCl; erwärmt
man diese Verbindung, so tritt die Zersetzung ein, die in den meisten FäUen direct
erfolgt; es entsteht: Chloräthyl ^aH^Cl und Zinkoxydhydrat: ^^i^.
vor : während : nach :
ai eAu ci ejEft» ci.eA
ZnJ KT „+ „ (^ Zn H0.
Zn H >
Nahezu alle firüher besprochene additionelle Verbindungen (§. 228) sind
solche Aneinanderlagerungen zweier Molecüle, bei welchen innerhalb der gerade
stattfindenden Bedingungen das zufällige Verhfiltniss zwischen der Anziehung der
Atome die Zersetzung nicht bis zur VoUendimg, sondern nur bis zu der dem Zer-
fallen vorausgehenden Aneinanderlagerung der Molecüle gehen lässt.
Dass dies auch bei den additioneilen aus dem Typna NH, entstehenden und
mit dem Salmiak vergleichbaren Verbindungen der Fall ist, zeigt am deutlichsten
das merkwürdige Verhalten, welches Baeyer in neuester Zeit bei den Arsenmetbyl-
verbindungen beobachtet hat.
Das Eakodylchlorid = As {^2^9)2^^ (^1^® dem Typus NH3 zügehörige Sub-
stanz) addirt sich direct zu CI3, indem es Eakodyltrichlorid liefert, einen Körper,
der dem T3rpu8 NH, -f~ ^^ zugehört. Bei geringer Erhöhung der Temperatur
zerfWt diese krystallisirte Verbindung zu Methylchlorid = 6H3CI und zu Arsen-
monomethylbi Chlorid := AsCOH^JCla, einem Körper, welcher wieder dem Typus
XH, zugehört. Lftsst man bei dieser Einwirkung das als Zwischenglied der Reao*
Kekal^, orgau. Chenie. \Q
146 Theorie.
tlon erzeugte Eakodyltrichlorid unberücksichtigt, so könnte die Reaction aufgefasst
werden als doppelter Austausch.
[eHa j^v^ ^^] Cl gibt As I Cl * + OH, . Cl.
Cl
Aber die Bildung des krystallisirten Zwischengliedes, welches in diesem
Falle noch verhältnissmässig leicht festgehalten werden kann, zeigt deutlich, daes
dem s. g. doppelten Austausch eine directe Addition vorausging. — Lftsat
man auf das Arsenmonomethylbichlorid von neuem Chlor einwirken, so entweicht
wiederum Methylchlorid und es entsteht Chlorarsen, so dass die Zersetzung als
doppelter Austausch erscheint :
^r^I >^^^ SnCl iCl
^« ci^ ^ ^^* ^'icl "*" ^^'^^'
( a
Es bedarf diesmal ^der Anwendung eines Kältegemisches, um sich davon zu
überzeugen, dass dieser s. g. doppelte Austausch nichts anderes ist als das Zer-
fallen einer vorher gebildeten additionellen Verbindung, bei welcher nur das Zer-
fallen mit ausnehmender Leichtigkeit und schon unter dem Gefrierpunkt des Was-
sers stattfindet.
R a d 1 c a 1 e.
239. Nach diesen Betrachtungen über den Vorgang bei chemischen Me-
tamorphosen ist es möglich, den Begriff der Radicale in bestimmterer
Weise aufzufassen.
Wir nennen Radical den bei einer bestimmten Zersetzung
gerade unangegri f f e n e n Rest. Wir reserviren aber dabei gewöhnlich
den Namen Radical ganz besonders Air die Reste, bei welchen wir nicht
bei allzu einfachen und zu häufig vorkommenden Metamorphosen ein
weiteres Zerfallen beobachten.
Die Radicale sind also nicht etw^a in den bestehenden Verbindungen
enthaltene in sich fester zusammenhängende Atomgruppen, vielmehr nur
Reste, die bei gewissen Reactionen unangegriffen bleiben, die aber dess-
halb nicht an sich unveränderlich sind, vielmehr bei anderen Metamor-
phosen selbst weitere Spaltung erleiden können.
Es sind die Reste, bei welchen wir in den gerade anzustellenden
Betrachtungen einhalten, von deren Zusammengesetztsein und etwaigen
Zersetzungen wir für den Augenblick absehen und die wir desshedb als
den Elementen analog betrachten.
240. Danach ist es auch einleuchtend, dass in einer und derselben Ver*
bindung verschiedene Radicale angenommen werden können, je nachdem
Radicale. 147
man die eine oder die andere Metamorphose der Betrachtung und Ver-
gleichung unterzieht; je nachdem man die eine oder die andere Analogie
will henrortreten lassen; je nachdem man die Betrachtungen weit oder
weniger weit ausdehnt
Es ist unnöthig nochmals Beispiele aufzuführen, die früher schon
erwähnten Zersetzungen sind als solche genügend.
Wollte man alle Reste, die bei irgend einer Zersetzung unange- 241.
griffen bleiben, für RadicaJe gelten lassen, so müssten die Gruppen HO
(Wasserstoffhjperoxydj , K0 etc. als solche betrachtet werden; die Sal-
petersäure wäre die Wassersioffverbindung des Radicals NO3, die Essig-
säure die Wasserstoffverbindung des Radicals O2H3O2; ^^ diese Radicale
entsprächen vollständig dem Chlor*). Da man indessen bei zu vielen
und zu gewöhnlichen Reactionen das Zerfallen dieser Gruppen beobachtet,
so werden sie gewöhnlich nicht für Radicale angesehen**).
Dass in einer und derselben Verbindung verschiedene Radicale an-
genommen werden können, je nachdem man eine mehr oder weniger tief
eingreifende Zersetzung betrachtet, zeigen deutlich die früher erwähnten
Metamorphosen der Essigsäure.
Betrachtet man z. B. die Reactionen Nr. 7, 10—14 (§. 280), so führt dies
zu der Ansicht: die Essigstture enthalte das Radical 'G^H^^-. Betrachtet man da-
gegen die Bildung von Grubengas bei Einwirkimg von Ealihydrat auf essigsaures
Kali (§.236), so führt dies zur Annahme des Radicals 6H3 (Methyl) in der Essig-
säure. Die Bildung des Acetons endlich (§. 286) zeigt, dass 1 Molectil Essigs&ure
so zersetzt wird, dass die Gruppe O3H3O unangegriffen bleibt, während bei dem
zweiten Molecül Essigsäure diese Gruppe selbst weiter zerstört wird und nur OH3 als
unangegriffener Rest, als Radical, bleibt; diese eine Reaction führt also zur Annahme
der beiden Radicale:
^aHaO und eH,.
Ganz in derselben Weise erscheint das Schwefel säurehydrat , wenn man nur 242.
die Salzzersetzungen derselben berücksichtigt, als eine Verbindung des Radicals &0'4 ;
insofern dieser Xheil unangegriffen bleibt und, wie man sich ausdrückt, von einem
Salz in das andere übertragen werden kann. Die Schwefelsäui'e wii*d dann ver-
gleichbar mit dem Wasser oder dem Schwefelwasserstoff, sie erscheint als H^O,
in welchem O vertreten ist durch das Radical: &O4.
Wasser. Schwefelwasserstoff. Schwefelsäurehydrat.
*) Betrachtungen der Art bilden die Grundlage der s. g. Wasserstoffsäuren-
theorie, nach welcher alle Säuren als Wasserstoffverbindungen von Radicalen
angesehen werden. —
**) Dass bei consequenter Durchführung des Begriffs, den man gewöhnlich von
Radical gibt, alle diese Atomgruppen und selbst das Wasserstoffhyperozyd
füi' Radicale gehalten werden müssten, ist schon öfter, besonders von Laurent
gezeigt worden. Man vgl. namentlich : Methode de Chimie. S. 854.
10 ♦
148 Theorie.
Betrachtet man dagegen die Einwirkung des . PhosphorsuperchloridB auf
Schwefelsäure, so findet man, dass dabei ein weit kleinerer Theil der Schwefel-
säure unangegriffen bleibt; es entsteht nämlich, indem wie bei allen Einwirkungen
des Phosphorsuperchlorids an die Stelle des typischen Sauerstoffs Chlor tritt:
aus
erstes Stadium.
zweites Stadium.
Schwefelsäure-
Chlorschwefelsäure-
Chlorschwefelsäure.
hydrat
hydrat
H ^
H iO
ß^alci
H Cl
dOj • Clj
H Cl
H d.
Diese tiefer eingreifende Zersetzung veranlasst uns dann in der Schwefelsäure
das Radical ^6-2 anzunehmen und die den Salzzersetzungen nach als Radical er-
scheinende Gruppe, für gewöhnlich wenigstens, nicht mehr als solches gelten zu
lassen.
248. Dasselbe findet bei einer grossen Anzahl kohlenstoffhaltiger Verbindungen
statt Die Sulfophenylsäure liefert z. B. mit Phosphorsuperchlorid ein Chlorid von
der Formel: O^H^S^a'^l* Da dabei die Gruppe: GeHj^O^a unangegriffen bleibt,
kann sie als Radical der Sulfophenylsäure angesehen werden, die dann als dem
Typus H2O zugehörige Verbindung dieses Radicals erscheint:
Sulfophenylsäure. Sulfophenylchlorid.
G^H^iTO'a^ ^ GgHj'&Gj . Cl.
Betrachtet man dagegen die Bildung der Sulfophenylsäure aus Benzol und
Schwefelsäureanhydrid, so muss man in derselben zwei Radicale, das des Benzols
= ^JSL^ und das der Schwefelsäure &G2 annehmen; so dass die in der anderen
Reaction als unzersetzt bleibender Rest, alsRadical, erscheinende Gruppe: ^JSL^B^^
für eine Verbindung dieser beiden Radicale gehalten werden muss.
244. Die oben (§. 239) gegebene Definition von Radical fallt, da die
meisten Metamorphosen als doppelter Austausch aufgefasst werden kön-
nen, für alle diese Metamorphosen zusammen mit der gewöhnlich gege-
benen Definition : Ein Radical ist die Atomgruppe , welche bei wechsel-
seitigen Zersetzungen gegen Elemente (oder gegen andere Radicale) aus-
getauscht werden kann. ( — vgl. Gerhardt, Trait^ de Chim. org. IV. 568.)
245. Auch diese Auffassung zeigt deutlich, dass in einer und derselben
Substanz je nach den Metamorphosen, die man gerade betrachtet, ver-
schiedene Radicale angenommen werden können.
Betrachtet man z. B. die folgenden Metamorphosen des Bittermandelöls
Bittermandelöl mit Chlor gibt Benzoylchlorid und Salzsäure.
e,Ht^.fH > J^ ÖjCl = e,H,e.Cl + HCL
a.
Radicale.
Bensoylchlorid mit Wasser gibt Benzoesttnre.
0 =
149
[^
"\ r
j \_
?!'
H
Bittermandelöl mit Phosphor-
snperchlorid.
Bittermandelöl.
r
Anilin.
^•H5l
AJte^H,
J
Chlorbenzol.
ejHg.Cla
Benzoylanilid.
Salzsänre.
+
Phosphorozy-
cUorid.
peci,
Wasser.
80 mnss man zugeben, dass einmal die Gruppe O^H^^, das anderemal die Gruppe
G^E^ und endlich die Gruppe ^fH^*) die Rolle eines Radicales zu spielen im
Stande ist
•) Die Bildung des Benzoylanilids , welche von Gerhardt (Tniti, IV. 678) in
der oben mitgetheilten Weise aufgefasst wird, kann indessen auch aufgefasst
werden, als werde das Radical ^^H« gegen zwei Atome Wasserstoff des Am-
moniaks ausgetauscht:
Benzoylanilid. Wasser.
Bittermandelöl.
^•[^«
r
Anilin.
e.H5
N =
+
Hl
0,
so dass die Annahme des Radicals ^1^5 nicht gerade nothwendig erscheint.
Auch die Bildung des Hydrobenzamid's , fiir welche Gerhardt dasselbe
Radical '61H5 annimmt, und die er durch die Gleichung darstellt:
Bittermandelöl. Ammoniak. Hydrobenzamid. Wasser.
kann durch Annahme dieses Radicals G7H4 gedeutet werden:
Bittermandelöl.
Ammoniak.
Hydrobenzamid.
<hJ
<H.)
Wasser.
8 OH,.
Die letzte der beiden Auffassungen verdient offenbar den Vorzug und findet
namentlich noch in der in neuester Zeit von Wicke beobachteten Bildung des
Hydrobenzamids bei Einwirkung von Ammoniak auf Essigsäurebenzoläther
eine besondere Stütze,
150 Theorie,
nAß Ganz in derselben Weiße erscheint, wenn Acethylchlorid auf Wasser
einwirkt:
Acetylchlorid. Wasser. Salzsäure. Essigsäure.
die Gruppe OjHjO als Radical; während bei Einwirkung von Acetonitril
auf wässeriges KaHhydrat:
Acetonitril. Wasser und Ammoniak. Essigsaures Kali.
Kalihydrat.
r^ — \ f H
-^^^^1
m .
= NH, 4- ^«^»je.
die Gruppe '69H, als Radical erscheint, insofern sie gegen drei Atome H
ausgetauscht werden kann. Die Essigsäure erscheint also der einen Reaction nach
als dem Typus EjO zugehörige Verbindung des Radicals BjHjO, während sie
der andern Bildungsweise nach als dem Typus 2H2O zugehörige Verbindung des
dreiatomigen Radicals OaH, betrachtet werden kann:
Typus. Essigsäure. Typus. Essigsäure.
^. Es ist einleuchtend, dass in complicirter zusammengesetzten Verbin-
dungen, die in ihren Metamorphosen eine grössere Mannigfaltigkeit zei-
gen, auch eine grössere Anzahl von Radicalen angenommen werden kann.
Aber selbst verhältnissmässig einfache Verbindungen erscheinen oft, je
nachdem man die eine oder die andere Metamorphose betrachtet, als
Verbindungen des einen oder des anderen Radicals.
Abgesehen davon nämlich, dass die Zersetzungen eines Körpers
bald tiefer, bald weniger tief eingreifen, erfolgt der Angriff auf eine
Atomgruppe bald von der einen, bald von der andern Seite. So dass
bisweilen ein Bestandtheil als dem Radical zugehörig betrachtet werden
muss, der bei andern Reactionen als dem Typus zugehörig erscheint.
Selbst die allereinfachsten Verbindungen zeigen ein solches wech-
selndes Verhalten und dann natürlich in höchst auffallender Weise.
rt^ Alle Cyanverbindungen werden z. B. gewöhnlich als Verbindungen des Ra-
dicals Cyan = ON betrachtet und in der That bleibt diese Atomgnippe bei der
grössten Anzahl der Metamorphosen unangegriflfen oder kann durch doppelten Aus-
tausch in andere Verbindungen übertragen werden.
Radicale.
151
So entsteht z. B. aus:
ChJorcjan. Kalihydrat.
ci(W
>n:
Dl
H '
e =
Chlorkalium. Cyausäure.
oder aus:
Chlorcyan.
Cl.JOT
ClE
Salzsäure.
CIH
+
Cyanamid.
HIN.
H^
Bei andern Reactionen aber (immer dann, wenn dem Stickstoff Gelegenheit
geboten wird KH3 zu bilden) erfolgt der Angriff auf die Cyanverbindungen gerade
▼on der anderen Seite, so dass jetzt die beiden sonst vereinigt bleibenden Elemente
B und N von einander getrennt werden und in die verschiedenen Producte über-
gehen. So zerflült z. B. die Cyanwasserstoffsäure mit wässerigem Aetzkali zu
Ammoniak und Ameisensäure:
Cyanwasserstoff.
Wasser und
Kalihydrat.
GH
-\ r
H
H
H
Ammoniak.
H
= nIh
Ameisensaures
Kali.
+ eHKOj.
' So dass also die Blausäure, die man sonst als Wasserstoffverbindung des
Radicals Cyan betrachtet, nach dieser Metamorphose betrachtet werden muss als
Ammoniak, in welchem die 8 Atome Wasserstoff durch den auch in der Ameisen-
sfinre enthaltenen Rest €H vertreten sind. In der That wird denn auch Blausäure
erhalten (natürlich in Verbindung mit Ammoniak) , wenn das Chlorid dieses Ra-
dicals BE^ das Chloroform auf Ammoniak einwirkt:
Salzsäure. Cyanwasserstoff.
= 3 cm + ei».
Ein ganz ähnliches Verhalten zeigt die Cyansäure, die der oben erwähnten
Bildung nach betrachtet werden kann als dem Typus HjO zugehörige Verbindung
des Radicals Cyan ; lässt man z. B. Kalihydrat einwirken auf Cyansäure , so ent-
steht Ammoniak und kohlensaures Kali :
Chloroform. Ammoniak.
ci,
.AT \ 1 H
»
\ ".
)
Cyansäure.
Ammoniak.
= NH3
Kohlensaures
Kali.
60
kJ
6,
152 Theorie.
So dass hiernach die CyanBäure betrachtet werden muBS als Ammoniak, in welchem
2 Atome H ersetst sind durch das zweiatomige Radical der Eohlensfinre (60).
249. Betrachtungen der Art, die sich leicht auf eine grosse Anzahl von Verbin-
dungen ausdehnen lassen, zeigen deutlich, dass die chemischen Verbindungen nicht
enger vereinigte und an sich unveränderliche Atomgruppen (Radicale der filteren
Radicaltheorie) enthalten, dass es vielmehr wesentlich von der Natur des einwir-
kenden Stoffes und von der Natur der mit dem sonst vielleicht unverändert blei-
benden Rest vereinigten Elemente abhängig ist, welche Elemente gerade zu der
für die bestimmte Reaction unveränderlichen Gruppe vereinigt bleiben. Der Aus-
druck, ein Körper erscheint als Verbindung oder er ist die Verbindung eines
bestimmten Radicals, er enthält ein gewisses Radical, will also nichts anderes heis-
sen als: er zerföllt bei der gerade betrachteten Reaction oder bei einer Anzahl von
Reactionen so, dass die betreffende Atomgruppe imangegriffen bleibt, oder gegen
andere Atomgruppen oder Elemente ausgetauscht zu werden scheint Wenn wir
sagen: man kann in einer und derselben Substanz verschiedene Radicale annek-
men, so ist dies nur ein anderer Ausdruck für die Thatsache, dass ein und der-
selbe Körper bei verschiedenen Reactionen in verschiedener Weise
zerfallen kann. Mit andern Worten, die Annahme der Radicale ist nur ein Hilfs-
mittel der Betrachtung, aber die Radicale selbst sind nicht existirende Grössen.
260. Da, wie früher (§. 193) schon herrorgehoben wurde — die ganze
typische Betrachtungsweise — die s. g. neuere lypentheorie — auf der
Annahme von Radicalen beruht, so sieht man leicht, dass die Begriffe
von Radical und von Typus sich gegenseitig ergänzen und dass eine und
dieselbe Substanz , je nachdem man sie in Bezug auf dieses oder jenes
Verhalten betrachtet, und je nachdem man in ihr dieses oder jenes Radical
annimmt, auch verschiedenen Typen zugezählt werden kann.
Nothwendigkeit und Bedeutung der rationellen Formeln.
261. Es ist mehrfach erwähnt worden*), dass die Formeln, deren wir
uns bedienen, die Moleculargrösse der Yerbindungen ausdrücken
sollen, dargestellt durch die Anzahl der Atome der Elemente. Stellt
man dabei die einzelnen Buchstaben ohne weitere Trennung neben ein-
ander, schreibt man z. B. :
Salpetersäure N e,H
Essigsäure ^2^4^!
Alkohol «iHeO
Essigäther GJB.^^^ u. s. w.;
Bo nennt man diese Formeln empirische Formeln oder im Oegensatz
zu den $. 45 und 46 besprochenen Verhältnissformeln auch wohl empi-
rische Molecularformeln. Es ist nun einleuchtend, dass solche For-
') vgl. besonders $.
Rationelle Formeln. 153
mein nur die Ansahl der in 1 Molec. der Verbindung enthaltenen Atome
ausdrücken, also einerseits die procentische Zusammensetzung und an-
dererseits die geringsten in Wirkung tretenden Mengen; dass sie aber
nicht oder nur in sehr untergeordneter Weise Andeutungen geben über
die chemische Natur der betreffenden Substanzen. Dies letztere bezwecken
die rationellen Formeln, deren sich die Chemiker neben den em-
pirischen und sogar vorzugsweise bedienen.
Die rationellen Formeln haben also den Zweck, eine gewisse 252.
Vorstellung zu geben von der chemischen Natur einer Verbindung, also
namentlich von ihren Metamorphosen und von den Beziehungen, in wel-
chen sie zu anderen Körpern steht. Um dies zu erreichen, schreibt man
in der Formel die Atome in solcher Weise gruppirt, dass die Art der
Stellung (die Schreibweise der Formel) schon anzeigt, welche Atome
mit besonderer Leichtigkeit gegen andere ausgetauscht werden können
und welche Atomgruppen bei gewissen Reactionen unangegriffen bleiben.
Aus den im Vorhergehenden gegebenen Betrachtungen über den
Vorgang bei chemischen Metamorphosen, über die Veränderlichkeit der
Radicale etc. ist es nun einleuchtend, dass für die meisten Substanzen
verschiedene rationelle Formeln möglich sind und dass sogar in vie-
len Fällen eine rationeUe Formel nicht alle Metamorphosen gleichzeitig
andeuten kann (z. B. bei Blausäure etc.); daher kommt es denn, dass
eine und dieselbe Substanz von verschiedenen Chemikern durch verschie-
dene rationelle Formeln ausgedrückt wird (vgl. $. 94).
Bei diesem Mangel an Uebereinstimmung könnte die Frage aufge- 258.
werfen werden, ob es überhaupt nothwendig oder nur geeignet sei, sich
der rationellen Formeln zu bedienen, ob nicht vielmehr empirische For-
meln, für welche weit leichter eine Einigung zu erzielen wäre und bei
vielen Substanzen bereits erzielt ist, den Vorzug verdienten.
Man überzeugt sich indess leicht von der Zweckmässigkeit und so- 254.
gar Nothwendigkeit der rationellen Formeln.
Man beobachtet z. B. dass bei Einwirkung von Salpetersäure auf organische
Substanzen sehr hfiufig Körper entstehen, die ausser einer vollständigen Analogie
in der Bildung auch Analogie in den Eigenschaften zeigen, z. B. beim Stoss oder
beim Erhitzen explodiren. Man drückt die Art der Bildung und die Analogie des
Verhaltens dadurch aus, dass man bei allen diesen Körpern die Gruppe (K-G-a) in
die Formel einführt.
Man findet femer, dass zwei Körper von völlig gleicher Zusammensetzung:
O^H^KClBr vollständig verschiedenes Verhalten zeigen; insofern der eine bei Ein-
wirkung von Aetzkali Chlorkalium, der andere Bromkalium liefert, während bei
dem ersteren eine bromhaltige dem Ammoniak ähnliche Substanz, bei dem zweiten
dagegen eine zwar sehr ähnliche aber chlorhaltige Base erzeugt wird. Man würde
der empirischen Formel nicht ansehen können, welchen der beiden Körper sie ge-
rade ausdrückt, und man sieht sich genöthigt, die Verschiedenheit des Verhaltens
durch vencbiedene Schreibweise der Formeln anzudeuten.
154 Theorie.
Chlorwasserstoffsaures Bromanilin == ^^HeBrN + HCl od6rK6cH,Br.Cl
Bromwasserstoffsaures Chloranilin == €9^,^^ + HBr ,, N6«H,G .Br.
Man findet ebenso, dass drei Körper von gleicher Zusammensetzung, also gleicher
empirischer Formel: OaH^-G-) völlig verschiedene Eigenschaften besitzen. Der eine
siedet bei 140^, reagirt sauer und verbindet sich leicht mit Metallozyden zu Sal-
zen; die beiden anderen sieden bei 56^ und sind augenehm riechende und neutral
reagirende Flüssigkeiten*, aber die eine derselben liefert mit Ealihydrat essigsaures
Kali neben Holzgeist, die andere dagegen ameisensaures Kali neben Alkohol. Es
ist also nöthig, diese Verschiedenheit des Verhaltens durch rationelle Formeln aus-
zudrücken, z. B. durch:
Propionsäure ^»^t;^ j^
Essigs&uremethylfither ^''oH 1^
Ameisensäureäthylfither . . . . ^5^1^*
Wir kennen endlich fünf Körper, die bei völliger Verschiedenheit der Eigen-
schaften doch die gleiche empirische Molecularformel : 65H1O09 besitzen, so dass
die empirische Formel ungenügend und rationelle Formeln geradezu nothwendig
sind:
Baldriänsäure . ^A^ je
Buttersäuremethyläther ^^e'n 1^
Propionsäureäthyläther ^*e*H 1^
Essigsäurepropyläther *ö H 1^
Ameisensäurebutyläther . . . . ^ h 1"^'
255. Da wir also die rationellen Formeln als nothwendig erkannt haben,
80 entsteht die weitere Frage, welche Art der Darstellung, welche
Schreibweise der Formel verdient den Vorzug. Na^h dem oben ange-
gebenen Zweck der rationellen Formeln kann kein Zweifel darüber sein,
dass diejenige vorzuziehen ist, welche die grösste Anzahl der Metamor-
phosen eines Körpers und die meisten Analogieen mit andern Substanzen
in einfachster und präcisester Weise ausdrückt.
Die Betrachtungen der früheren Kapitel haben nun wohl zur Genüge
gezeigt, dass die typische Schreibweise, also die Darstellung nach
Typen, in welchen einzelne Elemente durch einfache oder zusammen-
gesetzte Radicale vertreten sind, diesen Anforderungen am meisten ent-
spricht Sie haben aber gleichzeitig gezeigt, dass selbst innerhalb der
Rationelle Formeln. 155
typischen Darstellungsweise für eine und dieselbe Substanz verschiedene
rationelle Formeln möglich sind, so dass es also der Convenienz oder
dem Belieben des Einzelnen überlassen bleibt, eine der möglichen ratio-
nellen Formeln auszuwählen. Eine Wahl, die bisweilen beträchtliche
Schwierigkeiten darbietet und die zu nicht unbedeutender Verschiedenheit
der Ansichten Veranlassung gibt
Es ist nun klar, dass diejenige rationelle Formel am meisten den 266.
oben gestallten Anforderungen entsprechen wird, welche, weil aus der
grössten Anzahl von Metamorphosen hergeleitet, die am wenigst compli-
cirt zusammengesetzten Radicale, d. h die kleinsten bei Metamorphosen
unangegriffen bleibenden Reste in die Formel einführt; und welche gleich-
zeitig, durch die Stellung der einzelnen Bestandtfaeile der Formel, die
Analogieen mit anderen Körpern deutlich hervortreten lässt
Für die Snlfophenylsäure könnte man z. B. die drei rationellen Formeln ge-
brauchen :
^«Hj ^«BsS^jIrv S0H560J.H.
Die erste dieser Formeln drtLckt ans: 1) dass ein Atom H mit Leichtigkeit
gegen HetaUe ausgetauscht werden kann, 2) dass bei Einwirkung von Phosphor-
snperchlorid Chlor an die SteUe des typischen Sauerstoffs tritt, wobei HCl und das
Chlorid: OeH5&9-3.Cl erhalten werden muss; sie bezeichnet drittens, dass die Snl-
fophenyls&ure entstehen kann aus einer Phenyl - und einer Sulfdrylverbindung
(Benzol- und Schwefelsänreanhydrid) *, sie drückt also alle bekannten Reactionen
der Stilfophenylsäure aus und erinnert an die einfachen Beziehungen der Säure
zum Benzol, zur Schwefelsäure u. s. w. Die zweite der drei Formeln enthält nur
die Metamorphosen 1) und 2), lässt dagegen die Bildung aus Benzol und Schwefel-
säure unberücksichtigt, die dritte endlich deutet nur die Salzzersetzungen der Snlfo-
phenylsäure an und trägt allen übrigen Metamorphosen keine Rechnung. Es ist
also klar, dass von den drei rationellen Formeln die erste die umfassendste und
desshalb rationellste ist.
Für das Chlorschwefelsäurehydrat könnte man die drei rationellen Formeln 257.
gebrauchen :
Die erste würde ausdrücken, dass der Körper sich verhält wie ein Chlorid,
dass er mit Wasser z. B. doppelte Zersetzung zeigt, wobei Salzsäure und Schwefel-
säurehydrat gebildet wird; die zweite bezeichnet, dass er das Verhalten eines Oxy-
des zeigt, das heisst dass er bei Einwirkung von Phosphorsuperchlorid den typischen
Sauerstoff gegen Chlor austauscht und dass femer das eine Atom H diu-ch Metalle
ersetzbar ist; die dritte Formel endlich, indem sie den Körper als dem intermediä-
ren Typua HCl -f- H^O zugehörig betrachtet, fasst alle diese Metamorphosen zu-
sammen und ist desshalb den beiden anderen vorzuziehen.
Man wird sich leicht davon überzeugen , dass die Schreibweise der 208.
Formeln nach intermediären Typen ($. 202) das Verhalten complicir-
156 Theorie.
ter zusammengesetzter Substanzen ganz besonders deutlich hervortreten
lässt
Die Formel einer Aminsftnre zeigt z. B.:
GlycocoD
(Glycolaminsftiure)
indem sie den Körper gleichzeitig dem Typus H,^^ und dem TyP^" ^^a zuzählt,
dass derselbe sich einerseits wie ein Hydrat, andererseits wie ein Körper des Am-
moniaktyps verhalten, also direct mit Säuren verbinden muss.
Die Formel des Oxamethans zeigt ebenso, dass dieser Körper von einer Seite
aus betrachtet als Amid, von der andern als Aether erscheint.
^ t
H SN
Die zwei sonst noch gebrauchten Formeln:
von welchen die eine das Oxamethan als Aether der Ozaminsäure, die andere als
Amid der Aethyloxalsäure darstellt, sind in der That nur zusammengezogene Aus-
drücke dieser Formel von verschiedenen Gesichtspunkten aus. Beides sind ratio-
nelle Formeln, die für eine gewisse Klasse von Reactionen richtig sind; die Dar-
stellung nach intermediären Typen ist eine Vereinigung beider und gibt als solche
das vollständigste Bild von der Natur des Oxamethans. —
269. Im Allgemeinen wird die am weitesten auflösende rationelle Formel
immer die Natur einer Verbindung am vollständigsten ausdrücken; in dieser
Hinsicht also den anderen vorzuziehen sein. Dies schliesst jedoch kei-
neswegs aus, dass man nebenbei, und vielleicht sogar gewöhnlich, andere
rationelle Formeln gebraucht, die zur Darstellung gewisser Metamorphosen
oder zur Hervorhebung gewisser Analogieen hinreichend sind. Für den
gewöhnlichen Gebrauch wird man die rationelle Formel auswählen, welche
die am häufigsten vorkommenden und am meisten Analogieen darbieten-
den Metamorphosen ausdrückt
260. So schreibt man die Essigsäure und die Propionsäure z. B. gewöhnlich:
Essigsäure. Propionsäure.
NHa(«,<»,)(<> „_^ ^j€,#,.e.«aH,
€,H.ej^
«Agje
und doch lassen diese Formeln eine grössere Anzahl von Metamorphosen vollstän-
dig unberücksichtigt; aUe die Metamorphosen nämlich, bei welchen aus der Essig-
säure Methylverbindungen und aus der Propionsäure Aethylverbindungen entstehen.
Man hat, um diese Metamorphosen auszudrücken, eine grössere Anzahl rationeller
Rationelle Formeln. 157
Formeln in Vorschlag gebracht, in welchen Methyl = BB.^ oder Aethyl = 62^5
als Radicale enthalten sind. Die merkwürdige in neuester Zeit von Wanklyn ent-
deckte Bildung der Propionsäure bei Einwirkung von Kohlensäure auf Natrium-
äthyl zeigt deutlich, dass neben den Radicalen Methyl und Aethyl in beiden Säuren
das Radical der Kohlensäure angenommen werden muss; sie erhalten demnach die
rationellen Formeln:
Typus.
Ameisensäure.
Essigsäure.
PropionsSure.
H
%»
H
H s
nach welchen sie als dem Typus H^ J^' H20 zugehörig betrachtet werden können.
Die Ameisensäure, das Anfangsglied der homologen Reihe von Säuren, entspricht
dann unter den Verbindungen des Radicals 60 (Carbonyl) vollständig der schwef-
ligen Säure unter den Sulfurylverbindungen (Radical 502) ) ^^ höheren Homologen,
z. B. die Propionsäure werden vergleichbar mit der Sulfophenylsäure.
Tjrpus.
Ameisensäure.
Schweflige Säure.
Propionsäure.
Sulfophenylsäure.
H
H
H
ej^
e.H,
'St»
4eU
Hi
^aJ0
eeje
*|«je.
Nichtsdestoweniger wird man vorerst wenigstens die einfacheren, ob-
gleich weniger rationellen Formehi der Propionsäure ^ ' ^^ 1 0 J, Essigsäure etc.
fOr den gewöhnlichen Gebrauch beibehalten, weil sie eine grosse Anzahl
und gerade die am häufigsten vorkommenden Metamorphosen dieser Säuren in ge-
nügender Weise andeuten.
Welche der verschiedenen rationellen Formeln man fbr bestimmte 261.
Fälle gerade gebrauchen will, ist wesentlich eine Frage der Zweckmässig-
keit Die Berechtigung zur Annahme verschiedener rationeller Formeln
für dieselbe Substanz kann nach den seither gegebenen Betrachtungen
nicht bezweifelt werden. Dabei muss man natürlich im Auge behalten,
dass die rationellen Formeln nur Umsetzungsformeln, aber keine
Gonstitutionsformeln sind, dass sie nichts anderes sind als Ausdrücke
fllr die Metamorphosen der Körper, und Vergleiche der verschiedenen
Substanzen untereinander; dass sie aber in keiner Weise die Constitution,
d. h. die Lagerung der Atome in der bestehenden Verbindung ausdrücken
sollen.
Dies verdient ganz besonders hervorgehoben zu werden, weü merkwürdiger-
weise manche Chemiker noch jetzt der Ansicht sind, man könne aus dem Studium
der chemischen Metamorphosen die Constitution der Verbindungen mit Sicherheit
herleiten und man könne\ diese, also die Lagerung der Atome, in der chemischen
Formel ausdrücken. Das4 dies letztere nicht möglich ist, bedaif nicht eines beson-
deren Beweises; es ist an sich einleuchtend, dass man die Stellung der Atome im
158 Theorie.
Ramn, selbst wenn man sie erforscht hätte, nicht auf der Ebene des Papiers durch
nebeneinandergesetzte Buchstaben darstellen kann; dass man vielmehr dazu minde-
stens einer perspectivischen Zeichnung oder eines Modelles bedarf. Dass man aber
durch das Studium der Metamorphosen die Lagerung der Atome in der bestehen-
den Verbindung nicht ermitteln kann ist ebenfalls klar, weil die Art, wie die Atome
aus der sich verändernden und in Zerstörung begriffenen Substanz austreten, unmög-
lich dafür beweisen kann, wie sie in der bestehenden und unverändert bleibenden
Verbindung gelagert sind. Es muss nun zwar allerdings für eine Aufgabe der
Naturforschung gehalten werden die Constitution der Materie, also wenn mau will,
die Lagerung der Atome zu ermitteln; dies kann aber gewiss nicht durch Stu-
dium der chemischen Metamorphosen, vielmehr nur durch vergleichendes Studium
der physikalischen Eigenschafben der bestehenden Verbindungen en*eicht werden.
So vrird es vielleicht möglich werden Constitutionsformeln der chemischen Verbin-
dungen aufstellen zu können, die dann natürlich für eine und dieselbe Substanz
unveränderlich dieselben sein müssen. Aber selbst wenn dies gelungen ist, sind
verschiedene rationelle Formeln (Umsetzungsformeln) immer noch zulässig, weil
offenbar ein, durch in bestimmter Weise gelagerte Atome erzeugtes, Molecül unter
verschiedenen Bedingungen in verschiedener Weise spaltbar sein und so verschie-
den grosse und verschieden zusammengesetzte Bruchstücke liefern kann.
Constitution der Radicale.
262. Die Radicale sind, den seitherigen Betrachtungen nach, nicht etwa
absolut unveränderliche Atomgruppen, vielmehr nur Gruppen, die bei den
gerade in Betracht gezogenen Reactionen nicht weiter verändert werden.
263 ^^^ einzelnen der complicirter zusammengesetzten Radicale wurde
eben (S- 256, 260) gezeigt, dass sie als eine Verbindung oder Änein-
anderlagerung mehrerer einfacheren Radicale betrachtet wer-
den können.
Man kann demnach, wie dies öfter geschieht, in den complicirteren Verbin
düngen nähere (und gleichzeitig complicirtere) und entferntere (einfachere)
Radicale annehmen.
In der Sulfobenzolsäure z. B. ist Bfi^ßB^ das nähere Radical, welches
sonst aus den entfernteren Kadicalen Bfi^ und S^3 besteht Ebenso kann man
in der Essigsäure das nähere Radical 'BsHsO- annehmen, welches aus den entfern-
teren Radicalen 60* und 6H3 zusammengesetzt ist*).
2^ Die einfachsten Radicale selbst sind Aneinanderlagerun-
gen der einzelnen Atome der Elemente, die dabei genau den-
selben Gesetzen folgen, welche ftlr die Aneinanderlagerung der Atome
überhaupt gültig sind.
*) vgL die §. 125 besprochene Ansicht
Constitation der Radlcale. 159
Man kann demnaoh in demselben Sinn von der Constitution der
fiadicale sprechen, wie man von der Constitution der Verbindungen
spricht.
Die Art der Aneinanderlagerung der einzelnen Atome innerhalb der 265.
Radicale ist — ebenso wie die Zusammenlagerung der Atome zu den
einfachsten Verbindungen J. 190 ff. — abhängig und bedingt von der
Natur und namentlich der Basicität der Atome.
Ein einbasisches Atom kann sich z. B. nur mit einem an-
dern einbasischen Atom verbinden und offenbar nur in einer und
derselben Weise.
Zweibasische Atome dagegen können schon grössere Mannig-
faltigkeit der Aneinanderlagerung zeigen.
Ein Atom eines zweiatomigen Elementes kann sich z. B, mit
einem andern Atom eines zweiatomigen Elementes so verbinden, dass
die zwei Verwandtschaftseinheiten des einen Atoms gebunden werden
gegen die zwei Verwandtschaftseinheiten des andern. Das Molecül des
Sauerstoffs ist z. B. eine solche Aneinanderlagerung zweier Atome.
Zwei Atome eines zweiatomigen oder zweier verschiedener
zweiatomigen Elemente können aber auch so zusammentreten, dass nur
eine der zwei Verwandtscbaftseinheiten des einen Atomes gegen eine des
andern gebunden wird. Von den vier Verwandtschaftseinheiten der beiden
zweibasischen Atome werden also 2 verwendet, um die Atome selbst zusam-
menzuhalten und es bleiben mithin zwei übrig, die durch die Verwandt-
schaft anderer Atome noch gebunden werden können. Die Atomgruppe
zeigt dann , weil sie mit zwei einbasischen Atomen eine Verbindung ein-
zugehen im Stande ist, das Verhalten eines zweiatomigen Radicals.
Wenn drei zweibasische Atome in derselben Weise zusammentreten,
— so also, dass immer je eine Verwandtschaftseinheit des einen Atoms
gegen je eine des andern gebunden wird, so entsteht eine Atomgruppe,
bei welcher von den sechs Verwandtschaftseinheiten der Atome vier ver-
braucht sind, um die drei Atome selbst zu vereinigen; desshalb ist z. B.
die Gruppe SOj (Sulfuryl) ein zweiatomiges Radical, d. h. sie hat
noch zwei Verwandtschaftseinheiten übrig; sie verbindet sich z. B. mit
2 Atomen Chlor, um Chlorschwefelsäure S02«Cl2 ^^ erzeugen oder sie
vertritt zwei Atome H in zwei Molecülen Wasser (d. h. sie sättigt die
zwei Verwandtschaftseinheiten, welche vorher durch die beiden Wasser-
stoffatome gesättigt waren) und erzeugt so Schwefelsäurehjdrat *).
*) Man kann sich diese Aneinanderlagerung der Atome durch eine graphische
Darstellung versinnlichen, indem man die Basicität der Atome durch ver-
schiedene Grösse derselben darstellt. Ein Grössenunterschied, der also nicht
etwa Verschiedenheit der wirklichen Grösse der Atome ausdrücken soll, der
vielmehr nur die Anzahl der chemischen Einheiten, welche ein Atom reprft-
160 Theorie.
266. Man sieht leicht, dass diese Art von Betrachtung von der Vorstel-
lung ausgeht, dass in den Molecülen der chemischen Verbindungen der
chemischen Anziehung der einzelnen Atome Rechnung getragen sein muss.
Sie führt bei consequenter Durchführung zu der Ansicht, dass ein-
zelne Atome in isolirtem Zustand nicht möglich sind (vgl. 162); und
dass ebenso keine Verbindungen möglich sind, bei welchen ein Theil der
Verwandtschaft der die Verbindung zusammensetzenden Atome nicht
durch die Verwandtschaft anderer Atome gebunden ist.
Sie lässt, mit andern Worten nur geschlossene Molecüle als möglich,
(oder wahrscheinlich) erscheinen; d. h. solche, bei welchen sämmtliche
Affinitäten der einzelnen Atome gegen einander gebunden sind.
267. Die Betrachtung gibt so eine gewisse Erklärung von dem empiri-
schen Gesetz der paaren Atomzahlen. Durch Betrachtung aller
genau bekannten Verbindungen hat man nämlich gefiinden, dass die
Summe der zu einem Molecül vereinigten Atome stets durch eine paare
Zahl ausgedrückt wird, wenn man dabei den Sauerstoff, Schwefel etc.
(0, S etc.) für 2 zählt *).
Die firüher angestellten Betrachtungen zeigen, dass dabei der Stick-
stoff, der Phosphor und die übrigen dreiatomigen Elemente eigentlich
für drei gezählt werden müssen. Da indess an der paaren oder unpaa-
ren Natur der Summen nichts dadurch geändert wird, ob man diese Ele-
mente mit 1 oder mit 3 in Rechnung bringt, so kann man der Bequem-
lichkeit wegen die Zahl 1 wählen. Man muss dabei im Auge behalten,
dass man nicht eigentlich die Anzahl der Atome, sondern die Anzahl der
vertretenen Wasserstoffatome, d. h. die Anzahl der chemischen Ein-
heiten zählt. Das Gesetz heisst also eigentlich:
In jedem Molecüle einer chemischen Verbindung wird
die Summe der chemischen Einheiten der das Molecül zu-
sammensetzenden Atome durch eine paare Zahl aus-
gedrückt.
sentirt, also die Anzahl der WaBserstoffatome denen es äquivalent ist, dar-
steUt Die folgenden Beispiele sind ohne weitere Bemerkung verständlich.
Salz- Wasser. Amme- Sauer- Radical Chlor- Schwefelsäure- Salpeter-
säure, niak. stoff. Sulfuryl. schwefel- hydrat. säure.
säure.
*) Schreibt man den Sauerstoff =0 = 8, den Schwefel = S = 16 etc., so
werden beide natürlich als 1 in Rechnung gebracht Das Gesetz der paa-
ren Atomzahl ist älter als die Annahme der neuen Atomgewichte; und
gerade das Auffinden dieses Gesetzes und die Wahrnehmung, dass die Anzahl
der Sauerstoffatome allein ebenfalls eine paare ist, gab den ersten Anstoss
zur Umänderung der Atomgewichte. Vgl. §. 138.
ChemiBche Natur des Kohlenstoffs. 161
Dabei muss, der vorhin ($. 26f>) gegebenen Anschauung nach, streng
genommen noch die Einschränkung gemacht werden: und zwar ist
diese Summe mindestens doppelt so gross als die Basicitftt
des böchstatomigen Elementes.
Man sieht leicht, dass aus dem Gesetz der paaren Atomzahl 268.
und mehr noch aus den eben (8. 2fi5) entwickelten Ansichten über die
Constitution der Radicale, die Basicität der Radicale ($. 197) be-
stimmt, oder dass wenigstens hergeleitet werden kann, ob ein Radical
einer paaren oder unpaaren Anzahl von Wasserstoffatomen äquiva-
lent ist
Ein Radical, bei welchem die Summe der chemischen Einheiten der
es zusammensetzenden Elemente eine paare ist, ist stets zweibasisch;
ein Radical, bei welchem diese Summe unpaar ist, ist einbasisch oder
dreibasisch, z. B.:
Radical der Schwefelsäure: SO, = 2 -)- 2.2 = 6
ist 2 atomig: SOaXl, und ^^|^a,
Radical der Salpetersäure: NO^ = 8 -f- 2.2 = 7
ist 1 atomig: NOj.Ag und ^g^jo,
Radical der Phosphorsäore: PO = 3 4- 2 = 5
ist 8 atomig: PO.Cl, und ^^Wz-
Chemische Natur des Kohlenstoffs und Constitution der
kohlenstoffhaltigen Verbindungen.
In allen seil herigen Betrachtungen sind die kohlenstoffhaltigen Ver- 269.
bindungen nur als Verbindungen kohlenstoffhaltiger Radicale angesehen
worden. Es ist jetzt nöthig, die Betrachtungen auch auf die Constitution
dieser Radicale auszudehnen, um die Eigen thümlichkeiten ihres Verhal-
tens aus der Natur ihrer Bestandtheile herleiten zu können.
Wenn man sich eine Vorstellung darüber bilden will, wie die ein-
zelnen Atome innerhalb einer kohlenstoffhaltigen Atomgruppe sich gegen-
seitig binden, so ist es vor allem nöthig, sich eine Vorstellung zu bilden
über die chemische Natur des Kohlenstoffs.
Betrachtet man nun die einfachsten Verbindungen des Kohlenstoffs, 270.
aus welchen offenbar am ehesten Schlüsse über die chemische Natur die-
ses Elementes hergeleitet werden können, nämlich:
Grubengas .... €H4
Methylchlorid . . . CHjCl
Chloroform .... ©HClj
Chlorkohlenstoff . . GC^
KfkiiU, organ. Chemie. XI
162 Theorie.
Kohlensäure . . . 60]
Phosgengas . ... €OClj
Schwefelkohlenstoff . €82
Blausäure .... 6NH
Chlorcjan .... 6NC1 etc.,
so fällt es auf, dass mit der Menge Kohlenstoff, welche früher (S. 165)
als die geringst mögliche, d. h. als Atom erkannt wurde, stets vier
Atome eines einatomigen oder zwei Atome eines zweiatomigen
Elementes verbunden sind; dass allgemein: die Summe der chemi-
schen Einheiten der mit einem Atom Kohlenstoff (=0) ver-
bundenen Atome = 4 ist.
Dies führt uns zu der Ansicht, dass der Kohlenstoff vieratomig
oder vier basisch ist*) (vergl. §. 188).
271. Die einfachsten Combinationen, welche der Kohlenstoff mit den Ele-
menten der drei anderen Gruppen ($. 188) zu bilden vermag, sind
demnach:
IV + 4.1 IV + 2.U
IV + (U + 2.1) IV + (ffl + I)
oder in einfachen Beispielen **) :
€H,C1 €&2 ONCL
«HCl,
€Cl4
*) Es darf indessen nicht ohne Erwähnung bleiben, dass zwei Verbindungen:
das Kohlenosyd (O0) und das freilich noch nicht mit voUer Sicherheit nach-
gewiesene KchlensulfÜr (OS), mit dieser Ansicht nicht in Uebereinstimmuiig
stehen; wenigstens nicht, wenn man nach §. 266 nur geschlossene Atom-
gruppen annehmen will. — Da die Anschauung indessen von der Zusammen-
setzung der bei weitem grössten Anzahl von Eohlenstoffverbindungen eine
gewisse Rechenschaft gibt, so kann sie wohl als ein der Wahrheit nahelie-
gender Ausdruck betrachtet werden. JedenfaUs bietet' sie als Hülfsmittel der
Betrachtung mancherlei Vortheile dar.
**) Eine graphische Darstellung ähnlich der §. 266 schon gebrauchten dient viel-
leicht zur Erleichterung des Verständnisses. Dabei muss indess wiederholt
darauf aufmerksam gemacht werden, dass die gezeichnete Grösse der Atome
nicht die wirklichen Grössenverhältnisse, vielmehr nur die Basicität dersel-
ben, und dass die Stellung der einzelnen Atome in keiner Weise die rela-
lative Stellung derselben im Raum ausdrücken soll.
Grubengas. Methylchlorid. Phosgengas. Kohlensäure. Blausäure.
®®®s»
I Constitation der kohlenstoffhaltigen Verbindungen. Ig3
Fflr Substanzen, welche eine grössere Anzahl von Eohlenstoffatomen 272.
im Molecül enthalten, muss man annehmen, dass die verschiedenen Eoh-
lenstoffatome in ähnlicher Weise aneinandergelagert sind, wie dies oben
(§. 265) von den Atomen anderer Elemente (von Sauerstoff und Schwefel
z. B. bei Bildung von B&2) angenommen wurde.
Der einfachste und desshalb wahrscheinlichste Fall einer solchen 273.
Aneinanderlagerung von zwei Eohlenstoffatomen ist nun offenbar der, dass
eine Yerwandtschaftseinheit des e i n e n Eohlenstoffatoms mit einer Ver-
wandtschaftseinheit des andern in Verbindung tritt. Von den 2X4,
also 8 VerwandtschafiLseinheiten der zwei SohlenstoSieitome werden also
zwei verwendet, um die beiden Atome selbst zusammeqzubalten ; es blei-
ben mithin 6 Verwandtschaftseinheiten übrig, die durch die Verwandtschaft
anderer Atome gebunden werden können. Mit anderen Worten eine
Gruppe von 2 in der Weise aneinandergelagerten Wasserstoffatomen wird
6 basisch oder 6 atomig sein; sie wird mit 6 Atomen eines einatomigen
Elementes eine Verbindung bilden oder überhaupt mit soviel Atomen«
dass die Summe der chemischen Einheiten dieser = 6 ist
In der That besitzen die einfachsten Verbindungen, welche 2 Atome
Eohlenstoff enthalten, eine solche Zusammensetzung, z. B. :
Aethylwasserstoff .... 62^6
Aethylchlorid OjHjCl
Elajlchlorid €2H4C1,
11/2 Chlorkohlenstoff . . . ejCl«
Aldehyd B^E^ß
Acetylchlorid e2H30Cl
Chloral ejClaOH
GlycoHd e2H2e2
Acetonitril 62H3N
Cyan e2N2.
Treten mehr als zwei Atome Eohlenstoff zusammen, so können die 274.
neu hinzutretenden sich in derselben Weise anlagern, wiederum also so,
dass */4 der Verwandtschafkskraft des einen Atoms durch ^/4 der Ver-
wandtschaft eines anderen gebunden wird. Für jedes neu hinzutretejade
Eohlenstoffatom wird also die Basicität der Gruppe um zwei Einheiten
erhöht.
Die Anzahl der mit n Atomen Eohlenstoff verbundenen Wasserstoff-
atome z. B. (oder allgemein : chemischen Einheiten) wird also* ausgedrückt
durch :
2 + n(4 — 2) = 2+.2n
Verbindungen von 3 Atomen Eohlenstoff enthalten also so viel
Atome ' anderer Elemente, dass die Summe der chemischen Einheiten die-
ser =: 8 ist. Für Verbindungen von 4 Atomen Eohlenstoff ist diese
Summe 1= 10; bei 5 Atomen Eohlenstoff = 12; z. B. :
11 ♦
iU
Theorie.
Butylwasserstoff .
. . 64H10
Amylwasserstoff .
. . Gfiit
Butylohlorid . .
. e4Hj>ci
Amjlchlorid . . .
. . ejHuCi
Butylenchlorid .
. e4HgCi,
Amylenchlorid . .
• • Ö5H10CI2
ButyTonitril . .
. . e4H^N
Valeronitril . . .
. . e^H^N
Butyraldid . . .
. e4Hge
Valeraldid . . .
• • 65H10O
Butyrylchlorid
. . e4H7eci
Valerjlchlorid . .
OjEL^OCl
Bernsteinsäureanhydrid 64H4O3
Angelicasäure . .
• • ^sßtßt
Succinylchlorid .
64040*2^^2
Brenzweinsäureanhydrid G^H^O^.
275^ Bei den seither betrachteteu Beispielen wurde angenommen dass
alle mit der Eohlenstoffgruppe verbundenen Atome durch die Verwandt-
Schaftskraft des Kohlenstoti's festgehalten sind. Man kann sich aber eben
so gut denken, dass mehratomige Elemente \0, N etc.) sich so an die
Eohlensto%ruppe anlagern, dass nur ein Theil der Verwandtschaftskrait
dieser mehratomigen Elemente, nur eine der zwei Einheiten des Sauer-
stoffs z. B. vij^er nur eine der drei Einheiten des Stickstoffs durch den
Kohlenstoff ^Bunden sind, so dass bei dem Sauerstoff noch eine, bei dem
Stickstoff nc^ls Verwandtschaflseinheiten übrig bleiben, die noch durch
andere Atom^l^ebunden werden können. Diese anderen^Atome werden
also durch Venktlung des Sauerstoffs oder des Stickstoffs mit der Eoh-
lenstoffgruppe ^^Ij^mengehalten und stehen mit dieser nur indirect in
Verbindung*).
Eine solche indirecte Vereinigung wird durch die typische Schreib-
weise der Formeln bis zu einem gewissen Grad ausgedrückt:
Aethylwasserstoff.
Alkohol.
'St
Aethylamin.
H [N.
H ^
Betrachtet man solche Verbindungen wesentlich in Bezug auf die
sich so an die Eohlenstoffgruppe anlagernden Atome, so erscheint diese
kohlenstoffhaltige Gruppe als Radical, und wir sagen : das Radical vertritt
ein Atom Wasserstoff, weil es ebenso gut die eine Verwandtschaftseinheit
des Sauerstoffs oder des Stickstoffs sättigt wie ein Atom Wasserstoff dies
thun könnte.
Ganz in derselben Weise können durch mehratomige Elemente auch
•) Die graphische Darstellung lässt dies Verhältniss deutlicher erkennen:
Aethylchlorid. Alkohol. Essigsäure. Acetamid.
Conütitation der kohlenstoffhaltigen Verblndnngen. 165
mehrere, (bei Sauerstoff zwei, bei Stickstoff selbst drei) kohlenstoffhaltige
Grappen zusammengehalten werden *).
Ameisensäure- Aether. Triäthylamin.
methyläther.
eHol^ ^aI^ e,H5 n.
Bei solchen Verbindungen steht also der Kohlenstoff der verschie-
denen kohlenstoffhaltigen Gruppen nicht in directer Verbindung und die
Substanz spaltet sich desshalb leicht so, dass die verschiedenen Eohlen-
stoffgruppen sich wieder loslösen.
In anderen Fällen wird die Vereinigung zweier Kohlenstoffgruppen 276.
durch directe Aneinanderlagerung der Kohlenstoffatome vermittelt (z. B.
bei dem durch Einwirkung von Methjlchlorid auf Gyankalium entstehen«
den Cjanmethyl), die Verbindung zeigt dann keine Neigung mehr in die
iwei ursprünglichen Gruppen zu zerfallen, verhält sich vielmehr wie die
Verbindung eines einzigen Kohlenstoffradicals (das CjanmeÜiyl z. B. wie
Acetonitril) *).
Wenn man diejenigen Verbindungen mit einander vergleicht, welche 277.
eine gleich grosse Anzahl von Eohlenstoffatomen im Molecül enthalten
und die durch einfache Metamorphose aus einander entstehen können, so
kommt man zu der Ansicht, dass in ihnen diese Kohlenstoffatome auf
dieselbe Weise anein andergelagert sind und dass nur die mit derselben
Kohlenstoffgruppe verbundenen anderen Elemente wechseln. Bei solchen
Metamorphosen bleibt also, so zu sagen, das Kohlenstoffskelet der Verbin-
dung unangegriffen, aber die um dieses Skelet angelagerten Atome wer-
den durch andere ersetzt u. s. w. Z. B. :
Alkohol. Chloräthyl. Aldehyd. Essigsäure. Glycolsäure. Oxalsäure.
^jH^O ^2^^^* ^2^4^ vjH^Oj ^2"^^9 vjH2"0"4«
Eine Betrachtung der homologen Körper dagegen fahrt zu der An- 278.
nähme, dass in ihnen alle Kohlenstoffatome, gleichgültig wieviel deren im
Molecül enthalten sein mögen, in analoger Weise, also gewissermassen
nach demselben Sjmmetriegesetz, aneinander gelagert sind. Bei tiefer ein-
greifenden Zersetzungen, bei welchen das Kohlenstoffskelet selbst ange-
griffen wird und in Bruchstücke zerfallt, zeigt dann jedes Bruchstück die-
selbe Lagerung der Kohlenstoffatome; desshalb sind die Zersetzungsproducte
•) Ameisensäure- Cyansänre- Cyanmethyl. Essigsäure,
methyläther. methyläther.
166 Theorie.
mit der angewandten Substanz homolog oder wenigstens aus einem mit
ihr homologen Körper durch einfache Metamorphose ableitbar.
So gibt z. B. die Stearinsäure bei der Oxydation die mit ihr homologen
Säuren: Caprylsäure, OenanthylsÄure, Caproneäure u. s. f. und gleichzeitig die aus
diesen fetten Säuren sich ableitenden : Korksäure, Bemsteinsäure, Oxalsäure u. s. w.
Eohlenstoffreichere Verbindungen.
279. In einer sehr grossen Anzahl organischer Verbindungen können die
Eohlenstoffatome so aneinander gelagert angenommen werden, wie es im
Vorigen (§. 273) angegeben wurde ; so also, dass 1/4 der Verwandtschaft
des einen Atoms durch eben so viel der Verwandtschaft des anderen ge-
bunden wird. Viele organische Substanzen enthalten indess eine im Ver-
gleich zur Summe der übrigen Atome verhältnissmässig grössere Anzahl
¥0n Kohlenstoffatomen; so dass man in ihnen eine dichtere Aneinander-
lagerung der Eohlenstoffatome annehmen muss.
Das Benzol enthält z. B. : Oe^e ^^^ ^^^ seine Abkömmlinge zeigen,
ebenso wie die ihm homologen Kohlenwasserstoffe und ihre Derivate, ei-
nen solchen höheren Kohlenstoffgehalt, der sie charakteristisch von allen
dem Aethyl verwandten Körpern unterscheidet *).
Das Naphtalin enthält noch mehr Kohlenstoff, es ist OioH«; man
muss in ihm den Kohlenstoff in noch mehr verdichteter Form, die einzel-
nen Kohlenstoffatome also noch enger aneinander gelagert annehmen.
2ßQ^ Vergleicht man diese kohlenstoffreicheren Kohlenwasserstoffe: das
Benzol und seine Homologen und das Naphtalin, mit den Kohlenwasser-
stoffen der Alkoholgruppe: demAethylen und seinen Homologen, mit wel-
chen sie in vieler Beziehung Analogie zeigen:
Aethylen. Propylen. Butylen. Amylen.
62H4 ^dß-e ^4^8 ^6^10
Benzol. Toluol. Xylol.
Naphtalin.
80 zeigt sich, dass die Kohlenwasserstoffe der zweiten Reihe stets drei
Atome Kohlenstoff mehr enthalten wie diejenigen der ersten, welche
gleichviel Wasserstoffatome enthalten. Man hat:
♦) Gerade so wie die Annahme der einfach stmöglichen Ancinanderlagerung vier-
basischer Kohlensto£fatome von der Zusammensetzung aller dem Alkohol
verwandten Körper eine gewisse Rechenschaft gibt, so lassen sich, wovon man
sich leicht überzeugen kann, aus der Annahme der nächst einfachsten An-
cinanderlagerung der Kohlenstoffatome die Formeln aller mit dem Benzol
verwandten Körper herleiten.
KohlenBtoffireichere Verbindungen. 167
Propylen. BenzoL
Ebenso enthält das Naphtalin drei Atome Kohlenstoff mehr, wie der-
jenige Kohlenwasserstoff der zweiten Reihe, welcher gleichviel Atome
Wasserstoff enthält; man hat:
Toluol. Naphtalin.
©iHg + ©3 = €ioH$.
Die drei Reihen von Kohlenwasserstoffen können durch die allge-
meinen Formeln ausgedrückt werden:
Homologe des Aethjlens . . 60 Hs.o
Homologe des Benzols . . . 60 + 3 H^.d
Naphtalin 60 + 2.s Ha.n *).
Es scheint demnach, als ob dieselbe Art von dichterer Aneinander-
lagerung der Kohlenstoffatome, die das Benzol und seine Homologen von
*) In nenester Zeit ist Yon Pritsche im Steinkohlentheer ein Kohlenwasserstoff
aufgefunden worden, von der Formel O14H10. Dieser Kohlenwasserstoff
schliesst sich den drei Reihen an mit der Formel: 6b -f 3.3 H2.0. Er verhfilt
sich zu dem Naphtalin genau so wie dieses zum Benzol und wie das Benzol
zum Aethylen*, man hat:
Aethylen. Benzol.
^A + ©«Bj = ©A
BenzoL Naphtalin.
^A + ©A = ©lA
Naphtalin
^loBs + ©4B1 = ^lAo-
Er steht also zu dem, freilich noch unbekannten, nächst höheren Homo-
logen des Naphtalins , welches die Zusammensetzung ^j^Hio haben würde,
in derselben Beziehung wie das Naphtalin zum Toluol, oder wie das Benzol
zum Propylen, d. h. er enthält geradezu drei Atome Kohlenstoff mehr.
Stellt man die bis jetzt bekannten Kohlenwasserstoffe dieser vier Reihen
zusammen:
e,H,
eA
eftHio etc.
eA
e,H,
e^Hio etc.
—
^lA
—
^lA0 5
so sieht man, dass die Anfangsglieder jeder tiefer stehenden (kohlenstoff-
reicheren) Reihe zurücktreten, so dass sie sich von dem Anfangsglied der
nächst kohlenstoffärmeren Reihe um O4H2 unterscheiden, welches sie mehr
enthalten. Eine Beziehung, auf die von Pritsche schon aufmerksam gemacht
worden ist —
168 Theorie.
den Homologen des Aethjlens unterscheidet, sich bei dem Naphtalin wie-
derhole und als ob es drei Klassen von Kohlenstoffverbindungen gäbe,
die schon durch die Art der Lagerung der Kohlenstoffatome von einander
unterschieden sind.
281. Besonders bemerkenswerth ist dabei noch, dass niemals durch ein-
fache Metamorphose aus einem Körper der zweiten Klasse (Benzol etc.)
eine Verbindung der ersten Klasse (Alkohol u. s. w.) erhalten werden
kann; die allereinfachsten Kohlenstofiverbindungen abgerechnet, die
durch tiefer gehende Oxydation z. B. erzeugt werden. Ebenso ist es bis
jetzt nicht gelungen durch einfache Metamorphose aus einer kohlenstoff-
ärmeren Substanz eine jener kohlenstoffreicheren Verbindungen herzulei-
ten. Dagegen entstehen bei der zerstörenden Einwirkung der HitAC aus
einer grossen Anzahl selbst der allereinfachsten Körper der kohlenstoff-
ärmeren Klasse von Verbindungen, Substanzen, welche der durch höhe-
ren Kohlenstoffgehalt ausgezeichneten Körperklasse angehören. Es scheint,
als ob die Einwirkung starker Hitze den Kohlenstoff zu solcher dichteren
Aneinanderlagerung besonders geneigt mache.
So entsteht z. B. wenn Alkohol oder Essigsftore durch stark glühende Röh-
ren geleitet wird neben andern Producten auch: Benzol, Oarbolsäure und selbst
Naphtalin. Für viele der kohlenstofTreicheren Substanzen dienen die Producte der
trockenen Destillation (von Holz, Steinkohlen etc.) als Haupt- bisweilen sogar als
einziges Material der Darstellung (vgl. Benzol, Carbolsfture, Kreosot^ Naphtalin etc.)
Kohlenstoffhaltige Radicale.
2Q2. ^on den kohlenstoffhaltigen Radicalen, deren Constitution im vor-
hergehenden besprochen wurde, gilt alles was firtlher (besonders $.239 —
250) von den Radicalen im Allgemeinen bemerkt wurde. Da sie indess
fOr die organische Chemie von besonderer Wichtigkeit sind, scheint es
geeignet hier einzelnes nochmals zusammenzufassen.
288. Die kohlenstoffhaltigen Radicale sind ebensowenig, wie die andern
Radicale, in sich enger geschlossene und absolut unveränderliche Atom«
gruppen; sie sind vielmehr selbst in mannigfacher Weise veränderlich
(vgl. §. 239).
284. Bei vielen dieser Veränderungen bleibt die Eohlenstoffgruppe selbst
unangegriffen und nur die um sie angelagerten Atome werden gegen an*
dere ausgetauscht ($. 277).
Oftmals tritt dabei an die Stelle einer gewissen Anzahl von Was-
serstoffatomen eine eben so grosse Anzahl von Chlor-, Brom- oder Jod-
atomen (oder von dem dem Chlor analogen Radical NO]), so entstehen
die eigentlichen Substitutioneproducte (§. 128).
285. In anderen Fällen wird der Wasserstoff durch eine äquivalente Menge
Sauerstoff vertreten^ also immer je zwei Atome Wasserstoff gegen ein
Kohlenstoffhaltige Radicale.
169
Atom Sauerstoff; so entstehen aus den Radicalen der Alkohole die Ra-
dicale der S&uren. Z. B.:
3 Aethylalkohol.
Essigs&nre.
^*h
9
Hf
Aus GlycoL
Glycolsänre und
Oxalsäure.
«^«.
e.H,0(e,
Aus Glycerin.
Glycerinsäure.
«iht*.
«Ä^e..
Während bei diesen Metamorphosen die Summe der chemischen 286.
Einheiten dieselbe bleibt, und in Folge davon auch die Basicität des Ba-
dicals ; findet bei anderen Metamorphosen eine tiefere Veränderung statt.
Die Kohlenstoffgmppe selbst bleibt zwar unangegriffen, aber die Anzahl
der mit ihr verbunden bleibenden Atome (chemischen Einheiten) wird ver-
ändert; in diesem Falle ändert, wie gleich gezeigt werden soll, das Ra-
dical seine Basicität.
In noch anderen Fällen geht die Zersetzung noch weiter, so dass 287.
die Kohlenstoffgruppe selbst Veränderungen erleidet. Dabei kommt es
verhältnissmässig häufig vor, dass nur ein Kohlenstoffatom entzogen
wird und in Form von Kohlensäure, von Grubengas, Chloroform etc.
austritt, während alle übrigen Kohlenstoffatome vereinigt bleiben.
Solche Zersetzungen finden häufig bei trockener Destillation statt. Viele der
so genannten Brenzsäuren oder Pyrosäuren werden auf diese Weise, unter Austritt
von Kohlensäure erzeugt Z. B.:
Aconitsäure.
Itaconsäure.
^•B«0« —
^Oj
= G5H,04.
Gallussäure.
Pyrogallussäure.
^lBi^5 —
ÖO'j
= OjHgOj.
Terebinsäure.
Brenzterebinsäure.
"GiHiQ-G4 —
OOj
= 6,HiQ0j.
Während bei diesen Reactionen die meisten Kohlenstoffatome in
ihrer ursprünglichen Vereinigung bleiben und ein verhältnissmässig klei-
nes Stück der Gruppe abgelöst wird; zer&llt bei anderen Reactionen die
Kohlenstoffgruppe förmlich in Bruchstücke; so dass die verschiedenen
gleichzeitig aufiretenden Zersetzungsproducte alle mehrere Atome Kohlen-
stoff im Molecül enthalten (vgl. auch $. 278}. Z. B. :
170
Theorie.
Weinß&ure.
Essigsäure.
Oxalsäure.
^4ß%^6
=
^2^402
+ ,
öaHaO^.
Citronensäure.
Essigsäure.
Oxalsäure.
e,H,0, +
HjO
=
2 eaH^Oj
+
02^2^4*
Oelsäure.
Palmitinsaures
KaJi.
Essigsaures
Kaü.
^l«H3402 +
2KHe
=
^itßzi^^i
+
'G2H3KO'2
+ H,.
Veränderungen der Art, bei welchen also aus einem kohlenstoff-
haltigen Radical durch Zerstörung mehrere andere kohlenstoffhaltige
Radicale erzeugt werden, sind verhältnissmässig häufig und können in
mannigfacher Weise hervorgebracht werden. Weit seltener gelingt es, um-
gekehrt, eine Aneinanderlagerung zweier kohlenstoffhaltiger Radicale in
der Weise hervorzubringen, dass beide Gruppen nachher das Verhalten
eines einzigen Radicales zeigen.
Die bemerkenswerthesten Beispiele dieser Art sind die Cyanverbindungen
vieler Radicale, z. 6. der Alkoholradicale , aus welchen bei Einwirkung von Kali-
hydrat unter Bildung von Ammoniak eine Säure entsteht, die den Kohlenstoff des
Cyans und den des Alkohokadicals enthält (vgl. §. 276). Z. B.:
Cyanäthyl.
eN.62H5 +
2H2O =
Propionsaures Ammoniak.
63Hj(H4N)02.
Hierher gehört auch die §. 260 schon erwähnte Bildung von Propionsäure
bei Einwirkung von Kohlensäure auf Natriumäthyl :
Natriumäthyl.
Kohlensäure.
Propionsaures
Natron,
Na.eaHft
+ ee2
ejHftNaea.
Basicität der kohlenstoffhaltigen Radicale.
288. Unter den kohlenstoffhaltigen Radicalen sind, wie in früheren Be-
trachtungen mehrfach gezeigt wurde, viele einatomig, andere zweiatomig,
andere dreiatomig (§. 230 etc.). Wie bei den kohlenstofffreien Radicalen
(§. 268), 80 kann auch bei den kohlenstofihaltigen die Basicität bis zu
einem gewissen Grad wenigstens aus der Zusammensetzung hergeleitet
werden.
Da nämlich nach dem Gesetz der paaren Zahlen (§. 267) in jeder
chemischen Verbindung die Summe der chemischen Einheiten eine paare
Zahl sein muss, so müssen zunächst alle die Radicale, bei welchen die
Summe der chemischen Einheiten der das Radical zusammensetzenden
Atome eine unpaareZahl ist, unpaarbasisch (einbasisch oder drei-
Basicität der kohlenstoffhaltigen Radicale. 171
basisch) sein; ebenso müssen alle die Radicale, bei welchen diese Summe
eine paare ist, paarbasisch (z. B. zweibasisch) sein*).
Mit etwas grösserer Genauigkeit kann die Basicität der kohlenstoff- 289.
haltigen Radicale aus den §. 274 gegebenen Betrachtungen hergeleitet
werden. Da nämlich eine Gruppe von n in einfachster Weise aneinan-
dergelagerten Kohlenstoffatomen 2 n + 2 Atome Wasserstoff zu binden
vermag, so wird ein Radical von der Form: ©nH^n + i (oder ein von
diesem durch Vertretung einer gewissen Anzahl von Wasserstoffatomen
durch eine äquivalente Menge anderer Atome sich ableitendes Radical)
einbasisch sein.
Ebenso itit ein Radical von der Form ©nHan zweibasisch; ein Ra-
dical von der Form ©nHan — i dreibasisch**).
Dies ist denn auch in der That der Fall; nur zeigt sich das bemerkens-
werthc VerhaUen, dass die Radicale der dritten Form (OuHu — i) auch noch ein-
basisch vorkommen, ohne dass man sich darüber eine bestimmte Rechenschaft
zu geben im Stande ist.
So ist z. B. das Radical O3H5 einbasisch in dem Allylalkokol, dreL
basisch im Glycerin; ebenso ist das von diesem Radical sich herleitende sauer-
stoffhaltige Radical G3H3O einbasisch in der Acrylsäure, dreibasisch in der
Glvcerinsäure.
♦) Da bei dei^ kohlenstoffhaltigen Radicalen, der vicratomigen Natur des Koh-
lenstoffs wegen, die Summe der chemischen Einheiten der Kohlenstoffatome
selbst stets eine paare Zahl ist, so genügt es, die chemischen Einheiten der
mit dem Kohlenstoff verbundenen Atome zu zählen.
•♦) Man kennt jetzt schon einige Körper, in welchen vieratomige kohlen-
stoffhaltige Radicale angenommen werden müssen. So entsteht z. B. (nach
Debus) aus Glyoxal = "B2H202 durch Einwirkung von Ammoniak eine Base,
das Glycosin = O^H^N^, welches als 4 zu Einem Molecül vereinigte Am-
moniakmolecüle betrachtet werden kann, in welchen die 12 Wasserstoff-
atome dm-ch dreimal das vieratomige Radical O^Ha ersetzt sind; das
Glyoxal selbst verhält sich in dieser Reaction wie die dem Typus 2H2O zu-
gehörige Verbindung dieses vieratomigen Radicals:
Glyoxal. Glycosin.
IV
Vergleicht man dieses Radiccd mit den oben angeführten, so sieht man,
dass es sich derselben Reihe anschliesst; man hat:
9nH2ii -f ! z. B. O2R5 einbasisch
BnH^n „ G2H4 zweibasidch
GnH2n - 1 „ O2H3 dreibasisch
OnHao — 2 „ O2H2 vierbasisch.
172 Theorie.
Allylalkohol. Glycerin.
Acrylsfiure. Glycerinsänre.
In derselben Weise ist das Radical AsCOH^)) einbasisch im Eakodylchlo-
rid und den meisten Kakodylverbindangen , dagegen dreibasisch im Kakodyh
trichlorid und der Kakodylsäure *) :
Kakodylchlorid. Kakodyltrichlorid. Kakodylsäore.
As(eH3)j.Cl A8(eH,)a.Cla AsceHjU^
Die Radicale der kohlenstoflfreicheren Verbindungen zeigen in Bezug auf
Basicität ganz dieselben Beziehungen. Man hat z. B.:
■Gn 4- 3 Hn -|- I — einbasisch
Bn + 3 Hn — zweibasisch
On 4- 3 Hn — I — dreibasisch und gleichzeitig (sogar häu-
figer) einbasisch.
Einfluss der relativen Stellung der Atome.
290. Es ist seither besonderes Gewicht darauf gelegt worden , dass die
Eigenschaften der einzelnen Elemente die chemische Natur der Ra-
dicale und die der Verbindungen veranlassen. Es muss jetzt beigefügt
werden, dass offenbar auch die relative Stellung der einzelnen Atome
von wesentlichem Einfluss auf die Natur der Verbindungen ist. Es ist
zwar bis jetzt nicht möglich, über die relative Stellung der einzelnen
Atome einer Verbindung eine einigermassen begründete Ansicht aufeu-
stellen, aber die Verschiedenheit der Eigenschaften völlig gleich zusam-
mengesetzter Körper, von welchen nachher specieller die Rede sein soll,
*) Eben so wie die einatomigen Radicale in andern Verbindungen dreiatomig
sein können, so können Atomgruppen, die in einigen Verbindungen die Rolle
zweiatomiger Radicale spielen, in andern das Verhalten vieratomiger Radi-
cale zeigen. Z. B. :
Zweiatomig. Vieratomig.
Arsenmonomethyl- Arsenmonomethyl- Arsenmonom ethj-l- Arsenmonomethyl-
bichlorid. oxyd. tetrachlorld. sSure.
A8(eH,) . Cl, AsCeHa) . 0 AsCGHa) . CI4 A8(eH,)| ^
Relative Stellung der Atome. 173
zeigt deutlich, dass die relative Stellung der Atome von wesentlichem
Einfluss auf die Natur der Verbindung sein muss.
Man findet ausserdem, dass ein und dasselbe Element (das Chlor
z. B.) vielen Verbindungen mit ausnehmender Leichtigkeit entzogen wird,
während es in andern. Verbindungen der Einwirkung derselben Stofie mit
besonderer Hartnäckigkeit widersteht.
Das Chlor (und ebenso das Brom oder Jod etc.) der Subsütuüonsproducte
wird z. B. in den meisten F&llen durch einwirkende Substanzen nicht entzogen,
während die übrigen Chlorverbindungen verhältnissmässig leicht doppelte Zer-
setzung zeigen.
Man möchte sagen, dass in solchen Fällen das Chlor sich an einer ftir den
einwirkenden Stoff unzugänglichen Stelle, gewissermassen im Inneren der Sub-
stanz befindet; während es bei den meisten Körpern (den Chloriden) an leicht
angreifbarer Stelle befindlich und so der Wirkung der einwirkenden Substanz aus-
gesetzt ist
Diese eigenthtlmlichen Verbindungen des Chlors (Broms etc.), in welchen
es durch doppelte Zersetzung nicht entzogen, also durch die gewöhnlichen Reagen-
lien nicht augezeigt wird, sind zu häufig als dass es nöthig erschiene hier Bei-
/»piele auizuführen. £s mag nur daran erinnert werden, dass dieses eigenthüm-
lichen Verhaltens wegen zur Analyse einer chlorhaltigen organischen Substanz
meistens eine voUstäudige Zerstörung der organischen Verbindung nöthig ist (vgl.
§. 41).
Dass auch die des doppelten Austausches ilihigen Chloride etc. ungleich leicht
zum Theil nur sehr schwierig zersetzt werden und dass dies von der Zusammen-
betzung und Natur des mit dem Chlor verbundenen Radicals abhängig ist, ist frü-
her (§. 212) schon hervorgehoben worden.
Aul' einzelne Eigenthümlichkeiten , dass z. B. ein als Chlorid erzeugter Kör-
per bei gewissen Zersetzungen das Verhalten eines Chlorsubstitutionsproductcs
zeigt oder dass umgekehrt ein Körper, der seiner Bildung nach als Substitutions-
product erscheint, das Verhcdten eines Chlorides zeigt etc., soll nachher aufmerk-
sam gemacht werden.
Dieser Einfluss der relativen Stellung der Atome zeigt sich schon 291.
bei den allereinfachsten Verbindungen. Von den 6 Atomen Wasserstoff
des Alkohols ist z. B. ein Atom durch Metalle oder auch durch Radicale und
zwar besonders leicht durch saure (chlorähnliche) Radicale vertretbar;
während die 5 andern durch dieselben Radicale nicht ersetzt werden
können. Die 6 Wasserstoffatome des Alkohols sind also nicht gleich-
werthig und es ist offenbar der Einfluss der Stellung dieser Wasserstoff-
atome in Beziehung auf die übrigen Atome, der diese ungleiche Natur
veranlasst.
Ebenso sind die 4 Wasserstoffatome der Essigsäure nicht gleich-
werthig. Das eine wird mit besonderer Leichtigkeit durch Metalle ver-
treten, die drei anderen können nicht durch Metalle, dagegen durch Chlor
ersetzt werden. Auch hier ist die relative Stellung der Wasserstoffatome
die Ursache dieses ungleichen Verhaltens. Das eine Wasserstoffatom liegt
in der Atomgruppe in der Nähe der beiden Sauerstoffatome und wird
174 Theorie.
desshalb leicht durch Metalle vertreten; die drei anderen sind an die
KohlenstoflFgruppe angelagert und zeigen darum ein völlig verschiedenes
Verhalten.
292. In diesen beiden und ebenso in der grössten Mehrzahl der Fälle
gibt die typische Anschauung schon eine gewisse Rechenschaft von dem
ungleichen Verhalten der verschiedenen Wasserstcffatome, indem sie an-
nimmt, dass der durch Metalle (oder andere Radicale) besonders leicht
vertretbare Wassferstofif typischer Wasserstoff ist, d. h. dass er, nach
der §. 275 gegebenen Anschauung, durch Vermittlung des typischen
Sauerstoffs mit der Kohlenstoffgruppe verbunden ist. Man kann in der
That sagen, dass die ganze typische Anschauung auf das durch die rela-
tive Stellung veranlasste ungleiche Verhalten an sich gleichartiger Atome
begründet, dass sie nur ein Ausdruck für diese That«ache ist.
293. Es existiren indess einzelne Fälle, bei welchen verschiedene Was-
serstoffatome, die der typischen Auffassungs weise nach eigentlich gleich-
werthig sein müssten, dies nicht sind.
So zeigt z. B. die Glycolsäure (und ebenso die Milchsäurej das Ver-
halten einer einbasischen Säure, obgleich sie zwei typische Wasserstoffe
atome enthält (vgl. §. 215). Die beiden Wasserstoffatome der Glycol-
säure sind ungleichwerthig, obgleich sie beide dem Typus zugehören.
Das eine verhält sich genau wie der typische Wasserstoff des Alkohols,
das andere genau wie der typische Wasserstoff der Essigsäure. Das un-
gleiche Verhalten dieser beiden Wasserstoffatome ist offenbar durch die
verschiedene Stellung veranlasst, die sie in Beziehung auf die übrigen
Atome, namentlich auf den Sauerstoff einnehmen. Das eine Wasserstoff-
atom liegt wie das der Essigsäure in der Nähe von zwei Sauerstoffato-
men; das andere, wie das des Alkohols in der Nähe von einem Sauer-
stoffatome *).
Das eigenthümliche Verhalten der Glycerinsäure (vgl. §. 216) kann
in derselben Weise gedeutet werden. Von den drei typischen Wasser-
stoffatomen, die diese Säure enthält, liegt das eine in der Nähe von zwei
Sauerstoffatomen und zeigt desshalb ein ähnliches Verhalten wie der Was-
serstoff der Essigsäure; die beiden andern befinden sich nahe bei je ei-
nem Sauerstoffatom und verhalten sich daher ähnlich wie der tjpische
Wasserstoff des Alkohols.
♦) Stellt man die Zusammenselzung der Glycolsäure durch die mehrfach (S. 162,
164, 165) schon benutzte graphische Dai*st.ellung dar, so tritt die unsymme-
trische Constitution der Glycolsäure und die verschiedene Stellung der Was-
serstoffatome besonders deutlich hervor. Indessen scheint es geeignet, ge-
rade bei diesem Beispiel nochmals hervorzuheben, dass diese Darstellung in
keiner Weise ein Bild der wirklichen Lagerung der Atome, dass sie vielmehr
nur eine Darstellung geben soll von den Beziehungen der sich gegenseitig
bindenden Atome.
Relative Stellung der Atome. 175
Diese Beispiele zeigen deutlich den Einfluss, welchen die relative 294.
Stellung der Atome innerhalb der das Molecül bildenden Atomgruppe auf
ihre chemische Natur ausübt. Dieser Einfluss wird Obrigens durch die
einfache Betrachtung schon einleuchtend, dass es nothwendig die Natur
der umliegenden Atome sein muss, die es veranlasst, dass die Stelle,
welche irgend ein Atom inne gehabt, mit mehr oder weniger grosser
Leichtigkeit gerade durch dieses oder jenes andere Atom eingenommen
werden kann.
Eine unsymmetrische Constitution, d. h. eine unsymmetrische 295.
Stellung der Atome veranlasst also stets ein unsymmetrisches Verhalten
der Verbindung d. h. verschiedenes Verhalten einzelner an sich gleich-
artiger Atome.
Umgekehrt veranlasst symmetrische Stellung der Atome innerhalb
des Molecüls stets gleichartiges Verhalten.
So sind z. B. die beiden typischen Wasserstoffatome des Glycols schwer
durch Metalle, dagegen leicht durch saure Radicale vertretbar; beide liegen wie
der typische Wasserstoff des Aethylcdkohols in der Nähe von je einem Atom
Sauerstoff.
Ebenso sind die zwei typischen Wasserstoffatome der Oxalsäure mit gleicher
Leichtigkeit durch Metalle vertretbar, weil beide, gerade so wie der typische Was-
serstoff der Essigsäure an je zwei Sauerstoffatome angelagert sind.
Die Qlycolsäure dagegen zeigt ein unsymmetrisches Verhalten, sie steht wie
firnher (§. 216) schon hervorgehoben in der Mitte zwischen dem zwcisäorigen Al-
kohol: Glycol und der zweibasischen Säure: Oxalsäure.
Diese Anschauung gibt auch eine gewisse Rechenschaft davon, warum die
mit der Glycolsäure homologe Kohlensäure in Bezug auf die Vertretbarkeit der
typischen Wasserstoffatome ein so verschiedenes Verhalten zeigt. In der That
müssen, weil das Radical der Kohlensäure keinen Wasserstoff enthält, die beiden
typischen Wasserstoffatome in Bezug auf den Sauerstoff der als Hydrat gedachten
Kohlensäure gleichartig (also symmetrisch) gestellt sein.
In Verbindungen, in welchen alle Wasserstoffatome in Bezug auf die übri-
gen Atome gleichartig gestellt sind, ist kein Grund vorhanden, warum einzelne
mit besonderer Leichtigkeit gegen andere Atome ausgetauscht werden sollten. Daraus
erklärt sich die indifferente Natur der meisten Kohlenwasserstoffe.
Veränderung der Basicität der Radicale.
Ans den im Vorhergehenden gegebenen Betrachtungen ist es klar, 296.
dass es einerseits von der Natur der einwirkenden Substanz, andererseits
aber auch von der Natur und der relativen Stellung der einzelnen Atome
abh&ngig ist, ob eine Atomgruppe bei Einwirkung eines anderen Körpers
Zersetzung erleidet oder nicht, und welchen Charakter sie bei dieser Zer-
setzung zeigt
Enthält eine Verbindung z. B. ein Atom Chlor etc. an angreifbarer 297.
Stelle ($. 290), so wird bei vielen Reaotionen (dann n&mlich, wenn ein
176 Theorie.
Bestandtfaeil des einwirkenden Körpers besondere Verwandtschaft snm
Chlor hat) eine Zersetzung in der Weise eintreten, dass das Chlor in Ver-
bindung mit einem Theil der einwirkenden Substanz (dem Metall z. B.)
austritt, während die beiden Reste vereinigt bleiben. Man kann dann
sagen, der mit dem Chlor verbunden gewesene Theil verh&It sich wie
ein Radical, er tritt an die Stelle des Elementes (oder Radicals), welches
bei der Zersetzung in Verbindung mit dem Chlor weggeht Da ein Atom
Chlor mit einem Atom Wasserstoff (oder der äquivalenten Menge eines
Metalls oder Radicales) in Verbindung tritt, so muss der mit dem Chlor
verbunden gewesene Best nothwendig die Bolle eines einatomigen Ba-
dicales spielen.
Enthält eine Verbindung zwei Atome Chlor an angreifbarer Stelle,
so werden bei geeigneten Reactionen zwei Aequivalente Chlormetall er-
zeugt werden; der mit den zwei Atomen Chlor verbunden gewesene
Best verhält sich also wie ein zweiatomiges Badical und eine Zer-
setzung, welche ein solcher Körper mit einem andern erleidet, kann auf-
gefasst werden als doppelter Austausch, bei welchem das zweiatomige
Badical an die Stelle von zwei Atomen Wasserstoff oder Metall tritt
Ebenso verhält sich eine Verbindung, die drei Atome Chlor etc.
enthält, bei geeigneten Beactionen, wie das Chlorid eines ;«dr ei atomi-
gen Badicals etc.
299, Die Anzahl der an angreifbarer Stelle befindlichen und desshalb des
doppelten Austausches fthigen Chloratome gibt also ein Maass für die
Basidtät des mit dem Chlor verbundenen Bestes, als dessen Chlorid der
chlorhaltige Körper angesehen werden kann.
299, Dass andere dem Chlor ähnliche Elemente oder Atomgruppen ganz
dasselbe Verhalten bedingen, versteht sich von selbst und man sieht
leicht, dass der Contrast in der chemischen Natur der die Verbindung
zusammensetzenden Elemente eine Hauptursache der eintretenden Zer-
setzung ist und dass es von der Anzahl solcher mit den übrigen Bestand-
theilen der Verbindung in chemischer Natur contrastirenden Atome ab-
hängig ist, ob dieselbe als Verbindung eines einatomigen, eines
zweiatomigen odei* eines dreiatomigen Badicales erscheint
Aus diesen Betrachtungen ergibt sich nun weiter, dass es durch Ein-
ftahren von mit starker Verwandtschaft begabten Elementen — von Chlor
oder von chlorähnlichen Elementen oder Badicalen — gelingen muss, ein-
atomige Badicale in zweiatomige und selbst in dreiatomige überzuftlhren.
Einige Beispiele werden zeigen, dass dies in der That der Fall ist
800. Das Grubengas (= ^H«) zeigt wie die meisten Kohlenwasserstoffe ein ziem-
lich indifferentes Verhalten j und wenn man es als HydrOr des Radicals Methyl (als
6fls.H) betrachtet, so ist dies mehr eine schematische als eine aof das Verhalten
dieses Körpers gestützte Anschauung.
Verftnderung der Basidt&t der Radicale. 177
Durch Einwirkuiig von Chlor kann indessen, nach Berthelot's Versuchen,
0H3CI erhalten werden, welches dann das Verhalten des Chlorids des einatomigen
Radicals Methyl (= eH,) zeigt
Lässt man auf dieses If ethylchlorid weiter Chlor einwirken, so entsteht Chloro-
form = 'GHCI3, welches sich bei geeigneten Reactionen wie das Chlorid des drei-
atomigen Radicals 6H verhiQt Bei Einwirkung von Chloroform auf Alkohol-
natrium £. B. entsteht n&mlich (nach Versuchen von Kay und WiUiamson) der s. g.
dreibasische Ameisensäureäther:
Ebenso entsteht, wenn Chloroform auf Anilin einwirkt (Hoimann), eine Base
von der Zusammensetzung OuEisN^, welche der Art ihrer Entstehung nach be-
trachtet werden muss, als:
e'*H ;
H 1
das heisst als zwei Molecüle Anilin, in welchen drei Atome Wasserstoff durch
das dreiatomige Radical OH vertreten sind.
Wird endlich durch Einwirkung von Chlor auf Chloroform das letzte Was-
aerstoffatom ebenfalls noch durch Chlor ersetzt, so entsteht der Chlorkohlenstoff
^Cl«, der, wenn er überhaupt doppelte Zersetzung zeigt, sich wie das Chlorid
eines vier atomigen Radicals verhalten muss. In der That hat Hofmann gefun-
den, dass bei Einwirkung von Chlorkohlenstoff auf AniHn eine Base erzeugt wird,
deren Formel (= Oj^H^N,), der Art der Bildung nach, dargestellt werden kann,
durch:
IV
e
{eA)3JN„
H, S
wonach die Base als drei zu einem Holecttl vereinigte Anilinmolecttle erscheint, in
welchen der Kohlenstoff, insofern er vier Atome Wasserstoff ersetzt, die Rolle eines
vieratomigen Radicales spielt*).
^) Man kann eine grosse Anzahl organischer Verbindungen in ähnlicher Weise
betrachten, so nämlich, dass man den Kohlenstoff als vieratomiges Radical
an die Stelle von 4 Atom Wasserstoff in die Typen einfahrt. So kann z. B.
das Cyanamid betrachtet werden als 2 Molecüle Ammoniak, in welchen
4 Atome H durch ein Atom Kohlenstoff vertreten sind;
Cyanamid.
IV
Dieselbe Verbindung kann auch angesehen werden als 1 Mol. NH,, in
welchem ein At. H durch das einbasische Radical Cyan ersetzt ist:
C3'anamid.
Dieselbe doppelte Betrachtungsweise ist auf fast alle Cyanverbindungen
KckaU, orgao. Chemie. X2
Ml
178 Theorie.
Bei diesen Reactionen entsteht also durch Einführen von einem Atom Chlor
an die SteUe von Wasserstoff aus dem indifferenten Grubengas das Chlorid eines
einatomigen Radicals. Durch weiteren Eintritt von zwei Atomen Chlor an die
Stelle von zwei Atomen Wasserstoff dieses Radicals, also durch indirecten Austritt
von zwei Atomen Wasserstoff wird das einatomige Radical (Methyl = OH3) in
das dreiatomige Radical 6H übergefithrt. Aus diesem entsteht endlich durch
Austritt von dem noch darin enthaltenen Atom Wasserstoff, das heisst durch Ver-
treten dieses Wasserstoffs durch Chlor, ein vieratomiges Radical. Es Iftsst sich
also auf dem Weg des Experimentes ausführen, was oben (§. 289) als schema-
tische Betrachtung mitgetheilt wurde. Man hat:
6iiH2n -f- 1 z. B. 6H3 einbasisch
6nH2a -- 1 „ 6H dreibasisch
6nH2n — 2 „ 6 vierbasisch.
Das in dieser Reihe fehlende Glied: OnH^o oder 6Hs muss offenbar zwei-
basisch sein, es ist indessen bis jetzt nicht gelungen Verbindungen dieses zweiato-
migen Radicals aus dem Grubengas oder dem Methylchlorid zu erzeugen, dagegen
hat Buttlerow amgekehrt aus dem dem Chloroform entsprechenden Jodoform das
Methylenjodid und aus diesem essigsaures Methylglycol erhalten, die beide als
Verbindungen dieses Radicals angesehen werden müssen und in welchen es wirk-
lich zweiatomig ist:
z. B. auf die Blausäure und das Chlorcyan anwendbar, von welchen die er-
stere gewöhnlich als die Wasserstoffverbindung, die letztere als die Chlor-
verbindung des einatomigen Radicals Cyan angesehen wird.
Cyanwasserstoffsäure. Chlorcyan.
6N.C1 oder Oj'
H 'Cl.
Auch in dem Melanilin (einer durch Einwirkung von GEhlorcyan auf Anilin
entstehenden Base) kann der Kohlenstoff als vieratomiges Radical angenom-
men werden; das Melanilin erscheint dann der oben erwähnten Base Hof-
mann's vollständig analog:
Base von Hpfinann. Melanilin.
IV nr
e ) 6
(e.H,),>N, (e.H,),^N,.
Beide Körper können indess auch als Cyanverbindungen angesehen wer-
den; d. h. als enthielten sie das einatomige Radical Cyan. Sie sind dann:
Base von Hofmann. Melanilin.
Cyan - triphenyl - diamin. Cyan - diphenyl - diamin.
€fN ) €N )
Verftndenmg der Basidtät der Radicale. iT9
Methylei^odid. Essigssiires MeÜiylglycol.
Audi &auerato£fhaltige Radioale können durch Eintritt von Chlor 802.
an die Stelle von Wasserstoff in Radicale von höherer Basieitftt flber-
geftahrt weiden. § '^^^
Ans der Essigsfture, einer Verbindung des einatomigen Radicals O^H^^,
entateht %, B. dnrch Einwirkung von Chlor die MonochloresBigsfture ; eine Snb-
gtanx, die bei vielen Reactionen sich der Essigsäure analog verhält, d. h. als Ver-
bindung des einatomigen RadicaJs 63H3CI0 erscheint Beim Erhitzen mit Wasser
oder Alkalien indessen geht diese Säure in Glycolsäure über, die ihrerseits als Ver-
bindung des zweiatomigen Radicals OfHaO angesehen werden muss *). ($§• 215,
219, 285.)
Essigsäure. Monochloressigsäure. Glycolsäure.
€A^e «Äciej^ ^•^^^.-
Durch Austritt von einem Atom Wasserstoff, welcher Austritt durch das
voihergegangene Eintreten von Chlor vermittelt wurde, wird also das einatomige
Radical der Essigsäure in das zweiatomige Radical der Glycolsäure übergefOhrt
Eigenthflmliches Interesse bietet noch der üebergang des einatomigen Ra- gos.
dicals: Kakodyl (= AB(ßE^)^ in das zweiatomige Radical: Arsenmonomethyl
(= As(0El3)) dar, weil dabei nicht Wasserstoff, sondern die dem Wasserstoff äqui-
valente Atomgruppe (das Radical) Methyl durch Chlor ersetzt und so dem Radical
entzogen wird. Aus Eakodylchlorid entsteht nämlich durch Einwirkung von Chlor
und unter Austritt von Methylchlorid das Arsenmonomethylbichlorid (vgl. §§. 288,
289). Aus dem ersteren, dem Eakodylchlorid, kann eine Reihe von Verbindungen
erhalten werden, in welchen wie in dem Chlorid selbst das Kakodyl die Rolle
eines einatomigen Radicales spielt, während das Arsenmonomethylbichlorid die
Bildung von Substanzen veranlasst, in welchen ein zweiatomiges Radical ange-
nommen werden kann.
^) Ebenso entsteht dnrch Einwirkung von Ammoniak auf Monochloressigsäure
oder auf die correspondirende Monobromessigsäure das Glycocoll, welches
als die Aminsäure desselben zweiatomigen Radicals angesehen werden muss,
dessen Hydrat die Glycolsäure ist (vgl. §. 258).
Glycolsäure. Glycocoll ^
Glycölandnsäure.
W}e, §N
12'
180 Theorie.
Radical Kakodyl. Kakodylchlorid.
AsCGHa), A«(eH,)a.Cl.
Arsenmonomethyl. Arsenmonomethylbichlorid.
AsCeHj) Aß(eH,).Cla.
^04. Ebenso häufig wie die Uebergänge einatomiger Radicale in mehr-
atomige durch Eintritt von Chlor oder chlorähnlichen Elementen sind die-
jenigen, bei welchen diese Umwandlung durch die dem Chlor analoge
Atomgruppe NO^ (Nitrogruppe, Nitryl) hervorgebracht wird.
Aus dem Eohlenwasserstoff Benzol = 6«]!« entsteht z. B. durch Einwirkung
von Salpetersäure zunächst Nitrobenzol = 6eH5(N0-a) und später Binitrobenzol =
■9QH4(KOa)2- Durch Einwirkung reducirender Substanzen gibt das erstere Anilin
= 6eH,N, das letztere Semibenzidam = O^HgNa. Betrachtet man diese beiden
Körper, wie dies den Eigenschaften nach geschehen muss, als dem Ty^uB Ammo>
niak zugehörig, so ist:
Anilin. Semibenzidam.
# m
H N, H,
H /h.
Das Anilin erscheint als Ammoniak, in welchem ein Atom Wasserstoff durch
das einatomige Radical: ^«H^ vertreten ist; das Semibenzidam als zwei Uolecüle
Ammoniak, in welchen zwei Atome Wasserstoff durch das zweiatomige Radical
B^B^ ersetzt sind.
Das Nitrobenzol verhält sich also wie das Nitrit des einatomigen Radicals O^H^ ;
durch Eintiiit der dem Chlor ähnlichen Atomgruppe NO2 ^^ die Stelle eines Atoms
Wasserstoff in dieses Radical entsteht das Binitrobenzol, welches das Verhalten
eines Binitiits des um ein Atom Wasserstoff ärmeren und dadurch zweibasisch ge-
wordenen Radicales : BJtL^ zeigt.
305. In ganz ähnlicher Weise wii'd durch Eintritt derselben Nitrogruppe (NO,)
das einbasische sauerstoffhaltige Radical (O^H^O) der Benzoesäure in das zwei-
atomige Radical 6-jH40 übergeführt. Durch Einwirkung von Salpetersäure auf
Benzoesäure entsteht nämlich Nitrobenzoesäure :
Benzoesäure. Nitrobenzoesäure.
e^H^ou e,H4(N0,)ei^
Aus dieser wird durch reducirende Substanzen Benzaminsäure erzeugt, die
(ähnlich wie das Glycocoll) als Verbindung eines zweiatomigen Radicals angesehen
werden muss; durch Einwirkung von salpetriger Säure erhält man endlich aus
dieser die Oxybenzoesäure (Gerland), welche als die dem Wassertyp zugehörige
Verbindung desselben zweiatomigen Radicals angesehen werden kann, dessen Amin-
säure die Benzaminsäui*e ist *) :
*) Die Analogie dieses üebergangs des einatomigen Radicab 61H5O in das
zweiatomige O1H4O mit dem Uebergang des Radicals der Essigsäure in das
Radical der Glycolsäure (§i 302) ist nicht zu verkennen.
Yerftndenmg der Basidtftt der Radicale. Igl
Benzanunsfture. Ozybenzoesäure.
h'
e
Aueh durch Einwirkung der wasserfreien Schwefelsäure werden bis- 306.
weilen einatomige Radicale durch Verlust von einem Atom Wasserstoff
in zweiatomige übergeführt
So entsteht z. B. aus der Essigsäure, die man als dem Wassertyp zugehörige
Verbindung des Radicals: ^^E^^ betrachtet, die Snlfoessigsftnre, in welcher das
nm ein Atom Wasserstoff firmere Radical: O^BjO zweiatomig ist. Ebenso entsteht
aus der Benzoesäure, einer Verbindung des einatomigen Radicals: O^H^O, die Sul-
fobenzoesfiure, deren Radical B-fi^^ zweiatomig ist. —
Auch bei Bildung von Carbylsulfat , Isäthionsfiure und Aethionsäure durch
Emwirkung der wasserfreien Schwefelsäure auf Alkohol wird das einatomige Ra-
dical des Alkohols (C3H9) durch Verlust von einem Atom Wasserstoff in das zwei-
atomige Radical OjE^ übergeführt •). —
Aehnlich wie durch Austritt von Wasserstoff einatomige Radicale 307.
in zweiatomige, in dreiatomige etc. übergeführt werden können, so kön-
nen umgekehrt durch Aufnahme von Wasserstoff dreiatomige Radicale ^
in zweiatomige, und zweiatomige in einatomige übergeftlhrt werden.
Das Propylen (= OsH,) z. B., welches das Verhalten eines zweiatomigen
Radicals zeigt, sich also mit zwei Atomen Chlor oder Brom verbindet und so ein
Bromid erzeugt, aus welchem Propylglycol und essigsaures Propylglycol erhalten
werden können:
Propylen. Propylenbromid. Propylglycol. Essigsaures
Propylglycol.
BJä^ . "^jH« • ß^2 ^3^1
'i:l^« (eaf4)j^«
*) Will man diese Betrachtung noch weiter ausdehnen, so kann die Wirkung
des Sauerstoffs in derselben Weise aufgefasst werden wie die des Chlors.
Wenn aus Alkohol Essigsäure entsteht, so tritt an die Stelle von zwei Ato-
men Wasserstoff im Radical des Alkohols die äquivalente Menge Sauerstoff
(vergl. §. 212). Da nun die Essigsäure einzelnen Reactionen nach (vergl.
§. 246) als Verbindung des dreiatomigen Radicals OaHg angesehen werden
kann, so kann man sagen, das einatomige Radical des Alkohols sei durch
Austritt von zwei Atomen Wasserstoff in dieses dreiatomige Radical der
Essigsäure Übergefährt worden:
Alkohol. Essigsäure.
182 Tlieori«.
kann, wie Bertibeloi gescigt hat, direct mit Salzsftnre Tereinigt werden unter Bü-
düBg Yon Propylchlorid = OjE^Cl, welches sich dann wie das Chlorid des ein-
atomigen Radicals BJl-, yerhfilt.
Auch durch Schwefels&nrehydrat gelingt die üeberflihnmg dieses zweiatomi-
gen Radicals: Propylen (BJS.^) in das einatomige Radical: Propyl (6,H,). Das
Propylen vereinigt sich nttmlich (nach Berthelot) direct mit SchweCelsänrehydrat
und die so entstandene PropylschwefelBfinre gibt mit Wasser yerdflnnt und destil-
' lirt PropylalkohoL
In derselben Weise wird dnrch Einwirkung von Chlorwasserstoff oder Brom-
Wasserstoff auf das zweibasische Amylen (= Bfii^')^ das einbasische: Amyl
(=s O^ii) \ durch Einwirkung von Bromwasserstoff oder von Schwefelsfturehydrat
auf das zweibasisohe Aethylen (= O^H«) das einbasische Aethyl (= O^H^) erzeugt.
In allen diesen Reactionen gehen die zweibasischen Radicale 'GnBsa durch
Aufiiahme von einem Atom Wasserstoff in die einbasischen Radicale OoHsa + i
über (vgl. $. 289).
g0g Hierher gehört auch der üebergang von Chlorkohlenstoff (6CI4) in Chloro-
form (OHCl,) und Methylchlorid (6H3CI). Dabei wird^ indem Wasserstoff an die
Stelle des Chlors tritt, das Verhalten der Verbindung in der Weise umgeändert,
dass aus dem Chlorid des vieratomigen Radicals (6), ein Chlorid eines dreiatomi-
gen Radicals (6H) und endlich ein Chlorid des einatomigen Radicals (OH,) ent-
steht. Durch Aufnahme von Wasserstoff geht also das vieratomige Radical in ein
dreiatomiges und endlich in ein einatomiges über. Das Einführen von Wasserstoff
an die Stelle von Chlor macht es also möglich, genau die umgekehrte Ver&nde-
rung Yon derjenigen hervorzubringen, welche durch Einbringen von CSilor an die
Stelle des Wasserstoffs stattfindet (vgl. §. 801).
809. ^^ ^^^ Metamorphosen, bei welchen die Radicale ihre Basicit&t än-
dern, sind auch noch diejenigen zu zählen, bei welchen ein Chlorid oder
Bromid direct ein MolecOl Chlor oder Brom au&immt und so einen Kör-
per erzeugt, der sich verhält wie das Chlorid oder Bromid eines Radi-
cales, welches dem in der angewandten Verbindung enthaltenen gleich
zusammengesetzt ist, dessen Basicität aber um zwei grösser ist
So v^bindet sich z.B. das Eakodylchlorid = Ab(OH,)3.C1 direct mit Chlor,
m
um Kakodyltrichlorid = As(6H,)3.Cl3 zu erzeugen. Das erstere verhttlt sich wie
das Chlorid eines einatomigen, das letztere wie das Chlorid eines dreiatomi-
gen Radicals.
Ein fthnlicher Üebergang eines einatomigen in ein dreiatomiges Radical von
gleicher Zusammensetzung findet bei der Einwirkung von Brom auf Allyljodid (=
O3H5J) statt Dabei entsteht nämlich das Bromid ^^H^Br, , offenbar indem zunächst
Brom an die Stelle des Jods in Allyljodid tritt und das gebildete Bromid sich dann mit
zwei weiteren Bromatomen vereinigt Das Allyljodid zeigt das Verhalten des Jo-
dids eines einatomigen Radicals ; es liefert z. B. mit essigsaurem Silber Essigsäure-
Allyläther, aus welchem durch Kali der Allylalkohol erzeugt wird. Das AUyltri-
bromid dagegen verhält sich bei dieser Reaction wie das Bromid des dreiatomigen
bomerie.
183
Badicals, es gibt mit essigBaarem
(Hyeerin erhalten werden kann:
Triacetin, ana welehem mit Barytwasser
AUyljodid.
AUylalkohoL
EBsigsÄure - Allyläther.
«A-J
^•S1^
Allyltribromid.
Glycerin.
Triacetin.
OA-Br.
^•^i^»
Das Umgekehrte von dieser Umwandlang einatomiger Radicale in 810.
die gleich zusammengesetzten dreiatomigen findet bei der Einwirkung von
Jodphosphor (= P2J4) auf Olyoerin statt Dabei entsteht Allyljodid. Das
dreiatomige Radical des Glycerins wandelt sich also in das gleich zusam-
mengesetzte aber einatomige Radical Allyl um.
Isomerie. Polymerie. Metamerie.
Man war früher der Ansicht, dass gleiche Zusammensetzung noth- 311.
wendig gleiche Eigenschaften bedingen müsse. Man kennt jetzt zahbeiche
Beispiele dafür, dass dies nicht immer der Fall ist. In der That zeigt
schon eine ein&che Betrachtung, dass Körper von gleicher procentischer
Zusammensetzung aus mehrfachen Ghründen doch völlig verschiedene Ei-
genschaften zeigen können.
Zunächst können procentisch gleich zusammengesetzte Körper ver-
schiedene Moleculargrösse besitzen; so dass also der eine innerhalb eines
Molecüls die doppelte oder dreifache Anzahl von Atomen enthält als der
andere. Dann aber können selbst Körper, die bei gleicher procentischer
Zusammensetzung auch gleiche Moleculargrösse besitzen, doch völlig ver-
schiedene Eigenschaften zeigen, wenn die relative Stellung der Atome
innerhalb der Molecüle verschieden ist.
Man bezeichnet im Allgemeinen alle diejenigen Körper als isomer, 812.
die bei gleicher procentischer Zusammensetzung verschiedene Eigenschaf-
ten besitzen.
Polymer nennt man diejenigen Substanzen, bei welchen die Iso- 813.
merie durch Verschiedenheit der Moleculargrösse bedingt ist; welche also
dieselbe empirische Verh<nissformel (§. 45) aber ungleiche Molecular-
fonnel ($. 63) besitzen.
Es ezistirt z. B. eine grosse Anzahl von Eohlenwasserstoflfen (Aethylen, Pro-
pylen, Batylen, Amylen etc.), die alle auf 86.71 p. C. Kohlenstoff, 14,29 p. C.
Wasserstoff enthalten, die also alle durch die Yerh<mssformel ßE^ (oder allge-
mein) OnHin ansgedrückt werden. Trotz der Gleichheit der Zosammensetzung
siiid diese Kohlenwasserstoffe völlig yerschiedene Körper. Sie sind isomer tmd die
184 Theorie.
iBomerie hat ihren Grand darin^ dass die Anzahl der im HolectU enthaltenen Atome
bei diesen verschiedenen Körpern verschieden ist; diese Kohlenwasserstoffe sind
also polymer. Nach den Beziehungen, die sie za andern Körpern zeigen, mässen
ihre MolectUe ausgedrückt werden durch die Formeln:
Aethylen. Propylen. Butylen. Amylen etc.
CtjH« ^3^f '^4'^8 ^6^10'
Ebenso gibt es drei nach physikalischen und chemischen Eigenschaften ver-
schiedene Körper, die durch die Verhältnissformel 6KC1 ausgedrftckt werden kön-
nen. Nach dem chemischen Verhalten dieser Körper hat die Isomerie ihre Ursache
in ungleicher Moleculargrösse. Die Molecularformeln der drei Körper sind:
Gasförmiges Ghlorcyan. Flüssiges Chlorcyan. Festes Chlorcyan.
€Na e^aCi, e,N,a3.
Bemerkenswerth ist dabei noch die Leichtigkeit, mit welcher die eine poly-
mereModification in die andere umgewandelt wird. Das gasförmige Chlor-
cyan geht nttmlich von selbst in festes Chlorcyanf über, offenbar indem drei Ho-
lecüle sich zu einem vereinigen.
Eine ähnliche Polymerie findet statt zwischen:
Gyansäure. Cyanursfture. Cyamelid.
Auch hier kann die eine polymere Modification leicht in die andere überge-
ftlhrt werden. Die Cyanursfture verwandelt sich beim Erhitzen, indem ein Molecül
sich in drei Molectüe spaltet, in Cyansfture; diese geht von selbst in Cyamelid
über, wahrscheinlich indem eine gewisse Anzahl von Cyansfturemolecülen sich zu
einem Molecül vereinigen.
Ein ähnlicher üebergang eines Körpers in einen andern mit ihm polymeren
findet beim Erhitzen des Cyanamids statt, dabei entsteht Melamin:
Cyanamid. Melamin.
GN<|H]i GjN^Hg.
Auch der Aldehyd (GaH^O) geht beim Aufbewahren in verschiedene mit
ihm gleich zusammengesetzte Körper: den Metaldehyd, Paraldehyd und Elaldehyd
Über, die wahrscheinlich polymere Modificationen von grösserem Molecül sind,
deren Moleculargrösse aber noch nicht festgestellt ist
Ebenso verwandelt sich der Benzoylaldehyd (Bittermandelöl) := GiH^O un-
ter gewissen Bedingungen in einen, den Eigenschaften nach verschiedenen, aber
gleich zusammengesetzten Körper: das Benzoin, dessen Molecül wahrscheinlich
doppelt so gross ist, wie das des Bittermandelöls:
Bittermandelöl. Benzoin.
Polymer sind femer:
Aldehyd und Buttersäure.
vjBkd^ 'Ö^Hg'ö'j
T
Isomerie.
Valeraldid
und
Caprinsfiure.
OftH,^^
^lo^jo^a-
Angelicasänre
und
Camphorsänre.
^A^j
^lAt^«.
185
Metamer nennt man diejenigen bei gleicher Moleculargrösse iao- 814.
meren Körper, bei welchen man sich von der Verschiedenheit der rela-
tiven Stellung der Atome eine gewisse Rechenschaft wenigstens zu geben
im Stande ist; die also bei gleicher empirischer Molecnlarformel (SS* 63,
251) daroh verschiedene rationelle Formeln (S- 252) ausgedrückt werden
können.
Die Anzahl metamerer Verbindungen ist ungemein gross.
Metamer sind z. B.:
Die Aeiherarten der fetten Sfturen untereinander (vgl. §. 254). Z. B. :
Essigsäuremethyläther mit Ameisensäureäthyläiher.
Buttersäure- Propionsäure- Essigsäure- Ameisensäure-
methyläther, äthyläther. propyläther. butyläther.
eH,r e^r ^aH,r e,H,r-
Femer: dieselben Aeiher mit den fetten Säuren (vgL §. 254). Z. B.:
Propionsäure mit Essigsäuremethyl- und Ameisensäure-
äther äthyläther.
Ebenso: Baldriansäure mit Buttersäuremethyläther und den drei oben aufge-
führten mit diesem metameren Aetherarten.
Metamer sind femer die Aether und intermediären Aether der Alkohol-
gruppe^ z. B. :
Butyläther
mit
Methyloenanthyläthe
eÄK
Hethylamylttther
mit
Aethylbutyläther.
eA.r
«Ar-
ben Aether mit den Alkoholen,
z. B.
Methyläther
mit
AethylalkohoL
m*
^Aje.
186
Theoffto.
Aethylätfaer mit
BotyUkohtd.
«^».
Die Aldehyde mit den Acetonen, z. B.:
Propylaldehyd.
Aceton.
€A|j
vjlijTT
Der AUylalkohol mit den beiden eben genannten Körpern:
AUylalkohol.
Polymer mit diesen drei metameren Sabstanzen ist femer noch die Capron-
Capronsänre.
Metamer sind femer viele dem Ammoniaktypns zugehörige Basen der Al-
koholradicale, z. B.:
mit
säure:
Aethylamin
Dimethylamin.
H >N
OH-
H
mit
Propylamin
H >N
H
Einzelne der substituirten Harnstoffe, z. B.:
Trimethylamln.
eH,J
OH,
33i
Aethylhamstoff mit
Weiter sind metamer:
Berasteinsfture mit Aethyloxalsäure
0 »
Dimethylhamstoff.
und OzalBSnremethyUUlier.
(OH,
^t)j^'-
Zu den metameren Körpern kann maii auch noch z&hlen:
Benzoesäure. Saücylige Säure.
lBoni«rie. 187
MethylaaUcylsäure und Anissäure.
Salicylsäaremethyl- mit Aethylsalicyl- and AniBBäuremeÜiyl-
äther. säure. ftther.
«-^j». «^j«. «•*.s^!*-
obgleich in diesen FfiDen die Isomerie weit weniger erklärt ist, wie in den vorher-
gdienden, insofern in den fttr dieAniss&nre und Salicylsftnre gebrauchten Formeln
noch verhfiltnissmftssig complidrt zusammengesetste Radicale angenommen sind,
deren innere Constitution bis jetKt wenig bekannt ist.
In allen diesen und zaUreichen anderen F&llen findet die Metamerie 815.
ihreErkl&ning in der Verschiedenlieit der in den Verbindungen enthaltenen
Radicale. In einzelnen anderen Fällen kann man sich, obgleich die in
den metameren Körpern enthaltenen Radioale identisch sind, von der He-
tamerie dennoch eine gewisse Beehensehaft geben.
So kann z. B. die Verschiedenheit der Eigenschalten des Ozamethans und
der Aethyloxaminsäure dadurch erklftrt werden, dass man annimmt, in dem erste-
ren vertrete das Radical Aethyl den dem Sauerstoff nahe stehenden (dem Typus
Wasser zugehörigen) Wasserstoff, in dem letzteren dagegen ein Atom Wasserstoff
des Ammoniaktypus:
Oxamethan. Aethyloxaminsäure.
oaI^ h 1^-
Auch die Verschiedenheit der beiden isomeren Körper: Bromwasserstoffsau-
res Chlorcinchonin und chlorwassers^ffsaures Bromdnchonin findet ihre Erklärung
in der Metamerie. Vgl. auch $. 254.
Salzsanres Bromcinchonin OsoH^aBr^N^O, 2HC1
Bromwasserstofiisaures Chlorcinchonin . ^ao^aaClaN,^, 2HBr.
Das eine ist das salzsaure Salz eines Bromsubstitutionsproductes, das andere
das bromwasserstoffsaure Salz eines Chlorsubstitutionsproductes.
Während man in allen diesen Fällen von Isomerie sich durch die, 316.
auf das Verhalten der betreffenden Substanzen begründeten, rationellen
Formeln eine gewisse Vorstellung von der Ursache der Isomerie bilden,
diese also durch Polymerie oder Metamerie erklären kann, existirt eine
verhältnissmässig grosse Anzahl von Isomerieen, für welche der jetzige
Stand unserer Kenntnisse keine oder wenigstens keine nur einigermassen
genügende Erklärung zu geben im Stande ist.
Dies liegt in vielen Fällen daran, dass die eine oder beide iso-
mre Substanzen noch nicht hinlänglich studirt sind, um ihr chemisches
188 Theorie.
Verhalten durch eine rationelle Formel ausdrücken zu können. In ande»
ren F&llen dagegen beobachtet man verschiedene Eigenschaften bei Kör-
pern, welchen man dem jetzigen Stand unserer Kenntnisse nach gleiche
rationelle Formeln beizulegen sich genöthigt sieht. Diese letzteren F&lle
bezeichnet man bisweilen mit isomer im engeren Sinn,
317. Zu den Fällen von Isomerie, bei welchen man sich von der Ursache der
Verschiedenheit keine Rechenschaft geben kann, weil der eine oder beide isomere
Körper noch zu wenig bekannt sind, gehören z. B. die folgenden:
Die Cmninsäure ist isomer mit der Nelk^äure (= ^loHiaO-j).
Das Sarkosin ist isomer mit dem Alanin (= ■BsH^N^))*
Das Furforamid verwandelt sich leicht in das isomere Forforin
(= e^HiaNaOa) etc.
Isomer sind femer viele der s. g. Kohlenhydrate, z. B.: Cellulose, Stftrke, Dextrin
(= '9«H|o05); Gummi, Rohrzucker, Milchzucker (Oi2Hsa'9'ii) etc.
318. Zu den Isomerieen im engeren Sinn rechnet man hftufig die ver-
schiedenen nach der Verhftltnissforme] OnHg zusammengesetzten Kohlenwasser-
stoffe. Für viele dieser Körper hat die Isomerie offenbar ihren Grund in Poly-
merie, wenigstens spricht die Zusammensetzung der Verbindungen, welche diese
Körper mit Chlorwasserstoffsfiure und Bromwasserstoffsäure zu bilden im Stande
sind, dafür dass einzelnen die Molecularformel OioHi«, andern dagegen die Moleca-
larformel 620H33 zukommt. Die Isomerie derjenigen Kohlenwasserstoffe dagegen,
deren Moleculargrösse (wahrscheinlich) identisch ist, kann für jetzt in keiner Weise
erklärt werden; da indess die chemische Natur dieser Körper noch so wenig er-
kannt ist, dass für keinen derselben eine rationelle Formel aufgestellt werden
kann, so liegt kein Grund vor, für diese Körper gleiche Constitution anzunehmen.
Will man den Begriff von isomer im engeren Sinn beibehalten, so gehören
dahin etwa:
Die Maleinsäure und Fumarsäure, die beide, als zweibasische Säuren, nach
der typischen Schreibweise der Formeln ausgedrückt werden können durch:
Femer die beiden ebenfalls zweibasischen Säuren : Schleimsäure und Zucker-
säure:
ti^'
^2]
Man sieht indessen leicht, dass die hier gegebenen Formeln nicht eigentlich
rationdle Formeln sind, insofern sie nur die Salzzersetzungen dieser Säuren aus-
drücken und insofern es unseren jetzigen Kenntnissen nach nicht möglich ist, über
die Natur und Constitution der Atomgruppen, die in diesen Formeln als Radicale
angenommen sind, irgend Ansichten aufzustellen.
Dasselbe gilt auch von der Isomerie der Ozybenzoesäure und der Salicyl-
säure, die beide die gemeinschaftliche Formel besitzen:
Isomerie. 189
und bei welchen die Verschiedenheit wahrscheinlich darauf beruht, dass die Atom-
grappen, welche man in dieser Formel als Radicale annimmt, bei beiden Säuren
ungleich zusammengesetzt sind. —
Zu den merkwürdigsten Beispielen noch unerklärter Isomerie gehört die Ver- 319^
schiedenheit der zwei verhältnissmässig einfach zusammengesetzten (= ^T^ipii)
Chloride, von welchen das eine aus dem Aldehyd durch Einwirkung des Phosphor-
saperchlorids erzeugt wird, während das andere durch directe Vereinigung von
Aethylen mit Chlor oder durch Einwirkung von Phosphorsuperchlorid auf Glycol
entsteht-, und die beide nach Entstehung und Verhalten für Chloride zweiatomiger
Radicale gehalten werden müssen, denen also dieselbe rationelle Formel zukommt:
Aethylidenchlorid. Aethylenchlorid.
^2^4 • CI3 ^2^4 * Cl^»
Ebenso merkwürdig ist die Verschiedenheit des Acetals und des Diäthyl-
glycols, die beide durch dieselbe rationelle Formel ausgedrückt werden müssen:
Acetal. Diäthylglycol.
^* !^^ Si^J^^
Es ist einleuchtend , dass alle f^Ue von jetzt noch unerklärter Iso- 820.
merie sich später, bei genauerer Erforschung der betreffenden Substanzen,
entweder der Polymerie oder der Metamerie werden unterordnen lassen;
das heisst, dass die Ursache der Verschiedenheit entweder auf verschie-
dener Moleculargrösse oder auf Verschiedenheit der relativen Stellung der
Atome innerhalb der Molecüle beruhen muss. —
Zu den Fällen von Isomerie, d. h. von Verschiedenheit der Eigen- 321.
Schäften bei gleicher Zusammensetzung gehören auch noch diejenigen
Körper, die bei vollständiger Uebereinstimmung der meisten und nament-
lich der wesentlichsten chemischen Eigenschaften in einzelnen und be-
sonders in physikalischen Eigenschaften wesentliche Verschiedenheiten
zeigen.
So existirt z. B. die Weinsäure = B^E^^^ (mit welcher ausserdem noch
die Traubensäure, die Metaweinsäure und die Isoweinsäure isomer sind) in zwei
Modificationen, die chemisch völlig identisch sind ; aber die Lösung der einen Säure
dreht die Polarisationsebene nach rechts, die Lösung der andern Säure nach links ^
die Salze beider Säuren zeigen dieselbe Verschiedenheit und sind ausserdem noch
in der Form der Erystalle verschieden, indem sie, bei sonst gleicher Form, un-
gleichgestellte hemiedrische Flächen besitzen.
Aehnliche Verschiedenheiten der physikalischen und namentlich der optischen
Eigenschaften zeigen sich bei den zwei Modificationen der Aepfelsäure und der
Asparaginsäure, bei den drei Modificationen der Gamphorsäure , beim Amyl-
alkohol etc.
Von diesen merkwürdigen Verschiedenheiten der physikalischen Eigenschaf-
ten chemisch identischer Substanzen wird später noch besonders die Rede sein.
190 Theorie.
822. Es ist Mber schon wiederholt darauf auAnerksam gemacht worden
(besonders 8f?241 — 248), dass ein und derselbe Körper in verschiede-
nen Reactionen oft völlig verschiedenes Verhalten zeigen, also durch ver-
schiedene r&tionelle Formeln ausgedrückt werden kann. Man kann in
solchen Fällen annehmen, oder man kann wenigstens die Thatsache so
ausdrücken, dass man sagt: der eine Körper verwandle sich w&hrend der
Reaction (durch Umlagerung der Atome im Molecül) in einen andern mit
ihm isomeren Körper.
Beispiele von solchem doppelten Verhalten sind in früheren Kapiteln schon
mehrfach mitgetheilt worden, es mögen indessen hier einzelne des auffallendsten
nochmals zusammengestellt werden.
828. Durch Einwirkung von Brom auf Allyljodid (Jodpropylen = O9H5J) entsteht
einBromid von der Formel BjE^Br,; der Art der Bildung nach kann dieser Körper
betrachtet werden als dasBromid des gebromtenPropylenB(=63H5Br.Br2) *). Er
ist in der That verschieden von dem von Berthelot durch Einwirkung von Phosphor-
superbromid auf Glycerin dargestellten Tribromhydrin, welches seiner Bildung nach
m
als Bromid des dreiatomigen Glycerinradicals erscheint (OsH^.Br,). Er verh<
eich auch bei gewissen Reactionen wie das Bromid eines bromhaltigen Radicals,
indem er z. B. bei Einwirkung auf Ammoniak (nach Simpson) eine Base liefert
von der Formel:
ie,H4Br
N^ejH^Br
Derselbe Körper, auf dieselbe Weise dargestellt, verhält sich bei Behandlung
mit essigsaurem Silber in ganz verschiedener Weise, er liefert Triacetin, aus wel-
chem dann Glyceiin erhalten werden kann.
Allyltribromid. Triacetin. Glycerin.
m mm
^^* In ähnlicher Weise doppeltes Verhalten zeigt das Aethylenbromid (= G^H^Br^).
Der Entstehung nach ist dieser Körper das Bromid des zweiatomigen Radicals
Aethylen. Sein Verhalten gegen essigsaures Kali steht mit dieser Bildung inUeber-
einstimmung, es entsteht nämlich einfach -essigsaures Glycol, aus welchem durch
KaU Glycol erhalten wird.
Aethylenbromid. Einfach -essigsaures Glycol. GlycoL
m KM
G,H,0 0, H,r»-
*) Mit diesem Körper sind noch isomer: das aus dem Propylenbromid
(GjHf .Br^) durch Brom erhaltene Substitutionsproduct (Brompropylenbro-
mid = OjH^r.Brj)', das Product der directen Vereinigung von Brom mit
Brompropylen (= OsHsBr), einem Körper, der durch Einwirkung alkoholi-
scher Kalilösung auf das Propylenbromid erzeugt wird und ein von Perrot
durch Einwirkung von Brom auf die Zersetzungsproducte des Alkohols und
des Aeihers durch Einwirkung elektrischer Funken erhaltenes Bromid. —
Isomerie. 191
Gegen Triäthylphosphin (= PC^A),) und gegen Trunethylaimn (= N(OH,),) ;
▼erhält sich derselbe Körper (nach Versuchen von Hofinann) wie das Bromid eines
bromhaltigen Radicals, wie Bromäthylbromid (s^^HfBr.Br)*, es entsteht n&mlich
das Bromid einer bromhaltigen Phosphorbase oder einer bromhaltigen Ammoniak-
base:
f6Ha
und N<^?» >Br.
Jen,
lOaHtBr' (ejHJBr
Man könnte also sagen, das Aethylenbromid yerwandle sich während dieser
Reaction in das mit ihm isomere Bromäthylbromid.
Hierher gehören auch die Fälle, in welchen ein Körper, dem der Art der
Bildung nach eine bestimmte rationelle Formel beigelegt werden muss und von
dem man ein bestimmtes Verhalten erwarten sollte, eiu völlig anderes Verhalten
zeigt; so dass man also annehmen kann, der Körper fiabe sich bei seiner Bildung
in eine mit ihm isomere Substanz umgewandelt
Aus Salicylsfture entsteht z. B. durch Einwirktmg von Phosphorsuperchlorid
ein Chlorid, welches der Bildung nach das Chlorid des zweiatomigen Radicals der
Saücylsänre sein sollte:
SäUcylsänre. Salicylchloiid.
Bei Einwirkung von Wasser zerfällt dieses Product aber nicht in Salzsäure*
und Salicylsfiure , sondern in Salzsäure und Monochlorbenzoesäure, es verhält sich
also wie das Chlorid eines chlorhaltigen Radicals, wie Chlorbenzoylchlorid:
Monochlorbenzoesäure. Chlorbenzoylchlorid.
eACie.a.
e,H,aej^
Will man diese Art der Anschauung noch weiter ausdehnen, so können noch 826.
viele Körper hierher gerechnet werden.
Man kann z. B. sagen: das Chloroform, seiner Entstehung nach (§. 286)
Hydrür eines gechlorten Radicals , verwandle sich bei gewissen Reactionen (vgL
(. 801) in das Trichlorid des Radicab ^Ez
Chloroform.
6b,.H ^.Cl,.
Ebenso kann man sagen: der Aldehyd und ebenso das Bittermandelöl, die
den meisten Reactionen nach als Hydrfire einatomiger Radicale betrachtet werden
können, verwandlen sich bei gewissen Reactionen, z. B. bei Einwirinmg von Phos-
phorsnperchlorid oder von Ammoniak etc. (vgL }. 246) in die Oxyde zweiatomi-
ger Radieale:
Aldehyd.
192 Theorie.
BittennandelöL
Wird dagegen aus Glycol durch wasserentziehende Substanzen Aldehyd oder
aus Essigsäurebenzoläther Bittermandelöl erzeugt, so kann man sagen: das Oxyd
eines zweialomigen Radicals wandle sich, durch moleculare Umlagerung (wenn
man sich so ausdrücken will) in das Hydrür des einatomigen sauerstoffhaltigren
Radicals um. •-
827. Eine solche Anschauungs- und Ausdrucksweise bietet insofern Vor-
theile dar, als sie immer daran erinnert und dies in kurzer Form aus-
drückt, dass ein und derselbe Körper verschiedenen Reagentien gegenüber
ein verschiedenes Verhalten zeigen kann. Man darf aber dabei nie aas
dem Auge verlieren, dass die rationellen Formeln und ebenso die syste-
matischen Namen, die im Orund genommen nichts anderes sind als in
Worte gefasste rationelle Formeln, nicht die Lagerung der Atome inner-
halb des Molecüls ausdrücken sollen, sondern vielmehr nur die Art der
Metamorphose, durch welche der Körper erzeugt wird oder zerfällt
(vergL S- 261).
Gepaarte Verbindungen, gepaarte Radicale.
828. Während der Entwicklung der organischen Chemie hat man öfter
complicirt zusammengesetzte Verbindungen einerseits um Analogieen in
ihrer Bildungs- und Zersetzungsweise besser hervortreten zu lassen, an-
dererseits auch wohl, um gewisse Ansichten über ihre innere Constitution
auszudrücken, unter dem Namen „gepaarte Verbindungen^^ zusam-
mengefasst. — Dabei wurde der Begriff der gepaarten Verbindun-
gen fast nie in völlig bestimmter Form ausgesprochen, und in den weni-
gen Fällen, wo dies geschah, war er so weit gefasst, dass bei einiger
Consequenz nahezu alle chemische Verbindungen oder wenigstens auch
eine grosse Anzahl derer, die man nicht zu den gepaarten zählte, in
diese Klasse hätten gerechnet werden müssen.
So war es denn natürlich der Willkür des Einzelnen überlassen,
welche Verbindungen er mit dem Namen „gepaarte Verbindungen^^
bezeichnen und welche andere er aus dieser Klasse ausschliessen und
gewissermassen zu den „gewöhnlichen'^ zählen wollte. Wenn man, nach
all den Fortschritten, welche die Chemie in den letzten Jahren gemacht hat,
die Körper überblickt, die man zu verschiedenen Zeiten als gepaarte be-
trachtete, so gCMTinnt man leicht die Ueberzeugung, dass man stets die-
jenigen complicirter zusammengesetzten Verbindungen als „gepaarte^* bezeich-
nete, von welchen zwar einzelne Bildungs- oder Zersetzungsweisen bekannt
waren, die man aber, fehlender Analogieen wegen, noch nicht nach der
Gepaarte Yerbindimgen. 193
fllr die besser gekannten Substanzen gerade gebräuchlichen Anschauungs-
weise durch s. g. rationelle Formeln auszudrücken im Stande war. —
Durch die Fortschritte der Wissenschaft ist es möglich geworden,
auf alle diejenigen Substanzen, die man früher als gepaarte Verbindungen
bezeichnete, dieselbe Betrachtungsweise anzuwenden, welche für die aller-
einfachsten chemischen Verbindungen in Gebrauch ist. Die im Vorher-
gehenden mitgetheilte Betrachtungsweise gibt in der That von der Natur
und den Metamorphosen der s. g. gepaarten Verbindungen eine ebenso
klare Vorstellung wie von der der allereinfachsten Körper. Die Annahme
irgendwelcher Eigenthümlichkeit in der Constitution dieser „gepaarten
Verbindungen^^ ist also jetzt nicht mehr nöthig. Nichts desto weniger
scheint es geeignet, die wichtigsten Ansichten, die man früher über die
Natur dieser gepaarten Verbindungen gehabt, hier zusammenzustellen *)•
Der Ausdruck gepaart wurde zuerst (1839) Yon Gerhardt gebraucht Es 829.
war ihm aufgefallen, dass verschiedene Säuren, namentlich die Schwefels&nre , bei
l^wirkung auf organische Substanzen eigenthümliche Verbindungen erzeugen, in
welchen man die charakteristischen Eigenschaften der in Verbindung getretenen
Bestandtheile nicht wieder findet. Um diese Art der Vereinigung von der sonst
bekannten Verbindungsform zu unterscheiden, schlug er vor, sie mit Paarung
(accouplement) zu bezeichnen, das Product selbst nannte er gepaarte Verbin-
dung (sei copul^), den organischen Körper, der sich mit- der Schwefelsäure ver-
einigt hatte ohne ihre Basidtät zu ändern: Paarung (copule).
Um sich von der Bildung und den Eigenschaften dieser Substanzen Rechen-
schaft zu geben , nahm er an , es fänden bei Einwirkung der Schwefelsäure (und '
ähnlicher Körper) zweierlei Reactionen statt. Entweder die einwirkende Säure ver-
liert ihre Sättigungscapacität , dann entsteht das Product durch Substitution.
Z. B.:
Sulfobenzid CjacQ^
Oder die einwirkende Säure behält ihre Sättigungscapacität, dann erfolgt die Ver-
bindung durch Paarung. In vielen Fällen finden beide Reactionen gleichzeitig
statt; ein Theil der einwirkenden Säure verliert, ein anderer behält seine Sätti-
gungscapacität, ein Theil wirkt also substituirend, ein anderer paart sich mit dem
80 entstandenen Körper. So ist z. B.:
Sulfobenzoesäure Ci^^A O3 + SO,,
d. h. Schwefelsäure gepaart mit Benzoesäure, in welcher ein Atom Wasserstoff
substituirt ist durch SO^. —
Bald nachher (1844 Pr^cis. Tom. I.) sah Gerhardt von diesen zweierlei Reac- 330.
tlonen ab. Er nahm in den gepaarten Verbindungen der Schwefelsäure diese Säure
*) Man vergleiche u. a. die geschichtlichen Notizen über gepaarte Verbindungen
in limpricht und v. Uslar's Abhandlung über Sulfobenzoesäure. Ann. Chem.
Pharm. OIL 139. Femer: Mendius, ibid. Olli. 39. Kekuld, ibid. dV. 127
und GVL 129. Limpricht ibid. CV. 177.
Keknl^, organ. Chemie. Xg
194 Theorie.
nicht mehr in zweierlei Fonn an (was er wegen des damals schon von ihm ge-
brauchten Atomgewichts des Schwefels auch nicht mehr thun konnte), er schrieb
2. B.:
Snlfobenzolsänre 6eH,Sr03
nnd betrachtete in ihr das Benzol (6«Hg) als den mit der Schwefelsäure gepaarten
Körper; ebenso erklärte er jetzt die Sulfobenzoesäure als eine gepaarte Schwefel-
säure, in welcher Benzoesäure der Paarling sei. — (Prdcis I. 101.)
Zu den gepaarten Verbindungen zählte er damals wesentlich die mit Schwe-
felsäure gepaarten Substanzen; z. B. die durch Einwirkung von Schwefelsäure auf
Benzol, Terpentinöl und andere Kohlenwasserstoffe erzeugten Säuren; die aus Ben-
zoesäure, Essigsäure, Bemsteinsäure etc. erhaltenen Sulfosäuren ; er rechnete ausser-
dem zu den gepaarten Verbindungen alle sauren Aether der Schwefelsäure (die
s. g. Schwefelweinsäuren) z. B. die Aethylschwefelsäure, die Methylschwefelsäure
u. s. f.; er gab femer an, auch die Phosphorsäure, die Arsensäure, Bernsteinsäure
sowie überhaupt alle mehrbasischen Säuren seien im Stande gepaarte Verbindungen
zn erzeugen. Die Amide und die Nitrosubstitutionsproducte dagegen wurden da-
mals nicht zu den gepaarten Verbindungen gezählt Gerhardt hob endlich noch
hervor: den Analysen nach enthielten alle diese gepaarten Verbindungen die Ele-
mente der Schwefelsäure und die der organischen Substanz minus den Elementen
des Wassers; z. B.:
Alkohol . . . CAO + SHa04 = CaH^SO^ + H^O
Benzol . . . C.H, + SHjO* = C,HeSO, 4- H,0
Essigsäure . . C2H40a + SHjO^ = CaH4S05 + HjO.
381. Schon im folgenden Jahre (1845 Pr^cis. Tom. II.) dehnte Gerhardt den Be-
griff der gepaarten Verbindungen etwas weiter aus. Er bezeichnete jetzt als
gepaarte Verbindungen alle diejenigen Substanzen, die nach seiner „Theorie
der Reste^^ (vgl. §. 149) als durch Substitution eines „Restes^^ an die Stelle
eines Elementes entstanden gedacht wurden, um sie von denjenigen Substitutions-
producten zu unterscheiden, bei welchen die Vertretung durch einen einfachen Kör-
per stattfindet. Er rechnete demgemäss zu den gepaarten Verbindungen, ausser den
oben (§. 880) angeftihrten Körpern, auch noch die Amide, die Aether, die Nitro-
substitutionsproducte etc. (Prdcis. II. 499.)
882. Inzwischen hatten Dumas und Piria in der 5ten Abhandlung Über die
chemischen Typen 1842 *) ähnliche Ansichten ausgesprochen. Sie nehmen die
Existenz einer Klasse von Säuren an, die durch Vereinigung von zwei oder meh-
reren Säuren entstanden sind und die sie als acides conjugu^s bezeichnen, ein
Ausdruck, der im deutschen ebenfalls durch „gepaarte Säuren^^ wiedergegeben
wurde. Sie führen als solche acides conjugu^s auf:
Benzinschwefelsäure . . ^^50*} + ^^*
Sulfobenzoesäure . . . ^"^q'| + SO,
*) Die nach Angabe von Dumas drei Jahre vor der Veröffentlichung abge-
fasst ist
Gepaarte Verbindungen. 105
Schwcfeleadgsfture . . . ^*^o!| + ^^»
Weinsfiure ^^CjO^ + ^^»•
Die erste Verbindung betrachten sie als Schwefelsäure, die mit dem Köi-per ^q j
gepaart ist; die Schwefelessigsäure als Schwefelsäure gepaart mit Essigsäure, in
welcher 1 H durch SO^ substltuirt ist; die Weinsäure (wasserfrei gedacht) ist
ebenso: Oxalsäure (C2O3) gepaart mit Essigsäure, in welcher 1 Aeq. H durch
1 Aeq. des Kleesäureradicals (C^Oa) vertreten ist. Man sieht leicht, dass diese An- '
sieht mit der ersten Ansicht Gerhardt's (§. 829) fast vollständig zusammenfäUt
Auch Berzelius hatte seinerseits (1888) selbstständig ähnliche Ansichten 833.
ausgesprochen. Da er aus „theoretischen Gründen^^ 7 Atome Sauerstoff für die
grosste Anzahl hielt, die sich mit einem organischen Radical vereinigen kdnne,
nahm er ftir gewisse Körper und namentlich für die, welche mehr als 7 Atome
Sauerstoff in der wasserfrei gedachten Substanz enthalten, eine „eigenthümliche
Verbindungsart^^ an , ohne indessen dafür einen besonderen Namen zu gebrauchen. '
Obgleich er Gerhardt's erste Ansicht über gepaarte Verbindungen (§. 329) in sei-
nem Jahresbericht mit spöttischen Noten begleitet, gebrauchte er doch schon im
folgenden Jahre die Ausdrücke: Paarling und gepaarte Verbindung und erklärte
sogar später, er habe schon 1841 auf Gerhardt's Vorschlag die durch Einwirkung
von Schwefelsäure auf organische Körper erzeugten Säuren „gepaarte Säuren" ge-
nannt, und schon vorher (1839) die Weinsäure mit diesen Säuren verglichen; er
machte Dumas geradezu Vorwürfe darüber, dass er dieser seiner Ansicht nicht
genügend Rechnung trage und sie als neu wiederbringe.
Bald indess dehnte auch Berzelius den Begriff der gepaarten Verbindungen
weiter aus. Da er in seinen rationellen Formeln die chemischen Verbindungen
durch additionell nebeneinandergesetzte Bestandtheile darstellte, war ihm bald alles
gepaart, was sich durch mehrere so nebeneinandergestellte „Paarlinge" ausdrücken
Üess; nur das Wasser, die Metalloxyde und die entsprechenden Oxyde organischer
Radicale konnten sich in gewöhnlicher Weise mit sauren (elektronegativen) Bestand-
theüen vereinigen, die Vereinigung aller übrigen Körper war Paarung. So war
z. B. die Essigsäure mit Oxalsäure gepaartes Methyl, die Trichloressigsäure mit
anderthalb Chlorkohlenstoff gepaarte Oxalsäure.
Essigsäure C3H3 4- C^O,
Trichloressigsäure . . C3CI34- C^Oj.
In dieser Weise glaubte man (vgl. §. 119) die Thatsachen der Substitution mit
der elektrochemischen Theorie in Uebereinstimmung zu bringen, denn die Sub-
stitution fand nicht in der chemischen Verbindung, sie fand im Paarling statt.
Berzelius deünirte die „gepaarten Verbindungen" als „Substanzen, die
erzeugt sind durch Vereinigung eines durch seine Verwandtschaft zu andern Kör-
pern activen Bestandtheils, mit einem andern passiven BestandtheU, der dem erste-
ren in allen seinen Verbindungen folgt.^^ In den beiden Essigsäuren war CjOs der
active BestandtheU und es war gleichgültig, ob er mit C2H3 oder C2CI3 gepaart sei.
In den Alkaloiden war das Ammoniak der active BestandtheU, auf die Zusammen-
setzung des anderen^ des passiven Paarlings, kam es weit weniger an (vgl. §. 120).
In ähnlicher Weise wurde bald eine grosse Anzahl von Körpern als aus Paar-
13 ♦
196 Theorie.
lingen bestehend betrachtet (vgl. %, B. SS- 116, 119); dass diese Paarlinge in den
meisten Fällen hypothetische Körper waren, that der Ansicht keinerlei Eintrag; die
wasserfreie Oxalsäure, die Dithionsäure (S2O5) waren besonders häofig vorkom-
mende Paarlinge; das Enallquecksilber (= C4N204Hg3) erhielt die Formel: HgN
-f- C4NO3 -[■ HgO etc. Dass diese Ansichten von Berzelius wenig Beifall fanden
und auf die Entwicklung der Wissenschaft von untergeordnetem Einfluss waren,
ist früher schon hervorgehoben worden; sie gaben nur Veranlassung zur Annahnae
der Art von „gepaarten Radicalen,^^ von welchen früher (SS- 122, 123, 126} die
Rede war.
834. Es ist kaum nöthig darauf aufinerksam zumachen, dass diese Paarlings-
theorie von Berzelius keine Aehnlichkeit mehr hatte mit den Ansichten, die Ger-
hardt über die gepaarten Verbindungen ausgesprochen. Dies gab Gerhardt
Veranlassung wiederholt gegen den Uissbrauch zu protestiren, den man von der
von ihm vorgeschlagenen Bezeichnung mache. Gleichzeitig definirte er, wie wir
oben sahen (§. 881), die gepaarten Verbindungen als solche, die durch Substitution
von Resten an die Stelle von Elementen entstanden sind.
835. Bald indess dehnte Gerhardt selbst den Begriff noch weiter aus. In einer
mit Laurent veröffentlichten Abhandlung über die Anilide (1848) gibt er die Defi-
nition: ,xWir nennen gepaarte Verbindungen die durch directe Vereinigung von
zwei Körpern unter Austritt von Wasser entstehenden Verbindungen, welche fähig
sind, beide Körper wieder zu erzeugen, wenn dieselben von Neuem die Elemente
des Wassers aufiiehmen.^^ Als Beispiele für gepaarte Verbindungen werden beson-
ders angeführt: die Amide, die Anilide, die Aetherarten etc.
Man sieht leicht, dass dieser Begriff so weit gefasst ist, dass nahezu alle
Körper zu den gepaarten Verbindungen gezählt werden müssen. Mit demselben
Recht, mit welchem:
Aethflschwefelsäure ^2^9^ + S^^Hj = ^aHe&e* + Hj0
Essigsäureäther . . eaH^O + ^2^408 = ^«Hj^, + E^O^
Nitrobenzoesäure . e,Hg02 + N0,H = e,H5(Ne2)0j + H2O
Sulfobenzoesäure . 9,He0a + ^^Si = e,HeSe, + H2O
Benzamid .... Cf^HgOa -f NH, = e,H,eN + Hj^
als gepaarte Verbindungen betrachtet werden, weil sie unter Austritt von Wasser
entstehen, müssen auch:
Aethylchlorid . . «jH,^ + HCl = eaHftCl + EjO
und selbst:
Saures schwefelsau-
res KaH . . . KHO + ^^4^2 = KH^4 4- HjO
Salpetersaures Kali KHO + N0,H = KKOj + Ha^
Chlorkaüum . . . KHe + ECi = KG + Ha^
zu den gepaarten Verbindungen gezählt werden.
886. Dies vnrd von Strecker mit Recht hervorgehoben in seinen „Bemerkun-
gen,^^ mit welchen er die Abhandlung von Laurent und Gerhardt in lieb. Annalen
begleitete. Weniger berechtigt ist der andere Vorwurf, den Strecker der Laurent-
Gerhardt'schen Definition macht: sie schliesse eine Anzahl von Verbindungen aus,
die man offenbar als gepaarte betrachten müsse, diejenigen nämlich, welche man
Gepaarte Verbindungen. 197
unter Aufnahme von Wasser zerlegen aber nicht dnrch Zusammenbringen ihrer Be-
Btandtheile darstellen könne, um den Kreis der gepaarten Verbindungen enger zu
ziehen, definirt Streeker dann: „wir nennen gepaart solche Verbindungen^ welche
sich nicht durch Wahlverwandtschaft trennen, welche aber durch Anwirkung star-
ker Agentien auf einfache Weise sich spalten lassen/^ Bei so unbestimmter Defini-
tion konnte man zu den gepaarten Verbindungen zählen was man gerade wollte,
und in der That führt Strecker als Beispiele genau dieselben Substanzen an, die
von Gerhardt und Laurent als gepaart bezeichnet worden waren.
Dieser Kritik Streckers gegenüber hebt Gerhardt hervor: seine Definition 887.
der gepaarten Verbindungen liege in der die Metamorphosen ausdrückenden Glei-
chung; eine jede solche Gleichung drücke, je nachdem man sie rückwärts oder
vorwärts lese, die Bildung oder die Zersetzung aus -, es sei nicht nöthig, dass bei-
des bei demselben Körper ausgeführt werden könne; ein jeder Körper sei als ge-
paart zu betrachten, wenn entweder der Bildung oder der Zersetzung nach, diese
allgemeine Gleichung auf ihn anwendbar seL- ■
In neuerer Zeit (Trait^ de chimie organique 1868 — 1856) endlich hat Ger- 888.
hardt den Begriff der gepaarten Verbindungen noch weiter ausgedehnt, aber
gleichzeitig die Anwendung der Bezeichnung „gepaart^^ mehr eingeschränkt Wäh-
rend er zugibt, dass von gewissen Gesichtspunkten aus alle organischen Verbin-
dungen als gepaarte betrachtet werden können, bedient er sich des Ausdrucks
gepaart (copulö oder conjugue) nur für gewisse Körpergruppen, ohne sich darüber
bestimmt auszusprechen, welche Körper als gepaart zu bezeichnen seien und welche
nicht, und welche Idee für ihn beim Gebrauch des Wortes leitend gewesen.
Er nennt jetzt die neutralen und die sauren Aetherarten nicht mehr gepaarte
Verbindungen-, ebenso wird die Bezeichnung nicht gebraucht für die Amide; die
Amidsäuren dagegen werden als gepaart bezeichnet', auch die Chlor- und Brom-
substitutionsprodncte werden, wie die Nitrosubstitutlonsproducte, zu den gepaarten
Verbindungen gezählt
Gerhardt spricht sich in Betreff der. gepaarten Verbindungen in folgender 889.
Weise aus:
Er sagt: Um gleichzeitig verschiedene Gruppen von Zersetzungen eines und
desselben Körpers auszudrücken, ist es oft zweckmässig, diesen Körper mit einem
gepaarten Badical (radical conjuguö) darzustellen, das heisst mit einem Radlcal,
welches aus mehreren Radicalen besteht^ von welchen jedes an eine gewisse Gruppe
von Metamorphosen erinnert — Als gepaart kann man das Radical eines jeden
Körpers betrachten, welcher fähig ist sich bei gewissen einfachen Reactionen in Ver-
bindungen umzuwandeln, die andern Radicalen (constituirende Radicale) angehören;
oder das Radical eines jeden Körpers , welcher das Resultat der Vereinigung sol-
cher Verbindungen ist flV. 604.)
Man kann ein „gepaartes Radical^^ in zweierlei Weise darstellen. Entweder 840.
als: gepaart durch Addition, wenn es alle Elemente der beiden constituirenden Ra-
dicale enthält. Oder als gepaart durch Substitution, wenn es alle Elemente des
einen, aber nur einen Theil der Elemente des anderen Radicales enthält, so dass
man annehmen kann, das erstere Radical ersetze die fehlenden Elemente des
zweiten.
Als Beispiele von dxirch Addition gepaarten Radicalen führt er unter an-
dern auf:
Mercuräthyl Hg^CGA)
Kakodyl AsC^H,),
198 Theorie.
StibftthyUam SbCe^H»)«
Tetrftthylammonium . . NCOjHj)^
^ Sulfophenyl "Ö^H^CSej).
Als Beispiele von durch Substitution gepaarten Radicalen erwähnt er:
Nitrobenzoyl .... 6iH4(Nea)e
Binitrobenzoyl .... ^,Hj{Nea)a0
Tiichloracetyl .... 6aHCl,e.
841. Die Radicale der meisten organischen Verbindungen, deren nächste Meta-
morphosen man kennt, können als gepaart angesehen werden; so kann man die
Radicale der fetten Sfiuren (6nH2n — lO) betrachten als gepaart aus einem Alko-
holradical mit dem RadicsJ Carbonyl (OO) :
Formyl . .
. . (ee)H
Acetyl . .
/XlCL\£Xa
Propionyl
. . (OO^jOjHft
Butyryl . .
. . C^^J'ÖjH,.
Diese Formeln werden durch eine grosse Anzahl von Reactionen gereckt-
fertigt etc. (IV. 606.)
Dieselben Sftureradicale können auch betrachtet werden als gepaarte Radi-
cale, die die Radicale der entsprechenden Aldehyde, mit Sauerstoff verbunden ent-
halten^ man weiss in der That, dass die Aldehyde durch Oxydation in Säuren
übergehen: (IV. 607.)
Acetyl . .
. . efi,m
Propionyl .
. . e,H.(e)
Bntyiyl . .
. . €4H,(0).
Dieselben Säureradieale können femer als durch Substitution gepaarte be-
trachtet werden: als die Radicale der entsprechenden Alkohole, in welchen 2 Atome
H durch O ersetzt sind. Z. B.:
Acetyl .... öjHjO als:
Aethyl .... ejH^,
in welchem 2 H durch 0 substituirt sind. (IV. 609.)
Anstatt ein gepaartes Radical als durch Vereinigung zweier Radicale entstan-
den zu denken, kann man auch annehmen, es sei das Resultat der Substitution
eines Radicals an die' Stelle eines oder mehrerer Elemente eines anderen Radicals.
(IV. 608.)
So kann das Tetrftthylammonium auch betrachtet werden als Ammonium
(=s NH4) dessen 4 Wasserstoffatome durch Aethyl vertreten sind:
Teträthylammonium ^(62115)4.
Diese Art der Auffassung ist besonders anwendbar auf die Körper, die durch
Einwirkung von Chlor, Brom, Salpetersäure oder Schwefelsäure auf organische
Substanzen entstehen. (IV. 609.)
842. An einer anderen Stelle heisst es (IV. 659):
Gepaarte Säuren. Diese Säuren, die in ihrer Wirkung auf Basen den
Gepaarte Verbindnngen. 199
emfKhen S&nren (Addes normaax) ganz analog sind, enthalten ein gepaartes Ra-
dieal, d. h. ein Radical, welches die Elemente von zwei Radicalen enthält, die sich
snsammen wie ein einziges Radical verhalten ; oder sie enthalten ein Radical, wel-
ches sich von einem andern Radical durch Substitution von einem oder mehrerm
Elementen an die Stelle von Wasserstoff herleitet
In diese Klasse zählt Gerhardt wesentlich die durch Substitution von Chlor
oder Brom entstehenden Säuren. Z. B.:
Chlorbenzoesäure . . . 6«H4C10)^
Brombenzoesäure . . . OfH^BrOl/v
Z.B.
Ebenso die Nitrosubstitutionsproducte. Z. B.:
Nitrobenzoeeäure . . OiH^CNOa)^) /v
Femer die durch Einwirkung von Schwefelsäure entstehenden Sulfosäuren.
Sulfophenylaäure . . ^^HjCfi^a)^^
Sulfobenzoesäure . . 6)H4(603)O)^
Weiter die Amidsfturen; z. B.:
Oxaminsäure .... NHjCej^a)!^
und endlich die Alkalamidsäuren; z. B.:
Methyloxaminsäure . NH(6H,)(6a0a)J^
Phenylcarbaminsäure . NH(GeHj)(e0)j0
Gerhardt fügt dann bei (IV. 671): Es ist einleuchtend, dass bei dem Sinn, 348.
den wir den chemischen Formeln beilegen, alle organischen Säuren, deren näch-
ste Metamorphosen man kennt, als gepaart betrachtet werden können, ebensogut
wie die Amidsäuren oder die Säuren, die durch Einwirkung von Chlor, Brom,
Salpetersäure oder Schwefelsäure auf organische Substanzen entstehen«
So kann die Essigsäure als Carbomethylsäure betrachtet werden; d. h. als
Säure mit einem gepaartem Radical, welches durch Addition der Radicale Car-
bonyl (60) und Methyl (OH,) entstanden ist Bei dieser Formel ist die Essigsäure
% die Kohlensäure genau das, was die methylschweflige Säure (Methyldithionsäure,
Snlfomethybäure) fUr die Schwefelsäure ist:
Essigsäure (Oe)^!!,»^
Methylschweflige Säure . . (S0a)6H,l^
Gerhardt fügt bei: ich theile diese Formeln mit einzig um zu zeigen, dass
die Säuren, welche man häufig gepaarte Säuren nennt, nicht eigenthümliche von
den andern Säuren, auf welche man diese Bezeichnung nicht anwendet, verschiedene
200 Theorie.
Körper sind. Man kann keine Säure in absolutem Sinn gepaart nennen, sie ist
nur gepaart in Beziehung zu andern Körpern, die aus ihr entstehen können oder
aus welchen sie gebildet werden kann. Der Alkohol, die Essigsäure und Überhai^it
alle Körper, deren nächste Metamorphosen wir kennen, sind also ebensogut ge-
paarte Verbindungen wie die Kitrobenzoesäure oder das Arsenäthyl.
344^ Man sieht, dass Gerhardt den Begriff der gepaarten Verbindungen eigent-
lich aufgegeben; dass er die gepaarten Verbindungen nicht mehr, wie er es früher
that, für von den andern Verbindungen verschieden hielt. Er behielt nur das
Wort noch bei, um gewisse Körper zu Gruppen zusammenzufassen und so gewisse
Analogieen besser hervorheben zu können.
Man sieht in der That leicht', was er durch diese Art der Bezeichnung und
DarsteUung eigentlich erreichen wollte. Seine Formeln drücken die Metamorphosen
aus. Der typisch geschriebene Theil der Formel erinnert an die hauptsächlichsten
Metamorphosen. Sollen in der Formel gleichzeitig noch andere Metamorphosen
angedeutet werden, so muss dies innerhalb der Gruppen geschehen, die in den
typisch geschriebenen Formeln die Rolle von Radicalen spielen. Die Radicale wer-
den dann als gepaarte Radicale betrachtet. —
Man fängt also immer da an gepaarte Radicale anzunehmen, wo die typische
Betrachtung gerade aufhört. In vielen Fällen, weil es, um die Analogieen besser
hervortreten zu lassen, die man gerade hervorheben will, zweckmässig erscheint,
die typische Betrachtung nicht weiter auszudehnen; in anderen Fällen, weil sie
den damaligen Kenntnissen entsprechend, nicht weiter ausgedehnt werden konnte.
345. Dehnt man, wie dies in den früheren Kapiteln (bes. §• 201 ff.) geschah, die
typische Betrachtung weiter aus, so können viele Metamorphosen durch typische
Schreibweise ausgedrückt werden, die Gerhardt durch gepaarte Radicale
in den Typen andeutete.
So rechnet Gerhardt z. B die Amidsäuren, indem er sie dem Typus: H^O-
zuzählt, zu den Säuren mit gepaartem Radical; z. B. :
Typus. Carbaminsäure. Oxaminsäure.
Löst man die gepaarten Radicale auf, so gehören diese Säuren zu dem in-
termediären Typus: NH, -j- H^O (vgl SS 201, 268):
Typns. Carbaminsfture.
H, H,
Hn hn
i 4
Oxaminsäure.
Hl
H N.
nie.
Zu demselben Typus gehören Gerhardt's
Alkalamidsäuren; z. B.:
Phenylcarbaminsäure.
H ^
Methyloxai
H
aiinsäure.
Gepaarte Verbindimgeii. 201
Ebenso können viele Solfoafioren, die Gerhardt als Verbindungen gepaarter
Radicale betrachtet, weil er sie dem Typus: HjO zuzählt, dem intermediären Ty-
pus: H,^ 4~ ^9 (7S^' SS* 201, 256) zugezählt werden und enthalten dann gewöhn-
liche Radicale j z. B.:
Typus. Schweflige Säure. Methylschweflige Sulfophenyl-
Säure. säure.
Hl
0 6H,(ö02)J^ ^AC^^a))^
oder:
^h|^ ^hK *^I^-
Dieselbe Betrachtung ist auch auf die Essigsäure und die mit ihr homologen
Säuren anwendbar (vgl. g. 260). Rechnet man diese Säuren dem einfachen Was-
sertyp (= Hj-B-) zu, so erhalten sie die Formeln:
Typus. Ameisensäure. Essigsäure. Propionsäure.
Will man in der Formel gleichzeitig an diejenigen Metamorphosen erinnern,
bei welchen das Radical in ein Alkoholradical und in das Radical der Kohlensäure
zerflUlt, so werden sie zu Verbindungen gepaarter Radicale:
Löst man diese gepaarten Radicale auf, so können diese Säuren dem inter-
mediären Typus: H^ 4* ^^ zugezählt werden:
|e ^1^ ^1^ ^h-
Sie entsprechen dann, wie früher (§. 260) schon hervorgehoben wurde, voll-
ständig den oben angefahrten Sulfosäuren.
Dieselbe doppelte Betrachtung ist femer möglich bei den sauren Aethem der
swdbasischen Säuren, z. B. der Schwefelsäure. — Rechnet man diese Säuren zu
dem einÜEKihen Wassertyp, so müssen sie mit gepaartem Radical dargestellt werden:
Typus. Methylschwefelsäure. Aethylschwefelsäure.
Hä^ 6H,(S02)Ol^ €2115(002)^10^
Drückt man dagegen das, was in diesen Formeln durch das gepaarte Radical
angedeutet ist, ebenfalls typisch aus, so gehören diese Säuren zu dem Typus EjO
•I- H^O; das heisst m, dem verdoppelten Wassertyp: H«^, •
202 Theorie.
TypuB. Methylschwefelsfture. Aethylschwefelaftare.
Es Bind, mit andern Worten, die den sauren Salzen entsprechenden Aether-
arten der zweibasischen Schwefelsäure :
Typus. Schwefelsäure. Saures Schwefel- Aethylschwefel-
saures Kali säure.
> .=k .^^ «AU
W hK h}« hK-
Dasselbe gilt natürlich von der Sulfocarbolsäure (Phenylschwefelsäure) , die
sich von der Aethylschwefelsäure nur dadurch unterscheidet, dass sie das Radical
Phenyl (= ^^E^) anstatt des Radicals Aethyl (= ßfi^) enthält. Ihre Formel ist
entweder:
Mit gepaartem Radical oder typisch.
%■
W6. Dieses Beispiel zeigt deutlich die Willkür, mit welcher von manchen Chemi-
kern die Bezeichnung „gepaarte Verbindung" angewandt wird. Viele Chemiker
ftlhren die Phenylschwefelsäure als gepaarte Säure auf, während sie für die voll-
ständig analoge Aethylschwefelsäure der andern Betrachtung den Vorzug geben,
d. h. sie als Schwefelsäure ansehen, in welcher eines von den beiden typischen
Wasserstoffatomen durch Aethyl ersetzt ist. Will man die Phenylschwefelsäure als
gepaarte Säure betrachten, so muss nothwendig auch die Aethylschwefelsäure als
gepaart angesehen werden, dann ist aber auch das saure schwefelsaure Kali und
selbst die Schwefelsäure eine gepaarte Verbindung ♦):
Phenylschwefel- Aethylschwefel- Saures Schwefel- Schwefelsäure,
säure. säure. saures Kali.
*) Es ist einleuchtend, dass diese verschiedenen Formeln für dieselbe Substanz
nicht eine etwaige Verschiedenheit der chemischen Constitution ausdrücken.
„Eine sichere Entscheidung," ob die eine oder die andere Formel die rich-
tige ist, kann also auf experimentellem Weg nicht geliefert werden, wie dies
bisweilen angenommen wurde. Die Formel mit gepaartem Radical ist nicht
etwa bewiesen, „wenn es gelingt dieses gepaarte Radical in die Typen ein-
zuführen." Denn dass ein Körper die einem gewissen Typus zugehörige
Verbindimg eines bestimmten Radicales sei, ist niemals eine Thatsache, im-
mer nur eine Anschauung, deren stets mehrere möglich sind. Man hat nur
nöthig, solche Verbindungen oder ihre Abkömmlinge mit gepaartem Radical
zu schreiben, so ist dieses schon in die Typen eingeführt.
Gepaarte Vecbrndnngen. 203
Da08 andere Veibindimgen, die wir jetet dem Typus H, 4* ^»^ siu&hlen, 847.
als gepaart betrachtet wurden, während man die Aeihylschwefelsfture etc. schon
mit den sauren Salzen verglich und typisch betrachtete, hat seinen Grund darin,
dass man bei der Entwicklung der Typentheorie, nach den einfachen Typen zu-
nfichst verdoppelte Typen annahm und erst später erkannte, dass ebensogut, wie
gleiche Molecfüe durch mehratomige Radicale vereinigt werden, auch ungleiche
Molecfile zu intermediären Typen zusammengehalten werden können.
Dass man im Allgemeinen gerade die Körper als gepaart bezeichnete und 848.
mit gepaarten Badicalen schrieb , für welche dem jeweiligen Stand der Kenntnisse
nach eine typische Betrachtung nicht möglich war, zeigen noch besonders deutlich
die folgenden Beispiele.
Die Salicylsäure hielt man lange für eine einbasische Säure, man gab ihr
die Formel:
^'^^[0.
Das GaaItheriaÖl(Methylsalicylsäure) wurde danach als gepaarte Verbindung
betrachtet:
Seitdem die Salicylsäure als zweibasisch erkannt ist, betrachtet man diesen
Körper als den sauren Aether der Salicylsäure, d. h. typisch:
Salicylsäure. Hethylsalicylsäure.
0<|H4-Gi fx 0^H4"G' i
'*^^. ^'W^.
Die Glycolsäure und die Milchsäure schrieb man bis vor Kurzem:
Glycolsäure. Milchsäure.
Die Benzoglycolsäure und Benzomüchsäure wurden demnach mit gepaartem
Radical geschrieben:
Benzoglycolsäure. Benzomüchsäure.
Jetzt gibt man, um die in neuester Zeit entdeckten Beziehungen der Glycol-
säure und der Milchsäure zu der Essigsäure und zu den Glycolen auszudrücken,
diesen Säuren die Formeln:
Glycolsäure. Milchsäure.
204 llieoxie.
Die BenzojgflycolBftore und Benzomilclis&iire werden dann:
Benzoglycolsäure. Benzomilchsäure.
Sie entsprechen also vollständig den sauren Salzen und den sauren Aeiher-
arten aller zweibasischen SKuren.
Saures Schwefel- Aethylschwefel- Benzoglycol-
saures Kali. säure. säure.
h}^ h|^ h}^-
849* Die mitgetheilten Beispiele zeigen hinlänglich, dass die Annahme gepaarter
Radicale nicht nöthig ist, wenn man das Gesammtverhalten der betreffenden Sub-
stanzen so weit thunlich in typischer Schreibweise ausdrücken will. Will man dar
gegen nur eine gewisse Gruppe von Metamorphosen durch die Formel typisch aus-
drücken, so genügt die aadere Art der Darstellung, bei welcher man, um die
übrigen Metamorphosen wenigstens etwas anzudeuten, s. g. gepaarte Radicale
schreiben kann. Dabei darf man nur nie vergessen, dass das Schreiben gepaarter
Radicale nicht etwa eine andere Art der Verbindung ausdrücken soU, dass es viel-
mehr nur ein etwas abgekürzter Ausdruck für dieselbe Verbindungsweise ist, die
man auch typisch darsteUen .könnte und die man sonst gewöhnlich typisch dar-
stellt Wenn man dies im Auge behält, so haben Formeln mit gepaarten Radica-
len nicht nur ihre Berechtigung, sie bieten sogar zum Hervortretenlassen gewisser
Analogieen bisweilen Vorzüge dar. —
850. In neuester Zeit ist man wieder mehrfach bemüht gewesen, den Begriff der
gepaarten Verbindungen schärfer festzustellen; so zwar, dass nur eine verhältniss-
mässig kleine Anzahl der früher als gepaart betrachteten Verbindungen in diese
Klasse gezählt werden sollten. Man hat z. B. eine gewisse grössere Beständigkeit
des durch „Paarung^^ entstandenen Radicales für ein besonders charakteristisches
Merkmal der wirklich „gepaarten Säuren^^ erklärt. So hebt Gerhardt selbst schon
hervor (IV. 667) : „Die gepaarten Sulfosäuren schliessen sich in Bezug auf Zusam-
mensetzung und Bildung vollständig an die sauren Aether der Schwefelsäure an.
Indessen findet doch die Verschiedenheit statt, dass bei den letzteren das Radical
der Schwefelsäure durch doppelte Zersetzung wieder ausgetauscht werden kann,
um andere Aetherarten oder Abkömmlinge des Alkohols zu erzeugen; während bei
den durch Einwirkung von Schwefelsäure auf organische Säuren oder auf Kohlen-
wasserstoffe entstehenden gepaarten Säuren ein solcher rückwärts gehender Aus-
tausch bis jetzt nicht hervorgebracht werden könne." Er sagt weiter, einer jeden
Sulfosäure entspreche wahrscheinlich ein Chlorid; findet also in der Beständigkeit
des s. g. gepaarten Radicals und in der Möglichkeit es in andere Typen zu über-
tragen, eine besondere Stütze für Annahme dieses gepaarten Radicals.
Diese Betrachtungen sind für ihn offenbar Beweggrund für einzelne Körper-
gruppen vorzugsweise die Bezeichnung „gepaart" zu gebrauchen, obgleich so die
Analogieen verdeckt werden, die sie mit andern Körpern darbieten, welche seinen
Gepaarte Verbindungen. 205
allgemeinen Definitionen nach (§. S48) zwar auch als gepaart betrachtet werden
können, für die er aber den Namen ,,gepaart^^ nicht gebraucht
Gerade so wie er früher auf die grosse Verschiedenheit, welche die neutra- 351.
len und die sauren Aether mit den eigentlichen Salzen zeigen, besonderen Werth
legte und desshalb diese Körper als gepaarte Verbindungen von den anderen trennte;
80 findet er jetzt (w&hrend diese Aether mit den Salzen verglichen und zusammen-
gestellt werden) in der etwas grösseren Beständigkeit der gepaarten Radieale ein-
zelner Verbindungen einen Grund, auf diese die Bezeichnung gepaart vorzugsweise
anzuwenden; obgleich er wiederholt hervorhebt, dass alle organischen Verbindun-
gen, deren nächsten Metamorphosen man kennt, von gewissen Gesichtspunkten aus
als gepaart betrachtet werden können und obgleich er noch besonders darauf auf-
merksam macht, dass solche Metamorphosen bisweilen leicht hervorgebracht wer-
den können, bisweilen dagegen besondere und selbst ausnahmsweise Bedingungen
erfordern, dass aber keine Grenze dabei festgestellt werden kann.
Diese grössere Beständigkeit mancher gepaarten Radieale hat andere Chemi- 862.
ker*) geneigt gemacht, den Namen „gepaarte Säuren'*' nur für diejenigen Säuren
au reserviren, deren Radical diese Beständigkeit zeigt und es für ein charakteristi-
sches Merkmal der gepaarten Säuren zu erklären, dass das gepaarte Radical an
die SteUe von Wasserstoff in die Typen eingeführt werden könne.
So entsteht z. B. aus Benzolschwefelsäure (Sulfophenylsäure) (= Bfi^B^^)
durch Einwirkung von Phosphorchlorid das Sulfophenylchlorid (B^Hs^O-j^^) i ^^
diesem durch Einwirkung von Ammoniak das Sulfophenylamid (= OeH^SO^N).
Sulfophenylsäure. Sulfophenylchlorid. Sulfophenylamid.
Hf^ HVN.
Weil bei diesen Metamorphosen die Gruppe (das Radical) O^H^&Gj unver-
ändert bleibt und in die Typen: HCl und H,N an die Stelle von 1 H eingeführt
werden kann, betrachtet man die Sulfophenylsäure als gepaarte Säure.
Wenn man, wie dies oben (§. 844) geschah, die Sulfophenylsäure so weit 853.
als möglich typisch betrachtet, das gepaarte Radical also auflöst und die Säure
dem Tyyus: HjO 4- H3 zuzählt, so erklärt sich die Beständigkeit, welche dieses
^' S* gepaarte Radical dem Phosphorchlorid gegenüber zeigt, von selbst. Man
weiss in der That, dass die Einwirkung von Chlorverbindungen des Phosphors auf
organische Substanzen in fast allen Fällen darin besteht, dass der dem Typus : HgO
augehörige Sauerstoff durch Chlor vertreten wird (§.208); ist in diesem Typus H20
ein Atom H durch ein einatomiges Radical ersetzt, so trennt sich dieses in Verbin-
dung mit Chlor ab, weil durch Eintritt der zwei einatomigen Chloratome an die
SteUe des zweiatomigen Sauerstoffs die Ursache des Zusammenhangs wegfällt. So
entsteht z. B. aus Wasser Salzsäure, aus Alkohol Chlormethyl und Salzsäure:
Ebenso entsteht aus Sulfophenylsäure das Sulfophenylchlorid neben Salzsäure:
*) TgL Ann. Chem. Pharm. CIL 246.
206 Tbeorie.
Snlfophenylsftnre. SnlfophenykUorid.
^S — BTÖ-
Während die Snlfophenylsfiore dem Typus H3 4~ ^^ eingereiht werden
kann, gehört das Sulfophenylchlorid dem Typus H, J^ BCl kh. Die Reactionist
in beiden Fällen die gleiche:
Ans H^O entsteht: HG neben HCl
„ H, + H,0 „ H, + HC1 „ HCl
m
Die beiden Typen: H^ und H^O waren durch das zweiatomige Radical: S^^
zusammengehalten; die beiden entstehenden Typen: H3 und HCl bleiben durch das>
selbe Radical zusammengehalten; gerade so wie dieses Radical die beiden Typen:
H^O und Ha-G- (also 2H20) zu Schwefelsäurehydrat zusammenzuhalten in Stande
ist Man hat:
Typus. Schwefelsäure.
» .1»
y
fW 9«'
Typus. Sulfophenyhiäure.
H e,Hj
s« ^^^
Typus. Sulfophenylchlorid.
H eA
{hci S^2-CL
Die Analogie der Sulfophenylsäure mit der Schwefelsäure ist also vollständig
und es ist desshalb ungeeignet, diese Säure in anderer Weise zu betrachten wie
die Schwefelsäure und ihr eine eigenthümliche Constitution zuzuschreiben. — Man
kann sogar aus dem Schwefelsäurehydrat durch Einwirkung von Phosphorsuper-
chlorid, indem nur die Hälfte des typischen Sauerstoffs durch Chlor ersetzt wird
und nur 1 HCl sich loslöst, einen dem Sulfophenylchlorid entsprechenden Körper
darstellen; das Chlorschwefelsäurehydrat (B^^HCl). Man hat:
Schwefelsäure- gibt Chlorschwefel- Sulfophenyl- gibt Sulfophenyl-
hydrat säurehydrat säure. chlorid.
HU . HU ^A ^A
>
hK -HCT ^^ H.Cl.
Soll der Bildung des Sulfophenylchlorids wegen die Sulfophenylsäure als ge^
paart betrachtet werden, so muss folgerichtig der Bildung des Chlorschwefel-
säurehydrats wegen auch die Schwefelsäure als gepaarte Säure angesehen und dem
Typus: H^O zugezählt werden:
Schwefelsäure. Sulfophenylsäure.
H(S0,)eu e.Hj(Se,)U
Das Chlorschwefelsäurehydrat ist dann das Chlorid desselben Radicals, wel-
ches, wenn es 1 H im Typus H^O ersetzt, die Schwefelsäure erzeugt, gerade so
wie das Sulfophenylchlorid für das Chlorid des gepaarten Radicals (OgH^d^^) ge-
Gepaarte Verbindimgen. 20T
halten wird, dessen dem Wassertyp zugehörige Verbindung die Solfophenyl-
Bftnre ist:
Chlorsehwefels&nrehydraL Snlfophenylchlorid.
H(&ea)e. a ^.HjC&ea) . Cl
und sie gibt in der That mit Wasser wieder Schwefelsäurehydrat genau so wie
das Snlfophenylchlorid wieder Sulfophenylsäure erzeugt.
Alle diese Betrachtimgen zeigen, dass zwischen den häufig als gepaart be- 354.
zeichneten Verbindungen und den übrigen chemischen Verbindungen kein unter-
schied in der Constitution vorhanden ist und dass sämmtliche in neuerer Zeit ge-
gebenen Definitionen der gepaarten Verbindungen bei einiger Consequenz dazu
tubren müssen, alle organische Verbindungen als gepaarte Verbindungen zu be-
trachten.
Wenn die chemischen Formeln ihren Zweck erreichen sollen, den nämlich,
an die Metamorphosen der durch sie ausgedrückten Körper zu erinnern, so müssen
offenbar Analogieen im Verhalten auch durch analoge Schreibweise der Formeln
ausgedrückt werden^ es ist nicht zulässig, dasselbe Verhalten, welches man bei
gewiesen Eörpergruppen in einer bestimmten Weise durch Formeln ausdrückt, bei
andern Körpern durch völlig verschiedene Schreibweise der Formeln darzustellen.
Da man nun dermalen zur Darstellung des chemischen Verhaltens die ty-
pische Schreibweise der Formeln für besonders geeignet hält, so ist es offenbar
am zweckmässigsten, diese typische Anschauung und Schreibweise so weit als
möglich und namentlich auch auf die s. g. gepaarten Verbindungen auszudehnen.
Thut man dies, so treten zahlreiche Analogieen hervor, die vollständig verhüllt
bleiben, wenn man für eine Körpergruppe die eine, für eine andere dagegen eine
andere Schreibweise der Formeln anwendet
Dass dabei einzelne Körper durch verhfiltnissmässig complidrte Formeln dar-
gestellt werden müssen , ist nicht zu vermeiden. Es liegt eben in der Natur der
Sache, dass ein complicirt zusammengesetzter Körper, von welchem man viele Me-
tamorphosen kennt, wenn man alle oder wenigstens eine grössere Anzahl dieser
Metamorphosen durch die Formel ausdrücken will, auch durch eine complidrte
Formel dargestellt werden muss.
Schliesslich muss noch auf eine eigenthümliche Wirkungsweise der Schwefel- 355.
säure auf einige organische Substanzen aufmerksam gemacht werden, weü man
daraus eine neue Definition der gepaarten Verbindungen herleiten zu können ge-
glaubt bat
Es ist früher schon erwähnt worden ($. 806), dass bei Einwirkung der
Schwefelsäure (besonders der wasserfreien oder der rauchenden Schwefelsäure) auf
organische Substanzen bisweilen dem Radical dieser Verbindungen Wasserstoff ent-
zogen wird und dass so das Radical seine Basicität ändert, indem z. B. aus einem
einatomigen Radical ein zweiatomiges entsteht So werden bisweilen Sulfosäuren
(s. g. gepaarte Säuren) erzeugt, die der Art ihrer Bildung nach als Verbindungen
emes gewissen (z. B. eines einatomigen) Radicals betrachtet werden können, die
aber, einmal gebildet, ihren Zersetzungen und allen Analogieen nach als Verbin-
dungen eines andern wasserstoffärmeren (z. B. zweiatomigen) Radicals angesehen
werden müssen.
Solche Verbindungen sind bis jetzt verhältnissmässig wenige bekannt und
diese sind verhältnissmässig wenig studirt Das bekannteste und gleichzeitig be-
weisendste Beispiel ist das folgende:
208 Theorie.
Aus dem ölbildenden Gase (Elayl ar ^aH«), welches, wie mehrfach erwfihnt,
die Rolle eines zweiatomigen Radicales spielt, entsteht durch Einwirkung von was-
serfreier Schwefelsäure Carbylsulfat (= ^aH^S^O«), aus diesem durch Einwirkung
von kaltem Wasser: Aethionsäure (= BaH^^aO-,) und aus beiden durch Einwir-
kung von siedendem Wasser: Isftthionsäure (= '9aH^$0-4). Schreibt man diese
Verbindungen typisch, mit Beibehaltung der Radicale, aus welchen sie erzeugt
wurden, so erhalten sie die Formeln:
Carbylsulfat.
Aethionsäure-
IsäthiosBftnre.
tJOa '
öüa
eaH^ 0
m
"SOa
deren Typen die folgenden sind:
H
H
H
s*
Alle diese Körper können auch aus dem Alkohol oder dem Acther erhalten
werden, in welchen das einatomige Radical: Aethyl = OaH^ angenommen wird.
Bei dieser Bildung geht also das einatomige Radical Aethyl (= OaH^) durch Ver-
lust von H in das zweiatomige Radical: E^ayl (= OaH«) über.
Etwas Aehnliches findet wahrscheinlich bei der Bildung der Sulfoessigsfture
bei Einwirkung rauchender Schwefelsäure auf Essigsäure, und bei Büdung der
SulfobenzoSsäure aus Benzoesäure statt. Durch Einwirkung der Schwefelsäure wer-
den die einatomigen Radicale: Acetyl und Benzoyl (= 6aH,0 und 6^H50) durch
n m
Verlust von H in die zweiatomigen Radicale: 6j|HaO und G^Yi^Q^ übergeführt.
Hau hat:
Typus.
Essigsfiure.
Bencoes&ure.
HP
H
H'
Typus.
Sulfoessigsäure.
Sulfobenzoesäure.
H
's«
€aHae)0
^iH^eJe.
"^!^
\V
So dasa die Bfldnng dieser beiden Sulfosäuren der Bildung der Isfithionsfinre am
Alkohol vOllig analog ist:
Typus. Alkohol.
H
[je ^ «.H^je.
Gepaarte VerbindimgeiL 209
Typus. iBäthionsttore.
H
S'
e
Man kann sich von dem Vorgang bei der Bildung dieser Sulfosfturen eine 866.
gewisse Rechenschaft geben, wenn man annimmt, dass die Schwefelsäure in diesen
Fällen etwas anders einwirkt, wie gewöhnlich bei Einmrkung auf organische Sub-
stanzen. Während gewöhnlich die Vereinigung mehrerer Molecüle zu einem da-
durch stattlindet, dass das zweiatomige Radical der Schwefelsäure sich so um-
lagert, dass die eine Hälfte desselben an die Stelle von 1 Atom des typischen
Wasserstoffs der organischen Substanz tritt, z. B.:
Sulfocarbolsäure. Sulfophenylsäure.
vor: nach: yor: nach:
erfolgt in diesen Fällen der Angriff der Schwefelsäure auf die organische Substanz
gewissermassen von der andern Seite; statt an die Stelle von typischem Wasser-
n
Stoff ZU treten, tritt die eine Hälfte des zweiatomigen Radicals SO^ an die Stelle
von 1 At H, welches dem Radical der organischen Substanz angehörte, z. B.:
Isäthionsäure. Sulfoessigsttore.
vor: nach: vor: * nach:
H) cfrk r\ Hj
ö Oj.TT
e.
H) Hi
Bei Bildung dieser Sulfosäuren wird also das Radical der organischen Sub- 857.
stanz verändert.
Will man nun, wie dies in neuester Zeit mehrfach geschehen ist *), nur die-
jenigen Sänren als gepaart bezeichnen, bei welchen durch Einwirkung von Schwe-
felsäure das Radical selbst verändert wird, so gehören nur: die Sulfoessigsäure,
die Sulfobenzoesäure und die Sulfobernsteinsäure zu den gepaarten Säuren; und
etwa noch die Aethionsäure und Isäthionsäure, aber diese letzteren nur, wenn man
sie aus Alkohol darsteUt, während sie nicht gepaart sind, wenn man zu ihrer
Darstellung Elayl anwendet.
Alle Bemühungen, dem vor jetzt 20 Jahren eingeführten Wort „ge- 868.
paart^^, von welchem man sich allmäiilig überzeugte, dass es eigentlich
•) VgL Ann. Chem. Pharm, CIL 246; CV. 183.
KeknU, org«B. Chemie. 14
210 Theorie.
keinen Begri£f hat und dass die Unterschiede, die es ausdracken sollte, in
der That nicht stattfinden , wieder einen Begriff beilegen zu wollen , sind
vergeblich geblieben und werden voraussichtlich vergeblich bleiben, weil
solche Unterschiede nicht vorhanden sind. Es wäre desshalb offenbar am
geeignetsten, den Begriff und die Bezeichnung „gepaart'^ vollständig auf-
zugeben.
Basicitätsgesetz.
859. Mit dem Namen Basicitätsgesetz oder Gesetz der Sätti-
gungscapacität (loi de basicite) hat man verschiedene Regeln bezeich-
net, nach welchen die Basicität, d. h. die Anzaiil der basischen (leicht
durch Metalle vertretbaren) Wasserstoffatome einer Verbindung aus der
Basicität derjenigen Körper sollte hergeleitet werden können, durch deren
gegenseitige Einwirkung die betreffende Substanz erzeugt wird.
Da das Gesetz der Basicität stets mit den Ansichten über gepaarte
Verbindungen in Zusammenhang gebracht und wesentlich als Gesetz der
Basicität der gepaarten Verbindungen mitgetheilt wurde, so kann es nicht
wundern, dass es alles das Unsichere und Willkürliche theilt, wodurch
die Ansichten über gepaarte Verbindungen stets charakterisirt waren.
Diese Unsicherheit wird weiter dadurch noch erhöht, dass der Begriff der
Basicität selbst ein sehr wenig feststeh«: nder ist, so dass ein und derselbe
Körper bald als neutral, bald als einbasische Säure, ein anderer bald ab
einbasisch, bald als zweibasisch betrachtet wird.
360. Das erste Basicitätsgesetz wurde von Gerhardt aufgestellt, gelegentlich seiner
ersten Abhandlung über die gepaarten Verbindungen (§. 329). Damals (1839), so-
wie in seinem Prccis (1844 — 45), nachdem er seine Ansichten über die gepaarten
Verbindungen wesentlich geändert (§§. 330, 331) und namentlich viel weiter aus-
gedehnt hatte, und selbst noch in der mit Laurent über die Anilide veröffentlich-
ten Ai'beit (§. 835) drückte er es aus :
Die Basicität oder die Sättigungscapacität einer gepaarten Verbindung ist
immer um 1 kleiner als die Summe der Basicitfiten der Körper, durch deren
Paarung die Verbindung entstanden ist Oder
S = jf — 1,
worin S die Basicität der gepaarten Verbindung, 2 die Summe der Basidtäten der
sich durch Paarung vereinigten Körper bezeichnet
Man gab diesem Gesetz auch die Form:
B = (b + b') - 1,
worin B die Basicität des Productes b und b' die Basidtäten der einwirkenden
Substanzen ausdrücken.
In dieser Form war das Gesetz anwendbar auf alle die Körper, die man da-
mals zu den gepaarten zählte: auf die Aether, die Amide, die Anilide, die durch
Einwirkung von Schwefelsäure auf organische Säuren und Kohlenwasserstoffe ent-
stehenden Sulfosäuren etc.
Basicitätsgesetz. 211
Es zeigte z. B.:
Das8 die Aethylschwefelsfture eine einbasische Sttnre ist, weil sie durch Paa-
nmg aus der zweibasischen Schwefelsäure und dem neutralen (Basicität = 0)
Alkohol entsteht:
B = 2 + 0 — 1 = 1.
Es zeigte, dass die Aethylphosphorsfiure zweibasisch ist, weil die auf den
neatralen Alkohol einwii*kende Phosphorsäure eine dreibasische Säure ist:
B = 3 4- 0^— 1 = 2.
Es zeigte ebenso, dass die Sulfoessigsäure zweibasch sein muss, weil die
Basidtät der Schwefelsäure = 2, die der Essigsäure = 1 ist:
SgOgH] "T" C4H4O4 ^ C4H4S2O1Q •{- ^2^3
6 = 2 + 1 — 1=2.
Ferner, dass die durch Einwirkung der zweibasischen Oxalsäure auf Ammo-
niak (dessen Basidtät = 0) entstehende Oxaminsäure eine einbasische Säure ist:
CaOgHa + NH3 = C^HjNOe — HjOa
B=2 + 0 — 1=1.
Und ebenso, dass die Oxanilsäure, weil sie aus der zweibasischm Oxalsäure
and dem Anilin (dessen Basicität = 0 ist) entsteht, ebenfalls einbasisch ist.
Aber es sagt ausserdem, wie Laurent und Gerhardt sich ausdrücken, in che- 861.
mische Sprache übersetzt, dass eine einbasische Säure nur neutrale Aetherarten,
neutrale Amide, neutrale Anilide liefert, aber weder saure Aetherarten, noch Amid-
sfioren, noch Anilidsäuren. Dass dagegen die zweibasischen Säuren (wie Oxal-
säure, Schwefelsäure, Camphorsäure) zu gleicher Zeit derartige neutrale gepaarte
Verbindungen geben können, sowie auch saure Aetherarten, Amidsäuren und Ani-
lidsäuren^ dass aber in diesen gepaarten Säuren die Basicität stets um eine Einheit
kleiner ist, als dieselbe in den zweibasischen Säuren vor der Paarung war.
Strecker machte dann (vgl. g. 336) darauf aufmerksam, dass die Formel Ger- 362»
hardt's auf manche Eöi-per passe , auf andere dagegen nicht. Er führt z. B. an
das Ozanilid (= 614H12N202) müsse der Gerhardt'schen Formel nach eine ein-
basische Säure sein, denn:
B = (2 + 0) — 1 = 1.
Es entstehe aus:
C^O, + 2Ci2H,N - 4H0 = Cj^HuNaO«.
Nichtsdestoweniger sei es ein neutraler Körper. Man könne zwar eine Aus-
hülfe darin finden, dass man annehme, zuerst paare sich ein Anilin mit Oxalsäure,
die Basicität sei dann :
B = (2 4- 0) — 1 = 1.
Das so entstandene Product paare sich dann nochmals mit Anilin, wodurch
die Basidtät = 0 werde.
B = (1 4- 0) — 1 = 0.
Er hob weiter hervor, dass die Anzahl der ausgetretenen Wasseratome
(= HO) einen grossen Einfluss auf die Sättigungscapacität der gepaarten Verbin-
dung habe*, es sei darum nothwendig, diese Anzahl der ausgetretenen Wasser-
atome in die das Basicitätsgesetz ausdrückende Formel einzuführen. Behält man
die von Gerhardt eingeführten Bezeichnungen: B, b, b' bei und drückt die Anzahl
14 ♦
212 Theorie.
der bei der Paarung austretenden Wasseratome (oder was dasselbe ist, der bei der
Spaltung eintretenden Wasseratome} durch n aus, so ist die Basicitat der gepaarten
Verbindung:
B = b + b' - ^
Für den oben emv'ähnten Fall des Ozanilids hat man z. B.:
B = (2 + 0) — 2 = 0.
Er bemerkte dabei , die von Gerhardt Yorgeschlagene Form sei nur ein spe-
deller Fall dieser allgemeineren Formel, der indessen am häufigsten vorkomme>
wenn nämlich n = 2. Und er zeigte, dass sich für eine grosse Anzahl gepaarter
Verbindungen die Basicitat aus dieser Formel in Uebereinstimmung mit den Re-
sultaten der Versuche ergebe.
868. In seiner Erwiederung gegen Strecker's Bemerkungen (§. 337) suchte Ger-
hardt dann zu zeigen , dass Strecker's Formel nur eine veränderte Form der von
ihm gegebenen sei. Strecker dividire sein u durch 2, weil immer 2H0, 4H0,
6H0 etc., mit andern Worten iHjO, 2H2O, SH^O austrete. Nach seinen früheren
Mittheüungen über das Basicitätsgesetz müsse dieses in folgender Weise angewandt
werden.
Wenn 1 Mol. eines Körpers sich mit einem Molecül eines andern paare, so
ist die Basicitat des Productes :
B = b + b' - 1.
Paaren sich dagegen 2 Mol. eines Körpers b mit einem Molecül eines Kör-
pers b', so habe man:
für das erste Molecül (b + b') — 1 = b"
für das zweite . . (b + b") — 1.
Ebenso: wenn 8 Mol. eines Körpers mit einem Molecüle eines andern sich
paaren:
für das erste . . (b + bO — 1 = b"
für das zweite . . (b + b") -- 1 = b'"
für das dritte . . (b + b'") — 1.
Seine Regel gebe also immer dasselbe Resultat wie die von Strecker und
diese drücke in der That nichts anderes aus als die von ihm gegebene, da, wie
er gezeigt habe , bei jeder Paarung 1 Molecül Wasser (= H2O) austrete.
864. Später (1855) sprach Pu*ia die Ansicht aus: die Anzahl der bei Paarungen
austi'etenden (oder der bei Spaltung eintretenden) Wasseräquivalente (1 Aeq. =
HO = V2^2^) s^^^ ^^^ ^^ einfacher Beziehung zur Anzahl der sich paarenden
Körper. Für n sich paarende Körper sei die Anzahl der sich ausscheidenden
Aequivalente Wasser:
= 2(n - 1).
Also bei Paarungen von 2 Körpern = 2, von 8 Körpern = 4, von 4 Kör-
pern = 6 etc.
865. Dieser Ausdruck wurde dann von Gerhardt in die das Basicitätsgesetz aus-
drückende Formel angenommen. So natürlich , dass er statt der Anzahl der aus-
tretenden Wasseräquivalente die der Wassermolecüle gebrauchte (1 Aeq. =: HO;
ein Molecül = Ha0 = 2H0), also statt 2 (n — 1) nur n >- 1 in die Formel
einführte.
Basidtätsgesetz. 213
Das BaslciULtsgeaetz erhielt so die Form:
B = b 4- b' - (n — 1),
worin n die Anzahl der sich paarenden Substanzen, b die Basicität des einen, b'
die des andern sich durch Paarung vereinigenden Körpers bedeutet Da sowohl
b als b' die Basicität mehrerer Molectile ausdrücken können , insofern mehrere Mo-
lecüle einer Subst^mz sich nicht mit einem Molecül einer andern paaren können,
80 hfitte man offenbar besser die allgemeinere Form gewählt :
B = mb 4- nb' — ((m -f- n) ~ 1), .
worin m und n die Anzahl der MolecÜle der sich paarenden Substanzen bezeich-
nen, deren Basicitäten b imd b' sind.
Seit dieser Zeit haben einzelne Chemiker sich der alten , andere der neueren 366.
Formel Gerhardt's, noch andere der Formel von Strecker bedient. Man hat wie-
derholt Beispiele von gepaarten Verbindungen aufgeführt, die mit der einen Formel
in Uebereinstimmung , mit der andern dagegen in Widerspruch stehen. Strecker
hat ausserdem darauf hingewiesen, dass Gerhardt's letzte Formel schon darum un-
sicherer sei, wie die von ihm gegebene, weil sie das Piria'sche Gesetz (§. 864) dn-
schliesse und daher nur insofern richtig sei als dieses sich bewähre. Während
man so das Basidtätsgesetz in der einen oder andern Form als „allgemeingültiges
Gesetz^^ hinstellte, für welches keine oder wenigstens nur höchst wenige Ausnah-
men stattfänden, unterliess man, seine Richtigkeit genauer zu prüfen; man Über-
sah, dass es auf die allereinfachsten Verbindungen, die den gegebenen Definitionen
nach als gepaart betrachtet werden müssen, nicht passt; man übersah, dass man
sich bd seiner Anwendung die allergrösste Willkürlichkeit erlaubte.
Auf einen Theil dieser Uebelstände ist von Beketoff schon hingewiesen wor- 867.
den*} (1858). Er fuhrt z. B. an: nach den für die gepaarten Verbindungen gege-
benen Definitionen müssen die folgenden Fälle dahin gerechnet werden:
Sowohl Strecker's als Gerhardts Regel passt nur auf den ersten dieser drei
FKUe; sie geben beide, wenn man die Basicität der Benzoesäure = 1, die des Al-
kohols = 0 nimmt, die Basicität des Productes =: 0.
B = (1 + 0) — 1 = 0.
Für den zweiten Fall hat man, da die Basicität jeder der beiden Säuren zu 1
angenommen werden muss:
B = (1 + 1) — 1 = 1
d. h. die wasserfreien Säuren müssten noch einbasische Säuren sein , was sie nicht
*) Bulletin de l'Acad. d. St. Petersbourg. Xll. 869.
214 Theorie.
Für den dritten Fall endlich gibt die Formel , da die Baaicität jedes der bei-
den Alkohole = 0 ist:
B = (0 + 0) - 1 = — 1
eine negative Grösse, die in diesem Fall durchaus keinen Sinn hat
Für drei Körper, die offenbar für vollständig analog betrachtet werden müs-
sen, geben beide Regeln drei verschiedene Basicitäten: «^ 1, 0 und — 1.
868« Mit welcher Willkür das s. g. Gesetz der Basicität gehandhabt wurde, zeigt
deutlich das folgende Beispiel.
Die durch Einwirkung von Schwefelsäure auf Carbolsäure (Phenylalkohol)
entstehende Sulfocarbolsfture (Phenylschwefelsäure vgl. §§. 345, 846) ist eine ein-
basische Säure. Beide Basicit&tsgesetze (das von Strecker und das von Gerhardt)
zeigen, dass sie dies sein muss, wenn man den Phenylalkohol als indifferent, seine
Basicität also := 0, die Schwefelsäure aber als zweibasisch annimmt:
B = (2 + 0) — 1 = 1.
Die Nitrosubstitutionsproducte der Carbolsäure sind einbasische Säuren, das
Basicitätsgesetz zeigt, dass dies so sein muss, wenn man die Carbolsäure, wie die
Essigsäure, für eine einbasische Säure hält, ihr also die Basicität =r 1 gibt
Man hat:
für Mononitrocarbolsäure:
B =(1 + 1) - 1 = 1,
für Trinitrocarbolsäure (Pikrinsäure):
B = (3 + 1) — 3 = 1.
Dabei wird einmal die Basicität der Carbolsäure = 1, das anderemal = 0
in Rechnung gebracht; so entsteht dann ein „allgemeingültiges Gesetz.^^
309, Man überzeugt sich in der That schon an einfachen Beispielen, dass das
s. g. Basicitätsgesetz nicht allgemein richtig ist und dass es dies auch nicht sein
kann.
Der Aethylalkohol und /1er Phenylalkohol (Carbolsäure) sind völlig analoge
Körper:
Betrachtet man beide, obgleich sie ein Atom Wasserstoff enthalten, der durch
Metalle ersetzbar ist, als indifferent, weil dieser Wasserstoff nur mit einiger
Schwierigkeit gegen Metalle ausgetauscht wird; setzt man ihre Basicität also
= 0, so passen die durch Einwirkung von Schwefelsäure entstehenden Säuren
(vgL §§. 845, 446) zum Basicitätsgesetz; man hat:
B = (2 4- 0) — 1 = 1.
Die ans dem Phenylalkohol entstehenden Nitrosubstitutionsproducte (Nitro-
carbolsäure, Trinitrocarbolsäure dagegen passen nicht:
B = (1 4- 0) — 1 = 0,
sie müssten indifferent sein, während sie einbasische Säuren sind.
Andererseits ist der Phenylalkohol (Carbolsäure) auch mit der Benzoesäure
analog:
BasieitätsgesetEB. 215
beide können, weil 1 Atom H mit einer gewissen Leichtigkeit durch Metalle ver-
treteo wird, als einbasische Säuren (Basidtät = 1) betrachtet werden. Dann gibt
das Basidtfitsgesetz die Basidtät der Nitrosubstitutionsproducte richtig an, denn
die Hitrobenzoeaäure ist wie die Nitrocarbolsäuren einbasisch, so wie dies das
Gesetz seigt:
B = (1 + 1) — 1 = 1.
Nimmt man aber beide Körper, wie dies eben geschah, einbasisch, so
mfissten die durch Einwirkung von Schwefelsäure entstehenden Säuren : Sulfocarbol-
säore (Phenylschwefelaäure) und Sulfobenzoesäure zweibasisch sdn; denn:
B = (2 + 1) — 1 = 2.
In der That ist auch die Sulfobenzoesäure eine zweibasische Säure, die Sul-
fotarbols&ure dagegen ist einbasisch, sie passt nicht.
Man sieht also von den drei Körpern:
Alkohol.
Carbolsäure
Phenylalkohol.
Benzoesäure.
«.H^e
«.H^e
die offenbar völlig analog sind, und auch sonst so betrachtet werden, muss der
erste als indifferent (Basicität = 0), der zweite dnmal als indifferent, das andere-
mal als einbasisch, der dritte beide male als einbasisch angesehen werden, wenn
das 8. g. Basidtätsgesetz die Basidtät der durch Einwirkung von Salpetersäure und
von Schwefelsäure entstehenden Producte richtig ergeben soll.
Man überzeugt sich leicht, dass ein grosser Theil der Mangelhafllgkdt des 870.
Basidtätsgesetzes in der Unsicherheit seinen Grund hat, die die Bestimmung der
Basidtät eines Köi-pers darbietet.
Die Benzoesäure wird allgemein als einbasische Säure betrachtet, weil
das dne Atom typischen Wassersloffs mit gewisser Leichtigkeit durch Metalle
irsetzt werden kann. Für den Phenylalkohol (Carbolsäure) ist diese gewisse
Leichtigkeit schon geringer und man nennt desshalb diesen Körper bisweilen eine
etibasische Säure, bisweilen einen indifferenten Alkohol. Im Aethylalkohol endlich
ktan zwar der typische Wasserstoff auch noch durch Metall vertreten werden, die
gewisse Leichtigkeit ist aber jetzt sehr kldn, man führt desshalb den Alkohol
nm als indifferenten Körper auf. Wenn ein Körper als indifferent oder aber als ein-
basBche Säure betrachtet werden soll, je nachdem die gewisse Leichtigkeit, mit
weldier sein typischer Wasserstoff durch Metall vertretbar ist, gerade klein oder
grosi ist, so ist der Willkür freier Spielraum gelassen. Dann kann man die Basi-
dtät IG wählen, dass das Basicitätsgesetz für alle Fälle richtig ist*). Will man
dagegen einen jeden Körper als einbasisch betrachten , welcher 1 Atom durch Me-
*) liese Unsicherheit der Ausdrücke indifferent und einbasisch und die Schwie-
rigkeit festzustellen, ob manche Körper das eine oder das andere seien, ist
vO| Gerhardt wiederholt hervorgehoben worden. Er machte auch darauf
auberksam, dass sein Basicitätsgesetz auf solche „Grenzkörper^^ (corps limi-
tes) nicht angewandt werden könne oder dass es für diesdben wenigstens
im Wicheren lasse.
216 Theorie.
talle oder Radicale vertretbaren (d. h. typischen) Wasserstoffs enthält, so ist das
BasicitätsgesetK in der Hälfte der Fälle nnrichtig.
Während so einerseits die Unsicherheit in der Bestimmung (resp. Willkür in
der Wahl) der Basicität der sich paarenden Substanzen das Basicitätsgesets illaso-
risch macht, wird dies Gesetz andererseits auch dadurch schwankend, dass dieselbe
Unsicherheit sich bei Bestimmung der Basicität des Productes wiederholt.
Soll z. B. das Succinimid als indifferent oder als basisch betrachtet werden?
Da es mit Silberozyd leicht eine salzarfcige Verbindung erzeugt:
Succinimid. Silbersucdnimid.
<H (Ag
so hat man alle Berechtigung, es eine einbasische Säure zu nennen. Thnt man
dies, so ist das Basicitätsgesetz von Strecker im Nachtheil, gegenüber der älteren
nnd der neueren Formel von Gerhardt Die letzteren geben beide die Basidt&t
= 1; deim:
B =(2 + 0) - 1 = 1,
während die Formel von Strecker die Basicität = 0 gibt Msn hat:
^^^4 + NH, - 2Hae = e^Ne*
also:
B = (2 4- 0) — 2 = 0.
Dasselbe gilt von der Cyansäure, die man, weil sie mit fast allen Basen
salzartige Verbindungen erzeugt, allgemein als einbasische Säure betrachtet, wäh-
rend sie gleichzeitig (vollständig dem Succinimid analog) als Imid der zweibasi-
schen Kohlensäure betrachtet wird.
Dieselbe Bemerkung kann noch fttr viele Körper z. B. ftlr die Amide der
einbasischen Säuren gemacht werden. Die Basicität dieser Körper ergibt sich aus
allen Basicitätsgesetzen = 0, und doch weiss man, dass viele Amide z. B. das
Acetamid ein Atom Wasserstoff sogar mit einer gewissen Leichtigkeit gegen ein-
zelne Metalle austauschen. Z. B.:
Acetamid. Quecksilberacetamid.
H NJHg
H \yL
871. Diese Unsicherheit in der Feststellung der Basicität der sich durch Pairung
vereinigenden Substanzen und des entstehenden Productes, hat Beketoff veranl*sst •)
von diesen Basidtäten zunächst vollständig abzusehen und in einer Gleichuig nur
auszudrücken, wieviel überhaupt vertretbare Wasserstoffe ein durch Paanug ent-
stehender Körper enthält Er gibt die Formel:
aH4-bH — cH=zH
*) In der }. 867 erwähnten Abhandlung.
Bandtfttsgeaetz. 217
oder dn&cher:
a -f- b — c = z,
worin a und b die Anzahl der vertretbaren Waeserstoffatome (d. h. der typischen
Wasserstoffatome, oder wie Beketoff sich ausdrückt, des „Paarungs -Wasserstoffs),
c die Anzahl der Wasserstoffatome, die in Form von Wasser (oder Salzsäure) bei
der Paarung austreten , und z die Anzahl der typischen oder vertretbaren Wasser-
stoffatome des Productes ausdrückt.
Beketoff dehnt dabei einerseits den Begriff der Paarung (Copulation) aus,
indem er alle die Körper als durch Paarung entstanden betrachtet, die durch Ver-
einigung zweier Substanzen unter Austritt von Wasser, Salzsäure, Chlormetallen *)
etc. entstehen; im Allgemeinen also alle die Körper, welche der tjrpischen Betrach-
tung nach als durch Eintritt eines Radicales an die Stelle von t3npi8chem Wasser-
stoff entstanden angesehen werden können. Er schliesst aber andererseits alle die-
jenigen Substanzen aus, bei welchen der typische Wasserstoff unvertreten bleibt,
dagegen Wasserstoff innerhalb das Radicales ersetzt wird, also die Chlor-, Brom-)
Nitrosubstitutionsproducte.
Man kann sich leicht davon überzeugen, dass die von Beketoff gegebene For- 872.
md für alle die Metamorphosen, welche er Paarung nennt, richtig ist; sie drückt
aber in der That auch Nichts weiter aus, als was ohnedies schon in einer in typi-
schen Formeln geschriebenen Zersetzungsgleichung steht. Z. B.:
Bildung von Benzoesäureäther aus Benzoesäure und Alkohol:
1 + 1 — 2 = 0.
Bildung von Benzoesäureäther aus Benzoylchlorid und Alkohol:
eAo.ci + eAj^ - HCl = Wje.
0 + 1 — 1 = 0.
Bildung von Benzamid aus Benzoeäther und Ammoniak:
0 4-8 — 1 = 2.
Beketoff's Formel drückt also aus, wieviel Wasserstoffatome einer Verbin-
dung noch durch Radicale veiiretbar sind, wenn dies bei den einwirkenden Sub-
stanzen bekannt ist. Sie gibt, wie Beketoff sich ausdrückt, den Grad der Paarung
(degr^ de copulation) an.
Will man in dieser Formel gleichzeitig die Basicität der sich paarenden Sub- 878.
stanzen ausdrücken, um so die Basicität des entstandenen Körpers herzuleiten, so
•) Die Metalle werden in Beketoff's Gleichung in derselben Weise wie der Was-
serstoff in Rechnung gebracht
218 Theorie.
hat man nur nöthig, den basischen Wasserstoff besonders zu bezeichnen, etwa mit
einem über den Buchstaben oder die Zahl gesetzten Strich.
Man hat z. B. ftir die Bildung der wasserfreien Säuren:
«A^* + «■"■^« - S« = ISD*-
1 + T - T = 0.
Oder für die Bildung der Oxaminsäure:
^aHj04 + NH, — Ha0 = eaH,N^,
2 + 3 - (T+ 1) = T+2.
Dabei muss das dritte Glied, welches die Anzahl der bei der Paarung austretenden
c 1 1 ■ c
Wasserstoflfatome ausdrückt (c), aufgelöst werden in — f— , weil, wie Beketoff vor-
her zeigt, die eine Hälfte des Wasserstoffs aus dem einen, die andere dagegen aas
dem andern sich paarenden Körper stammt. Die allgemeine Gleichung für Büdang
der gepaarten Verbindungen wird demnach:
— , . c -4- c — ,
a + b — J = z + »
und die Gleichung, die die Bildung der Aminsäuren (z. B. der Oxaminsfture) aus-
drückt, ist:
¥+8 — (r+l)=T+2.
Sie zeigt, dass die entstehende Aminsäure noch 8 vertretbare Wasserstoffatome
enthält, von welchen eines basisch ist, d. h. durch Metalle ersetzt werden kann.
In derselben Weise hat man ftir die Bildung des Oxamids und Überhaupt
der Amide zweibasischer Säuren:
OjHaO^ + 2NHa - 2Ha0 = ß^^^^^^
oder:
a + 2b - ^^ =-7+z
2" + 6 - T2+2) = "04-4,
woraus man sieht, dass das Oxamid noch 4 Atome vertretbaren Wasserstofs ent-
hält, von welchen aber keines basisch ist
374. Es ist kaum nöthig , darauf aufmerksam zu machen , dass BeketofTs Formel,
insofern sie als Basicitätsformel angesehen werden soll, an denselben Mangan Koth
leidet, wie die anderen Basicitätsgesetze , wenn gleich in geringerem Grade. Eb
bleibt immer der Willkür überlassen, welchen Wasserstoff man gerade als basisch
betrachten will. Sie zeigt z. B. für das Succinimid:
"2 + 8 ^ (2+2) = 0 + 1,
Basicitätsgesetz. 219
dass dieser Körper noch 1 Atom Wasserstoff enthölt, sie gibt diesen Wasserstoff
aber nicht als basisch, obgleich er durch Metalle ersetzbar ist.
Sie gibt ebenso für das Acetamid :
02H4'G'2 ^ NH3
— H^O — öjHjON
T + 8
- (T+i) = 0+2
zwei vertretbare Wasserstoffatome , die der Gleichung nach gleichwerthig erschei-
nen, während das eine durch Metalle vertreten werden kann.
Die Formel Beketoff's zeigt also niemals etwas mehr als die typisch ge-
schriebenen Formeln; sie Iftsst in all den FäUen im Unsicheren, in welchen die
typischen Formeln es auch thun. Wie dies an sich natürlich ist, da sie im Grund
genommen Nichts weiter ist, als ein getrenntes Schreiben der in den typischen
Formeln angedeuteten noch vertretbaren Wasserstoffatome.
Beketoff's Betrachtung bietet aber insofern Vorzüge vor den andern Basici- 876.
tätsgesetzen dar, als sie zeigt, dass bei der Bildung der Snbstitutionsproducte eine
andere Art von Reaction stattfindet wie bei den Metamorphosen, die Beketoff zu den
Paarungen zählt; insofern bei den ersteren die Vertretung im Radical stattfindet
and der typische Wasserstoff ungeändert bleibt, während bei den letzteren typi-
scher Wasserstoff durch Radicale ersetzt wird. Sie zeigt femer, dass bei den durch
Einwirkung von Schwefelsäure auf Essigsäure und Benzoesäure entstehenden Sulfo-
säuren (die sich, ebenso wie die Nitrosubstitutionsproducte der Formel nicht fügen)
eine eigenthümliche Reaction stattfindet, bei welcher das Radical der organischen
Säure verändert und Wasserstoff, der vorher diesem Radical angehörte, in typischen
Wasserstoff umgewandelt wird. (vgl. §. 3ö6.)
Fafist man Alles zusammen, so überzeugt man sich leicht, dass kei- ^76.
Des der verschiedenen Basicitätsgesetze ein allgemeingültiges Gesetz ist.
Es sind Regeln, die innerhalb gewisser Grenzen richtig sind, nament-
lich bei den Körpern oder Körpergruppen, aus welchen man sie herleitete.
Sie können natürlich mit einiger Wahrscheinlichkeit auf nächst -analoge
Fälle angewandt werden, gestatten aber nie die Basicität eines Froductes
mit YoUer Sicherheit herzuleiten.
Keines der verschiedenen Basicitätsgesetze leistet mehr als dies die
typische Anschauung und die typische Schreibweise der Formeln schon
thut. Aber auch diese zeigen nur, wieviel Wasserstoffatome überhaupt
durch Radicale vertretbar sind (abgesehen von den Chlor-, Brom- und
Nitrosubstitutionen, welche innerhalb des Radicales vor sich gehen), nicht
aber, ob dieser Wasserstoff gerade leicht durch Metalle oder metallähn-
liche Radicale oder aber durch saure Radicale ersetzt wird. Dies ergibt
sich bis zu einem gewissen Grade aus den früher mitgetheilten Betrach-
tangen über den Einfluss, den die Natur der in einer Verbindung schon
enthaltenen Radicale auf die Natur der Verbindung ausübt und aus den
Betrachtungen über den Einfluss der relativen Stellung der Atome auf
ihre Natur.
220 Theorie.
Classification der organischen Verbindungen.
S77. Wenn in die zahlreichen Thatsachen der organischen Chemie einige
Uebersichtlichkeit gebracht werden soll, so ist es nöthig, dieselben in
systematischer Ordnung abzuhandeln. Der Hauptzweck einer jeden Clas-
sification ist stets die Uebersichtlichkeit. Aber das System muss gleichzeitig
die etwa schon erkannten Gesetzmässigkeiten oder die Regelmässigkeiten
und Analogieen, in welchen später vielleicht Gesetzmässigkeiten aufge-
funden werden können, besonders hervortreten lassen; es muss die zahl-
reichen Beziehungen, welche die einzelnen Körper und Körpergruppen
untereinander verknüpfen, genügend hervorheben; es muss, mit einem
Wort, schon durch die Stellung der Körper im System ein gewisses Bild
von ihrer Natur geben. Macht das System dabei noch auf Lücken in der
dermaligen Erkenntniss der Thatsachen aufmerksam; deutet es durch die
Art der Classification die Existenz dermalen noch unbekannter Körper
an ; lässt es dureh den Platz, den es diesen Köi*pern anweist, ihre Eigen-
schaften, ihre Beziehungen und ihre etwaigen Bildungsweisen bis zu einem
gewissen Grade voraussehen; so leistet es Alles, was man billigermassen
von einem System verlangen kann.
878. Es ist an sich klar, und früher schon mehrfach hervorgehoben wor-
den (vgl. §§. 145, 146), dass ein chemisches System nothwendig
auf die chemische Natur der Körper begründet sein muss. Also ei-
nerseits auf die Aehnlichkeit ihres Verhaltens, auf ihre chemische
Function; andererseits auf ihre verwandtschaftlichen, ihre genetischen
Beziehungen. Es muss Beides gleichzeitig und soweit als thunlich
gleichmässig berücksichtigen.
Wollte man die Körper nur nach ihren genetischen Beziehungen zusammen-
stellen, so würde man auf unüberwindliche Schwierigkeiten stossen, weil eine and
dieselbe Substanz oft aus einer grossen Anzahl anderer Körper erhalten werden
kann, so dass die genetischen Beziehungen ein unendlich vielfach verknüpftes Netz
darstellen. Und man würde dabei niemals uebersichtlichkeit erlangen, weil ihrer
chemischen Function nach sehr ähnliche Körper oft sehr weit von einander ent-
fernt werden mtissten.
Wollte man andererseits die Systematik einzig auf die chemische Function
der Körper begründen und nur die in ihren Eigenschaften ähnlichsten Körper zu
sammenstellen , also z. B. alle Alkohole, alle Chloride, alle einbasischen Säuren,
aUe dem Typus Ammoniak zugehörigen Körper, so würden, weil man den gene-
tischen Beziehungen zu wenig Rechnung trägt ^ die verwandtschaftlichen Bande,
welche die Körper verknüpfen, zu sehr in den Hintergrund treten und so wiederum
der Uebersichtlichkeit geschadet. •
379 Die chemische Natur der Körper findet ihren Ausdruck in den
rationellen Formeln (§. 252). Der typische Theil dieser Formeln
drückt wesentlich die chemische Function aus. Die als Radicale
geschriebenen Gruppen erinnern an die genetischen Beziehungen.
Die Systematik wird also der chemischen Function und den gene-
Classification. 221
tiBchen Beziehungen gleichzeitig Rechnung tragen, wenn sie die chemi-
schen Verbindungen nach ihren rationellen Formeln ordnet.
Da nun, den früheren Betrachtungen nach, ein und derselbe Kör- 880.
per in yerschiedenen Metamorphosen oft völlig verschiedenes Verhalten
zeigt und desshalb durch verschiedene rationelle Formeln ausgedrückt
werden kann (§. 252), die alle gleichberechtigt oder wenigstens für die
Metamorphosen, aus welchen man sie herleitet, berechtigt sind, so wirft
sich die Frage auf: welche dieser verschiedenen rationellen Formeln soll
zum Zweck der Systematik benutzt werden? Obgleich man also die ver-
schiedenen rationellen Formeln für gleichzeitig berechtigt halten muss, so
muss für die Classification eine bestimmte ausgewählt werden. Damit
soll durchaus nicht gesagt werden, dass diejenige rationelle Formel, welcher
man für die Classification den Vorzug gibt, an sich mehr berechtigt, dass
sie rationeller sei wie die andern. Mein gibt vielmehr dieser einen Formel
nur desshalb den Vorzug, weil sie dem betreffenden Körper eine Stelle
im System anweist, durch welche seine Analogieen mit anderen und
seine Beziehungen zu anderen Körpern gerade besonders deutlich hervor-
treten.
Welche von den verschiedenen rationellen Formeln, die für einen
Körper möglich sind, fUr die Classification ausgewählt werden soll, ist
eine Frage der Zweckmässigkeit, oder, wenn man will, eine Frage des
Taktes. Im Allgemeinen wird man derjenigen den Vorzug geben, welche
die meisten, die einfachsten und die wichtigsten Beziehungen eines Kör-
pers ausdrückt
Man kann z. B. die Essigsäure ausdrücken durch die rationellen Formeln:
^AOU oder ^^A^2 oder ^?»
Die erste erinnert an die Beziehungen der Essigsäure zum Alkohol und den
übrigen Aethylverbindungen , indem sie in der Essigsäure ein Radical 62H30 an.
nimmt, welches sich aus dem Radical des Alkohols €2^5 durch Eintritt von O an
die Stelle von Hj herleitet. Die zweite erinnert an die Beziehungen der Essigsäure
zum Acetonitril etc. (§. 246); die dritte endlich deutet die Metamorphosen an, bei
welchen neben einer Verbindung des Radicals Carbonyl (=60), eine Verbindung
deö Radicals Methyl (= eH,) entsteht (vgl §§. 236, 260). — Für die Classification
verdient die erste dieser drei Formeln den Vorzug, weil sie der Essigsäure eine
Stelle im System anweist, durch welche die einfachsten und wichtigsten Beziehun-
gen dieser Säure besonders klar hervortreten.
Ebenso sind für den Aldehyd die drei rationellen Formeln berechtigt:
0 0
^Agj oder ^'^^je oder 9^.0,
von welchen die erstere den Aldehyd als die Wasserstoffverbindung desselben Ra-
dicals betrachtet, dessen dem Wassertyp zugehörige Verbindung die Essigsäure ist;
222 Theorie.
während die zweite an die Bildung des Chlorids: ^sH^Cl erinnert und die dritte
endlich andeutet, dass der Aldehyd sich in manchen Reactionen verhfilt wie das
Oxyd desselben zweiatomigen Radicals, dessen dem Wassertyp zugehörige Verbin-
dung das Glycol ist. ~ tür die Classification verdient wiederum die erstere dieser
Formeln den Vorzug, weU sie den Aldehyd in die Nähe der Essigsäure und der
übrigen Verbindungen desselben Radicales stellt und so die wichtigsten Beziehun-
gen besonders hervorhebt
881. Obgleich also bei der Wahl der für die Classification zu benutzen-
den rationellen Formeln nicht ganz ohne Willkür verfahren werden kann,
so ist es doch natürlich nothwendig, dabei eine gewisse Consequenz in
Anwendung zu bringen, damit nicht Analogieen verhüllt werden und da-
durch die Uebersichtlichkeit Noth leide.
Wenn z. B. für zwei völlig analoge Substanzen zweierlei verschiedene aber
für beide Substanzen analoge rationelle Formeln möglich sind, so wird man nicht
bei der einen Substanz die eine, bei der andern dagegen die andere rationelle For-
mel auswählen..
3^2. ^^^ kann nun bei einer Classification der organischen Verbindungen
nach den rationellen typischen Formeln entweder nach den Radicalen
ordnen, also diejenigen Körper zusammenstellen, die dasselbe Radical
enthalten, aber verschiedenen Typen zugehören, dann wird wesentlich
den genetischen Beziehungen Rechnung getragen; oder man kann
die Körper zu Gruppen zusammenfassen, welche demselben Typus
zugehören, aber verschiedene Radicale enthalten, man berüksichtigt dann
wesentlich die chemischeFunction. Um die organischen Verbindungen
vollständig zu charakterisiren und eine möglichst allseitige Kenntniss ihrer
zahllosen Beziehungen zu vermitteln, ist es nothwendig, sie nach beiden
Methoden zusammenzustellen. Da indess eine vollständige Vereinigung
dieser beiden Classificationsprincipien unmöglich ist, so scheint es geeig-
net, bei der für die Einzelbeschreibung der organischen Verbindungen be-
nutzten Classification den genetischen Beziehungen, d. h. den Radicalen
mehr Rechnung zu tragen. In einem späteren Kapitel sollen dann die
organischen Verbindungen nach dem andern Princip, also nach der che-
mischen Function, d. h. den Typen, zusammengestellt und die für den be-
treffenden Typus charakteristischen Reactionen, also die einer ganzen
Gruppe von Verbindungen gemeinsamen chemischen Functionen besprochen
werden.
In dem speciellen Theii dieses Lehrbuches werden also die organi-
schen Verbindungen in methodischer Reihenfolge abgehandelt Bei dieser
Classification benutzen wir:
I. Das §. 280 erwähnte Verhältniss der Anzahl der Kohlen-
Stoffatome zu der Summe der übrigen Atome einer Verbindung.
Classification. 223
Wir theilen danach die organischen Verbindungen in drei grosse Klas-
sen, von welchen die erste die nach der allgemeinen Formel OnH^a
zusammengesetzten Kohlenwasserstoffe und alle mit diesen in gene-
tischer Beziehung stehenden Körper umfasst. Die zweite Klasse um-
fasst die kohlenstoffreicheren Substanzen, also die nach der Formel:
€b+3 H^d zusammengesetzten Körper, nebst allen ihren Verwandten.
Die dritte endlich den Kohlenwasserstoff: On-^ E^ nebst seinen
zahlreichen Abkömmlingen.
IL Die Basicität der Radicale. Wir machen also, innerhalb jeder
der drei Hauptklassen Unterabtheilungen, von welchen die erste die
Verbindungen einbasischer Radicale, die zweite die zweibasischen
Radicale und ihre Verbindungen, die dritte die Verbindungen der
dreibasischen Radicale enthält eta (vgl. $. 289).
in. Innerhalb der so erhaltenen Gruppen werden zunächst die Verbin-
dungen derjenigen Radicale zusammengestellt, die nur Kohlenstoff und
Wasserstoff enthalten. Die weiteren Gruppen umfassen dann die Verbin-
dungen derjenigen Radicale, welche sich aus den ersteren durch Ein-
tritt von Sauerstoff an die Stelle von Wasserstoff herleiten lassen;
und zwar enthält die nächste die Verbindungen der Radicale, die
aus den nur Kohlenstoff und Wasserstoff enthaltenden durch Eintritt
von 1 Atom O an die Stelle von 2 Atom H entstehen; die folgende
die Verbindungen derjenigen Radicale, bei welchen 4 Atome H des
Kohlenwasserstofiradicals durch 2 Atome O vertreten sind etc.
(S. 285).
IV. In jeder dieser Gruppen, die nur noch die Verbindungen homologer
Radicale enthält (§§. 142, 143), werden dann zunächst die Verbin-
dungen der einfachsten Radicale abgehandelt, an diese reihen sich
dann die Verbindungen der um €H2, 2€H2 . . . n.6H2 reicheren
Radicale an.
Die folgende Uebersichtstabelle, in welcher die Radicale zusam- 884.
meDgestellt sind, wird die Grundidee dieser Classification verständlich
machen :
224
Theorie.
Klasse: OnHsa«
Einatomige
Radicale.
Gruppe 1.
Ba H20+1
Gruppe 2.
Ön H2n-i e
eaH,0
eXe
eX^
Zweiatomige
Radicale.
Gruppe 3.
Bn H2o
Gruppe 4.
e« H2a-2 0
Gruppe 6.
00 H20-4 0a
eX
60
«x^
0,H40
eX^
0X
0aHi0a
04H402
Dreiatomige
Radicale.
Gruppe 6 (und 8)
Gruppe 7 (und 9)
e. HS.-S 0
(anch einatomig
TgL S- 289.)
eX
«X
eX^
Die Gruppe
1) iimfasst die homologe Reihe der Alkohole und alle die zahlreichen,
theils aus den Alkoholen, theils aus andern Substanzen sich her-
leitenden Körper, welche dieselben Radicale enthalten.
2) Die homologe Reihe der s. g. fetten S&uren, nebst ihren zahlreichen
Abkömmlingen,
3) die mit dem Elajl (ölbildenden Gas) homologen Kohlenwasserstoffe,
die Yeibindungen dieser mit Chlor, Brom, Schwefels&ure; die zwei;
atomigen Alkohole (Gljcole) etc.
4) Die Kohlens&ure nebst den wichtigen Verbindungen, die dasselbe
Radieal enthalten (Harnstoff etc.); die Glycokänre, Mildisjure etc.
Die Gruppe
Classification. 225
6) enthält eine homologe Reihe sweibasischer organischer Säuren: Oxal-
säure, Bernsteinsäure etc.
Dann werden zunächst die Verbindungen der dreiatomigen Radi-
cale abgehandelt, und zwar:
6) Chloroform, Glycerin etc.; dann
7) die wenigen Körper, welche ein dreibasisches von dem Radical des
Glycerins sich herleitendes Radical enthalten: Olycerinsäure etc.
Da eine Atomgruppe von gleicher Zusammensetzung, wie das im
Gljcerin enthaltene dreibasische Radical in andern Verbindungen die
Bolle eines einatomigen Radicales spielt (§. 289), so reihen sich zu-
nächst die Verbindungen dieser einatomigen Radicale an. Es ent-
hält also Gruppe:
8) den AUylalkohol, das Senföl und alle die zahlreichen Verbindungen,
die sich aus diesen herleiten. Dann folgen
9) die Verbindungen, deren Radical sich aus dem der AHylverbindun-
gen durch Eintritt von 0 an die Stelle von 2 H herleitet: Acrolein,
Acrjlsäure und alle die Säuren, die mit der Acrjlsäure homolog
sind: Oelsäure etc.
In der ersten Gruppe werden also zunächst die Methylverbindungen, 886.
dann die Aethylverbindungen und so nach einander die Verbindungen
aller mit dem Methyl und Aethyl homologen Radicale besprochen. Für
jedes Radical werden alle den verschiedenen Typen zugehörigen Verbin-
dungen, ferner alle die, welche unorganische (kohlenstoffireie) Radicale ent-
halten und die, welche organische (kohlenstoffhaltige) Radicale enthalten,
deren übrige Verbindungen durch frühere Kapitel bekannt sind, abgehan-
delt. Bei der Betrachtung der einzelnen Körper wird so viel als möglich
eine systematische Reihenfolge (nach den Typen) eingehalten; indessen
ist es in vielen Fällen , im Interesse des Verständnisses und um den ge-
netischen Zusammenhang der verschiedenen Substanzen besser hervor-
treten zu lassen, nöthig, von dieser systematischen Reihenfolge abzuwei-
chen und die einzelnen Körper so aneinander zu reihen, wie der eine
aus dem andern erhalten werden kann. Damit aber bei diesem freieren
Gang der Einzelbeschreibung der systematische Zusammenhang und die
typischen Beziehungen nicht allzusehr in den Hintergrund treten, werden
noch besonders bei jeder Körpergruppe die wichtigsten Verbindungen in
systematischer Uebersicht nach Typen zusammengestellt.
Sind so in der ersten Gruppe alle mit dem Aethylalkohol homo-
loge Alkohole und ihre nächsten Abkömmlinge abgehandelt, d. h. alle
KekuU, orgao. Cbemle. 15
226 Theorie.
die YerbindungeD , die durch chemische Metamorphosen aus jenen ent-
stehen und die noch dasselbe Radical unverändert enthalten ; so folgen
in der zweiten Gruppe die Verbindungen der Radicale, die aus den Ra-
dicalen der Alkohole durch Eintritt von O an die Stelle von 2 H ent-
stehen, die also noch dieselbe Basicität besitzen, noch einbasisch sind,
wie die Alkoholradicale. Sind dann alle Verbindungen dieser sauerstoff-
haltigen einbasischen Radicale abgehandelt, also alle aus den fetten Säu-
ren sich herleitende Substanzen, die noch dasselbe Radical unverändert
enthalten; so werden in der dritten Gruppe die Körper betrachtet, deren
Radicale sich aus den Radicalen der Verbindungen der ersten Gruppe
(Alkohole) durch Austritt von 1 Atom H herleiten und die dadurch zwei-
basisch geworden sind. Nach diesen zweibasischen Eohlenwasserstoff-
radicalen und ihren Verbindungen folgen dann die Verbindungen derjeni-
gen sauerstoffhaltigen zweibasischen Radicale, die sich durch Eintritt von
Sauerstoff an die Stelle von ViTasserstoff aus diesen herleiten u. s. f. —
Da Verbindungen vieratomiger Radicale bis jetzt nur verhältniss-
mässig wenig bekannt sind, so werden diese nicht in besonderen Grup-
pen zusammengestellt, vielmehr gelegentlich der Körper eingeschaltet, zu
welchen sie die meisten Beziehungen zeigen.
S86. Iin Interesse der Uebersichtlichkeit scheint es geeignet, diese Clas-
sification nicht überall streng einzuhalten. So werden z. B. die dem
Ammoniaktypus zugehörigen Verbindungen mancher Radicale z. B. der
Alkoholradicale (Gruppe 1) nicht bei den übrigen Verbindungen des be-
treffenden Radicals abgehandelt, sondern erst, wenn alle sonstige Ver-
bindungen dieser homologen Radicale besprochen sind, in eine besondere
Gruppe: Ammoniakbasen der Alkoholradicale zusammengestellt An diese
stickstoffhaltigen Verbindungen der Alkoholradicale schliessen sich dann
die entsprechenden Phosphor-, Arsen- etc. haltigen Verbindungen an.
In anderen Fällen dagegen werden analoge dem Ammoniaktypus
zugehörige Substanzen mit den übrigen Verbindungen desselben Radicales
zusammengestellt, je nachdem gerade das eine oder das andere zweck-
mässiger erscheint, um die Beziehung besser hervortreten zu lassen, auf
welche der jetzige Stand der Wissenschaft besonderes Gewicht legt
387. Während der Eintritt von Sauerstoff an die Stelle von Wasserstoff
im Radical dazu veranlasst, die Verbindungen der sich so herleitenden
Radicale in eine besondere Gruppe zu stellen, werden die durch Eintritt
von Chlor, Brom, Jod und NO2 an die Stelle von Wasserstoff des Ra-
dicals entstehenden Körper (die eigentlichen Substitutionsproducte) , weil
sie in den allermeisten Fällen eine ungemeine Aehnlichkeit mit der Mutter-
substanz zeigen, so dass sie gewissermassen für Varietäten dieser oder
für eine Wiederholung desselben Musters in anderer Farbe angesehen
Classification. 227
werden können, gelegentlich der Sabstanz besprochen, aus welcher sie
entstehen; bisweilen aber auch erst — wieder der Uebersichtlichkeit we-
gen — nachdem alle Verbindungen des betreffenden Radicales besprochen
sind, als: Substitutionsproducte der Verbindungen des Radicals etc.
Es ist einleuchten^], dass den Zwecken eines Lehrbuchs nicht durch 888.
pedantische Durchführung der dem System zu Grunde liegenden Prinoi-
pien Genüge geleistet werden kann ; dass yielmehr die Zweckmässigkeit
and Uebersichtlichkeit entscheiden muss, ob in einzelnen Fällen ein Ab-
weichen von leitenden Principien, durch die man sonst Uebersichtlichkeit
erlangen kann, Vorzüge darbietet oder nicht
So könnte man z. B. die der zweiten Hauptklasse zugehörigen Ver-
bindungen, die kohlenstofifreicheren Substanzen oder die aromatischen
Körper in derselben Weise in Gruppen abtheilen, man könnte die Ver-
bindungen zweiatomiger Radicale scharf von den Verbindungen einatomiger
Radicale trennen. Da indessen in dieser Klasse nur verhältnissmässig wenig
Verbindungen zweiatomiger Radicale bekannt sind, so scheint es geeig-
net, diese Trennung nicht in allen Fällen scharf einzuhalten, yielmehr
manche dieser Verbindungen gelegentlich der Körper zu besprechen, zu
welchen sie in einfacher genetischer Beziehung stehen. —
Bei einer Wissenschaft, die wie die Chemie es mit der Experimen- 889.
taluntersuchung aller der Körper zu thun hat, welche die Natur unserer
Beobachtung darbietet, ist es natürlich, dass eine Menge Körper existiren,
die sich denn System bis jetzt nicht einordnen lassen. Es ist dies selbst-
verständlich ftlr das System kein Vorwurf. Wenn das System die Körper
nach ihren chemischen Metamorphosen ordnet, so ist es einleuchtend,
dass alle die Körper, deren chemische Metamorphosen noch nicht oder
nur 80 wenig erforscht sind, dass die Beziehungen zu den übrigen Sub-
stanzen noch unbekannt sind, in dem System keinen Platz finden. Wenn
daa System die Körper nach rationellen Formeln zusammenstellt, so ist
es einleuchtend, das es allen den Körpern, für welche bis jetzt keine ra-
tionelle Formeln aufgestellt werden können, keinen Platz anweisen
kann.
Unter den Körpern, deren mangelhafte Kenntniss es bis jetzt nicht 890.
möglich macht, ihnen eine bestimmte Stelle im System anzuweisen,
ist eine verhältnissmässig grosse Anzahl wenigstens so weit erforscht,
dass einzelne Eigenschaften oder einzelne Metamorphosen gewisse Be-
ziehangen entweder zu einzelnen dem System eingereihten Körpern oder
wenigstens zu ganzen Körpergruppen hervortreten lassen. Andere da-
gegen sind entweder noch so wenig untersucht oder haben, obgleich sie
häafig Gegenstand der Untersuchungen waren, den mangelhaften Unter-
16 •
228 Theorie.
suchungsmethoden , über die wir jetzt verfügeo , so viele Schwierigkeiten
entgegengestellt 5 dass noch durchaus keine oder nur höchst untergeord-
nete Beziehungen zu den dem System eingeordneten Körpern bekannt
sind.
Die ersteren werden entweder, wenn bestimmtere Beziehungen za
einzelnen Körpern bekannt sind, gelegentlich dieser eingeschaltet Oder
sie werden, wenn nur Beziehungen zu ganzen Körpergruppen ermittelt
sind, als Anhang zu diesen Körpergruppen abgehandelt.
So wird z. B. eine Anzahl von Säuren, die theils fertig gebildet
in der Natur vorkommen , theils als Zersetzungsproducte aus solchen in
der Natur fertig gebildet vorkommenden Körpern entstehen, als Anhang
zu der ersten Hauptklasse organischer Verbindungen abgehandelt, weil
ihre Zersetzungsproducte, die stets dieser Klasse von Verbindungen an-
gehören, deutlich zu erkennen geben, dass sie selbst dieser Klasse von
Verbindungen angehören, obgleich unsere jetzige Kenntniss ilirer Meta-
morphosen es nicht möglich macht, ihnen eine bestimmte Steile anzu.
weisen. Hierher gehören z. B. Weinsäure, Aepfelsäure, Citronensaure,
Schleimsäure etc.
An diese Körper reihen sich ferner an: die s. g. Kohlenhydrate,
z. B. Stärkemehl , Zucker etc. ; weil alle Zersetzungsproducte dieser Sub-
stanzen der ersten Klasse organischer Verbindungen (kohlenstoffarmere
Substanzen) angehören und weil keine Reaction bekannt ist, bei welcher
durch einfache Metamorphose eine der kohlenstofifreicheren Substanzen
entsteht.
391. Alle diejenigen Körper dagegen, die als Zersetzungsproducte eine
der Substanzen liefern, die der Klasse der kohlenstoffreicheren Verbin-
düngen zugehören, werden in dieser Klasse, entweder gelegentlich ein-
zelner Substanzen oder als Anhang zu den dem System eingeordneten
Körpern dieser Klasse abgehandelt.
Für alle diejenigen Substanzen endlich, von welchen noch keinerlei
Beziehungen zu irgendwelchen dem System eingeordneten Körpern be-
kannt sind, bleibt nichts anderes übrig, als sie vor der Hand vollständig
ausserhalb des Systemes stehen zu lassen. Dahin gehört namentlich
eine Anzahl der vereinzelt in Pflanzen oder Thieren vorkommenden Sub-
stanzen, z. B. viele Farbstoffe, Bitterstoffe, die meisten Alkaloide etc. und
ferner diejenigen complicirt zusammengesetzten Körper, die die Haupte
masse der Organe des Thierkörpers ausmachen: die eiweissartigen Kör-
per, die Leimsubstanzen etc.
gog JEs ist oben darauf aufinerksam gemacht worden (§. 380), dass man
zum Zweck der Classification eine von den verschiedenen rationellen For-
Classification.
229
mein, durch welche man die Metamorphosen eines Körpers ausdracken
kann, auswählen muss; es ist besonders hervorgehoben worden (§. 281),
dass es nothw endig ist, bei dieser Wahl mit einer gewissen Consequenz
zu verfahren. Im Interesse der Uebersichtliohkeit scheint es zweckmäs-
sig, auch von diesem Princip für eine Gruppe von Körpern abzuweichen,
fiir die Cy an Verbindungen nämlich. —
Alle diese Verbindungen können entweder als Verbindungen des
einatomigen Radicals Cyan (= 6N) betrachtet werden. Z. B.:
Blausäure Chlorcyan. Cyanmethyl. C5'ansäure. Cyanamid. Cyan.
Cyanwasserstoff.
ON.H
eN.ci
eN.eHa
H
H}N
Sie können andererseits betrachtet werden als vom Typus Ammo-
niak sich herleitende Verbindungen, als Ammoniak, in welchem der Was-
serstoff durch Radicale ersetzt ist *). Z. B. :
Blausäure. Chlorcyan. Cyanmethyl. Cyansäure,
Nitril der Am ei- Nitril der Imid der
scnsäure. Essigsäure.
Cyanamid. Cyan.
Amid des Nitril der
Kohlensäure. Imids der Oxalsäure.
Kohlensäure.
N.OH
N.'GCl
N.eaHa
»r »-ü. »■i^--
Wollte man für die Classification der letzteren Betrachtungsweise
den Vorzug geben, so müssten die Cyanverbindungen gelegentlich der
Ameisensäure, der Essigsäure, der Kohlensäure und der Oxalsäure be-
sprochen werden. Sie würden also an verschiedenen und zum Theil sehr
entfernten Stellen abgehandelt. Dadurch ginge einerseits der Zusammen-
hang der verschiedenen Cyanverbindungen unter einander vollständig ver-
loren und andererseits würde die Beschreibung dieser sehr zahlreichen
•) Man kann die Cyanverbindungen endlich noch durch Fonneln ausdrücken,
in welchen der Kohlenstoff als ^ieratom^ge8 Element in den Vordergnind ge-
stellt wird (vgl. §.301 Anm.). Man leitet sie dann gewissermassen von dem
Typus OH^ ab. Z. B.:
Blausäure.
€}^
Chlorcvan.
')l
1ci
Cyanmethyl.
6
/OH,
Cyansäure.
IT M»
h)0
(Die Formeln für das Cyanamid und das Cyan fallen mit den oben gegebe-
nen zusammen.)
230 Theorie.
Körper den Zusammenhang der übrigen Verbindungen in störender Weise
unterbrechen. Dies lässt es zweckmässig erscheinen, der anderen Be-
trachtungsweise der Gjanverbindungen den Vorzug zu geben und sie, als
Verbindungen des Radicals Cjan, in einer besonderen Gruppe und zwar
an der Spitze aller organischen Verbindungen abzuhandeln. Gelegentlich
der Substanzen, mit welchen die einzelnen Gjanverbindungen in geneti-
scher Beziehung stehen, wird dann jedesmal diese Beziehung besonders
hervorgehoben und so der Platz angedeutet werden, den sie im System
einnehmen würden, wenn man der anderen Betrachtung den Vorzug
gäbe.
Beaelnmgeii Kwisohen chemisohen tmd phsrsikalischen
EigenscbafteiL
Schon seit lange sind mancherlei Beziehungen zwischen den chemi- S93.
sehen und den physikalischen Eigenschaften der organischen sowohl als
der unorganischen . Verbindungen aufgeftinden worden. In den letzten
Jahren namentlich haben einzelne Gelehrte die physikalischen Eigenschaf-
ten ganzer Reihen chemischer Verbindungen mit aufopferndem Fleisse
einer sorgfältig vergleichenden Untersuchung unterworfen. Dessen ungeach-
tet ist es bis jetzt, für organische Verbindungen wenigstens, nicht gelun-
gen, ein wirkliches Naturgesetz mit voller Sicherheit festzustellen. Doch
darf man bei den Fortschritten, welche Physik sowohl als Chemie in den
letzten Jahren gemacht haben, wohl hoffen, dass die nächste Zukunft
aber diese Gegenstände Licht verbreiten werde.
Dem Zweck dieses Buches nach können hier nur diejenigen Be-
ziehungen zwischen physikalischen und chemischen Eigenschaften Berück-
sichtigung finden, die für organische, d. h. kohlenstoffhaltige Verbindun-
gen von besonderem Interesse sind. Mit einiger Ausführlichkeit können
nur diejenigen abgehandelt werden^ die entweder praktisch wichtig sind,
insofern sie Anhaltspunkte zur Feststellung chemischer Eigenschaften dar-
bieten, oder die, bei welchen ein Gesetz schon einigermassen deutlich
hervortritt Alle diejenigen physikalisch - chemischen Untersuchungen da-
gegen, die noch keine so abgerundeten Resultate geliefert haben, dass
Naturgesetze ersichtlich sind, und die praktisch, d. h. als Hülfsmittel che-
mischer Untersuchungen, weniger Werth besitzen, sind nur kurz zu be-
sprechen. Indessen können selbst diese nicht ganz unberücksichtigt blei-
ben, einerseits weil, aller Voraussicht nach, die nächste Zukunft der
Wissenschaft sie nutzbar machen wird, ganz besonders aber auch, weil
nur allseitige Eenntniss und Berücksichtigung der chemischen und phy-
sikalischen Eigenschaften dazu führen kann, eine Vorstellung über die
Natur der Materie in den verschiedenen Aggregatzuständen auszubilden
und so die Grundhypothesen aufzustellen, von welchen aus eine wirklich
wissenschaftliche Behandlung der Chemie möglich ist.
232 Physikalischer TheiL
Physikalische Eigenschaften bestehender nnd in demselben Aggregate
zustand beharrender Körper.
Specifisches Gewicht.
894. Die Beziehungen, welche zwischen dem specifischen Gewicht (§. 67)
und der chemischen Zusammensetzung stattfinden, treten am deutlichsten
hervor bei gas- oder dampfförmigen Körpern; weniger deutlich
bei Flüssigkeiten; noch weniger bei festen Körpern.
895. Die VorsteUung, welche man sich, dem jetzigen Stand der Physik nach, von
der Natur der Materie in den drei Aggregatzustfinden macht, lässt dies von vorn-
herein wahrscheinlich erscheinen. Man denkt sich nämlich *) die Körper aus klei-
nen Massentheilchen bestehend, die unter dem Einfluss der ihnen innewohnenden
nnd der auf sie einwirkenden Kräfte sich in fortwährender Bewegung befinden.
SämmÜiche Eigenschailen der Gase finden ihre einfachste Deutung in der
Annahme, dass bei gasförmigen Körpern die Massentheilchen, wenn man für den
Augenblick absieht von den fortwährenden, die Wärmeerscheinungen etc. erzeugendoi
Bewegungen der Massentheilchen, in sehr grosser Entfernung von einander stehen-,
so zwar, dass die Grösse der Massentheilchen verschwindend klein ist gegen ihre Ent-
fernung, oder, was dasselbe ist, dass der Raum, den die Massentheilchen des Gases
wirklich ausfüllen, verschwindend klein ist gegen den ganzen Raum, welchen das
Gas einnimmt. Für das Volum gasförmiger Körper kommt also nicht die Grösse,
sondern nur die Anzahl und die Entfernung der Massentheilchen in Betracht —
Wenn man dann ferner die einfachste und nach allen physikalischen Eigenschaften
der Gase wahrscheinlichste Annahme macht, dass innerhalb gleicher Bedingungen
bei allen Gasen in gleichgrossen Räumen gleichviel Massenatome enthalten sind;
dass also die Entfernung der Massenatome bei allen Gasen gleich gross ist, so
folgt daraus, dass die Gewichtsverhältnisse gleicher Volume verschiedener Gase
gleichzeitig die Gewichtsverhältnisse der einzelnen Massentheilchen derselben sind.
Bei festen und flüssigen Körpern dagegen stehen, wenn man für den Augen-
blick wieder absieht von der fortwährenden Bewegung der Massentheilchen (deren
Verschiedenheit offenbar, obgleich man sich bis Jetzt nicht völlig Rechenschaft davon
zu geben im Stande ist, die Verschiedenheit des festen und flüssigen Zustandes ver-
anlasst) , die MassentheÜchen in verhältnissmässig grosser Nähe, so dass hier, aus-
ser der Anzahl und Entfernung der Massentheilchen auch noch ihre Grösse fOf
das Volumen von Einfluss ist Das specifische Gewicht flüssiger und fester Körper
ist also nicht nur von dem relativen Gewicht der Massentheilchen (wie bei den
Gasen), sondern gleichzeitig von ihrer Grösse und ihrer Entfernung abhängig.
Zudem lässt sich bis jetzt aus allgemein physikalischen Betrachtungen nicht ab-
leiten, ob überhaupt und unter welchen Bedingungen ein bestimmtes und bei ver-
schiedenen Körpern gleiches Verhältniss zwischen der Entfernung der Massentheil-
chen und ihrer Grösse stattfindet; noch viel weniger aber, in welchem Verhält-
niss die Grösse und die Entfernung dieser MassentheÜchen stehen.
*) Vgl. besonders: Clausius. Pogg. Ann. C. 358. im Auszug: Jahresbericht über
die Fortschritte der Physik , von Zamminer. 1857. S. 89.
Spedfisches Gewicht 233
Specifisches Gewicht gasförmiger Körper.
Beziehung zwischen Dampfdichte und Holeculargewicht.
Wenn man die, nach den früher (§§. 167 — 176) mitgetheilten Be- 896.
trachtungen festgestellten chemischen Moleculargewichte (§. 177)
vergleicht mit den speci fischen Gewichten derselben Körper in
DampfTorm, so findet man, dass beide für nahezu alle, und namentlich
für alle kohlenstofifhaltigen Verbindungen, deren Moleculargrösse sich
durch chemische Betrachtungen mit einiger Sicherheit feststellen l&sst,
identisch sind.
Dabei muss man zunächst berückflichtigen , dass die Moleculargewichte so-
wohl wie die specifischen Gewichte nur Verhfiltnisszahlen sind und nicht absolute
Werthe. Wenn man also sagt: die specifischca Gewichte der Körper in Dampf-
form sind identisch mit den Moleculargewichten, so bcisst diese nur, dass die Ver-
hältnisse zwischen den absoluten Gewichten gleicher Volume verschiedener Gase
dieselben sind, wie die Verhältnisse zwischen den Moleculargewichten derselben
Gase. Da man gewöhnlich die specifischen Gewichte der Gase und Dämpfe durch
Zahlen ausdrückt, für welche das Gewicht der Luft als Einheit dient, während für
die Moleculargewichte das Gewicht von einem Atom Wasserstoff als Einheit
angenommen wird, so ist es einleuchtend, dass die Zahlen, welche die specifischen
Gewichte ausdrücken, nicht identisch sein können mit denjenigen, welche die Mo-
leculargewichte bezeichnen; aber sie müssen untereinander in demselben Verhält-
niss stehen wie jene und man wird für beide identische Zahlen erhalten, sobald
man sich auf dieselbe Einheit bezieht
Dieses empirische Gesetz in Verbindung mit der oben ($. 395) 897.
gegebenen Vorstellung über die Natur der Gase führt uns zu dem Schluss:
dass die chemischen Holecüle identisch sind mit den physikali-
schen Gasmolecülen, das heisst, den als Massenatome auftretenden
kleinsten Theilchen der Gase. Wir kommen also zu der Vorstellung,
dass die kleinsten Mengen, die bei chemischen Metamorphosen in W^ir-
kung zu treten im Stande sind , sich nicht etwa zu mehreren zusammen-
lagern, um so die physikalischen Atome der Gase zu bilden, dass sie
vielmehr einzeln und isolirt sich im Räume bewegen.
Man kann dieses Gesetz auch so ausdrücken : Gleiche Volume gas- 898.
förmiger Körper enthalten eine gleiche Anzahl chemischer Molecüle; die
Anzahl der Molecüle, die Atomzahl (Gmelin's, vgl. dessen Lehrbuch I.
S. 50) ist bei gasförmigen Körpern gleich gross. Oder : eine gleichgrosse
Anzahl chemischer Molecüle erfüllt bei gasförmigen Körpern stets gleichen
Raum; die relative Raumerfüllung, das specifische Volum *)
ist bei allen gasförmigen Körpern gleich gross.
Diese einfachen Beziehungen sind von den meisten Chemikern lange Zeit 399.
fibersehen worden, einerseits weil man, allzustark an dem Althergebrachten fest-
*) Statt des Ausdrucks specifisches Volum bedient man sich bisweilen der we-
xdger passenden Ausdrücke: Atomvolum oder Molecularvolum.
234 Physikalischer Theil.
haltend, die Atomgewichte einzelner Elemente falsch annahm, wesentlich aber, weil
man die Begriffe von Atom, Molecül und Aequivalent in nicht genügender Weise
unterschied und weil man von der irrigen Ansicht ausging, die specifischen Ge-
wichte seien eine Function der Atome oder der Aequivalente, wfthrend sie nur eine
Function der Molecüle, also von der Moleculargrösse und dem Moleculargewicht
abhängig sein können.
Man verglich z. B. die specifischen Gewichte der gasförmigen Elemente mit
den Aequivalent- oder Atomgewichten. Man bezog beide auf dieselbe Einheit, re-
ducirte also die gewöhnlichen, auf Luft = 1 bezogenen, spec. Gewichte auf das Ge-
wicht des Wasserstoffs als Einheit:
Specifisches Gewicht Atomgewicht oder
Luft = 1 Wasserstoff = 1 Aequivalentgewicht.
1 1
16 8
14 14
85.6 85.5
127.1 127.1.
Wasserstoff .
. 0.0693
Sauerstoff . .
. 1.108
Stickstoff . .
. 0.969
Chlor . . .
. 2.458
Jod ... .
. 8.802
Da man das Atomgewicht des Sauerstoffs irriger Weise = 8 annahm (während
es = 16 angenommen werden muss, vgl. §. 164), kam man zu dem Schluss: die
specifischen Gewichte seien entweder den Atomgewichten gleich, oder sie stün-
den wenigstens zu ihnen in einfachem Verhältniss. — Den mehrfach gemachten
Vorschlag, die Atomgewichte der Elemente so zu wählen, dass sie gleichzeitig die
specifischen Gevnchte derselben Elemente ausdrücken, glaubte man durch folgende
Betrachtung von der Hand weisen zu müssen *). Da sich 1 Atom Chlor mit einem
Atom Wasserstoff verbindet, um ein Atom (richtiger Molecül) Salzsäure zu erzeu-
gen, und da diese Menge Salzsäure den doppelten Raum erfüllt, wie das in ihr
enthaltene Chlor oder der in ihr enthaltene Wasserstoff, so kann man zwar in
gleichen Volumen Chlor und Wasserstoff eine gleiche Anzahl von Atomen anneh-
men*, man kann dagegen nicht annehmen, gleiche Volume Salzsäure und Chlor
enthielten eine gleiche Anzahl von Atomen, die Salzsäure enthält vielmehr halb
so viel Atome als ein gleich grosses Volum Chlor oder Wasserstoff. Dasselbe gilt
von vielen zusammengesetzten Gasen ; in gleichen Volumen muss eine kleinere An-
zahl von Atomen angenommen werden als bei den gasförmigen Elementen. Man
argumentirte dann weiter: wir haben aber kein Recht, die unzerlegbaren Gase als
eine besondere Classe von Körpern zu betrachten , f[ir deren atomistische Constitu-
tion, namentlich was die Grösse der Zwischenräume zwischen den Atomen und
die Zahl der in gleichen Volumen enthaltenen Atome betrifft, aus ganz denselben
physikalischen Eigenschaften etwas anderes zu folgern sei, als fiir die zerlegbaren;
die sogenannten elementaren Gase sind nicht (nachgewiesenermassen) einfache,
sondern sie sind Gase von jetzt noch unbekannter Zusammensetzung. Wenn man
für die viel grössere Menge von nachweisbar zusammengesetzten Gasen zugeben
muss, die durch ihre Atomgewichte ausgedrückten Mengen können im gasförmigen
Zustand ungleich grosse Räume erfüllen, oder gleichgrossse Räume können bei
ihnen ungleiche Mengen von Atomen enthalten, so ist es viel wahrscheinlicher,
•) Vgl. z. B. Graham Otto's Lehrbuch. Bd. I. von Buff, Kopp und Zamminer.
S. 727, 728.
Specifisches Gewicht gasförmiger Körper. 235
dasfl dasaelbe auch für die noch unzerlegbaren Gase anzunehmen sei, als dass
man für sie ein besonderes Gesetz aufstellen dürfe.
Man sieht leicht, dass die Unklarheit des ersten Theiles dieser Argumenta^
tion daher rührt, dass die Begriffe von Atom und Molecül nicht unterschieden
werden; und dass der zweite gerade das thut, was er der entgegenstehenden An-
sicht als Fehler vorwirft, dass er nämlich für die elementaren Gase eine andere
Constitution annimmt als für die zusammengesetzten, insofern er bei den ersteren die
einzelnen Atome, bei den letzteren dagegen Aneinanderhäufungen mehrerer Atome
als kleinste Hassentheilchen gelten lässt; während die im Vorhergehenden ent-
wickelte Ansicht den elementaren und den zusammengesetzten Gasen dieselbe Con-
sdtation zuschreibt, indem sie annimmt, das chemische Molecül sei stets eine An-
einanderlagerung mehrerer Atome etc. —
Indessen darf man das Gesetz, dass die specifischen Gewichte der 400.
Grase identisch sind mit den chemischen Moleculargewichten nicht für
mehr halten als es wirklich ist. Als veraJlgemeinerter Ausdruck einer fEir
viele Fälle beobachteten Thatsache, der sich dann (nachdem er abgeleitet)
bei Anwendung auf eine grosse Anzahl angrenzender Fälle anwendbar
and passend gezeigt, kann es mit grosser Wahrscheinlichkeit auf alle
andere ähnliche Fälle aasgedehnt werden, und man kann bei Körpern,
ftr welche nur eines von beiden bekannt ist, mit Wahrscheinlichkeit we
nigstens, aus den specifischen Gewichten die Moleculargewichte oder um-
gekehrt aus den Moleculargewichten die specifischen Gewichte herleiten.
Da indessen die diesem empirischen Gesetz zu Grunde liegenden Ur-
sachen noch nicht mit voller Sicherheit festgestellt sind, so ist es klar,
dass das Gesetz noch nicht den Grad von Zuverlässigkeit besitzt, dessen
Naturgesetze fähig sind.
Es ist kaum nöthig, darauf aufmerksam zu machen, dass nur diejenigen 401.
Körper als Grundlage des Gesetzes angenommen werden können, deren Molecular-
grösse durch chemische Argumentationen mit einiger Sicherheit hergeleitet wer-
den kann und dass andererseits alle die Körper, deren Moleculargewichte nicht
durch Gründe chemischer Analogie hinlänglich gestützt, sondern mehr oder weni-
ger willkürlich angenommen werden, nicht als Beweise gegen das Gesetz ange-
zogen werden können. Man wird sich z. B. leicht davon überzeugen, dass die in
neuerer Zeit angenommenen Moleculargewichte, zu deren Feststellung wesentlich
die §§. 167 — 175 angedeuteten Gründe chemischer Analogie dienen, alle oder doch
fast alle die vom Gesetz verlangte Uebereinstimmung mit den specifischen Gewich-
ten zeigen; während die früher für viele Körper angenommenen und von manchen
Chemikern noch gebrauchten Moleculargewichte, die, ohne Berücksichtigung che-
mischer Analogie , nach Willkür angenommen oder durch Anwendung willkürlich
gewählter Principien festgestellt worden, diese Uebereinstimmung mit den specifi-
schen Gewichten nicht zeigen. — Aus der Nichtübereinstimmung solcher ohne
Grund angenommener Moleculargewichte mit den specifischen Gewichten können
also keine Gründe gegen das Gesetz der Dampfdichte hergeleitet werden.
Bei der Uebereinstimmung, die in bei weitem der grössten Anzahl 402.
von Fällen zwischen specifischem Gewicht und Moleculargewicht statt
findet, scheint es, als ob dem empirischen Gesetz ein wirkliches Gausal-
gesetz zu Grunde läge und dass für die wenigen Fälle, bei welchen sich
236 Physikalischer Theü.
diese üebereinstimmung nicht zeigt, eine specielle Ursache stattfindet,
welche die Ausnahme vom Gesetz veranlasst.
Man beobachtet z. B., dass bei manchen Körpern das specifische Gewicht
des Dampfes nur halb so gross ist als das Moleculargewdcht. Bei einigen hat dies
nachgewiesenermassen seinen Grund darin, dass das, was man für den Dampf des
Körpers halten könnte, nicht ein einfacher Dampf, sondern vielmehr ein Gemenge
zweier Dämpfe ist, weil der Körper bei einer gewissen Temperatur, die man fiir
seine Siedetemperatur halten könnte, sich in zwei Körper spaltet, die sich bei Tem-
peraturerniedrigung wieder vereinigen. Dabei wird die Anzahl der Molecüle ver-
doppelt, das Volum des Gases also doppelt so gross und mithin das specifische
Gewicht halb so gross als es dem Gesetz der Dampfdichte nach sein dürfte, d. h.
halb so gross als es sein würde, wenn der Körper unzersetzt flüchtig wäre und
einen einfachen Dampf bildete. So weiss man z. B. vom Tetraethylammoniumjodid,
dass es beim Erhitzen zu Triäthylamin imd Jodäthyl zerfällt; man weiss vom
Schwefelsäurehydrat (durch Marignac), dass es sich bei seiner s. g. Siedetemperatur in
Wasser und wasserfreie Schwefelsäure spaltet etc. — Bei andern Körpern lässt
sich ein solches Zerfallen und die dadurch veranlasste Bildung eines gemischten
Dampfes nicht mit Sicherheit nachweisen, aber alle Analogie spricht dafür, dass
auch bei ihnen das Gas, welches man für den Dampf der unzersetztcn Substanz
halten könnte, ein Gemenge der Dämpfe der gebildeten Spaltungsproducte ist. Die
aussergewöhnlichen Dampfdichten vieler Körper', die , wie das Teträthylammonium-
jodid, dem Typus NH.|C1 zugehören, finden ihre wahrscheinliche Erklärung in der
Annahme, dass sie in einen dem Typus NH3 und einen dem Typus HCl zugehöri-
gen Körper zerfallen. So ist aller Wahrscheinlichkeit nach der s. g. Salmiakdampf
ein Gemenge von Ammoniak und Salzsäure, der Dampf des fünffach Chlorphos-
phors ein Gemenge von dreifach Chlorphosphor und Chlor, der Dampf des
Cyanammoniums ein Gemenge von Ammoniak und Blausäure etc. Ebenso kann,
wie dies von Gerhardt schon geschah, der Dampf des Pcrchlormethyläthers
(= OjCljO) als ein Gemenge von Phosgengas (= 00CI2) und Chlorkohlenstoff
(= 0CI4) angesehen werden ♦).
405. Andere Fälle von ungewöhnlicher Dampfdichte, das heisst von Nichtüber-
einstimmung von specifischera Gewicht mit Moleculargewicht, können indessen
durch diese Annahme nicht erklärt werden. Dies gilt namentlich von denjenigen
Fällen, in welchen das specifische Gewicht des Dampfes grösser, also ein Multi-
plum vom Moleculargewicht ist, wie dies bei einzelnen Elementen, z. B. beim
Schwefel stattfindet. Man muss sich indessen daran erinnern, dass die Annahme:
die Molecüle der Elemente bestünden aus einer Aneinanderlagerung von zwei
Atomen, zwar der einfachste aber desshalb nicht der einzig mögliche Fall ist, dass
sich vielmehr bei einzelnen Elementen vielleicht eine grössere Anzahl von Ato-
men zu einem chemischen Molecül vereinigen. Man niuss weiter berücksichtigen,
dass die Annahme: die chemischen Molecüle seien gleichzeitig die physikalischen
Massenatome der Köi*per in Gasform, zwar der einfachste und wie es, nach der
fast allgemein stattfindenden üebereinstimmung zwischen specifischem Gewicht und
Moleculargewicht, scheint, der bei weitem am häufigsten, ja fasst ausschliesslich
vorkommende Fall ist*, dass aber nichts desto weniger einzelne Körper in der
Weise eine Ausnahme machen können, dass bei ihnen eine Aneinanderlagerung
♦) Vgl. auch Kopp in Liebig's Annalen CV. 390
Specifisches Gewicht gasförmiger Körper. 237
mehrerer chemischer Molectile erst ein physikalisches Massenatom er-
zeugen.
Die außsergewöhnliche Dampfdichte, welche der Schwefel bei Temperaturen
zeigt, die nicht viel höher liegen als sein Siedpunct, kann z. B. durch die Annahme
gedeutet werden, dass Innerhalb dieser Temperaturen drei chemische Molecüle
sich zu einem physikalischen Gasatom vereinigt haben:
Atomgewicht. Gewicht des Gewicht des Spec. Gew. Spec. Gew.
ehem. Mo- physik. Atoms. Luft=:l. H = 1.
lecüls.
Schwefel: S = 16 S^ = 82 §, = 96 6-639 96.
Da das specifische Gewicht eines dampfförmigen Körpers eine ein- 404.
fache Function seines Molecu largewichtes ist^ so ist es einleuchtend, dass
alle Körper, «leren Moleculargewicht gleich gross ist, dieselbe Dampf-
dichte zeigen müssen, selbst wenn die atomistische Zusammensetzung der
(gleich schweren) Molecüle vollständig verschieden ist.
Zunächst müssen also alle metameren Körper (§. 814) gleiche Dampfdichte
zeigen, weil bei ihnen die Moleculargrödse gleich und sogar die empirische Zusam-
mensetzung der Molecüle dieselbe ist. Aber auch Körper, deren Molecüle diesel-
ben Elemente in gana verschiedenenen Verhältnissen enthalten und sogar solche,
deren Molecüle aus ganz verschiedenen Elementen zusammengesetzt sind, zeigen
dieselbe Dampfdichte, wenn nur das Moleculargewicht dasselbe ist.
So haben z. B.:
Ameisensäure und Aethylalkohol
dasselbe Moleculargewicht = 46 und dasselbe specifische Gewicht des Dampfes
= 1.593.
Ebenso haben:
Kohlensäure und Stickoxydul
dasselbe Moleculargewicht = 44 und dasselbe specifische Gewicht = 1 . 524.
Ferner haben:
Phenylalkohol und zweifach Schwefelmethyl
"©eHgO '82^9^2'
dasselbe Moleculargewicht = 94 und dieselbe Dampfdichte = 3.25.
Anwendung des Gesetzes der Dampfdichte zur: Correction
des specifischen Gewichtes durch das Moleculargewicht.
Ist für einen gasförmigen Körper das specifische Gewicht durch den 405.
Versuch auch nur annähernd bestimmt worden, das Moleculargewicht
aber bekannt, so kann man nach dem letzteren das specifische Gewicht
corrigiren und man kann dann für alle weitere Betrachtungen dieses so-
238 Physikalischer Theil.
genannte theoretische specifische Gewicht statt des durch den
Versuch nur annähernd bestimmten gebrauchen. Ist für einen gasförmi-
gen Körper das specifische Gewicht noch nicht durch Versuche bestimmt,
das Moleculargewicht dagegen mit hinlänglicher Sicherheit festgesteliti so
kann man nach diesem das specifische Gewicht des Dampfes mit grosser
Wahrscheinlichkeit voraussagen.
ViTürde man die specifischen Gewichte auf dieselbe Einheit beziehen
wie die Moleculargewichte (also auf das Gewicht von einem MolecQl
Wasserstoff zr 2), so wäre begreiflicherweise keinerlei Rechnung nöthig;
man könnte die Moleculargewichte direct für die specifischen Gewichte
gelten lassen. Da man leider gewohnt ist, die specifischen Gewichte
durch Zahlen auszudrücken, für welche das Gewicht eines Volumens
Luft als Einheit genommen ist, während f%ir die Moleculargewichte das
Gewicht von einem Atom Wasserstoff als Einheit dient (so dass
das Gewicht eines Molecüls Wasserstoff == 2 ist), so wird eine, (natür-
lich sehr einfache) Reduction nöthig.
Da nämlich die atmosphärische Luft 14.47 mal so schwer ist als
ein gleiches Volum Wasserstoff und da das Moleculargewicht des Wasser-
stoffs = 2 ist, so erhält man das specifische Gewicht eines dampfförmi-
gen Körpers, wenn man in sein Moleculargewicht mit 28.94 *) dividirt.
Das specifische Gewicht des ölbildenden Gases (Elayl) wurde z. B. gefunden :
Henry. Sanssure.
0.967 0.9784.
Da die Molecularformel des Elayls ^ G^H«, so ist sein Moleculargewicht s=s 28,
daraus ergibt sich :
28
28.94
= 0.9674
als theoretlBches specifisches Gewicht
Die Dampfdichte des Butylchlorids ist bis jetzt nicht durch Versuche ermit-
telt. Da kein Zweifel darüber sein kann, dass die Molecularfonnel dieses Körpers
= G4H9CI, sein Moleculargewicht also =r 92.5 ist, so lässt sich mit ziemlicher
Sicherheit voraussagen, dass die Dampfdichte gefunden werden wird zu:
28:9r-^-^^^-
Ableitung der Molecularformel aus der Dampfdichte.
406. Weit wichtiger für die Chemie ist es umgekehrt aus dem specifi-
schen Gewicht der Dämpfe das Moleculargewicht herzuleiten, die Bestim-
*) Diese Zahl ist hergeleitet aus dem von Regnault zu 1.10568 festgestellten
specifischen Gewicht des Sauerstoffs (Luft =1); weil diese Bestimmung bis
jetzt wohl für die genaueste Bestimmung eines specifischen Gewichtes ge-
halten werden muss.
Specififlches Gewicht gasförmiger Körper. 239
maog der Dampfdichte also als Anhaltspunkt zur Feststellung der Mole-
enlarformel zu benutzen.
Auch dabei ist eine Reduction nur desshaib nöthig, weil man Mole-
culargewicht und speciiisches Gewicht auf verschiedene Einheiten bezieht;
das specifische Gewicht auf Luft = 1, das Moleculargewicht auf Wasser-
stoff =: 2. Man hat also nur nöthig, das specifische Gewicht (Luft=:l)
eines damplTörmigen Körpers mit 28.9 zu multipliciren ; das Product ist
zunächst das specifische Gewicht desselben Körpers bezogen auf Wasser-
stofT 1= 2 ; und es drückt gleichzeitig das Moleculargewicht aus, voraus-
gesetzt, dass der untersuchte Körper nicht etwa eine Ausnahme vom Yo-
lamgesetz macht.
Man habe z. B. gefunden (§. 83): das specifische Gewicht (Luft = 1) des
Etii^igsäuredampfcs ist bei 810® = 2.085. Man hat: das specifische Gewicht des
Eisigöäuredampfes ftir Wasserstoflf = 2 ist:
2.085 X 28.9 = 60.14.
Diese Zahl ist gleichzeitig das Moleculargewicht der Essigsäure. Da nun die Ana-
lyse der Essigsäure (§. 45) zu der atomistischen Verhältnissformel == 6Hj0
flihrtc, so sieht man, dass das Doppelte dieser einfachsten Verhältnissformel als
Molecularformel anzunehmen ist, weil diese Formel (= OaH^^j) zu einem Mole-
culargewicht (§. 177) führt, welches mit dem aus der Dampfdichte hergeleiteten
nahezu übereinstimmt. Man hat:
6 = 12
e, =24
H, = 2
H, = 4
0 =: 16
80
Oa= 82
60.
Die Dampfdichte des Essigsäureäthyläthers ist (nach Dumas und Boullay)
= 3.06. Daraus ergibt sich das specifische Gewicht des Essigäthers, bezogen auf
Wadserstoff = 2, zu 88.4; denn:
8.06 X 28.9 = 88.4,
eine Zahl, die gleichzeitig das Moleculargewicht des Essigsäureäthers darstellen
müßt». Da nun dem Essigäther der Analyse nach die Verhältnissformel = 'G2H4O
zukommt, und da diese Formel, als Molecularformel betrachtet, zu dem Molecular-
gcviiiht = 44 führen würde:
02 = 2.12 — 24
H4 = 4. 1 — 4
0 = 1.16 — J^
44
80 muss die Moleculargrösse dieses Aethers doppelt so gross angenommen, die
Molecularformel also 64H8-9-2 geschrieben werden. Das Moleculargewicht = 88
stimmt dann hinlänglich genau mit dem aus der Dampfdichte hergeleiteten über-
ein. in der That sprechen alle Eigenschaften des Essigäthers, seine Bildungen so-
wohl wie seine Zersetzungen für diese Molecularformel.
Für das Acetal fand Stas die Dampf dichte ;= 4.141. Die Analyse gab die
Verhältnissformel = ß^UfO. Diese entspricht, wenn man sie für die Molecular-
formel gelten lassen will, dem Moleculargewicht = 59; während sich aus der
240 PhysikaÜßcher Theil.
Dampfdichte das Moleculargewicht herleitet zu 119.6 (4.141 ^(^ 78,9), Die Dampf-
dichte spricht also dafür, dass die Moleculargrösse des Acetals doppelt so gross,
die Molecularformel also zu: -B«Hi40j| angenommen werden muss; nnd obgleich
über die chemische Katur des Acetals bis vor Kurzem so gut wie nichts bekannt
war , so musste diese Molecularformel doch fär die wahrscheinlichste gehalten wer-
den. Neuere Versuche haben dann in der That gezeigt, dass auch den chemischen
Beziehungen nach dem Acetal diese Molecularformel beigelegt werden muss.
407. Sind von einer Substanz noch so wenig Metamorphosen, noch so
wenig Beziehungen zu andern Körpern ermittelt, dass ihre Moleculargrösse
daraus nicht hergeleitet werden kann, so bietet die Bestimmung der Dampf-
dichte ein Mittel — und bisweilen das einzige Mittel — die Molecular-
grösse mit einiger Wahrscheinlichkeit wenigstens festzustellen.
So erhielt z. B. Fremy aus der Oelsäure einen KohlenwMserstoff, der bis
jetzt nicht weiter untersucht ist. Die Analyse desselben gibt die Yerhältnissformel
OH2, oder ein Multiplum. Die Dampfdichte wurde gefunden = 2.875. Aus die-
ser Dampfdichte leitet sich das Moleculargewicht 81 . 38 und mithin die Molecular-
formel OfHis her, denn diese entspricht einem Moleculargewicht 84, welches an-
nähernd mit dem aus der Dampfdichte hergeleiteten Übereinstimmt. So lange also
keine weiteren Anhaltspunkte zur Feststellung der Moleculargewichte dieses Kohlen-
wasserstoffs vorhanden sind, hält man sich durch die Dampfdichte derselben für
berechtigt, ihm diese Molecularformel beizulegen.
408. Die mitgetheilten Beispiele genügen, um zu zeigen, in welcher Weise
aus der Dampfdichte das Moleculargewicht hergeleitet uüd demnach, wenn
durch die Analyse die atomistische Yerhältnissformel bekannt ist, die Mo-
lecularformel festgestellt werden kann. Dabei wird natürlich stets die
Annahme gemacht, dass für die betreffende Substanz das Gesetz der
Dampfdichte gültig sei; eine Annahme, die indessen, für organische Sub-
stanzen wenigstens, mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit gemacht werden
kann, da von allen genauer untersuchten organischen Verbindungen kaum
eine einzige dem Volumgesetz widerspricht.
409. ßs ist einleuchtend, dass eine Bestimmung der Dampfdichte, die
nur ausgeführt wird, um als Anhaltspunkt zur Feststellung der Molecular-
formel zu dienen, nicht mit der Genauigkeit ausgeführt zu werden braucht,
die zur Feststellung physikalischer Eigenschaften nöthig wäre; dass viel-
mehr eine annähernde Bestimmung genügt. Da es sich nämlich nur
darum handelt, zu entscheiden, ob das eine oder das andere Multiplum
der der Analyse nach möglichen Verhältnissformeln als Molecu-
larformel angenommen werden soll, und da die aus diesen verschie-
denen Formeln sich herleitenden Moleculargewichte stets stark differirende
Zahlen sind, so genügt es, die Dampfdichte so genau zu kennen, dass
sie mit Sicherheit für die eine oder für die andere Molecularformel ent-
scheidet.
Ebendesshalb ist es auch bei Bestimmung der Dampfdichte, so lange es sich
nur um Feststellung der Molecularformel handelt, nicht nöthig alle Versuchsfehler
(vgl* §• 78) vollständig auszuschliessen und alle Correcturen in Rechnung zu brin-
gen, man kann vielmehr die Bestimmung nach der abgekürzten, §. 76 mitgetheilten
Specifisches Gewicht gasförmiger Körper. 241
Formel ansführen nnd berechnen. Ans demselben Grande genügt es anch, die
spedfischen Gewichte (Luft »1) mit der abgekürzten Zahl 28.9 (oder selbst 29)
zu multipliciren , statt die genauere 28.94 in Anwendung zu bringen. Dagegen
mnss diese genauere Zahl immer dann angewandt werden, wenn man aus dem
Molecolargewicht das specifische Gewicht des Dampfes herleitet, um diese s. g.
theoretische Dampfdichte zu irgend physikalischen Betrachtungen zu verwenden.
Die theoretische Dampfdichte kann natürlich nur dann mit Genauigkeit festgestellt
werden, wenn: 1) die Atomgewichte der in der betreffenden Substanz enthaltenen
Elemente genau bekannt sind, wenn 2) die procentische Zusammensetzung durch
den Versuch so genau ermittelt worden ist, dass daraus eine atomistische Verhfilt-
nissformel mit Sicherheit hergeleitet werden kann und wenn 3) die Moleculargrösse
durch chemische Betrachtung oder durch eine hinlänglich annähernde Bestimmung
der Dampfdichte festgestellt worden Ist.
Vortheile der atomistischen Molecularformeln bei Volnm*
betrachtungen.
Es ist oben (§. 396) gezeigt worden, dass die chemischen Mole- 410.
culargewiohte mit den speoifischen Gewichten der Körper in Dampfform
identisch sind; es wurde daraus der Schluss gezogen: bei gasförmigen
Körpern erfüllt eine gleichgrosse Anzahl chemischer Molecale stets den-
selben Raum (§. 398); es wurde dort erwähnt, dass man dies auch so
ausdrücken kann: die einzelnen MolecOle der verschiedenen Oase oder
Dtopfe erfüllen denselben Raum. Es ist für manche Betrachtungen von
Vortheil, sich einer etwas bestimmteren Form des Ausdrucks zu bedie-
nen; also etwa zu sagen: ein Molecül eines gasförmigen Körpers erfüllt
1, 2 oder 4 etc. Volume. Welche von diesen Zahlen man wählen will,
ist einzig Sache der Zweckmässigkeit; denn es handelt sich weder um
bestimmte Yolume, noch um absolute Gewichte der Molecüle.
Aus mehrfachen Gründen erscheint es zweckmässig, ftir diese Vo- 411.
lombetrachtungen dieselbe Einheit zu wählen, die fär die Gewichtsverhält-
nisse (Atomgewicht, Moleculargewicht , Aequivalentgewicht) dient. Wir
wählen also ein Atom Wasserstoff als Einheit und sagen demnach, ein
Molecül Wasserstoff erfüllt, da es 2 Atome enthält, zwei Vo-
lume. Die Molecularformeln entsprechen also stets zwei Volumen
Gas oder Dampf; oder, wie man sich häufig ausdrückt, bei gasförmigen
Körpern erfüllt ein Molecül stets 2 Volume.
Diese Ausdrucksweise bietet den wesentlichen Vortheil dar, dass 412.
die chemischen Formeln, d.h. die atomistischen Molecularformeln (§.186)
der neueren Theorie, neben den Gewichtsverhältnissen auch gleichzeitig
sämmtliche Volumverhältnisse ausdrücken.
So bezeichnet z. B. die Formel der Salzsäure: HCl, dass 2 Vol. Salzsäure
(= 1 Molecül), 1 Vol. Wasserstoff (= 1 Atom = »/a Molecül) und 1 Vol. Chlor
(s 1 Atom =: Va Molecül) enthalten.
Ebenso drückt die Formel des Wassers (H3-O-) aus, dass 2 Vol. Wasser-
dampf, 2 Vol. Wasserstoff und ein Vol. Sauerstoff enthalten.
KekaU, orgao. Chemie. 16
242 PhysikaliBcher Theil.
Die Fonnel des Ammoniaks (NH,) drückt aus, das» 2 Vol. Ammoniak
3 Vol. Wafiserstoff und 1 Vol. Stickstoff enthalten.
Man ersieht aus diesen Formeln direct, dass Wasserstoff und Chlor sich m
gleichen Volumen vereinigen und dass dabei keine Verdichtung stattfindet; dass
bei der Elektrolyse des Wassers das Volum des freiwerdenden Wasserstoffs doppelt
so gross ist als das des freiwerdenden Sauerstoffs-, dass das Ammoniak bei der
Zersetzung, die es dui'ch elektrische Funken erleidet sein Volum verdoppelt etc.
Die Molecularformel der Kohlensäure (602) ^ig^ direct, dass die Kohlen-
säure ihr gleiches Volum Sauerstoff enthält, dass also bei der Verbrennung von
Kohlenstoff im Sauerstoff das Volum des Sauerstoffs nicht geändert wird.
In derselben Weise drücken sämmtliche Bildungs- und Zersetzungsformeln
gleichzeitig die Volumverhältnisse aus.
Die Bildungsformel des Phosgen's:
UO »^ Clj ^ 6ö"Clj
zeigt z. B., dass 2 Vol. Kohlenozyd (= 1 Molecül) sich mit 2 Vol. Chlor (= 1
Molecül) vereinigen, um 2 Vol. (= 1 Molecül) Phosgen zu erzeugen.
Ebenso zeigt die Gleichung:
^O -j- O ^S \}(j'2 ".
dass 2 Vol. Kohlenoxyd beim Verbrennen zu Kohlensäure 1 Vol. Sauerstoff ver-
zehren, ohne ihr Volum zu ändern.
Man sieht leicht, welche Erleichterung der Gebrauch dieser Ausdrucksweisc
bei der Gasanalyse darbietet Wenn z.B. die Fragen zu beantworten sind: Wieviel
Volumina Sauerstoff braucht ein Volum Elayl, um vollständig zu Kohlensäure und
Wasser zu verbrennen, wieviel Volume Kohlensäure entstehen dabel^ welche Con-
traction findet statt? so hat man nur nöthig, die Verbrennung des Elayls durch
eine Gleichung in atomistischen Molecularformeln auszudrücken.
eaH4 + aOa = 200, + 2Ha0.
Da jedes Molecül 2 Volumen entspricht, so drückt die Gleichung aus: 2 Vol.
Elayl verbrauchen 6 Vol. Sauerstoff, es bilden sich 4 Vol. Kohlensäure und eine
Menge Wasser, die in Dampfform 4 Vol erfüllen würde. 1 Vol. Elayl braucht
demnach 8 Vol. Sauerstoff, es entstehen 2 Vol. Kohlensäure. Die Contraction ist
mithin s= 2 Vol.
Ganz in derselben Weise zeigt die Verbrennungsgleichung des Methyl&thers:
eafl.0 + 80, = 260, + 3H,0,
dass dem Volum nach:
2 Vol. 4- 8.2 Vol. =a 2.2 Vol. + 3.2 Vol.,
dass also 1 Vol. Methyläther 8 Vol. Sauerstoff verbraucht, um zu 2 Vol. Kohlen-
säure und zu Wasser (in DampfTorm 8 Vol.) zu verbrennen, dass mithin eine
Contraction auf die Hälfte (d. h. um 2 Vol.) stattfindet
418. Da die Volume gasförmiger Eöi-per einzig von der Anzahl der Mo-
lecüle abhängig sind, so ist es einleuchtend, dass bei allen chemischen
Metamorphosen, bei welchen die Anzahl der durch die Reaktion erzeug-
ten Molecüle ebenso gross ist, wie die Anzahl der vor derselben vorhan-
denen, auch das Volum nach der Reaction ebenso gross ist wie vor
derselben*
SpecitischeB Gewicht gasförmiger Körper. 243
Da z. B. 1 Molecül Wasseretoff und 1 Molecfll Chlor (also zusammen zwei
Mokcüle) 2 Molecüle Salzsfture erzeugen, so bleibt das Volum des Gases nach der
Vereinigung ebenso gross als es vorher war.
In all den Fällen dagegen, in welchen die Anzahl der Molecflle ^1^-
durch die Reaction vermindert wird, vermindert sich auch das Volum
and zwar in demselben Verhältniss.
Zwei Molecüle Wasäert^tofT geben z. B. mit einem Molecül Sauerstoff 2 Mo-
lecüle Wasserdampf', aus 8 Molecülen entstehen 2; mithin auch aus 3 Volumen des
Gemenges von Wasserstoff und Sauerstoff, 2 Volume Wasserdampf.
Wird dagegen durch die Reaction die Anzahl der Molecüle ver- *16-
mehrt, so vermehrt sich auch iu demselben Verhältniss das Volum.
Da z. B. 2 Molecüle Ammoniak diurch Wirkung elektrischer Funken zu 1
Molecül Stickstoff und 3 Molecülen Wasserstoff zerlegt werden; da also 2 Molecüle
lu 4 Molecülen zersetzt werden; so ist auch das Volum des entstandenen Gemenges
von Wasserstoff und Stickstoff doppelt so gross, wie das Volum des zersetzten
Ammoniaks.
Aus den atomistischen Molecularformeln lässt sich also jedesmal 416.
direct ableiten , ob bei Verbindung oder bei Zersetzung gasförmiger Kör-
per das Volum dasselbe bleibt, ob Volumvergrösserung oder Verminde-
rung des Volums (Condensation) stattfindet; ebenso ob in dem letzteren
Falle eine Condensation auf die Hälfte, oder auf 2/3 etc. stattfindet.
Dadurch werden natürlich alle Condendationstabellen *) unnöthig und es fal-
len ferner alle die müssigen Speculationen weg, die man früher vielfach und merk-
würdiger Weise sogar noch in neuester Zeit bisweilen anstellte (es ist schwer ein-
zosehen , was man sich dabei eigentlich vorstellte); ob nfimlich bei der unter
Verdichtung erfolgenden Vereinigung zweier Gase, die beiden Gase sich zunächst
vereinigen und das Product erst die Verdichtung erleidet, oder ob die Verdichtung
vor der Vereinigung stattfindet und ob, wenn das letztere der Fall, beide Gase
gleichmässig verdichtet werden, oder ob die Verdichtung sich nur auf das eine
Gas erstreckt, während das andere unverändert bleibt **).
Aeltere Anschauungsweise.
Es ist in den vorhergehenden Betrachtungen mehrfach darauf aufmerksam 417.
gemacht worden, dass die früher gebräuchlichen und von manchen Chemikern
noch jetzt gebrauchten Formeln nicht Molecularformeln sind, dass sie vielmehr
gewisse mehr oder weniger willkürlich gewählte oder durch Anwendung willkür-
lich gewählter Principien festgestellte Mengen bezeichnen.
Da die specifischen Gewichte der Dämpfe stets mit den Molecular-
gewichten identisch sind, die früher gebräuchlichen Formeln aber nicht immer
mit den Molecularformeln zusammenfallen , vielmehr häufig einfache Submultipla
dieser sind^ so ist es einleuchtend, dass die relativen Gewichte der durch die
•) Vgl. z. B. Gmelin. Handbuch. I. 62.
^*) Vgl. z. B. Boedeker , die gesetzmässigen Beziehungen zwischen der Zusam-
mensetzung, Dichtigkeit und specifischen Wärme der Gase. Göttingen 1857. —
Seite 24, 25 — auch in: Annal. Chem. Pharm. — CV. 215.
16 •
244 Physikalischer Thell.
früheren Formeln ausgedrückten Mengen (die Aeqnivalentgewichte , wie man sie
gewöhnlich nannte) nicht mit den specifischen Gewichten der durch sie ausge-
drückten Körper im Gaszustand geradezu übereinstimmen.
418. Die Vergleich ung der specifischen Gewichte der Dämpfe mit den s. g. Aequi-
yalentgewichten konnte desshalb früher nur zu dem Schluss führen: die Zahlen,
welche die specifischen Gewichte, bezogen auf das des Wasserstoffs als Einheit
ausdrücken, sind entweder den Aequivalentgewichten geradezu gleich oder die Zahl
für das spedfische Gewicht steht in einem einfachen Verhältniss zu der Aequiva-
lentgewichtszahl *). Die durch die älteren Formeln ausgedrücktenMengen entspre-
chen also nicht gleichen Volumen der betreffenden Substanzen im Gaszustand.
Wenn man z. B. den Sauerstoff ss 0 als Ausgangspunkt nimmt und den von 0
erfüllten Raum 1 Volum nennt, so entspricht ein Aequivalent Wasserstoff s= H
2 Volumen^ 1 Aequivalent Wasser = HO ebenfalls 2 Volumen; 1 Aequivalent Salz-
säure = HCl dagegen 4 Volumen und ebenso 1 Aequivalent Alkohol ss C^H^O]
4 Volumen **). Die verschiedenen Substanzen (Elemente und Verbindungen) zer-
fallen also in Bezug auf die RaumerfÜllung der Gase oder Dämpfe in mehrere
Klassen; die durch die Formel ausgedrückte Menge (das s. g. Aequivalent) ent-
spricht entweder 1, 2 oder 4 Volumen; die Körper sind entweder ein-, zwei-
oder viervolumig.
419. Mit andern Worten: Bei Annahme der älteren Formeln ist die relative
Raumerfüllung nicht für alle Körper dieselbe. Wenn man (mit Kopp***) die
relative Raumerfüllung geradezu durch den Quotienten aus dem specifischen Ge-
wicht in das Aequivalentge wicht ausdrückt, so ist diese relative RaumerltlUung ftir:
Q
Sauerstoff . . 0 = r— n^ = 7.22
1 . ICIo
WasserBtoff . H = ^ = 14.44
SalzaSure . . HCl 3= ^^ =: 28.88.
2 .4ÖO
Die Körper zerfallen also in Bezug auf die relative Raumerfüllung ihrer Gase oder
Dämpfe in drei Klassen, deren relative Raumerfüllung entweder = 7-22 oder 14.44
oder 28.88 ist f).
420. ^9 ist einleuchtend, dass bei dem Gebrauch der älteren Formeln alle die
oben für die atomistischen Molecularformeln der neueren Theorie hervorgehobenen
Vortheile (§. 412) wegfallen. Alle Volumbetrachtungeu sind ungemein erschwert.
Die Volumverhältuldbe ergeben sich nicht mehr dlrect aus den Formeln; es ist
vielmehr nöthig , für jedes Element zu wissen , ob die durch das Symbol ausge-
drückte Menge (das Aequivalent oder das Atom , wie man es nannte , obgleich es
bald, wie für den Sauerstoff das eine, bald, wie für den Stickstoff, das andere ist)
ein oder zwei Volume bezeichnet, es ist nöthig, ftlr jede einzelne Verbindung zu
behalten, ob die durch die Formel ausgedrückte Menge 1, 2 oder 4 Volume erfüllt.
•) Vgl. die Tabelle Seite 247 Spalte 7 und 8.
••) Vgl. Tabelle Seite 247 Spalte 10.
***) ^S^' Lehrbuch der physikal. und theor. Chemie von Buff, Kopp und Zam-
miner S. 780.
t) Vgl. TabeUe Seite 247 Spalte 9.
Spedfisches Gewicht gaaförmiger Körper. 245
— Daher die Nothwendigkeit von Tabellen, welche die relative RanmerfHllang der
Elemente und Verbindungen im Gaszustand und die bei Vereinigung gasförmiger
Körper erfolgende Verdichtung enthalten.
Bei Gebrauch dieser Formeln ist es ebenso unmöglich, aus der Formel die 421.
Dampfdichte herzuleiten. Man kann wohl die durch den Versuch annähernd be-
stimmte Dampfdichte corrigiren, aber man kann nur dann, wenn man sich nach
Analogie mit anderen Substanzen für berechtigt hält, für den betreffenden Körper
eine RaomerfÜllung von 1, 2 oder 4 Volum anzunehmen, das specifische Gewicht
mit Wahrscheinlichkeit aus der Formel herleiten.
Ebenso wird die Ableitung der Formel aus der Dampfdichte vollständig
illusorisch. Es bleibt immer der Willkür überlassen, welcher Klasse von Gasen
man die betreffende Substanz zuschreiben will, ob man die Formel so wählen will,
dass sie 4 oder so, dass sie 2 Volumen Dampf entspricht
Die folgende Tabelle ist vielleicht geeignet die Vorzüge hervortreten zu las- 422.
sen, welche die neueren Formeln (atomistlsche Holecularformeln) gegenüber den
ilteren s. g. Aequivalentformeln , für alle Volumbetrachtungen darbieten.
Der Inhalt der einzelnen Columnen ist durch die Ueberschriften verständlich.
Man ersieht aus der Tabelle, dass aus den Aequivalentgewiditen der älteren
Formeln die specifischra Gewichte der Gase und Dämpfe (bezogen auf Luft = 1)
erhalten werden, wenn man in die Aequivalentgewichte bald mit 7,22, bald mit
14,44, bald mit 28,88 dividirt; und dass die spedfischen Gewichte, bezogen auf
Wasserstoff = 1 , mit den Aequivalenfcgewichten bald übereinstimmen , dass sie in
anderen FäUen dagegen doppelt, in noch anderen halb so gross sind.
Die Moleculargewichte der neueren Formeln dagegen sind stets mit den
spedfischen Gewichten, bezogen auf Wasserstoff =: 2, identisch*, man erhält also
immer das specifische Gewicht (für Luft = 1), wenn man in das Molecularge wicht
mit dner und dersdben Zahl . mit 28,94 dividirt
Man sieht femer, dass alle neueren Molecularformeln zwei Volumen Dampf
entsprechen , während die Aequivalentformeln der älteren Theorie bald 1 , bald 2,
bald vier 4 Volumen entsprechen. Man überzeugt sich leicht, dass die Molecular-
gewichte der neueren Theorie mit den älteren Aequivalentgewichten in all den
Fällen zusammenfallen, in welchen die alte Aequivalentformel 4 Volumen entspricht;
dass dagegen die neuen Molecularformeln stets doppdt so gross sind, wie die
dien Aequivalentformeln , wenn diese letzteren nur 2 Volumen Dampf entsprechen.
Die Spalte 11 enthält die Anzahl der Volume der einzelnen Elemente, die in
einem Volum der Verbindung enthalten sind. Für die neueren Formeln ist dazu
eine Tabdle nicht nöthig, weil sich die Volumzusammensetzung direct aus der
Formd ablesen läset (vgl $. 416).
246
Fliysikalischer Theil.
Neuere Ansicht
(Atomistische Molecularformeln.)
1.
Spec. Ge-
wicht
Luft=: 1.
2.
Molecular-
formel.
3.
Molecu-
lar-
gewicht
4.
Spec. Ge-
wicht H=:l; 1
Ha=2; Was-
serstoff =2.
5.
1 MolecOl
entspricht
Volumen.
Sauerstoff
1,106
e«
32
32
2
Wasserstoff
0,069
H,
2
2
2
Stickstoff
0,969
N,
28
28
2
Chlor
2,453
Gl,
71
71
2
Jod
8,802
J.
264,2
254,2
2
Cyaa
1,800
(ÖN),
52
52
2
Wasser
0,622
H,e
18
18
2
Eohlenoxyd
0,967
ee
28
28
2
Kohlensäure
1,520
UOj
44
44
2
Phosgen
8,420
eecij
99
99
2
Salzsäure
1,261
CIH
36,5
36,5
2
Blausäure
0,982
euH
27
27
2
0,589
NH,
17
17
2
Elay]
0,967
e,H,
28
28
2
Grubengas
0,558
ÖH«
16
16
2
Rad. Aethyl
2,005
(e»H,),
58
58
2
Aether
2,565
74
74
2
Alkohol
1,613
«A(o
46
46
2
Chloräthyl
2,219
«jHbCI
64,5
64,5
2
Essigsäure
2,073
Wje
60
60
2
Wasserfreie
Essigsäure
3,524
102
102
2
Essigäther
3,041
%^,lth
88
88
2
Specifisches Gewicht gasfOnniger Efirper.
247
Aeltere Ansicht
(8. g. Aequivalentformeln.)
6.
Aequi-
▼alent-
formel.
7.
Aeqni-
valent-
gewicht.
8.
Spec. Ge-
wicht
Wasser-
stoflf = 1.
9.
Relative
Raum-
erfüllung.
10.
1 Atom
entspricht
Volumen.
11.
1 Volum enthSlt
Volume.
0
8
16
7,22
1
H
1
1
14,44
2
K
14
14
14,44
2
Cl
35,6
85,5
14,44
2
J
127,1
127,1
14,44
2
C^
26
26
14,44
2
IC 4- IN
HO
9
9
14,44
2
IH + »1,0
CO
14
14
14,44
2
•/,C + '/,0
CO,
22
22
14,44
2
»/,C+ 10
coa
49,6
49,5
14,44
2
»/,C + >/aO+ia
cm
86,5
18,2
28,88
4
>/aCl + »/,H
CaNH
27
18,5
28.88
4
•/.C+V^ + '/,H
NH,
17
8,5
28,88
4
1/^ 4. li/,H
CA
28
14
28,88
4
1C4-2H
CA
16
8
28,88
4
»/,C + 2H
CA
29
29
14,44
2
2C + 6H
CAO
37
37
14,44
2
2C 4. 6H + »/.O
CAOa
46
23
28,88
4
IC 4. 8H + VaO
C4H5C1
64,5
82,2
28,88
4
1C4.2>/,H4.»/,C1
CA04
60
80
28,88
4
IC + 2H 4. 10
CAO,
61
51
14,44
2
2C 4. 8H 4- l>/.0
CgHjO^
88
44
28,88
4
2C 4- 4H + 10
248 Physikalischer Theil.
Aeltere Berechnungsweise des specifischen Gewichtes der Dämpfe
aus der Ae.quivalentformel und Ableitung der Aequivalentformel
aus der Dampfdichte.
428. Kopp hat vor einiger Zeit eine Berechnungsweise vorgeschlagen*)^ die mit
der oben angegebenen (§§. 405 — 407) fast vollständig übereinstimmt und nur da-
durch von derselben abweicht, dass bei Gebrauch der älteren Formeln die relative
Raumerftülung nicht fOr alle Körper dieselbe ist
Man erhält nach §. 405 das specifische Gewicht eines Körpers in Dampfibrm,
wenn man in sein Moleculargewicht mit 28.9 dividirt. Da für die älteren Formeln
(s. g. Aequivalentformeln), die relative Raumerfüllung entweder 28.88 oder aber
14.44 ist, so muss man das Aequivalentgewicht, je nachdem der Körper der einen
oder der anderen Klasse zugezählt wird, entweder mit der einen oder der anderen
Zahl dividiren, um das specifische Gewicht des Dampfes zu erhalten.
Die Formel des Essigäthers ist z. B.: CsHg04, sie führt zum Aequivalent-
gewicht = 88. Nimmt man an, dass dem Essigäther die relative RaumerfÜllung
28.88 zukomme, so erhält man:
-2^ = 8.047
28.88
als theoretisches specifisches Gewicht. Der Versuch gab: 8.067.
Für den Aeüiyläther nahm man früher die Formel an C^H^O ; das Aequiva-
lentgewicht ist demnach = 37. Besässe der Aethyläther die relative RaumerfÜl-
lung: 28.88, so wäre sein theoretisches specifisches Gewicht:
87
28.88
= 1.28.
Der Versuch gab: 2.565, also genau das Doppelte. Man muss also annehmen,
dem Aethyläther komme die relative Raumerfüllung 14.44 zu; bei dieser Annahme
berechnet sich das specifische Gewicht seines Dampfes:
87
14.44
2.56.
um aus der Formel das specifische Gewicht herleiten zu können, muss man alfio
erst wissen, ob dem betreffenden Körper die eine oder die andere relative Raum-
erfÜllung beizulegen ist Hat man das specifische Gewicht des Dampfes durch den
Versuch auch nur annähernd genau bestimmt, so ergibt sich dies leicht, indem
man mit dem specifischen Gewicht in das Aequivalentgewicht dividirt
Für das Radical Aethyl, dem der älteren Theorie nach die Formel C4HS zu-
kommt, die zu dem Aequivalentgewicht s= 29 führt, fand Frankland die Dampf-
dichte SB 2.00894. Man hat also:
2.00394
s 14.47
eine Zahl, die unverkennbar darauf hindeutet, dass dem Radical Aethyl (bei der
Formel C4H5) die relative RaumerfüUnng = 14.44 zukommt Man kann darnach
das theoretische specifische Gewicht berechnen; man findet:
*) Vgl. Lehrbuch der physikal. und theor. Chemie von Buff, Kopp und Zam-
wiuer. 8. 7340,
Specififlches Gewicht gasförmiger Körper. 249
^-2.0088
WM mit der von Frankland gefundenen Zahl sehr genau übereinstimmt
Bei dieser Betrachtungsweise kann natörlich die Grösse der Formel nicht
ans dem specifischen Gewicht des Dampfes hergeleitet werden, man hat immer
noch die Wahl, ob man den betreffenden Körper der Klasse von Substanzen zu-
zShlen will, deren RaumerfOllung s= 14.44 oder aber derjenigen, bei welcher die
relative RanmerfÜllung «28.88.
Will man das Radical Aethyl der ersteren Klasse von Verbindungen zu-
schreiben, 60 ist seine Formel = C^H^ ; will man ihm dagegen die relative Raum-
erfüllong = 28.88 beilegen, so muss diese Formel verdoppelt werden. Man hat
dann CgHie, entspricht dem Aequivalentgewicht == 58; daraus ergibt sich das
AeovetiselM apegfische Gewicht:
58
28.88
= 2.0083.
Statt dieser einfachen Berechnungsweise ist noch jetzt eine, frtiher allgemein 424.
gebrauchte, vielfach in Anwendung. Diese ftltere Art der Berechnung, mühsamer
und umständlicher in der Ausführung, wendet zudem für viele Subst-anzen und
namentlich für alle kohlenstoffhaltige Verbindungen vollstfindig unbewiesene Hy-
pothesen US Grundlagen der Rechnung an. Weil vielfach noch angewandt, muss
ue hier indessen doch erörtert werden.
Es ist einleuchtend, dass man das specifische Gewicht einer gasförmigen 425.
Verbindung berechnen kann, wenn man die specifischen Gewichte ihrer Bestand-
ÜieOe, die Volumverhßltnisse , nach welchen sich dieselben verbinden und ferner
das Verhältniss kennt, in welchem das Volum des Productes zu dem Volum der
sich verbindenden Substanzen steht.
Wenn man z. B. weiss: 1 Vol. Chlor verbindet sich mit 1 Vol. Wasser-
stoff zu 2 VoL Salzsäure, so kann man, wenn die specifischen Gewichte des
(älors und des Wasserstoffs bekannt sind , das specifische Gewicht der Salzsäure
berechnen. Man hat:
1 Volum Chlor wiegt . . . 2,458
1 Volum Wasserstoff wiegt . 0,069
die entstandene Salzsäure wiegt demnach = 2,522.
Da dies zwei Volume sind, so wiegt 1 Volum 1,261, das specifische Gewicht
der Salzsäure ist also = 1,261.
Dasselbe kann auch aus der Formel der Salzsäure hergeleitet werden. Da
nämlich die Menge Wasserstoff, die man mit H bezeichnet, zwei Volumen ent-
spricht (wenn 0 = 1 Volum angenommen wird, wie dies bei dieser älteren An-
ftchaunngsweise geschieht), da femer Ol ebenfalls zwei Volumen entspricht; so
hat man:
1 Aeq. fl = 2 Vol. = 2 X 0,069 = 0,188
1 Aeq. Cl = 2 Vol. = 2 X 2.^53 = 4,906
Summe dieser Gewichte = 5,044.
Das entstehende Product: 1 Aeq. Salzsäure = HCl entspricht nun 4 Volu-
men (die Salzsäure gehört der Klasse von Verbindungen zu, deren Formeln vier-
volamig sind, sie besitzt die relative Raumerfüllung 28.88), man muss also die
250 PhynkaliBfiher Theü.
Zahl: 6,044 mit 4 dividiren, um das Gewicht Ton einem Volom, das heisst das
specifische Gewicht der Salzsäure zu erhalten. Man hat:
^ = 1,261.
Ebenso berechnet sich aus den spedfischen Gewichten des Wasserstoffs und
des Sauerstoffs, das spedfischc Gewicht des Wasserdampfs, d. h. die Dampfdichte
des Wassers. Man hat:
1 Aeq. H entsprechend 2 Vol. deren Gewicht = 2 X 0^069 = 0,138
mit 1 Aeq. 0 „ 1 Vol. dessen „ = 1 X h^^ = 0^^
geben 1 Aeq. HO dessen Gewicht = 1,244..
Da nun 1 Aeq. Wasser = HO zwei Volume Dampf liefert; da das Waaser
der Klasse von Körpern zugehört, deren Formeln zweivolnmig sind, so muss man
diese Zahl mit 2 dividiren, um das specifische Gewicht des Wasserdampfes zu er-
halten. Man hat:
'-^ = 0,6«.
426. Diese Berechnungsweise setzt, wie man sieht, voraus, dass die speciflschen
Gewichte der die Verbindung zusammensetzenden Elemente in dampfförmigem Zu-
stand bekannt sind ; sie setzt ferner voraus , dass man weiss , welche Verdichtung
bei der Vereinigung dieser Elemente stattgefunden hat, das heisst, wieviel Volume
die durch die Formel ausgedrückte Menge derselben im Damp&ufitand erfüllt
Auf alle diejenigen Verbindungen, in welchen Elemente enthalten sind, die
im Dampfzustand nicht bekannt, deren Dampfdichten also nicht ermittelt sind, ist
die Berechnung nicht anwendbar; oder wenigstens nur dann anwendbar, w^enn
man, statt der durch den Versuch festgestellten Dampfdichten, hypothetische aus
Betrachtungen hergeleitete Dampfdichten in Anwendung bringt. In diesem Falle
befinden sich alle kohlenstoffhaltigen, also alle organischen Verbindungen.
427. Man kann nun, gerade 60 wie aus den specifischen Gewichten der Bestand-
theile das specifische Gewicht der Verbindung hergeleitet werden kann, wenn die
Volumverhältnisse nach welchen die Verbindung erfolgt bekannt sind, auch um-
gekehrt das specifische Gewicht eines der Bestandtheile ableiten, wenn man das
specifische Gewicht des anderen, das specifische Gewicht der Verbindung und fer-
ner die Volumverhältnisse kennt, nach welchen die beiden Bestandtheile sich
verbinden um ein bestimmtes Volum des Productes zu erzeugen.
So ergibt sich z. B. das specifische Gewicht des Wasserstoffs aus den speci-
fischen Gewichten des Wasserdampfs und des Sauerstoffs in folgender Weise:
2 Vol. Wasserdampf wiegen . . 2 X 0,622 = 1,244
sie enthalten: 1 Vol. Sauerstoff, welches wiegt = 1,106
Der Rest 0,138
ist das Gewicht von 2 Vol. Wasserstoff; 1 Vol. Wasserstoff wiegt also = 0,069.
Dieselbe Zahl ergibt sich au» dem specifischen Gewicht der Salzsäure.
Man hat:
2 Vol. Salzsäure wiegen . . 2 X ^^^^ = 2)^22
sie enthalten: 1 VoL Chlor, dessen Gewicht . . = 2,458.
Spedfisches Gewicht gasförmiger Körper. 251
Der Reat = 0,069 ist das Gewicht von einem Volom. d. h. das specifische
Gewicht des Wasserstoffs.
Wenn also die Volrnnverhältnisse bekannt wären, nach welchen der Kohlen- 428.
Stoff sich mit anderen Elementen verbindet, so könnte aus dem specifischen Ge-
wicht dieser Elemente und aus dem der entstehenden Verbindungen das spedfische
Gewicht des Kohlenstoffdampfes hergeleitet werden. Da aber der Kohlenstoff in
gasförmigem Zustand unbekannt ist, so ist man genöthigt, zu Hjrpothesen seine
Zuflucht zu nehmen. Man kann entweder annehmen: die Menge Kohlenstoff, die
man durch das Symbol: C ausdrückt und die man für ein Aequivalent hält, er-
fülle, ebenso wie ein Aequivalent Sauerstoff (= 0) ein Volum, oder aber man
kann annehmen: 1 Aequivalent Kohlenstoff erfülle ebenso wie 1 Aequivalent Was-
serstoff zwei Volume. Die meisten Chemiker haben sich für die erstere Ansicht
entschieden, und zwar, gestützt auf folgende Betrachtung. Da der Erfahrung nach
gewöhnlich bei der Vereinigung gleicher Volume zweier Gase keine Verdichtimg
stattfindet, das Volum der Verbindung vielmehr gleich ist der Summe der Volume
der Bestandtheile (z.B. Chlor -f- Wasserstoff = Salzsäure), während bei der Vereini-
gung von 1 Vol. eines Gases mit 2 Vol. eines andern, die Verbindung meistens
2 Volume erfüllt (z. B. 2 Wasserstoff + 1 Sauerstoff =• 2 Wasser)^ da femer bei
der Verbindung von Sauerstoff mit Kohlenstoff zu Kohlensäure das Volum des
Prodnctes gleich ist dem des angewandten Sauerstoffs, während bei der Bildung
von Kohlenoxyd aus 1 Volum Sauerstoff zwei Volume Kohlenoxyd werden: so
muss man annehmen, die Menge Kohlenstoff, die sich mit 2 Vol. Sauerstoff ver-
bindet, um 2 Vol. Kohlensäure zu erzeugen und die eich mit 1 Vol. Sauerstoff
vereinigt, um 2 Vol. Kohlenoxyd zu erzeugen, sei =: 1 Volum, denn bei dieser
Annahme erscheint die Bildung der Kohlensäure in Bezug auf Volumverhältnisse
der des Wassers , die Bildung des Kohlenoxyds der der Salzsäure analog.
Mit dieser Annahme, also mit der Annahme, dass 1 Aeq. Kohlenstoff =: C, 429.
ebenso wie 1 Aeq. Sauerstoff ein Volum erfüllt, berechnet sich aus dem specifi-
schen Gewicht der Kohlensäure und aus dem specifischen Gewicht des Kohlen-
ozyds das specifische Gewicht des Kohlenstoffdampfes in folgender Weise:
Aus Kohlensäure.
1 Aeq. COa = 2 Vol. wiegt .... 2 X 1.Ö20 = 3,040
es enthält: 2 Aeq. O =2 Vol., welche wiegen 2 X ^^^ = 2,212
Der Rest 0,828
ist das Gewicht von einem Volum Koblenstoffdampf.
Aus Kohlenoxyd:
1 Aeq. CO = 2 Vol. wiegt ... 2 X 0^967 = 1,984
es enthält: 1 Aeq. 0=1 \o\. wiegt . . . 1 X 1^106 = 1,106
Der Rest 0,828
ist das Gewicht von einem Volum Kohlenstoffdampf.
Beide Rechnungen führen natürlich zu demselben Resultat. Man nimmt also
0.828 als spedfisches Gewicht des Kohlenstoffdampfee au. mit der Voraussetzung,
dass 1 Aeq. C auch 1 Vol. Kohlenstoffdampf sei.
Mit Benützung dieses hypothetischen specifischen Gewichtes des Kohlenstoff- 480.
dampfes können die specifischen Gewichte dampfförmiger Kohlenstoffverbindungen
252 Physikalischer TheU.
in gleicher Weise aus der Formel derselben berechnet werden , wie oben (§. 426)
die specifischen Gewichte der Salzsäure und des Wasserdampfes.
Man hat z. B. fOr das Elayl, dessen Formel = G4H4 ist:
4 Aeq. C entsprechend 4 Vol. Dampf wiegen 4 X 0,828 = 8,312
4 Aeq. H „ 8 VoL „ „ 8 X 0,069 = 0,552
Die Summe 8,864
ist das Gewicht von 1 Aeq. Elayl; da nun 1 Aeq. Elayl = 4 Vol., so wiegt
1 Vol.:
3,864 ^^^^
-2L-— = 0,967.
4
Das theoretische specifische Gewicht des Elayls ist also = 0,967 (vgl. §. 405).
^1- In derselben Weise berechnet sich die Dampfdichi^e des Alkohols aus der
Formel = C4H,0j:
4 Aeq. C entsprechen 4 Vol.; diese wiegen 4 X 0,828 = 8,812
6 Aeq. H „ 12 Vol. „ „ 12 X 0,069 = 0,828
2 Aeq. 0 „ 2 Vol. „ „ 2 X I5IO6 = 2,212
Die Summe = 6,352
ist das Gewicht von einem Aeq. Alkohol. Da nun der Alkohol bei der Formel
= C4H«02, viervolumig ist, da, wie man sich ausdrückt, eine Verdichtung auf
4 Volume stattgefunden hat, so ist:
6,852
^^ = 1,688
das speciüsche Gewicht des Alkoholdampfes.
482. Es ist einleuchtend, dass man bei dieser Art der Berechnung (wie bei der
§. 423 mitgetheilten) wissen muss, ob die durch die Formel ausgedrückte Menge
zwei oder vier Volumen Danipt' entspricht. Ist der Körper viervolumig, so muss
man die Summe der specifischen Gewichte der ihn zusammensetzenden Aequiva-
lente durch 4 dividiren, um die Dampfdichte zu erhalten; ist er dagegen zweivolu-
mig, so dividirt man statt durch 4 nur durch 2.
Man hat z. B. fdr den Aether, dessen Formel der älteren Theorie nach =
C^H^O ist:
4 Aeq. C entsprechend 4 Vol. wiegen 4 X 0.828 =: 3,812
6 Aeq. H „ 10 Vol. „ 10 X 0,069 == 0,690
1 Aeq. 0 „ 1 Vol. ,, 1 X 1,106 = 1,106
Summe = 5,108.
Wären diese 15 Volume der Bestandtheile auf 1 Volum verdichtet, so würde
dieses = 6,108 wiegen, das specifische Gewicht des Aethers wäre also = 5,108.
Fände wie bei dem Alkohol eine Verdichtung auf 4 Volume statt, so hätte man:
^ = 1,277
4
als Gewicht von einem Volum, d. h. als specifisches Gewicht des Aetherdampfes.
Der Versuch gab die Dampfdichte = 2,565, also annähernd doppelt so gross,
folglich findet bei dem Aether eine grössere Verdichtung, eine Verdichtung auf
2 Volume statt. Man findet also das theoretische specifische Gewicht:
'-^ = 2,554
Spedflsches Gewicht flüssiger Körper. 253
was mit dem durch den Versuch gefunden axmähemd genug übereinstimmt. — Es
ist einleuchtend, dass, wenn man die Formel des Aethers doppelt so gross an-
nimmt ^ CsHiqO], die Summe der speeifischen Gewichte der den Aetherdampf
bildenden Elemente doppelt so gross wird (= 10,216); man erhält dann eine mit
der durch den Versuch gefundenen Dampfdichte nahezu übereinstimmende Dampf-
dichte, indem man mit 4 dividirt:
'-^ = 2m
4
Bei der Formel CtHipOf ist der Aether also vieryolumig, es findet eine Verdich-
tung auf 4 Volume statt, die durch die Formel ausgedrückte Menge entspricht vier
Volumen.
Specifisches Gewicht flüssiger Körper.
Beziehungeo swisohen dem speeifischen Volum und der
chemischen Zusammensetzung.
Die Untersuchungen, die man bis jetzt über die speeifischen 6e- 488.
Wichte flüssiger Verbindungen angestellt hat, zeigen deutlich, dass auch
bei flüssigen Körpern das speciflsche Gewicht in einer gesetzmässigen
Beziehung steht zum Holeculargewicht und vielleicht auch zur atomisti-
schen Zusammensetzung der Molecttle. Das Gesetz, welches diesen Be-
ziehongen zu Grunde liegt, ist indessen bis jetzt nicht erkannt
VPie bei gasförmigen Körpern, so kann man auch bei Flüssigkeiten
entweder den Raum vergleichen, den eine gleichgrosse Anzahl von Ho-
lecülen erfallt, also die relative Raumerfüllung oder das speci-
fische Volum; oder aber man kann die Anzahl der Holecüle ver-
gleichen, die in gleichgrossen Räumen enthalten sind, also die s. g.
Atom zahl ($. 398). Die meisten Chemiker geben der ersteren Betrach-
tungsweise den Vorzug; Gmelin dagegen vergleicht, wie bei den gas-
förmigen so auch bei den flüssigen Körpern, die Atomzahl.
Was wir über die speeifischen Volume flüssiger organischer Ver- 484.
bindungen wissen, verdanken Mir fast ausschliesslich den Untersuchungen
von H. Kopp; ausser diesem haben sich noch besonders: Schröder, Lö-
wig, Gmelin, J. Pierre und W. A. Hiller mit diesem Gegenstande be-
schäftigt
Im Nachfolgenden werden wesentlich die neueren Resultate und
Ansichten Kopp's berücksichtigt Die Ghrenzen dieses Werks gestatten
nicht auf die historische Entwicklung dieser Ansichten näher einzugehen ;
wir verweisen in dieser Beziehung auf eine von Kopp selbst gegebene
Zusammenstellung *)•
*) Annalen der Chemie und Pharmacie: ZCVI. S. 168. — Neuere Abhand-
lungen Kopp's siehe ebendaselbst: XCVI. 803; ZCVII. 874; ZCVm. 367;
254 Physikalischer Theil.
435, Die Abhängigkeit des specifischen Gewichtes von der chemiseheD
Zusammensetzung tritt am deutlichsten hervor, wenn man die specifischen
Volume vergleicht.
Das specifische Volum ist der Quotient aus dem specifischen Ge-
wicht in das Molecularge wicht.
Da nun die Flüssigkeiten, weil sie durch Temperaturverfinderungen sich aus-
dehnen oder zusammenziehen, bei ungleichen Temperaturen ungleiche specifische
Gewichte zeigen; so ist es einleuchtend, dass auch die specifischen Volume der-
selben Flüssigkeit bei verschiedenen Temperaturen verschieden sein werden. Es
ist demnach klar, dass man nicht die specifischen Volume verschiedener Substan-
zen bei beliebig gewählten Temperaturen vergleichen kann, sondern vielmehr nur
bei Temperaturen, bei welchen die Flüssigkeiten in Bezug auf Raumerfüllung sich
in entsprechenden Bedingungen befinden , also bei solchen Temperaturen , bei wel-
chen die Dämpfe gleiche Spannkraft besitzen. Da aber für die meisten Flüssig-
keiten die Spaxinkrait der Dämpfe bei verschiedenen Temperaturen nicht bekannt
ist, so bleibt nur übrig diejenigen specifischen Volume zu vergleichen, welche
die verschiedenen Flüssigkeiten bei ihren Siedpunkten — d. h. den Temperaturen,
wo die Spannkraft der Dämpfe dem mittleren Luftdruck gleich ist — besitzen-, niirl
da femer die specifischen Gewichte ftir die Siedpunkte selbst nicht wohl durch
den Versuch festgestellt werden können, so muss man die specifischen Gewichte,
welche die Flüssigkeiten bei ihren Siedpunkten besitzen, aus den für andere Tem-
peraturen ermittelten specifischen Gewichten und aus der durch den Versuch fest-
gesteUten Ausdehnung berechnen. Die Feststellung des specifischen Gewichts einer
Flüssigkeit bei ihrem Siedpunkt setzt also voraus die Kenntniss:
1) des Siedpunktes,
2) des specifischen Gewichts fiir ii'gend eine Temperatur,
3> der Ausdehnung, welche die Flüssigkeit von der Temperatur, für die
das specifische Gewicht durch den Versuch festgestellt wurde, bis zu ihrem
Siedpunkt erfahrt
Das specifische Volum einer Flüssigkeit beim Siedpnnkt ist also gleich dem
Moleculargewicht, dividirt durch das specifische Gewicht der Flüssigkeit bei ihrem
Siedpnnkt.
486. Die folgende Tabelle enthält die specifischen Volume aller der nur
Eohlenstofi*, Wasserstoff und Sauerstoff enthaltenden Verbindungen, für
welche sich das specifische Volum für den Siedpunkt aus Beobachtungs-
resultaten ableiten lässt. Die Substanzen sind darin nach den specifischen
Volumen geordnet.
Es enthält die Spalte:
1. die rationellen Formeln ausgedrückt durch die alten S3rmbole der Ele-
mente,
C. 19. Vgl. femer: Gmelin's Lehrbuch: I. S. 61 u. 64 ff. IV. S. 42. —
C. Löwig, Lehrbuch der organischen Verbindungen. L S. 91.
SpecifiBcheB Gewicht fiflsnger Körper.
255
2. dieselben Formeln in den Symbolen der neueren Theorie (atomistische
Molecularformeln) ,
8. die aus den Beobachtungsresultaten hergeleiteten specifischen Volume,
4. die nach Eopp's Regel (§. 442) berechneten specifischen Volume.
5. die specifischen Volume ausgedrückt durch Zahlen . die auf dieselbe Ein-
heit bezogen sind wie die Holeculargewi^ht«.
6. die Moleculargewichte.
Die Formeln der Spalte 1 sind gegeben, um die von Eopp's Berechnung
der specifischen Volume der Verbindung aus ihrer Formel verständlich zu machen
und dabei direct die Werthe beibehalten zu können, die Kopp den einzelne» de-
menten beilegt (§. 442).
Die Spalten 5 und 6 sind beigefügt, um ein Vergleichen des specifischen
Volums mit dem Moleculargewicht (§. 457) zu erleichtem. Man sieht nftmlick
leicht ein, dass selbst für das Wasser, welches als Ausgangspunkt des Vergleichs
für die specifischen Volume der Flüssigkeiten gewählt ist, das specifische Volum
beim Siedpunkt nicht mit dem Moleculargewicht übereinstimmt, weil das speci-
fische Gewicht des Wassers bei 0® = 1 angenommen wird, so dass das specifischa
Volum des Wassei-s bei 0^ gleich dem Moleculargewicht, d. h. = 18 ist, während
der Ausdehnung des Wassers wegen das specifische Volum beim Siedpunkt =
18.8 wird.
Namen.
1.
Rationelle
Formel
(Kopp),
2.
Atomistische
Molecular-
formel.
8.
Spec. Vol. bei
gefunden.
4.
im Siedpunkt
berechnet
(Kopp).
6.
Spec. Volum
gefunden
Wasser =18.
&
Mole-
culap>
ge-
wicht
Wasser
Jo,
HU
18,8
18,8
18
18
Holzgeist
^^»0,
«H^|e
41,9-^42,2
40,8
40,1-41,8
82
Ameisensäure
C.HO,^^
40,9—41,8
42
39,2—40,8
46
Aldehyd
H
56,0-66,9
66,2
63,6-54,6
44
Alkohol
c^J»o,
««H^je
61,8—62,6
62,8
69,2-69,8
46
Est^igsäure
^AOao,
O2H3O r\
Hf
63,6-^68,8
64,0
60,8—61,1
60
Ameisensäure-
Methyläther
fÄ».
68,4
64,0
60,7
60
Aceton
CAOa
CA
€H,f
77,8—77,6
78,2
74,0-74,8
58
256
Physikaüfcher Theil.
Namen.
1.
Rationelle
Formel
(Kopp).
2.
Atomistische
Molecular-
formeL
3.
Spec. Vol. be
gefunden.
4.
im Siedpunkt
berechnet
(Kopp).
5.
Spec. Volum
gefunden
Wasser =18.
6.
Mole-
cular-
ge-
wicht.
Propionsäure
C.H,0,o,
e.H,|Je
85,4
86,0
81,8
74
EBsiffsäure-
Me&yläther
'*?&'''
83,7-86,6
86,0
80,1—81,9
74
Ameisensäure-
Aethylftther
'tk'^
»Ar
84;9-86,7
86,0
81,3-82,1
74
BenMl
CA
6^
96,0—99,7
99,0
91,9—96,5
78
Phenol
^»»J»o,
«•"4*
108,6-104,0
106,8
99,2—99,6
94
Aether
Sä«.
isl«
106,6—106,4
106,8
101,1—101,9
74
C.B,0,^
eAOj^
106,4-107,8
108,0
101,9—103,2
88
Essigsfinre-
Aethylfither
"''oil«'
^§k1l^
107,4-107,8
108,0
102,8-103,2
88
Wasserfreie
Essigsäure
8:SÄ».
35:1h
109,9—110,1
109,2
106,2—106,4
102
Oxalsänre-
Meihyläther
C«04 n
dfit/J^»
116,3
117,0
111,3
118
Valeraldid
C„H,0,
H
eA5(
117,3-120,3
122,2
112,3-116,2
86
Bittermandelöl
C,«H,0,
118,4
122,2
113,4
106
Amylalkohol
Ciojiio,
«.H„[d
123,6—124,4
128,8
118,3—119,2
88
Benzylalkohol
^>«5'0,
«'«4^
123,7
128,8
118,4
108
Baldriansäure
'C.AO.o.
^*^*w}^
130,2-131,2
130,0
124,7-146,7
102
Buttersäure-
Methyläther
"•?&«.
^^ekll^
126,7-127,3
180,0
120,4—121,9
102
Propionsäure-
Aethyläther
'•SÄo.
^€^h
126,8
130,0
120,5
102
Benzoesäure
CiAO,^^
H
126,9
180,0
121,6
122
Kohlensäure-
Aethyläiher
{?Ä).««
V/V/ /\
(eA)ir»
138,8-139,4
137,8
132,9-138,5
118
Baldriansäure-
Methyläther
'"?Ä«-
eH,r
148,7-149,6
152,0
142,4-143,2
116
Speeitisches Gewicht flässiger Körper.
257
1.
RationeUe
Formel
(Kopp).
2.
AtomiBÜsche
Moleculai--
fonuel.
3.
SpecVol. bei
gefunden.
4.
m Siedpunkt
berechnet
(Kopp).
5.
Spec. Volum
gefunden
Wasser = 18.
6.
Mole-
cular-
g«-
wicht
Buitereäure-
Aelbylülher
"•SÄ".
149,1-149,4
152,0
142,7-143,0
116
Estiigsfiure-
Butyläther
"•"cÄ«.
€4^.r
149,3
152,0
142,9
116
Ameisenstture-
Amyläther
r^y-
149,4-150,2
152,0
143,0—143,8
116
Benzoesäure-
Methyltither
""SÄ"'
^'Iti^
148,6—150,3
152,0
142,2-143,8
186
Naphtalin
°~5'
e..H,j
149,2
164,0
142,8
128
Methylsalicyl.
säure
"tcSÄ"'
Ä ^'
156,2—157,0
159,8
149,5-150,3
152
OvaUäure-
Aethyläther
0.0. „
(OA). '
166,8-167,1
161,0
159,7—160,0
146
Baldriansäuie-
Aethylüther
""?:h^
"&!(«
173.5—173,6
174,0
160,3-166,4
ISO
Essigsäure-
Amyläther
"Ä«.
173,3-175,5
174,0
166,1-168,3
180
Benzoesäurc-
Aethylttther
""SÄ".
'm^
172,4—174,8
174,0
165,2—167,6
130
Butyl
S5:
184,5-186,6
187,0
176,7-178,8
114
Cymol
0„Hu
H
^i«Hi»
183,5—185,2
187,0
176,7—177,8
184
Cuminol
Ci«H„Oj
e„H,.oi
169,2
188,2
181,2
148
Bemsteinsäure-
Aethyläther
äSSä*'
209,0
205,0
200,1
174
Zimmts&urc-
Aethyläther
''"SÄ«.
"^.if. «
211,3
207,0
202,4
176
Baldrianstture-
Amyläther
^l*>
w«
244,1
240,0
233,7
172
Benzoesäure-
Amyläther
^Ä«»
r^3«
247,7
240,0
237,8
192
K «kaUf organ
. Cbeni«.
17
258 Physikalischer Theil.
437. Vergleicht man die aus den Beobachtangsresnltaten hergeleiteten
specifischen Volume (Spalte 3 der Tabelle) mit den Formeln, so findet
man zunächst:
1) Isomere Flüssigkeiten zeigen gleiche specifisohe Volume (also auch
gleiche speciflsche Gewichte).
Z. B. Essigsäure und Ameisensäure -Methylfither; Propionsfture , Essigsänie-
Methyläther, Ameisensäure -Aethylätber; Buttersäure und Essigsäure -Aethylfithcr;
Baldriansäure, Buttersäure -Methyläther, Propionsäure -Aethyläther; Baldriansäore-
Methyläthcr, Buttersäure -Aethyläther, Essigsäure -Butyläther, Ameisensäure -Amyl-
äther und endlich Baldriansäure -Aethyläther mit Essigsäure -Amyläther.
2) Derselben Zusammensetzungsdifferenz entspricht (bei analogen Ver-
bindungen wenigstens) auch dieselbe Differenz der specifischen
Volume.
So ist z. B. ftir alle die Körper, die einer und derselben homologen Reihe
zugehören, die Differenz der specifischen Volume dieselbe. Einer Zusammea-
Setzungsdifferenz von nCaH^ (= n6H2) entspricht eine Differenz der specifischen
Volume von 22.
Dies zeigt sich z. B. bei den Alkoholen: Holzgeist, Aethylalkohol, Amyl-
alkohol-, bei den Säuren: Ameisensäure, Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure und
Baldriansäure; ebenso bei den Aetherarten dieser Säuren; bei den Aethem der
Benzoesäure; bei denen der Oxalsäure und Bernsteinsäure u. s. f.
Die Benzoesäure unterscheidet sich in ihrer Zusammensetzung von der Pro-
pionsäure ebenso wie das Phenol vom Alkohol (sie enthalten 8 C mehr); die Diffe-
renz der specifischen Volume ist auch annähernd dieselbe (^ 42).
Das Bittermandelöl steht zum Aldehyd in demselben Verhältniss wie die
Benzoesäure zur Essigsäure (Mehrgehalt von: CioHj); dieser gleichen Zusammen-
setzungsdifferenz entspricht dieselbe Differenz der specifischen Volume (;= 68) etc.
488. Es ist eine einfache Folge hiervon, dass häufig zwischen den specifischen Vo-
lumen verschiedener Körper dieselben Beziehungen stattfinden, wie zwischen ihren
Formeln.
So ist z. B. die Formel der Propionsäure gleich der Formel der Essigsäure -^
der der Buttersäure dividirt durch zwei; das specifische Volum der Propionsäure
ist gleich der Hälfte der Summe der specifischen Volume der Essigsäure und der
Buttersäure.
Die Formel der E^opionsäure ist auch gleich der verdopptiten Formel der
Essigsäure — der Formel der Ameisensäure und man erhält das specifische Volum
der Propionsäure, wenn man von dem doppelten specifischen Volum der Essigsäure
das der Ameisensäure abzieht.
, Der Essigäther ist gleich : Essigsäure + Alkohol — Wasser; das specifische
Volum des Essigäthei*s wird erhalten, wenn man von der Summe der specifischen
Volume der Essigsäure und des Alkohols das specifische Völum des Wassers ab-
zieht etc.
Eine Vergleichung der specifischen Volume mit den> Formeln zeigt
'femer:
SpeciüBcbes Gewicht fltissiger Körper. 259
8) Aeqtiivalefite Mengen Sauerstoff und Wasserstoff können sich er- 439.
setzen, ohne dass das speeiflsche Volum der Verbindung dadurch
erheblich geändert wird.
So z. B. haben Holzgeist und Ameiseus&ure, Alkohol und Essigsäure,
Amylalkohol und Baldriansäure, Aether und Buttersäure, Benzylalkohol und Ben-
zoesäure, Cymol und Cuminol etc. annähernd gleiches specifisches Volum.
4) Ebenso kann der Kohlenstoff den Wasserstoff ersetzen (C ersetzt H, 440.
6 also 2H), ohne dass das specifische Volum dadurch wesent-
lich geändert wird.
So haben s. B. annähernd gleiche specifische Volume: Benzoesäure mit
Baldrianaäure, Benzoesäure* Methyläther mit Baldriansäure- Methyläther, Phenol mit
Aether, Benzylalkohol mit Amylalkohol, Bittermandelöl mit Valeraldid, Cymol mit
BntyL etc.
Wären diese beiden Sätze 3 und 4 ($$. 439, 440) genau richtig, so 441.
wäre das specifische Volum einer (nur C, H und 0 haltenden) Verbin-
dung durchaus nicht Yon ihrer atomistischen Zusammensetzung, sondern
nur von der Anzahl der in ihr enthaltenen Aequiyalente abhängig.
Es müssten sich dann (wie dies Schröder früher vermuthete) die spedfischen
Volume verschiedener Flüssigkeiten verhalten wie die Summen der sie zusammen-
setzenden Elemente.
Sp. Vol. C^HbOe : Sp. VoL C^^Oy = (a + b + c) : (« + /J + y)
z. B. die specifischen Volume von Wasser, Alkohol und Aether wie 4 : 12 : 20
denn:
H^Os : CfHgO, : CsHioO, =: 4 : 12 : 20.
Und es mtisste sich das specifische Volum einer Flüssigkeit: CaHbOc l^eim Sied-
punkt allgemein aus der Formel:
(a + b + c) X n
herleiten lassen ; worin n (dessen Werth Schröder = 5,19 setzt) das mittlere speci«
fische Volum der Elemente bezeichnet. Man findet in der That, dass sich der Werth
von n' aus den 46 oben aufgeführten Substanzen zu 5,1 — 5,6 herleitet*, so dass
man ibit Annalime ' einer Mittelzahl für das specifische Volum der Elemente , die
innerhalb dieser Grenzen liegt, die specifischen Volume der Flüssigkeiten mit eini-
ger iiinäherung aus obiger Formel herleiten kann. Die Uebereinstimmung ist für
viele Körper ziemlich genügend, für andere daigegen schon beträchtlich verschieden ^
ganz abweichend aber ist der für das specifische Volum des Wassers sich nach die-
ser Formel berechnende Werth von dem durch die' Beobachtung festgestellten.
Dies hat Kopp veranlasst, diese an sich einflachere Betrachtung für unzuläs- 442.
sig zi| halten und| einer anderen Betrachtungsweise den Vorzug zu geben, nach
welcher die specifisichen Volume aller genauer untersuchten Flüssigkeiten sich in
grOSs^er Uebejpeiiiqtimmung^ mit den Beobachtungsresultaten wiedergeben lassen.
iDiese Betrachtung geht von der Ansicht aus, dass im allgemeinen den ver-
sehiedieneB Elementen in den Verbindungen 'verschiedene specifische Volume zu-
kommen; sie nimmt weiter an, dass ein und dasselbe Element in seinen Verbin-
dungen^ Je nach d^r SteUe die es einnimmt, verschiedene specifische Volume be-
sHceu ikOnne. -
17 ♦
260
Physikalischer Theil.
Eine Vergleichung der specifischen Volume der einfacheren Verbindungen,
zusammengenommen mit den §§. 437 — 440. erwähnten Regelmässigkeiten führt
zur Annahme der folgenden Werthe:
Das specifische Volum des Kohlenstoffs (= C) . . . = 5,6
Das specifische Volum des Wasserstoffs (= fi) . . . = 5,6
Das specifische Volum des Sauerstoffs (= 0), der sich
innerhalb des Radicales befindet = 6,1
Das specifische Volum des Sauerstoffs (= €?), der sich
ausserhalb des Radicales befindet, also des typi-
schen Sauerstoffs = 3,2.
Das specifische Volum einer flüssigen Verbindung von der Formel = CaHbOcOd
ist demnach = 5,5 a -f- 5,5 b 4- 6,1 c -)- B,2 d. Die aus dieser Formel hergelei-
teten Werthe für die specifischen Volume flüssiger Verbindungen (Spalte 4 der
Tabelle S. 255) stimmen in der That annähernd mit den durch den Versuch fest-
gestellten überein.
443. Kopp hat auch fiir eine Anzahl Schwefel-, Chlor-, Brom-, Jod- und
Siickstofihaltiger Verbindungen die speciflschen Volume . durch den Yer-
8uch ermittelt Die bis jetzt bekannten specifischen Volume solcher Ver-
bindungen sind in den folgenden Tabellen zusammengestellt. (Der Inhalt
der einzelnen Columnen ist derselbe wie S. 255.)
1.
Rationelle
Foimel
(Kopp).
2.
Atoniistische
Molecular-
formel.
3.
Spec Vol. be
gefunden.
4.
m Siedpunkt
berecanet
(Kopp).
5.
Spcc Volum
gefunden
Wasser =18.
6.
Mole-
cular-
wichL
Schwel
felverbindu
ngen.
Schweflige
Säure
SaOj^a
43,9
42,6
42,0
64
Schwefelkoh-
lenstoff
C,S, S^
es. 9
62,2—62,4
69,6-59,8
76
Mercaptan
CAä,
^»^jjU
76,0-76,1
77,6
72,8-72,9
62
Schwefelmethyl
eH,ig
75,7
77,6
72,5
62
Zweifach
Schwefelmethyl
is:h.
100,6—100,7
100,2
96,4-96,5
94
Schwefeläthyl
^:^
ist»
120,5-121,5
121,6
115,4-116,4
W
Amylmercap-
tan
C„H„^
6,H„j^
140,1-140,5
148,6
184,2-184,6
104
Schwefligsäure-
Aethyläther
Ä,''*
(eA)J^>
148,8-149,5
149,4
142,6-148,2
188^
Specifisches Gewicht flüssiger Körper.
261
1.
Empirische
Formel.
2.
Atomistische
Molecolar-
formel.
8
Spec Vol. be
gefuiden.
4.
im Siedpunkt
berechnet
(Kopp).
6.
Spec. Volum
gefanden
Wasser =18.
6.
Hole-
cular-
Chlorverbindan
gen.
Monochlor-
naethylchlorid
CaHjC),
eHjCl.Cl
64,6
67.6
61,8
B»
Aethykhlorid
CACl
6aH5.Cl
71,2-74,6
72,8
68,2-71,4
64,6
Acetylchlorid
C^HsO^Cl
eaH,0.Cl
74,4—75,2
78,6
71,8-72,1
78,6
Bichlorelayl
CACi,
eÄci,
79,9
78,6
.76,5
97
Chloroform
. CaHCl,
en.ci.
84,8-86,7
84,9
81,2-82,1
119,5
Monocblor-
fithylchlorid
C4H4Cla
ejH^ci.ci
86,9-89,9
89,6
88,2-86,1
99
Elaylchlorid
C4H4CI,
eaH^.Cla
86,8—86,4
89,6
82,1-82,7
99
Chlorkohlen-
stoff
c,ci.
e.cu
104,3—107,0
102,2
100-108,7
154
Bichloräthyl-
Chlorid
C4fl,Cl,
^Acij-Ci
106,6—109,7
106,9
101,1-106,1
188,5
Monochlor-
elaylchlorid
CACla
e,H,01.Cla
106,4-107,2
106,9
100,9—102,7
188,5
Chloral
CjHCljOj
e,ClaO.H
108,4—108,9
108,1
108,8-104,8
147,5
Chlorkohlen-
stoff
c,cu
eaCl4
115,4
118,2
110,5
166
Bichlorelayl-
Chlorid
C^HaCU
eaHaClj.Cla
120,7—121,4
124,2
116,6-116,a
168
Bntylenchlorid
C,H,Clj
64HS.CI,
129,6-133,7
133,6
124,0-128,2
127
Amylchlorid
C|*H„C1
e^Hn.Cl
186,4—137,0
138,3
129,6-131,2
106,6
Ben^oylchlorid
Ci^H^OjCl
e,Hj0.ci
134,2-140,8
139,6
128,4-134,9
140,5
Trichlorelayl-
chlorid
C4HCI»
6aHCl,.Cla
148,0
141,5
136,9
202,6
Brom
verbindanj
jen.
Brom
Br
Br,
27,6-28,7
27,8
26,0—27,6
160
Methylbromid
C,H,Br
eHj.Br
68,2
66,8
66,7
96
Aethylbromid
C^HjBr
6,H5.Br
78,4
77,8
74,1
109
262
Physikalischer Theil.
Elaylbromid
Amylbromid
Empirische
Formel.
C4H4Br,
C|oHi|Br
Atomistische
Molecular-
formel.
€jH4.Br,
e»H„.Br
JodverbindnngeQ.
Meihyljodid
Aethyljodid
Amyljodid
C,H,J
e,H,.j
8 4.
Spec. Vol. beim Siedpmnkt
gefiinden. 1 berechnet
(Kopp).
97,6—99,9
149,2
65,4—68,3
85,9-86,4
Ammoxiiak
Aethylamin
Anilin
Stickstoff Verbindungen.
Ammoniakbasen.
H,N
C4H,N
Amylamin
Aefhylanilin
Caprylamin
Diäthylanilin
Cl«H|gN
CaoH,5N
H}N
11»
162,6-168,8 163,0
Ö.H,
(-
Cyanverbin dangen.
Cyan
Blausäure
Cyanmethyl
Pyan&thyl
CjN.H
CaN.CjH,
CaN.C^H»
(€N),
eisr.H
eN.OaHj
22,4-28,8
65,8
106,4—106,8
125,0
160,6
190,0
190,6
28,9—80,8
89,1
54,8
77,2
99,6
148,3
65,0
87,0
18,8
106,8
128,8
150,8
194,8
194,8
28,0
88,5
55,5
77,5
5.
Spec Volum
gefunden
Wasser =18.
6.
Mole-
cular-
wicht
98,4—95,7
14i2,9
62,6—65,5
82,2—82,7
146,1—152,4
21,4—22,8
62,6
102,1—102,5
119,9
144,8
18,2
182,5
188
151
142
156
198
27,6—29,0
87,4
52,0
74,0
17
45
93
87
121
129
149
53
27
41
55
SpedfiBches Gewicht flüBsiger Körper.
263
1.
Rationelle
Formel
(Kopp).
2.
Atomistische
Molecular-
formel.
3. 4.
Spec. Vol. beim Siedpunkt
gefunden.
berechnet
(Kopp).
6.
Spec Volum
gefunden
Wasser =18.
6.
Mole-
cular-
wicht.
Scfawefelcjan-
methyl
Cyansänre-
Aethyläther
Schwefelcyan-
äthyl
Senföl
Cyanphenyl
CA^
CA*»
C jN . C13H5
6N »s
eN.e.H5
Nitroverbindungen.
Dnteraalpeter-
s&ure
Salpetrigsäure-
Hethyläther
Salpetersäuro-
Methyläther
Salpetrigsünre-
Aethyläther
Salpetersäure-
Aethyläther
Nitrobenzol
Salpetrigsäure-
Amyläther
NO4
O4
JK04
IC4H,
(C,0H,,
NO,
OH;
N02(zi
eHar
e5Hnf
76,2—78,2
84,8—84,8
99,1
118,1—114,2
121,6-121,9
31,7—82,4
61,6
69,4
79,2—84,6
90,0—90,1
122,6—124,91
148,4
78,1
85,8
100,1
111,1
121,6
38,0
60,5
68,8
82,6
90,3
126,5
148,5
72,0—75,0
80,7-81,2
94,9
108,3-109,4
116,5—116,8
80,4-81,1
59,2
66,4
75,8-81,2
86,2—86,8
117,4-119,6
142,1
73
71
87
99
108
61
77
76
91
128
117
264 Phy8ikftliBcLer Theil.
444. ^'ie bei den nur Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff enthalten-
den Verbindungen, so zeigt sich auch bei den Substanzen, die in den
vorstehenden Tabellen enthalten sind, dass für viele Falle die JJ. 437
■ — 440 erwähnten Regelmässigkeiten statthaben. Es ist leicht, Beispiele
dazu in den Tabellen aufzufinden.
445. ' Will man die specißschen Volunie der Verbindungen aus ihrer Zasammen-
Setzung, also aus ihren Formeln herleiten, so muss man für den Schwefel, wie fBr
den Sauerstoff (§. 442} zwei verschiedene specifische Volume annehmen. Kopp
nimmt an es sei:
Das specifische Volum des Schwefeis (= S), wenn derselbe
im Radical befindlich = 14,3
Das specifische Vohim des Schwefels (= 5), wenn er sich
ausserhalb des Radicals befindet = 11,3
Für Chlor, Brom und Jod nimmt man an, es sei:
Das specifische Volnm des Chlors (= Cl) = 22,8
»^ « w ^t n (= Br) = ^'^'ß
« « n 1^ V (=J) = 8^1*^
Für den Stickstoff nimmt man an, es sei:
Das specifische Volum des Stickstoffs (= N) in dem Ammo-
niak und den Ammoniakbasen = 2,3
Das specifische Volum des Cyans (= CjN) = 28,0
(folglich das specifische Volum des Stickstoffs in den
Cyanverbindungen = 17)
Das specifische Volum der Nitrogruppe (= NO4) . . . . = 33,0
(mithin das specifisclie Volum des Stickstoffs in den
Nitroverbindungen = 8,6).
Mit Annahme dieser specißschen Volume der Bestandtheile kann das speci-
fische Volum der sie enthaltenden Verbindungen in ziemlfcher Uebereinstimmong
mit den Ergebnissen der Versuche aus den Formeln hergeleitet werden. Vgl.
Spalte 4 der Tabellen.
446. ^i® ™ Vorhergehenden erörterten Beziehungen zwischen dem spe-
cifischen Volum der Flüssigkeiten und ihrer chemischen Zusammensetzung
machen es möglich, das specifische Volum und folglich das specifische
Gewicht (filr den Siedpunkt) mit einiger Wahrscheinlichkeit voraus zu
bestimmen.
Man kann dabei in verschiedener Weise verfahren. Man kann nach der von
Kopp gegebenen Regel (§. 442) das specifische Volum der Verbindung aus den
specifischen Volumen der sie zusammensetzenden Elemente herleiten. Für viele
Fälle gibt auch die Regel von Schröder (§. 441) annähernd stimmende Resultate.
Man kann auch direct die §. 438 erwähnten Anaiogieen benutzen, also das speci-
fische Volum einer Substanz aus den bekannten specifischen Volumen anderer Kör-
per herleiten, zu welchen die Substanz in einfacher Beziehung steht Eine genaue
Üebereinstimmung des berechneten specifischen Volums mit dem durch den Ver-
such gefimdenen ist indess, wie eine Vergleichung der Spalten 8 und 4 der Tabelle
^ig^, nur in den wenigsten Fällen vn erwarten.
Specifisches Gewicht flüssiger Körper. 265
Die Vorausbestimmung des speeifischeD Volams und folglich defi 447.
epecifischen Gewichts bei einer anderen Temperatur als dem Siedpunkt^
setzt natürlich noch die Eenntniss der Ausdehnung voraus.
Wärde die von Kopp gegebene Betrachtungsweise (§. 442) die Beobachtao- 448.
gen mit grösserer Sehttrfe wiedergeben, so wfiren, wenn die Ausdehnung einer
Flüssigkeit und ihr specifisches Volum bei irgend einer Temperatur bekannt wären,
Schlüsse auf ihren Siedpunkt und ebenso, wenn das specifische Volum bei irgend
einer Temperatur und der Siedpunkt bekannt wären, Schlüsse auf ihre Ausdehnung
möglich. Für alle diese Schlussfolgerungen müssten indess, wie Kopp selbst her-
vorhebt, die Berechnungen nach jenem Ausdruck die Beobachtungsresultate genauer
wiedergeben und der Ausdruck selbst müsste eine sicherere Grundlage haben, als
dieses der Fall ist
In umgekehrter V^eise aus dem durch den Versuch festgestellten 449.
specifischen Volum Anhaltspunkte für die chemische Zusammensetzung,
also die chemische Formel herzuleiten, ist bis jetzt nicht möglich *)•
Dass die Moleculargrösse aus dem speciflschen Volum nicht hergeleitet
werden kann, ist einleuchtend, weil das specifische Volum die Annahme
einer Formel von bestimmter Grösse voraussetzt, indem es der Quotient
aus dem speciflschen Gewicht in die durch die Formel ausgedrückte Ge-
wichtsmenge ist
Zur Berechnung des specifischen Gewichts aus der Formel ist also nicht die
11 olecularformel , sondern nur eine Verhältnissformel nöthig; für den Aether z. B.
berechnet sich das specifische Gewicht gleich gross, mag man die Formel = C4H5O
oder = CgHioO] annehmen, das specifische Volum wird für die zweite Formel
doppelt so gross, vne für die erste, da aber die durch die Formel ausgedrückte
Gevdchtsmenge auch doppelt so gross ist, so bleibt der Quotient (welcher das
specifische Gewicht ausdrückt) derselbe.
Erwähnung verdient es endlich noch, dass bisweilen Körper von 450.
ganz verschiedener Zusammensetzung, von verschiedenem Molecular-
gewicht und verschiedenem speciflschen Gewicht doch gleiche specifische
Volume zeigen. So dass also die durch die Molecularformel ausgedrückten
Mengen, welche gleichzeitig diejenigen Mengen sind, die in DampfPorm
gleichen Raum erfüllen, auch im flüssigen Zustand gleiche relative Raum-
erfüllung zeigen.
So ist z. B. das specifische Volum gleich für: Alkohol {GjH.G), Schwefel-
kohlenstoff (GS3) und Salpetrigsäure -Methylttther (GH,. NO,); es ist gleich für:
Chloroform (GHCI3), Elaylchlorid (62H4CI,), Aethyljodid (62H5J) etc.
Bei Flüssigkeiten kommt es also auch bisweilen vor, dass gleiche
Volume eine gleiche Anzahl von Molecülen enthalten. Aber was bei gas-
förmigen Körpern allgemeine Regel ist, ist bei Flüssigkeiten eine verhält-
nissmässig selten vorkommende Ausnahme. Ob der Uebereinstimmung
*} In Betreff der Ableitung der Constitutionsformel aus dem specißschen Volum
vgl. S. 4()3.
266 Physikalischer Theil.
der speoifischen Yolame in diesen F&Ilen ein tieferliegendes Gesetz zu
Grunde liegt oder ob sie rein zufallig sind, läs'st sich vorerst nicht ent^
scheiden.
461. Die im Vorhergehenden mitgeiheilten Eesultate der Aber die q)eoi-
fischen Volume (also die speoifischen Gewichte) flüssiger Verbindungen
angestellten Untersuchungen lassen einige, namentlich innerhalb gewisser
Gruppen von Verbindungen stattfindenden Regelmässigkeiten mit
Sicherheit erkennen. Sie weisen also auf das Bestimmteste darauf hin^
dass gesetzmässige Beziehungen zwischen den specifischen Volu-
men (also specifischen Gewichten) und der chemischen Zusammensetzung
auch bei flüssigen Verbindungen stattfinden. Welcher Art diese Bezie-
hungen aber sind, ist bis jetzt nicht ermittelt
452. Die von Kopp gegebene Betrachtungsweise kann, insofern die aus ihr her-
geleiteten specifischen Volume mit den durch den Versuch festgestellten annähernd
übereinstimmen, als ein brauchbarer Ausdruck für die bis jetzt erkannten Be~
sdehungen zwischen der Zusammensetzung und dem specifischen Volum angesehen
werden; aber sie ist darum nicht als richtig, nicht als Ausdruck der den that-
sttchlichen Beziehungen *zu Grunde liegenden Gesetze zu betrachten. Man kann
sich sogar darüber nicht tauschen, dass diese Betrachtungsweise, wenn man sie
als Theorie auffassen woUte (was Kopp selbst nicht ihut) wenig Wahrscheinlich-
keit für sich hat, insofern sie mit den Vorstellungen, die man Über die Constitu-
tion der Materie hat , nicht in Uebereinstimmung steht. Man sieht nämlich leicht
ein^ dass das specifische Gewicht eines Körpers abhängig ist von dem specifischen
Gewicht der die Molecüle bildenden Materie und ausserdem noch von dem Verhttltniss,
in welchem der von den Molecülen vnrklich erfüllte Raum zu dem ganzen Raum
steht, welchen der Körper einnimmt. Das specifische Volum setzt sich also zusammen
aus den relativen Gewichten der Molecüle, aus den specifischen Gewichten der Mo-
lecüle und noch aus dem Verhältniss, welches zwischen der räumlichen Grösse
der Molecüle und der Grösse der sie trennenden Räume stattfindet Wenn es mög-
lich wäre (wozu bis jetzt keinerlei Anhaltspunkte vorhanden sind) die Verhältnisse
zu ermitteln, welche zwischen der Grösse der Molecüle und ihren Abständen statt-
finden, so würde sich daraus das specifische Gewicht und somit das specifische
Volum der Molecüle selbst (das wirkliche Molecularvolum) herleiten lassen; aus
einer Vergleichung der Molecularvolume verschiedener Körper Hessen sich dann
die specifischen Volume der die Molecüle zusammensetzenden Atome herleiten, und
es wäre möglich, dass man so selbst aus sehr verschiedenen Verbindungen für
dasselbe Element stets dasselbe specifische Volum der Atome fünde und dass nur
die Abstände der Molecüle relativ verschieden wären. Die von Kopp gegebene
Betrachtung schliesst den Gedanken ein, die relativen Abstände der Molecüle seien
stets dieselben und sie muss so, indem sie bei der Berechnung der specifischen
Volume der Elemente aus denjenigen der Verbindungen (wobei sie den Zwischen-
raum der Molecüle gleichmässig auf die verschiedenen Elemente vertheilt), zu ver-
schiedenen Werthen fär dasselbe Element führen, wenn für verschiedene Körper-
gruppen das Verhältniss zwischen den Abständen der Molecüle und ihrer Grösse
verschieden ist
453. Diese Betrachtungen schienen nöthig, weil man versucht sein könnte, aus
Kopp's Regel zur Berechnung der specifischen Volume Schlüsse zu ziehen, die nicht
Specifisches Gewicht flfissiger Körper. 267
daraus gezogen werden können, so lange diese Regel nicht auf eine richtige oder
wenigstens wahrscheinliche Vorstellung begründet ist
Wftre nämlich, so wie dies die Kopp'scfae Regel annimmt, das spedfische
Volum eines und desselben Elementes in verschiedenen Verbindungen yersehieden,
sei es, veranlasst durch die relative Stellung, sei es, weil das Element in den ver-
schiedenen Verbindungen in verschiedenen Modificationen (wie man sich ausdrückt)
enthalten ist; so würde diese Verschiedenheit des spediischen Volums eine wirk-
liche Verschiedenheit der inneren Constitution der Verbindung andeuten. Die Be-
stimmung^ der spedfischen Volume würde also Anhaltspunkte darbieten zur Fest-
Btellung von wirklichen Constitutionsfonneln, d. h. von Formeln, die eine wirkUche
Verschiedenheit der relativen SteUung der Atome ausdrücken.
Wenn man z. B. das spedfische Volum des Sauerstoffs aus seinen Verbin-
dungen berechnet, z. B. aus:
AlkohoL Aldehyd. Essigsäure.
mit der Annahme, das specifische Volum von C sei = 6,5; das spedfische Volum
von H ebenfalls = 5,6 — eine Annahme, die sich daraus ergibt, dass ($. 487)
homologe Körper fllr die Zusammensetzungsdifferenz von C^H) dne Differenz der
spedfischen Volume von 22 zeigen und dass (§. 440) der Kohlenstoff den Wasser-
stoff ersetzen kann, ohne Aenderung des spedfischen Volums; so dass demnach:
22
G = H = -7 = 6,6 — so findet man das specifische Volum von 0 im Alkohol
4
= 8,2; das specifische Volum von O im Aldehyd = 6,1. Für die Essigsäure muss
man für die Hälfte des Sauerstoffs das specifische Volum = 8,2, für die andere
Hälfte das spedfische Volum r= 6,1 annehmen. Wollte man aus der Essigsäure
das specifische Volum von O zu 4,6 ableiten, so würden die berechneten spedfi-
schen Volume weder für den Alkohol , noch für den Aldehyd mit den Ergebnissen
der Versuche übereinstimmen; ebenso wenig gibt das aus dem Alkohol hergelei-
tete specifische Volum des Sauerstoffs für den Aldehyd, oder das aus dem Aldehyd
hergeldtete für den Alkohol stimmende Zahlen. Man muss also für den Sauerstoff
verschiedene specifische Volume annehmen. Diese verschiedenen spedfischen Vo-
lume stimmen nun, in den erwähnten Beispielen und (wie man sich aus den Ta-
beUen überzeugt) in nahezu allen Fällen überein mit der verschiedenen Stellung,
welche man in den gebräuchlichsten typischen Formeln dem Sauerstoff gibt. Der
Sauerstoff im Radical hat ein anderes specifisches Volum wie der typische Sauer-
stoff. ICan könnte gendgt sein , daraus zu schliessen , dass die typischen Formeln
nicht nur die Beziehungen und die Metamorphosen der Körper ausdrücken, son-
dern vielmehr eine wirkliche Verschiedenhdt der inneren Constitution.
Dann wäre natürlich fOr einen und densdben Körper nur eine Formd zu- 454.
lässig. Der Aldehyd müsste dem spedfischen Volum nach dem Wasserstofftypus
zugezählt werden:
Aldehyd
268 Physikalischer Theil:
tnhn könnte ihm nicht die Fonneln:
^A|Oa = ^»*^je oder C^H^.O, = eX.O
beilegen, obgleich diese Fonneln manche Metamorphose besser ausdrücken*).
Die Essigsäure müsste durch die Formel:
Essigsäure.
ausgedrückt werden, die die H&lfte des Sauerstoffs im Radical annimmt; man
dürfte ihr nicht etwa die Formel :
kjo. = ^»^^h»
beilegen, obgleich diese Formel manche Beziehungen und Metamorphosen besser
ausdrückt wie die andere (vgl. §. 246)!
455. Man könnte vielleicht den Unterschied zwischen dem Propionaldehyd , dem
Aceton und dem Allylalkohol durch die Constitutionsformeln ausdrücken:
Propylaldehyd. Aceton. Allylalkohol.
«A^ «-lig «■■&!•
und ebenso die Verschiedenheit des Aldehyds und des (von Wurtz in neuester Zeit
entdeckten) Glycoläthers durch die Constitutionsformel :
Aldehyd. Glycolfither.
456. ^8 ist möglich, es ist sogar wahrscheinlich, dass spätere Forschungen
Schlüsse auf die innere Constitution der Verbindungen gestatten und das Aufstellen
wirklicher Constitutionsformeln ermöglichen werden. Bei dem Jetzigen Stand unse-
rer Kenntnisse muss ein solcher Versuch für verfrüht angesehen werden und es
scheint geeigneter, die chemischen Formeln vorerst — bis die Zahl der Anhalts-
punkte sich vermehrt hat — nur für rationelle Formeln (d. h. für einen Ausdruck
der Beziehungen und Metamorphosen), nicht aber für Constitutionsformeln
gelten zu lassen. Jedenfalls aber sind theoretische Schlüsse auf die innere Consti-
tution der Verbindungen aus ihrem specifischen Volum — bei unseren jetzigen
Kenntnissen über diesen Gegenstand — unzulässig, weil die ganze Betrachtung
dieses Gegenstandes und auch die der Berechnungsregel zu Grunde liegende Idee
nicht auf theoretische Anschauung begründet ist —
Ö H i
*) Die erstere: ' 4>0 z. B. die in neuester Zeit von Hamitzki beobachtete
Zersetzung des Aldehyds durch Phosgen (= GOClj), wobei das Chlorid:
OaH^Cl entsteht; die letztere die Bildung von Chloräthyliden = 62H4.CI3,
bei Einwirkung von Phosphoroxychlorid aal' Aldehyd etc. —
Specifisches Gewicht fltlBBiger Körper. 269
Fasst man Alles zusammen , was bis jetzt Ober die specifischen Ge- 457.
Wichte flüssiger Körper bekannt ist, so .sieht man, dass zwar thatsäch-
liche Beziehungen nachgewiesen, dass aber ein Gesetz noch nicht
erkannt ist
Eine Yergleichung der Moleculargewichte (Spalte 6 der Tabellen)
und auch der atomistischen Zusammensetzung mit den specifischen Vo-
lumen gestattet vielleicht schon jetzt Schlüsse auf die Natur der Materie
im flüssigen. Zustand, von welchen einige hier Platz finden mögen.
Dazu ist es geeignet, die specifischen Volume auf dieselbe Einheit zu bezie-
hen, auf welche man die Moleculargewichte bezieht, also auf Wasser =18*, (vgl.
Spalte 6 der Tabellen.)
Man findet:
1) Die specifischen Volume der verschiedenen Körper sind verschieden. Gleiche
Räume flössiger Körper enthalten also niclit gleich viel Molecttle.
2) Die specifischen Volume sind nicht gleich den Moleculargewichten *). Man
kann also nicht annehmen, das specifische Gewicht der Molecüle selbst sei
gleich, die Verschiedenheit der Moleculargewichte sei nur durch die verschie-
dene Grösse der MolecÜle* veranlasst und es sei gleichzeitig das Verhältniss
der Zwischenräume der Molec^e zu der Grösse der MolecÜle für sJle Körper
dasselbe.
8) Die specifischen Volume wachsen im Allgemeinen mit den Moleculargewich-
ten, wenn auch nicht in demselben Verhältniss. Man kann daraus schlies-
sen, dass der von den Molecülen vnrklich eriüllte Raum schon beträchtlich
gross ist im Verhältniss zu dem ganzen Raum, den die Flüssigkeit einnimmt
4) Für isomere Substanzen, also ftlr Körper, deren Moleculargewicht und deren
Zusammensetzung gleich ist, sind auch die specifischen Volume gleich **).,
Man kann demnach annehmen; für isomere Substanzen sei das specifische
Gewicht der MolecÜle selbst dasselbe; die Molecüle seien gleich gross und
stünden in gleichen Abständen.
5) Für polymere Körper ist das specifische Volum desjenigen Körpers, dem die
doppelte Molecularformel zukommt, doppelt so gross als das specifische
Volum des andern ***). (Z. B. Aldehyd mit Buttersäure und Essigsäure-
Aethyläther, Aceton uhd Buttersäure -Aethyläther, Valeraldid und Baldrian-
säure-Amyläther; dasselbe findet auch noch annähernd statt bei Körpern,
die nahezu polj^mer sind ; z. B. bei : Propionsäure und Oxalsäure- Aethyläther ;
Buttersäure und Bemsteinsäure- Aethyläther). Da bei diesen Körpern der
gleichen atomistischen Zusammensetzung der Molecüle wegen ein gleiches
spedfisches Gewicht der Molecüle wahrscheinlich ist, so scheint es, dass in
diesen Fällen wenigstens der Raum zwischen den Molecülen in demselben
Verhältniss wächst wie der vom Molecfil erfQUte Raum, so dass die Molecüle
bei dem einen Körper doppelt so gross sind als die Molecüle, und die Zwi-
*) Dies könnte nur der Fall sein , wenn alle Flüssigkeiten bei den Siedpunkten
dasselbe specifische Gewicht besässen.
**) Also auch die specifischen Gewichte bei den Siedpunkten«
***) Also sind die specifischen Gewichte bei den Siedpunkten gleich.
270 Physikalischer Theil.
schenrftume des einen doppelt so gross als die Zwischeuräume des andern
Körpers.
6) Da für homologe Körper, mögen die Moleculargewichte klein oder gross
sein, die Differenz der specifischen Volume fär dieselbe Differenz der Zu-
sammensetzung dieselbe bleibt, so scheint es, als stünden bei den derselben
homologen Reihe zugehörigen Körpern die Zwischenrfiunie zwischen den
Holecfilen in einem constanten Verhältniss zu ihrer Grösse.
7) Da Körper von gleichem Moleculargewicht aber verschiedenei' Zusammen-
Setzung sehr verschiedene specifische Volume besitzen und da meistens daß
specifiache Volam. dann kleiner ist, wenn die Verbindung Elemente von grös-
serem Atomgewicht enthält, (z. B. Ameisensäure < Alkohol, Propionsäure
< Aether, wasserfreie Essigsäure < Baldriansäure, Bichloräthylchlorid
< Cymol, etc.), so scheint es, als ob die Elemente von schwererem Atom-
gewicht in ihrer Substanz specifisch schwerer seien und so das speci tische
Gewicht des Molecüls grösser machten etc.
Alle diese Betrachtungen haben bis jetzt noch verhftltnissmässig we-
nig Werth, weil der Boden, auf welchem sie stehen, noch zu unsicher
ist Aber gerade das Mangelhafte und Unsichere der Yorstellungen , die
sich aus den bis jetzt erforschten Thatsachen herleiten lassen, zeigt deut-
lich, wie wichtig und wie verdienstlich alle experimentellen Forschungen
auf diesem Gebiete sind.
Specifisches Gewicht fester Körper.
458. Die specifischen Gewichte fester Körper sind yielfaeh Gegen-
stand der Untersuchung gewesen. Wie bei den flflssigen Substanzen, so
hat man auch bei den festen durch Yergleichung der specifischen Vo-
lume mit den Moleculargewichten und mit der chemischen Zusammen-
setzung eine Anzahl von Beziehungen mit Sicherheit aufgefunden. Alle
diese Untersuchungen erstrecken sich indessen ausschliesslich auf unorga-
nische Verbindungen; über die specifischen Volume fester organischer
Substanzen ist noch so gut wie Nichts bekannt
Die wichtigsten Regelmässigkeiten, die für die specifischen Volnmc fester un-
organischer Körper bis jetzt erkannt worden sind , sind die folgenden *) :
Die specifischen Volume fester Körper sind im Allgemeinen verschieden.
Selbst die specifischen Voiume der Elemente sind im Allgemeinen verschieden
und stehen nicht einmal in einfacher Beziehung. — Indessen finden sich
einige Gruppen von stets in chemischer Natur ähnlichen und meist in ihren
Verbindungen isomorphen Elementen, für welche das specifische Volum das-
selbe ist.
*) Vgl. Lehrbuch der physikalischen und tlkeoretJschen Chemie von Büff, Kopp
und Zamminer. S. 742 fft — fitere Untersuehiingen von H. Schiff in Annälen
der Chan. u. Pharm.: GVn. 64 und CVm. 21^ -^
SpedfiBches Gewicht fester Körper. 271
Die specifischen Volame der Verbindungen sind ebenfalls im Allgemeinen ver-
schieden. Auch hier finden eich Gruppen von Verbindungen, die annähernd
gleiches specifisches Volum zeigen. Diese Gruppen schliessen fast immer
chemisch analoge und analog zusammengesetzte, meistens auch noch iso-
morphe Körper ein.
Für diese letzteren findet ausserdem noch, wie Kopp*) gezeigt hat, eine
merkwürdige Beziehung zwischen specifischem Volum und Krystallform statt. Die
geringen Verschiedenheiten der annähernd gleichen specifischen Volume sind stets
von einer geringen Verschiedenheit in den Winkeln der sonst isomorphen Substan-
zen begleitet.
Endlich entspricht derselben Zusammensetzungsdifferenz häufig, aber nicht
immer dieselbe Differenz der specifischen Volume.
Da wie bei den Flüssigkeiten, so auch bei den festen Körpern, die specifi-
schen Gewichte derselben Substanz bei verschiedenen Temperaturen verschieden
sind, so müssten offenbar (und dadurch werden diese Untersuchungen wesentlich
erschwert) diejenigen specifischen Volume verglichen werden, welche die verschie-
denen Körper bei entsprechenden Temperaturen, etwa bei den Schmelzpunkten
zeigen.
Specifische Wärme.
Gleiche Mengen yerschiedener Körper nehmen bekannüich, um ihre 459.
Temperatur um gleichviel zu erhöhen, nicht gleich grosse Wärmemengen
auf und geben umgekehrt, um ihre Temperatur um eine gleiche Anzahl
von Graden zu erniedrigen, nicht gleiche Wärmemengen ab. Man be-
zeichnet diejenigen relativen Wärmemengen, die fttr verschiedene Körper
nötbig sind, um eine gleiche Temperaturerhöhung hervorzubringen, als
specifische Wärme.
Man vergleicht dabei gewöhnlich gleiche Gewichtsmengen* der verschie-
denen Körper und man bezeichnet mit specifischer Wärme diejenigen Wärmemen-
gen, welche nöthig sind, um gleiche Gewichtsmengen verschiedener Körper um
l^ Geis, zu erwärmen. Man drtickt dabei meistens die specifischen Wärmen durch
Zahlen aus, welche angeben, wieviel mal grösser die zur Erwärmung eines be-
stimmten Körpers, um 1® Gels, .verwendete Wärmemenge ist als diejenige, die das-
selbe Gewicht Wasser um 1^ Gels, erwärmt Man drückt also die specifischen
Wärmen durch Zahlen aus, für welche die specifische Wärme des Wassers = 1
angenommen wird.
Die Anzahl derjenigen Körper, deren specifische Wärmen durch den 460.
Versuch festgestellt sind , ist noch verhältnissmässig gering; ganz beson-
ders sind organische Verbindungen in Bezug auf specifische Wärme noch
scfhr wenig untersucht. — Die Resultate der bis jetzt ausgeführten Expe*
rimentaluntersuchungen deuten mit Sicherheit darauf hin, dass gesetz-
mässige Beziehungen zwischen der specifischen Wärme der Körper und
•) Annalen der Chem. u. Pharm. XXXVI. 1.
272 Physikalischer Theil.
ihrer chemischen Zusammensetzung, namentlich ihrem Moleculargewicht
stattfindet. Die diesen Beziehungen zu Grunde liegenden Gesetze sind
aber noch nicht mit Sicherheit ermittelt.
461. Bei den Elementen steht häufig die specifische Wärme im umge-
kehrten Verhältniss der Moleculai-gewichte. Diejenigen Mengen der ver-
schiedenen Elemente, die eine gleichgrosse Anzahl von Molecttlen ent-
halten, nehmen also, um ihre Temperatur um gleichviel Grade zu erhöhen,
häufig gleichgrosse Wärmemengen auf. — Gesetz von Dulong und Petit. —
Aber selbst für Elemente findet diese Beziehung nicht durchgehends statt;
bei Verbindungen zeigt sie sich nur in verhältnissmässig wenig Fällen
und dann innerhalb gewisser Gruppen von Verbindungen, die in chemi-
scher Hinsicht analoge Körper einschliessen *).
Specifische Wärme gasförmiger Körper.
402. I^ie folgende Tabelle entliält die specifischen Wärmen der gasför-
migen Körper so wie sie durch die Kxperimentaluntersuchungen von
Regnault festgestellt sind **J.
Der Inhalt der einzelneu Spalten der Tabelle i»t duich die Uebcrschrillen
und durch die nachfolgenden Bemerkungen verständlich.
Man vergleicht gewöhnlich die speciüschen Wäi'men gleicher Gewichtsmeugen
der verschiedenen Gase. Bisweilen die specüischen Wftrmen gleicher Volume, also
derjenigen Mengen der Gase, die eine gleiche Anzahl von MolectÜen enthalten.
Diese letzteren specifischen Wärmen werden bisweilen ab relative Wärmen be-
zeichnet
Die Zahlen, durch welche man die specifiüchen Wäi*men gewöhnlich aus-
drückt, beziehen sich auf diejenige eines gleichen Gewichts oder eines gleichen
Volums von Wasser = 1. Für manche Betrachtungen ist es zweckmässiger, so
wie dies in neuerer Zeit öfter vorgeschlagen wurde, die speciUsche Wärme eines
gleichen Gewichtes oder eines gleichen Volums Wasserstoff als £inheit zu
wählen.
^) Es ist hier nicht der Oil, auf diese ausschliesslich für unorganische Ver-
bindungen nachgewiesenen Beziehungen und auf die vielen störenden Ein-
flüsse, die das Studium dieser Beziehungen wesentlich erschweren, n&her
einzugehen. Man vgl. darüber: Buff, Kopp und Zamminer, Lehrbuch der
physikalischen und theoretischen Chemie. S. 766 ff.
**) Den kohlenstoffhaltigen Gasen sind eine Anzahl unorganischer beigefügt, so
dass die Tabelle alle Gase enthält, deren specifische Wärme bis jetzt bestimmt
ist mit Ausnahme des Stickoxyds, des Stickozyduls und der Chloride des
Phosphors, Arsens, Siliciums, Zinns und Titans.
SpedflBche Witrme gaofttrmigor Kiirper.
2fI3
1.
Mole-
cular-
wicht
2.
SpecWfirme -
f
gleiches
Volum
8.
- Wasser =1.
ir
gleiches
Gewicht
4.
Pro-
duct
aus:
1.8.
Spec.
Wassers
fi
gleiches
Volum.
Wärme
toffsl
ir
gleiches
Gewicht
7.
Quotient
aus 2 und
Holec
Gew.
Salzsäure
86.6
0.2302
0.1845
6.73
0.9771
0.0548
0.0458
Wasserstoff
2
0.2356
8.4046
6.81
1.0000
1.0000
1.0000
Stickstoff
28
0.2870
0.2440
6.88
1.0057
0.0717
0.0714
Kohlenozyd
28
0.2899
0.2479
6.94
1.0182
0.0656
0.0714
Sauerstoff
82
0.2412
0.2182
6.98
1.0287
0.0641
0.0626
Schwefelwasser-
stoff
84
0.2886
0.2428
8.24
1.2260
0.0712
0.0588
Wasser
18
0^2950
0.4750
8.56
1.2521
0.1895
0.1111
Chlor
71
0.2962
0.1214
8.62
1.2572
0.0857
0.0282
Brom
160
0.2992
0.0552
8.88
1.2700
0.0162
0.0128
Ammoniak
17
0.2994
0.5080
8.64
1.2708
0.1492
0.1471
Sumpfgas
16
0.8277
0.5929
9.49
1.8909
0.1741
0.1250
Kohlensäure
44
0.8808
0.2164
9.62
1.4041
0.0636
0.0465
Elayl
28
0.8572
0.8694
10.34
1.5161
0.1085
1.0714
Schwefelkohlen-
stoff
76
0.4146
0.1575
11.97
1.7597
0.0463
0.0268
Chloräthyl
64.5
0.6117
0.2787
17.65
2.6965
0.0804
0.0810
Bromäthyl
109
0.6777
0.1816
19.79
2.8766
0.0533
0.0184
Alkohol
46
0.7171
0.4518
20.76
8.0487
0.1825
0.0484
Elaylchlorid
99
0.7911
0.2293
22.70
8.8580
0.0674
0.0202
Cyanäthyl
55
0.8298
0.4255
23.40
8.6201
0.1249
0.0364
Chloroform
119.6
0.8810
0.1568
18.74
3.5273
0.0461
0.0167
Aceton
68
0.8841
0.4126
23.92
8.6406
0.1212
0.0345
Benzol
78
1.0114
0.3754
29.28
4.2980
0.1101
0.0256
Essigäther
88
1.2184
0.4008
85.27
5.1717
0.1177
0.0227
Aether
74
1.2296
0.4810
36.69
6.2190
0.1418
0.0270
Schwefeläthyl
90
1.2568
0.4005
86.05
6.3847
0.1176
0.0222
Terpentinöl
186
2.8776
0.6061
68.68
10.0910
0.1487
0.0147
Kek«U| OT|U. CliMü..
18
274 Phy«ikaliÄcher ThdlL
4$^ Die Tabelle zeigt deatMeh, dsM die specifischen Wannen der ▼erseliiedeiieii
Qftse nicht gleich gross sind, weder wenn man auf gleiches Gewicht bezieht (Spec.
Wärme > Spalte 3 und 6), noch wenn man auf gleiche Volume bezieht (Relative
Wärme, Spalte 2 und 5). — Sie zeigt ebenso, dass die specifischen Wärmen nicht
in einfacher Beziehung stehen zu den Moleculargewichten. W&ren, wie dies das
Gesetz von Dulong und Petit ^) annimmt, die specifischen Wärmen gleich für die
Mengen, die eine gleiche Anzahl von Ifolecülen enthalten, so müsste das Product
aus dem Moleculargewicht in die specifische Wärme für alle Gase gleich sein oder
es müssten, da bei Gasen eine gleich grosse Anzahl von Molecülen gleichen Räu-
men entspricht, die relativen Wärmen (specifische Wärme für gleiche Volume)
gleich sein. -* Die Tabelle zeigt, dass dies nicht oder nur ausnahmsweise der
FaU ist . .
Statt die specifischen Wärmen auszudrücken durch Zahlen, für welche die
specifische Wärme' des Wassers als 1 angenommen ist, kann man — und es ist
dies für manche Betrachtungen zweckmässiger — die specifische Wärme des Was-
serstoffs als Einheit nehmen. Die Spalte 6 enthält die specifischen Wärmen glei-
.... eher Gewichte bezogen auf die des Wasserstoffs = 1 ; die Spalte 5 die specifischen
Wärmen gleicher Volume (relative Wärmen), bezogen auf die des Wasserstoffes
= 1. Wäre das Gesetz von Dulong und Petit auf alle Gase anwendbar, so müss-
ten die Zahlen der Spalte 5 (die relativen Wärmen) alle gleich gross, alle = 1
sein und man müsste die specifischen Wärmen (Spalte 6) erhalten, wenn man mit
den Moleculargewichten in 2 dividirt; die Spalte 7 zeigt, dass dieser Quotient meist
von den specifischen Wärmen (Spalte 7) stark abweicht.
464. Eine einfache Betrachtung zeigt indessen, dass so allgemeine Regelmässig-
keiten nicht wohl stattfinden können und dass überhaupt auch nur einigermassen
einfache Beziehungen zwischen specitischer Wärme und Moleculargewicht nicht
■wohl zu erwarten sind. Bei diesen Beti'achtungen wird unter specifischer Wärme
stets die specifische Wärme derjenigen Volume verstanden, die eine gleich grosse
Anzahl von Molecülen enthalten, also bei gasförmigen Körpern die specifische
Wärme gleicher Volume.
Die specifische Wärme ist die Gesammtwärmemenge , die der Volumeinheit
eines Gases zugeführt werden muss, um die Temperatur um l^ zu erhöhen. .Von
dieser Gesammtwärmemenge wird aber nur ein Theil verwendet, um diejenige Be-
wegung der Molecüle (etwa die geradlinig fortschreitende), die sich als Temperatur
äussert, zu vergrössem; also um eine bestimmte Temperaturerhöhung hervorzu-
bringen. Dieser Theil der verwendeten Wärmemenge ist aller Wahrscheinlichkeit
nach für alle Gase gleich gross und völlig unabhängig vom Moleculargewicht
Gleichzeitig wird ein anderer Theil der zugeführten Gesammtwärmemenge von den
Molecülen gewissermassen verschluckt, er leistet Arbeit* innerhalb der Molecüle,
aber diese kommt nicht als Temperaturerhöhung zur Wirkung. Dass dies der Fall
ist, beweist schon der Umstand, dass die specifischen Wärmen für verschiedene
Gase verschieden sind; aber es ergibt sich ausserdem aus der Betrachtung. Zu-
nächst zeigt eine mechanische Betrachtung, dass neben der fortschreitenden Bewe-
gung der Molecüle noch eine rotirende stattfinden muss , die sich mit der Vermeh-
rung der fortschreitenden ebenfalls vergrössert; so dass also, um diese Arbeit zU
*) Dieses Gesetz bezieht sich eigentlich nur auf die specifische Wärme der
Elemente vgl. §. 461.
Specifische. Warnte gfa»f5rmiger Körper. 275
verrichtieii, ein gewisser, wenn auch geringer Theil der zngeführten Gesammt'
Wärmemenge verwendet wird. — Man muss aber ausserdem noch eine (etwa
schwingende) Bewegung der Atome im Moleeül annehmen, die ebenfalls durch die
W^mezofuhr vergrössert wird und so einen, wie es scheint, bei vielen Körpern
beträchtlichen Antheil der zugeführten Wärmemenge verzehrt. Zur Annahme einer
solchen Bewegung der Atome im Moleeül und ihrer Yergrösserung durch Wtfrme-
xufuhr führt unter anderem auch die Thatsache, dass durch Temperaturerhöhung
chemische Metamorphosen eingeleitet werden. Indem nämlich die Schwingungen
der Atome im Moleeül durch Wfirmezufuhr fortwährend grösser werden, über-
schreiten sie endlich die Grenze der chemischen Anziehung der Atome; das Mole-
eül befindet sich im Zustand chemischer Zersetzung', seine Atome treten mit Ato-
men, die einem andern Moleeül angehört hatten^ zu neuen Molecülen zusammen,
in welchen sich die Atome wieder in gegenseitig abhängiger Bewegung befinden;
dabei entstehen natürlich immer Molecüle, innerhalb welcher die Schwingungen d^
Atome die Grenze ihrer chemischen Anziehung nicht überschreiten, d. h. es ent-
stehen Körper, die in den gegebenen Temperaturbedingungen beständig sind *).
Würde alle zugefülirte Wärme nur zur Beschleunigung derjenigen Moleeular-
bewegung verwendet, die sich als Temperatur äussert, so müssten für alle Gase
jfleiche Wärmemengen gleichen Effect hervorbringen, die specifischen Wärmen müss-
ten also gleich gross und ausserdem verhältniäsmässig klein sein.
Würde umgekehrt die Gcsammtmenge der zugeführten Wärme zur Vermeh-
rung der im Moleeül stattfindenden Bewegungen verwendet, so würden die Körper
beliebig viel Wärme verschlucken können, ohne ihre Temperatur zu erhöhen.
Da aber die zugeführte Wärme gleichzeitig zu verschiedenen Zwecken ver-
wendet wird, so ist es einleuchtend, dass dieselbe Wärmemenge, bei verschiede-
nen Gasen nur dann dieselbe Temperaturerhöhung hervorbringen kann, wenn der
*) Man vergleiche die §. 234 gegebene Vorstellung über den Vorgang bei che-
mischen Metamorphosen, die von den Bewegungen der Atome absieht und,
was für chemische Zwecke vorerst genügend ist, diesen Vorgang statisch
auffasst.
Es ist eine nothwendige Folge der diesen Betrachtungen zu Grunde lie-
genden Vorstellung, dass die bei solchen Metamorphosen innerhalb der neu
entstehenden Molecüle thätige Wärme kleiner ist, als der im Moment der
Zersetzung innerhalb der vorhandenen Molecüle thätige Wärmevorrath. Bei
allen solchen Metamorphosen muss also Wärme frei werden, d. h. es muss
Wärme, die vorher die Atome innerhalb der Molecüle in Bewegung setzte,
auf die Bewegungen der Molecüle selbst beschleunigend einwirken.
Würde eine solche Metamorphose durch die ganze Gaemasse momentan .
eintreten, so würde in diesem Moment die Gcsammtmenge der im Gas vor-
handenen Wärme als freie Wärme zui* Wirkung kommen, d. h. der Ge-
sammtwärmevorrath würde als Tension und gleichzeitig als Temperatur-
erhöhung messbar werden. Im Moment nach der Zersetzung wird ein grosser
Theil der Gesammtwärmemenge wieder auf Bewegung der Atome in den Molecülen
verwendet, die Tension und die Temperatur also momentan wieder vermin-
dert. Bei Explosion von Gasgemengen wird dies annähernd erreicht und
ihre Wirkung ist daher um so grösser, je mehr sich die Zersetzung einer
ideal -momentanen (einer vollkommenen Explosion) nähert.
18»
276 PhjBikalisdier TheiL
ftlr die Bewegrang innerhalb ' der tfolecüle verwendete Antheil gleich gross ist Die
spedfiflche Wärme kann also nur dann gleich oder annjihemd gleich sein, wenn
die zur Beschleunigung der Atombewegungen im Holecüle verwendete Wärme-
menge gleich gross ist. Eine Gleichheit dieses gewissermassen chemisch wirken-
den Wärmeantheils ist nun wahrscheinlich: bei chemisch ähnlichen Körpern, das
heisst bei solchen, deren Molecüle gleiche atomistische Zusammensetzung zeigen.
Unter der leider noch sehr gelingen Anzahl von Körpern, deren specifische Wärme
durch den Versuch festgestellt ist, sind einige, die dieser Ansicht als Stütze dienen
können. So sind z. B. die specifischen Wärmen annähernd gleich für: Wasser und
Schwefelwasserstoff, für Aetiier und Schwefeläthyl, für Chloräthyl und Bromfithyl,
für Chlor und Brom. — Für diese Körper ist also das Gesetz von Dulong und
Petit gültig; und die eben gegebene Vorstellung drückt, wenn anders die ihr zu
Grunde liegende Vorstellung über die Natur der Wärme richtig ist, die Bedingun-
gen aus, unter welchen dieses Gesetz überhaupt stattfinden kann.
4^5^ ' Es mag jetzt schon beigefügt werden, dass dies nicht nur für gasförmige,
sondern auch für flüssige und feste Körper die Bedingungen sind, unter welchen
das Dulong -Petit'sche Gesetz richtig ist. Nur darf man dann nicht die specifischen
Wärmen gleicher Volume vergleichen, man muss vielmehr die specifischen Mole-
cularwärmen, das heisst die specifischen Wärmen derjenigen relativen Volume ver-
gleichen, die eine gleich grosse Anzahl von Molccülen enthalten, also etwa die
Producte aus den Moleculargewichten in die specifischen Wärmen gleicher Gewichte.
466. Kach den im Vorhergehen den gegebenen Betrachtungen ist es klar,
dass die verscfaiedeuen Versuche, gesetzmässige Beziehungen zwischen
der specifischen Wärme und der atomistischen Zusammensetzung aufzu-
finden, selbst für gasförmige Körper zu keinem Resultat führen konnten.
Die von Boedeker*) auf solche Versuche begründete Regel zur Berechnung
der specifischen Wärme gasförmiger Körper aus ihrer liolecularformel und zur Ab-
leitung der Molecularformel aus der specifisdien Wärme kann desshalb, sammt der
von H. Schiff •♦) vorgeschlagenen Modification hier übergangen werden. Um so
mehr da die nach beiden Regeln berechneten specifischen Wärmen, selbst für
manche der genau untersuchten Substanzen nur wenig mit den durch den Versuch
festgestellten übereinstimmen und da beide Regeln auf völlig willkürliche Grund-
lagen basirt sind.
Specifische Wärme flüssiger Körper.
467. Die specifischen Wärmen flüssiger organischer Verbindungen sind
noch wenig Gegenstand der Untersuchungen gewesen.
Die folgende Tabelle enthält die specifischen Wärmen der bis jetzt
untersuchten Verbindungen; zum grössten Theil nach Bestimmungen von
Kopp.
•) vgl liebig's Jahresbericht 1867. II. 47.
*^) Liebig's Jahresbericht 1857. U. 48,
Spedfische Wflnne fiflssiger Körper.
2T7
tfolecnlar-
gewicht
Spcc. Wftrme
gleicher Ge-
Wichte.
Prodnct
Wasser
18
1.000
18.00
HolzgeiBt
82
0.646
20.64
Ameisensfiitre
46
0.686
24.66
Alkohol
46
0.616
28.29
Essigsfture
60
0.609
80.64
Aceton
68
0.530
80.74
Benzol
78
0.460
86.10
Aether
74
0.467 •)
87.22
Essigsäore-Meäiylftther
74
0.607
87.62
äther
74
0.618
87.96
Senföl
99
0.482
42.77
Essigsäure-Aethjlftther
88
a496
48.66
Buttersfture
88
0.608
44.26
Amylalkohol
88
0.664
49.68
BatterBänre-Hethyläther
102
0.487
49.67
Baldriansänre - Hethyl-
ftther
116
0.491
66.96
Terpentinöl
186
0.467 •)
6861
Ozals&nre-Aethyl&ther
146
0.467«)
66.72
AeÜial
242
0.606*)
122.45
Eine VergleichuDg der Producte, die man durch Hultiplication der
specifischen Wärmen mit den Moleculargewichten erhält und die nichts
anderes ausdrücken als die specifischen Wärmen derjenigen relativen
Mengen der verschiedenen Flüssigkeiten, die eine gleiche Anzahl von
Holecülen enthalten, zeigt, dass die specifischen Wärmen der Molecüle
(d. h. einer gleich grossen Anzahl von Molecülen) im Allgemeinen mit
dem Molecularge wicht wachsen ***), wenn auch in weniger rasch zuneh-
mendem Vcrhähniss. Man sieht ferner, dass die specifischen Wärmen
der Molecüle annähernd gleich sind für metamere Körper und bisweilen
*) Bestimmungen von Favre und Silbermaan.
**) Bestimmt von Andrews.
***) Für gasförmige Körper ist dies nicht der Fall, vgl Seite 278.
278 PhyBikaÜBdier THieil. - ^
auch für Körper die, ohne metamer zu sein, gleiches Moleenlargewicht
besitzen.
Die Zahl der untersuchten Substanzen, unter welchen zudem noch
verhältnissmässig viel chemisch ähnliche Körper sind, ist zu gering, um
weitere Schlüsse zu gestatten.
Specifische Wärme fester Körper.
468. üeber die specifischen Wärmen fester organischer Verbindungen
liegen bis jetzt keine Experimentaluntersuchungen vor *).
Ausdehnung durch Wärme.
469. Die Versuche, welche bis jetzt über die Ausdehnung kohlenstoff-
haltiger Gase angestellt worden sind, haben gezeigt, dass sich diese
organischen Gase im Allgemeinen ebenso verhalten, wie die unorgani-
schen. Wie für diese, so ist auch bei den organischen Gasen, wenig-
stens innerhalb der Temperaturgrenzen, für welche Beobachtungen vor-
liegen, die Ausdehnung proportional der Temperaturerhöhung. Der Au s-
dehnungscoefficient ist also für alle Temperaturen derselbe; und
man erhält mithin das Volum (V), welches die Volumeinheit eines Gases
bei t^ einnimmt, aus der Formel:
V = 1 + a . t»
worin a den ans den Versuchen herzuleitenden Ausdehnungscoefficienten
bedeutet.
Aus den Versuchen von Regnaalt leiten sich die folgenden Ausdehnungs-
coefficienten ab.
Bei constantem Bei constantem
Volum. Druck.
Wasserstoff 0.3667 0.3661
Luft 0.8665 0.3670
Stickstoff 0.3668 —
Stickoxydul 0.3678 0.8719
Schweflige Säure . . . 0.3845 0.3903
Kohlenoxyd 0.3667 0.3669
Kohlensäure 0.3688 08710
Cyangas 0.3829 0 3877.
Man sieht daraus^ dass die Ausdehnungscoefficienten der permanenten Gase
fast vollständig gleich sind, dass dagegen diejenigen Gase^ welche durch Druck
oder Kälte am leichtesten verdichtet werden, eine stärkere Ausdehnung zeigen.
Es scheint sehr wahrscheinlich, dass diese Verschiedenheit daher rührt, dass bei
allen Versuchen die innere W^and der GetUsse eine gewisse Gasmenge an ihrer
^) In Betreff der specifischen Wärmen unorganischer Verbindungen vgl. §. 461.
Ausdehnung durch Wärme. 279
Oberfläche rerdiehtel, die um so grösser ist, Je leichter das Gas in den tröpfbar-
flüssigen Zustand ttbergeftihrt werden kann und je mehr die Versuchstemperatur
sich der Temperatur nähert, bei welcher dieser üebergang stattfindet
Die Ausdehnung der Dämpfe, d. h. deijenigen Körper im Gaszustand, die 470.
bei gewöhnlicher Temperatur tropfbarflüssig oder fest sind , ist noch nicht Gegen-
stand ausführlicher Experimcntaluntersuchungen gewesen. Es ist höchst wahr-
scheinlich, dass sich die Dämpfe, wenigstens bei Temperaturen, die hinlänglich weit
vom Siedpunkt abstehen, genau so verhalten wie die Gase. Dies ergibt sich schon
daraus, dass die Dämpfe, wenn erst eine bestimmte und hinlänglich weit vom Sied-
punkt abstehende Temperatur erreicht ist, ein constantes spedfisches Gewicht •
zeigen (§. 88).
Dieses einlache Verhalten, welches die Gase in Bezug auf Ausdehnung durch 471.
Wärme zeigen, ist von grosser Wichtigkeit fUr die gosometriscbe Analyse (§. 42);
es gestattet die Beobachtungen bei beliebigen Temperaturen auszuftlhren und die
bei den verschiedenen Temperataren direct gemessenen Gasvolumina ^ naeh der
Messung, auf eine und dieselbe Temperatur zu redudren.
, Ebenso erleichtert die gleichmässige Ausdehnung der Dämpfe wesentlich die
Bestimmung der Dampfdichten und die Vergldchung der specifischen Gewichte
verschiedener Dämpfe. Man kann die Bestimmung der Dampfdichte bd bdiebigen,
wenn nur hinlänglich hohen Temperaturen ($ 82) ausführen und dann entweder
mit dem gkichgrossen und auf die Temperatur des Dampfes redudrten Luftvolu-
men vergleichen oder man kann umgekehrt das Volum des Dampfes auf Normal*
temperatnr reduciren und mit Lull von dersdben Temperatur vergldchen.
Bei allen diesen Reductionen macht man gewöhnlich die, mit den Versndwn
annähernd, wenn auch nicht vollständig übereinstimmende Annahme, alle Gase
und Dämpfe besässen densdben Ausdehnungscoeffident (0,00866).
Es ist einleuchtend, dass bei allen Betrachtungen über die spedfischen Ge-
wichte gasförmiger Körper (§§ 896 ff.) die relativen Gewichte gemeint sind, welche
gleiche Volume der verschiedenen Gase bei derselben Temperatur besitzen.
Wenn, wie man dies bei Betrachtung und Berechnung annimmt, alle Gase sich
gldchmässig ausdehnen und wenn diese Ausdehnung nach demselben Coeffidenten
erfolgt, so sind natürlich die spedfischen Gewichte bei allen Temperaturen diese]^
ben ; aber man darf nicht aus dem Auge verlieren , dass die spedfischen Gewichte
die Verhältnisse sind , welche zwischen den absoluten Gewichten gldcher Volume
bd derselben Temperatur und demselben Druck stattfinden.
Für Flüssigkeiten und namentlich für flüssige organische Yer- 472.
bindungen ist die Ausdehnang durch Wärme vielfach durch Experimente
bestimmt worden*), aber es ist bis jetzt nicht möglich gewesen, irgend
ein Gesetz oder irgend welche Beziehungen zu anderen Eigenschaften
aufzufinden.
Man kann die durch den Versuch für verschiedene Temperaturen geftmdef-
nen Volumina einer Flüssigkeit durch empirische Interpolationsformeln ausdrücken.
Solche Formeln fassen die Resultate der Versuche in einem kurzen Ausdrude zu-
sammen; und man kann aus ihnen für alle Temperaturen, wdche innerhalb der
*) V^. besonders; EL Kopp. Ann. Chem. Pharm. XCIV.2Ö7; XCV.807; XCVIU.
967 j lieb. Jahresber. 1855. S. 88 j 1866. S. 60, .
280 PhyBikalischer TheQ.
Grenzen Hegen ^ für welche die Yersnohe angestellt Bind, das zugehörige Yolam
herleiten; aber sie sind streng genommen nur innerhalb dieser Grenzen gültig.
Sind die Bestimmungen bis zur Temperaturen, die dem Siedpunkt nahe liegen, aus-
geführt worden, so kann man, ohne allzugrossen Fehler, die Formel über die Ver-
suchsgrenzen hinaus, also zur Berechnung des Volums einer Flüssigkeit bei ihrem
Siedpunkt anwenden. Man kann also für alle Flüssigkeiten, für welche die Aus-
dehnung bis zu hinlänglich hohen Temperaturen bestimmt wurde, das Volum und
folglich das spedfische Gewicht beim Siedpunkt herleiten und dieses dann zur Ab-
leitung des spedfischen Volums benutzen. (§. 485.)
478. Der Sinn der Formeln, durch welche man die Ausdehnung der Flüssigkei-
ten durch Wärme ausdrückt, ist leicht verständlich.
Wäre für die Flüssigkeiten, so wie dies bei den Gasen der Fall ist, die Aus-
dehnung durch die Wärme gleichmässig, d. h., wäre die Volumvergrösserung der
Temperaturerhöhung proportional , so würde das Volum bei irgend einer Tempe-
ratur ausgedrückt durch die Formel:
V = 1 + a . t
So wird z. B. die Ausdehnung des Quecksilbers innerhalb der Grenzen 0^ — 100*
annähernd ausgedrückt durch die Formel:
V = 1 + 0,00018163 . t
Da aber in den meisten Fällen die Volumvergrösserung der Temperatur-
erhöhung nicht proportional ist, da vielmehr die Ausdehnung mit der Temperatur
wächst, so muss man noch ein weiteres Glied der B«ihe berücksichtigen. Man
findet das Volum (V) bei t® aus:
V = 1 + a . t + b . t>
wo a und b aus den Versuchen abzuleitende Coeffidenten sind.
So wird z. B. die Ausdehnung des Quecksilbers zwischen 0^ und 850* aus-
gedrückt durch die Formel:
V = 1 4- 0,000179007 . t 4- 0,0000000252816 t^
In den meisten Fällen übt auch die dritte Potenz von t noch einen bemerk-
baren Sinfluss aus und muss in die Formel aufgenommen werden *). Man hat:
V=:l + a.t + b.t« + c.t».
So werden z. B. die für den Amylalkohol zwischen 0* und 128^,7 beobach-
teten Volumina ausgedrückt durch die Formel:
V = 1 + 0,0009724 t + 0,00000086661 t» + 0,000000020218 t*.
Ebenso gestattet die Formel:
V = 1 4- 0,00106703 t 4- 0,00000018323 t» 4. 0,0000000096436 t^
das Volum der Essigsäure ftir alle Temperaturen herzuleiten, die innerhalb der
Grenzen liegen, für welche die Volume durch Versuche bestimmt sind (17,^7 — 109,^).
*) Die durch Temperaturerhöhung veranlassten Volumzunahmen organischer
Flüssigkdten können also nicht durch eine grade Linie (V = 1 4* & • 0>
ebenso wenig durch eine Curve zweiten Grades (V = 1 4~ ^ • ^ 4* ^ • ^'}
ausgedrückt werden; sie werden aber hinlänglich genau durch eine Curve
dritten Grades wiedergegeben.
Ansdehnnng durch Wttnne. 281
Setxt man in die Formel des AmylalkoliolB t = 1S1*,6 (Siedpunkt) und in
die der Kssigsänre t = 117*,3; so erhält man dasVolam, welches diejenige Menge
der betreffenden Substanz, die bei 0^ die Volumeinheit erfüllt, beim Siedpunkt ein-
nimmt. Aus dem so gefundenen Volum der Flüssigkeit beim Siedpunkt und dem
bei irgend einer Temperatur bestimmten spedfischen Gewicht berechnet sich dann
leicht das spedfische Gewicht der Flüssigkeit beim Siedpunkt. Der Quotient aus
diesem specifischen Gewicht in das Moleculargewicht gibt das specifische Volum.
($. 485.)
Fflr feste Körper liegen noch verh&ItnisBmftssig wenig Experi- 474.
mentalbestiminaDgen vor; organische Körper namentlich sind noch so gut
wie nicht untersucht Für diese wenigen hat man gefunden *) , dass, wie
bei den unorganischen, die Ausdehnung mit steigender Temperatur und
ganz besonders in der Nähe des Schmelzpunktes zunimmt, abgesehen von
der jähen Yolumvergrösserung, welche die meisten Körper im Moment
des üebergangs in den flüssigen Zustand erfahren.
Physikalische Erscheinimgen bei Veränderung des Aggregat-
zustandes.
Der Uebergang der Körper von einem Aggregatzustand in den an- 476.
dern erfolgt bekanntlich, bei sonst gleichen Bedingungen, bei für die
verschiedenen Körper yersohiedenen, für jede Substanz aber gleichen Tem-
peraturen. Siedpunkt; Schmelzpunkt. ($$. 84, 87.) Der Druck,
unter welchem sich die Substanz befindet, übt sowohl auf Siedetempera-
tur als auf Schmelzpunkt einen beträchtlichen Einfiuss aus.
Wenn durch Wärmezufuhr ein fester Körper in den flüssigen Zu-
stand, oder eine Flüssigkeit in Dampf übergeführt wird, so bleibt wäh-
rend der ganzen Dauer der Aenderung des Aggregatzustandes die Tem-
peratur constant
Die zugeführte Wärme wird nicht als Temperaturerhöhung messbar,
sie wird zur Veränderung der Molecularbeschaffenheit, gewissermassen
zur Ueberwindung eines Widerstandes, verwendet (Latente Wärme;
Schmelzwärme, Yerdampfungs wärme.)
Die Siedepunkte organischer Flüssigkeiten stehen in vielen Fällen, 476.
namentlich wenn man nur chemisch ähnliche Körper mit einander ver-
gleicht, in einfacher Beziehung zur chemischen Zusammensetzung. Der-
selben Zusammensetzungsdifferenz entspricht häufig dieselbe Differenz der
Siedpunkte.
*) H. Kopp. Ann. Chem. Pharm. XCIII. 129. lieb. Jahresb. 1855. S. 89.
282 Physikalischer Theil.
H. Kopp*) machte znerst (1842) darauf anftnerksam , dass die Siedpnnkte
einer Anzahl analoger Verbindungen in einfacher Beziehung stehen. Er zeigte,
1) der Siedpunkt einer Aethylverbindung um 18*^ höher liegt, als der der ent-
sprechenden Methylverbindung-, dass femer:
2) der Siedpunkt eines Säurehydrats um 45® höher liegt, als der der entspre^
chenden Aethylverbindung imd um 63* höher als der der Hethylvffl'bindung.
Schiel**) dehnte (1842) diese Betrachtung zuerst auf Reihen aus, indem
er zeigte, dass innerhalb der ersten von ihm gegebenen homologen Reihe (§. 142)
fär die Zusammensetzungsdifferenz C3H2 eine Siedepunktsdifferenz von 18^ statt-
habe.
Kopp***) stellte dann (1844) die Siedepunkte einer grossen Anzahl orga-
nischer Substanzen zusammen und wies nach, dass bei der Hehrzahl der damals
untersuchten Substanzen die von ihm aufgefundene Siedepnnktsregelmfissigkeit
statthabe; dass sehr häufig bei analogen Substanzen der Zusammensetzungsdiffe-
renz + n.CQHa eine Differenz von + n.l9^ im Siedepunkt entspreche.
Da sich die Beispiele zu dieser Regelmässigkeit stets mehrten, so waren
die meisten Chemiker geneigt, sie für ein allgemein gültiges Gesetz zu halten.
Indessen mehrten sich auch fortwährend die Ausnahmen und eine Vergleichung
der zahlreichen Siedepunktsbestimmungen, die in den letzten Jahren (zum grossen
Theil nach genaueren Methoden §§. 85. 86.) ausgeffihrt wurden , ftthrten Kopp f )
1855 zu dem Schluss:
Bei homologen Verbindungen zeigt sich im Allgemeinen die Siedepunkta-
differenz der Zusammensetzungsdifferenz proportional.
In sehr vielen homologen Reihen entspricht der ZusammensetBungs-
differenz OH, die Siedepunktsdifferenz 19®. — In andern homologen Krä-
hen dagegen ist die Siedepunktsdifferenz bestimmt grösser^ in noch
andern bestimmt kleiner.
In neuester Zeit hat man sogar homologe Substanzen aufgefunden, bei welchen
der Siedpunkt mit dem Wachsen der Formel um n.OH, nicht steigt, sondern viel-
mehr sinkt (S. 285.)
477. Im Nachfolgenden sind als Beispiele die Siedpunkte einiger Reihen homolo-
ger Substanzen zusammengestellt
Aus den von Kopp 1844 gegebenen Regeln:
1) die homologen Alkohole OnHinO zeigen die Siedepunktsdifferenz n.l9*;
2) der Siedepunkt einer Säure 6nH2n0i liegt um 40® höher als der des ent-
sprechenden Alkohols OnH2n4-20;
3) Eine Aetherart O0H211O2 siedet um 82® niedriger als die isomere Säure
berechnen sich, wenn man von dem Siedpunkt des Weingeistes = 78* aasgeht,
die folgenden theoretischen Siedpunkte:
*) Ann. Chem. Pharm. XLI. 86.
*•) ibid. XLllI. 107.
*••) ibid. L 128.
f) ibid. XCVI. 2. (enthält auch historische Notizen). — Neuere Abhandlungen
Kopp's über Siedepunkte: Ann. Chem. Pharm. XCVI. 380. XCVIIL 267;
367.
Siedepnnktl
283
Alkohole.
Theor.
Siedpunkt.
Säuren.
Theor.
Siedpunkt.
Aetherarten.
Theor.
Siedpunkt.
eH4 0
69«
eH, Oa
99«
—
e^H^e
78«
^a^4 ^2
118«
O2H4 O2
36»
eaHsO
97«
O3H, ^2
187®
63H, O2
55«
€4H,qO
116»
0,iHg 02
156»
64H, Oj
740
O5H120
l»ö«
^5^10^2
175<>
Os^io^j
93»
6,H,40
164*
^•^12^2
194«
^6^12^2
112«
6,Hi,0
173»
0,H,402
213«
€,Hi|02
131«
^8^11^
192»
6gHi^02
232»
^8^1402
160«
OjHjo^
211»
^9^18^2
251«
6»Hn02
169»
Die folgende Tabelle gestattet die durch Beobachtung gefundenen SiedpHAkte
mit den theoretischen Siedpunkten zu vergleichen.
Siedpnnkte
von
Alkohol.
Aetherart mit
Säure.
Methyl
Aethyl
Propyl
Butyl
Amyl
e
Methyl
600
Ameisens.
1000
330
660
gegen
1000
1140
€2
^4
Aethyl
Propyl
Butyl
780
960
1090
Essigsäure
Propionsäure
Buttersäure
1170
1410
1560
660
950
740
960
1140
900
1300
1140
1330
1660
1730
ö»
Amyl
1320
BaldrianB.
1760
1160
1380
1880
Caproyl
Capryl
1540
Capronsäure
Oenanthyls.
Caprylsäure
Pelargons.
1980
2120
2360
2600
1620
2160
2110
Die Vergleichung zeigt, dass die beobachteten Siedepunkte annähernd mit
den theoretischen übereinstimmen; dass also innerhalb der homologen Reihe: Al-
kohole OnH2a-}-20, innerhalb der Reihe: S<^nren = GnU.2n^2 ^^^^ ebenso für die
Aethef dieser S^iuren und Alkohole die Differenz =; 190 statthat. Daraus er-
gibt sich natürlich: dass die Differenz des Siedepunkts einer Säure von dem des
Alkohols von gleichviel Kohlenstoff stets dieselbe und dass ebenso die Differenz
des Siedepunkts einer Aetherart vom Siedpunkt der isomeren Säure immer die-
selbe ist. (§. 477. Nr. 8.)
Man sieht femer, dass die isomeren Aetherarten gleiche Siedpunkte besitzen.
Da aber dieselben Aether andere Siedpunkte zeigen wie die ihnen isomeren Säuren,
284
Physikalischer Thdl.
so kann man nicht allgemein allen isomeren Verbindungen gleiche Siedponkte zn-
schrdben, man moss yielmehr die Einschränknng machen: isomere Verbindungen
▼on völlig analoger Constitation zeigen gleiche Siedpunkte, isomere Verbindun-
gen von nicht völlig analoger rationeller Formel dagegen verschiedene Siedpunkte.
Aehnliche Beziehungen der Siedpunkte, wie die oben erwfthnten seigen
sich noch in mehren Fällen; z. B.: bei Benzylalkohol , Benzoesfture und den
Aethem der Benzoesäure; bei Zimmtsäure und ihren Aethem; anter anderen auch
bei den Aethem der Salpetersäure:
Salpeters. Methyl
Salpeters. Aethyl
Siedpunkt
berechnet beobachtet
66* 66*
Bö« 85«
Salpeters. Butyl ....
Salpeters. Amyl . . .
Femer bei:
Acetylchlorid = 6aH,0a — 66»
Butyrylchlorid = 6^001 — 96*
128« gegen 180*
142* 137— 148*
Aethylenchlorid := ^Ji^Ci^ — 66*
Propylenchlorid = e^H^a, — 104*
Butylenchlorid = O^HgCla — 128*.
In vielen Fällen ist die Siedepunktsdifferenz für n.6H, bestimmt grösser
als n.l9*; z. B.:
Benzol == 0, H« — 80*,8
Toluol = 6, H, — 103*,7
Xylol = e, Hio — 126«,2
Cumol = e. Hia — 148*,4
Cymol = €,oHi4 — 170*,7
Differenz = 22^5
Aethyl-Butyl = O, Hj^ — 62*
Methyl-Caproyl = O, H,, — 82*
Aethyl-Amyl = 0^ Hjg — 88*
Butyl = e, H„ — 106*
Butyl-Amyl = 6, H,o — 182«
Amyl = eioHjj — 158*
Butyl-Caproyl = OioHas — 155*
Caproyl = OnHa» — 202*
Differenz = 20* — 26*
Eine noch grössere Differenz findet sich ftir die Chloride, Bromide und Jodide
der Alkoholradicale:
CWoride.
Bromide.
Jodide.
Methyl
eH, Cl
— 20*
en, Br
13*
6H, J
44»
Aethyl
eaH, Cl
+ 110
6aH5 Br
41*
eAJ
71»
Butyl
€f4H, Cl
73*
e^H, Br
89*
eAJ
121«
Amyl
eftHijCl
102*
OftHiiBr
119*
65H„J
148»
Caproyl
esH„ci
17Ö*
e,H„Br
190*
e.H„j
210»
Differenz =2^
l*-81*
24*.
-80*
21*
-27«
Siedepunkt 285
£beii80 ist die Differenz grösser als 19* fttr die Schwefelyerbindungen der
Alkoholradicale etc.
Eine entschieden kleinere Siedepunktsdifferenz als 19* findet sich dagegen
bei den wasserfreien Säuren:
Wasserfreie Essigsäure = 6« H« 0, — 188*
„ Propionsäure = 6, Hio^a — 166*
„ ButtersÄure = 6, Hj^e, — 190*
„ Baldriansäure = ^loHigO, — 216*
„ Caprylsäure = 6i«Hao0a — 290*
Differenz = 12*,6 für 6H,.
Ebenso findet sich eine kleinere Siedepunktsdifferenz bei den Aethem der
Oxalsäure und der Bernsteinsfinre und bei den Bromiden der zweiatomigen Kohlen-
wasserstofiradicale (deren Chloride die Differenz == 19* zeigen) :
Aethylenbromid = ^jH^Br, — 130*
Propylenbromid = OsH^Br, — 146*
Butyienbromid = e4HgBra — 160*
Differenz = 16*.
Eine vollständige Abweichung endlich yon allen Siedepunktsregelmässig-
keiten zeigen die zweiatomigen Alkohole (Glycole); es siedet:
Glycol = 62H, Oa bei 196*
Propylglycol = 6aH, O, „ 192*
Amylglycol = ^fiii^t „ 177*.
Die mitgetheilten Beispiele zeigen zur Genüge, dass der Satz: einer gleichen 478.
Zusammensetzungsdifferenz entspricht auch eine gleiche Differenz der Siedpunkte,
keineswegs ein allgemein gültiges Gesetz ist. Wenigstens nicht, wenn man, wie
dies seither geschah, die Siedpunkte für den gewöhnlichen mittleren Luftdruck
▼ergleicht Es ist möglich, dass sich ein allgemein gültiges Gesetz wird auffinden
lassen, wenn man erst bei den Siedepunktsbestimmungen alle störenden Einflüsse
ausschliessen und die Siedpunkte für wirklich correspondirende Bedingungen, na-
mentlich bei correspondirendem Druck wird yergleichen können. Es ist nämlich
klar, dass die Differenz der Siedpunkte zweier Substanzen nicht für jeden beliebi-
gen Druck dieselbe sein kann. Wollte man annehmen, die Siedpunkte zweier
Flüssigkeiten bei gewöhnlichem Luftdruck (S und S^) zeigten dieselbe Differenz wie
die Siedpunkte derselben Flüssigkeiten bei irgend anderem Druck (s und s^),
S — Si a= s — Si
so würde auch
S — s t= Si — Sj
sein, das heisst: die Siedpunkte beider Flüssigkeiten müssten sich für gleiche Aen-
derung des Druckes um genau gleichviel ändern, was keineswegs der FaU ist
Man hat sich mehrfach bemüht, für die Abhängigkeit des Siedpunkts von 479.
der chemischen Zusammensetzung in ähnlicher Weise einen allgemeinen Ausdruck
aufzufinden, wie dies für die specifischen Volume der Flüssigkeiten geschehen ist
(S- 442.) Man hat namentlich den Einfloss zu bestimmen gesucht, welchei» das
286 Physikidiselier Theü.
Zu- oder Austreten eimea bestimmten ElementoB auf den Siedpunkt aut<lbe*). Alle
diese Bestrebungen haben bis jetzt zu keinem genügendea Resultate geführt. Mfto
iflt im Stande gewesen, aus den Siedpunkten einzelner Gruppen von Verbindungen
Regeln abzuleiten, deren Anwendung die Siedpunkte einer gewissen. Anzahl, ande-
rer Körper in ziemlicher Uebereinstimmung mit den beobachteten Siedpunkten zu
berechnen gestattet, die aber Itir eine grosse Anzahl anderer Körper von den That-
sachen völlig abweichende Resultate geben.
So können (nacli Kopp) die Siedpunkte eiiler grossen Anzahl von Säuren,
Aetherarten u. s. w. berechnet, d h. aus dem Siedpunkt einer andern analogen
Verbindimg abgeleitet werden, wenn man annimmt, ein Mehrgehalt von n.0 er-
höhe, ein Mindergehalt von n.6 erniedrige den Siedpunkt um n.29®; ein Mehr-
gehalt von n.H erniedrige, ein Mindergehalt von n.H erhöhe den Siedpunkt um
n-.6<>.
Ebenso können, nach Gerhardt, die Siedpunkte der Kohlenwasserstoffe aus
dem Siedpunkt eines andern Kohlenwasserstoffs (des Terpentinöls z. B. = 0|oH|g
Siedp. 160®) hergeleitet, werden, wenn man für ± -G die Differenz + 35®, für
+ H2 die Siedpunktsdifferenz 4^ 15® annimmt.
480. Ueber die Abhängigkeit des Siedpunkts vom Druck liegen
Hoch wenig Experimentaluntersuchungen vor. Man weiss, dass für alle
Flüssigkeiten def Siedpunkt steigt mit wachsendem Druck und* dass das
Sieden im luftverdünnten Raum bei niedrigeren Temperaturen stattfindet
als unter gewöhnlichem Luftdruck. Man weiss ferner, dass verschiedene
Flüssigkeiten bei Temperaturen, die gleich weit von ihrem Siedpunkt ab-
stehen, nicht gleiche Dampfspannungen zeigen, wie dies von Dalton an-
genommen wurde; dass also für verschiedene Flüssigkeiten für gleiche
Zunahme des Drucks nicht gleiche Erhöhung des Siedpunktes stattfindet
So sind z. B. die Dampfspannungen (in Millimetern Quecksilber) bei 24®
über dem Siedpunkt:
Aether.
Alkohol.
Schwefelkohlenstoff.
Wasser.
Terpenünöl.
bei 60®
bei 102®
bei 71®
1597»»
bei 124®
bei 181®
1730,3»»
1800»»
1690,8»»
1258»».
Die früher (§. 86) mitgetheilte Correctur des Siedepunkts auf Normalbaro-
meterstsnd ist dessholb nur annähernd richtig und nin- dann anwendbar, wenn
der Druck nicht stark von dem mittleren Atmosphärendruck verschieden isL
431, Die Schmelzpunkte analoger Substanzen scheinen eine ähnliche
Abhängigkeit von der Zusammensetzung zu zeigen, wie die Siedpunkle.
Wenigstens hat die von Dumas 1842 (vgl. §.142) gegebene Regel, „dass
für die Reihe der fetten Säuren die S^hmelzbarkeit in dem Grade zu-
nimmt, als man sich mehr der Ameisensäure nähert,'^ sich bei neueren
®) Gerhardt Schröder. Löwig. . Kopp.
Schmelsponkt
297
Yersucken bestätigt und man hat auch für andere Reihen homologer
Körper gefunden, dass der Schmelzpunkt .um so höher liegt, je reicher
die Substanz an Kohlenstoff und Wasserstoff ist. — Es findet also wie
bei den Siedepunkten, so auch bei den Schmelzpunkten eine gewisse
Homologie statt; aber aus den wenigen Schmelzpunkten, die bis jetzt
genauer bestimmt worden sind, haben sich noch keine allgemeinen Re-
gelmässigkeiten ableiten lassen, sogar innerhalb derselben homologen
Reihe entspricht derselben Zusammensetzungsdifferenz nicht immer die-
selbe Differenz der Schmelzpunkte.
Nach Hanhart zeigen indess die entsprechenden Aether der Hargarinsänre
und der Stearinsäure unter einander dieselbe Schmelzpunktsdifferenz und diese
Differenz ist ausserdem noch gleich mit der Differenz der Schmelzpunkte der Säure-,
hydrate. Es ist nämlich der Schmelzpunkt:
für Margarinsäure.
für Stearinsäure.
Differenz.
Säure eo^
70<>
10«
»lethyläther 27»,5
38»
10<»,5
Aethyläther 22<»
33«
11»
Amyläther 14«
25«
11«.
Auch auf den Schmelzpunkt übt der äussere Druck einen nicht un- 482.
bedeutenden Einfluss aus. Bei höherem Druck erfolgt die Erstarrung einer
geschmolzenen Substanz schon bei höherer Temperatur.
So fand Bunsen:
für Wallrath.
Druck in Atmosph.
Erstarrungsp.
1
47«,7
29
48«,3
96
49«,7
141
500,5
156
60*,9
Ebenso fand
Hopkins :
Druck in Atmosph.
W
1
520
793
für Paraffin.
Druck in Atm. Erstarrungsp.
1 46»,3
86 480,9
100 490,9.
Schmelzpunkt von
Wallrath. Wachs. Stearin.
510,6 640,7 670,2
600,0 740,7 680,8
800,2 80*,2 730,8.
Volumveränderung beim Uebergang von einem Aggre-
gatzustand in den andern.
Beim Uebergang von einem Aggregatzustand in den andern findet 488«
stets eine plötzliche Veränderung des Volums statt.
288 Physikalischer TheiL
Feste Körper erleiden in den meisten Fällen bei dem üebergang
aus dem starren in den flüssigen Zustand eine plötzliche Ausdehnung.
Diese Ausdehnung ist bei den verschiedenen Körpern ungleich stark*
Sie ist z. B. ftir Wachs == 0,4 p. C; für Stearinsäure = 11,0 p. C.
1 VoL Wachs bei 0« erfüllt fest bei 64«— 1,161 Vol.; flüssig bei 64«-- 1,1 66 Vol.
1 Vol. Stearinsäure „ 0* „ „ „ 70«— 1,079 „ „ „ 70*— 1,198 „
Von den freilich nur wenig zahlreichen organischen Substanzen, deren Vo-
lumveränderung beim Schmelzen bis jetzt ermittelt ist, zeigt keine (so wie dies
bei dem Wasser der Fall ist) in festem Zustand ein grösseres Volum als in flös-
sigem; alle dehnen sich im Moment des Schmelzens aus.
484. Flüssige Körper dehnen sich im Moment des Uebergangs in
den elastisch - flüssigen Zustand sehr bedeutend aus. Auch hier ist die
Ausdehnung für die verschiedenen Körper sehr verschieden.
Directe Bestimmungen dieser Ausdehnung sind für organische Substanzen
nicht ausgeführt. Für alle die Substanzen, deren specifisches Gewicht in flüssigem
und gasförmigem Zustand bei der Temperatur des Siedepunkts bekannt oder aus
andern Eigenschaften herleitbar ist (vgl. §§. 472, 473), lässt sich die Ausdehnung
leicht berechnen. Man erhält den Ausdehnungsquotient, wenn man mit dem Gewicht
eines Volumes Dampf beim Siedpunkt in das Gewicht eines gleichgrossen Volumes
Flüssigkeit beim Siedpunkt dividirt; oder auch, wenn man das specifische Volum
des Dampfes beim Siedpnnkt dividirt durch das speciflsche Volum der Flüssigkeit
beim Siedpunkt. Die so berechneten Ausdehnungsquotienten verschiedener Sub-
stanzen haben bis jetzt keine einfachen Beziehungen weder unter einander, noch mit
dem Moleculargewicht etc. erkennen lassen; es ergibt sich nur, in Uebereinstim-
mung mit der Betrachtung, dass isomere Körper von gleichem Siedpunkt (z. B. die
isomeren Aetherarten) eine gleich grosse Ausdehnung erfahren.
Latente Wärme.
^g Die latenteSchmelzwärme ist überhaupt wenig, für organische
Substanzen noch nicht untersucht worden.
Die latente Dampfwärme wurde mehrfach, namentlich von
Favre und Silbermann und von Andrews experimentell bearbeitet. Per-
son hat sich bemüht Regelmässigkeiten in den Dampfwärmen und Bezie-
hungen zu andern Eigenschaften aufzufinden. Er glaubte namentlich (1843
und später), dass die latente Dampfwärme der Holecüle für Körper von
gleichem Siedpunkt gleich sei und dass sie bei den übrigen Substanzen
im Allgemeinen mit den Siedpunkten zunähme.
Die folgende Tabelle, in welcher die von den genannten Beobachtern fUr
einige organische Verbindungen beobachteten Dampfwärmen zusammengestellt sind,
jbdgt in wie weit dies der Fall ist.
Latente Wflnn«.
289
Latente Wfirme für:
Sied-
punkt.
Gewichts-
1 Volumen
Molecular-
einheit
Dampf:
gewicbt
Aethyläther
84«
91,1
268,2
6784
AmeisenB. Methylfither
86«
117,1
282,8
7020
Esngs. Methylfither
65*
110,2
803,6
8140
Ameisens. Aethylftther
65«
105,8
290,8
7770
Methylalkohol
69*
268,8
818,5
8441
Jodfithyl
710
46,9
264,7
7382
Essigs. Aethylftther
740
106,8
287,9
9810
Alkohol
78»
206,8
824,2
9568
Bntters. Methylfither
93*
87,8
8904
Ameisensfiore
99*
120,7
6562
Wasser
lOO«
686,0
818,8
9648
Essigsfinre
HS*
101,9
6120
Amylalkohol
186«
121,4
10688
Battersfiure
166«
114,9
10120
Baldiiansfiure
176*
i 108,6
10667
186«
72,7
291,4
10614
Aethal
860*
68,6
14167
Keuerdmgs hat J. Schiel *) darauf aufmerksam gemacht, dass ftir die homo-
logen Alkohole (Methyl, Aethyl, Amyl und Cetylalkohol) die latenten Dampfwfir-
men gleicher Gewichte in geradem Verhfiltniss zu den Ausdehnungsquotienten
(S. 484) stehen.
Physikalische Phänomene beim Zusammenbringen verschiedener
Körper, die keine chemische Wirkung auf einander ausüben.
Die physikalischen Erscheinungen , welche beim Mischen zweier 486.
Körper von gleichem Aggregatzastande eintreten, (Dififusion der Oase,
Mischbarkeit und Dififusion der Flüssigkeiten etc.) können hier nicht im
Zosammenhang erörtert werden ; es ist nur auf einzelne Punkte hinzuwei-
sen, die für die organische Chemie Ton Wichtigkeit sind.
Die Diffusion der Gase kann bisweilen als gasometrische unter- 487.
suchungsmethode Anwendung finden. Sie gestattet zu entscheiden, ob
ein gegebenes Gas ein einfaches oder ein Gemenge mehrerer Gase ist **).
•) Ann. Chem. Pharm. CZ. 141.
**) Vgl. R. Bunsen: Gasometrische Methoden. S. 207 u. bes. 242.
KekaU, orgu. Ch«ml«. 19
290 PhydkaliBcher Tbefl.
Die gewöhnliche Methode der VerpuffiingBanalyse kann begreifficherweise
diese Frage nicht in ali^n Füllen entscheiden, weil die Verbrennungsproducte zweier
nach gleichem Volumen gemischter Gase dieselben sein und in demselben VerhlQt-
nisB stehen kömien wie die Verbrennangsprodacte eines einfachen Gases (z. B. Graben-
gas = Methyl 4- ^«^^^^ff; 2OH4 = ÖaH, 4- Ha). Wenn sich in einem solchen
Fall die etwa gemischten Gase durch Absorptionsmittel nicht trennen lassen , wie
dies in dem erwähnten Beispiel der Fall ist, so reichen die gewöhnlichen Metho-
den der gasometrischen Untersuchung nicht aus. Die Frage kann aber mit Be-
stimmtheit eptschieden werden, indem man das Gas durch Verpaffung analysirt,
dann mit atmosphärischer Luft diffundirt und durch eine zweite Analyse ermittelt,
ob sich in Folge der Diffusion das relative Verhältniss der Verbrennungsproducte
geändert hat. Ist dies der Fall, so war das Gas ein Gemenge; tritt dagegen keine
Aenderung im Volumverh^tniss der Verbrennungsproducte ein, so kann das Gas
kein Gemisch von mehreren sein.
Auf di/ese Weise hat Bunsen nachgewiesen, dass das beim Erhitzen von es-
sigsaMren Salzen mit einem Alkalihydrat entstehende Gas Methylwasserstoff und
nicht etwa e^i Gemenge von Wasserstoffgas mit Methyl ist
488. B^im Mischen von Flügsigkeiten tritt häufig CoDtraction ein,
d. h. ^ Volum des Qemi8Gh|äs ist kleiner ^Ib die Summe dej Yolumina
der bei4^n Flassigkeitep vor der Mischung.
Das ]!|[aximum der Contraction oder aber das Maximum des speoifi-
Bchen Gewichtes entspricht dann meist einer Verbindung nach bestimm-
ten Verhältnissen.
Es ist einleuchtend, dass bei allen sich mit Contraction mischenden
Flassigkeiten aus einer Bestimmung des specifischen Gewichtes (mitteist
des Areometers z. B.) nicht direct die Verhältnisse abgeleitet werden
können, nach welchen die beiden Flüssigkeiten gemischt sind, dass es
vielmehr uöthig ist, vorher durch empirische Bestimmungen die Relatio-
nen zwischen den specifischen Gewichten und dem Procentgehalt fest*
^usteUen.
Ein Maximum der Contraction findet z. B. statt bei Mischungen von Alkohol
mid Wasser. 62,3 VoL Alkohol mit 47,7 Vol. Wasser bei lö® geben 96,36 VoL
statt 100. Es entspricht dies der Znsammensetzung: O^H^'G' *f- SH^O.
Ein Maximum des specifischen Gewichtes zeigt sich bei Gemischen von Essig-
säure mit Wasser. Das specifische Gewicht des Essigsäurehydrats bei 16^ ist: 1,068.
Setat man zu flsßigsäure Wasser, so entstehen Anfangs Gemische von zunehmendem
specifischen Gewicht; bei 77,2 VoL Essigsäure auf 22,8 Vol. Wasser hat das Ge-
misch da^ Maximum des specifischen Gewichtes: 1,0736; bei Zusatz von mehr
Wasser wird es wieder specifisch leichter. Das Maximum des specifischen Gewichts
entspricht der Zusammensetzung: 62H4O2 -}* ^a*^-
Fttr mit Wasser verdünnten Alkohol und ftlr wasserhaltige Essigsäure sind
also Reductionstabellen nöthig, wenn man aus dem specifischen Gewicht den Pro-
centgehalt herleiten will. Für Essigsäure ist es weiter nöthig, dass man vorher
weiss, ob das Gemisch verdünnter oder concentrirter ist als dasjenige von der
grössten Dichte.
Abforptioa. 291
Die Gemische fester Subslaosen zeigen häaflg Sehmelzponkte, 489.
die nicht zwischen den Schmelzpunkten der beiden Oemengtheile liegen,
sondern vielmehr niedriger sind als der Schmelzpunkt des niedriger
aohmelaendeii Bestandtheiles.
Dies zeigt sich z. B. bei vielen MetaDlegirongen, bei Gemischen von salpeter-
saarem Kali und salpetersaurem Natron etc.; aber auch bei vielen orgamschen
Substanzen.
So liegt z 6. der Erstarrungspunkt des essigsauren Kalis bei 292^, der des'
essigsauren Natrons bei 819®. Ein Gemisch beider Salze nach gleichen Aequiva-
lenten erstarrt erst bei 224®.
Auch die Gemische fetter Sfturen zeigen diese Emiedrigong des Schmelz-
poMkts .*).
Stearinsäure schmilzt bei 69,2®, Palmitmsäure bei 62®*, ein Gemisch von 80
Theilen der ersteren mit 70Theilen der letzteren schmilzt bei 55,1®. Myristinsäure
schmilzt bei 58,8®; ein Gemisch aus 20 Theilen Stearinsäure mit 80 Theilen Mjnri-
stinsäure schmilzt schon bei 47,8®, ein Gemisch aus 80 Theilen Palmitinsäure mit
70 Theüen Myristinsäure schon bei 46,2® etc.
Man kann also ans der Schmelzpunktsbestimmnng einer fetten Säure keinen
Sehloss ziehen auf ihre Stellung in der homologen Reihe, d. h. auf ihre Zusammen-
setzung. Man kann aber, wenn die Zusammensetzung und der Schmelzpunkt ge-
naq. bestimmt sind mit ziemlicher Sicherheit angeben, ob eine fette Säure ein Ge-
menge ist oder nicht, nicht aber, aus welchen Säuren das Gemenge besteht.
Absorption von Gasen darch FlQßsigkeiten.
Die Gesetzmässigkeiten, welche bei der Absorption von Oasen durch 490.
Flflssigkeiten stattfinden, sind schon seit lange von Henrj, Saussure, Gay-
Luseac, Magnus etc. und in neuerer Zeit, nach wesentlich verbesserten
Methoden, von Bunsen erforscht worden.
Die Menge eines von einer Flüssigkeit absorbirten Gases ist ab-
hftngig:
1) Von der Natur der Flüssigkeit.
2) Von der Natur des Gases.
3) Vom Druck.
4) Von der Temperatur.
Die Absorptions&higkeit verschiedener Flüssigkeiten für dasselbe
Gas ist noch wenig erforscht; in neuerer Zeit hat man bis jetzt nur
Wasser und Alkohol als Absorptionsmittel angewandt. Aus den Resul-
taten der alteren Versuche glaubte man den Schluss ziehen zu können,
die Flüssigkeiten absorbirten die Gase in um so grösserer Menge je ge-
ringer ihr specifisches Gewicht sei.
Was den Einfluss der Natur des Gases angeht, so hat man gefun-
den, dass im Allgemeinen diejenigen Gase in grösster Menge absorbirt
*) Vgl. Heintz: lieb. Jahresbericht 1854. S. 458.
19
292 PhysSkaliflcher TheiL
werden, welche leicht verdichtbar sind, sich also bei gewöhnlichen Tem-
peratur- und Druckverh<nissen ihrem Verdichtungspunkt nahe befinden.
Es kommt übrigens offenbar einer jeden FlQssigkeit in Rezug auf jedes
Gas eine bestimmte Absorptionsfähigkeit zu, die gleichzeitig von der
Natur der Flüssigkeit und der Natur des Gases bedingt ist
Zwischen dem Druck und der absorbirten Gasmenge besteht ein ein-
facher gesetzmässiger Zusammenhang. Die bis jetzt bekannten Versuche
haben für fast alle Gase den von Henry 1803 aufgestellten Satz bestä-
tigt: dass bei unveränderter Temperatur immer gleichgrosse Volumina
eines Gases absorbirt werden , welches auch der auf dem Gase lastende
Druck sei^ dass also die Gewichtsmenge des absorbirten Gases dem
Druck proportional sei*).
Der Einfluss der Temperatur auf die absorbirte Gasmenge ist weit
weniger einfach. Ohne Ausnahme wird die Menge des absorbirten Gases
durch Temperaturerhöhung vermindert Aber Dalton's durch seine Ein-
fachheit ansprechender Satz, es würden bei constantem Druck bei allen
Temperaturen gleiche Gasvolumina aufgenommen, hat sich nicht bestätigt.
Man hat vielmehr gefunden, dass die absorbirte Gasmenge, für die mei-
sten Gase, bei steigender Temperatur rascher abnimmt, als die Dichte
des Gases und dass diese Abnahme der Absorptionsfähigkeit nicht für
alle Gase gleich, sondern abhängig ist von der Natur des absorbirten
Gases und der absorbirenden Flüssigkeit
Eine Ausnahme von dieser rascheren Abnahme der Löslichkeit bei
steigender Temperatur machen: Wasserstoff in Wasser und Sauerstoff
und Kohlenoxyd in Alkohol, bei welchen für alle Temperaturen stets
gleiche Volumina absorbirt werden.
491. Mau nennt Absorptionscoefficient das auf 0® und 760*°" Queck-
silberdruck reducirte Gasvolum, welches von der Volumeinheit einer Flüs-
sigkeit unter dem Quecksilberdruck von 760°"» absorbirt wird.
Der Absorptionscoefficient ist z. B. für:
Wasserstoff in Wasser (0<>— 20®) . . a ~ 0,0193 constant
Sauerstoff in Alkohol (0®— 25<>J . . a = 0,28397 constant.
Kohlenoxyd in Alkohol (0<>— 250) . . a = 0,20443 constant
Für die übrigen Gase, bei welchen die Absorptionsfähigkeit mit der
Temperaturerhöhung abnimmt, kann der AbsörptionscoeiBcient ausgedrückt
*) Eine Ausnahme von diesem Gesetz zeigen nach den Versuchen von Roscoe
einzelne leicht verdichtbare Gase, namentlich Salzsfiure und Ammoniak in
Wasser. Es scheint also, als ob das Henry'sche Gesetz nur innerhalb ge-
wisser Grenzen von Druck und Temperatur richtig sei.
Ibflorpflon. 293
werden doreh eine aus den Versnohsresultaten abgeleitete Interpolations-
formel von der Form*):
a = A — B. t+C.t^
Er ist s. B. fllr Kolüenozyd in Wasser (O^-— 20^):
a s 0,032874 — 0,00081682 . t + 0,000016421 . t^
das hdsBt: 1 Vol. Wasser von 0^ absorbirt 0,082874 Vol. Eohlenozyd; 1 VoL
Wasser von 14^ absorbirt:
a = 0,082874 - 0,00081682 . 14 4- 0,000016421 . 14«
oder: 0,024664 Volumina Kohlenozyd.
Im Folgenden sind die die Absorptionscoefficienten für verschiedene Tempe»
ratoren ansdrackenden Interpolationsformeln für einige kohlenstoffhaltige Gase zu-
sammengestellt Es ist dabei noch der Absorptionscoefßcient bei 16^ (gewöhnliche
Lufttemperatur) beigefügt
Für Wasser. (O«— 20)
Kohlensäure a = 1,7967 — 0,07761 . t 4. 0,0016424 . t>
(bei 16*: a = 0,9768)
Eiayl a s 0,26629 - 0,00918681 . t + 0,000188108 . t>*
(bei 16»: a = 0,1688)
' Grubengas a = 0,05449 — 0,0011807 . t -|- 0,000010278 . t^
(bei 16«: « = 0,0882)
Methyl a = 0,0871 — 0,0088242 . t 4- 0,0000608 . t>
(bei 16«: a = 0,0498)
Aethyl n = 0,031474 — 0,0010449 . t + 0,000026066 . t>
(bei 16«: a = 0,0212)
Aethylwasserstoff *•) n = 0,094656 - 0,0085824 . t + 0,00006278 . t*
(bd leP: a = 0,0541)
Für Alkohol (0*— 25«)
Kohlensäure a = 4,82955 — 0,09395 . t + 0,00124 . t«
(bei 16<»: a = 3,1488)
Elayl a = 3,594984 — 0,0577162 . t + 0,0006812 . t>
(bei 16«: a = 2,8459)
Grubengas a = 0,622686 — 0,0028655 . t + 0,0000142 . t>
(bei 16»: a =: 0,4804)
*) Die bei verschiedenen Temperaturen absorbirten Gasmengen können also
durch parabolische Curven dargestellt werden.
«•) Schickendantz, von welchem diese Bestimmung herrührt, macht noch darauf
aufmerksam, dass die Absorptionscoefficienten für Aethylwasserstoff und das
polymere Methyl nahezu identisch sind und dass die sie darstellenden Curven
parallel laufen und nur wenig von einander verschieden sind.
291 PhysikaUadi» TheiL
492. . Füv die Absorption you Gasgemengen bat sidi die Ton Henry
auf Dalton's Satz, dass sich bei- Mischung chemiseh nickt airfeinaader
wirkender Oase jedes Gas in den von dem andern erfüllten Raum wie
in einen leeren Raum verbreite und dass sich die Spannkräfte der sich
mischenden Gase einfach summiren, begründete Theorie — das s. g.
Henry -Dalton'sche Gesetz — für nahezu alle Falle bestätigt. Man hat
gefunden, dass die absorbirten Mengen der Gemengtheile proportional
sind dem Druck, welchen jeder dieser Gemengtheile für sich ausübt Je»
des einzelne Gas eines Gasgemenges wird also nach dem ihm bei der
betreffenden Temperatur zukommenden AbsorptionscoefBcienten absorbirt
und so als stünde es unter einem Druck, welcher gleich ist dem ihm zq-
kommenden Bruchtheil des Gesanimtdrucks des Gemenges; ein Druck-
äntheil, welcher natürlich dem Bruchtheil des Gesammtvolumß, welchen
das betreffende Gas einnimmt, proportional ist.
498. Diese Gesetze der Absorption einfacher und gemischter Gase machen
es möglich, die Absorption als Erkennungsmittel der Gase und selbst als
Mittel der qualitativen und quantitativen Analyse von Gasmengen anzu-
wenden.
Eine Bestimmung des AbsorptionBCoefficientea genügt £. B. um au Migen,
ob ein auf irgend eine Art erhaltenes Gas identisch oder nur isomer ist mit einem
bekannten Gas von gleicher Zasammensetzong.
Ebenso kann durch absorptiometrische Bestimmung dargethan werden, ob
ein untersuchtes Gas ein einfaches oder ein Gemenge mehrerer ist. So wurde
z. B. für das aus essigsauren Salzen durch Erhitzen mit einem Alkalihydrat ent-
stehende Gas durch Absorptionsversuche erwiesen, dass es nicht ein Gemenge von
Wasserstoff und Methyl zu gleichen Volumen, sondern ein einfaches Gas ist und
es wurde gleichzeitig dargethan, dass es identisch ist mit dem in der Natur vor-
kommenden Grubengas.
Absorptiometrische Bestimmungen sind femer in vielen Fäüen eine einfache
und genaue Methode der quantitativen Analyse eines Gasgemenges, dessen Gemeng-
theile qualitativ schon bekannt sind. Sie gestatten aber sogar die qualitative und
quantitative Analyse eines Gemenges von unbekannter Zusammensetzung. Aus
mehreren Absorptionsversuchen k6nnen nämlich die AbsorptionscoefBcienten der
Gemengtheile hergeleitet, also nachgevriesen werden, dass das Gemenge aus den
Gasen besteht, welchen die gefundenen CoeiBcienten zukommen. Dieselben Bestim-
mungen geben gleichzeitig das quantitative Verhfiltniss, in welchen 4ie gefonde-
nen Gase gemengt sind.
Die Grenzen dieses Werkes gestatten nicht auf Methode der Ausführung ab-
sorptiometrischer Versuche und auf Berechnung der gefundenen Resultate weiter
einzugehen; man vgl.~ Bunsen: Gasometrische Methoden. S. 136 ff.
494. Destillation von Gaslösungen^und von gemischten Fltlssig-
keiten. Die Lösungen von Gasen in Flüssigkeiten verlieren bekanntlich im All-
gemeinen mit steigender Temperatur stets mehr des gelösten Gases. Durch laag-
anhaltendes Sieden kann in den meisten Fällen selbst die letzte Spur des Gases
ausgetrieben werden. Es kommt indessen vor, dass Gaslösungen unverändert
flüchtig, also destiUirbar sind; dass sie einen constanten Siedpnnkt und eine con-
Destmatiim gemiBditep FHMgkeiteiL 295
Staate ZusammeiuietBimg seigeik So nedet bei gewöimMcheia Druck eine LOeottg
von Salzsäure in Wasser (20,22 p. C. Salzs&ure) bei llO^j die Zusammensetzung
dieser Säure entspricht der Formel HCl -|- SHsG^. Neuerdings haben Roscoe und
Dittmar geieigt^ dass durch ^ränderten Drucle der Sledt>unkt ttkd die ZtidMnmen-
Setzung der destillirenden Salzsäurelösung geändert wi#d und dass jedem Druck
ein bestimmter Siedpunkt und eine bestimmte Zusammensetzung entspricht. Nach
diesen Erfahrungen kann die bei gewöhnlichem Druck destiUirende Salzsäure nicht
mehr ftir eine wirkliche chemische Verbindung angesehen werden.
Fttr organische Substanzen ist ein solches Verhaken bei wirklichenf OaslÖsun-
gen bis jetzt ideht beobachtet, aber man hat häufig bei DestUlatioii von Fltlssig^
keitogemischen ähnliche Erfahrungen gemacht.
Man findet zunächst allgemein, dass bei Destillation gemischter Fltlssigkeiteii
ein beträchtlicher Antheil bei Temperaturen überdestüHrt, die zwischen den Sied-
punkten der einzelnen Flüssigkeiten liegen. Die Menge solcher intermediären De-
stillate ist einerseits abhängig von der Tension der Flüssigkeiten. Man weiss, dass
alle Flüssigkeiten bei Temperaturen, die weit unter ihrem Siedpunkt liegen, ver-
dunsten , um so leichter je grösser ihre Tension ist und je rascher die über der
FLfissigkeit befindliche Atmosphäre wechselt. Bei Destillationen gemischter Flüs-
sigkeiten siiild aber die Bedingungen zur Verdampfung de^ scbwei'er flüchtigen
Gemengtheils besonders günstig, denn der Dampf der leichter flüchtigen Substanz
bildet eine sich fortwährend «meuernde Atmosphäre und verhält sieh ausserdem
noch wie ein die Flüssigkeit durchstreichendes Gas. Ausser der Tension scheint
aber noch die chemische Natur der Flüssigkeiten von Einfluss zu sein.
Diese Erscheinung erschwert sehr die Reindarstellung flüchtiger organischer
Verbindungen und macht sie in vielen FSllen unmöglich. Häufig gelingt es durch*
eine, je nach der Natur der Flüssigkeiten mehr oder weniger oft wiederholte, frac-
tionirte Destillation der einzelnen Destillate, allmälig die grösste Menge des Gemi-
sches in die verschiedenen Gemengtheüe zu zerlegen. In andern Fällen dagegen
gelingt dies nicht. So kann z. B wasserhaltiger Alkohol durch Destillation allein
nicht wasserfrei erhalten werden. Bisweilen zeigen solche intermediäre Destillate
einen constanten oder annähernd constanten Siedepunkt und dann alich eine con-
staute Zusammensetzung. So erhält man z; B. bei Destillation memcher Fuselöle
eine bei 110® siedende Flüssigkeit, die annähernd die Zusammensetzung des Butyl-
alkohols zeigt, dessen Siedpunkt sie besitzt*, die aber nichts anders ist als ein G^
menge von Aethylalkohol mit Amylalkohol.
Man hat diesen Erscheinungen bis jetzt wenig Aufmerksamkeit geschenkt
Es ist wahrscheinlich, dass sie verhältnissmässig of^ vorkommen und es ist sehr
möglich, dass manche der Körper, die als chemische Verbindungen beschrieben
wurden, nichts anderes sind als solche destiUirende Gemenge in einfachen Ver-
hältnissen.
Es ist klar, dass die Destillation einer gemischten Flüesigkeit bei constan-
tem Siedepunkt mit der eben erwähnten Destillation einer Gaslösung im Grund
genommen identisch ist. Denn ein Gemisch zweier Flüssigkeiten von ungleichem
Siedepunkt, dessen! Temperatur höher gestiegen ist ab der Siedepunkt deA leichter
flüchtigen Gemengtheils ist nichts anderes als eine Lösung dieses leichter flüchtigen
Körpers in Dampfform in einer Ftüssigkeit
4Ku Löslichkeit flflssiger and fester organiseher Yerbin-
dangeiL
Die Lösliehkeit fiflsdger und fester CHrgmnisdicr Yerinadnigen in
Wasser (und anderen Lösougsmitteln) ist noeh nieht GegensUnd beson-
derer Experimentaluntersuchongen gewesen. Es sind dalier bis jetit nodi
keine Beziehungen zwischen den LöslichkdtsYeriiiltDissen and der die-
mischen Zusammensetzung nachgewiesen; es ist nodi nidit ermittelt, ob
bei homologen Substanzen z. B. eine gewisse Homologie der LösKchkeit
stattfindet. Bei einzelnen Reihen homologer Substanzen seheint dies der
Fall zu sein. So sind z. B. die niederen Glieder der homologen Reihe
der Alkohole mit Wasser in allen Verhältnissen mischbar, die höheren
sind um so weniger löslich, je weiter sie ron den Anlangsgliedem ent-
fernt sind; dasselbe Verhalten zeigt sich bei den mit der Essigsäure ho-
mologen Säuren und, wie es scheint, im Allgemeinen wenigstens bei den
Baben und Aetherarten dieser Säuren.
PhysikaUsche Eiscli^iuigen bei chemischen Hetamoiphoso.
400. Jede chemische Zersetzung erzeugt Wärme (vg^ $. ^64); ist die
durch die freigewordene Wärme henrorgebraehte Temperatur hoch genug,
um einen der im Moment der Zersetzung rorhandenen Körper auf seine
OlOhtemperatur zu erhitzen, so entsteht Licht Auch elektrische
Phänomene sind schon als Bereiter der Zersetzung organischer Sub-
stanzen beobachtet worden. Die meisten dieser Ersdieinungen sind bis
jetzt wenig erforsdit Nur Ober die bei chemischen Metamorphosen und
ganz besonders Aber die bei Verbrennung mit Sauerstoff frei werdende
Wärme liegen ausführliche Experimentaluntersuchungen von Favre und
Silbennann vor*).
4/ff^ Verbrennungswärme. Im Folgenden sind die bei der Ver-
hrcmnnig einiger organischer Substanzen mit Sauerstoff frei werdenden
Wännemengen zusammengestellt
Spalte L enhält die WKrmeeinhdten **), die durch einen Gewichtstheil der
▼erbrannten Substanz in Freiheit geeetift werden.
Spalte IL CBthäh dk Wtaneeinheiten für 1 Mdecäl der verbrannten Sab-
Spalte HL Die durch gleiche Mengen Sancntoff fird werdenden Wärme-
y
^ Vg^ aoeh: Baff, Kopp und Zammiatt. Ldirb. der phjaiksL u. tbeoret Che-
mie, a 774.
^ WSmeefnhdt irt bekanntlich die Menge Wime, welche die Gewichtaeinhett
(1 Oraani z. B.) Waaaer um !• Cela. erwärmt
Varbreniiiiiigswftrmeii
297
Sabstans.
FormeL
I.
für 1 Gew.
Th.
n.
f&r iMolec
m.
fElr gleich
viel 0.
Kohlenwasserstoffe.
Elayl
e,H4
11867
882024
8458
Amylen
65 Hij^
11491
804370
8852
Paramylcn
^lo^ao
11808
1582420
8291
Ceten
^i«Hii
11065
2476820
8224
Hetamylen
^10^4«
10928
8059840
8187
Alkohole.
Methylalkohol
e H^e
6807
169824
8588
Aethylalkohol
OjE. 0
7184
880464
8442
Amylalkohol
6» Hi,0
8959
788892
8285
Cetylalkohol
^1*^34^
10629
2572218
8849
Sttaren.
Essigsttnre
6a H4 02
8505
210800
8286
Buttersänre
64 Hg 0j
5647
496986
8106
Baldriansfiure
65 HjgOj
6489
656778
8158
Palmitinsftare *)
^lAa^a
9816
2884896
8240
Stearinsfiure*)
^is^at^a
9716
2759844
8817
Aetherarten.
Amdsens. Methyläther
6a H4 Oa
4197
251820
8985
Essigs. Methyläther
6j Hg Oa
5842
895808
8529
Ameisens. Aethyläther
6a Hg 6a
5279
890646
8488
Essigs. Aethyläüier
64 Hg 6a
6298
558784
8461
Butters. Methyläther
65 H|g6a
6799
698498
8884
Bntters. Aethyläther
6g Hia6a
7091
822656
8218
Baldrians. Methyläther
6g Hia6a
7876
855616
8842
Baldrians. Aethyläther
6^ Hi46a
7885
1018550
8850
Essigs. Amyläther
61 Hi46a
7971
1086280
8408
Baldrians. Amyläther
6igHag6a
8544
1469568
8280
Palmitins. Cetyläther«)
6gaHg46a
10848
4964160
8801
Die Beziehungen zwischen der Verbrennungswärme und der Zusammen-
setzung der verbrannten Substanz, welche sich aus diesen Versuchsresultaten her-
leiten lassen, sind bis jetzt wenig bedeutend. Es hat dies zum Theil vielleicht sei-
*) In festem Zustand.
296 FbjnkaÜMknr TlMlL
nen Gnmd in der durch die ongemeiDe Schwierigkeil qaantitaliTer Wünnemessun-
gen veranlassten geringen Genauigkeit der Resultate.
Man sieht:
1) Für die homologen Kohlenwasserstoffe nimmt die Verbrennungswfirme
(Spalte I.) ab bei wachsendem Molecnlargewichi Die Differens ist nahesa
gleich für dieselbe Zusammensetzungsdifferenz; etwa 87,6 W&rmeeinheiten
für eHj.
2) Für die Alkohole, die Säuren und die Aetherarten nimmt die Yerbrennungs-
wärme zu mit der Zunahme der Moleculargewlchts, aber die Differenz ist
ungleich für die verschiedenen Glieder <f^r Reihe (sie wird kleiner mit stei-
gendem Holeculargewicht) und sie ist verschieden für die entsprechenden
Gfiederpaare der verschiedenen Eleiheo«
8) Die Verbrennungswärme isomerer Aetherarten ist, in manchen Fällen we-
nigstens, annähernd gleich gpross, aber sie ist wesentlich verschieden von
der der isomeren Säuren Isomere Körper haben also jedenfalls nicht im
Allgemeinen gleiche Verbrennungswäime , höchstens ist dies für isomere
Körper von völlig analoger Cottstitutf^n der Fall.
499. Vergleicht man die durch gleiche Sauerstofimengen erzeugte Yer-
brennuDgswänne, so findet man^ daas dieselbe zwar in vielen aber kei-
neswegs in allen Fällen gleich gross ist. Die früher vennuthete Regel-
m&ssigkeit, dass die bei Verbrennung entwickelten Wärmemengen pro-
portional seien der Menge des verzehrten Sauerstoffs , findet also jeden-
falls nicht allgemein statt
Man findet femer, dass bei ähnlichen Verbindungen, welche Kohlenstoff und
Wasserstoff in demselben Verhältniss, aber in verschiedener Menge im Vergleich
zu dem vorhandenen Sauerstoff enthalten (Säuren, Aetherarten), die Verbrennungs-
wärme um so kleiner ist, um je vorwaltender im Verhältniss zu c(en anderen Be-
standtheilen der Sauerstoffgehalt ist Der Einfluss des Sauerstoffs madit sich um
so weniger bemerklich , je mehr seine Menge gegen die der anderen Bestandtfaefle
zurücktritt Je grösser die Menge der brennbaren Bestandtheile im Vergleich zu
der des Sauerstoffs ist, um so mehr nähert sich die Verbrennungswärme derjeni-
gen der Kohlenwasserstoffe, welche eine gleiche Anzahl von Kohlenstoff- und von
Wasserstoffatomen enthalten.
500. Bei manchen Verbindungen ist die Verbrennungswärme annähernd gerade
so gross, wie die Summe der Verbrennungswärmen, welche die Bestandtheile ein-
zeln verbrannt entwickelt haben würden.
Die Verbrennungswärme von 1 Gew. Th. Kohlenstoff ist = 8080
„ „ „ „ 1 Gew. Th. Wasserstoff ist = S4462
Die Verbrennungswärme von Elayl = ^2^4 is*- ^r 1 Gew. Th. = 11857,
für 1 Molec = 882024 und man hat in der That: 24 X ^^ + ^ X ^^^^ =
881768. Ebenso ist die Verbrennungswärme für Grubengas = 6H4: für 1 Gew.
Th. = 18068, für 1 Molec = 209008; die Rechnung gibt: 12 X 60Ö0 + 4 X
84462 = 284806.
Ist eine Verbindung bereite sanerstoißialtig, so eiittHek«!^ sie im Allgemei-
nen weniger Wärme als die darin enthaltenen brennbaren Bestandtheile für sich
verbrannt gegeben haben würden. In manchen Fällen ist die Verbrennungswärme
eines solchen ssuers^n^aüägen Körpers gleich d«ij^geit der brennbaren Bestand-
theile, welche übrig bleiben, wenn man so viel brennbare Elemente abadeht als
durch den in der Verbindung enthaltenen Sauerstoff verbrannt werden können. So
ist die Verbrennungswärme von 1 Molecül Alkohol: O^H^'G- annähemd gleieU der
von Elayl =s '69H4; man hat:
"öjHg^ — H}"^ SS O2H4
Ebenso ist die Verbrennungswärme von 1 Molec = 60 Gew. Th. Essigsäure
annähernd gleich derjenigen von 24 Gew. Th. Kohlenstoff: O2H403 — 2H2O = G»;
und ebenso annähernd gleich gross der von 1 Moleo. Grubengas: ^Ji^ß^ —
ÖO2 ^^ "GH^.
AUe diese Regeln haben indess keine allgemeine Gültigkeit, sie treffen in
manchen FäUen annähernd zu, in andern dagegen nicht
Beziehungen zwie^ehen den phyaikalischen Eigensehaften
der vor einer chemischen Metamorphose vorhandenen, zo
den physikalischen Eigenschaften der dnfcii sie erzeugten
K6rper.
Man hat sich mehrfach bemüht, Beziehungen zwischen dem physikalischen 501.
Eigenschaften der durch eine chemische Metamorphose erzeugten Producte zu den
Eigenschaften der Körper, aus welchen sie entstanden, nachzuweisen *). Gerade
80 wie die absi^uten Gewichte der Körper vor und nach der Metamcnrphoae diesel-
ben bleiben; in ähnlicher Weise wde die früheren Basicitätsgesetze (vgl. §. 859)
die Basidtät eines gepaarten Productes aus einer Paarungsgleichung herleiten
wollten , so hat naan viele physikalische Eigenschaften der bei einer Metamorphose
thätigen Körper in eine Gleichung setzen zu können geglaubt
A 4-B = C + D
Man hat dieser Gleichung, weil man wesentlich die Eigenschafteiii eines»
der Producte vergleichen wollte mit den Eigenschaften der Körper, aus welchen
es entstanden, meistens die Form gegeben.
A + B - C = X
Obgleich alle diese Regeln keinerlei theoretische Grundlage haben; obgleich
sie als empirische Regeln betrachtet nicht einmal allgemeine Gültigkeit haben,
vielmehr nur in manchen Fällen zutreffen, oder wenigstens annähernd zutreffen;
obgleich sie endlich in allen den Fällen, in welchen sie zutreffen, sich direct aus
den im Früheren besprochenen Regelmässigkeiten und Gesetzmässigkeiten herleiten
lassen, so mögen sie doch hier kurz erwähnt werden.
Specifisches Volum. Das specifische Volum einer Flüssigkeit) die durch 502.
Vereinigung zweier Flüssigkeiten unter Austritt von n Molecülen einer dritten eatr
steht, wird häufig ausgedrückt durch:
A + B - nC = X
*) Vgl. besonders: Berthelot, Annales de ohim. et de phys. ZLVIIL 822.
Alkohol.
Wasser. Essigäther.
e^e .
— Hj^ :— ^4^s'^t
68,5
18,8 = 106,9
300 Fhyaikafisdier DieO.
8o ist für Essigftäier:
Essigsäure.
6Ae, +
Das spec VoL: 62,2 4-
Der Versuch gab 107,4.
Es ist fHiher (§. 488) schon darauf anfinerksam gemacht worden, daas die-
ser Satz eine einfache Conseqnenz der §. 487 erörterten Regehnfissigkeiten ist
W8. Speci fische Wärme. Für die specifische Wärme verrnnthet Berthelot
eine ähnliche Beziehung. Er stützt sich dabei auf zwei Beispiele: Essigäther ver-
glichen mit Essigsäure , Alkohol und Wasser und Aether verglichen mit Alkohol
und Wasser.
In Betreff der Wahrscheinlichkeit dieser Beziehung vgl. §. 464.
604. Verbrennungswärme. Die Verbrennungswärme kann in manchen Fäl-
len aus derselben Gleichung annäherungsweise hergeleitet werden. (vgL auch
S. 600.)
Sie ist z. B. flir Essigäther:
Verbrennungswärme von 1 MoL Essigsäure 210800
„ „ „ „ „ Alkohol 880464
Demnach die von Essigäther berechnet: 540764
gefunden: 558784.
606. Brechungscoeffient Dieselbe Gleichung hat Berthelot auch auf die
lichtbrechende Kraft angewandt Man findet z. B. den spedfischen Brechungscoef-
fident eines Molecüls (vgL §. 518) einer Aetherart, aus denjenigen der betreffenden
Säure, des betreffenden Alkohols und des Wassers nach der Gldchung:
A+ B ~ C = X
Z. B. der specifische Brechungscoeffident von 1 Holec Essigäther berech-
net flieh:
Spec. Brechungscoef&dent von 1 MoL Essigsäure 60,8
„ „ „ „ „ „ Alkohol 49,6
Summe 99,9
Spec Brechungscoeffident von 1 Mol. Wasser 14,0
Spec Brechungscoeffident von 1 Mol. Essigäther 85,9
Der Versuch gab 88,0.
606. Siedpunkt Für die Siedpunkte hat Kopp, gelegentlich seiner ausführlichen
Experimentaluntersuchungen, schon auf mancherld Beziehungen zwischen den Sied«
punkten der durch eine Metamorphose erzeugten Körper zu denjenigen der Kör-
per, aus welchen sie entstanden, aufknerksam gemacht; andere solche Beziehungen
lassen sich direct aus den von Kopp mitgetheUten Regeln ableiten.
Schröder hatte schon darauf hingewiesen, dass durch Austritt von Wasser
(Hj0) der Siedpunkt um drca 110® — 120® erniedrigt werde. Berthdot hat die-
sen Gegenstand ausführlicher besprochen und gibt unter anderen die folgenden
Regeln:
1) Directer Austritt von Wasser (n . H,0) erniedrigt den Siedpuakt um 100* —
Kxystallfom. 301
110* etwa. Z. B. Amylalkohol und Amylezu (Die toh Berthelot gewfthlten
Beispiele geben eine Differenz von 97* — 112^,5.)
2) Directe Aufnahme von Salzsäure erhöht den Siedepunkt um 44* etwa. Z. B.
Amylen und Amylchlorid. (Seine Beispiele zeigen die Differenz: 45* — 67*.)
S) Directe Aufiiahme von Bromwasserstoff erhöht den Siedepunkt um etwas 73^.
Z. B. Allylbromid (e,H5Br) zu Propylenbromid (e^H^Br,). (Berthelot's Bei-
spiele geben eine Differenz von 65* — 84*.)
4) Eintritt von Salzsäure bei Austritt von Wasser erniedrigt den Siedepunkt
um etwa 66*. Z. B.:
Alkohol. Aethylchlorid
Alkohol siedet 78*; Aethylchlorid : 11*. - (Berthelot's Beispiele differiren
von 52*- 68*.)
5) Für die Aetherarten findet man annähernd den Siedepunkt, wenn man von
der Summe der Siedepunkte des Alkohols und der Säure 120* abzieht für
das austretende Wasser. Also allgemein:
A + B — 120* = X
Für Essigäther z. B.:
Essigsäure siedet bei 119*
Alkohol siedet bei 78*
197*
Davon ab 120*
berechneter Siedepunkt 77*
beobachteter „ 74*
6) Berthelot schlägt endlich die allgemeine Formel vor:
A+B — C = x±a
worin a die Differenz zwischen Rechnung und Beobachtung bedeutet; eine
Differenz, die innerhalb gewisser Reihen von Verbindungen mehr oder we-
niger constant ist, und dann in Rechnung gebracht werden kann. Berthelot
sagt selbst, die von ihm gegebenen Regeln drücken nur empirische Bezie-
hungen aus, es seien keine Gesetze; die Uebereinstimmung sei daher nur
annähernd. Man überzeugt sich in der That hinlänglich, selbst aus den von
ihm gewählten Beispielen, dass in den meisten Fällen eine Annäherung von
so etwas wie 20* stattfindet; wie dies nach den im Früheren besprochenen
Regelmässigkeiten nicht anders erwartet werden kann, weil (§. 478) derselben
Zttsammensetzungsdifferenz durchaus nicht in allen Fällen dieselbe Siede-
punktsdifferenz entspricht
Formverhältiiisse fester organischer VerbindimgeiL
Die Erystallformen organischer Verbindungen sind noch weit weni- 507«
ger studirt de die der unorganischen Substanzen. Es hat dies zum Theil
seinen Grund darin, dass eine grosse Anzahl organischer Verbindungen
302 Physikallidier TheU.
nur schwer in deutlich ausgebildeten Krjstallen und von für genaue Mes-
sungen geeigneter Flächenbeschaffenheit erhalten werden kann.
508. Selbst die Frage, ob homologen Verbindungen im Allgemeinen, oder
wenigstens öfter, dieselbe Krjstallform zukomme, ist nur in wenigen Fäl-
len durch Beobi^chtungen gepräft worden. Die bis jetst ausgeführten
Erjstalhnessungen homologer Substanzen zeigen, dass in manchen Fällen
homologe Substanzen allerdings isomorph sind, dass aber der Isomorphis-
mus homologer Körper durchaus nicht eine allgemeine Regel ist.
EsZsind z. B. isomorph:
Aeihylschwefelsaurer Baryt
und Methyl schwefelsaurer Baxyt.
Femer :
Schwefelsaures Thonerde
- Methylamin
«
^t
Aethylamin
1?
n
Amylamin
^1
yt
Trimethylamin.
Diese Salze krystallisiren in Formen des regulären Systems und gehören in
die Reihe der Alaune.
Das Trimethylaminplatipchlorid ist isoifiorpb mit Platinsalmiak ; aber die ent-
sprechend zusammengesetzten Salze anderer homologer Basen zeigen verschiedene
Form. Aethylaminplatinchlorid kiystallisirt in RhomboSdem, Diäth3'laminplatin-
chlorid monoklinometrisch , für das Tetrfithylammoniiunplatinchlorid ist es noch
zweifelhaft, ob seine Erystalle dem regulären oder dem quadratischen Systeme
angehören.
509. FUr Substitutionspro ducte ist in manchen Fällen Isomor-
phismus nachgewiesen; aber auch der Isomorphismus der Substitutions-
producte kann bis jetzt wenigstens nicht als allgemeine Regel angesehen
werden.
Isomorph sind z. B. nach Laurent:
femer:
ebenso:
Dinitro - Carbolsliure
= eeH^CNOa),^
Trinitro- „
= e,H,(N0j),e
Trichlor- „
= Bfi^Ci^^
Pentachlor- „
= e,H ciftO
Tribrom- „
= e,HaBr,0
Isatin
= 'GgH5N'0'2
Chlorisatin
= egH^ClNOa
Phtalsäureanhydrid = 6,1140,
Nitrophtalsäureanhydrid = 6aH,(N02)0,
und endlich die chlorwasserstoffiBauren und bromwasserstofsauren Salze von Cin-
ehonia, Bromdnchoiiin, BibromdnchomB und Bichlordnchonin.
Opttoohe BIgeiiBdialten. 303
Dimorphismus ist bei yerschiedenen organischen Verbindungen 610.
beobachtet worden, es wird darauf bei den einzelnen Substanzen auf-
merksam gemacht werden.
Nicht congruente Hemiedrie ist bei organischen Verbindnn- 611.
gen ebenfalls und zwar verhältnissmftssig h&ufig beobaditet worden. Es
wird nadiher (§. 516) noch auf den merkwürdigen Zusammenhang dieser
unsymmetrischen Krystallbildung mit einzelnen optischen Eigenschaften
aufmerksam gemacht werden.
Optische Eigenschaften organischer Yerbindiingen.
Von den optischen Eigenschaften organischer Verbindungen ist nur 612.
das Brechungsvermögen Gegenstand ausfilhrlicher Experimentaluntersuchun-
gen gewesen. Die von Gahours, Deville, Becquerel und Delffs bestimmten
Brechungscoefficienten zeigen deutlich, dass zwischen dem Brechungs-
vermögen und der chemischen Zusammensetzung gewisse Beziehungen
stattfinden *).
Man bezeichnet mit n den Brechungscoefficient; der Ausdruck: n^ — 1 518.
ist die brechende Kraft; — -3 — das specifischeBrechungsvermögen
Mfn^— 1)
(wp d = spec Gewicht); d^ Ausdrock: ^ — ^^ oder was dasselbe ist y(n'-^l)
(worin M das Moleculargewicht, V das specTolom) ist das spedfische Brechungs-
vermögen der Molecüle.
FQr Gase ist die Brechung des lichtes im Allgemeinen gering; die bre-
chende Kraft ist proportional der Dichte, das spec Brechungsvermögen also für
alle Gase eine constante Grösse.
Für Flüssigkeiten ist das spec. Brechungs vermögen stets etwas grösser
als das derselben Körper in Dampfform. Es ist z. B.:
Spedfisches Brechungsvermögen.
Wasser. Aether. Schwefelkohlenstoff. Cjran.
gasförmig . . . 0,782 0,912 0,876 0,708
flüssig .... 0,786 1,148 1,828 0,846
Die folgende Tabelle enthält den Brechungscoefficienten (n) und das speci-
fischeBrechungsvermögen der Molecüle ( "^^ ) f^r einige flüssige organische
Verbindungen.
*) Vgl. Buff, Kopp ujad Z^mmiaer, Ldirbnch der phys. und llieor. Chemie«
S. 864.
304
n^atkaliMhar TheU.
Substanfl.
FormeL
n
M(n»-1)
d.
Methylalkohol
eH^e
use
31.1
Aethylalkohol
OaH, 0
U68
49^
Amylalkohol
O^Hij^
1.402
108.9
Aether
O4H10O
1.866
87.
Essigsftare
62H4 02
1.376
60.8
Baldriansäure
6jHiQ02
1.396
103.2
Ameisens. Aethyl&ther
6,H^ 02
1.867
69.4
Essigs. Methyläther
OjH^ 0a
1.868
68.8
Essigs. Aethyläther
04H, 02
1.367
88.0
Butters. Aethyläther
^fHia0a
1.378
Baldrians. Aethyläther
07H,402
U90
189.4
Essigs. Amyl&ther
0|Hi402
090
189.4
Man sieht daraus:
Die Brechungscoeffidenten (n) der isomeren Aetherarten scheinen gldch gross
sn sein.
Die Brechungscoeffidenten der homologen Aetherarten nnd ebenso die der homo-
logen Säuren und der homologen Alkohole wachsen mit dem Molecular-
gewicht
Das specifische Brechungsvermögen der Molecüle r -^ ist gleich für Al-
kohol und Essigsäure und ebenso für Amylalkohol und Baldriansäure (wie
dies für die spedfischen Volume derselben Körper der Fall ist. §. 489.)
Innerhalb derselben homologen Reihe scheint derselben Znsammenaetzungsdüfe-
renz dieselbe Differenz des spedfischen Brechungsvermögens der Molecüle zu
entsprechen; sie ist für 0H2 annähernd =r 18. (Berthdot)
Für feste Körper scheint das specifische Brechungsvermögen ebenso gross
zu sein, wie das derselben Körper in flüssigem Zustand. Es ist z. B.:
t
Spedfisches Brechungsvermögen
Wasser. Wachs.
flüssig . .
fest. . .
. 0,7847 1,3138
. 0,7856 1,8131
514. F^ Gemische von Qasen ist der Brechungscoeffident des Gemisches gleich
der Summe des Brechungscoeffidenten der Bestandtheile. Dasselbe scheint auch
ffir Gemische von Flüssigkeiten der Fall zu sein (Berthelot), wenigstens stimmen
die für Gemenge von Alkohol mit Wasser berechneten Brechungscoeffidenten sehr
nahe mit den durch den Versuch bestimmten überein.
Optische Eigenschaften. 305
Brechnngscoeffident
gefunden, berechnet
Absoluter Alkohol . . f . 1.868
Alkohol von 10 pC. Wasser 1.866 1.866
20 „ „ 1.866 1.868
30 „ „ 1.866 1.867
40 „ „ 1.868 1.866
1» Vi
60 „ „ 1.862 1.864
60 ,, „ 1.869 1.869
70 „ ,, 1.864 1.864
80 „ „ 1.847 1.847
90 „ „ 1.341 1.840
Wasser 1.838
Für chemische Verbindungen Iftsst sich nach Berthelot das spedfische
Brechnngsvermögen der MolectÜe aus der Formd:
A + B — C = X
berechnen, (vgl. §• ß06.)
Andere optische Eigenschaften sind bei yielen organischen Substan- 515.
zen beobachtet und sogar in besonders hervortretendem Orade beobach-
tet worden. 80 zeigt z. B. das Chinin die Erscheinung der inneren
Dispersion in aufifallendem Maasse; Pleochroismus findet sich bei
einer grossen Anzahl organischer Verbindungen, besonders schön bei den
Platincyanyerbindungen, bei Piperin, Murexid, Hjdrochinin, Chrysammin-
sauren Salzen, bei Tetr&thjlammoniumtrijodid, bei schwefelsaurem Jod-
cbinin etc. Die letztere Verbindung (Herapathit) besitzt unter anderm
80 starkes Polarisationsvermögen, dass sie statt des Turmalins angewandt
werden kann. Alle diese Erscheinungen stehen indessen zu vereinzelt
da und lassen namentlich noch keinerlei Zusammenhang mit chemischen
Eigenschaften erkennen, als dass sie hier ausführlich erörtert werden
können.
Circularpolarisation. Viele organische Verbindungen besitzen sie.
in hohem Grade das Vermögen, die Polarisationsebene zu drehen. Es
wird sp&ter gelegentlich einzelner Subsstanzen, welchen diese Eigenschaft
zukommt, darauf besonders aufmerksam gemacht werden (vgl. Wein-
säure, Aepfels&ure, Asparagin, Camphorsfture, Cbinabasen etc.) ; auch die
Verwendung dieser optischen Eigenschaft als analytische Methode wird
später gelegentlich des Zuckers (optische Sacharimetrie) besprochen wer-
den. Hier muss nur im Allgemeinen darauf hingewiesen werden, dass
zwischen dem optischen Drehungsvermögen und der Erystallform ein
merkwürdiger Zusammenhang stattzufinden scheint. Man hat nämlich ge-
funden , dass nahezu alle optisch wirksamen Substanzen in hemiedrischen
Formen krystallisiren und dass in den Fällen, in welchen zwei optisch
wirksameModificationen existiren, eine rechts- und eine linksdrehende,
die Krystalle meistens nicht oongruente Hemiedrie zeigen. Indessen scheint
Kckpl^, orgaa. Chenic. 20
30Q Physikaliücher Theil.
diese Regel keia allgemein galtiges Gesetz, wenigstens hat man bei deai
amjlschwefelsauren Baryt, obgleich er Drehongsvermögen besitzt, bis jetzt
keine hemiedrischen Formen nachweisen können und man hat umgekehrt
beobachtet, dass der ameieensaure Strontian Erjstalle liefert, welche so*
gar nicht congruente Hemiedrie zeigen, während er auf die Polarisations-
ebene nicht drehend wirkt.
617. Merkwürdig ist noch, dass Körper von gleicher chemischer Zusam-
mensetzung und gleichen chemischen Eigenschaften in optisch verschie-
denen Modificationen exisüren. So gibt es eine optisch wirksame und
eine optisch unwirksame Aepfelsäure« Für die Weinsäure existiren sogar
ausser der optisch unwirksamen Modiflcation zwei optisch verschiedene
wirksame Modificationen, von welchen die eine eben so weit nach rechts
ablenkt als die andere nach links dreht Diesen beiden wirksamen Mo-
dificationen entspricht dann bei den Krjstallep eine ungleiche SteUung
der nicht congruent hemiedrisdien Flächen. Es ist früher schon auf diese
eigenthümliche Verschiedenheit der physikalischen Eigenschaften bei völ-
liger oder wenigstens fast vollständiger Gleichheit der chemischen Eigen-
schaften aufmerksam gemacht worden (§. 321). In manchen Fällen ist
es gelungen, die eine dieser Modificationen durch chemische Metamorpho-
sen in die andere überzuführen.
618. Alle diese Körper zeigen die Eigenschaft der Ciroularpolarisation
nicht nur in festem Zustand (wie dies bei dem Quarze der Fall ist), sie
behalten sie auch bei in ihren Lösungen. Man kennt sogar Flüssigkeiten,
die optisches Drehungsvermögen besitzen, z. B. Terpentinöl und andere
ätherische Oele, Nicotin, Amylalkohol etc.; ja man hat bei dampfförmi-
gen Körpern, bei dem Dampf des Terpertinöls, noch eine merkliche Wir-
kung auf das polarisirte Licht beobachtet Man kennt endlich Flüssig-
keiten in optisch wirksamen und optisch unwirksamen Modificationen;
man erhält z. B. nach Wurtz aus dem optisch wirksamen Amylalkohol
eine optisch wirksame Gapronsäure, welche chemisch identisch ist mit der
optisch unwirksamen Gapronsäure aus Gocosnussöl.
619. Man ist bis jetzt nicht im Stande sich über die Ursache dieses Phänomens die
geringste Rechenschaft zu geben. Fände sich das Drehungsvermögen nur bei festen
Körpern, so könnte man die Ursache in der Art der Krystallisation, etwa in hemie-
drischer Form der Krystallmolecüle suchen, da aber Lösungen, Flüssigkeiten und
selbst Gase dasselbe Verhalten zeigen, so muss man das Drehongsvermögen für
eine den Molecülen selbst inhärirende Eigenschaft halten-, dafür spricht unter an-
deren auch noch die Erfalimng, dass optisch wirksame Körper diese Eigenschaft
durch ganze Reihen von chemischen Umwandlangsproducten beibehalten; dass
z. B. das Drehungsvermögen des Camphers sich in der Gamphorsänre und selbst
in der Aethyl- und Methylcamphorsäure wiederfindet, dass der Traabenzncker sein
Drehungsvermögen in der Verbindung mit Kochsalz beibehält etc. —
620. Es ist oben erwähnt worden, dass die optisch und in SteUung der hemiedii*
sehen Flächen entgegengesetzten Modificationen derselben Substanz sich chemisdi
optische Eigenschaften. 307
gleich oder fast gleich verhalten. Es muss noch zngefttgt werden, dass nach Un-
tersuchungen von Pasteur, dem die Wissenschaft fast alle Thatsachen verdankt,
die über diese merkwürdigen Eigenthümklichkeiten bekannt sind, die optische Ver-
schiedenheit doch in manchen Fftllen auch andere Verschiedenheiten zur Folge
hat, die sich wunderbarerweise nur in dem Verhalten zu andern optisch wirksamen
Körpern zeigen. So verhalten sich z. B. die optischen und krystallographischen
Gegensätze der Weinsäure gegen optisch unwirksame Körper völlig gleich. Bei
Verbindungen mit optisch wirksamen i^örpem dagegen zeigt sich eine geringe Ver-
schiedenheit der Löslichkeit, eine Verschiedenheit des Krystallwassergehalts etc.
Bisweilen bildet die eine Modification eine Verbindung, die die andere nicht zu
bilden im Stande ist So verbindet sich das rechtsdrehende saure weinsaure Am-
moniak mit dem optisch wirksamen sauren äpfelsauren Ammoniak zu einem kry-
atallisirenden Doppelsalze, wShrend das linksdrehende saure weinsaure Ammoniak
diese Verbindung nicht bildet Das Asparagin bildet mit der entsprechenden Wein-
säure eine schöne krystallisirende Verbindung, mit der linksdrehenden eine syrup-
artige nicht krystallisirende Flüssigkeit
Specieller Theil.
Cyanverbindungen.
Radical: Cyan = eN = Cy.
621. Es ist schon wiederholt darauf aufmerksam gemacht worden ($$. 248,
392, 300), dass in den Cyanverbindungen je nach den Metamorphosen,
die man gerade betrachtet, verschiedene Radicale angenommen werden
können. In vielen Metamorphosen bleibt die Gruppe: 6N unzersefzt und
wird durch doppelten Austausch in andere Verbindungen übertragen. In
andern Reactionen dagegen, namentlich dann, wenn günstige Bedingun-
gen zur Bildung von Ammoniak vorhanden sind, erleidet diese Atom-
^uppe Zersetzung, indem der Stickstoff in Form von Ammoniak aus-
tritt, während der Kohlenstoff in Verbindungen anderer Radicale Aber-
geführt wird. Die erste Gruppe von Metamorphosen findet ihren Ausdruck
in der Annahme des Radicals Cyan; nach den andern erscheinen die
Cyanverbindungen als amidartige Verbindungen der Ameisen-
säure, Kohlensäure, Oxalsäure etc.
Im Folgenden sind die Cyanverbindungen aus früher (§. 392) er-
örterten Gründen nach der ersten Betrachtungsweise zusammengestellt
Typische Uebersickt der einfacheren Cyanverbindungen.
Wasserst off typ. Wasser typ. Ammoniak typ.
€N.H
Cyanwasserstoff.
(Blaus&ure.)
Cyans&nre.
GN
H N
Cyanamid.
eN.eN
GUla
•
Cyan.
Solfocjans&ure.
«N.Cl
Cyanchlorid.
(Chloroyan.)
OyttnverbmdimgeiL 309
Die Zahl der Cjanverbindungen wird noch dadurch vermehrt , dass
ÜOr Verbindungen der verschiedenen Typen polymere Modiflcationen
ezistiren (§. 313). Man kennt namentlich Körper von dreifacher Mole-
colargrösse, in welchen gewissermassen die Gruppe: 36N = €9^3 die
Rolle eines dreiatomigen Radicales spielt.
Cjanurchlorid. Cyanurs&ure« Gyanuramid.
(Festes Chlorcyan.) (Meiamin.)
Geschichtliche Notizen. Die erste Cyanverbindung, das Berlinerblau, 622.
wurde, nach Stahl's lüttheüung (1781) etwa 1704 von Diesbach und Dippel
durch Zufall entdeckt, als ersterer Cochenille-Lack mittelst eines Kalis, welches
Dippel zur Reinigung des nach ihm benannten Thieröls gedient hatte, darstellen
wollte. Die Methode der Darstellung wurde 1724 von Woodward veröffentlicht*
Mac quer entdeckte 1752 das Bludaugeusalz; der Eisengehalt dieses Salzes wurde
von Baum^ 1778 nachgewiesen und von Berthe 11 et 1787 als wesentlich erkannt.
Die Blausfture wurde 1782 von Scheele entdeckt, ihre Zusammensetzung von
Berthollet ermittelt Sie wurde von Prout, Porret und Ittner genauer un-
tersucht, der letztere erhielt sie 1809 in reinem Zustand als Gas. Gay-Lussac
erhielt sie 1811 flüssig; 1814 entdeckte er das Cyan, welches er schon fttr das
Radical der Cyanverbindungen ansah und mit dem Namen Cyanog^ne be-
zeichnete.
Vorkommen von Cyanverbindungen. Cyanverbindungen finden sich 523.
nur sehr wenig fertig gebildet in der Natur. Salze der Sulfocyansäure hat man
im Speichel des Menschen, des Schafes etc. nachgewiesen (Gmelin). Die bitteren
Ifandeln, die Kerne der Pfirsiche, Kirschen etc., die Blüthen der Schlehe, die Blät^
ter des Kirschlorbeers und überhaupt Kerne, Blüthen, Blfttter und sonstige Theile
der Pflanzen aus der Familie der Amygdaleen, liefern bei Destillation mit Wasser
neben andern Producten Bl^tusäure. Für die meisten dieser Pflanzentheile ist es
nachgewiesen, für die andern wenigstens wahrscheinlich, dass sie die Blausäure
nicht als solche enthalten, dass diese vielmehr ein Zersetzungsproduct des in den
Pflanzen vorkommenden Amygdalin's ist Das ätherische Senfl)] enthält den Sulfo-
C3raiisäureftther des Allylalkohols.
Bildung von Cyanverbindungen. 1) Der freie Stickstoff (der Luft 524.
z. B.) ist föhig, wenn er mit einem stark glühenden Gemenge von Kalium und
Kohle oder mit einem bis zur Weissgluth erhitzten Gemenge von Kali oder koh-
lensaurem Kali und Kohle zusammenkommt, CyankaHum zu bilden. 2) Die Sauer-
stoffverbindnngen des Stickstoffs liefern unter ähnlichen Bedingungen weit leichter
Cyanverbindungen. So entsteht z. B. beim Verpaffen eines Gemenges von Salpeter
mit Weinstein oder essigsaurem Kali Cyankalium. Viele, selbst stickstofffreie or-
ganische Verbindungen liefern bei Destillation mit Salpetersäure Cyanwasserstoff.
8) Ammoniak über glühende Kohle geleitet bildet Cyanammonium, ebenso ein Ge-
menge von Kohlenozyd und Ammoniak in Berührung mit glühendem Platin-
Bchwamm. Wird Ammoniak über ein glühendes Gemenge von kohlensaurem Kali
und Kohle geleitet, oder wird Salmiak mit kohlensaurem Kali und Kohle oder
'3-10 CyanverbindungeB.
auch mit weinsaurem Kali geglüht, so entsteht Gyankalinm. 4) Der Stickstoff
stickstoffhaltiger organischer Substanzen bildet Gyankalinm, wenn man diese mit
Kalium erhitzt (vgl. §. Id. Reaction auf Stickstoff) oder wenn man diese Substan-
zen oder die aus ihnen bereitete stiskstoffhaltige Kohle mit kohlensaurem Kali
glüht. 6) Die Ammoniaksalze der Ameisenstture und der Oxalsäure and ebenso
die Amide der Oxals&ure und der Kohlensäure liefem beim Erhitzen fttr sieh odtt
mit wasserentziehenden Substanzen unter Verlust von Wasser: Cyanwasserstoff)
Cyan oder CyansSure.
Zur Darstellung der Cyanverbindungen im Grossen wird durch Glühen stick-
stoffhaltiger Thiersubstanzen (Hom, Wolle, Leder etc.) oder der aus solchen Sub-
stanzen erhaltenen Kohle mit kohlensaurem Kali zunächst Cyankalium (= 6NK)
dargestellt und dieses dann, durch Behandeln mit Bisen oder einer Eiseäverbin-
düng in Blutlaugensalz (Ferrocyankalium = O^NjFeK^) übergeführt , aus welchem
dann die Übrigen Cyanverbindungen dargestellt werden.
Die Bildung des Cyankaliums aus dem Stickstoff der Luft ist im fabrik-
mässigen Betrieb versucht, aber als nicht rentabel wieder aufgegeben werden.
Cyanverbindungen des Wasserstoflftyps.
Cyanwasserstoff (Cjanwasserstoffsäure, Blaus&nre) = 6NH = CjH.
625. Der CyaDwasserstoff wird durch doppelte SSersetsung ans Cyan-
metallen erhalten. Freies Cyan mit freiem Wasserstoff gibt keinen Cyan-
wasserstoff.
Von theoretischem Interesse ist die Bildung von Cyanwasserstoff
beim Eriiitzen von ameisensaurem Ammonium auf 200^:
€H(NH4)0, = eflN + 2H,0
Trockne Cyanwasserstoffs fture kann direct durch Zersetsong von
trocknem Cyanquecksüber mit trockner Salzsäure (Gay-Lussac) oder mit Schwe-
felwasserstoff (Vau quelin) erhalten werden; wässriger Blausäure kann man durdi
Chlorcaldum das Wasser entziehen.
Wä'ssrige Blausäure kann durch Destillation von Cyankalium mit
Schwefelsäure dargestellt werden, oder auch durch Zusatz von Weinsäure zu Cyan-
kalium (4 Th. Cyankalium, 9 Th. Weinsäure, 60 Th. AqO, dabei scheidet sich
das weinsaure Kali fast vollständig aus, so dass die Blausäure abgegossen werden
kann (Clarke). Gewöhnlich bereitet man die Blausäure durch Destillation von
BluÜaugensalz (vgl. §. 542) mit verdünnter Schwefelsäure. Dabei wird etwa die
Hälfte des im BluÜaugensalz enthaltenen Cyans ab Blausäure gewonnen.
2 Cy^FeA 4. 8 SO^ = 6 CyH + Cy,Fe4K, + 8 B^JL^
Die andere Hälfte des Cyans bleibt, neben schwefelsaurem Kali, in Verbindung
mit allem Eisen und einem Theil des Kaliums als weisser, an der Luft rasch
blauwerdender pulverförmiger Rückstand (Ferrocyaneisenkalium $. 644) surflck.
Bei lang fortgesetztem Kochen wird dieses Pulver theilweise zersetzt und dadaroh
etwas mehr aber weniger reine Blausäure erhalten. Die Ausscheidung dieses Pul-
vers veranlasst heftiges Stossen und stossweises Ueberdestilliren; da dabei die
CyanwasserstofiP.
311
Dämpfe sdiwer verdichtet werden, ist es zweckmässig, das Ende des Kfihlrohrs
durch Eintauchen in Wasser oder die schon überdestillirte Blausäure abzuschlies-
sen. Die ersten Theile des Destillats sind reine und sehr concentrirte Blausäure.
Zweckmässige Verhältnisse: 1) Für concentrirte Säure: 10 Th. grob gepul-
vertes Blutlaugensalz, 6 Th. englische Schwefelsäure, 14 Th. Wasser (Wo hl er).
2) Für verdünntere Säure: 10 Th. Blutlaugensalz, 6 Th. Schwefelsäure, 30 — 40
Th. Wasser (Gmelin). Die direct erhaltene Blausäure enthält stets etwas Schwe-
felsäure und meist etwas Ameisensäure; beide können durch Rectification über
Hagnesia entzogen werden. Dies geschieht jedoch selten, weil die reine Blausäure
sich in wässriger Lösung sehr rasch zersetzt, während sie durch eine Spur einer
anderen Säure haltbarer wird.
Eigenschaften* Die trockne Blausäure ist eine farblose Flüssig-
keit; spec. Gew. 0,7058 bei -}- 7®; sie siedet bei 26®,5 und erstarrt bei
— 15®; lässt man einen Tropfen an einem Olasstab rasch verdunsten, so
erstarrt ein Theil. Sie löst sich in Wasser in jedem Verhältniss, die Lö-
sung ist leichter als Wasser; auch mit Alkohol ist sie mischbar.
Die trockne Blausäure sowie die concentrirte wässrige Lösung brennt
mit schwach violett gefärbter Flamme. Die Blausäure riecht eigenthüm-
lich, an bittere Mandeln erinnernd. In geringer Menge eingeathmet er-
zeugt sie ein eigenthQmliches Kratzen im Schlünde, in grösserer Schwin-
del. Sie ist äusserst giftig *) , das Einathmen der Dämpfe von wasser-
*) Scheele, der Entdecker der Blausäure, übersah die giftige Eigenschaft der-
selben. Er stellte die Blausäure dar, indem er Cyanquecksilber mit Schwe-
felsäure und Eisenfeile schüttelte, bis die Flüssigkeit nicht mehr metallisch
Bchmeekt ete.
312 Cyanverbindangen.
freier oder von sehr conceDtrirter w&ssriger BlaoBtare tödtet aagen*
blioklicb.
Die reine Blausäure ist nicht haltbar. Selbst in troeknem Zustand
zersetzt sie sich bald unter Bildung von Ammoniak und einer braunen
Bubstanz (§.575). Die wässrige Lösung erleidet dieselbe Zersetzung, um
so rascher, je concentrirter und reiner sie ist; Gegenwart einer geringen
Menge einer anderen Säure macht sie haltbarer, Gegenwart von Alkali
beschleunigt die Zersetzung. Dabei geht ein Theil der Blausäure durch
Aufnahme von Wasser in ameisensaures Ammoniak über:
GHN + 2H,e = GH(NH4)e,
Kocht man Blausäure mit einem Alkali, so erfolgt diese Umwand-
lung in Ameisensäure und Ammoniak sehr rasch.. Setzt man zu trockner
Blausäure concentrirte wässrige Salzsäure, so wird alle Blausäure momen-
tan in Ameisensäure und Salmiak zerlegt
Kalium verbrennt beim Erhitzen in Cyanwasserstoffdampf unter Frei-
werden von Wasserstoff zu Cyankalium. Chlor und Brom zersetzen die
Blausäure unter Bildung von Chlor- oder Bromcjan ($$. 566, 570).
Nachweis und quantitative Bestimmung der Blausäure.
526. Qualitative Reactionen: 1) Man macht die zu prüfende Flüssig-
keit mit Kalilauge alkalisch, setzt an der Luft oxydirte Eisenvitriollösung
zu und dann so viel Salzsäure bis das vom Kali gefüllte Eisenoxydozydul
gelöst ist War Cyanwasserstoff vorhanden, so bleibt Berlinerblau (§. 563)
ungelöst oder man erhält eine blaugrüne, bisweilen sogar nur gelbgrüne
Lösung, aus welcher sich beim Stehen, selbst bei sehr geringen Mengen
von Cyanwasserstoff, blaue Flocken absetzen. 2) Man dampft die blau-
säurehaltige Flüssigkeit mit etwas mehrfach Schwefelammonium zur
Trockne, löst in Wasser und setzt Eisenchloridlösung zu. Die geringste
Spur von Blausäure gibt hinlänglich Sulfocyanammonium, um mit dem
Eisensalz eine intensiv rothe Färbung hervorzubringen (§. 684). 3) Weni-
ger charakteristisch (weil Jodwasserstoff dieselbe Reaction zeigt), ist die
folgende Reaction (Lasseigne). Man macht mit Kalilauge alkalisch,
setzt EupfervitrioUösung zu und dann etwas Salzsäure. Das Eupferoxyd
wird gelöst; war Blausäure vorhanden, so bleibt ein weisses Pulver von
Kupfercyanür (§. 537).
Bei gerichtlichen Untersuchungen hat man erst durch Destillation der
zu prüfenden Substanz mit sehr verdünnter Schwefelsäure die Cyanwasser-
stoffsäure abzuscheiden. Nimmt man diese Destillation im Wasserbad vor,
so hat man nicht zu fürchten , dass die überdestüUrte Blausäure aus Blut-
laugensalz oder einem andern nicht giftigen Cyanmetall herrühre, weil
diese Salze unter diesen Umständen nicht zersetzt werden (Thaulow).
Quantitative Bestimmung. 1) Man fällt die mit Salpetersäure
angesäuerte Flüssigkeit mit salpetersaurem Silber und wägt den getrock-
Cyanide. 313
neten Kiederschlag von Cyansüber (§. 586). 2) Hau schüttelt die Cyan-
wasserstoff enthaltende Flüssigkeit mit einer gewogenen Menge von Queck-
silberoxyd und wägt das ungelöste Quecksilberoxyd zurück (Ure). Die
Methode ist ungenau, weil das Cyanquecksilber einen Ueberschuss von
Quecksilberoxyd auflöst (§. 588). 8) Sehr genau und in der Ausführung
einfach ist die Titrirmethode von Lieb ig. Sie beruht darauf, dass beim
Zufügen von salpetersaurem Silber zu einer Lösung von Cyankalium zu-
nächst lösliches Cyansüberkalium entsteht, aus welchem durch weiteren
Zusatz der Silberlösung weisses Cyansüber gefällt wird:
2KCy + AgNO, = AgKCya'+ KNe,
AgKQy + AgNO, = 2AgCy + KNO,
Man macht demnach die blausäurehaltige Flüssigkeit mit Ealüauge alka-
lisch und setzt von der titrirten Silberlösung zu, bis bleibende Trübung
entsteht. Die Probeflüssigkeit enthält 6,8 Gramm geschmolzenes salpeter-
saures Silberoxyd in 100 C. C. m. ; 1 C. C. m. entspricht demnach 0,002
Gramm Cyanwasserstoff (L i e b i g) •).
Verbindungen des Cyanwasserstoffs mit Chloriden. (Wöhler 527.
1847). Der Cyanwasserstoff vereinigt sich direct mit einigen Chloriden, z. B. mit
Titanchlorid, Eisenchlorid, Antimonchlorid zu krystallisirbaren Verbindungen.
piCla + CyH; Fe^a, + 2CyH; Sba» + 3CyH].
Cyanmetalle.
8yn. Cyanide) blausaurö Salze.
Der Wasserstofif der Blausäure kann durch Metalle ersetzt werden; 528.
aber die Blausäure besitzt nieht eigentlich den Charakter einer Säure, es
sind z. B. gerade die Cyanide der sonst stärksten Basen am wenigsten
beständig und schon durch die schwächsten Säuren z. B. Kohlensäure
zersetzbar, während andere Cyanide eine grosse Beständigkeit zeigen.
Die Bildung einzelner Cyanide ist schon oben (§. 525) besprochen.
Maoehe können durch Einwirkung des Metalls (E, Na etc.) auf Cyan-
wasserstoff, andere durch Einwirkung wässriger Blausäure auf das Metall-
oxyd (HgO, AgjO) oder das Hydrat (KHO) erhalten werden ; die meisten
hat man durch doppelte Zersetzung aus andern Cyaniden dargestellt.
Die Cyanmetalle entsprechen in ihrer Zusammensetzung im Allge-
meinen den Chloriden. Aber ausser den einfachen Cyaniden, d. h.
denjenigen, die nur ein Metall enthalten, existirt noch eine grosse Anzahl
▼on Doppelcyaniden, d.h. von Cyanmetallen, die gleichzeitig mehrere
Metalle enthalten.
*) VergL auch: Hohr, Lehrbuch der chemisch -analytischen Titrismethode. II.
S. 2. -
314
CyanverbiiidBtigen.
Die iölgende Tabelle gibt die Formeln der ^ehtigsien Cyanide and Doppel-
cyanide. Die Spalte 1 enthält die einfachen Cyanide, in Spalte 2 sind die Doppel-
cyanide als Doppelsalze, d. h. als additioneile Verbindungen verschiedener einfacher
Cyanide geschrieben; Spalte 8 gibt die empirischen Formehi der Doppelcyanide.
L
IL
m.
Cyanide.
Doppel
Cyanide.
K Cy
Zn Cy
2n Cy + KCy
CdCy +KCy
K Zn, Cy,
Cd Qy
KOd, Cy,
NiCy
Ni Cy + KCy
KFi, Cy,
AgCy
AgCy +KCy
K Ag, Cy,
Hg Cy,+)
—
—
Au Cy
Au Cy + KQy
K Au, Cy,
—
Au Cy, + KCy
—
CuaCy
Cua Cy 4- KCy
K cu, Cy, •>
—
Ou, Cy + ZKQy
—
—
Pt Cy +KCy
K, Pt Cy,
—
Pt, Ou + MOy
K,Pt Pti Cy, ••)
Fe Cy
Fe Cy + 2KCy
K4, Fe, Cy,
—
Fe, Qy« + SKCy
K,;fe, Cy,»«)
CoCy
Co, Cy, 4- 8KCy
K„ CO, Cy,
—
Cr, Cy, + 3KCy
K„ er, Cy,
-
Mn, Cy, + 8KCy
K, nm„ Cy,
Allgemeine Charakteristik der Cyanide.
Einfache Cyanide. Die Gyanalkalien sind iii Wasser sehr lös-
lich, sogar zerfiiesslich; die wlkssrige Lösung zersetzt sich selbst in der
Kalte, rasch beim Erhitzen anter Bildung Ton Ameisensaure und Ammo-
niak. Sie riedien stets nach Blaus&ure, die schon durch die Kohlens&ure
der Luft ausgetrieben wird. In trocknem Zustand können sie ohne Zer-
setzung erhitzt werden; sie sind leicht schmelzbar und in starker Glüh-
hitze UDzersetzt flüchtig. Bei Gegenwart von Sauerstoff oder von Metall-
oxyden geglüht gehen sie in cyansaure Salze über.
:200.
+) Hg -^ ^.
•) cu = Vj Cu.
••) pt = ^/t Pt
•••) fe = >/, Fe; co = »/, Co; er = »/, Cr; mn = «/, Mn.
Die Cyanide der alkiJJBoben Erden niid noüh wenig untersucht*).
Sie sind weniger löslidi als die Cjanalkalien ; von Kohlensäure leicht
eersetzbar.
Die Cyanide der schweren Metalle sind, mit Ausnahme des Cyan-
quecksilbers , in Wasser unlöslich. Li trocknem Zustand erhitzt erleiden
sie s&mmtlich Zersetzung meist unter Entwicklung von Cyan ; dabei bleibt
entweder Metall (z. B. Hg) oder ein Gemenge von Metall mit ParaCyan-
metall (z. B. Ag, Zn, Cu); h&uflg Eohlenstoffmetall (z. B. Fe). — Erhitzt
man die Cyanmetalle mit Wasser auf 280®, so werden sie zersetzt unter
Bildung von fietalloxyd neben ameisensaurem und kohlensaurem Ammo^
niak; bei Cyandiber und Cyanqueduilber entsteht Metall, neben kohlen-
saurem Ammoniak**).
Gegen Säuren yerhalten sich die Cyanide sehr verschieden. Wäh-
rend die CyanalkaUen durch verdünnte Säuren und selbst durch Kohlen-
säure zersetzt werden, zeigen die Cyanide der schweren Metalle häufig
eine grössere Beständigkeit. Einzelne, z. B. Gyanblei, Cyanzink etc. wer-
den von den stärkeren Mineralsäuren selbst in verdünntem Zustand zer-
legt unter Freiwerden von Blausäure; andere, wie Cyansilber und Cyan-
queoksilber werden von den s. g. SauerstoflEsäuren (Salpetersäure, Schwe-
felsäure) in verdünntem Zustand nicht angegriffen, von Salzsäure und von
Schwefelwasserstoff dagegen leicht zersetzt; noch andere (Cyaneisen,
Cyangold) widerstehen selbst den stärkeren Säuren (Salpetersäure, Schwe-
felsäure, Salzsäure; wenn diese nicht allzu oonoentrirt, sogar m der
Siedehitze).
Doppelcyanide. Die unlöslichen Cyanide der schweren Metalle 580.
lösen sich, zum Theil mit grosser Leichtigkeit, in den Lösungen der Cyan-
alkaUen. Aus diesen Lösungen werden dann durch Krystallisation Dop-
pelverbindungen der betreffenden Cyanide, s. g. Doppelcyanide erhalten«
Die Eigenschaften dieser Doppelcyanide sind sehr verschieden. Bis
zu einem gewissen Grade finden sich in ihnen die Eigenschaften der sie
zusammensetzenden einfachen Cyanide wieder.
Beim Erhitzen zerfallen sie meist wie Gemenge der beiden einfachen
Cyanide es thun würden. So gibt z. B. das Ferrocyankalium unter Ent-
wicklung von Stickstoff Cyankalium und Kohleneisen, das Ferrocyan-
kupfer gibt ein Gemenge von Kupfer, Paracyankupfer und Kohlenstoff-
eisen etc.
Mit Wasser auf 280® erhitzt zeigen sie ein entsprecheDdes Verhal-
ten. Ferrocyankalium und Ferricyaukalium z. B. zersetzen sich vollstän-
dig zu ameisensaurem Kali, kohlensaurem Ammoniak und oxydirtem
Eisen. (Reynoso).
•) Vgl. C. Schulz, Jahresbericht 1856. 486.
•*) Vgl. Itoynoso, Aul Ghem. Pharm. LXXXm.108. — Jahresbericht. 1852.820.
316 Cyaaverbindiuigen.
681. Gegen Säuren zeigen die Doppeloyanide sehr ungleiche Beständig-
keit. Das Alkalimetall wird stets mit Leichtigkeit entzogen und durch
Wasserstoff ersetzt. Bei vielen Doppelcjaniden geschieht dies, ohne dass
dadurch das Molecül zerstört wird; z. B.:
CyeFe2K4 + 4HC1 = Cj«Pe2H4 + 4KC1
bei andern dagegen entweicht Cyanwasserstoff, während sich Cyanid des
schweren Metalls ausscheidet; z. B.:
CyjAgK + HNO3 = CyAg + CyH + KNO,
oder
Cy,AgK + HCl = CyAg + CyH + KCL
Ist das sich ausscheidende Cyanid des schweren Metalls durch die
angewandte Säure zersetzbar, so wird diese Zersetzung durch den Ueber-
schuss der Säure hervorgebracht:
Cy,AgK + 2HC1 = 2CyH + AgCl + KCl
2CyjZnK + 2H2Se4 = 2CyH + Zn^SO* + Kj&e4
im andern Fall dagegen bleibt der Ueberschuss - der Säure ohne Wir-
kung; z. B.:
CyjAgK 4- 2HNe3 = CyAg + CyH + KNO, + HNO,
Diese ungleiche Beständigheit dlBr Doppelcyanide (die in der üeber*
Sichtstabelle §. 528 Spalte EI. durch die Stellung des Komma's angedeutet
istj, hat die Veranlassung gegeben, zwei verschiedene Arten von Dop-
pelcyaniden anzunehmen. Die leicht zersetzbaren Doppelcyanide,
d« h. diejenigen, welche auf Zusatz einer Säure schon in der Kälte Cyan-
wasserstoff abgeben , betrachtet man als wirkliche Doppelsalze , d. h. als
additionelle Verbindung der beiden einfachen Cyanide. In den schwer
zersetzbaren Doppelcyaniden dagegen, also in denjenigen, welche
auf Säurezusatz keinen Cyanwasserstoff entwickeln , bei denen vielmehr
alles Cyan mit dem schweren Metall vereinigt bleibt, während nur das
Alkalimetall gegen Wasserstoff ausgetauscht wird , nimmt man häufig zu-
sammengesetzte metallhaltige Radicale an. Man nimmt also an, das
schwere Metall sei mit dem Cyan enger verbunden und dieses so gebil-
dete Radical habe, wie das Chlor, die Fähigkeit, sich mit Alkalimetallen
zu Salzen zu vereinigen, aus welchen durch stärkere Säuren die Wasser-
. stoffverbindung des zusammengesetzten Radicals abgeschieden werde.
Nach dieser Ansicht erscheint z. B. das Blutlaugensalz, dessen empirische
Formel: CyjFeK, ist, als die Kaliumverbindung des zusammengesetzten
Radicals *) Ferrocyan = Cy,Fe =: ©jNaFe, welches man häufig mit Cfy
*) Die Annahme der metallhaltigen Radicale, des Ferrocyans z» B. rührt von
Doppelcyanide. 317
bezeichnet Dasselbe Salz wird yoD der anderea Ansieht als eine Dop-
pelverbindung von Eisencyanar (= CjFe) mit Gyankalinm betrachtet
Es ist also:
empirisch. als Doppelsalz. mit zusammenges. RadicaL
e,N,FeEa = Cy,FeK,; FeCy + 2KCy; CjJ^efi^ oder Cfy.2K.
Ebenso nimmt man häufig im rothen Blutlaugensalz das Radical: Ferri-
cyan = Cy^Fca = Cfdy = 2Cfy an; während die andere Ansicht dieses
Salz als Doppelverbindung von Eisencyanid und Cyankalium betrachtet:
OeNeFejK, = Cy«Fe^Kg; Fe^Cy, + 3KCy; CyeFej,K3 oder Cfdy.SK.
Man überzeugt sich zunächst leicht, dass die Einwirkung der Sau- 582.
ren auf die verschiedenen Doppelcyanide in der ersten Phase der Zer-
setzung dieselbe ist; das Alkalimetall wird durch Wasserstoff ersetzt
Aber die so gebildete Gy an wasserstoffsäure bleibt in manchen Fällen mit
dem Metallcyanid vereinigt, während sie sich in andern von ihm loslöst:
CyNiK + HNO, = NiCy + HCy + KNO,
CyjFeK, + 2HC1 = FeCy + 2HCy + 2KC1
Betrachtet man nun die Doppelzersetzungen, welche die verschie-
denen Doppelcyanide erleiden, wenn man statt der Wasserstoffverbin-
dungen (Säuren) Metallverbindungen (d. h. Salze) auf sie einwirken lässt
z. B. die folgenden:
CyjFeKj + Cu2Se4 = CysFeCuj + K^&O^
2Cy,NiK + Cuj&e4 = 2Cy2NiCu + K^m^
CyaCdK + PbeaHjO, = CyjCdPb + Ke,H,0j
so sieht man, dass das Zerfallen oder Vereinigtbleiben nicht eine charak-
teristische durch Verschiedenheit der Constitution veranlasste Verschie-
denheit der Doppelcyanide ist; insofern dasselbe Doppelcyanid zerfällt,
wenn man das Kalium durch Wasserstoff ersetzt, während die entstehen-
den Cyanide vereinigt bleiben, wenn statt des Wasserstoffs ein Metall
eingeführt wird.
Dass die so entstehenden Metalldoppelcyanide den Säuren gegen*
über wieder ungleiche Beständigkeit zeigen, insofern das Nickelkupfer- ^
Cyanid z. B* durch Säuren zersetzt wird, die das Eisenkupfercyanid nicht
Gay-LuBsac her und ist später von Liebig weiter ausgebildet worden«
Berzelius betrachtete alle Doppelcyanide als additioneile Doppelverbindun-
gen verschiedener einfacher Cyanide» Graham schlag vor, in vielen Dop«
pelcyaniden das Badical Pnusian s= 8 Cyan s ^«Ns anzunehmen.
318 CyaijTygWBdnngftp.
•
angveifen, b^weiäi wle<kr«in nieht filr yeraoliiedeae Coaititutia», i«( viel»
mehr nur bedjogt d«4roh dio versdiiedene Natur der betreffepd^a Metdle»
Dies zeigt unter anderem der Umstand, dass das aus FerrQej(^ka|iuiai
und Eisenehlorid entstehende Ferrocyaneisen (Berliner blau) von Säuren
gar nicht angegriffen wird, wäJirend es einen Theil seines Eisens verlie-
ren und nur den zurüekhalten mttsste, der im Radieal Ferrooyan mit dem
Cyan enger verbunden ist
Auch der Umstand, dass in den schwer zersetzbarep Doppelcyani-
den das schwere Metall nicht durch die gewöhnlichen ßeagentien nach-
weisbar ist, beweist nicht für Verschiedenheit der Constitution der Dop-
pelcjanide. Bs ist dies nur ein speoieller Fsdl der ungleichen Beständig-
keit, in welcher alle Arten vdn Uebergängen stattfinden. So wird aus
den Doppelcjaniden durch Schwefelwasserstoff das Cadmium, Quecksilber
und Silber leicht gefällt, das Eisen und Kobalt nicht, das Nickel, Kupfer,
Zink und Mangan langsam und sehr unvollständig.
688. Gegen Alkalien zeigen die verschiedenen Doppelcjanide im Allge-
meinen dasselbe Verhalten. Diejenigen, welche neben dem schweren^
Metall ein Alkalimetall enthalten, werden von Alkalien selbst beim Kochen
nicht zersetzt; die leicht zersetzbarea so wenig wie die schwer zersetz-
baren. So wird z. B. aus Cjansilberkalium durch Kalilauge kein Silber-
oxyd gef&llt. Diejenigen Doppelcyanide, die nur schwere Metalle od^r
mehrere schwere Metalle enthalten, werden durch Alkalien so zersetzt,
dass ein Theil des schweren Metalls entzogen und durch Alkalimetall er-
setzt wird, so dass neben dem sich ausscheidenden Metalloxyd ein lös-
liches Doppelcyanid entsteht. Aber diese Zersetzungen zeigen gerade,
dass nicht ein bestimmter Theil des Metalls mit dem Oyan enger gebun-
den ist So gibt z. B. Ferricyaneisen mit Aetzkali nicht Ferricyankalium
und Eisenoxydul, sondern Ferrocyankalium und Eisenoxydoxydul.
Gegen Queeksilberoxyd und schwefelsaures Queeksilberoxyd zeigen
die Doppjelcyanide, selbst die sonst beständigen, sehr geringe Beständig-
keit Selbst Blutlaugensalz und Berlinerblau werden, unter Bildung von
Oxyden oder schwefelsauren Salzen des Eisens, vollständig in Cyanqueck-
silber übergeftlhrt
Es verdient noch besonders hervorgehoben zu werden, dass das
von Säuren leicht zersetzbare Mangankaliumcyanid mit dem schwer zer-
setzbaren Ferricyankalium nicht nur völlig analoge Zusammensetzung
zeigt, sondern dass beide Salze sogar isomorph sind.
Aus den angegebenen Beispielen geht deutlich genug hervor, dass
die verschiedene Zersetzbarkeit der Doppelcyanide nicht durch verschie-
dene Constitution dieser Verbindungen, sondern nur durch die individuelle
Natur der in ihnen enthaltenen Metalle veranlasst i^t Nichtsdestoweniger
ist es geeignet, durch die Wahl der Namen an die mehr oder weniger
^esse Beständigkeit s^u erinnern and die schwer «ersetzbaren Poppel-
Cyanide mit den der ßadioaltbeorie entleluiten Nanens Ffirroayankalium,
FerrioyankiJiiiin u. ^. w. ^ baneiobum, fllr ^ teieb^ «»netobaren im-
gegen die Namen : SUberkaliuincyanid oder GyaqeilberltaUai» m gebrf^Ur
eben. Ebenso ist es iin ftebreiben 4ßr Fome]iD innerbalb gewisser ße-
traehiungen, namentlich wenn es siph um einlache Satesersetsungen bän-
delt^ bisweilen von Vortheil die abgekOrzAen l^eioben (Cfy, Gfdy eto.) in
die Formeln einsufbhren.
Endlieb mnss noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass alle
diejenigen Cyanide, die mit verdünnten Säuren Cjanwasserstoff ent-
wickeln, giftig sind, wie die Blausäure s^bst; während die beständigeren
Cyanide, d. h. diejenigen, die mit verdünnten Säuren keine Blausäure ge-
ben, nicht giftig sind.
Einzelbeschreibuog der wichtigsten Cyanide.
Ammonium Cyanid. Cyanammonium. Der Cyanwasserstoff ver- 584.
einigt sich direct mit Ammoniak. Die Bildung von Ammoniumcyanid
durch Ueberleiten von Ammoniakgas über glühende Kohle ist schon $. 525
erwähnt, sie findet vielleicht nach der Zersetzungsgleichung:
e + 2NH, = eN(NH4) + H,
statt, oder wahrscheinlicher:
36 + 4NH, = 2GN(NH4) + GH4
wenigstens ist von Kühl mann das Auftreten von Grubengas nachge-
wiesen. Auch wenn man ein Gemenge von Kohlenoxyd und Ammoniak
durch eine glühende Röhre leitet, entsteht Ammoniumcyanid:
ee + 2NH, = eNtNH4) + H,e
Zur Darstellung erhitzt man ein Gemenge von Kaliumcyanid, Quecksilber-
cyanid oder von getrocknetem BluÜaugenBalz (8 Tb.) mit Sabniak (2 Tb.) im Was-
aerbad bei gut gekühlter Vorlage. Das Ammomumcyaidd krystalüsirl in ftu>blo0«n
Würfeln, es siedet bei -f* 3^^- Es ist in Wasser und Alkohol sehr löslich und
zersetzt sich leicht unter Bildung einer braunen Materie.
Das Ammoniumcyanid zeigt eine Ausnahme vom Volumgesetz (§. 396).
1 Molecül entspricht nicht 2, sondern 4 Volumina Dampf (§. 411). Da sich Cyan-
wasserstoff direct mit Ammoniak verbindet, so kann man annehmen, dass der
Dampf des Ammoninmoyanids ein Qemenge dieser beiden Körper ist und daas die
Verbindung nur in fester Form ezistirt Der sogenannte Siedepunkt ist dapn ^
Zersetzungstemperatur der Verbindung (vgl. $. 404).
Kaliumcyanid. Gyankalium.
Die Bildung von Gyankalium aus Stickstoff, aus Ammoniak, aus den Ö86.
Oxyden des Stickstofis und aus sticks^ffbaltigen organischen Substanzen
ist oben besprochen ($. 524). Aus dem Stickstoff der Luft erzeugtes
Cyi^nkalium findet sich häufig in Gisenhohöfen, bisweilen in beträchtlicher
320 « CyaikTerbindimgen.
Menge. Kaliumcyanid entsteht ferner durch Verbrennen ron Kalium in
Cyanwasserstoff oder in Gjangas. In Lösung erhält man es durch Sätti»
gen wftssriger Blausäure mit Kalilauge (so bereitet man reine Cyankalium*
lösung zu analytischen Zwecken). Leitet man Cyanwasserstoff in eine
alkoholische Lösung von Kalihydrat, so scheidet sich krystallisirtes Ka-
liumcyanid aus. Reines Kaliumcyanid wird ferner erhalten, wenn man
entwässertes Blutlaugensalz im Eisen tiegel bis zur Kirsehrothgluth erhitzt:
CyeFe,K4 = 4KCy + 2eFe + Nj
und die geschmolzene Masse (Gemenge von Kaliumcyanid und Kohlen-
eisen) mit heissem Alkohol auszieht. Abgiessen des geschmolzenen Cyan-
kaliums gelingt nur schwer, weil das Kohlen eisen so leicht ist, dass es
sich nur sehr langsam absetzt. Ausziehen mit Wasser ist nicht zulässig,
weil dabei Blutlaugensalz regenerirt wird. Ein mit cyansaurem Kali ver-
unreinigtes, aber für die meisten Zwecke verwendbares Cyankalium (s. g.
Liebig'sches Cyankalium) wird durch Schmelzen von entwässertem Blut-
laugensalz (8 Th.) mit kohlensaurem Kali (3 Th.) erhalten (vgl. §• 542) :
CyeFejK4 + K,ee3 = ÖKCy + KCyO, + Fe, + 60,
Das metallische Eisen setzt sich leicht zu Boden, so dass das geschmol-
zene Cyankalium abgegossen werden kann.
Das Kaliumcyanid krystallisirt aus alkoholischer Lösung oder bei
langsamen Erkalten der geschmolzenen Masse in farblosen Würfeln. Es
ist sehr löslich in Wasser, sogar zerfliesslich. In heissem ^Ikohol löst
es sich in weit grösserer Menge als in kaltem. Es kann bei Luftabschluss
erhitzt werden, ohne Zersetzung zu erleiden; es schmilzt leicht und ver-
flüchtigt sich bei hohen Temperaturen. Schmilzt man es bei Luftzutritt,
so geht es durch Sauerstoffaufnahme in cy ansaures Kali über; ebenso
beim Erhitzen mit Metalloxyden. (Es wird desshalb häufig, u. a. bei
Löthrohrreactionen als Reductionsmittel angewandt.) Bei Gegenwart von
Wasser zersetzt es sich schnell, besonders beim ^Erhitzen:
€NK + 2H,e — eHKO, 4- NH,
ameisens. Kali.
Durch Säuren, selbst Kohlensäure wird es leicht zersetzt unter Entweichen
von Cyanwasserstoff. (Es riecht desshalb stets nach Blausäure.)
Die wässrige Lösung des Kaliumcyanids gibt mit den Lösungen der
meisten Metallsalze Niederschläge von Metallcyaniden (weiss: Zn, Cd, Ag;
grün: Ni; fleischroth: Co; rothgelb: Eisenozydul), die sich in einem
Ueberschuss von Cyankaliumlösung, unter Bildung löslicher Doppelcyanide,
mit mehr oder wenig grosser Leichtigkeit auflösen.
MQ^ Sibercyanid. Weisser, dem Silberchlorid sehr filmlicher Niederschlag*,
onlöslich in Salpetersäure, löslich in Ammoniak, durch Salzsäure zersetsbar.
QueckBilbercyanid. 321
ZerfKUt beim Erhitzen zu Cyan und Silber (mit Paracyansilber). — Das Silber-
cyanid löst sich leicht in Kaliomcyanid und bildet krystallisirbares Kalium silb er-
cyanid AgKCy^ (Cyansilber-Cyankalium). Aus der Lösung dieses Doppelcyanids
wird das Silber weder durch Alkalien noch durch Chlormetalle geföllL Die Lö-
sung dient zur galvanischen Versilberung.
Cyanide des Kupfers. In Kupfervitriollösung erzeugt Kaliumcyanid 537.
einen rothen Niederschlag von Kupfercyanid (CuCy); beim Kochen der Flüs-
sigkeit geht dieser unter Entwicklung von Cyan in weisses Kupfercyanür
(Cu^Cy) über. Dieses weisse Salz entsteht auch, wenn man Kupferchlorür mit
Cyanwasserstoff oder mit Kaliumcyanid fällt; oder wenn man zu Blausäure erst
Kali, dann Kupfervitriollösung zusetzt und nachher mit Salzsäure ansäuert (Las-
seigne's Reaction auf Blausäure §. 526). Das Kupfercyanür bildet mit Kaliumcyanid
awei krystalUsirbare Doppelcyanide (A = CujCy -J- ^Cy; B = CujCy -j- 8KCy).
QuecksilberoyaDid. Cjanquecksilber HgCy^*).
Qaecksilberoxyd wird von kalter wässriger Blausäure leicht gelöst; 588.
bei aberschüBsigem Qaecksilberoxyd entsteht, besonders leicht beim Erwär*
men, ein basisches Cyanid (HgO -^ HgCjj). Man bereitet das Queck-
sübercyanid gewöhnlich durch Kochen von Blutlaugensalz (l Tb.) mit
schwefelsaurem Quecksilberoxyd (2 Th.) und Wasser (8 Th.) ; oder durch
Kochen von Berlinerblau (4 Th.) mit Quecksilberoxyd (3 Th.) und Was-
ser (40 Th.). Das Quecksilbercyanid krystallisirt in farblosen quadrati-
schen Prismen, die sich in 8 Th. kaltem, leichter in heissem Wasser lö-
sen und in Alkohol unlöslich sind. Beim Erhitzen zerfällt es in Cyan,
Quecksilber und Paracyan. Von Salzsäure und von Schwefelwasserstoff
wird es leicht zersetzt; verdünnte oder kalte Salpetersäure und Schwefel-
säure sind ohne Wirkung; concentrirte Schwefelsäure zersetzt es beim
Kochen.
Das Quecksilbercyanid verbindet sich mit Chloriden, Bromiden, Jodiden, mit
salpetersauren Salzen etc. unter Bildung von meistens krystallisirbaren Doppel-
salzen, die beispielsweise die folgende Zusammensetzung zeigen:
HgCya + KCy HgCyj + KBr HgCy, + KJ
HgCya -f NaCy HgCy, -f NaBr HgCy^ + NaJ + 2^^^^
HgCya + MgCl + iHaO HgCya + BaBr 4. SEje HgCy^ + BaJ + oU^B
HgCya + BaCl + 2Hae HgCyj + SrBr + SHaO HgCyj + SrJ + SHaO
HgCya 4- SrCl -f SHa^ HgCya + CaJ + SHje
HgCya + CaCl + SHae- HgCyj + AgNe,-|-2Hae HgCya + KCrOa
HgCya + NiCl + SHaO
Cyanide des Eisens.
Eisencyantlr, FeCy. Kaliumcyanid erzeugt in Eisenoxydulsalzen einen 539.
gelbrothen Niederschlag von Eisencyanür, welches stets eine gewisse Menge von
•) Hg Ä 200, wenn H = l; O = 16.
KekaUy oreaa. Chenic. 21
322 Cyanverbindungen.
Kaliomcyaiüd znrfickhSlt (Fresenius). Das Eisencyanür löst sich leichi in Ealinm«
Cyanid unter Bildung von Ferrocyankalium.
Setzt man eine Lösung von Kaliumcyanid zu Eisencblorid, so entsteht an-
fangs kein Niederschlag, aber bald entwickelt sich Blausäure und es scheidet eich
Eisenoxydhydrat aus. Das Eisencyanid (Fe^Cys) scheint demnach nicht sn
existiren.
640. Kaliumferrocyanid. Ferrocyankalium. Gelbes Blutlaugen-
salz. Ealiumeisencyanür etc. — Cy«Fe2K4.
(Man gibt diesem Salz häufig die Formel Cy^FeE^; die Zusammensetzung
einiger Ferrocyanide (vgl. $. 543) macht es wahrscheinlich, dass das Molecfil durch
die verdoppelte Formel = Cy9Fe2K4 ausgedrückt werden muss, welche auch viele
Jfctamorphosen des Ealiumferrocyanlds in einfacherer Weise ausdrückt)
Bildung. Das Ealiumferrocyanid entsteht, wie oben erwähnt,
durch Einwirkung von gelöstem Ealiumcyanid auf Eisencyanür. Es ent-
steht auch, wenn wässriges Ealiumcyanid auf Eisenoxydul, kohlensaures
Eisenoxydul, Schwefeleisen oder Schwefeleisenkalium (EFeS) einwirkt
Z. B.:
FcjS 4- 6ECy = E^Fe^Cje + E^S
Selbst metallisches Eisen wird von Cyankaliumlösung unter Bildung von
Ferrocyankalium gelöst, indem entweder Sauerstoff aus der Luft aufge-
nommen oder, bei Luilabschluss, Wasserstoff ausgeschieden wird:
Fe, + 6ECy + H,e + O = E4FejCye + 2EHe
Fe, + 6ECy + 2Hje = E^PcjOye + 2EHe + E,
Das Ealiumferrocyanid entsteht auch durch Eochen von Berlinerblaa
mit einer Lösung von Eali oder kohlensaurem Eali.
641. Darstellung*). Das Blatlaugensalz wird fabrikmffssig dargestellt, indem
man slickstofflialtige Tkiersubslanzcn oder die aus solchen Substanzen dargestellte
Eohle unter Zusatz von Eisen in schmelzende Potasche einträgt, die geschmolzene
Masse mit Wasser auslaugt und die Lösung krystallirt Das Schmelzen geschieht
biswcOen in s. g. Birnen, häufiger in schalenförmigen Flammöfen. Als Material
dienen wesentlich Hom, Lederabfölle , wollene Lumpen, getrocknetes Blut etc. —
Die Theorie der Fabrikation ist folgende. Beim Eintragen der stickstoffhaltigen
Substanzen in die geschmolzene Potasche findet zunächst Verkohlung statt; ein
Theil des Sückstoffs entweicht in Form von Ammoniak und resp. kohlensaurem
Ammoniak, während ein anderer Theil und vielleicht auch Stickstoff des schon
*) Ueber Fabrikation des Blutlaugensalzes vgl. bes. Handwörterbuch der Che-
mie, 2te Aufl. U. 184. — Femer: R. Ho ff mann, Ann. Chem. Pharm.
CXm. 81. —
Ferrocyankalium. 323
gebildeteten Ammomaks Cyankalium eraeugt (§. 524). Gleichzeitig wird durch den
Schwefel der Thiersubstanzen (vielleicht unter Verwendung eines Theiles von dem
Schwefel, der sich in Form von schwefelsaurem Kali in der unreinen Potasche fin-
det) Schwefelcyankalium (§. 584) SchwefelkaÜum, Schwefeleisen und Schwefeleisen-
kalium gebildet Beim Auflösen der Schmelze wirkt dann das Kaliumcyanid auf
das Schwefelcisen und das Schwefelelsenkalium zersetzend ein und es entsteht Blut-
laugensalz. Durch Eindampfen und Erkaltenlassen der von dem Auslaugerückstand
(Schwärze) getrennten Lauge erhält man eine Erystallisation von Roh salz,
aus welcher durch Umkrystallisiren Rein salz erhalten wird. Die letzten Mutter-
laugen werden eingetrocknet (Blaukali, Blausalz) und, mit Zusatz von Potasche,
zu anderen Schmelzen verarbeitet.
Dass die Schmelze kein fertig gebildetes Blutlaugensalz, vielmehr Cyankalium
enthält und dass das Blutlaugensalz erst während des Auslaugens gebildet werde,
ist zuerst von Liebig behauptet, später mehrfach widersprochen worden, jetzt aber
mit Sicherheit nachgewiesen. Es ist schon an sich einleuchtend, dass das Blut-
laugensalz nicht in Temperaturverhältnissen entstehen kann, bei welchen es sich
zersetzen würde, wenn es vorhanden wäre. Man kann femer ans fiischer Schmelze
durch verdünnten Alkohol das Cyankalium so vollständig ausziehen, dass der un-
gelöste Theil mit Wasser kein Blutlaugensalz mehr bildet (Lieb ig). Endlich ver-
hält sich die Schmelze, wenn man sie mit Alkohol und Essigsäure behandelt, genau
wie ein Gemenge von Cyankalium und Eisen, d. h. sie wird unter Entweichen von
Blausäure so vollständig zersetzt, dass der Rückstand beim Behandeln mit Wasser
kein Blutlaugensalz mehr erzeugt; reines Blutlaugensalz wird in denselben Ver-
hältnissen nicht angegriffen (Ho ff mann).
Dass beim fabrikmässigen Betrieb nur ein verhältnissmässig kleiner Theil
des Stickstoffs der Thiersubstanzen (^/g, im günstigsten Fall i/,) in Form von Blut-
laugensalz gewonnen vnrd, ist durch mehrlache Ursachen veranlasst. Zunächst
entweicht während des Eintragens der Thierstoffe in die geschmolzene Potasche
ein beträchtlicher Theil des Stickstoffs in Form von Ammoniaksalzen. Dann wirkt
das Wasser, welches in den Tlüersubstanzen enthalten ist und bei ihrer Verkohlung
erzeugt wird, und auch der Wasserdampf der Ofengase auf schon gebildetes Cyan-
kalium zersetzend ein. Ferner kann der Sauerstoff der Ofengase und auch wohl
der Sauerstoff des im angewandten Eisen (z. B. Hammerschlag) enthaltenen Oxyds
schon gebildetes Cyankalium zu cyansaurem Kali verbrennen, welches in den Be-
dingungen des Ofens wenigstens nur zum kleinen Theil durch Kohle wieder zu
Cyankalium reducirt wird, während der grössere Theil schon im Ofen oder beim
Auslaugen der Schmelze zu kohlensaurem Kali und Ammoniak zerfUllt. Einen be-
trächtlichen Verlust an Stickstoff veranlasst endlich die wesentlich durch den Schwe-
felgehalt der Thiersubstanzen veranlasste Bildung von Schwefelcyankalium. Das
einmal gebildete Schwefelcyankalium wird zwar bei Versuchen im Kleinen, nicht
aber oder wenigstens nur höchst unvollständig im Schmelzofen durch Eisen oder
Kohle in Cyankalium übergeführt. Fast sämmtliches Schwefelcyankalium der
Schmelze geht in die letzten Mutterlaugen Über und wird beim Eindampfen und
Einschmelzen derselben vollständig zersetzt, ohne Cyankalium zu bilden.
Das Kaliumferrocyanid krjstallisirt aus wässriger Lösung in grossen 542.
Quadratoktaedern, meist mit vorherrschender Endfläche. Diese sind, je
nach der Reinheit oder je nach der Zeit des Krystallisirens, orangegelb
and durchsichtig oder citronengelb und nur durchscheinend.
21 •
324 Cyanverbindungen.
Es löst sich in 2 Th. siedendem und in 4 Th. kaltem Wasser und
ist in Alkohol völlig unlöslich. Das krjstallisirte Salz : Cy0Fe2K4 + SHj^,
ist lullbeständig, es verliert bei 100* sein Krjstallwasser. Das wasserfreie
Salz ist ein weisses sehr hygroskopisches Pulver.
Es schmilzt kurz vor der Glühhitze und zersetzt sich dabei in Stick-'
stofif, Ealiumcyanid und Kohleneisen
CjeFe2K4 = 4KCj + 2eFe + N,
Beim Zutritt des Sauerstoffs der Luft oder beim Schmelzen mit Hetallozyden geht
das Cyankalium in cyansaures Kali Über. Schmilzt man Blutlaugensalz mit koh-
lensaarem Kali, so wird kein Stickstoff entwickelt und man erhält ein Gemenge
von Cyankalium und cyansaurem Kali (Liebig'sches Cyankalium §. 535). Man
kann sich von dieser Rcaction Rechenschaft geben, indem man annimmt, das Blut-
laugensalz zerfalle zunächst in Cyankalium, Cyan und Eisen:
CyeFe2K4 = 4KCy + Cyj + Fe,
das Cyan, statt frei zu werden, wirkt wie freies Cyan auf kohlensaures Kali ein,
indem es Cyankalium und cyansaures Kali erzeugt (§. 572), so dass also schliess-
lich 5KCy auf lCyK0 entstehen:
Cy^FcaK^ + ee^Ka = öKCy + IKCyO + Fe, + eOa-
Kocht man Blutlaugensalz mit verdünnter Schwefelsäure so entweicht
Blausäure (§. 525); erwärmt man es dagegen mit concentrirter Schwefel-
säure (dem 8 — lOfachen Gewicht), so entweicht Kohlenoxyd durch wenig
Kohlensäure und schweflige Säure verunreinigt.
Die Zersetzung kann durch die Gleichung ausgedrückt werden:
CyeFcaK^ -f eHjO + eSO^Hj = Se.iFca -f 250.1^2 + SSOiCNKJa + 660.
Sie ist leicht verständlich, wenn man sich daran erinnert, dass verdünnte
Schwefelsäure aus Blutlaugensalz Cyanwasserstoff erzeugt, dass dieser durch Auf-
nahme von 2H20 in amcisensaures Ammoniak übergehen kann und dass Ameisen-
säure von conc. Schwefelsäure unter Wasseraustritt zu Kohlenoxyd wird. Bei Ge-
genwart der conc. Schwefelsäure nimmt die Blausäure, im Moment des Freiwerdens
nur halb so viel Wasser auf als zur Bildung von ameisensaurem Ammoniak nöthig
ist und zerfällt direct zu Kohlenoxyd und Ammoniak:
€SE + HaO = 00 + NH3.
Gleichzeitig wird ein Theil der Schwefelsäure zu schwefliger Säure reducirtj dabei
geht etwas Kolüenoxyd in Kohlensäure und ein Theil des Eisenoxydulsalzes in
Eisenoxydsalz über.
Durch Einwirkung oxydirender Substanzen (Chlor, Ozon etc.) ent-
steht aus Kaliumferrocjanid das Kaliumferricjanid (§. 548); durch Sal-
petersäure Nitroprussidverbindungen (§. 537).
648. Perrocjanwasserstoffsäure. €6N6Fe2H4 = CyeFe2H4. (Por-
ret 1814}. Stärkere Mineralsäuren z, B. Salzsäure zeigen in der Kälte
Ferrocyanwasserstoil 325
mit Ealiamferrocyanid doppelte Zersetzung) durch welche das Kalium
gegen Wasserstoff ausgetauscht wird.
Setzt man tu kalt gesättigter Ferrocyankaliomlösung starke Salzsäure, so
scheidet sich die Ferrocy an wasserstoffsäure als weisses, rasch blau werdendes kry-
stallinisches Pulver aus. Schüttelt man die Ferrocjankaliumlösung erst mit Aether,
so fällt die Säure völlig farblos und färbt sich weit langsamer. Durch Auflösen
des ausgepressten Niederschlags in Alkohol und Fällen mit Aether kann sie gerei-
nigt, durch üeberschichten der alkoholischen Lösung mit Aether in grossen &y-
stallen erhalten werden. Die Ferrocyanwasserstoff säure nimmt schon bei gewöhn-
licher Temperatur, rascher beim Erhitzen, Sauerstoff auf, entwickelt Cyanwasserstoff
und erzeugt ein blaues Pulver, welches mit gewöhnlichem Berlinerblau (§. 545)
^entisch ist (Reimann und Carins *).
Die Ferrocyanwasserstoffsäure ist eine starke Säure, sie zersetzt
kohlensaure und essigsaure Salze. Sie ist vierbasisch. Man kennt Salze,
die vier Atome eines und desselben Metalls, andere, die ausser detä
Eisen der Säure zwei verschiedene Metalle enthalten und zwar entweder
zwei Atome des einen auf zwei Atome des andern, oder drei Atome des
einen auf ein Atom des andern. Z. B.:
1.
Cy, Fe, K4
+
8H,^
2.
Cy, Fe, Na«
+
6H,e
8.
Cy, Fe,(NH04
+
sHje
4a.
Cy, Foj Ba,
+
eH,e
4b.
Cu Fe, Ba^K,
+
8Hj©
5a.
Cy, Fe, Co,
+
12Hae
5b.
Cy, Fe, Ca,K,
+
8H,0
6a.
Cy, Fej Cu,
+
4H,0
6b.
Cy, Fe, CnjK,
+
2H,0
7.
Cy, Fej Fe,Ka
8.
Cy, Fe, K,N8
+
8H,e
9. Cy, Fea KjCNH,) + SHa^
Das Natrium- und das Ammoniumferrocyanld (Kr. 2 und S) sind
wie das Ealiumferrocyanid (Nr. 1) in Wasser löslich und leicht krystallisir-
bar. Man erhSlt sie durch Sättigen der Säure mit der betr. Base, durch Kochen
von Berlinerblau mit der Base, durch Auflösen von EisencyanÜr in Cyannatrium
oder Cyanammonium etc. Das Natriumferrocyanid kann auch direct, wie das Blut-
lougensalz dargestellt werden, indem man die Potasche durch Soda ersetzt, dabei
wird jedoch ein bei weitem geringerer Theil des Stickstoffs der Thiersubstanzen in
die Cyanverbindung übergeführt. Die Salze 4a. und 5a. werden durch Kochen von
Berlinerblau mitBarytwasser oder mit Kalkmilch und Erkaltenlassen des Filtrats
*) Ann. Chem. Pharm. CXm. 89.
326 Cyanverbindttiigen.
erhalten. Die übrigen k(^nnen meist durch doppelte Zersetsning ans Kalinmferro*
cjanid und einem Salz des betreffenden Metalls erhalten w^den. So entstehen
z. B. die Salze 4b. und 5b. als krystallinische Niederschläge, wenn man zu Ferro-
cyankaliumlösung eine Lösung von Chlorbaryum oder von Chlorcalcium zufügt.
Giesst man Ferrocyankaliumlösung zu Überschüssigem Kupfervitriol, so entsteht
ein rother Niederschlag (6a.); setzt man umgekehrt Eupfervitriollösung zu Ferro-
cyankalium im Ueberschuss, so entsteht ein brauner Niederschlag (6b.).
Die Salze 8 und 9 sind von Reindel durch Eeduction von Ealiumferro-
cyanid mittelst Traubenzucker in einer durch Natron oder Ammoniak alkalischen
Lösung dargestellt (vgL S- 647).
Aehnlich wie die Eupfersalze so geben die meisten Metallsalze mit Ferri-
cyankaliumlösung einen Niederschlag, der für Zink, Blei, Silber, Mangan und Wis*
mnth weiss, für Nickel grünlich, für Kobalt grünlichgelb ist
544. Ealiumeisen ferro Cyanid. FerrocjaneiseDkalium CjJ?eJS,^ ist
der weisse Rückstand von der Darstellung der Blausäure (Willi am so n
Tgl. §. 525). Mit diesem in seiner Zusammensetzung dem Eapfersalz
(Nr. 6b.) entsprechenden Doppelcjanid (Nr. 7.) ist wahrscheinlich der
weisse Niederschlag identisch, den Eisenoxydulsalze mit Ferrocyankalium-
lösung hervorbringen. Beide werden durch Oxydation rasch blau (§. 551).
646. Perriferrocyanid, Eisenferrocyanid. Ferrocyaneisen , Ber-
Unerblau. Eisenoxydsalze, z. B. Eisenchlorid, geben mit Ealiumferro-
Cyanid einen intensiv blauen Niederschlag, der auf 9 Cyan 7 Eisen ent-
hält, also durch die empirische Formel CygFe^ ausgedrückt werden kann.
Die Bildung dieses Niederschlags ist derselbe Austausch Äquivalenter Mengen
zweier Metalle, der bei allen andern Salzzersetzungen stattfindet. Die Stelle der
4 Atome Kalium des Kaliumferrocyanids wird durch 4 Aequivalente Eisen des Ei-
senchlorids eingenommen. Die Zersetzung kann also, wenn man die Formeln,
ohne auf Atom- und Moleculargrösse Rücksicht zu nehmen, in Aequival ent-
zeich en schreibt (vgl $• 1S7), ausgedrückt werden durch:
Cy>Fe,fi; >s,< fe^la^
oder:
Cy^Fe^K« + 4feCl =: Cj^Feafe« + 4ECL
Will man statt in Aequivalentzeichen in atomistischen Symbolen schreiben,
so hat man, weil die 2 Atome Eisen des Eisenchlorids gleich drei Aequiva-
lenten sind:
80y«Fe3|K4 *{- 4Fe2a, = CyisFe^Feg + 12Ea.
Schreibt man die Zersetzungsgleichung mit Annahme des Radicals Ferro-
cyan = Cfy = Cy^Fe, so wird sie:
8(Cfy, 2K) 4- 2Feaa, = (8Cfy, 4Fe) + 6Ka
Das Perriferrocyanid CygFeafe« 4- 6Ha0 = Cy^Fe, -|- SH^O =
(8Cfy 4Fe) 4- 9Ha0 =r SFeCy -j- 2Fe2Cy, 4- 9Hae ist, wenn man es durch
Eingi^ssen von Ferrocyankalium in Überschüssiges Eisenchlorid oder wenn man es
BerlinerblaiL 327
dahA FSUen von Ferrocyanwasserstoff mit Eisencfalorid dargestellt bat, ein intensiv
blaues in Wasser völlig nnlösliches Pulver. Nach hinlänglichem Auswaschen ist es
völlig frei von Kalium. Getrocknet stellt es eine tief dunkelblaue Masse dar von
starkem Kupferglanz und muschlichem Bruch. Es zersetzt sich beim Erwärmen
unter Entwicklung von Blausäure und Bildung von Eisenozyd. Bei Luftzutritt er-
hitzt entzündet es sich und verglimmt wie Zunder.
Von verdünnten Mineralsfluren wird es nicht gelöst und nicht zersetzt In
weinsaurem Ammoniak ist es mit violetter, in Oxalsäure mit blauer Farbe löslich
(blaue Tinte). Beim Kochen mit Alkalien wii*d es zersetzt zu Eisenoxyd und Ka-
liumferroc>anid:
oder:
(SFcCy 4- 2FcaCy3) + 6KHe = SCFeCy + 2KCy) + 2(Ye2E^Bi')
Dabei werden die 4 Atome Kalium wieder gegen 4 Acquivalente fe ausge-
tauscht; die Zersetzung ist genau das Umgekehrte von der oben erwähnten Bil-
dung aus Eisenchloiid und filuilaugensalz. Beim Kochen mit Quecksilberoxyd wird
alles Eisen entzogen und gegen die äquivalente Menge Quecksilber ausgetauscht,
es entsteht Quecksilbercyanid und Eisenoxydoxydul:
Cy>[Fe^ fe4jX^ ^g»]^s
oder:
2(3FeCy + 2Fe2Cy3) + 9Hge = SHgCyj + 2(8FeO, 2FejOa).
Lösliches Berliner blau. Wenn man zu überschüssiger Ferroeyan- 546.
kaliumlösung Eisenchlorid zufügt, so entsteht ebenfalls ein blauer Niederschlag,
der in der Salzlösung unlöslich ist, beim Auswaschen aber allmälig löslich wird.
Hat man solange mit Wasser gewaschen, bis sich der Niederschlag in beträcht-
licher Menge löst, so enthält die Lösung und der noch ungelöste Theil Kalium.
Man betrachtet diesen Niederschlag gewöhnlich als mit dem oben beschriebenen
Ferriferrocyanid identisch, indem man annimmt, dass dieses Blutlaugensalz zurück-
hält, durch dessen Vermittlung er in Wasser löslich wird. Es ist indess nicht
wohl einzusehen, wie dieser Körper durch VermiUlung von etwas Blutlangensalz
in Wasser löslich werden kann, während er durch mehr Blutlangensalz wieder
unlöslich wird. Es ist vielmehr wahrscheinlicher, dass die Verbindung dem Kupfer-
kaliumferrocyanid (§. 543. Nr. 6b.) analog zusammengesetzt ist*, etwa: Cy^Fesfe^K
= Cy,Fc.iK. —
Ausser den Ferrocyanverbindungen, in welchen der Wasserstoff der Ferro-
eyanwasserstoffsäuro durch einfache Metalle vertreten ist, existiren noch einige, bei
welchen dieser Wasserstoff gleichzeitig durch Ammoniak und ein Metall vertreten
ist, also durch Ammonium, in welchem Wasserstoff durch Metall ersetzt ist Z. B. :
1. Cy^ Fej (NHaCu)^ + EjO
2. Cye Fea (NHjNi).! + nHje
8. Cye Fea fe^ (NHafe)^
Das Salz 1 entsteht z. B. als gelber krystallinischer Niederschlag, wenn man
eine ammoniakalische Lösung eines Kupfersalzes mit Ferrocyankalium fällt. Das
328 CyanverbindrmgciL
Salz 8 ist das sog. ammoniakalisclie Berlinerblan, eine sehr bestSndige blaue Ver«
bindung, die in weinsaurem Ammoniak unlöslich ist und die man in unreinem
Zustand durch Einwirkung von Ammoniak auf gewöhnliches Berlinerblau erhlOt.
Perricyanverbindungen, (Gmelin 1822.)
647. Durch Einwirkung oxydirender Substanzen wird dem Ferrocyan-
kalium ein Atom Kalium entzogen und Ferricyankalium gebildet:
CyeFe2K4 — K = Cy^PejE,
Ebenso verliert das Ealiumeisenferrocyanid (weisser Racketand
von der Darstellung der Blausäure) durch Oxydation ein Atom Kalium
und gibt Kaliumeisenferricyanid (Williamson).
CyeFe4K3| — K = Cy«Fe4K.
Derüebergang der Ferrocyanverbindungen in Ferricyanverbin-
düngen ist also eine Oxydation, d. h. eine Metalientziehung; er ist für
diese complicirter zusammengesetzten Verbindungen genau dassdbe wie
der üebergang von Eisenchlorür in Eisenchlorid. Dabei wird, wie bei
den andern Oxydationen, die Natur des Eisens in der Weise geändert,
dass die 2 Atome Eisen, die vorher (in der Ferroverbindung) zwei Ato-
men Wasserstoff oder Kalium äquivalent waren, jetzt (in der Ferriverbm-
düng) drei Atomen Wasserstoff oder Kalium oder auch drei Atomen Eisen
einer Ferroverbindung äquivalent sind (vgl. §. 187).
Die Beziehungen der F er ricy an Verbindungen zu denFerrocyan-
verbindungen treten am deutlichsten hei-vor, wenn man statt der atomi-
atischen Formeln, Aequivalentformeln schreibt:
Ferrocyankalium Cy^ Fcj K4
Ferricyankalium Cy^ te^ K,
Kaliumeisenferrocyanid Cy^ Fe^ Fe^ K^
Kaliumeisenferricyanid Gy^ Fe^ (e^ K«
Umgekehrt gehen die Ferricyanverbindungen durch Reduc»
tion, d. h. durch Metallaufnahme, in Ferrocyanverbindungen über.
So wird Ferricyankalium bei Gegenwart von Kali durch reducirende
Bubstanzen zu Ferrocyankalium; oder, wenn man bei der Redaction
Natron oder Ammoniak statt des Kalis anwendet, zu Ferrocyan-
kaliumnatrium und Ferrocyankaliumammonium (vgl. $. 543.
Salze Nr. 8 und 9).
CysfeaKa + K = CyeFe,K4
Cy^feaKa + Na = CyeFejKjNa
CjsfeaKa + NH4 = CyeFe2K3(NH4).
Will man das Ferricyankalium als Doppelsalz, d. h. als additioneile
Verbindung zweier Cyanide betrachten, so erscheint es als: Kalium-
Ferricyankalium. 329
eisenoyanid, w&hrend das Ferroeyankaliam = Ealiumeisenoya-
nflr ist
Ealiumferroeyanid FeCy + 2KCy
Ealiumfemcyanid Fe^Cy, -j- 3ECy.
Man kann endlich, ähnlich wie man in den Ferrocyanverbindungen
das Radical: Ferrooyan = Cfy = CyjFe annimmt, in den Ferricyan-
verbindungen ein eisenhaltiges Radical annehmen, das: Ferrioyan =r
Cfdy zr 2Cfy == Gy^Fe,. Die beiden Salze sind dann:
Ealiumferrocyanid Cfy . 2E
Ealiumferricyanid Cfdy . SE oder 2Cfy . 3E.
Kalla mferricyanid, Ferricyankalium, Ealiumeisencyanid, rothes Blut- 648.
laugensalz = Cy^YeJK.^ = Cy^fesE,.
Das Ealiumferrocyanid wird durch viele oxydirende Substanzen, z. B.
durch Chlor, Ozon, Chlorkalk, chlorsaures Eali und Salzsäure etc. und
auch durch elektrolytische Oxydation in Ealiumferricyanid abergeführt
Darstellung. Man behandelt gepulvertes Blutlaugensalz oder eine
Lösung dieses Salzes mit Chlor bis eine Probe verdünnte Eisenchlorid-
lösuug nicht mehr blau fällt, sondern nur braun färbt und trennt von dem
gleichzeitig gebildeten Chlorkalium durch Erystallisation.
Eigenschaften. Das rothe Blutlaugensalz des Handels stellt
häufig mehrere Zoll grosse Erystalle von tief dunkelrother Farbe dar,
kleinere Erystalle sind hyacinthroth , feine Nadeln oder gepulvertes Salz
goldgelb. (Erystallform nach Schabus rhombisch, nach Eopp monoklino-
metrisch.) Die Erystalle sind wasserfrei, sie lösen sich in 2,5 Th. Was-
ser von 16^ in 1,3 Th. von 100^ und sind unlöslich in Alkohol. Sie
Tcrknistern beim Erhitzen und verbrennen in der Eerzenfiamme mit Fun-
kensprühen.
Das Ealiumferricyanid wird durch reducirende Substanzen, beson-
ders leicht in alkalischer Lösung, in Ealiumferrocyanid übergeführt.
Durch die Leichtigkeit, mit welcher diese Reduction stattfindet, wirkt es
hftnfig als kräftiges Oxydationsmittel. Es scheidet aus Schwefelwasserstoff Schwe-
fel, aas Jodkalium Jod ab, oxydirt in alkalischer Lösung Chromoxyd, Bieiozyd,
Manganozydul, Zinnoxyd zu Cbromsfiure, Bleihyperoxyd, Manganhyperoxyd und
Zinnsfture, ebenso' Oxalsäure zu Koblensfture, Cyankalinm zu cyansaurem Eali.
Es oxydirt leicht phosphorige Säure, schweflige Säure und Stickoxyd; in alkali-
scher Lösung sogar Phosphor, Schwefel und Jod zu Phosphorsäure, Schwefelsäure
und Jodsäure etc.
Von Chlor, conoentrirter Salpetersäure und concentrirter Schwefel-
afture wird es zerstört. Verdünnte Mineralsäuren geben Ferricyanwasser-
stoff. Die wässrige Lösung gibt mit den meisten Metallsalzen doppelte
Zersetzung unter Bildung unlöslicher Ferricyanmetalle.
330 CyanverbindungeiL
649. Ferricyahwasserstoffsäare wird am besten aus Ferrieyanblä
durch Zusatz von Schwefelsäure erhalten und krjstallisirt beim Yerdansten
der Lösung in bräunlichen leicht zerfliesslichen Erystallen.
Ferricyan metalle. Einige können direct aus den entsprechen-
den Ferrocjanverbindungen durch Oxydation erhalten werden; andere hat
man aus Ferricyanwasserstoffsäure dargestellt, die meisten erhält man
durch doppelte Zersetzung aus Ealiumferricyanid.
Die folgenden Formeln einiger Ferricyanmetalle zeigen, dass die Ferricyan-
wasserstoiTsäare mindestens drei Atome durch Metalle vertretbaren Wassentoff
enthält:
Ealiumferricyanid
Cy,fe,K,
Katriamferricyanid
CysfejNa,
+
E,0
Calciamfeiric}' anid
Cy,fe,Ca,
+
6H,d
Bariamkaliamferricyanid
Cy.fejBaaE
+
8H,0
Kickelammoniiunferricyaiiid
Cy,fe,Ni(NH,Ni), +
nH,e
Ferroferricyanid
Cy,fe,Fe,
dabei muss jedoch erwähnt werden, dass man (nach Laurent) durch Verdunsten
einer gemischten Lösung von Kaliumferricyanid und Natriumferricyanid wohl aas-
gebildete Erystalle erhält, von der Zusammensetzung:
Ealiumnatriumferricy anid Cy^fegEi i/jNai >/«.
Ö60. Ferroferricyanid, Ferricyaneisen, Sechs-fünflel Cyaneisen, Tum-
buirs-Blau: Cy^Ye^ = Cy^fe^Fe^ ist der blaue Niederschlag, welchen
Ealiumferricyanid mit Eisenoxydulsalzen erzeugt. Er ist wasserhaltig und
gleicht in Farbe und Bruch dem Ferriferrocyanid (§. 545). Durch kochende
Ealilauge wird er zersetzt zu Ferrocyaokalium und EisenoxydoxyduL
Cje^aFea + 4EHe = CyöFe2E4 + fe3FeH4e4 (= Fe^Oj, FeO, 4H0)
dabei werden also 4 Atome Ealium gegen 4 Aequivalente Eisen, und
zwar gegen dfe -f- Fe, also gegen 3 Atome Eisen (Fe) ausgetauscht.
Anwendung des Ferro- und Ferricyankaliums in der
qualitativen Analyse.
Das Verhalten des Ferrocyankaliums und des FerricyankallDms zu Eä-
senozydul- und zu Eisenoxydsalzen, macht die Lösungen beider Doppel-
cyanide als Reagentien wichtig. Da nämlich Ferrocyankalium mit Eisen-
oxydulsalzen einen weissen, mit Eisenoxydsalzen einen blauen Niederschlag
hervorbringt und da Ferricyankalium mit Eisenoxydulsalzen eine blaue
Fällung gibt, während es Eisenoxyd salze nicht fällt; so gestattet die An-
wendung beider Lösungen zu entscheiden, ob eine Eisenlösung ein Oxyd-
salz oder ein Oxydulsalz oder ob sie beide enthält. Gibt eine Eisenlösung
mit Ferrocyankalium einen weissen Niederschlag, so enthält sie nur Oxydul,
gibt sie mit Ferricyankalium keinen Niederschlag, so enthält sie nur Oxyd;
gibt sie mit beiden eine blaue Fällung, so enthält sie beide Oxyde.
BerHnerblau. 331
Zu den Ferricyanverbindungen gehört offenbar auch ♦), wenn man 651.
Oberhaupt die Trennung in Ferro- und Ferricyanverbindungen beibehalten
will, das
Kaliumeisenferricyanid, Ferricyaneisenkalium = CyefejFe2K
+ 2H20; ein blaues, dem Ferriferrocyanid (§. 645) ähnliches Pulver,
welches durch Oxydation und zwar schon durch Einwirkung des Sauer-
stoffs der Luft, leichter durch verdünnte Salpetersäure aus Kaliumeisen-
ferrocyanid ($.544) entsteht (Williamson). — Es wird durch kochende
Kalilauge zersetzt zu Ealiumferrocyanid und Eisenoxyd:
Cyefe,FeaK + 8KHO = CyePeaK4 + fe^E^^^.
Kocht man diese blaue Verbindung mit Ealiumferrocyanid, so entsteht -^
durch Austausch von K3 gegen Fe2 ~ Kaliumferricyanid und Kaliumeisenferro-
4ryanid (%. 644):
Cy^feaFeaK + CyeFcaKaKa = CygfejKa -1- Cy,FejFeaKa.
Eine Ferncyanverbindung ist endlich das s. g. Berliner GrUn (grünes 652.
Cyaneisen) = Cy^fe^Fe, von Pelouze durch Einwirkung stark überschüssigen
Chlors auf Kaliumferricyanid und Auskochen des Products mit Salzsäure erhalten.
Es liefert beim Kochen mit Kahlauge Eisenoxyd und ein Gemenge von Kalium-
ferrocyanid und Kaliumferricyanid.
Berlinerblau. Mjt dem Namen Berlinerblau, Pariserblau oder 668.
(in unreinerem Zustand) Mineralblau bezeichnet man eisen- und zum Thcil
auch kaliumhaltige Cyanverbindungen die fabrikmässig dargestellt und als
blaue Farbe verwendet oder auch beim Kattundruck auf den Zeugen
selbst erzeugt werden. Die Zusammensetzung dieser blauen Pulver ist
je nach der Art der Darstellung offenbar verschieden.
FäUt man, wie dies bisweilen geschieht, Eisenoxydsalz durch gelbes Blnt-
laugensalz oder die bei der Reinigung dieses Salzes erhaltenen Mutterlaugen, so
ist das erhaltene Berlinerblau Ferriferrocyanid (§.545). FsUt man Eisenvitriol
mit rothem BlnÜaugensalz , so ist der blaue Kiederschlag: Tumbuirs Blau =
Ferro ferri Cyanid (§. 650). Gewöhnlich wird das Berlinerblau des Handels so
dargestellt, dass man Eisenvitriol oder an der Luft theil weise oxydirten Eisenvitriol
mit gelbem Blutlaugensalz oder mit einer dieses Salz enthaltenden Mutterlauge
fällt und den entstandenen blaugranen Niederschlag entweder durch Einwirkung
des Sauerstoffs der Luft oder gewöhnlicher durch Salpetersäure, Chlor oder Bleich-
kalk oxydirt. Wenn, wie dies §. 544 als wahrscheinlich angenommen wurde, der
weisse Niederschlag, welchen Eisenoxydulsalze mit gelbem Blutlaugensalz hervor-
bringen identisch ist mit dem weissen Rückstand von der Darstellung der Blau-
säure, so ist dfrs auf gewöhnliche Art dargestellte Berlinerblau wahrscheinlich
^) Gerhardt führt diese Verbindung auf (L 835) als: '
Ferrocyanure de fer (ferricum) et de potassium = 2FeCy< Sq^ 1 -
332
Cjanyerbindnngen.
Ferricyaneieenkalinm (§. 551), welches um so mehr Ferrocyaneisen
(§. 545) beigemengt enthiüt, je mehr Eisenozydsalz in dem angewandten Eisen-
vitriol enthalten war.
Das beim Zeugdruck auf der Faser selbst erzeugte Blau wird meistens durch
Aufdrücken eines Gemenges von Blutlaugensalz mit Weinsäure oder mit Schwefel-
säure und Alaun und Einwirkung von erhitztem Dampf auf das gedruckte Zeug
hervorgebracht. Es ist also ein Zcrsetzimgsproduct des anfangs erzeugten Ferro-
cyanwasserstoffs , mithin Ferriferrocyanid (§. 543).
654.
Im Folgenden sind der Uebersichtlichkeit wegen die Cyanide des
Eisens und die kaliumhaltenden Eisencyanide nochmals zusammengestellt:
Nur Eisen enthaltend: Eisen und Kalium enthaltend:
Eisencyanür (§. 539.)
Cy Fe
Cy, Fe,
E. gelbes Blntlaugensals
(§. 540.)
Turnbull's Blau (§. 559.)
Cy« Fea fe.
Cy. fe.
E, roüies Blntlaugensals
(S. 548.)
Ferrocyaneisen (§. 545.)
Cy. Fe, fe^
Cy. Fe^
E, Ferroc>aneisenkaliuiii
(S. 544.)
Berlinergrün (§. 552.)
Cy. Fe fe»
Cy. fe.
Fe, K Ferricyaneisenkalium
(S. 551.)
Man sieht leicht, dass die eisen- und kaliumhaltigen Cyanide in
Bezug auf den Kaliumgehalt eine fortlaufende Reihe bilden und dass far
den gegebenen Kaliumgehalt stets der einfachst- mögliche Fall des Eisen-
gehaltes stattfindet. So zwar, dass die mit den 6 Cjan verbundene Menge
Metall stets 6 Aequivalente repräsentirt und dass dabei eine einfache An-
zahl von Eisenatomen in der Verbindung enthalten sind.
Die Formeln, welche diesen verschiedenen Verbindungen vom Stand-
punkt der verschiedenen Theorien beigelegt werden, sind die folgenden:
Doppelsalze.
(BerzeliuB.)
Radical
Ferrocyan.
Cfy = CyaFe
theorie.
Ferricyan.
Cfdy = 2Cfy
= Cy.Fe,
Empirische
Formeln in
Aequivalent-
zeichen.
Gelb. Blutlaugensalz
FeCy + 2KCy
Cfy, 2K
Cy. Fe, K.
Ferrocyaneisen
SFeCy -j- 2FeaCy3
3Cfy, 4Fe
Cy. Fe, fe.
Ferrocyaneisen-
kalium
2FeCy + KCy
Cfy, FeK
Cy. Fe, Fe,K,
Roth. Blutlaugensalz
FcaCy, 4- 8KCy
2Cfy, 3K
Cfdy, 3K
Cy.fe, E,
Tumbuirs Blau
FeaCy, + SFeCy
2Cfy, 3Fe
Cfdy, 3Fe
Cy. fc, Fe,
Ferricyaneisen-
kalium
FcaCya + SFeCy + KCy
2Cfy, KFe,
Cfdy, KFea
Cy. fe, Fe,E
Berlinergrtln
öFcaCy, + SFeCy
6Cfy, 7Fe
3Cfdy, 7Fe
Cy. fe, fc,K
Nitroprussidverbindungen. 333
NitroprussidverbiD düngen, Nitroferricyanverbin-
dungen.
Durch Einwirkung von Salpetersäure auf Kaliumferroeyanid oder 655.
Kaliumferricyanid und auch durch Einwirkung von Stickoxydgas aufFerro-
cyanwasserstoff oder Ferricyanwasserstoff entsteht eine Gruppe eigenthüm-
licher Verbindungen, deren Zusammensetzung noch nicht mit Sicherheit
festgestellt ist. Man nimmt für diese Körper gewöhnlich die von Ger-
hardt vorgeschlagene, mit den Analysen übereinstimmende Formel an:
CysFe^CNO)]»! + nH^O = Fe^Cya + 2MCy + NO
welche von der unwahrscheinlichen Annahme ausgeht, dass das Stickozyd
einen Theil des Cyanwasserstoffs der Ferricyanwasserstoflfsäure ersetze:
CyefeaHa + NO = Cy5fe3(Ne)H, + CyH.
Den Aasgangspnnkt zur Darstellung dieser von Play fair 1849 entdeckten
Verbindungen bildet das:
Nitroprussidnatrium = Cy5Fea(NO)Na2 + SH^^. Zur Darstellung
dieses Salzes setzt man zu Ferrocyankalium (1 Th.) käufliche Salpetersäure (l*/a
— 2'/2 Th.), die mit dem gleichen Volum Wasser verdümit ist Man erhält eine
kaffeebraune Lösung, die bald Cyan, CyanwasserstoflF, Stickstoff und Koiilensäure
entwickelt Man erwärmt im Wasserbad bis eine Probe Eiscnoxydukalze nicht
mehr blau, sondern schieferfarben lallt, trennt die Flüssigkeit von dem beim
Erkalten auskr>stallisirenden Salpeter, neutralisirt mit kohlensaurem Natron,
filtrirt die rothe Flüssigkeit ab und trennt durch Krvstallisation das Nitroprussid-
natrium YOn Salpeter und salpetersaurem Natron. Oder man fäUt die rothe Lösung
mit Kupfervitriol, zersetzt den ausgewaschenen blassgrünen Niederschlag mit nicht
Überschüssigem Aetznatron und krystallisirt
Rubinrothe, wohlausgebildete Krystalle des rhombischen Systems; luftbestän-
dig; löslich in 2^/2 Th. Wasser von 16*^, leichter bei Siedhitze.
Nitroprussidkalium, ammonium-, calcium- und baryum sind in
Wasser löslich und können, wiewohl schwieriger als das Kalisalz in rubinrothen
^Krystallen erhalten werden.
Nitroprussidkupfer ist ein grüner, Nitroprnssidsilber ein röthlich-
weisser, Nitroprussidzink ein blassrother Niederschlag. Eisenoxydulsalze ge-
ben mit löslichen Nitroprussidverbindungen einen lachsfarbigen Niederschlag *, Eisen-
oxydsalze werden nicht gefallt.
Nitroprussidwasserstoff wird durch Zersetzen von Nitroprnssidsilber
mit Salzsäure oder von Nitroprussidbarium mit Schwefelsäure und Verdunsten der
Lösung in dunkelrothen, sehr zerfliesslichen und leicht zersetzbaren Krystallen er-
halten.
Die löslichen Niti-oprussidverbindungen geben mit löslichen Schwefelmetallen
eine intensiv purpurroth oder blau geförbte Flüssigkeit, die bald unter weitergehen-
der Zersetzung die Farbe verliert Die Zusammensetzung der gefärbten Verbin-
dung ist unbekannt Eine Lösung von Nitroprussidnatrium dient als empfindliches
Eeagens auf gelöste Schwefelmetalle ; freier Schwefelwasserstoff gibt keine Färbung.
334 CyMiyerbindungen.
556. Cyanide des Kobalts. Wässrige CyankaHamlösaiig^ eraeogt in
Eobaltoxjdulsalzen , Cjanwasserstoflf nur in essigsaurem Eobaltoxydal
einen fleischrothen oder zimmtbraunen Niederschlag von EobaltcjanQr
= CoCy.
Dieser Niederschlag löst sich in kalter Cyankaliumlösung leicht auf
nnd erzeugt damit ein von Säuren leicht zersetzbares Doppelcjaoid
(CoKCyj)* Kocht man die Lösung, so wird entweder Wasserstoff ent-
wickelt oder Sauerstoff aufgenommen und es entsteht ein schwer zersets-
bares Doppelcjanid, welches in Zusammensetzung und Eigenschaften dem
Ealiumferricjanid entspricht.
557. Kaliumkobalticyanid, Eobaltidcyankalium, Anderthalbcyankobaltkaliain
CyeCOaKj •) = Cyfio^K^ = CoaCy, + 8KCy. Man erhält dieses Salz durch Auf-
lösen Ton Kobaltcyanfir, Kobaltozydul oder kohlensaurem Kobaltoxydol in Cyan-
kaliumlösung^ (oder in Blausäure, der man Kali zusetzt), Kochen und Krystallisiren
der Lösung in blassgelben Krystallen von der Form des rothen Blutlaugensalzes.
Aus der wftssrigen Lösung dieses Salzes wird durch conc Schwefelsäure oder Sal«
petersäure die Eobaltidcyanwasserstoffsäure niedergeschlagen. Aus dieser
oder aus dem Kalisalz können die andern Kobaltidcyanverbindungen dargestellt
werden. Das Natrium, Ammonium und Baryumsalz sind löslich und krystallisir-
bar. Die Kupferverbindung ist ein hellblauer, die Silberverbindung ein weisser
Niederschlag. In Eisenozydulsalzen entsteht weisses Kobaltidcyaneisen, in
Nickeloxydulsalzen grünlichblaues Kobaltidcyannickel = Cy^co^Nia -{- GH^-O^ \
in Kobaltoxydulsalzen hellrothes Kobaltidcyankobalt = Cy^co^Cos ^ 7E^B^y wel-
ches bei 200<^ sein Wasser verliert und blaues Koboltcyanürcyanid = Cy^cofio^
= Cy^COft liefert
558. Cyanide des Nickels. Der apfelgrüne Niederschlag, welchen
Cyankaliumlösung in Nickeloxydulsalzen hervorbringt, istNickelcyanQr
= NiCy. Er löst sich leicht in überschüssigem Cyaukalium unter Bildung
eines krystallisirbaren Doppelsalzes: Kaliumnickelcyanid = NiCjr
-J- KCy = NiKCyj, dessen wässrige Lösung selbst Yon verdünnten
Säuren unter Entwicklung von Cyanwasserstoff und Abscheidung von
Nickelcyanür zersetzt wird.
Trennung von Nickel und Kobalt Das völlig verschiedene
Verhalten, welches die sonst so ähnlichen Metalle Kobalt und Nickel in
ihren Cyanverbindungen zeigen, ist mit Vortheil als qualitative und quan-
titative Scheidungsmethode beider Metalle verwendbar. Die Theorie dieser
verschiedenen analytischen Metboden ist folgende:
1) Fügt man zu einer Lösung von Nickcloxydul und Kobaltoxydol
Cyaukalium und kocht, so entsteht Kaliumnickelcyanür und Kobaltidcyan-
kallum. Säuert man schwach mit Salzsäure an, so wird das erstere zer>
setzt, das letztere nicht oder vielmehr nur unter Bildung von löslicher
KobaltidcyanwasserstofTsäure. Gibt Salzsäure also keinen Niederschlag, so
•) CO = «/, Co.
Cyanide von Chrom, Mangan, Gold. 335
iBt nnr Kobalt vorhanden; entsteht dagegen ein Kiedenachlag, so ist Nickel
anwesend. Dieser Niederschlag ist, wenn nur Nickel in Lösung war, Nickel-
cyanür; war dagegen gleichzeitig Kobalt und Nickel vorhanden, so ist er
Kobaltidcyannickel, oder, wenn weniger Kobalt als 2Co auf 8Ni vorhan-
den, ein Gemenge von Kobaltidcyannickel mit Nickelcyanür; iu diesem
Fall wird also gleichzeitig alles Kobalt geiWL
Zur quantitativen Scheidung setzt man zu der das Kobaltidcyankalium
und das Kaliumnickelcyanür enthaltenden Lösung frisch gefälltes Queck-
silberozyd. Das Kaliumnickelcyanür wird zersetzt und alles Nickel als
Nickeloxydulhydrat und Nickelcyanür geföllt; das Kobalt bleibt als Kobaltid-
cyankalium in Lösung und kann durch salpetersaures Quecksilberoxydul
als Kobaltidcyanquecksilber geiäUt werden.
2) Wenn man eine alkalische Lösung von KaliumnickelcyanOr und
Kobaltidcyankalium in der Kälte mit Chlor übersättigt, so wird das Nickel-
salz zersetzt und alles Nickel als schwarzes Hyperoxyd gefällt; alles Ko-
balt bleibt in Lösung, weil das Kobaltidcyankalium nicht angegriffen wird.
Cyanide des Chroms. Das Chrom bildet ausser dem Chrom* 659.
cyanür CrCy (weisser Kiederschlag) und dem Chromcjanid (weisses,
blauwerdendes in Cyankalium lösliches Pulver) eine dem Ferricyankalium
entsprechende Doppel Verbindung, das Ealiumchromi Cyanid oder
Chromidcyankalium= Cy^cr^K^ *) = Cy^CrjKa ; aus welcher durch
Schwefelsäure die Chromicyanwasserstoffsäure abgeschieden werden kann*
Cyanide des Mangans. Auch das Hangan bildet ein dem Fern- 560.
cyankalium entsprechendes Doppelcyanid. Es wird wie das analoge Eo-
baltsalz erhalten, indem man Manganoxydulsalz mit Cyankalium fällt, den
röthlichweissen , rasch braun werdenden Niederschlag in Cyankalium löst
and die Lösung kocht. Das Ealiummangancyanid = Cy^mu^K^**)
= Cy0Mn2K3 = Mn2 Cy3 + 3ECy ist mit dem Ealiumferricyanid iso-
morph, es gibt mit Metallsalzen Niederschläge, die alles Cyan und
beide Metalle enthalten, aber es zeigt Säuren gegenüber eine weit gerin-
gere Beständigkeit als die entsprechende Eisen-, Kobalt- oder Chrom-
verbindung; schon verdünnte Säuren zersetzen es unter Entwicklung von
Blausäure.
Cyanide des Golds. Goldoxydul oder auch Enallgold (Gold- 561.
Oxydammoniak) werden von Cyankalium mit Leichtigkeit aufgelöst; auch
durch Eisenvitriol gefälltes metallisches Gold löst sich in Cyankalium un-
ter Aufnahme des Sauerstoffs der Luft. Die Lösung enthält Ealium-
gold cyanür AuCy + ECy = AuKCy2.
Diese Lösung dient zur galvanischen Vergoldung. [7 Th. Gold in Königs-
wasser gelöst, mit überschüssigem Ammoniak gef&llt. Der ausgewaschene Kieder-
schlag in heisse Lösung von 6 Th. Cyankalium eingetragen.] Zur Reindarstellung
•) er = a/a Cr. .
••) mn = 2/, Mn.
336 Cyanverbindungen.
des Ealinmgoldcyantirs zersetzt •man diese Lösung durch Eindampfen mit Salzsäure,
wascht das rückständige gelbe Krystallpulver von Golde y an ür = AnCy, löst in
Cyankalium und krystallirt; man erhält farblose in Wasser lösliche Erystalle.
Ausser diesem Kaliamgoldcyanür existirt noch ein anderes Doppelsalz, daa
Kaliumgoldcyanid = Cy4AuK = Cy4au,K •) = AuCy, -^KCy] welches
durch Eintragen von Goldchlorid in Cyankalium erhalten wird, und aus welchem
durch Säuren die Goldcy an wasserstoffsäure = Cy4au,II abgeschieden wird.
562. Cyanide des Platins. Durch Glühen von Platinschwamm mit
Ferrocyankalium und Auslaugen mit Wasser (L. Gmelin) oder durch
Eintragen von Platinchlorür in überschüssiges Cyankalium (Enop,
Quadrat) erhält man Ealiumplatincyanür. Reibt man Platinchlo-
rür mit kohlensaurem Baryt und leitet durch das in kochendem Wasser
Tertheilte Gemenge Blausäure, so lange als sich Kohlensäure entwickelt,
so krystallisirt beim Erkalten Baryumplatincyanür (Weselsky).
Durch doppelte Zersetzung können die übrigen Platincyanverbindungen er-
halten werden.
Platincyanwasserstoff erhält man aus dem Bar) tsalz mittelst Schwefel-
säure, oder aus Kupferplatincyanür mit Schwefelwasserstoff.
Die Platincyanverbindungen zeigen beispielsweise die folgende Zusammen-
setzung:
Platincyanwasserstoff Cy^ Pt H = Pt Cy 4- HCy
Kaliumplatincyanür Cya Pt K + l^/aH,e
Natriumplaüncjanür Cvj Pt Na + P/aHaO
Baryumplatincyanür Cy, Pt Ba + 2H20
Calciumplatincyanür Cyj Pt Ca + 2*/2Ha0
Magnesiomplatincyanür Cy^ Pt Mg «4- S^/aHa^^
Kupferplatincyanür Cy^ Pt Cu
Das Kupferplatincyanür ist ein grüner Niederschlag; die Silber-, Blei-
nnd Quecksilberverbindungen sind weisse Niederschläge.
Die löslichen und krystallisirbaren Platindoppelcyanide sind ihrer optischen
Eigenschaften wegen von Interesse. So zeigt z. B. ein mit der Lösung von Ka-
liumplatincyanür bestrichenes Papier besonders starke Fluorescenz. Das Am-
moniumplatincyanür ist ein gelbes krystallisirtes Salz, mit blauem Flächen-
schiller. Das Baryumplatincyanür krystallisirt in grossen monoklinometri-
schen Kry stallen; gew. Combination: ooP, ooPoo, [qdPgo], [Poo]; in der Richtung
der Hauptaze betrachtet sind die Kr y stalle zeisiggrün, senkrecht darauf schwefel-
gelb, auf den Prismenflächen zeigen sie violettblaues Schillern. Das Calcium sali
zeigt denselben Trichroismus. Das Magnesiumplatincyanür krystalHsirt aus
heiss gesättigter wftssriger Lösung^ in blutrothen Krystallen; aus Alkohol beim Er-
kalten in weissen atlasglänzenden Fasern, die bei Luftzutritt gelb werden und sich
zuletzt zu carminrothen goldglänzenden Krystallkrusten zusammenziehen; beim Ver-
dunsten der alkoholischen Lösung erhält man citronengelbe rektanguläre Tafeln
•) au = Vj Au.
Cyanide des Plaüns etc. 337
mit blauem Flftchenschiller, deren Krystallgruppen oft alle Farbenntlancen von roth,
grtln und blau zeigen.
Aus diesen Platin doppelcyaniden wird durch Oxydation mit-
telst Chlor (Enop 1842) oder mittelst Salpetersäure (Weselsky) eine
Reihe anderer Platindoppelcjanide erhalten, welche durch die allgemeine
Formel: CysPt^M, = PtaCy, + 2MCy = CyjPtpt^M,*) ausgedrückt
werden. Ihre Entstehung wird ausgedrückt durch die Gleichung:
3Cy,PtM 4- 2Ne,H = Cy,Pt^Mj + PtCy + NOjM + NO, + H,e
Das Ealiumplatincyanid oder Ealinmplatinsesquicyanfir :=
Cy5pt2E2 -|- 8H2O krystallisirt aus Wasser in feinen Nadeln von kupferartigem
Hetallglanz, es .ist in durchfallendem Licht grün, wird bei 180® dunkelgrün und bei
200® gelb. In Alkohol ist es unlöslich. Seine wässrige Lösung ist farblos. Das
Ammoniumplatinsesquicyanür: Cy5pt2(KH4)2 bildet dünne Kadeln von
goldgelbem Metallglanz, die bei 150® stahlgrün, bei 180® citronengelb werden.
Cyanide des Palladiums, Osmiums, Rutheniums, Iri- 568.
diums und Rhodiums. Nach Untersuchungen von Claus bilden die
selteneren Platinmetalle Doppeicyanide von verschiedener Zusammen-
setzung. Die Palladiumverbindung entspricht dem Kaliumplatincyanflr ;
die Osmium- und Rutheniumverbindung sind dem Ealiumferrocyanid ; die
Rhodium- und Iridiumverbindung dem Ealiumferricyanid analog zusam.
roengesetzt:
CyjPtE CyeRu2E4 CyelrjEj
Cy^PdE Cy^OsmaE^ , CyeRhojE,
Die Palladiumverbindung wird durch Auflösen von Palladcyanflr in
Cyankalium, die übrigen werden leichter durch Zusammenschmelzen des
betreffenden Ammoniumdoppelchlorids mit Cyankalium erhalten.
Cyanstickstofftitan. Das Titan bildet eine höchst eigenthüm- 564.
liehe cyanhaltende Verbindung, das Cyanstickstofftitan = TiCy -f- STisN.
Es sind dies die in Hohöfen bisweilen sich bildenden kupferfarbenen Würfel,
die man früher für metallisches Titan hielt, bis W ö h 1 e r 1849 ihre Zusammen-
setzung nachwies. Seitdem haben Wo hl er und Deville gezeigt, dass
sie auch künstlich erhalten werden können durch Erhitzen von Titansäure
mit Blutlaugensalz oder durch Erhitzen von Titansäure mit Eohle und
Stickstoff. Von Chlor werden die Erystalle zersetzt in flüssiges Titan-
chlorid und eine sublimirbare gelbe Verbindung von Chlorcyan mit Chlor-
titan. Mit Wasserdampf erhitzt liefern sie Ammoniak, Cyanwasserstoff
und Titans&ure.
•) Pt = Vi Pt
HfkiiU, orian. Cbealc. ' 22
338 CyanverbindungeB.
Verbindungen von Gyan mit Chlor.
665. Wenn Chlor auf Cyanwasserstoff oder auf Cyanmetalle (z. B. Queck-
silbercyanid) einwirkt, so entsteht, indem der Wasserstoff oder das Metall
durch Chlor ersetzt wird, ein Chlorid des Cyans.
Cy[H ,^v^ ClJCl = CyCl + HCl.
Je nach den Bedingungen, unter welchen diese Einwirkung vorgeht
und ohne dass man sich über die Ursache Rechenschaft zu geben ver-
mag, erhält man drei in ihren Eigenschaften verschiedene Körper von
gleicher Zusammensetzung. Man unterscheidet diese drei polymeren
Cyanchloride als:
Siedpunkt Schmelzpunkt
Gasförmiges Chlorcyan Cy Cl — 12« — 15«>
Flüssiges Chlorcyan CyjClj + 1Ö<>,5 0« etwa
Festes Chlorcyan CyjCla + l^^« -f 140®
Das gasförmige Chlorcyanid entspricht der Cjansäure
(S. 559) und liefert mit Ealihydrat Chlomatrium und cyansaures Kali (oder
dessen Zersetzungsproducte). Das feste Chlorcyan entspricht der
Cyanursäure (§. 561), es zerf&llt mit Ealihydrat zu Chlorkalium und
oyanursaurem Eali.
Das gasförmige und das flüssige Chlorcyan gehen von selbst in
festes Chlorcyan über.
566. Gasförmiges Chlorcyan. Cyanohlorid = CyCl. (Gay-
Lussac 1815.) Man erhält es durch Einwirkung von Chlor auf ver-
dünnte Blausäure oder reiner, indem man in gesättigte Quecksilbercyanid-
lösung, welcher man noch überschüssiges Quecksilbercyanid zusetzt, Chlor
bis zum Deberschuss einleitet, das freie Chlor durch etwas Cyanqueck-
Silber oder Quecksilber wegnimmt und das Gas durch Erwärmen austreibt
(Wo hl er.)
Farbloses Gas, von durchdringendem Geruch, heftig zu Thränen rei-
zend, giftig. Es erstarrt bei — 18<> zu langen Nadeln, die bei — 15^
schmelzen und bei — 12^ sieden. In flüssigem Zustand in einer zuge-
schmolzenen Röhre aufbewahrt, setzt es mit der Zeit Erystalle von festem
Chlorcyan ab. Wasser löst 25, Aether 50, Alkohol 100 Volume. Die
letztere Lösung zersetzt sich nach einigen Tagen unter Bildung von Am-
moniak und Urethan.
Ealium in Chlorcyangas erhitzt, verbrennt zu einem Gemenge von
Chlorkalium und Cyankalium. Erhitztes Antimon gibt Antimoncblorid
(SbClj) und Cyan. Ealilösung zersetzt das Cyanchlorid zu Chlorkalium
und cyansaurem Eali (resp. dessen Zersetzungsproducte : Eohlensäure und
Ammoniak). Ammoniak gibt mit Cyanchlorid Salmiak und Cyanamid
(S. 590).
Chlor<^an. 339
Verbindangen von Cyanehlorid mit Chloriden. Das Cyanchlorid
verbindet sich direct mit andern Chloriden. Cyanchlorid-Titanchlorid CjrCl -f- Tidg
ist eine flüchtige krystaUisirbare Verbindung (Wühler); ebenso: Cyanchlorid-Bor-
chlorid CyCl -f- B0CI9 (Martins). Auch Antimonchlorid und Eisenchlorid geben
ähnliche Verbindungen.
FUssiges Ghlorcyan = Gj^Cl) (Wurtz 1848). Entsteht ne- 567.
ben dem gasförmigen durch Einwirkung von Chlor auf Queeksilbercyanid
in der Kälte (— 7^) und kann durch Verdichten in abgekühlten Röhren
von diesem getrennt werden (Henke*). Man erhält es nach V^urtz,
indem man Ghlorcyan Wasserstoff ($. 569) durch Oberschüssiges
Quecksilberoxyd zersetzt.
Farblose, sehr bewegliche Flüssigkeit, von stark reizendem Geruch;
schwerer als Wasser, darin wenig löslich ; siedet bei 15^,5 und wird bei
— 5^ bis — 6^ fest. In reinem Zustand ist es Jahre lang haltbar, in unrei«
nem geht es rasch in festes Ghlorcyan über. Es liefert mit Ammoniak
Cjanamid (Henke).
Festes Ghlorcjan. Gyanurchlorid = Gj^Gl) (Sernllas 668.
1827). Entsteht durch Einwirkung von Ghlor auf trockenen Gjanwasser-
atoflf im Sonnenlicht; durch Einwirkung von Ghlor auf Sulfocjankalium
($• 584) oder auf Ghloreyanwasserstoff ($. 569); durch spontane Um-
wandlung des in zugeschmolzenen Röhren aufbewahrten Gjanchlorids
($* 566) oder auch der Flassigkeit, die bei Einwirkung von Ghlor auf
Queeksilbercyanid im Sonnenlicht entsteht (Persoz).
Glänzende Nadeln oder Blättchen, die bei 140® schmelzen und bei
l^QP sieden; wenig löslich in kaltem Wasser, sehr giftig.
Das Gyanurchlorid löst sich leicht in Alkohol. Die Lösung in wäss-
rigem Alkohol zersetzt sich bald und setzt unter Entweichen von Salz-
säure Krystalle von Gyanursäure ab:
GyaGl, + 3H,e = ^^'JO, + 3HG1
Dieselbe Zersetzung erleidet die wässrige Lösung beim Kochen, und
bei Gegenwart eines Alkalis in der Kälte. Kalium mit Gyanchlorid erhitzt
liefert Ghlorkalium und Gyankalium. Ammoniak gibt Salmiak und G h 1 0 r o-
oyanamid ($. 598).
Ghlorcyanwasserstoff = Gy^GljH = Gy,Gl, -^ GyH (Wurtz 569.
1848) **) (kann betrachtet werden als eine Verbindung von flüssigem
Ghlorcyan mit Gyanwasserstofif, oder als festes Ghlorcyan, in welchem
1 At Gl durch 1 At H ersetzt ist). .^ Wenn man in auf 0® abgekflhlte
•) lieb. Jahresb. 1858. 287.
*•) Lieb. Jahresb. 1851. 87a
82
340 Cyanverbrndongeii.
Blausäure von mittlerer CoDceotration Chlorgas leitet, so scheidet sich
der Chlorcyanwasserstoff als eine auf dem Wasser schwimmende Flflssig-
keitsschicht ab, während ein Theil bei raschem Ghlorstrom abergerissen
und in der Vorlage verdichtet wird. Man wäscht das Product mit eiskal-
tem Wasser, trocknet mit Chlorcaicium und rectificirt Farblose Flüssig-
keit, die bei 20<^ siedet und bei starker Abkühlung erstarrt« In reinem
Zustand haltbar. Qnecksilberozjd nimmt Blausäure weg und gibt flOs-
siges Ghlorcyan (§. 567). Chlor substituirt den W^asserstoff und bil-
det festes Chlorcyan (§. 568).
570. Cyanbromid, Bromcyan (Serullas 1827). Entsteht bei Ein-
wirkung von Brom auf wässrige Blausäure oder auf Quecksilbercyanid.
Es schmilzt bei + 4® und verflüchtigt si6h bei -|- 15®. Der Dampf ver-
dichtet sich zu feinen Nadeln, die bald zu Würfeln werden; es riecht
stechend. Das Bromcyan ist in Alkohol leicht, auch in Wasser ziemlieh
löslich. Es zerfällt mit Kali zu Cyankalium, Bromkalium und bromsau-
rem Kali. Gegen Ammoniak verhält es sich wie Cyanchlorid.
571. Cyanjodid. Jodcyan (H. Davy 1816.) Findet sich im käuf-
lichen Jod. Es entsteht durch Einwirkung von Jod auf Cyankalium oder
auf Cyanquecksilber. Man löst Jod in concentrirter Cyankaliumlösung
auf und treibt aus der zu einem Erystallbrei erstarrten Masse das Cyan-
jodid durch Sublimation aus (Liebig). Man erwärmt ein Gemenge von
Jod (iTh.) und Quechsilbercyanid (2Th.). Die Einwirkung erfolgt schon
bei gewöhnlicher Temperatur; überlässt man das Gemenge von Jod mit
Cyanquecksilber in einer verschlossenen Flasche sich selbst, so erfüllt
sich der obere Theil derselben mit schönen Erystallen von Jodcyan.
Feine weisse Nadeln, schwerer als Schwefelsäure, von durchdrin-
gendem Geruch, giilig. Sie verflüchtigen sich bei 45® und sind in Was-
ser, Alkohol und Aether löslich. Mit Kali liefert das Cyanjodid: Cyan-
kalium , Jodkalium und jodsaures Eali.
Gegen Ammoniak verhält es sich wie Cyanchlorid.
Cyan =: G^Nj = Cy,
572. (Gay-Lussac 1815). — Das Cyan muss nach Eigenschaften und
Metamorphosen durch die Molecularformel : G2N2 = Cy2 ausgedrückt
werden; es erscheint als Cyanid des Cyans, dem Cyanchloird ent-
sprechend.
Das Cyan findet sich nach Bunsen und Playfair häufig, aber
in geringer Menge (z.B. 1,34%) in den Hohofengasen. Es entsteht beim
Erhitzen von Silbercyanid , Quecksilbercyanid und Goldcyanid:
Ag[Cy jX^ ^]0y = Ag, + Cy,
CyaiL 341
Ferner beim Erhitzen von oxalsaurem Ammoniak oder Ton Oxamid.
Oxalsaures Ammoniak.
Ozamid.
H,[n, — 2Hje = 6,Na
eine Bildung, die theoretisch interessant ist, insofern sie das Gyan als
einen Rest des Oxalsäuren Ammoniaks — als Nitril der Oxalsäure
erseheinen lässt
Darstellung. Man erhitzt trockenes Cyanquecksilber in einer kleinen Re-
torte, das Cyan entweicht in Gasform. Erhitzt man das Cyanquecksilber in dem
einen Schenkel einer zugeschmolzenen Glasröhre, so verdichtet sich im anderen
abgekühlten Schenkel flüssiges Cyan.
Eigenschaften. Farbloses Gas, von eigenthflmlichem der Oxal-
sfture ähnlichem Geruch; brennt mit violetter Flamme. Das Cyan ver-
dichtet sich unter gewöhnlichem Luftdruck bei — 25^ zu einer farblosen
Flüssigkeit, die bei grösserer EäJte fest wird. Schmelzpunkt: — 34^-,
Siedepunkt: 200,7.
Tension des Dampfs (Bunsen).
Temperatur. in Atmosphären.
— 20«,7 1
' — 10« 1,86
0® 2,70
+ 10« 3,8
4- 15® 4,4
-I- 20* 6,0.
Kalium verbrennt in Gyangas zu Cyankalium:
K(k jX^^ Cy]Cy = KCy + KCy
Kohlensaures Kali in Cyangas erhitzt gibt unter Entweichen von
Kohlensäure ein Gemenge von Cyankalium und cjansaurem Kali (vgl.
8. 578).
Cy[Cy jX^ ^^L.^, = CyK + ^^[0 + GO,
Eisen in Cyangas erhitzt überdeckt sich mit Kohle und wird brüchig,
während Stickstofif entweicht.
Das Cyan lost sich in Wasser (1 Vol. Aq. löst 41/2 Vol. Cy) und
in Alkohol (1 Vol. löst 23 Vol. Gyan). — Die wässrige Lösung zersetzt
sich bald unter Abscheidung eines braunen Pulvers von noch unbekann-
ter Natur (Amlmsäore §. 676) , während in der Lösung wesentlich oxal-
342 CyBnyeMnäfmgOL
saures Ammoniak*), neben kohlensaurem Ammoniak, Blansftiire and
Harnstoff enthalten ist (Wöhler). Diese Zersetzung erklärt sich leicht
in folgender Weise. Ein Theil des Cjans wird durch Au&ahme tod
Wasser zu oxalsaurem Ammoniak:
e,N, + 4H,0 = «jOj (NH4)ae,
wobei genau das Umgekehrte von der Beaction stattfindet, durch welche
beim Erhitzen von oxalsaurem Ammoniak Gyan entsteht Ein anderer
Theil des Cyans wirkt durch doppelten Austausch auf Wasser (&hnlidi
wie beim Erhitzen mit kohlensaurem Kali) und liefert so Cyanwasserstoff
und Cjansfture:
Diese letztere bildet dann bei Gegenwart von Wasser (vgl. §• 577)
zum Theil kohlensaures Ammoniak, zum andern Theil Harnstoff!
W&ssriges Kali bewirkt dieselbe Zersetzung; die Lösung entlüüt aus-
ser oxalsaurem Kali, Cyankalium und cyansaures Kali.
Bei Gegenwart von Aldehyd nimmt das in Wasser gelöste Gyangas
weniger Wasser auf als zur Bildung von oxalsaurem Ammoniak nöthig
ist, es wird vollständig in Oxamid abergeführt (Liebig 1860):
GjN, + 2Hi0 = G,eaN,H4
678. Verbindungen des Cyans mit Schwefelwasserstoff. Das
Cyan verbindet sich direct mit Schwefelwasserstoff und erzeugt so zwei
verschiedene Verbindungen:
Cyansulfhydrat GjNjHjS = GjN, + H,S
Cyanbisulfhydrat G2N2H492 = ©iN, + 2H,S
Beide Verbindungen zerfallen beim Kochen mit verdannten wäsaii-
gen Alkalien unter Aufnahme von Wasser in Oxalsäure, Ammoniak ond
Schwefelwasserstoff •*) :
GjNAÖ + 4H,e = €,0,.H,.e, + 2NH, 4- H,&
G,N,H4Sa + 4H,e = e^B^E^.^^ + 2NH, + 2H,S
^) VgL Gianelli, Lieb. Jahresber. 1856. 485.
^*) Das Cyanbisnllhydrat kann als Ozamid betrachtet werden, dessen Sauerstoff
durch Schwefel ersetzt ist (Laurent.):
Ozamid. Cyanbisalfhydrat
Das Cjransalfhydrat kann betrachtet werden als eine Sulfoverbindnng, die
einem noch unbekannten Amid der Ozalsfture entspricht, welches in der
Qyan. 343
Beim Koehen mit coneentrirteo wässrigen AlkaÜea sserfalien beide
in Cyanwasserstoff and Sulfocyansäure (§. 582); das Cyanbisulfhydrat
unter gleiehzeitiger Bildung von Schwefelwasserstoff*):
e^jHaS = eSS + GSMS
©jNASa = eN.H + eN.H9 + HjS
Cyansnlfhydrat (FlaveanwasBerstolfsfiare.) (Gay-Lussac 1816.) Gelbe,
in Wasser, Alkohol und Aetlier lösliche Ery stalle, die beim Zusammentreten yon
Cyangas und Schwefelwasserstoffgas bei Gegenwart von Feuchtigkeit entstehen.
Zersetzt sich mit salpetersaurem Silberozyd sogleich, mit Bleizucker erst nach eini-
ger Zeit unter Bildung von Schwefelmetall und Entweichen von Cyan.
Cyanbisulfhydrat. (Rubeanwasserstoffsäure.) (Wöhler 1885.) Entsteht
wenn Cyan und überschüssiger Schwefelwasserstoff in Alkohol zusammengeleitet
werden. Orangerothe Erystalle; wenig in kaltem, leicht in heissem Wasser, in
Alkohol und in Aether löslich. Fällt aus Blei- und Silbersalzen eigenthümliche
Verbindimgen, die erst beim Erhitzen Schwefelmetall liefern.
Paracyan. Wenn man durch Erhitzen Ton GyanquecksUber Cyan 574.
darstellt, so bleibt ein braunes Pulyer, aus welchem man durch Salpeter-
sänre alles Quecksilber ausziehen kann. Das so erhaltene Paracyan
ist ein braunes Pulver, welches dieselbe Zusammensetzung zeigt wie das
Cyan und bei längerem Erhitzen vollständig in Cyan übergeht — Beim
Erhitzen von Gyansilber bleibt ein grauer Rückstand, der an metallisches
Quecksilber nur einen Theil seines Silbers abgibt Auch beim Behandeln
mit Salpetersäure wird das Silber nur zum Theil entzogen, es bleibt eine
braune Masse, die noch über 40% Silber enthält und die man filr Para-
cyan silber ansieht
Mitte liegt zwischen Oxamid und Cyan (d. h. Nitril der Oxalsäure). Man
hätte
Oxamid. Oxalenid. OxalonitriL
(unbekannt) (Cjan)
IV VI
Das Cyansulfhydrat wäre geschwefeltes Oxalenid (Sulfoxalenid) =: ^[^^
*) Man kann darnach beide als amidartige Verbindungen ansehen, die das Ra-
m
dical (CH) der als Kitril der Ameisensäure betrachteten Cyanwasserstoffsäure,
und das Radical (0S) der als Imid der Sulfocarbonsäure betrachteten Sulfo-
cyansäure enthalten:
m) ei)
eö[N, GS>J»
r) hJ
344 Qyanyfsrbiiidimgen.
575. Asalmsäure. Man bezeichnet mit diesem Namen das sehwarae oder
schwarzbraune Pulver, welches bei freiwilliger Zersetzung einer wftssrigea
oder alkoholischen Lösung von Cyan (vgl. §. 572) oder bei freiwilliger
Zersetzung der Blausäure (vgl. §. 525) entsteht. Die s. g. Azulmsäure
ist unlöslich in Wasser und Alkohol, löslich in Alkalien und concentrirten
Säuren« Ihre chemische Natur ist noch nicht ermittelt; selbst ihre Zu-
sammensetzung nicht mit Sicherheit festgestellt (Pelouze und Richard-
son fanden: e^lS^E4^2 = 4Cy + 2Hje).
Cyanverbindungen des Wassertjpas.
576. Man kennt zwei dem Typus Wasser zugehörige Cyanverbindungen *3:
Cyansäure. Gyanursäure.
%\^ %\0'
Die Cyansäure entspricht dem Cyanchlorid (§.566), die Cyan u r-
sänre dem Cyanurchlorid (§. 568}. — Ausser diesen zwei polymeren
Verbindungen, deren Hoieeulargrösse aus den Beziehungen zu den bei-
den Chloriden und aus der Zusammensetzung ihrer Salze hervorgeht,
existirt noch eine dritte mit beiden isomere Substanz von unbekannter
Moleculargrösse: das Cyamelid = CynHnOn.
Diese drei polymeren Körper zeigen unter geeigneten Verhältnissen
die merkwürdigsten Uebergänge aus dem einen in den andern Zustand-
So wird ein oy ansaures Salz, wenn Essigsäure in zu völliger Zersetzung
ungenügender Menge zugesetzt wird, zu cyanursaurem Salz. Die Cyannr-
säure verwandelt sich beim Erhitzen in Cyansäure; diese geht von selbst
in Cyamelid üben Das Cyamelid seinerseits wird durch Hitze in Cyan-
säure, durch Alkalien in Cyanursäure übergeführt.
Ein vierter Körper von ebenfalls gleicher Zusammensetzung ist die
Cyanilsäure, die fast in allen Eigenschaften mit der Cyanursäure über-
einstimmt (§. 581).
*) Man hielt früher auch die EnaUsäure für eine Säure des Cyans und steDte
sie zwischen die Cyans&ure und die Cyanursäure:
Cyansäure 6NH0 = CjRB
Enallsäure G^NaHae, = Cy2^i^t
Cyanursäure 6,N,H,03 = CvaHjO,
Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Knallsäure oder vielmehr die
als Salze dieser hypothetischen Säure betrachteten Körper (z. B. das Knalle
quecksilber) eine völlig verschiedene Constitution haben und dureh ihre Me-
tamorphosen sich nicht an die Cyansäure, sondern an das Acetonitril an-
Bchliessen.
Ausser der hypothetischen Knallsäure ist noch die Fulminursänre mit
der Cyansäure, der Cyanursäure und dem Cyamelid isomer.
CyaDBänre. 345
CyansÄure = GSEO — CjHe (Wöhler 1822).
Gy ansäure Salze entstehen mit grosser Leichtigkeit durch directe 577.
Oxydation von Cyaniden (vgl. §§.529. 535); durch Einwirkung von Cyan
auf Kali oder kohlensaures Kali (§. 572). Beim Eindampfen von Harn-
stofflösung mit salpetersaurem Silberoxyd entsteht cyansaures Silber-
oxyd etc.
Die Cyans&ure kann aus ihren Salzen nicht abgeschieden wer-
den. Sie verwandelt sich stets im Moment des Freiwerdens in Cyanur-
säure oder in Gyamelid; oder sie zerfä,llt durch Aufnahme von Wasser
in Kohlensäure und Ammoniak. So scheidet z. B. trockene Salzsäure
aus cyansaurem Kali eine Verbindung von Cyansäure mit Salzsäure ab,
welcher die Salzsäure nicht entzogen werden kann, ohne dass die Cyan-
säure in Cyanursäure abergeht. Reibt man krystallisirte Oxalsäure mit
cyansaurem Kali zusammen, so entsteht Cyamelid. Setzt man Essigsäure
oder Mineralsäuren in ungenügender Menge zu einer Lösung von cyansaurem
Kali, so fällt saures cyanursaures Kali. Setzt man endlich zu cyansaurem
Kali Schwefelsäure oder Salzsäure von mittlerer Concentration , so ent-
steht ein lebhaftes Aufbrausen ; man bemerkt wohl den charakteristischen
Geruch der Cyansäure, aber die grösste Menge dieser Säure zerfallt durch
Aufnahme von Wasser in Kohlensäure und Ammoniak.
ONOH -f Hj0 = eOa -f- NH,
Die einzige Methode freie Cyansäure darzustellen gründet sich auf
die moleculare Umwandlung der Cyanursäure durch Hitze (Wohl er und
Liebig).
Darstellung. Man erhitzt getrocknete Cyanursäure in einer kleinen Retorte
oder besser in einer in einem rechten Winkel gebogenen Verbrennungsröhre^ deren «
leerer Schenkel durch ein im Boden des Verbrennungsofens angebrachtes Loch
durchgesteckt ist. Die Dämpfe werden in einem mit Eis oder einem Kältegemisch
abgekühlten Gefäss verdichtet. — Auch durch Erhitzen von Harnstoff mit Phosphor-
sänreanhydrid erhält man Cyansäure (Weltzien).
Die Cyansäure ist eine farblose, leicht bewegliche Flüssigkeit, ihr
Dampf riecht stechend, der Essigsäure ähnlich und greift die Augen stark
an. Sobald man das die Cyansäure enthaltende Gefäss aus dem Kälte-
gemisch herausnimmt, trübt sich die Flüssigkeit und verwandelt sich bald
in eine weisse porzellanai-tige Masse (Cyamelid §. 580). Diese moleculare
Umwandlung ist stets von einem knisternden Geräusch und von Wärme-
entwicklung, bei grösseren Mengen von explosionsartigen Erschütterungen
begleitet.
Die Cyansäure löst sich in Wasser zu einer sauer reagirenden Flüs-
sigkeit; diese Lösung zersetzt sich bald in kohlensaures Ammoniak und
in Harnsto£f:
GNOH + H,e = 60, + NH3
eK0H + NH, = eeNaH4
Harnstoff.
346 GTttDTQfbindniijfen.
Beide Zersetmngen seigen dass die Cyansftare ein Rest des koh-
lensauren Ammoniaks, das Imid der Kohlensäure ist*).
Die fttherische Lösung der Cjans&ure kann längere Zeit aufbewahrt
werden ohne 2Sersetzung zn erleiden.
578. Cjansaure Salze. Die Cyansäure ist eine einbasische S&ure.
Die Bildung der cjansauren Salze ist oben besprochen.
Cy an saures Ammoniak. LSsst man die Dämpfe von Cyansäure zu
trockenem Ammoniak treten, so entsteht eine weisse feste Substanz, die sich in
Wasser leicht löst. Diese Lösung zeigt frisch bereitet alle Eigenschaften des Am-
moniaksalzes der Cyansäure. Sie entwickelt mit Alkalien Ammoniak, mit Sfturen
Eohlensfiure und den Geruch nach Cyansäure. Aber das gelöste cyansäure Am-
moniak verwandelt sich selbst in der Kälte nach einigen Tagen, beim Kochen mo-
mentan in Harnstoff*). Dieselbe Umwimdlung erleidet die trockene Verbindung
beim Erhitzen. Auch durch Zersetzen von cyansaurem KaU mit schwefebanrem
Ammoniak wird nicht cyansaures Ammoniak, sondern dessen Umwandlungsproduct
Hamstoflf erhalten. Zersetzt man bei gelinder Wärme cyansaures Blei mit Ammo-
niaklösung oder cyansaures Silber mit einer Lösung von Salmiak, so erhält man
eine Lösung von cyansaurem Ammoniak, welches bald in Harnstoff übergeht
Cyansaures Kali. Man trägt in geschmolzenes Cyankalium Bleiozyd
(am besten Mennige) ein. Das Metall wird augenblicklich reducirt, bleibt anfangs
als Pulver in der Masse suspendirt, setzt sich aber bei genügender Hitze leicht
zu Boden, so dass man das cyansäure Kali abgiessen kann. Es erstarrt beim
Erkalten zu einer völlig weissen Masse (Liebig). ^ Man setzt zu der geschmolzenen
und etwas erkalteten aber noch flüssigen Masse von 8 Th. BluÜaugensalz , und
8 Th. kohlensaurem Kali unter Umrühren 16 Th. Mennige; schmilzt nochmals und
giesst das cyansäure Kali ab (Clemm). — Man erhitzt auf einem Eisenblech ein
Gemenge von 2 Th. getrocknetem Blutlaugensalz mit 1 Th. Braunstein unter üm-
« rühren und zieht die erkaltete Masse mit heissem Alkohol aus (Li e big). Selbst
beim Erhitzen von Blutlaugensalz für sich geht das anfangs gebildete Cyankalium
durch Aufnahme von Sauerstoff aus der Luft in cyansaures Kali über.
Das cyansäure Kali krystallisirt beim Erkalten der alkoholischen Lösung in
weissen dem chlorsauren Kali ähnlichen Blättchen. Es zerfliesst an der Luft, ist
in Wasser leicht löslich und zersetzt sich leicht durch Aufnahme von Wasser in
kohlensaures Kali und Ammoniak. In trockenem Zustand kann es geschmolzen
werden ohne Zersetzung zu erleiden; beim Schmelzen mit Kohle, mit Eisen oder
im Wasserstoffstrom wird es zu Cyankalium reducirt; trägt man Kalium in ge-
schmolzenes cyansaures Kali, so entsteht Cyankalium und Kali.
Das cyansäure Blei ist ein weisser Niederschlag, der sich bald in weisse
Nadeln umwandelt. Das cyansäure Silber ist ein weisser Niederschlag, löslich
*) Diese Betrachtungsweise lässt, wie später (Amide der Kohlensäure) gezeigt
werden wird, die Beziehungen zum Harnstoff etc. besonders deutlich hervor-
treten.
**) Der Harnstoff hat dieselbe Zusammensetzung wie das cyansäure Ammoniak
aber völlig verschiedene Eigenschaften; er wird ab Amid der Kohlensäure
beschrieben werden.
Oyanunftiure. 347
in AnunoDiak und In verdünnter SalpetersKore ^ es sersetzt sich beim Erhiteen mit
einer Art Explosion.
Cyanurs&ure = e^NjHaO, = CyjHjO,.
Entdeckt von Scheele als Zersetzungsproduct der Harns&are. 679.
Man erhält die Gjanursäure aus Harnstoff. Der Harnstoff, der,
wie oben (§. 578) erwähnt, durch moleculare Umwandlung aus cjansau-
rem Ammoniak entsteht, verhält sich dabei wie das Ammoniaksalz der
mit der Gyansäure poIymeren Cjanursäure.
Darstellung. Man erhitzt Harnstoff bis die anfangs geschmolzene Masse
wieder trocken und grauweiss geworden ist; man löst den Rückstand in concen-
trirter Schwefelsäure, setzt zur Enterbung ein paar Tropfen Salpetersäure zu und
verdünnt mit Wasser; beim Erkalten scheidet sich die Gyanursfiure aus (Wo hier).
Man erhitzt salzsauren Harnstoff (durch Sättigen von Harnstoff mit
Salzsäuregas erhalten) auf 145®; es tritt eine lebhafte Reaction ein, bei
welcher die Temperatur auf 200® steigt, während viel Salmiak entweicht.
Man entfernt aus dem Rückstand den Salmiak durch kaltes Wasser und
krystallisirt die ungelöst bleibende Cjanursäure aus siedendem Wasser
um (De Vry)*).
Am zweckmfissigsten ist die Methode von Wurtz. Man leitet über geschmol-
zenen Harnstoff trockenes Ohlorgas, es entweicht Salzsäure, Stickstoff und Salmiak;
dem Rückstand entzieht man durch kaltes Wasser den Salmiak und krystallisirt
aus heissem Wasser die Gyanursäure ^*).
Die Cjanursäure krystallisirt aus wässriger Lösung in monokli-
nometrifichen Prismen Gj^B.^^^ 4~ SH^O, die leicht yerwittem: aus
der Lösung in heisser Salpetersäure oder Salzsäure erhält man kleine
Quadratoktaeder, die kein Erystallwasser enthalten. Sie löst sich in
40 Th. kaltem Wasser, leichter in heissem. Sie ist weit beständiger als
die Cyansäure und zerfällt erst bei lang anhaltendem Kochen mit starken
Säuren in Kohlensäure und Ammoniak. Beim Erhitzen sublimirt ein Theil
unzersetzt; die grösste Menge verwandelt sich in Dämpfe von Cyansäure ;
gleichzeitig bildet sich an der Oefosswand eine zähe Flüssigkeit^ die unter
Gasentwicklung zu weissen Krusten von Cyamelid wird.
Cyanursaure Salze. Die Cyanursäure ist eine dreibasische Säure
(Liebig), sie bildet drei Reihen von Salzen:
•Ä:!». §}j». H*ä:(<». "ä:!«.
Ein saures Kalisalz = Cy,Hj|K-&9 erhftlt man durch Zusatz von wenig
Kali zu einer heissen Lösung von Cyanursäure, oder indem man eine Lösung von
cyansaurem Kali mit Essigsäure oder mit einer zur völligen Zersetzung ungenügen-
«) Lieb. Jahresb. 1847 u. 48. S. 488.
**) Aus diesen Lösungen krystallisirt der Salmiak leicht in farblosen, wohlausge-
bildeten Würfek.
348 GyaiiTerbindim^eiL
den Menge einer Hineralsfiare versetzt, als weisses, aas kleinen Wttrfeln bestehen-
des Pulver. Die Lösung dieses Salzes in Kalilauge scheidet auf Zusatz von Al-
kohol feine Nadeln des Salzes: CyaHEjO^ ab. — Man kennt zwei diesen beiden
Kalisalzen entsprechende Baryt salze. Das neutrale Bleisalz: Cy^Pb^O^ -|-
1^2 H30 wird am zweckmfissigsten durch Eingiessen von basisch-essigsaurem Blei-
ozyd (Bleiessig) in einen üeberschuss von heisaer Cyanurs&urelösung als weisser
krystallinischer Niederschlag erhalten. Das neutrale Silbers alz: Cy,Ag30«
4- ^/i HjO entsteht, wenn man salpetersaures Silberozyd zu einer heissen Lösung
von cyanursaurem Ammoniak, die einen Üeberschuss von Ammoniak enthält, ein-
giesst. Das saure Silbersalz: CysEAg^Oj wird am reinsten erhalten durch
F&llen von essigsaurem Silberozyd mit Cyanursfiure in der Hitze. Ein Doppel-
salz: Cy3AgPb203 4~ H20 entsteht durch Kochen des neutralen Bleisalzes mit
salpetersaurem Silberozyd. Cyanur saures Cuprammonium: CyaHCNH^Cu)]^^
-|- H2O erhält man in schön violetten Krystallen, wenn man zu einer heissen Lösung
von Cyanursäure in Ammoniak eine verdünnte Lösung von ammoniakalischem Kupfer-
vitriol zufägt. Ein anderes Cuprammoniumsalz: CyaHsCNHsCu}^) entsteht
als violetter Niederschlag, wenn eine Lösung von Cyanursäure zu einer anunonia-
kalischen Lösung von Kupfervitriol gegossen wird; dieses Salz ist unlöslich in
Wasser und in Ammoniak , seine Bildung wird desshalb als Reaction auf Cyanur-
säure benutzt
680. Gjamelid, unlösliche Cjanursäure, ist die weisse, amorphe, in
Wasser unlösliche Hasse, in welche sich die Cyansäure yon selbst um-
wandelt. Es entsteht auch, wenn cjansaures Eali mit rauchender Schwe-
felsäure, mit Salpetersäure, mit Oxalsäure oder Weinsäure zusammenge-
rieben wird. Beim Erhitzen verwandelt es sich zum Theil in Cjansäure.
Es löst sich in Eali unter Bildung von cjanursaurem EalL Beim Eochen
mit Schwefelsäure zerfollt es zu Eohlensäure und Ammoniak.
681. Cyanilsäure. Durch Eochen von Mellon ($. 599) mit Salpeter-
säure erhielt Liebig grosse, perlmutterglänzende Blättchen oder prisma-
tische Erjstalle, die in Wasser weit löslicher sind als Cyanursäure, aber
sonst in allen Eigenschaften mit dieser abereinstimmen und leicht z. B.
durch Auflösen in Schwefelsäure und Zusatz von Wasser, in gewöhnliche
Cyanursäure übergehen.
Schwefelverbindungen des Cyans.
532. Sulfocyansä.ure, Schwefelcyanwasserstoffsäure , Rhodanwasser-
stoffsäure = eNHÖ = CyHö (Winterl 1790; Porret 1808; 1814;
Berzelius 1820).
[Von der Radicaltheorie als Wasserstoflfverbindung des Badicals:
Rhodan = CyS^ angesehen.]
Die Salfocyansäure steht zur Cyansäure in derselben Beziehung wie
der Schwefelwasserstoff zum Wasser:
Wasser. Schwefelwasserstofil
i!« i!
9
Sttlfocyansäure. 349
Gyansänre. Sulfocyansfture.
Die Analogie beider zeigt sich z. B. in der Bildung. Gerade so wie
Gyanmetalle durch directe Aufnahme von Sauerstoff in Gjansäuresalze
abergehen, so verbinden sie sich direct mit Schwefel zu Sulfocyansäure-
salzen. Gerade so wie Cyan mit glühendem Kali oder kohlensaurem Kali
ein Gemenge von Cyankalium und cyansaurem Kali gibt, so liefert es mit
einfach Schwefelkalium ein Gemenge von Cyankalium und Sulfocyan-
kalium :
Cyf^; ^nJ g]L = CyK 4- %s
Auch die Zersetzungen sind völlig analog. Die Cyansäure zerfällt
unter Aufnahme von Wasser in Kohlensäure und Ammoniak:
eHHO + HjO = 602 + NH„
die Sulfocyansäure unter Aufnahme von Schwefelwasserstoff in Schwefel-
kohlenstoff-und Ammoniak:
eNHS + HjS = GSj + NH3
Sulfocyansäure. Sie kann aus Sulfocyansäuresalzen durch stär- 533^
kere Säuren abgeschieden werden. Man erhält sie in trockenem Zustand
durch Erhitzen des trockenen Sulfocyanquecksilbers mit Schwefelwasser-
stoff oder Salzsäure; in wässriger Lösung aus denselben Substanzen oder
indem man Sulfocyanbaryum mit der genau hinreichenden Menge Schwe-
felsäure fällt.
Die trockene Sulfocyansäure ist eine farblose Flüssigkeit, der Es-
sigsäure ähnlich riechend; sie wird bei — 12^,5 fest und siedet bei
.85® (Artus), bei 102<'5 (Vogel). Die trockene Säure zersetzt sich
rasch:
Sulfocyansäure. Persulfocyansäure. Cyanwasserstoff.
seNHS = GjNjHjSj + €NH
Die wässrige Lösung zersetzt sich langsam in der Kälte, rasch beim
Erhitzen. Ein Theil der Säure zerfällt:
2eNHs + 2H2G = ee, + es, + 2Nh,
ein anderer:
GNHS + 2H,e = ee, + HjS + NH3;
gleichzeitig zerfallt ein Theil wie die trockene Säure und scheidet unter
Elntwicklung von Blausäure Persulfocyansäure aus. Setzt man zur wäss-
350 CyftQTerbmdangen.
rigen Lösung Salzsäure, so serfl&llt ein grösserer Theil in dieser Weise.
Sättigt man die wässrige Lösung mit Schwefelwasserstoff, so zerfällt die
Sulfoejan säure rasch zu Schwefelkohlenstoff und Ammoniak.
684. Sulfocyansaure Salze. Die Sulfocjansäure ist eine einbasische
Säure. Sulfocyansaure Salze finden sich in geringer Menge im Speichel
(§. 523). Sie bilden sich, wie oben erwähnt, durch directe Vereinigung
von Schwefel mit Cjanmetallen und entstehen daher in sehr vielen Reac-
tionen unter anderm auch bei der Fabrikation des Blutlaugensalzes (§.541).
Sie werden von starken Säuren zerlegt unter Freiwerden von Sulfocyan-
saure, die sich dann weiter zersetzt Setzt man z. B. zur Lösung von
Sulfocyankalium concentrirte Salzsäure, so bemerkt man den Geruch der
Sulfocyansaure und ein übergedecktes Papier färbt sich roth durch Ein-
wirkung der Sulfocyausäuredämpfe auf das Eisen des Papiers, aber die
freigewordene Sulfocyansaure zersetzt sich rasch unter Bildung von Per-
sulfocyansäure (§.587). Salpetersäure oder Chlor zersetzen die Lö-
sung von Sulfocyankalium unter Bildung von Pseudoschwefelcyan
($.588). Glüht man Sulfocyankalium mit Eisen, so entsteht Gyankalium
und Schwefeleisen.
Snlfocyanammoniam. Man damplt Cyanwasserstoff mit mehrfachem
Schwefelammonium zur Trockne ein und trennt das Sulfocyanammonium vom aus-
geschiedenen Schwefel durch Wasser oder Alkohol. (Diese Bildung wird benützt
bei der §. 526 besprochenen Reaction auf Blausäure.) Man digerirt die ans 180 Th.
Bluüaugensalz mit 90 Th. Schwefelsäurehydrat und 40 Th. Wasser dargestellte
Blausäure mit dem durch Sättigen von 60 Th. Ammoniaklösung (von 0,96 spec
Gew.) mit Schwefelwasserstoff, Zusatz von 180 Th. Ammoniaklösung und 60 Th.
Schwefel erhaltenen Schwefelammonium, kocht bis aUes Schwefelammonium unter
Absatz von Schwefel zersetzt ist, filtrirt und dampft ein (Lieb ig).
Farblose, zerfüessliche, in Wasser und Alkohol sehr lösliche Tafeln, die bei
1470 schmelzen und sich bei weiterem Erhitzen zersetzen unter Entweicheu von
Schwefelkohlenstoff, Schwefelwasserstoff und Ammoniak, während Melam (S* 693)
zurückbleibt, welches schliesslich in Mellon (§. 699) übergeht
Sulfocyankalium. Man schmilzt Gyankalium mit SchwefeL
Oder man schmilzt Ferrocyankalium (2 Th.) mit Schwefel (1 Th.) oder
man schmilzt kohlensaures Kali (17 Th.) mit Schwefel (32 Th.) zu
Schwefelleber und trägt trocknes Blutlaugensalz (46 Th.) ein (Henne*
berg). Man zieht am zweckmässigsten mit heissem Alkohol aus. Daa
Sulfocyankalium krystallisirt in wasserhellen Nadeln oder Säulen, die dem
Salpeter ähnlich sind; es ist zerfliesslich , sehr löslich in Wasser, löslich
in kaltem, weit reichlicher in heissem Alkohol. Es schmilzt bei Luft-
abschluss ohne Zersetzung, dabei wird es zunächst braun, dann grfin, zu-
letzt schön indigblau, beim Erkalten aber wieder farblos (Nöilner).
Von den übrigen Sulfocyansäuresalzen sind die tou Natrium, Calcium,
Magnesium, Baryum und Strontium leicht löslich, sie geben mit Queck-
silbercyanid krystallisirbare Doppelverbindungen. Sulfocyansink ist ebttifiUls
löslich, Sulfocyankadmium weniger; beide sind krystaUisirbar. Daa Sulfo-
Solfoeyanstoie. 351
cyansilber ist ein weisser käsiger Niederschlag, unlöslich in Wasser nnd in ver-
dflnnten Säuren*, es löst sich in Ammoniak und krystallisirt beim Verdunsten des
Ammoniaks; es löst sich in Sulfocyankalium und in Sulfocyanammonium nnd er-
sengt damit Doppelsalze, z. B.: CyAgB 4" CyE$, aus deren Lösung durch Zusatz .;
von Wasser oder Salzsäure kömiges, auf Zusatz von Ammoniak krystallisirtes Sulfo-
cyansilber ausfällt — Setzt man zu einer Lösung von Kupfervitriol Sulfocyankalium,
so entsteht ein schwarzer krystallinischer Niederschlag von Sulfocyankupfer
= CyCuÖ, das durch längeres Waschen oder auch beim Stehen in der Flüssigkeit
zu weissem Halbsulfocyankupfer CycuS (dem Eupferozydul entsprechend)
wird. Dieses weisse Salz wird direct erhalten, wenn man ein Gemenge von Kupfer-
vitriol und Eisenvitriol mit Sulfocyankaliumlösung versetzt. — Durch Auflösen von
metallischem Eisen in Sulfocyansäure wird eine grflne Lösung von Eisensulfocyandr
erhalten, die im Vacuum Krystalle liefert. Eisenoxyd löst sich in Sulfocyansäure
mit intensiv rother Farbe, die Lösimg liefert im Vacuum eine krystallinische, fast
schwarze Masse von Eisensulfo Cyanid (Claus). Dieses intensiv rothe Salz
entsteht auch in wässriger Lösung durch doppelte Zersetzung von Eisen chlorid und
Solfocyankalin m oder Sulfocyananmionium. Es wird seiner intensiven und charak-
teristischen Farbe wegen als Reaction auf Eisenozydsalze und umgekehrt aaf Sulfo-
cjransäure und auf Blausäure benutzt (vgL §. 626).
PlatinsulfocyanTerbindungen (Backton 1854)*). Setzt 535.
man zu kalter Lösung von Sulfocyankalium eine Lösung von Platinclilo-
rid, 80 entsteht der gewöhnliche Niederschlag von Kaliumplatinchlorid
(EPtCls). Werden die beiden Lösungen warm gemischt, so setzt die in-
tensiv weinrothe Flüssigkeit nach und nach gl&nzend rothe goldfarbige
Blätter von Platinsulfocyankalium ab. Man erhält dieses Salz am
besten, indem man in eine Lösung von Sulfocyankalium (5 Th.) unter
Erwärmen Ealiumplatin chlorid (4 Th.) einträgt; aus der heiss filtrirten
Lösung krystallisirt das Salz in dunkelcarminrothen grossen sechsseitigen
Tafeln. Die Bildung dieses Salzes kann als doppelter Austausch der Me-
talle des Kaliumplatinchlorids gegen die äquivalente Menge Kalium des
Sulfocyankaliums aufgefasst werden:
Cl, h^ 1^.^/ Ka] Cy,ö, = 8KC1 + PtKCyaS,
Das Salz ist also für die Sulfocyansäure dasselbe, was das Eatiumplatin-
chlorid für die Salzsäure ist. Es kann auch als Doppelsalz von Sulfocyankalium
mit Sulfocyanplatin angesehen werden: KCyß 4* PtOy^S). Aus dem Kaliomsalz
werden durch doppelte Zersetzung andere Platinsulfo Cyanide erhalten; aus
der Bleiverbindung kann durch Schwefelsäure die Platin sulfocyansäure abge-
schieden werden.
Platinchlorür oder KaliomplatinchlorOr gibt mit Sulfocyankalium
ein ähnliches Salz, daa Platinsnlfocyanürkalium = KPtCy^Bs
•) Ueb. Jahresb. 1864. 880.
352 Cyanverblndungen.
(=KCyö + PtCySj, welches aus der orangerothen Lösung m rothen
mikroskopischen Säulen krjstaliisirt.
586. Selenocyansäure, Selencyanwaseerstoffsäure CyHSe.
(Berzelius: 1820, Crookes: 1851)*). Das Selen bildet Verbindungen,
die den Sulfocyansäuresalzen vollständig analog sind.
687. Persulfocyansaure. Uebersch wefelblausäure; Xanthanwasser-
stoflfsäure = CyjHjSs (Wo hl er 1821). — [Nach der Radicaltheorie
WasserstofiverbinduDg des Radicals: Xanthan = CyS}.]
Ein Zersetzungsproduot der Sulfocjansäure (vgl. §. 584). Wird am
besten erhalten, indem man eine concentrirte Lösung von Sulfocyankaliuoi
mit Salzsäuregas sättigt oder mit concentrirter wässriger Salzsäure mischt
Es entsteht anfangs ein weisser Niederschlag, der sich bald in gelbe
Krystallnadeln verwandelt.
Die Persulfocyansaure ist in kaltem Wasser unlöslich; auch in sie-
dendem Wasser löst sie sich nur wenig und krystallisirt beim Erkalten
in langen goldgelben Nadeln. Die heisse wässrige Lösung gibt mit essig-
saurem Bleioxyd ein gelbes Bleisalz: CyjPb^Sj^ — Die Persulfocyansaure
löst sich in kalter Schwefelsäure ohne Zersetzung und wird durch Was-
ser gefällt. Heisse Schwefelsäure und heisse Salzsäure zerstören sie unter
Bildung von Kohlensäure, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und Schwefel.
Durch Alkalien wird sie zerlegt in Sulfocyansäuresalz und Schwefel:
CyjHjöa = 2CyHS + &
Beim Erhitzen zerßlllt sie unter Entweichen von Schwefelkohlenstoff
und etwas NHj, dabei entsteht wahrscheinlich Melam ($. 593) und zu-
letzt Mellon (§. 599).
088. Pseudoschwefelcyan, Persulfocyan, sogenanntes Seh wefelcy an,
hat man das orangegelbe Pulver genannt, welches durch Chlor
oder Salpetersäure aus einer Lösung von Sulfocyankalium gefällt wird
(S. 584). Man hielt diesen Körper anfangs für das Radical der Sulfo-
cyanverbindungen, d. h. für Schwefelcyan CySj =: CyS. Spätere Ver-
suche haben gezeigt, dass er stets Wasserstoff enthält; seine Zusammen-
setzung ist wahrscheinlich: CysHSs (Laurent u. Gerhardt); er kann
dann als Persulfocyansaure betrachtet werden, in welcher 1 H durch Cy
ersetzt ist.
Das Pseudoschwefelcyan ist ein amorphes Pulver, unlöslich
in Wasser, Alkohol und Aether; löslich in Schwefelsäure, durch Wasser
daraus f&llbar. Beim Kochen mit Alkalien liefert es Sulfoeyansäuresalse;
•) Ueb. Jahresb. 1851. 879.
Amide des Cyans.
353
beim Kochen mit Sehwefelwasserstofikalium neben andern Produkten
Sulfomellonkalium (§. 597). — Beim Erhitzen KerfaUt es in Schwe-
felkohlenstoff, Schwefel und Mellon (§. 599).
Cyanverbindungen des Aofimoniaktyps.
Wenn man annimmt, das Radical Cjan ersetze nach und nach den 589.
Wasserstoff des Ammoniaks , so hätte man die folgenden drei Amide
des Cjans:
Dicjanamid. Tricyanamid.
Cy) Cy)
CyVN Cy^N
= ejNjH = e3N4
Von diesen drei Amiden ist nur das erste mit Sicherheit bekannt
Aber gerade so wie eine mit der Cyansäure polymere Cyanur-
s&ure, ein mit dem gasförmigen Chlorcyan polymeres festes
Chlorcyan von dreifacher Moleculargrösse existirt, so kennt man eine
Verbindung die mit dem Cyanamid polymer ist und die dreifache Mo-
leculargrösse besitzt, das Melamin:
Gyanchlorid. Gyansäure.
Cyanamid.
1t»
= eN,H,
CyCl
Cjanurchlorid.
Cj,Cl,
■st»
Gyanursäure.
Cyanamid.
Cy)
h(n
Cyanuramid.
(Melamin»)
H,i
Das Melamin steht demnach zur Gyanursäure in derselben Beziehung wie
das Gyanamid zur Gyansäure; es ist das Amid der Gyanursäure.
Gerade so wie gasförmiges Ghlorcyan von selbst in festes Ghlor-
cyan, wie Gyansäure in Gyanursäure übergeht, so verwandelt sich das
Cyanamid in höherer Temperatur in Melamin.
An das Melamin reihen sich noch an das Ammeiin und die
Melanurensäure, zwei Körper, die als intermediär zwischen dem
Melamin und der Gyanursäure angesehen werden können:
Gyanursäure. Melanurensäure. Ammeiin. Melamin.
GaNaOjH, ©aNi^iH« e^NjOH« e^^^E^
der:
(ONOH
eNGH
eNOH
eNOH
€NeH
eNNH,
leNOH
(©NNH,
leNNH,
{eNNH,
^eNNH,
Ktkal«, orgu. Cheml..
23
354 Cyanyerbindimgpen.
Die Cjanursäure kann als eine VereiDigung von 3 Molecfllen Cjan-
säure , das Melamin als eine Vereinigung von 3 Molecflien Gjanamid zu
einem Molecül angesehen werden. Ebenso bilden 2 Mol. Cyansänre mit
1 Mol. Gjanamid die Melanurensäure ; 1 Mol. Cyansäure mit 2 MoL Gjan-
amid das Ammeiin. Daraus erklärt sich die Leichtigkeit, mit welcher
das Melamin in Ammeiin, in Melanurensäure und schliesslich in Gjanur-
säure übergeht (§. 579).
An diese Körper schliessen sich ferner an : Melam , Ammelid , Hj-
drothiomellon , Ghlorocjanamid , Gjamelursäure und Mellon.
690. Gjanamid. Lässt man gasförmiges Ghlorcjan mit trocknem Am-
moniakgas zusammentreten, so entsteht eine weisse feste Masse, die von
B i n e a u entdeckt und i^r eine directe Verbindung, fürGhlorcjanammo-
niak gehalten wurde. Gloßz und Gannizzaro zeigten (1861) *), dass
sie ein Gemenge von Salmiak und Gjanamid ist. Lässt man die beiden Oase
in trocknem Aether zusammentreten, so scheidet sich Salmiak aus und
die Lösung hinterlässt beim Verdunsten krjstallisirtes Gjanamid:
)[E jX^ CyjCl (Gy
N<^rj: ' ^^ ^ = nJh + HCl.
(5 ?H
Flüssiges Ghlorcjan erzeugt unter gleichen Bedingungen dieselbe Ver-
bindung (Henke).
Das Gjanamid schmilzt bei 40® und krjstallisirt beim Erkalten. Es
ist löslich in Alkohol und Aether, an feuchter Luft, zerflieaslich. Es löst
sich leicht in Wasser, geht aber beim Abdampfen der Lösung in Melamin
über. Durch Aufnahme von Wasser, z. B. bei Zusatz eines Tropfens Sal-
petersäure zur wässrigen Lösung, wird es zu Harnstoff**):
Gjanamid. Harnstoff.
eNjHj + HjO = G0N,H4
Erhitzt man Gjanamid auf 150®, so wird es plötzlich unter Wärme-
entwicklung fest, indem es in das poljmere Melamin übergeht (Cloez
und Gannizzaro).
691. Melamin — OsN^H^. Wird ausser durch die eben erwähnte Um-
wandlung des Gjanamids noch erhalten durch Einwirkung siedender ver-
dünnter Kalilauge auf Melam (§. 593) (Lieb ig 1834) und langsames
Eindampfen der Lösung. Grosse stark glänzende rhombische Octa€der;
löslich in Wasser, unlöslich in Alkohol und Aether. — Es gibt mit Säu-
•) Lieb. Jabresb. 1851. 382.
**) Das Gjanamid ist cjansaures Ammoniak minus Wasser; der Harnstoff ist
mit cyansaurem Ammoniak isomer §. 578.
Amide des CyaiiB. 355
ren krystallisirbare Salze; z. B.: G^'^fi^^ HCl und mit salpetersaurem
Silberoxyd einen krystallinischen Niederschlag: OsN^H« -|* AgOjN.
Pollen — OjK^Hg (isomer mit Melamin) ist nach Völkel das weisse oder 692.
gelb weisse Pulver, welches bei längerem Erhitzen von Sulfocyanammonium auf
300* entsteht. Lieb ig hftlt es für identisch mit:
Melam >- 6«NiiH, (Liebig 1884). Man erhftlt diesen Körper durch Er- 598.
hitzen eines Gemenges von Sullbcyankalium (1 Th.) mit Salmiak (2 Th.). Man
wäscht den Rückstand mit Wasser und kohlensaurem Kali und löst durch Kochen
in massig concentrirter Kalilauge. Beim Erkalten scheidet sich das Melam als
weisses kömiges Pulver aus. Durch längeres Kochen mit Alkalien wird es zu
Melamin. Es zerfällt beim Erhitzen in Ammoniak und MeUon (§. 699). Beim
Kochen mit verdünnter Salzsäure oder Schwefelsäure, sowie beim Behandeln mit
Salpetersäure liefert es Ammeiin (§. 594). Dabei entsteht gleichzeitig, bei Ein-
wirkung von concentrirter Schwefelsäure wesentlich, Ammelid (§. 595). Durch
Kochen mit conc. Salpetersäure entsteht Cyanursäure, beim Schmelzen mit Kali-
hydrat cyansaures Kali.
Ammeiin — 6SN5H50 (Lieb ig 1834). Entsteht beim Kochen von Melam 594.
mit verdünnter Schwefelsäure oder Kalilauge oder beim Kochen von Melamin mit
verdünnter Salpetersäure. Es wird aus den Lösungen in Säuren durch Ammoniak
oder kohlensaures Kali als weisses voluminöses Pulver gefällt. Es verhält sich
gegen Säuren wie eine schwache Base. Mit Salpetersäure gibl es grosse Krystalle :
^sN^H^O, N03H', mit salpetersaurem Silberoxyd einen krystallinischen Nieder-
schlag: 61N5H50 4" NOsAg. — Beim Erhitzen entwickelt es Ammoniak und lässt
MeUon. Von concentrirter Schwefelsäure wird es zu Ammelid, von schmelzendem
Kalihydrat zu cyansaurem Kali.
Ammelid — 6,NgHg0, (Liebig 1884). Wird erhalten durch Lösen von 596.
Melam, Melamin oder Ammeiin in Salpetersäure oder besser in concentrirter Schwe-
felsäure und Fällen mit Alkohol oder kohlensaurem Kali. Weisses in Wasser un-
lösliches Pulver; löslich in Säuren, ohne bestimmte Salze zu bilden. Es gibt mit
salpetersaurem Silberoxyd eine krystallisirte Verbindung: O^NgH^O, + 2N03Ag.
Bei anhaltendem Kochen mit Säuren oder Alkalien geht es in Cyanursäure, beim
Schmelzen mit Kalihydrat in cyansaures Kali über.
Melanurensäure — €,N4H40a (Wöhler und Liebig 1845). Bei an- 596.
haltendem Erhitzen von Harnstoff bleibt neben Cyanursäure, die man mit lieissem
Wasser auszieht, ein weisses kreideähnliches Pulver, unlöslich in Wasser, löslich
in Alkalien und Säuren, daraus durch Neutralisation fällbar. Beim Erhitzen gibt
es Ammoniak und Mellon, beim Kochen mit Alkalien oder Säuren unter Abgabe
von Ammoniak Cyanursäure.
Sulfomelanurensäure, Sulfomellonsäure , Hydrothiomellon, Schwefel- 597.
mellonwasserstoffsäure 03N4H4$3 (Jamieson 1846). Weisse in feinen Nadeln kry-
stallisirende Säure, die durch Kochen von Pseudoschwefelcyan (§. 588) mit Schwe-
fel wasserstoffkalium erhalten wird. Gibt beim Erhitzen Schwefelwasserstoff und
Mellon-, beim Kochen mit Säuren Cyanursäure.
Chlorocyanamid — e,N5H,Cl (Liebig 1884). Entsteht bei Einwirkung 598.
von Ammoniak auf festes Chlorcyan ($. 568). Weisses Pulver, selbst in siedendem
Wasser wenig löslich. Liefert beim Erhitzen Mellon, beim Erwärmen mit Kali-
laage Ammelin (§. 594).
23 •
356
Cyanverbindüngen.
ß9«. Mellon. Mit dem Namen: Mellon oder rohes Mellon hat man
das an Kohlenstoff und Stickstoff reiche hellgelbe Pulver bezeichnet, wel-
ches bei anhaltendem Erhitzen von sulfocyansaurem Ammoniak oder
Quecksilber, von Persulfocyansäure, Pseudoschwefelcyan , Melam, Mela-
min, Ammeiin, Ammelid, Melanurensäure, Sulfomellons&ure oder Chlore-
cjanamid zurückbleibt Die zahlreichen Analysen dieses Körpers (von
Liebig, Völkel, Laurent und Gerhardt etc.) gaben wenig überein-
stimmende Resultate; bei den meisten wurde ein wenn gleich geringer
Gehalt an Wasserstoff gefunden.
Es scheint als ob dieses rohe Mellon, wenn man die Zersetzung
im geeigneten Moment unterbricht, aus Dicyannramid (Dreifach - Di-
cyanaroid) bestehe; wenigstens stimmen einzelne Analyst genau mit
dieser Formel überein *). Durch weiteres Erhitzen wird der Rückstand
unter Verlust von Ammoniak stets reicher an Kohlenstoff.
Ob es gelingt durch langes Erhitzen allen Wasserstoff in Form von
Ammoniak auszutreiben und so einen Körper von der Zusammensetzung
des Tricyanuramid's (Dreifach -Tricyanamid's) zu erhalten ist noch
nicht mit Sicherheit festgestellt •♦). Bei fortgesetztem Erhitzen verflüch-
tigt sich alles und es entweicht ein Gemenge von Gyan und Stickstoff.
Diese Uebergänge erscheinen wahrscheinlich; wenigstens zeigen die
folgenden Formeln, dass das Cyanuramid (Melamin) durch fortwährenden
Verlust von Ammoniak in Melam, Dicyannramid, Mellonwas8er8toff(§.600)
und zuletzt in Tricyanuramid übergehen kann:
Cyanuramid. Melam.
2G3NeHe - NH, = G«NnHg
Cyanuramid.
Dicyannramid.
2G3NeHe -
- 3NH3
= G^NgHg
♦) Z. B. die folgenden:
Dicyanamid
berechnet:
gefanden:
a.
b. c.
VölkeL
Laurent u. Gerhardt.
e, 24 85.82
86.57
85.78 85.8
N, 42 62.69
62.85
62.50 62.4
H 1 1.49
1.58
1.77 Iß
67 100.00
a) ans Snlfocyanammoninm, b) ans Pseudoschwefelcyan, c) aus A mm Alm
*) Die beim Erhitzen von Qaecksilbersulfocyanfir oder Snlfocyanid bleibenden
Rückstände können, wenn die Salze völlig rein sind, nicht wohl Wasserstoff
enthalten. Beim Erhitzen von Mellonquecksilber bis die entweichenden Gase
auf S Vol. Cyan ein VoL Stickstoff enthalten, wird nach früheren Angaben
Liebig's (Ann. Chem. Pharm. L. 855.) das Mellon reiner erhalten als bei
anderen Darstellongsweisen.
MeDonyerbindtmgen. 357
Diojanmumid. Hellonwasserstofl
SGeNgH, — NH, = 2GgNi,Ha
HelloDwasserstoff. Tricjanuramid.
e^„H, - NH3 = e^x.
Das rohe Mellon ist eio gelbes, sehr leichtes und stark abfärben*
des Pulver, unlöslich in Wasser. Mit kochender Salpetersäure gibt es
Cyanils&ure ($. 681) mit Kalilauge in der E<e Mellonkalium, beim Eo«
eben Cjamelursäure ($. 601). Beim Erhitzen mit Kalium, mit Jodkalium,
Bromkalium, Sulfocjankalium etc. liefert es Mellonkalium.
Mellonverbindungen 69N13M3*).
Das Mellonkalium entsteht ausser durch die eben angegebenen Beac* 600.
tionen noch bei vielen Zersetzungen ; so stets durch Einwirkung einer amid-
artigen Verbindung des Gyans auf Kalisalze, durch Einwirkung einer
Sulfocyanverbindung auf Kalisalze oder durch Zersetzung des Sulfocjan-
kaliums unter geeigneten Bedingungen. Trägt man z. B. rohes Mellon (oder
calcinirtes Melam etc.) in schmelzendes Sulfocjankalium, so wird unter
Entweichen von Schwefelkohlenstoff, nicht nur aus dem angewandten
Mellon, sondern mit gleichzeitiger Verwendung der Elemente des Sulfo«
cyankaliums Mellonkalium gebildet Trägt man Sulfocyankupfer in schmel-
zendes Sulfocjankalium, so entweicht Schwefelkohlenstoff und es bleibt
Bchwefelmetall und Mellonkalium. Auch durch Erhitzen von Schwefel
und Blutlaugensalz (z. B. bei zu starkem Erhitzen des zur Darstellung von
Sulfocjankalium dienenden Gemenges (§. 584) wird, offenbar durch ge*
genseitige Zersetzung des anfangs gebildeten Sulfocjankaliums und Sulfo»
cjaneisens, Mellonkalium gebildet. Alle diese Bildungen aus Sulfocjan-
metall sind verständlich, wenn man sich erinnert, dass ein Sulfocyan-
metall die Elemente von Schwefelkohlenstoff, Schwefelmetall und Mellon-
metall enthält:
Sulfocjanmetall. Mellonmetall.
13GNSM = G,N„M, + öM^S + 4GS,
Lieb ig empfiehlt zur Darstellung von Mellonkalium: Eintragen von
Antimonchlorür (3 Th.) in schmelzendes Sulfocjankalium (7 Th.). Das
Antimon bindet dabei einen Theil des Schwefels während ein anderer
Theil als Schwefelkohlenstoff entweicht Das so erhaltene Mellon-
kalium == G0N13K3 + 5H2O stellt weisse sehr feine Nadeln dar, die
in heissem Wasser sehr löslich sind, in kaltem weniger (100 Th. Wasser
*) VgL Liebig's Untersuchungen über Hellonverbindungen. Ann. Cbem. Pharm.
X. 8; L. 337; LVH. 111 j LXI. 262; XCV. 257.
358 Cyanverblndongen^
— 2,67 Th.) und in Alkohol unlöslich sind. Aus diesem neutralem Salz
erhält man ein saures Salz: OgN^HEj -f- 3H2O in glänzenden Erystall-
blättchen, wenn man die heisse wässrige Lösung mit Essigsäure versetzt
Ein anderes saures Salz = 6QN13H2K, entsteht als weisser Niederschlag,
wenn man die Lösung des neutralen Salzes inSalzsAure giesst. Mellon-
silber und Mellonquecksilber sind weisse Niederschläge; aus letz-
terem erhält man durch Schwefelwasserstoff die Mellonwasserstoffsäure
in wässriger Lösung. Das Mellonquecksilber zerßbllt beim Olflhen in ein
Gemenge von 4 Vol. Stickgas und 9 Vol. Gjan; das Mellonsilber hinter-
lässt dabei Paracjansilber.
Kocht man Mellonkalium mit Salzsäure, so entsteht Salmiak, Chlor-
kalium und Cyanursäure; durch Kochen mit Salpetersäure entsteht Cjanil-
säure (§. 581); durch anhaltendes Kochen mit Kalilauge entsteht unter
Entweichen yon Ammoniak Ammelid und Gyamelnrsäure ($.601); später
Melanurensäure und endlich Cyanursäure.
601. Cyamelursäure O^N^HsOj (Henneberg 1860). Beim Kochen von Mel-
lonkalium oder rohem Mellon mit Kalilauge entsteht das Kalisalz dieser S&ure, aus
dem durch doppelte Zersetzung die anderen Salze und d^e Säure selbst dargestellt
werden.
602. Die folgende Tabelle ist vielleicht geeignet die Beziehungen der im
Vorhergehenden beschriebenen amidartigen Verbindungen des Cyans un-
tereinander und zu der Cyanursäure klarer hervortreten zu lassen:
In der ersten Spalte sind die einfacheren dieser Verbindungen in empiri-
schen Formeln dargestellt Man sieht, dass Ammeiin und Melanurensftur e
intermediär sind zwischen Cy an ur am id (Melamin) und Cyanursäure. Jedes
niedere Glied unterscheidet sich von dem höheren dadurch, dass NH^ durch HO
ersetzt ist, (Verhältniss einer Säure zu ihrem Amid). — Die Sulfomelanuren-
säure (Hydrothiomellon §. 597) ist Melanurensäure, deren Sauerstoff durch
Schwefel ersetzt ist.
Die zweite Spalte enthält die Formeln derselben Körper verdoppelt um
die Yergleichung mit Melam und Ammelid zu erleichtem. Das Melam ist Mela-
min minus Ammoniak. Das Ammelid steht zwischen dem Ammei in und der
Melanurensäure in derselben Weise in der Mitte, wie das Ammeiin zwischen
Melamin und Melanurensäure und wie die Melanurensäure zwischen
Ammei in und Cyanursäure. Ammeiin, Ammelid und Melanurensäure sind
also Uebergänge des Cyanuramid's (Melamin's) in Cyanursäure; Uebergänge, die
in der That durch Säuren und durch Alkalien verwirklicht werden können. Dabei
entsteht durch Aufiiahme von Wasser and Austreten von Ammoniak stets ein der
Säure näher stehender Körper und schliesslich die Säure selbst Man hat:
Amide des Cyans. 359
Melamin. Ammeiin.
Ammeiin. Ammelid.
S^aN^H^e + Hje — NH, = egN,H,0a
Ammelid. MelanurenBäore.
e,N,H,0, + HjO — NH, = 2€,N4H4ea
Melanurenaämre. Cyanarsäure.
e,N4H40a + HjO - NH, = e,N,H,^,
In der dritten Spalte sind die Formeln so geschrieben, dass die Körper
als Additionen von einem Amid des Cyans mit Cyansfture, einer andern Oyan-
▼erbindnng oder mit Ammoniak betrachtet werden können. Das Melamin ist dreimal
Cyanamid; Ammelin, Ammelid and Melanurensäure enthalten 2 oder 1 Cyanamid
mit 1 oder 2 Cyansäure. Die Sulfomelanurensäore ist: Cyanamid 4- 2 Sulfocyan-
säore, das Chlorocyanamid ist 2 Cyanamid ^ Chlorcyan. — Mellonwasserstoff
erscheint als STricyanamid 4* Ammoniak (oder auch als 3 Dicyanamid 4* ^
Tricyanamid). Melam als 2 Tricyanamid »f- ^ Ammoniak (oder auch als 3 Cyan-
amid -f- 2 Dicyanamid). Die Cyamelurstture ist: Tricyanamid 4- Cyanarsäure.
In der vierten Spalte endlich sind die Formeln typisch geschrieben, mit
Annahme des dreiatomigen Radicals: BJS^ (Radical der Cyanursäare und des
festen Chlorcyan's). Man sieht, dass alle diese Körper noch durch verhältnissmäs-
sig einfache Formeln dargestellt werden können. Das Melamin ist das Amid dieses
Radical's. Ammeiin und Melanurensäure sind die beiden Aminsäuren Das Am-
melid und die Cyamelursäure sind Aminsäuren von compUcirterem Typus. Das
Melam und die Mellonwasserstoffsäure sind complicirter zusammengesetzte Amide;
das Melam steht zwischen dem Cynuramid und dem Diacyanuramid; die Mellon-
wasserstoffsäure nähert sich dem Tricyanuramid *).
*) Gerhardt hält das Melam für isomer mit dem Melamin; das Ammelid für
identisch mit Melanurensäure. Für die Mellonverbindungen hatte Lieb ig
früher die Formel: OjNfM oder O^NgM, gegeben. Gerhardt schlug die
Formel: O^N^HM) vor, um die Mellonwasserstoffsäure als Amid des Cyans
betrachten zu können. Für die Cyamelursäure , deren Formel Henneberg
unentschieden gelassen hatte (G^N^OaHa oder 6iN^03H4) gebraucht Ger-
hardt die Formel: 6eN803H4. In neuerer Zeit hat Lieb ig für die Mellon-
verbindungen die Formel: G^NuM,, für die Cyamelorsäure die Formel:
GaN^O^Ha festgestellt. Er hat dabei mit Recht hervorgehoben, dass die Re-
sultate experimenteller Arbeiten wohl durch neue Versuche widerlegt, nicht
aber durch Interpretation bei Seite geschoben werden können. Wir ziehen
es desshalb vor, die Versuchsresultate vorerst als solche gelten zu lassen
und die Beziehungen dieser merkwürdigen Körper so weit hervorzuheben,
als dies bei dem jetzigen Stand unserer thatsächlichen Kenntnisse und un-
serer theoretischen Ansichten möglich ist.
360
Cjaaycrbindmigen.
Kamen.
Melam
llelamin
Axnmelin
Ammelid
Mdannrenaänre
CyanoTBäure
SoUbmelanarensftare
Chlorocyanamid
Cyameliirsäiire
Mellonwassentoffsänre
6jN«H«
Gj^aga^'O^
eaNjH^Cl
IL
öfNiA
6fN|3Hi3
OfNjoHi^O,
^•^AOj
6gNgH,04
G^N^H^O«
€,N,H,0,
^•NijH,
m.
2Cy,N)
8HaNi
SCyHaN
2CyHaN)
CyHOi
CyH,N|
CyHaN)
2CyHol
8CyH0
CyHaNi
2CyH BS
2CyHaNi
CyCl i
Cy,N {
3CyjN
IV.
•e,N.
H.)
H,
^.
e:
H.^
FetOcOrper. 361
Erste Klasse.
Fettkörper.
Die Oruppe der Fettkörper amfasst alle die Substanzen, in welchen i
man die Eohlenstoffatome als in einfachster Weise aneinandergelagert
annehmen kann (vgl. §. 273).
Die folgende Tabelle ist vielleicht geeignet die Beziehungen der die-
ser Eörperklasse angebörigen Substanzen und der von der Tjpentheorie
in ihnen angenommenen Radicale hervortreten zu lassen. Die Tabelle
enthält ausser den allgemeinen Formeln noch als Beispiele die Formeln
einzelner, den verschiedenen Gruppen zugehörigen Verbindungen. Es sind
dabei die dem Wassertjp zugehörigen Verbindungen gewählt, weil diese
in den meisten Fällen besonders wichtig sind und weil sie häufig den
Ausgangspunkt für die Darstellung anderer Verbindungen derselben Radi-
cale darbieten.
Die leitenden Ideen dieser Klassifikation sind §. 383 entwickelt^ es
ist dort und §§• 296 ff. gezeigt worden, dass dieBasicität eines Radicäles
durch Austritt von je 1 Atom H stets um eine Einheit erhöht wird, so
dass aus einatomigen Radicalen durch Austritt von 1 At H zweiatomige,
aus diesen durch Austritt von 1 At. H dreiatomige Radicale entstehen
u. s. f. — Es mag jetzt zugefügt werden , dass die dem Wassertjp zu-
gehörigen Verbindungen der nur Kohlenstoff und Wasserstoff enthaltenden
Radicale (Kohlenwasserstoffradicale) die sog. Alkohole sind, während
die dem Wassertjp zugehörigen Verbindungen der sauerstoffhaltigen Ra-
dicale den Charakter von Säuren besitzen. Es zeigt sich femer, dass
diejenigen Säuren, deren Radicale 1 At. 0 enthalten einbasisch sind,
d. h. 1 At. des tjpischen Wasserstoffs besonders leicht gegen Metalle
austauschen (selbst wenn 2 oder 3 Atome tjpischen Wasserstoffs vorhan-
den sind); dass die Säuren der 2 At. O enthaltenden Radicale zwei-
basisch und die drei At. 0 im Radical enthaltenden Säuren drei-
basisch sind. Die Basicität einer Säure, d. h. die Anzahl der
Wasserstoffatome, die besonders leicht gegen Metalle ausgetauscht wer-
den, ist also unabhängig von der Atomigkeit des Radicals und von
der Gesammtzahl der tjpischen Wasserstoffatome aber abhängig von der
Anzahl der im Radical enthalten Sauerstoffatome (vgl. §§.215, 216, 293).
Man muss demnach Basicität von Atomigkeit unterscheiden. So
sind z. B. die Gljcolsäure und die Milchsäure zweiatomig aber ein-
basisch; die Gljcerinsäure ist dreiatomig und einbasisch.
362
Fettkdrper.
604.
Alkohole.
einbasisch.
Säuren
sweibasisch. dreibasisch.
einatomig.
Gruppe L
©.Hj. 4-^1^
Aethylalkohol.
Propylalkohol.
Gruppe IL
Essigsfture.
Hl
PropionsKure.
zweiatomig.
Gruppe in.
©nHini
'^«.
Gruppe IV.
1«.
enHto_iei
e,a
GlycoL
GAeu
Glycolstture.
6jHe
H.
PropylglycoL
IS«.
Milchsäure.
Gruppe V.
e«©.U
Ozais&nTe.
Bernsteinsäure.
ii«.
dreiatomig.
Gruppe VI.
GnH2n-lirv
H, f^»
Glycerin.
Gruppe VII.
e„H2„-3eu
Haf^»
Glycerinsäure.
Gruppe VIII.
Aepfelsäure.
Angemrane Keactionen,
363
Alkohole.
einbasisch.
Säuren
zweibasisch.
dreibasisch.
vicratomig.
GnH2n-2U
e„H2n>4eu^
Mannitan. (?)
Gruppe IX.
IV
Weinsäure.
Gruppe X.
IV
GiiHln-sOjl^
IV
atronens. (?) ♦)
einatomig.
Gruppe XI.
H f^
Er
AUylalkohol.
Gruppe XII.
AcrylflÄure.
Besonderes Interesse bieten diejenigen Metamorphosen dar, bei wel-
chen aus Substanzen, die ein bestimmtes Radical enthalten, Verbindungen
▼on anderem Radical erzeugt werden. Die wichtigsten dieser Metamor-
phosen sind im Folgenden zusammengestellt.
I. Uebergang eines Radioais in ein anderes von gleichem
Kohlenstoffgehait und gleicher Basicität — Vertretung
von Wasserstoff durch Sauerstoff.
Durch oxjdirende Einflüsse gehen die Alkohole (Gruppe I.) in Al-
dehyde und in Säuren (Gruppe II.) über (§§. 212. 285 und 620). Z. B.;
Aethylalkohol. Aldehyd. Essigsäure.
G,H,Gj ©AGj^
Die Glycole (Gr. III.) liefern Säuren der Milchsäurereihe (Gr. IV.),
die ihrerseits wieder in Säuren der Oxalsäurereihe (Gr.V.) übergehen**):
Glycol. Glycolaäure. Oxalsäure.
^^o
e^i
ii«.
©aH-Ol
H,
%
e.»i».
H,
♦•) Wurti. 1866.
ri
e.H,
5:h'
ri
GiH40;
605.
*) Die Citronensäure und das Mannitan sind in der Tabelle aufgeführt, obgleich
ihre typischen Formeln noch nicht mit Sicherheit festgestellt sind. Wahr-
scheinlich werden, nach genauerer Untersuchung, sich noch eine Anzahl an-
derer Substanzen dieser Tabelle einordnen lassen; z. B.:
Zucker. Mannit. Zuckersäure.
364 FetOcOrper.
Ebenso geht Glycerin (Gr. VI.) in Glycerins&ure (Gr. Vn.) über^):
Gljcerin. Glycerins&ure.
und AUylalkohol (Gr. XI.) wird zu Acrolein und Acrylsäure (Gr. XIL) ••) :
AUylalkohoI. Acrolein. Acrylsäure.
«»H|je ^»H,ej e.H,0j^
In umgekehrter Weise den 8auersto£f eines Badicales wieder dnroh
Wasserstoff zu ersetzen, ist bis jetzt nicht gelungen.
606. IL Uebergang eines Radicals in ein anderes von gleichem
Eohlenstoffgehalt aber von veränderter Basicität:
A. Durch Austritt von Wasserstoff und umgekehrt Die
Verbindungen der einatomigen Radicale (Gr. L) gehen durch Verlust
von 1 At. H in zweiatomige Radicale (Gr. IIL) aber:
Aethylalkohol. Aelhylen. Carbylsulfat Isäthionsäure.
I » n «IT •
Die zweiatomigen Radicale (Gr. III.) gehen durch Verlust von
1 At. H, die einatomigen Radicale (Gr. I.) durch Verlust von 2
At. H über in dreiatomige Radicale (Gr. VI.). Z. B.:
Methylchlorid. Chloroform. s. g. dreibasischer
Ameisensäureäther.
GBa.Cl GH.a, GHU
Ebenso gehen die einatomigen Radicale der einbasischen Säu-
ren (Gr. II.) durch Verlust von 1 At H über in Verbindungen der zwei-
atomigen Radicale (Gr. IV.). Z. B. ♦*♦):
Iure. Glycolsäure. Glycocoll. Sulfoessigsäure.
Ö2H3O1
^'^*^je ^^^^
•) Debus 1857 (Ann. Chem. Pharm. CVI. 79). Socoloff 1868 (Ann. (3hem.
Pharm. CVI. 95).
**) Cahours und Hofmann 1866. (Ann. Chem. Pharm. C. 866; CIL 285).
*<*) R. Hofmann 1857. Ann. Chem. Pharm. CII, 12; Eekul^ 1858. Ann. Chem.
Pharm. CV. 286; Perkin und Duppa 1868. Ann. Chem. Pharm. CVIIL 106.
Allgemeine Reactionen.
365
Endlich kann die Bernsteinsäure (Or.V.), indem ihr Radical 2 AtH
verliert, in Weinsäure (Gr. IX.) umgewandelt werden •):
Bemsteinsäure.
Weinsäure.
IV
©4H2O.
2ä«-
Solche Metamorphosen sind bis jetzt durch drei Reactionen ausgeiTihrt:
1) Die dem Wassertyp zugehörige Verbindung des Radicals verliert unter
dem Einfluss wasserentziehender Substanzen Wasser, indem der typische
Sauerstoff mit dem typischen Wasserstoff und 1 At. H des ^Radicals aus-
tritt, z. B. Alkohol zu Aethylen.
2) Durch Einwirkung von Schwefelsäureanhydrid (vgl. §. 355) , z. B. Bildung
von Carbylsulfat und von Isäthionsäure aus Alkohol, Bildung von Sulfo-
essigsäure aus Essigsäure.
8) Durch vorhergehende Vertretung des Wasserstoffs im Radical durch Chlor
oder Brom. So stellfc man z.B. aus Essigsäure zunächst Monochlor- oder
Monobromessigsäure dar, die sich dann mit Wasser oder mit Ammoniak
zu Glycolsäure oder zu Glycocoll umsetzen (vgl. §. 802). Ebenso bereitet
man aus Bemsteinsäure zunächst Bibrombemsteinsäure, deren Silbersab
dann mit Wasser sich zersetzt unter Bildung von Weinsäure.
In umgekehrter Weise gehen die Radicale durch Aufnahme von 607.
Wasserstoff, ohne weitere Veränderung, in andere Radicale von gerin-
gerer Basicität über *♦). Bo wird :
Aus Aethylen durch Einwirkung von Balzsäure oder von Schwefel-
sftnre:
Aethylen. Aethylchlorid. Aethylschwefelsäure. Alkohol.
GaH4 eA.ci eX) 6Au
Ebenso entsteht ans Koblenozyd (Or. lY.) durch Ealihydrat die
Ameisensäure (Gr. IL) *♦♦).
Eohlenozyd.
ee
Ameisensäure.
'S«
Ans Glycerin entsteht durch Einwirkung von Jodphosphor (P2J4)
erst Jodpropylen, welches durch umgekehrte Substitution za Propylen
wird f ) :
*) Perkin und Dnppa 1860.
••) Berthelot 1855. Ann. Chem. Pharm. XCIV. 78.
•••) Berthelot 1866. Ann. Chem. Pharm. XCVU. 126.
f) Berthelot u. Luca 1854. Ann. Ohem. Pharm. XdL 806. Jahresb. 1864. 46L
366
Fetdcörper.
Glycerin.
H.
Propylen.
In ganz ähnlicher Weise kann die Milchs&ure (Gr. IV.) durch Ein-
wirkung von Jodwasserstoff (oder auch durch Einwirkung von Phosphor-
superchlorid und weitere Metamorphose des Productes) zu Propionsäure
(Gr. II ) reducirt werden *) :
Milchsäure. Propionsäure.
'1^1*.
«A»}e
Und ebenso (gleichfalls durch Jodwasserstoff) die Weinsäure (Gr. IX.)
und die Aepfelsäure (Gr. VIII.) zu Bemsteinsäure (Gr. V.) **) :
Aepfelsäure.
Bernsteinsäure,
w^«.
Weinsäure.
Bernsteinsäure,
e«H,e,u
W.U
608. B. Durch Austritt von Sauerstoff und umgekehrt
Hierher gehört die Bildung der Nitrile (Radical von Gr. VI.) aas
den Säuren und Amiden der Gruppe IL; und umgekehrt die Wieder-
erzeugung dieser Amide und Säuren aus den !Nitrilen ; femer die Bildung
von Ameisensäure aus Chloroform etc.
Essigsäure. Acetamid.
Chloroform.
GH.Cl,
O2H3O
HJN
Acetonitril.
eaH,N
Acetdiamid
s:|n.
Cyanwasserstoff.
eH.N
Ameisensäure.
'S!»
Die Bildung der Nitrile ans den Amiden und den Ammoniakaalzen der ein-
basischen Säuren zeigt eine gewisse Analogie mit der Bildung der zweiatomigen
Kohlenwasserstoffe (Gr. lU.) aus den Alkoholen (Gr. L). In beiden FttUen wird
*) Ulrich 1859. Ann Chem. Pharm. CIX. 266; — Lautemann I86O. Ann. Chem.
Pharm. CXUL 217.
^^) Schmitt 1860. Ann. Chem. Pharm. CZIV. 106.
Allgemeine Reactionen. 367
durch Einwirkung wasserentziehender Substanzen der organischen Verbindungen
Wasser entzogen. Aber bei Bildung der Kohlenwasserstoffe verliert das organische
Radical Wasserstoff; bei Bildung der Nitrile gibt das organische Radical Sauerstoff
ab, der mit dem Wasserstoff des unorganischen Radicals Ammonium zu Nasser
zusammentritt
Aethylalkohol. Essigsaures Ammoniak.
Aethylen.
Wasser.
e^, 0
e
N Ha
H,
nitril. iWasser.
Wasser.
Äeetamid.
m. Uebergang elDes Radicals in ein anderes, weiches
1 At 6 mehr oder weniger enthalt*).
A. Aufnahme von 1 At. €.
Die einatomigen Radicale (Gr. I.) sind Ahig durch Aufnahme von ^^•
1 At. € einatomige Radicale der Gruppe U. , und dreiatomige Ra-
dicale der Gruppe VI. zu erzeugen. Man hat z. B.:
Hethyljodid. Gyankalium. Cyanmethjl. Acetonitril
e^Ha.J 4- KGN = Ei + G.Hy.GN identisch mit GtH,.»
Dieses, das Acetonitril, gibt dann durch Aufnahme von Wasser Essig-
säure :
Cyanmetyl. Acetonitril. Essigsäure.
GHj.GN identisch mit GjHg.N + 2Hae = G,HjOj^ , jjg
Man hat ferner ♦♦):
Natriumäthyl. Kohlensäure. Propionsaures Natron.
GjHj.Na + GGa = ©jHs^U
Naf^
*) Alle diese Metamorphosen können auch in anderer Weise aufgefasst werden.
Man kann nämlich die sauerstoffhaltigen Radicale weiter auflösen, d. h. als
aus zwei Radicalen bestehend betrachten. Z. B.:
Easigsfture.
MUchsilare.
Olycerinsänre
Diese Anschauungsweise wird spfiter genauer erörtert werden.
«*) Wanklyn 1867. Ann. Ghem. Pharm. CVU. 126.
368 Fettkörper.
In ähnlicher Weise gibt Aldehyd (Gr. II.) mit Blausäure das Ala-
nin , aus welchem dann Milchsäure erhalten werden kann (6r. IV.) *) :
« Aldehyd. Cyanwasserstoff. Alanin. llilchsäure.
631140^*
610. B. Verlust von 1 At. G. (vgl. §. 287).
Reactionen der Art sind sehr häufig, die meisten sind indess nur
bei einzelnen Gliedern der betreffenden Gruppen ausgeführt.
Allgemein für alle Glieder der Gruppe ist die folgende Reaction.
Jede Säure der Gruppe IL gibt bei elektrolytischer Zersetzung ihrer Salze
das um 1 At. G ärmere Radical der Gruppe 1. ♦*). Z. B. :
Essigsäure. Methyl. Kohlensäure. Eohlens. Kali.
262H3ej^ + H,e = GHa.GHa + ee^ + ee,Ka + H,
Ferner: GlycocoU zerfällt zu Methylamin und Kohlensäure, ebenso
geben Alanin und Leucin Aethylamin und Amylamin ***), Z. B. :
GlycocolL Methylamin«
G2II2G
H €H,.
HJN ^ HJN + ee.
Si
G
611. Hierher gehört auch die unter Austritt von Kohlensäure erfolgende
Bildung von Disulfometholsäure (und ähnlichen Säuren) (Gr. III.) aus
Sulfoessigsäure (Gr. IV. j, aus Acetamid (Gr. II.) und aus Acetonitril
(Gr. VI.)t):
Acetamid.
Acetonitril.
Sulfoessigsäure.
Disulfomethoh
eX.H
Ha)
GH,
ßGa)
H,)
•) Strecker 1850. Ann. Chem. Pharm. LXXV. 27.
••) Kolbe 1849. Ann. Chem. Pharm. LXIX. 259.
••♦) Limpricht und Schwanert 1857. Ann. Chem. Pharm. CL 296; dl. 221.
t) Hofinann and Backton 1856. Ann. Chem. Pharm. C. 129.
Allgemeine Reactionen.
369
Hierher gehören unter anderen auch noch die folgenden Metamorphosen, 611.
die vieleicht unter geeigneten Bedingungen auch für andere Glieder der betreffen-
den Gruppen ausführbar sind.
Essigsaures Kali MethylwasserstoU Kohlens« Kali.
Oxalsäure. Ameisensäure.
H.
l\^* =
Glycerinsäure.
öaH,
Tartronsfiore.
e. =
Essigsäure.
+
Kohlensäure.
Ameisensäure.
Glycolid.
Malonsäure.
Aepfelsäure.
Weinsäure. Tartronsäure.
Erste Gruppe.
Verbindungen der einatomigen Kohlenwasserstofifradicale: G„H2„+i.
[Verbindungen der Alkohoiradicale.]
Die ÄDDahme eiDatomiger Radicale von der allgemeinen Zusammen- 612.
Setzung: GnHan + i macht es möglich, eine grosse Anzahl von Eohlenstoff-
verbindungen durch Formeln darzustellen, welche durch Analogie der
Schreibweise alle die Analogien hervortreten lassen, die diese Körper,
hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und ihres Verhaltens, mit den ein-
facheren unorganischen Verbindungen zeigen*).
^) d. h. mit denjenigen unorganischen Verbindungen, welche statt der einatomi-
gen Radicale: GoH^n-f i, einatomige unorganische Radicale, also namentlich
einatomige Elemente wie Wasserstoff oder Kalium enthalten.
KekaU, orgao. Cbenle, 24
370
Einatomige Alkoholradicale.
Die folgende Tabelle soll diese Analogieen an einzelnen Beispielen zeigen.
Statt des allgemeinen Schema's: OnH^n 4.1 ist das Radical Aethyl: ^^H^ benutst,
um gleichzeitig die gebräuchlichste Nomenclatur mittheilen zu können. Aus dem-
selben Grunde sind auch, statt allgemeiner Schemata, Verbindungen mit speciel-
len unorganischen Elementen oder Atomgruppen aufgeführt.
618.
Kaliumverbin-
dungen.
Aethylverbin-
dungen.
Typus Wasserstoff: HH
Typus Wasser: Äo
Typus Ammoniak : H N
H
KH
Kaliumwasserstoff.
KK
Kalium.
Ealihydrat.
Kr
Kaliumoxyd.
H N
H
Kaliumamid.
eaHft.H
Aethylwasserstoff.
O3H5 . O3H9
Aethyl.
Aethylalkohol.
Aethyläther.
H N
H
Aethylamin.
Diäthylamin.
eaH» / N
Triäthylamin.
Verbindungen mit Säuren:
Salze.
Aetherarten.
Einbasische Sfiuren: H.R z. B.: HCl
Salzsäure.
H.N0,
Salpetersäure.
H H
Zweibasiache Säuren: ^ R z. B. g &O4
Schwefelsäure.
KCl
Kaliumchlorid.
K.N03
Salpetersäurekali.
Kaliumschwefel-
säure.
OjHa.Cl
Aethylchlorid.
^^H^ . NO3
Salpetersäure-
Aethyläther.
Aethylschwefelsäure.
Allgemeine Betrachtangen.
371
Verbindungen nut Säuren:
Dreibasische Säuren
: H(R z.B. H/PO4
Phosphors&ure.
Salze.
^a
Aetherarten.
Schwefelsäure-Kali.
H ]
Monokaliumphos-
phorsäure.
.K pe^
RS
Bikaliumphosphor-
sfture.
IjPe.
Phosphorsäure-Kali
Schwcfelsäure-
Aethyläther.
O2H5
Monoäthylphosphor*
säure.
O^Hi
m
P^4
Biäthjlphosphor-
säure.
6,HJpe,
e2H5i
Phosphorsäure-
Aethyläther.
Für die Vergleichang der Aetherarten der Alkoholradicale 614»
mit den Balzen gentlgt es die Säuren, so wie dies in der zweiten Hälfte
der Tabelle geschehen ist, durch Formeln auszudrücken, in welchen nur
die basischen Wasserstoffatome von dem Rest der in der Säure enthalte-
nen Elemente getrennt sind. Man sieht dann deutlich, dass eine ein-
basische Säure nur eine Aetherart bildet, ebenso wie sie nur ein Salz
gibt; dass eine zweibasische Säure zwei Aetherarten erzeugt, von
welchen die eine dem sauren, die andere dem neutralen Salz entspricht
und dass endlich eine dreibasische Säure drei Aetherarten zu erzeu-
gen im Stande ist, von welchen zwei den beiden sauren Salzen, die
dritte dem neutralen Salze entpricht. So geschriebene Formeln lassen
auch noch deutlich die Analogie hervortreten, welche die aus dem Was-
ser direct sich herleitenden Verbindungen mit den Verbindungen der zwei-
basischen Säuren und ebenso die Analogie, welche die dem Ammoniak-
tjpus zugehörigen Verbindungen mit den Verbindungen der dreibasischen
Säuren zeigen.
Will man die Aetherarten durch Formeln darstellen, in welchen 616.
gleichzeitig das Verhalten der unorganischen Elemente oder Atomgruppen
näher angedeutet ist, so muss man den mit dem Wasserstoff der Säure
yerburndenen Rest, von dessen Zusammengesetztsein man in den obigen
Fofmeln absah, weiter auflösen. Man hat dann typische Formeha:
24 •
372
Einatomige Alkoholradicale.
Einbasische Säuren
vom Typus: HH
z. B.
oder:
Einbasische Säure
vom Typus: HjO
z. ß.
Zweibasische Säuren
vom Typus: HjO + H, z. ß.:
Zweibasische Säuren
vom Typus : 2H,0 = H^Oj ^' B.
Dreibasische Säure
vom Typus: 3H,e = HeO, z. B.
HCl
Salzsäure.
Aethylchlorid.
H.NOj
Salpetrige
Säure.
Salpetrigsäure-
Aethyläther.
Salpeter-
säure.
Salpetersäure-
Aethyläther.
H
Schweflige
Säure.
Aethyl.
schweflige
Säure.
s
Schwefligsäure-
Aethyläther.
Schwefel-
säure.
Aethyl-
schwefelsänre.
^3«
eAr
Aethyläther.
PO»
H r»
Phosphor-
säure.
PO
Monoäthyl-
phosphorsäure.
Allgemeine Betrachtangen. 373
POl
Di&thylphosphorsfture.
pei
Phosphorsäure - Aethjläther.
«.
Die im Vorhergehenden mitgetheilten Formeln drücken das che- 616.
mische Verhalten der Verbindungen der Alkohol radicale in einfacher und
möglichst vollständiger Weise aus; sie zeigen z. B. :
1) Der vom Typus noch vorhandene Wasserstoff ist stets durch an-
dere Radicale ersetzbar.
So kann z. B. der Wasserstoff des Alkohols durch Metalle vertreten werden:
Alkohol. Ealinmaikoholat.
Zinkalkoholat
OAj^ 6^1^
^\»
durch saure Radicale vertretbar:
Alkohol. Salpetersäureäther.
H r NO,
1»
Die Thatsache , dass die Vertretung dieses Wasserstoffs durch Metalle schwe-
rer erfolgt als die durch Säureradieale, zeigt, dass das Radical Aethyl, (und allge-
mein die einbasischen Alkoholradicale BnR2n + 0 i" ihrer chemischen Natur sich
den Metallen nähern •).
Der Wasserstoff des Alkohols ist femer ersetzbar durch die Alkoholradicale
selbst, z. B.:
Aethylalkohol. Aethyläther. Aethylmethyläther.
^jBji^ ^2ß5tfi ^aBsIrv
Der Aethyläther ist also eine Aetherart des Alkohols in demselben Sinn, in
welchem der Salpetersäureäther die Aetherart der Salpetersäure ist.
Auch der Wasserstoff des Aethylwasserstoffs ist durch andere Radicale ersetz-
bar. Man hat:
Aethylwasserstoff. Zinkäthyl. Aethylchiorid. Rad. Aethyl.
■S! IS!
«»%l e,Ha e,H,( f^(
*) Vgl. §§. 209 ff. bes. 212.
374 Einatomige Alkoholradicale.
Das isolirte Radical Aethyl steht also zum Aethylwasserstoff in derselben
Beziehung wie der AeÜiyläther zum AethylaJkohol und auch wie das Aethylchlohd
zur Salzsäure.
In den Aetherarten mehrbasischer Säuren ist ebenfalls der vom Typus noch
erhaltene Wasserstoff durch Radicale und zwar durch Metalle oder durch die Al-
koholradicale selbst ersetzbar.
Die von der zweibasischen Schwefelsäure sich ableitende Aethylschwefelsäure
ist also eine einbasische Säure (wie das ihr entsprechende saure schwefelsaure Kali
auch). Sie gibt Salze und Aetherarten:
Schwefelsäure. Aethylschwefel- Aethylschwefel- Schwefelsäure-
säure, saures Kali. Aethyläther.
- gse. «»H^jse, «»H^jee, «^»[se.
Der Schwefelsäure -Aethyläther ist also ebensowohl der Aether der ein-
basischen Aethylschwefelsäure als der neutrale Aether der zweibasischen Schwefel-
säure.
Die von dreibasischen Säuren sich herleitenden Aetherarten (z. B. die Aether-
säuren der Phosphorsäure) sind, wenn nur eines von den drei typischen Wasser-
stoffatomen der Phosphorsäure durch ein Alkohohradical ersetzt ist, zweibasische,
wenn zwei lypische Wasserstoffatome durch Alkoholradicale vertreten sind ein-
basische Säuren:
Phosphorsäure. Zweibasische Aethyl- Einbasische Aetyl- Neutraler Phosphor-
phosphorsäure, phosphorsäure. säure -Aethyläther.
H PO4' H po^ ^ OjK» pe^ ejHJpo*
H^ H^ h' eji^S
Die dreibasische Aethylphosphorsäure bildet zwei Salze und zwei Aether-
arten, während die einbasische Aethylphosphorsäure nur ein Salz und einen Aether
zu bilden im Stande ist. Die einbasische Biäthylphosphorsäure ist ebensowohl die
saure Aetherart der zweibasischen Monoäthylphosphorsäure als die Biäthylsäure der
dreibasischen Phosphorsäure j ebenso kann der neutrale Phosphorsäure-Aethyläther
als Aether der Biäthylphosphorsäure, als neutraler Aether der zweibasischen Mono-
äthylphosphorsäure, oder als neutraler Aether der dreibasischen Phosphorsäure
betrachtet werden.
617. 2) Die Alkoholradicale selbst können durch wechselseitigen
Austausch in andere Verbindungen übergeführt werden.
So entsteht z. B. durch Einwirkung von Salzsäure auf Alkohol Aethyl-
chlorid:
Salzsäure. Alkohol. Aethylchlorid. Wasser.
ebenso durch Einwirkung von Schwefelsäure auf Alkohol die Aethylschwefel-
säure:
Schwefelsfture.
Allgememe Betrachtungen. 375
AlkohoL AethylBchwefebäore. Wasser.
*ff=^"^i* = «^il«- + >
Ferner :
etc.
Aethylchlorid.
Cl[€aH5
Schwefelwaeser-
stoffkalium.
n
\r =
Kalium-
chlorid.
CIK
Hercaptan.
3) Die Verbindungen der Alkoholradicale zeigen alle charakteristiBche 618.
Reactionen für den Typus selbst und für die neben den Alkoholradicalen
in der Verbindung enthaltenen unorganischen Elemente oder Radicale
(vgl. §5. 208 ffi).
So wirkt z.B. Phosphorsuperchlorid auf Alkohol ebenso ein wie auf Wasser:
Wasser.
?!
Phosphorsuper-
chlorid.
2 Hol. Salz-
säure.
:^^«^ - w +
Phosphor-
ozychlorid.
POCl,
Alkohol.
Phosphorsuper-
chlorid.
Aethylchlorid
u. Salzsäure.
(^Phosphor-
oxychlorid.
'4CEZ?\^Z^«'^ = -^ + p^.
Ebenso ist die Wirkung des Phosphoroxychlorids auf Alkohol ganz entspre-
chend der Wirkung des Phosphoroxychlorids auf Wasser:
etc.
3 Hol. Wasser.
e H
B H
\ r
J V-
3 Hol. Alkohol.
e H
OH
e H
^K J
Phosphor-
oxychlorid.
Pö
Cl
Cl
Cl
Phosphor-
oxychlorid.
PO
Cl
Cl
Cl
Phosphor-
Säure.
3 Hol.
Salzsäure.
= PO
?^jo, + m
HCl
HCl
HCl
Phosphorsäure- 3 Hol.
Aethyläther. Salzsäure.
= PO
(^jH,);
,!*•
HCl
+ HCl
HCl
Aus dem Mitgetheiltem ergibt sich unter anderm, dass alle Verbin- 619.
düngen der Alkoholradicale, unter den zur Zersetzung geeigneten Bedingun-
376 Einatomige Alkoholradicale.
gen alle die für ihre uDorganischen Bestandtheile oharakteristisehe
Reactionen zeigen.
So föllen z. B. die Chloride, Bromide und Jodide der Alkoholradicale aiiB
Silbersalzen Chlor-., Brom- oder Jodsilber; ebenso sind die neutralen und die sau-
ren Schwefelsfiureäther föhig schwefelsauren Baryt zu erzeugen ; diese Zersetzungen
erfolgen aber, wie früher schon erwähnt wurde (§. 212) nicht mit der Leichtigkeit,
welche die meisten Doppelzersetzungen unorganischer Verbindungen charakterisiri,
sie treten meist erst bei höheren Temperaturen ein, häufig sogar erst bei Tem-
peraturen, die höher sind als der Siedepunkt der angewandten Substanz.
620. Von denjenigen Metamorphosen der Verbindungen der einatomigen
Alkoholradicale, bei welchen die Radicale selbst Veränderung erleiden,
sind die folgenden besonders wichtig.
1) Der Wasserstoff der Alkoholradicale kann häufig durch Chlor,
Brom oder Jod vertreten werden ; so entstehen wahre Substitutions-
producte (vgl. §§.128. 284). Nitrosubstitutionsproducte der Alkohol-
radicale sind bis jetzt nicht bekannt.
2) Bei Einwirkung oxydirender Substanzen werden die einatomigen
Alkoholradicale — indem 2 At. H durch 1 At. O ersetzt werden — in
einatomige Säureradieale übergeführt (vgl. §§. 285, 605). Z. B.:
Aethyl. Aoetyl.
wjHf — Hu -{" ^ c:zr O3H3O
Jedem einatomigen Alkohol entspricht eine einatomige Säure,
die dieselbe Anzahl von Kohlenstofiatomen enthält und durch Oxydation
aus dem Alkohol erhalten werden kann. Z, B.:
Methylalkohol. Ameisensäure.
Aethylalkohol.
Diese Oxydation kann entweder durch Einwirkung von schmelzen-
dem Ealihydrat auf den Alkohol ausgeführt werden:
Aethylalkohol. Essigsaures Kali.
e^HeO + KHO = ejHaKO, + H,
oder auch durch Einwirkung oxydirender Substanzen.
Im letzteren Falle geht der Bildung dieser Säure meist die Bildung
eines Aldehyds voraus; die Aldehyde (oder Aldide) stehen, wenn man
sie als Oxydationsproducte der Alkohole betrachtet, in der Mitte zwi-
schen den Alkoholen und den aus ihnen entstehenden Säuren. Man
hat z. B«:
Allgemeine Betrachtungen. 377
Aethylalkohol. Aldehyd. Essigsäure.
O^H^O ©JH4O O2H4OJ
Amylalkohol. Valeraldid. Baldriansäure.
©5Hi2^ ÖjHjqO ^ftHjo^i
3) Darch Verlust von 1 At. H entstehen aus den einatomigen Al-
koholradicalen Kohlenwasserstoffe von der Zusammensetzung €nH2n, die
sich bei geeigneten Reactionen wie zweiatomige Radicale verhalten
(§§. 289. 299. 606). Z. B.:
Aethyl. Aethylen.
Diese Kohlen Wasserstoffe entstehen z. B. aus den Alkoholen durch
Austritt von Wasser, bei Einwirkung von Schwefelsäure etc.:
Aethylalkohol. Aethylen.
Amylalkohol. Amylen.
n
Die letztgenannten Reactionen (Nr. 2 und 3) werden als ganz be-
sonders charakteristisch für die einatomigen Alkohole angesehen.
Von besonderem Interesse sind noch diejenigen Metamorphosen, bei ^21.
welchen aus den Verbindungen der Alkoholradicale Körper entstehen,
deren Verhalten zur Annahme eines Radicales berechtigt, welches eine
grössere Anzahl von Kohlenstoffatomen enthält als das Alkoholradical
selbst. Hierher gehören die §§.287 u. 609 besprochenen Reactionen*):
Cyanäthyl. Propionsaures Ammoniak.
eN.OjHj + 2Hje = e3H5(NH4)e,
NatriumäthyL Kohlensäure. Propions Natron.
©jHj.Na + ee, = ejHjNaO,
Da die Alkohole den Ausgangspunkt für die Darstellung der mei- 622.
sten Verbindungen der Alkoholradicale bilden, so geben wir zunächst
eine Uebersichtstabelle der bis jetzt bekannten Alkohole.
^) Vgl auch §§. 260, 846.
378
Einatomige Alkoholradicale.
EiDatomige Alkohole GuRu+iIq^
A 1 k 0 h 0 1 (
B.
R a d i c a 1.
Namen.
Empirische
Formel.
Typische
FormeL
Methyl = 6H,
Methylalkohol
(Holzgeist).
6H4O
«H^e
1812 Taylor.
Aethyl = OaHj
Aethylalkohol
(Weingeist).
eaHeO
eA|e
um Amoldus.
1300 Villanovanus.
Propyl = 6,H,
Propyl-
alkohol.
ejHgO
«.Hjje
1853 Chancel.
Butyl = ejd^
Butylalkohol.
64H100
e.H^je
1852 Wurtz.
Amyl = OftH,,
Amylalkohol
(Fuselöl).
^sßiiO^
e»H„U
1785 Scheele.
Caproyl = e.Hj,
Caproyl-
alkohol.
^fiiiß
e,Hgj^
1853 Faget.
Oenanthyl = B^E^^
Oenanthyl-
alkohol.
6,Hie^
e,H„j^
— ? —
Capryl = ß^ü,.
Capryl-
alkohol.
^8^18^
«sHnU
1851 Bouis.
Cetyl = 6ieH„
Getylalkohol
(Aethal).
^16^84^
1828 Chevreul.
Ceryl = Oa^Hw
Cerylalkohol.
^aiHöa^
A„H„ ^
1848 Brodie.
Myricyl = e,oH„
Myricyl-
alkohol.
^jo^aa^
ö»cH„J^
1848 Brodie.
628. Mehrere Alkohole finden sich fertig gebildet in der Natur, der He*
thjlalkohol z. B. (in Verbindung mit Salicylsäure) im ätherischen
Oel der Oaultheria procumbens, der Getylalkohol (als Palmitinsäure-
Cetyläther) im Wallrath, der Cerylalkohol und Myricylalkohol
im Bienenwachs und im chinesischen Wachs. Der Aethyl-, Propyl-,
Butyl-, Amyl- und Gapronylalkohol sind Producte der Gährung
der Zuckerarten; in reichlichster Menge entsteht dabei Aeihylalkohol,
nächst diesem der Amylalkohol, der den Hauptbestand theil des gewöhn-
lichen Fuselöls ausmacht; die übrigen finden sich in geringer Menge in
einzelnen Fuselölen von besonderer Herkunft. Der Methylalkohol
bildet sich bei der trocknen Destillation des Holzes und anderer Substan-
zen. Der Caprylalkohol wird als Product der Zersetzung des Rici-
Allgemeine Betrachtangeii. 379
Dusöls mit Kalihydrat erhalten. Die Existenz des Oenanthylalkohols
ist noch nicht mit Sicherheit festgestellt.
Alle Alkohole sind flüchtig; die zwei kohlenstofireichsten unter theil-
weiser Zersetzung. Die Siedepunkte steigen mit wachsendem Molecular-
gewicht; die Siedepunktsdifferenz beträgt 19^ für OH, (§.477). Die drei
kohlenstofifreichsten Alkohole: Cetyl-, Cerjl- und Mjrricjlalkohol, sind
bei gewöhnlicher Temperatur fest, ihre Schmelzpunkte liegen um so höher
je grösser das Moleculargewicht; die übrigen Alkohole sind flüssig. Der
Methylalkohol und der Aethylalkohol sind mit Wasser in jedem Yerhält-
niss mischbar, der Propylalkohol ist noch sehr löslich, die andern sind
in Wasser um so weniger löslich , je weiter sie von den Anfangsgliedem
der Reihe abstehen.
Eine ähnliche Homologie der physikalischen Eigenschaften findet
sich innerhalb aller übrigen homologen Reihen der Verbindungen der
Alkoholradicale.
Wie oben erwähnt (§. 622) können die meisten Verbindungen der 624.
Alkoholradicale aus den Alkoholen erhalten werden. Einige derselben
finden sich indessen fertig gebildet in der Natur, andere entstehen als
Zersetzungsproducte oder als Producte einfacher Metamorphosen anderer
Kohlenstoffverbindungen.
So findet sich z. B. der MethylwasBerstoff als Sumpfgas und als Gru-
bengas *, andere Hydriire einatomiger Alkoholradicale und auch freie Alkoholradi-
cale scheinen den Hauptbestandtheil mancher Steinöle auszumachen. Der Methyl-
wasserstoff ist ein sehr häufig auftretendes Zerstörungsproduct vieler organischer
Substanzen , er entsteht z. B. bei trockner Destillation etc. —
Von den einfachen Metamorphosen, bei welchen Verbindungen der
Alkoholradicale aus Verbindungen anderer Radicale erhalten werden,
sind die folgenden von besonderem Interesse:
1) Die Salze der fetten Säuren (OnHinO)) liefern bei elektrolytischer
Zersetzung, neben Kohlensäure und Wasserstoff, ein freies Alkoholradical
(vgl. §. 610). Z. B.:
Essigsaures Kali. Methyl.
2GaH3KO, + HjO = (GH,), + OO^E^ + ©0^ + Hj
2) Ein essigsaures Salz mit einem Alkalihydrat erhitzt gibt Methyl-
wasserstoff neben kohlensaurem Salz:
Essigsaures Kali. Methylwasserstoff.
e^HaKOj + KHO, = GH3.H + eOaK,
3) Die zweiatomigen Eohlenwasserstoffiradicale (OnH^n) verbinden
sich häufig direct mit Säuren und erzeugen Substanzen, die sich wie Ver-
bindungen der Alkoholradicale verhalten (vgl. §§. 307, 607). Z. B. :
380 Einatomige Alkoholradicale.
Elajl. Schwefelsäure. Aethjlschwefelsäure.
e,a
2"4
Propjlen. Salzsäure. Propylchlorid.
OaHe + HCl = e,'H^.CL
625. In welcher Weise aus den Alkoholen andere Verbindungen der Alkoholradi-
cale erhalten werden können, ist aus dem früher Mitgetheilten (§§. 616—618) ver-
ständlicb. — Einige der Aetherarten können durch directe Einwirkung der betref-
fenden Säure auf einen Alkohol gewonnen werden j so liefert z. B. Schwefelsäure
mit Aethylalkohol die Aethylschwefelsäure , Salzsäure mit Amylalkohol das Amyl-
Chlorid etc. Andere können dui'ch einfache typische Doppelzersetzung zwischen
einem Alkohol und einer unorganischen Verbindung erhalten werden ^ so gibt
Phosphorchlorür mit Methylalkohol Metliylchlorid und Aether der phosphorigen
Säure. Statt dabei eine fertig gebildete Verbindung auf den Alkohol einwirken zu
lassen, bringt man häufig zwei Körper, welche sich bei Abwesenheit des Alkohols
zu der betreffenden Verbindung vereinigen würden mit dem Alkohol zusammen;
so bereitet man z. B. Aethyljodid indem man Jod und Phosphor auf Aethylalkohol
einwirken lässt.
Eine grosse Anzahl von Verbindungen der Alkoholradicale können entweder
nicht direct aus den Alkoholen gewonnen werden oder werden wenigstens zweck-
mässiger auf andere Weise dargestellt. Man bereitet dann zunächst eine direct
aus dem Alkohol darstellbare Aetherart, die, veranlasst durch die chemische Natur
der mit dem Alkoholradical verbundenen Elemente, leicht doppelte Zersetzung
zeigt, und lässt dann diese Aetherart auf ein Salz der Säure einwu'ken, deren Aether
man darstellen will. Die sauren Aetherarten der Schwefelsäure, die Chloride, Bro-
mide und Jodide der Alkoholradicale sind dazu besonders geeignet; die beiden
letzteren zeigen mit Silbersalzen ganz besonders nette Reactionen und ermöglichen
so die Darstellung mancher.
In vielen Fällen kann man die Reindarstellung solcher Zwischenglieder um-
gehen und direct ein Gemenge von Schwefelsäure mit dem betreffenden Alkohol
(rohe Aethylschwefelsäure z. B.) auf ein Salz einwirken lassen oder man kann
(statt die Chloride oder Bromide der Alkoholradicale zu verwenden) in ein Ge-
menge des Alkohols mit der Säure oder einem Salz dieser Säure Salzsäuregas ein-
leiten etc. — Auch die Metallverbindungen der Alkoholradicale (z. B. Zinkäthyl)
oder die s. g. Alkoholate (Natriumalkoholat = ^^^>0) sind zur Darstellung
mancher Verbindungen sehr geeignet
Methylverbindungen.
[Radical: Methyl = BE^.]
626. Methylwasserstoff, leichter KohlenwasserstoflF, Sumpfgas, Gru-
bengas: 6H4 = 6H3.H. Der Methylwasserstoff wurde 1778 von Volta
Methylverbindangen. 381
als Bumpflnft beobachtet, tod Persoz und Dumas aus Essigsäure, von
Franklaud 1849 zuerst durch eine einfache Metamorphose aus Methyl-
verbindungen erhalten.
Der Methylwasserstoff ist die einfachste Wasserstoffverbindung des
Kohlenstoffs. Er entsteht in der That als Zerstörungsproduct fast aller
organischer Substanzen, wenn die Zersetzungen bei mangelndem Sauer-
stoff stattfinden.
Das aus dem Schlamm der Sümpfe aufsteigende, durch Fäulniss der organi-
schen Substanzen erzeugte Sumpfgas enthält meistens neben Methylwasserstoff
Kohlensäure und Stickstoff, häufig Schwefelwasserstoff. Das in Steinkohlenlagern
entstehende Grubengas enthält ebenfalls meist Kohlensäure und Stickstoff und
entsteht offenbar durch eine der Fäulniss ähnliche langsame Zersetzung der Stein-
kohlen.
Aehnlichen Ursprung haben wahrscheinlich die an vielen Stellen aus dem
Boden hervordringenden brennbaren Gase, die s. g. Salzen, Schlammvulkane und
Feuerquellen. Das Gas des Schlammvulkans bei Bulganak in der Erimm ist fast
reiner Methylwasserstoff (Bunsen) *, das in der Nähe von Glasgow hervordringende
Gas enthält etwa 88 ®/o (Thomson).
Bei der trocknen Destillation sehr vieler organischer Substanzen z. B. Holz,
Torf, Steinkohle, selbst bei Zersetzung des Weingeists beim Durchleiten seines Dam-
pfes durch glühende Röhren, entsteht Methylwasserstoff, der darum ein Bestand-
theil aller Leuchtgase ist. Methylwasserstoff entsteht femer, wenn man Schwefel-
kohlenstoff mit Schwefelwasserstoff oder auch mit Wasserdampf Über glühende
Metalle leitet ^).
Der Methylwasserstoff wird in annähernd reinem Zustande erhalten,
wenn man Essigsäure oder ein essigsaures Salz mit überschüssigem Al-
kalihydrat erhitzt (z. B. 2 Th. essigsaures Natron, 2 Th. Ealihydrat,
3 Th. Aetzkalk, oder 1 Th. essigsaures Natron mit 2 Th. Natronkalk).
Man hat:
Essigsäure. Kohlensäure. Sumpfgas.
e^B^e^ =602 + eH4
Völlig reiner Methylwasserstoff entsteht bei Zersetzung von Zinkmethyl
mit Wasser:
Zinkmethyl. Methylwasserstoff.
= eHa.H +
Auch durch Reduction von Ghlorkohlenstoff: 6CI4 oder von Chloroform:
GHCI3 wird Methylwasserstoff erhalten (vgl. §. 639).
Der Methylwasserstoff ist ein farbloses und geruchloses Gas,
welches mit gelblicher Flamme brennt und mit Luft ein explodirendes
•) Vgl. Berthelot, Annales de Chimie et Phys. Uli. [3].
382 Hethylverbindimgen.
Gemenge bildet (Schlagende Wetter). Er ist in Wasser wenig, in Al-
kohol etwas mehr löslich (vgl. §. 491) und bis jetzt nicht verdichtet
Der Methylwasserstoff widersteht der Einwirkung der meisten Agentien,
selbst ein kochendes Gemenge von Salpetersäure und Schwefelsäure greift
ihn nicht an. Chlor wirkt im Dunkeln langsam auf Methylwasserstoff ein,
im zerstreuten Tageslicht erfolgt die Einwirkung häufig, bei directer Ein-
wirkung der Sonnenstrahlen immer mit Explosion. Mässigt man die
Heftigkeit der Einwirkung durch Zusatz eines indifferenten Gases, z. B.
Kohlensäure, so entsteht als Endproduct Chlorkohlenstoff: OCI4, und vor-
her Chloroform: OHCI3 (Dumas). Setzt man 1 Vol. Methylwasserstoff
und 1 Vol. Chlor dem zerstreuten Tageslichte aus, so entsteht ein dem
Methylchlorid isomeres Gas, welches aber in Wasser und Alkohol weni-
ger löslich ist als dieses (Kolbe und Varrentrap, Baeyer) *); nach Ber-
thelot **) bildet dasselbe Gemenge bei Einwirkung des reflectirten Son-
nenlichtes wirkliches Methylchlorid: 6H3CI (vgl. §§. 635, 639).
627. Methyl: 6,0«= q^H. Das Methyl wurde 1849 von Kolbe«**)
durch elektrolytische Zersetzung des essigsauren Eali's erhalten; Frank-
land f) erhielt es 1849 durch Einwirkung von Methyljodid auf Zink.
Darstellung aus essigsaurem Kali. Das essigsaure Kali zerfUlt im-
ter dem Einfluss des galvanischen Stroms in: Methyl, Kohlensäure, kohlensaures
Kali und Wasserstoff (vgl. bqi Essigsäure) :
Essigsaures Kali. Methyl.
2eaH,K0, 4. H,e = (BH,), + 60^ + ee,Ka + H,
Der Wasserstoff wii*d am — Pol, das Methyl und die Kohlensäure am -f- Pol
• in Freiheit gesetzt Man stellt daher den Apparat so auf, dass die an den beiden
Polen entwickelten Gase getrennt aufgefangen werden können. Der 4- P^l ist ein
Platinblech, welches sich im Inneren eines porösen Thoncylinders befindet Diese
Thonzelle ist durch Kautschuk an ein gleich weites Glasrohr angesetzt und steht,
von einem Kupferblech, welches als — Pol dient, umgeben, in einem weiteren
Glascylinder. Das im inneren Cylinder frei werdende Methylgas geht zunächst
durch eine Reihe mit Kalilauge gefüllter Kugeln, dann durch drei Kugelapparate
von denen der erste rauchende Schwefelsäure, der zweite Kalilauge, der dritte
Schwefelsäurehydrat enthält und wird endlich in einem Quecksilbergasometer auf-
gefangen.
•) Ann. Chem. Pharm. Olli. 183.
••) ibid. CV. 242.
•••) ibid. LXIX. 259.
t) ibid. LXXI. 213.
Methyl.
383
Darstellung aufe Methyljodid und Zink. Man erhitzt Jodmethyl und
metallisches Zink in einer zugeschmolzenen Glasröhre auf 150^. Es entsteht Jod-
zink, Zinkmethyl imd Methyl, welches letztere beim Oeffnen der Röhre in Gasform
entweicht.
Das Methyl ist dabei das Product zweier aufeinander
folgenden Zersetzungen. Bei der ersten entsteht Zinkmethyl,
welches dann mit Jodmethyl eine zweite doppelte Zer-
1
Setzung zeigt:
Zink.
. [zi]
Zn. Zu
Methyljodid. Zinkmethyl.
. 6H3 J
= Mml + 2^'nJa
Zinkmethyl.
Methyljodid.
Methyl.
26H3.€H, + ZnJa
Da bei dieser und bei ähnlichen Reactionen die Glas-
röhre während der Operation einen bedeutenden Druck und
im Moment des Oefifnens einen Stoss auszuhalten hat, so
muss sie mit besonderer Sorgfalt zugeschmolzen werden.
Man zieht, nachdem das Zink in die Röhre eingefüllt ist,
das offene Ende zu einer dickwandigen Haarröhre aus (cb),
füllt durch Saugen das Jodmethyl ein und schmilzt, nach-
dem die Luft durch Erwärmen des Jodmethyls oder durch
Auspumpen entfernt worden ist, bei b zu.
Das Methyl ist ein färb- und geruchloses Gas, es brennt mit bläu-
licher kaum leuchtender Flamme. Es ist in Alkohol etwas löslich, weni-
ger in Wasser (vgl. §. 491). Es verhält sich den meisten Reagentien
gegenüber völlig indifferent. Von Chlor wird es im zerstreuten Lichte
angegriffen ; dabei entsteht jedoch nicht Methylchlorid , sondern Substitu-
tionsproducte, die bis jetzt nicht näher untersucht sind. Es ist bis jetzt
384 Methylverbindungen.
nicht gelungen, aus dem Methyl eine andere Methylverbindung darzu-
stellen.
628. Methylalkohol. Holzgeist = 61140 = ^^M^- Von Phi-
lipps Taylor 1812 unter den Producten der trocknen Destillation des
Holzes aufgeftinden; von Dumas und Peligot*) 1835 genauer unter-
sucht und als ein Alkohol erkannt.
Der Holzgeist entsteht bei der trocknen Destillation des Holzes und
findet sich zu etwa 1 p. G. in den wässrigen Destillationsproducten. Er
bildet in Verbindung mit Salicylsäure (als Methylsalicylsäure) den Haupt-
bestandtheil des ätherischen Oels der Gaultheria procumbens (Winter-
greenöl). Er kann, wie Berthelot**) fand, aus Sumpfgas künstlich
dargestellt werden (vgl. §§. 626, 635) und da dieses aus den Elementen
erhalten werden kann, so ist auch eine wahre Synthese des Holzgeist's
möglich.
Darstellung. Die von dem Holztheer abgegossenen wässrigen
Destillationsproducte (roher Holzessig) werden destillirt; das zuerst über-
destillirende ^/^o wii*d ein oder mehrmal über gelöschten Kalk rectificirt, wobei
viel Ammoniak entweicht; man setzt dann Schwefelsäure zu, wodurch das
Ammoniak gebunden wird und etwas Theer niederfällt, destillirt wieder
ab und rectificirt endlich ein oder mehrmal über gebrannten Kalk. Der
so dargestellte Holzgeist riecht noch stark empyreumatisch und bräunt
sich beim Aufbewahren. Er enthält noch beträchtliche Mengen von Ace-
ton und Essigsäure-Methyläther.
Der rohe Holzgeist enthält ausserdem noch eine Anzahl von Körpern, deren
Katui' bis jetzt nicht näher bekannt ist; Xylit, Lignon, brenzliche Oele etc. Ein
Theil dieser Substanzen scheidet sich durch Wasserzusatz aus dem rohen Holzgeist
ab ; ein anderer findet sich in dem bei der Reinigung des Holzgeistes mittelst
Chlorcalcium tibergehenden Destillate. — (Vgl. Gmelin, liebig, Löwig, Weidmann
und Schweizer, Kane etc. bes. in Gmelin's Handbuch IV. 808 und ferner: Völckel,
Ann. Chem. Pharm. LXXX. 309; LXXXVl. 85.)
Um aus käuflichem Holzgeist nahezu reinen Methylalkohol darzu-
stellen, benutzt man die Eigenschaft des Methylalkohols mit Chlorcalcium
eine Verbindung zu bilden, die bei 100® nicht zersetzt wird, aber bei
Destillation mit Wasser allen Holzgeist abgibt. Man sättigt also den
käuflichen Holzgeist mit geschmolzenem Chlorcalcium, erhitzt im Wasser-
bade solange noch etwas flüchtiges entweicht, destillirt den Rückstand
mit Wasser und rectificirt den so erhaltenen wässrigen Methylalkohol über
gebrannten Kalk (Kane) ***). Nach Gould ist es zweckmässig, den
Holzgeist erst mit gleichem Volum concentrirter Kali- oder Natronlauge
•) Ann. Chem. Pharm. XV. 1.
•♦) ibid. CV. 241.
♦♦•) ibid. XIX. 164.
Methylalkohol 385
zu destilliren, um den im rohen Holzgeist bisweilen in sehr grosser Menge
enthaltenen Essigsäure-Metbjläther zu zersetzen, das Destillat mit kohlen-
saurem Kali zu entwässern und dann erst mit Chlorcalcium zu sättigen.
Zur Darstellung von völlig reinem Methylalkohol ist es nöthig, erst
eine Aetherart des Methylalkohols darzustellen und aus dieser durch Zer-
setzung den Alkohol abzuscheiden. Man bereitet entweder, nach Wöh-
1er*), Oxalsäure - Methyläther (durch Destillation von 1 Th. Holzgeist,
1 Th. Schwefelsäure und 2Th. oxalsaurem Kali), zersetzt die durch Aus-
pressen gereinigten Erystalle dieses Aethers durch Destillation mit Was-
ser und entwässert das Destillat durch Rectification über gebrannten Kalk.
Oder man stellt, nach Garius**), Benzoesäure - Methyläther dar (indem
man in Holzgeist Benzoesäure auflöst. Salzsäuregas einleitet, abdestillirt
und den tiber 100® flberdestiilirenden Theil mit Wasser f^Ut), zersetzt
diesen durch mehrstündiges Erhitzen mit Natronlauge, destillirt und rec-
tifioirt über gebrannten Kalk.
Eigenschaften. Der Methylalkohol ist eine farblose, leicht be-
wegliche Flüssigkeit von rein geistigem, dem Alkohol ähnlichem Geruch
(der empyreumatische Geruch des rohen Holzgeistes rührt von den bei-
gemengten Substanzen her). Spec. Gew. = 0,8142 bei 0®. Er siedet
je nach der Natur der Ge&sswand bei 60® — 66^,5 und zeigt dabei hef-
tiges Stossen. Er brennt mit nicht leuchtender Flamme; mischt sich mit
Wasser, Alkohol und Aether; er löst fette und flüchtige Oele und die
meisten Harze auf und kann desshalb in vielen Fällen, z. B. als Heizmaterial
und namentlich als Lösungsmittel statt des Alkohols angewandt werden.
Da das specifische Gewicht des Methylalkohols nahezu dasselbe ist wie
das des Aethylalkohols und da beim Mischen von Methylalkohol mit Wasser
dieselbe Contraction stattfindet, wie beim Mischen von Aethylalkohol mit Wasser,
so zeigen die Lösungen der beiden Alkohole in Wasser für gleichen Procentgehalt
gleiche oder wenigstens fast gleiche specifische Gewichte. Die §. 646 für den Aethyl-
alkohol gegebene TabelUe kann desshalb auch für den Methylalkohol benutzt
werden.
Der Holzgeist verbindet sich mit einigen Substanzen direct, indem
er eine dem Erystallwasser ähnliche Rolle spielt. Die Lösung des was-
serfreien Baryt's in Holzgeist hinterlässt beim Verdunsten Erystalle:
BajO + 26H4O; Chlorcalcium wird in reichlicher Menge und unter
starker Erwärmung von Holzgeist aufgelöst, beim Erkalten scheiden sich
grosse sechsseitige Tafeln der Verbindung: CaCl -f- 26H40 aus; diese
kann für sich über 100® erhitzt werden, ohne sich zu zersetzen, lässt
aber in wässriger Lösung schon unter 100® Methylalkohol abdestilliren«
Kalium und Natrium lösen sich in Methylalkohol auf, unter
*) Ann. Chem. Pharm. T.XXXT 376.
••) ibid. CX. 210.
KeknU, organ. Chemie. 26
386 Methylverbmdungen.
EntwicklaDg von Wasserstoff; es entstehen krystallisiibare Verbindungen,
das Kalium- und Natriummethylat:
680. Durch Oxydation geht der Methylalkohol in Ameisensäure Ober
(der Aldehyd der Ameisensäure konnte bis jetzt unter den Oxydations-
producten nicht nachgewiesen werden). Diese Oxydation kann durch die
gewöhnlichen Oxydationsmittel hervorgebracht werden ; unter Vermittlung
von Platinmohr findet sie auch auf Kosten der Sauerstoffs der Luft statt.
Bei den meisten Oxydationen entsteht neben der Ameisensäure auch Amei-
sensäure-Methyläther. — DestUlirt man gleiche Theile Holzgeist und Braun-
stein mit 1^/3 Th. Schwefelsäure, so entsteht ausserdem eine bei 40* siedende
Flüssigkeit (Formal von Kane *J und Dumas **), die wesentlich aus Melhylal
= 0,H,ea besteht (Malaguti) *•*).
Wird Holzgeist mit Natronkalk gelinde erhitzt, so entweicht Was-
serstoff und es entsteht ameisensaures Salz. Kalihydrat allein erzeugt
statt der Ameisensäure Oxalsäure.
Holzgeist. Ameisens. Kali.
eH4e + KHO = OHjKO + H,
Oxalsaur. Kali.
2eH40 + 2Kiie = e^Qfit + öh.
Die Ameisensäure ist ein Product einer einfachen Metamorphose:
die Oxalsäure ein Zersetzungsproduct der Ameisensäure.
Chlor wird von trocknem Methylalkohol rasch aufgenommen unter Erwär-
mung und Entwicklung von Salzsäure. Es entstehen zunächst chlorhaltige Flüssig-
keiten und als Endproduct eine krystallisirbare Substanz das Parachloralid
(= e,HCl,0?) t). Brom wirkt ähnlich und bildet Par abr om alid (= e,HBr,0).
Durch Erwirkung des in einem Gemisch von Holzgeist und Salzsäure durch
den galvanischen Strom freiwerdenden Chlors erhielt Riebe ff) eine chlorhaltige
Flfissigkeit: OsH^ClO.
Bei Destillation mit Chlorkalk liefert der Methylalkokol Chloroform; durch
Einwirkung von Brom oder Jod auf eine Lösung von Ealihydrat in Methylalkohol
entsteht Bromoform oder Jodoform.
*) Ana. Chem. Pharm. XJX. 176.
••) ibid. XXVIL 136.
•••) ibid. XXXIL 66.
f) VgL Bouis, Ann. Chem. Pharm. LSIV. 816; Cloez, Ann. Chem. Phann.
CXI. 180; Städeler ibid. CXL 808.
ff) Ann. Chem. Phann. CXIL 828.
Methylftther. 387
Salpetenäme oxydirt den HokgeiBt und erzeugt gleichzeitig Salpetersäure-
Methyläther.
Schwefelsäurehydrat mischt sieh mit Holzgeist unter starkem 681.
Enii'ännen; das Gemisch enthält Hethylschwe feisäure und liefert
beim Erhitzen je nach den Verhältnissen , in welchen die beiden Körper
angewandt wurden Methyläther oder Schwefelsäuremethy^ .
äther.
Die Bildung der Methylschwefelsäure ist:
Bei Bildung des Methyl&thers und des Schwefelsäure-Methyläthers wirkt die
anfangs gebildete Methylschwefelsäure auf ein zweites MolecÜl Methylalkohol ein.
Man hat entweder:
1« ml
oder:
H
In beiden Metamorphosen wird Wasserstoif gegen Methyl ausgetauscht, aber
in umgekehrtem Sinn.
Die erste Zersetzung erfolgt bei grossem üeberschuss von Schwefelsäure,
die zweite wenn nicht mehr als 4 Th. Schwefelsäure auf 1 Th. Holzgeist einwirken.
Methyläther. (Methyloxyd) = B^E^B = ^h'I^' (^««aaß 682.
and Peligot 1835.)
Man erhitzt ein Gemenge von Holzgeist (1 Th.) und Schwefelsäure-
faydrat (2 Th.) uud wäscht das Product mit Kalilauge. Bei gewöhnlicher
Temperatur gasförmig , von angenehm ätherartigem Geruch , sehr löslich
in Alkohol, Aether und Schwefelsäure, weniger in Wasser (bei 18®,
37 Vol.); durch starkes Abkühlen zu einer bei — 21® siedenden Flüssig-
keit verdichtbar.
Der Methyläther verbindet sich direct mit Schwefelsäureanhydrid za
Schwefelsäure - Methyläther.
Methylschwefelsäure. SOJ . Man mischt Methylalkohol 688.
(1 Th.) mit Schwefelsäurehydrat (2 Th.), sättigt das Gemisch mit einer
Base, deren schwefelsaures Salz unlöslich ist (z. B. BleiweiBs, kohlen-
26 ♦
388 Methylverbindungen.
saurer Baryt), zersetzt das im Fiitrat enthalteae Methylschwefels&uresalz
mit Schwefelsäure oder bei Blei mit Schwefelwassersto£f und verdunstet
im Vacuum. Die Methjlschwefelsäure und ihre Salze sind krjstallisirbar
und sehr zerfiiesslich.
684, Schwefelsäure-Methvläther. SoJ^ . Wird erhalten dureh
Destillation von Holzgeist mit 8 — 10 Th. Schwefelsäorehjdrat oder indem
man Methyläther von Schwefelsäureanhydrid absorbiren lässt Farblose,
bei 188^ siedende FlQssigkeit von knoblauchartigem Geruch, die sich in
Wasser nicht löst, beim Erwärmen mit Wasser aber rasch zu Methyl-
alkohol und Methylschwefelsäure zersetzt wird.
Wässriges Ammoniak zersetzt den Schwefelsäure - Methyläther und bildet
Sulfamethylan (Methyläther der Sulfaminsäure), das bei Verdunsten der Lösung
im Vacuum krystallisirt:
Schwefelsäure - Methyläther.
eH,U H.
686. Methyl chlorid (Chormethyl) = GH,, Cl. — Es entsteht nach B er-
thelot neben andern Producten, bei Einwirkung von Chlor auf Sumpfgas
(§. 626). Man erhält es durch Erhitzen eines Gemenges von Holzgeist
(1 Th.) und Schwefelsäure (3 Th.) mit Kochsalz (2 Th.). Es ist ein
farbloses angenehm riechendes Gas, durch starkes Abkühlen zu einer bei
— 22® siedenden Flüssigkeit verdichtbar.
Das Methylchlorid bildet mit Wasser ein krystallisirbares, bei -|~ ^^
festes Hydrat (Baeyer). Es wird von Wasser absorbirt (bei 14® — 4,17
Vol.) reichlicher von Alkohol.
Durch anhaltendes Erhitzen mit wfissrigem Kali bei 100^ wird es zu Methyl-
alkohol, durch Erhitzen mit Schwefelsäure und schwefelsaurem Silber - oder Queck-
silberoxyd bei IOC® zu Methylschwefelsäure, durch Erhitzen mit essigsaurem Na^
tron und Essigsäure auf 200® zu Essigsäure-Methyläther (Berthelot) *).
Chlor wirkt nur im Sonnenlicht auf Methylchlorid und erzeugt Substitutions-
producte (§. 639). — Leitet man Methylchlorid durch eine glühende Röhre, so setzt
sich Kohle ab und es entsteht Salzsäure, Methylwasserstoff, Elayl, Eohlenoxyd,
Naphthalin und ausserdem eine Substanz, die mit Brom eine krystoUisirte Verbin-
dung liefert, welche bei 40* schmilzt und bei 220® siedet (Perrot)**).
Methylbromid (Brommethyl) = 6H,, ßr. Entsteht bei Einwirkung von
Brom und Phosphor auf Holzgeist. Siedet bei 18®. — Spec. Gew.: 1,6644 bei 0*.
•) Ann. Chem. Pharm. CV, 241.
•*) ibid. CL 376.
Aeiherarten des Methyls. 389
Methyljbdid (Jodmethyl), €H,, J. Wird durch gleichzeitige Einwirkung
von Phosphor nnd Jod auf Methylalkohol erhalten. Farblose, angenehm riechende
Flüssigkeit, die sich beim Aufbewahren unter Freiwerden \on Jod zersetzt -^ied-
punkt: 48^ Spec. Gew.: 2,1992 bei 0^.
Methyl fluorür (Fluormethyl), 62H,, Fl wird nach Dumas und Pcligot
durch Destillation einer Mischung von Fluorcalcium und Schwefeleäure-Methyläther
als farbloses Gas erhalten.
Methylcyanid (Cyanmethyl, Acetonitril) GjHjN =: GH3.GN. 686.
Durch Destillation von Cyankalium mit methylschwefelsaurem Kali kann
Methylcyanid erhalten werden; man gewinnt es leichler durch Destillation
von Acetamid mit Phosphorsäureanhydrid. Nach der ersteren Bildungs-
weise erscheint dieser Körper als die Cyanverbindung des Radicals Me-
thyl, nach der letzteren und nach seinen Zersetzungen als ein Rest des
essigsauren Ammoniaks oder als eine dem Ammoniaktypus zugehörige
Verbindung des Radicals: O^H,. Aus dem Acetonitril durch einfache
Metamorphose wieder eine Methylverbindung darzustellen, ist bis jetzt
nicht gelungen.
(Das Methylcyanid wird später als Verbindung des Radicals QJRz
beschrieben vgl. auch $§. 609, 621).
Methylmercaptan (Methylsulfhydrat, Schwefelwasserstoff-Schwefelmethyl) : 687.
4>S. Wird durch Destillation von methylschwefelsaurem Kalk mit Kaliumsulf-
hydrat oder durch Einwirkung von Methylchlorid auf eine Lösung von Kalium-
Bulfhydrat in Holzgeist (oder Alkohol) erhalten. Farblose, übelriechende Flüssig-
keit, die bei 21® siedet und mit Quecksilberoxyd eine krystallisirbare Verbindung:
^J||S liefert
OH \
Methylsulfid (Schwefelmethyl) pii'/^r. Man sättigt eine weingeistige
Lösung von Schwefelkalium mit Methylchlorid und destillirt. Farblose, übelriechende
Flüssigkeit, die bei 41® siedet.
Wendet man statt einfach Schwefelkalium Zweifach - Schwefelkalium an,
so erhält man Methylbisulfid = (^Ha),^^ als gelbliche bei 140® siedende
Flüssigkeit, von zwiebelartigem Geruch. Destillirt man Fünffach- Schwefelkalium
mit methylschwefelsaurem Kali, so entsteht neben Methylbisulfid auch Methyl-
trisulfid: (8H3)aS„ welches über 200® destillirt.
Methyläther der schwefligen Säure. Die schweflige Säure bildet
wie alle zweibasischen Säuren zwei Methyläther. Die methylschweflige Säure:
ee,|S^» = ^^», und den Schwefelsäure -Methyläther: 60, |^S» = ^?«
' ^i|o '*"• Sil«.
Der Schwefligsäure -Methyläther entsteht bei Einwirkung von Halbchlor-
schwefel und auch von Chlorthionyl (öOClj) auf Methylalkohol*), er ist eine an-
*) Carius, Ann. Chem. Pharm. CX. 219. und CXI. 97.
390 Hethylverbindungen.
genehm riechende FlüsBigkeit, die bei 121^,5 siedet (vgl. die entsprechende Aeihyl-
verbindung). Die methylschweflige Säure entsteht in geringer Menge bei
derselben Reaction, sie entsteht femer durch Einwirkung einer alkoholischen Eali-
lösung auf methylschweflige Säure, durch Oxydation des Methylmercaptan's , Me-
thylbisulfid's und des Sulfocyanmethyls mittelst Salpetersäure und endlich durch
Redaction ihrer Substltutionsproducte mittelst Ealiumamalgam oder durch den gal-
vanischen Strom (vgL §. 641).
Salpetersäure -Methyläther: ^n^}^ destillirt aus dem Gemisch von
Methylalkohol, Schwefelsäure und Salpeter-, siedet bei 66^.
Salpetrigsäure-Methyläther, Methylnitrit: GH,. NO,. VonStrecker
durch Destillation von Methylalkohol mit Salpetersäure und metallischem Kupfer
(oder arseniger Säure) dargestellt Entsteht auch bei Einwirkung concentrirter Sal-
petersäure auf Brucin. Siedet bei — 12*.
Methyläther der phosphorigen Säure. Von den drei Methyläthem
der phosphorigen Säure ist bis jetzt nur die monomethylphosphorige Säure:
€IHt>0t bekannt; sie entsteht bei Einwirkung von PiiosphorehlorOr anf Hethyl-
alkohol (vgL die entsprechenden Aethylverbindungen).
Methyl äther der Phosphor säure. Der neutrale Methyläther der Phos-
phorsäure ist noch unbekannt Die zweibasische Monomethylphosphorsft are
und die einbasische B im ethylp ho sp hör säure entstehen durch Einwirkung von
Phosphoroxy Chlorid auf Methylalkohol (SchifQ*).
m
Borsäure- Methyläther: .^^ . >0^ ist von Ebelmen durch Einwirkung
von CSilorborgas auf Methylalkohol dargestellt; siedet bei 70®. Dampfdichte 8,66.)
Cyansäure-Methyläther: ^^>0 und Oyanursäure-Methyläther:
"G N )
^^J \^\^9 werden wie die entsprechenden Aethyläther erhalten und zeigen ganz
entsprechende Metamorphosen. Der Cyansäure-Methyläther ist sehr flfich-
,Üg\ der Cyanursäure-Methyläther krystallislrt , schmilzt bei 140*, und ver-
flüchtigt sich bei 29b^.
Sulfocyanmethyl: ^ \B siedet bei 188® und wird, wie die entsprechende
Aethylverbindung durch Destillation vom Sulfocyankalium mit methylschwefelean-
rem Kali erhalten.
Substitutionsproducte der Methylverbindungen«
533. Es ist früher erw&hnt worden, dass bei Einwirkung von Chlor,
Brom oder Jod auf organische Substanzen häufig eine eigenthümliche, als
Substitution bezeichnete Reaction stattfindet, durch welche der oi^
nisohen Substanz eine gewisse Anzahl von Wasserstofiatomen entsogen
•) Ann. Chem. Pharm. CU. 884.
Substitationsprodacte.
391
f'
31-
de:
und durch eine gleich grosse Anzahl von CSilor-, Brom- oder Jodatomen
ersetzt werden.
Für die Hethylverbindungen sind bis jetzt nur chlorhaltige Substitu.
tionsproduete n&her untersucht.
Durch Einwirkung von Chlor auf Methylftther (Begnault)*)
und auf Methjlsulfid (Riebe) **) sind die folgenden Chlorsubstitn-
tionsproduete erhalten worden:
Methylftther
Monochlormethylftther
Bichlormethylftther
Perchlormethylftther
(GH,),e
(eHaCi),e
(sied. 106«)
(«HClOa^
(sied. 180^)
(eci,),e
[ß^t\ S MethylBolfid.
(eH,GI),& Monochlormethylsulfid.
(eHCl,),^ Bichlormethylsulfid.
(601,), & PerchlonnethylBulfid.
Die Einwirkung des Chlors auf Methylftther ist sehr heftig, ein Gemenge bei-
der Gase zeigt nach wenigen Minuten Explosion; lässt man beide Gase in einem
BaUon zusammentreten, so geht die Einwirkung ruhig vor sich. Auch bei Methyl-
snlfid ist die Einwirkung so lebhaft, dass jeder Tropfen Methylsulfid sich in Chlor-
gas entzündet und umgekehrt jede Blase Chlorgas im Schwefelmethyl Entzündung
hervorbringt; man Ifisst desshalb das Chlor nur auf die Oberflftche des Schwefel-
methyls zutreten.
Die Dampfdichte des Perchlormethylftthers wurde = 4,67 gefunden, wfthrend
sie nach dem für die meisten Kohlenstoffverbindangen gültigen Volnmgesetz (vgL
SS. 896 ff.) = 8,76 sein sollte. Es ist danach wahrscheinlich, dass der Perchlor-
methylftther sich beim Erhitzen zersetzt, nach der Gleichung:
Perchlormethylftther. Chlorkohlenstoff. Phosgen.
(eci,),e = eci« + eeci,
und dass der Dampf ein Gemisch der Dfimpfe der entstandenen Zersetzungsproducte
ist (S. 404).
Auch auf Methylwasserstoff und auf Methjlchlorid wirkt«
das Chlor substitnirend ein. Man könnte die folgenden zwei Reihen von
Producten erhalten :
aus Methylwasserstoff.
eH, .H
eH^Cl.H
eci, .H
ea, .ci
aus Methylchlorid.
eH, .01 (sied. 21»).
eHjCl.Cl (sied. 81<^) Monomethylchlorid.|
enClj.Cl (sied. 61») Chloroform.
eCl, .01 (sied. 78<^) Chlorkohlenstoff.
Die Verbindungen der ersten Reibe könnten sich (mit Ausnahme
des letzten Gliedes j wie Hydrflre chlorhaltiger Radicale verhalten; die der
•) Ann. Chem. Pharm. XXXiV. 29. (1889).
••) ibid. XCIL 868. — Jahresb. 1854. 668.
392 Hethylyeii)indangen.
zweiten Reihe wie GhloricLe. Es ist indessen vonDamas nachgewiesen,
da?8 nicht nor das Endproduct, sondern auch das vorhergehende Glied
der durch Einwirkung Yon Chlor auf Methylwasserstoff entstehenden Kör-
per identisch ist mit den zwei letzten Substitutionsproducten, die Regnaolt
aus dem Methjichlorid dargestellt hat. Das Endproduct ist in beiden
Fällen Chlorkohlenstoff: GC\^^ das vorletzte Substitutionsprodnet:
Chloroform. Der Körper 6HCI2.H der Methjlwasserstoflreihe ist noch
nicht bekannt Das erste Product: 6H2CI.H der Einwirkung von Chlor
auf Methylwasserstoff soll nach Kolbe, Varrentrapp und Baeyer
verschieden von Methylchlorid sein (vgl 5. 626), während Berthelol
wirkliches Methylchlorid erhielt (§. 635).
Durch Einwirkung von Kaliumamalgam auf in Weingeist gelösten
Chlorkohlenstoff kann nach Regnault*) eine umgekehrte Substi-
tution hervorgebracht werden. Der Chlorkohlenstoff verwandelt sich
in Chloroform, Monomethylchlorid, Methylchlorid und in Methylwasser-
stoff. Auch Zink und verdünnte Schwefelsäure bewirkt diese Umwand-
lung des Chlorkohlenstoffs zu Chloroform (Oeutherj **).
Das Chloroform wird später als Chlorid des Radicals: €H
beschrieben.
640. Chlorkohlenstoff, Doppelchlorkohlenstoff, Zweifach Chlor-
kohlenstoff, Perchlormethylchlorflr : 6C14. Entsteht, ausser durch die er-
wähnten Reactionen, auch durch Einwirkung von Chlor auf Schwefel-
kohlenstofi, namentlich wenn man ein Gemenge beider Körper durch eine
glühende Röhre leitet. Zu seiner Darstellung leitet man im Sonnenlicht
und unter Erwärmen Chlorgas durch Chloroform.
Der Chlorkohlenstoff ist eine farblose in Wasser unlösliche Flüssig-
keit von angenehmen Geruch. Er siedet bei 77®. — Durch weingeisti-
ges Kali zeriUlit der Chlorkohlenstoff zu Chlorkalium und kohlensaurem
Kali; bei längerem Erhitzen auf 100® entsteht dabei auch Elayl: BJä^
(Berthelot). Erhitzt man mit Kalihydrat auf 200®, so entsteht: oxal-
saures Kali, Chlorkalium, Wasser und Wasserstoff (Gent her) ♦**).
Leitet man seinen Dampf durch eine glühende Röhre, so zerfällt er zum
Theil in freies Chlor, einfach Chlorkohlenstoff und Anderthalb-
ohlorko bleust off.
2eCl4 = €,Cle + Cl,
GjCle = €,04 + Cl,
641. Besonderes Interesse bieten die Chlorsubstitutionsproducte
der methylschwefligen Säure und des Chlorids dieser Säure:
•) Vgl. Regnault, Cours elementairc de Chimie (1861) IV. 274. — Gerhardt,
Trait6. I. 608.
••) Ann. Chem. Pharm. CVH 214.
•••) ibid. CXL 17Ö.
Snbstitationsprodaete.
393
Methjlschweffige
Säure
Säuren«
GH,
Chloride«
Mooochlormethjl-
schweflige S&ure
Bichlormethjl-
schweflige Säure
Percblormethjl-
schweflige Säure
©HjCl
©HCl,
"M'
GCl,
Hl
e
GHCa,
se^.ci
ecia
öea.ci
Chlorid derBichlor-
methjlschwefligen
Säure.
Chlorid der Perohlor-
methjlschwefligen
Säure.
Diese Körper sind bis jetzt nicht als Substitutionsproducte der me-
thylschwefligen Säure, sondern von Kolbe *) auf umgekehrtem Wege
aus dem an Chlor reichsten Product dem Chlorid der perchlorme-
thylschwefligen Säure erhalten worden. Dieses Chlorid ist der von
Berzelius und Marcet 1813 beobachtete „campherartige Körper,^^
häufig als schwefligsaurer Chlorkohlenstoff bezeichnet, der durch
Einwirkung von feuchtem Chlorgas auf Schwefelkohlenstoff entsteht:
es^ + 6CLj + 2H,e = eCl4.se, + SCI4 + 4HC1.
Man erhält diesen Körper, indem man Schwefelkohlenstoff mit einem Ge-
menge von Salzsäure und Braunstein (unter Zusatz von etwas Salpeter-
säure) mehrere Tage stehen lässt und dann abdestiilirt Er ist eine weisse
krjstallisirte Substanz, unlöslich in Wasser, löslich in Alkohol, Aether
und Schwefelkohlenstoff. Cr schmilzt bei 135^, siedet bei 170® und subli-
mirt wie Campher. Durch Destillation mit concentrirter Schwefelsäure
zerfällt er in schweflige Säure, Salzsäure und Phosgen:
eci4se, + H,e = se, + 2Hci + eeci,.
Durch Wasser wird er ebenfalls zersetzt, statt des Phosgens entsteht dann
Kohlensäure und Salzsäure.
Durch Einwirkung von Kalilauge zerfällt das Chlorid der per-
chlormethy Ischwefligen Säure zu Chlorkalium und perchlor-
methylschwefligsauremKali. Durch reducirende Substanzen (schwef-
lige Säure, Schwefelwasserstoff) wird es zu dem Chlorid der bichlor-
methylschwefl igen Säure. Diese zerfällt mit Kalilauge zu Cblorkalium
und bichlormethylschwefligsauremKali. Dieselbe bichlormethyl-
•) Ann. Chem. Pharm. UV. 146. (1846).
394 .Aethylverbindungen.
sehweflige Säure, oder vielmehr ihr Zinksalz wird auch erhalten, wenn
man Zink in perchlormethylschwefliger Bäure auflöst Setzt man
dagegen per- oder auch bichlormetbjischweflige Säure der reducirenden
Wirkung des galvanischen Stromes aus, indem man eine amalgamirte
Zinkptatte als Elektrode verwendet, so wird von neuem Chlor durch
Wasserstoff ersetzt und es entsteht monochlormethylsohweflige
Säure und schliesslich methylschweflige Säure.
Aethylverbindungen.
Radical: Aethyl = Gfi^.
642. Die Aethyl Verbindungen zeigen in Zusammensetzung, in physika-
lischen und in chemischen Eigenschaften die grösste Analogie mit den
Methyl Verbindungen.
Den Ausgangspunkt zur Darstellung aller Aethylverbindungen bildet
der Aethylalkohol, der zugleich durch seine vielfache Verwendung
das wichtigste Glied der ganzen Gruppe ist
Aethylalkohol. (Alkohol. Weingeist Aethyloxy dhydrat) :
®*^^je = e,Hee.
Alkoholhftlüge gegohrene Flüssigkeiten waren schon in den ältesten Zeiten,
die Destillirbarkeit des Weingeistes im 8. Jahrhundert (Marcus Grftcus) bekannt
Als die eigentlichen Entdecker des Alkohols werden gewöhnlich Amoidus Villano-
vanns oder Raymund Lall genannt (13. Jahrhundert). Seine Zusammensetzang
wurde erst von Th. Saussore ermittelt
642. Der Aethylalkohol ist ein Product der geistigen Gfthrung des
Zuckers; d. h. der Zersetzung, welche der Zucker in w&ssriger Lösung
durch Vermittelung der Hefe als Ferment erleidet Die grösste Menge
des Zuckers. zer&Ut bei dieser Zersetzung gerade auf in Alkohol und
Kohlensäure :
Traubenzucker. Alkohol.
GeHijOe = 2e,H«0 + 2€0,
Gleichzeitig entstehen in untergeordneter, aber doch nicht ganz unerheb-
licher Menge: Glycerin, Bernsteinsäure etc. (Pasteur). Der Trauben-
zucker wird direct durch Hefe in Gährung versetzt; die meisten andern
Zuckerarten (z.B. Rohrzucker) gehen zunächst in Traubenzucker aber.
Ueberhaupt sind alle diejenigen Körper, welche sich in Traubenzucker
umwandeln können, &hig, durch geistige Gährung Alkohol zu erzeugen.
So gährt z. B. ein Aufguss von Gerste, indem durch Vermittelung der
beim Keimprocess entstehenden Dias tase das Stärkemehl des Getrei-
des in Dextrin und Traubenzucker übergeht (Die Gährung wird
gelegentlich des Zuckers ausfbhrlicher besprochen werden.)
Alkohol. 395
Alkohol entsteht ferner, wenn auch in nur geringer Menge (neben
viel Buttersfture, Milchsäure etc.) durch die Gfthrung, welche:
Mannit, Dulcit, Glycerin, Sorbin, Rohrzucker, Milchzucker,
Stärke und Gummi bei Gegenwart von Wasser, Kreide und Käse
(als Ferment) erleiden (Berthelot 1856) ♦).
Einzelne dieaer Substanzen entwickeln dabei neben Eohlensfture auch Was-
serstoff. Die Zersetzung erfolgt vielleicht nach den Formeln :
Glycerin. Alkohol.
GjHeGa = GaH^G +■ GGa + H,
Mannit.
Interessant ist die Bildung des Alkohols aus Aethylen : G2H4. Dieser
Kohlenwasserstoff verbindet sich nämlich direct mit Schwefelsäurehydrat,
mit Jodwasserstoff, Bromwasserstoff und selbst mit Chlorwasserstoff unter
Bildung von Aethylschwefelsäure von Jodäthyl, Bromäthyl und Chloräthyl,
die dann beim Kochen mit Wasser oder beim Erhitzen mit Kalilauge
Alkohol erzeugen (Berthelot) **).
Darstellung des Alkohols. Man gewinnt in fabrikmässigem 644.
Betrieb durch Destillation gegohrener Flüssigkeiten den Weingeist oder
Spiritus. Derselbe enthält ausser Alkohol noch eine je nach der Con-
struction der Destillirapparate mehr oder weniger grosse Menge von
Wasser und ausserdem, namentlich wenn Kartoffelstärke oder Getreide
als Gährungsmaterial angewandt wurden, Fuselöl (Amylalkohol). Das
Fuselöl kann durch Kohle, am besten Holzkohle entzogen werden (Ent-
fuselung). Bei zweckmässig construirten Destillationsapparaten wird
ein Weingeist erhalten, der 85 — 90 0/0 und selbst 92% Alkohol enthält;
er wird häufig im Destillationsapparat selbst entfiiselt
Durch Rectification allein kann der Alkohol nicht vollständig ent-
wässert werden; man ist vielmehr genöthigt Substanzen zuzusetzen, welche
das Wasser binden. Es sind dazu nahezu alle hygroskopischen Körper
verwendbar. Am zweckmässigsten stellt man starken Alkohol (90%) einige
Stunden mit kleinen Stücken von gebranntem Kalk zusammen und destil-
lirt dann ab. Der so gewonnene Alkohol, absoluter Alkohol, ist
fast wasserfrei und verliert bei einer zweiten Destillation Aber Kalk noch-
mals etwas Wasser.
Trägt man in starken Weingeist darch Schmelzen entwässertes kohlensaures
Kali ein, so scheidet sich eine wässrige Lösung dieses Salzes unter dem Alkohol
ab; durch Rectification über neue Mengen von kohlensaurem Kali erhält man ab-
•) Jahresbericht 1867. 609.
••) Ann. Chem. Pharm. XCIV. 78-, CIV. 186.
396 Aethylverbindnngen.
solaten Alkohol. — Anch geschmolzenes Chlorcalcimn ist zum Entwttssem des
Alkohols verwendbar, wenn gleich nicht geeignet, weil es mit Alkohol eine Ver-
bindung eingeht
Um dem absoluten Alkohol die letzten Sparen von Wasser zu entziehen,
sind mehrere Methoden anwendbar. Man stellt denselben entweder l&ngere Zeit
mit völlig entwässertem Kupfervitriol oder mit entwässertem BluÜangensalz zusam-
men, oder, zweckmässiger, man destillirt Über wasserfreien Baryt; oder man trägt
in den über gebrannten Kalk rectificirten Alkohol etwas Natrium ein und destillirt
im Wasserbade ab.
Wird wasserhaltiger Alkohol in eine thierische Blase eingebunden und diese
an einem warmen Ort aufgehängt, so verdunstet wesentlich Wasser, während
nahezu absoluter Alkohol in der Blase zurückbleibt (Sömmering).
646. - Eigenschaften. Der Alkohol ist eine farblose, leicht bewegliche
Flüssigkeit, von angenehm geistigem Geruch und brennendem Geschmack.
In reinem Zustand genossen, wirkt er giftig, und in die Venen einge-
spritzt bringt er raschen Tod.
Spec. Gew. 0,8096 bei 0«; 0,7939 bei 15^6; 0,792 bei 20«. (Kopp.)
Siedepunkt: 78^^,4 bei 760 M. m. — Selbst durch die grösste künstliche
Kälte (— 100®) wird er nicht fest, sondern nur dickflüssiger. Er brennt
mit schwach leuchtender Flamme.
Der Alkohol ist sehr hygroskopisch. Er zieht aus der Luft rasdi
Wasser an und entzieht einigen Salzen (z. B. Soda, Glaubersalz) einen
Theil ihres Krystallwassers. Er mischt sich mit Wasser in jedem Ver-
hältniss; dabei findet W^ärmeentwicklung und Contraction statt Das
Maximum der Contraction tritt ein, wenn 62,3 Vol. Alkohol mit 47,7
Vol. Wasser bei 15® gemischt werden; statt 100 Vol. entstehen nur 96,36.
Die erwähnten Mengen entsprechen nahezu dem Verhältniss: G^H^O -f"
SHjG (vgl. §. 488).
646. Alkohole metrie •). Da der Werth alkoholhaltiger Flüflsigkeiten wesent-
lich durch ihren Alkoholgehalt bedingt wird, so ist es von Wichtigkeit Methoden
zu besitzen, durch welche dieser Alkoholgehalt rasch und möglichst genau ermit-
telt werden kann. Da eine chemische Analyse nicht wohl ausftlhrbar ist, hat man
die Bestimmung verschiedener physikalischer Eigenschaften als alkoholometrische
Methoden benutzt. Die Bestimmungen der spec Wärme und des lichtbrechnngs-
vermögens sind bis jetzt zu diesem Zweck nicht versucht worden, obgleich na-
mentlich die letztere Eigenschaft vielleicht nutzbar wäre (vgl. §. 614). Die Bestim-
mung des Siedepunktes wird von Gröning und Pohl und bei den Ebullioskopen
von Brossard-Vidal und Conaty in Anwendung gebracht. Auf die Spann-
kraft des Dampfes ist das auf PI ück er 's Vorschlag von Geissler construirte
Vaporimeter begründet. Die Ausdehnung durch Wärme wird in Silbermann's
Dilatometer verwendet. Gegenwärtig wird fast ausschliesslich die Bestimmung
des spec. Gewichtes als alkoholometrische Methode in Anwendung gebracht. Man
bestimmt also das spec. Gewicht eines Weingeistes vermittelst des Aräometers.
*) Vgl liebig u. Pogg. Handwörterbuch. 2. Aufl. I. 493.
Alkoholometrie.
397
Da nun Alkohol und Wasser beim Vermischen eine Contraction erfahren und
zwar nach mit der Temperatur veränderlichen und bis jetzt nicht ermittelten Ge-
setzen, so ist es einleuchtend, dass nur durch experimentelle Bestimmungen die
Beziehungen zwischen dem spec. Gewichte und dem Alkoholgehalte eines Wein-
geistes festgestellt werden konnten. Solche Bestimmungen sind von Gilpin (1794),
Tralles (1811), Gay-Lussac und Kopp ausgeführt worden. Aus diesen Bestimmun-
gen hat man Tabellen zusammengestellt, welche die spec. Gewichte, die Volum-
procente und die Gewichtsprocente der Gemische von Alkohol und Wasser an-
geben.
lOOVoluniinall
enthalten 1
Vol. Alkohol.ll
ii
lOOVoluminJI
enthalten 1
Vol. Alkohol.!
11
CO*"
lOOVolumina
enthalten
Vol. Alkohol.
li
O P4
0
0
0,9991
84
28,18
0,9596
67
59,82
0,8966
1
0,80
0,9976
85
28,99
0,9583
68
60,38
0,8941
2
1,60
0,9961
86
29,86
0,9570
69
61,42
0,8917
8
2,40
0,9947
87
80,74
0,9556
70
62,50
0,8892
4
8,20
0,9938
88
31,62
0,9541
71
68,58
0,8867
5
4,00
0,9919
89
32,50
0,9526
72
64,66
0,8842
6
4,81
0,9906
40
33,39
0,9510
78
65,74
0,8817
7
5.S2
0,9893
41
84,28
0,9494
74
66,88
0,8791
8
t;.4a
0,9881
42
85,18
0,9478
75
67,98
0,8765
9
724
0,9869
48
36,08
0,9461
76.
69,05
0,8739
10
Km
0,9857
44
36,99
0,9444
77
70,18
0,8712
11
K87
0,9845
45
37,90
0,9427
78
71,81
0,8685
12
u.m
0,9834
46
88,82
0,9409
79
72,45
0,8658
13
10.51
0,9823
47
39,74
0,9391
80
73,59
0,8631
14
11,33
0,9812
48
40,66
0,9373
81
74,74
0,8603
15
12.15
0,9802
49
41,59
0,9354
82
75,91
0,8675
16
12.!>8
0,9791
50
42,52
0,9335
88
77,09
0,8547
17
1S.8Ü
0,9781
51
43,47
0,9315
84
78,29
0,8518
18
14,63
0,9771
52
44,42
0,9295
85
79,50
0,8488
19
16.16
0,9761
53
45,36
0,9275
86
80,71
0,8458
20
ie.28
0,9751
54
46,32
0,9254
87
81,94
0,8428
21
17.11
0,9741
55
47,29
0,9234
88
83,19
0,8397
22
17,96
0,9731
56
48,26
0,9213
89
84,46
0,8366
28
18,78
0,9720
57
49,23
0,9192
90
85,75
9,8332
24
19,62
0,9710
58
50,21
0,9170
91
87,09
0,8299
25
20,46
0,9700
59
51,20
0,9148
92
88,37
0,8265
26
21,30
0,9689
60
52,20
0,9126
93
89,71
0,8230
27
22,14
0,9679
61
53,20
0,9104
94
91,07
0,8194
28
22,99
0,9668
62
54,21
0,9082
95
92,46
0,8157
29
23,84
0,9657
63
55,21
0,9059
96
93,89
0,8118
30
24,69
0,9646
64
56,22
0,9036
97
95,34
0,8077
81
25,55
0,9634
65
57,24
0,9018
98
96,84
0,8084
32
26,41
0,9622
66
58,27
0,8989
99
98,39
0,7988
88
27,27
0,9609
100
100,00
0,7939
Da die Angaben der Tabelle sich auf 15^/g® C. beziehen, so muss, wenn die
Bestinunung des spec Gewichtes bei einer anderen Temperatur ausgeführt wurde,
eine Correktur angebracht werden. Statt der zu diesem Zweck entworfenen Ta-
bellen dient einfach die folgende Regel. Man mulüplicire die Temperaturdifferenz
mit 0,4 und ziehe das Product von den in der Tabelle angegebenen Volumprocen-
398 Aethylverbindungen.
ten ab, wenn die Yersachsteniperatar höher war als 16*/«*; oder addire es za,
wenn sie niedriger war. — Statt der gewöhnlichen Aräometer, welche die spec
Gewichte angeben, verwendet man häufig die s. g. Alkoholometer, welche entwe-
der, nach Tralles die Volumprocente (s. g. Grade) oder nach Richter die Ge-
wichtsprocente angeben.
Soll der Alkoholgehalt einer Flüssigkeit bestimmt werden, die ausser Wasser
und Alkohol noch andere Substanzen enthält, so muss durch Destillation (wenn
flüchtige Säuren z. B. Essigsäure zugegen sind mit Zusatz von ätzendem oder koh-
lensaurem Alkali) der Alkohol abgeschieden werden.
Der Alkohol löst viele Oase, die meistexi in grösserer Menge als
das Wasser (vgl. §.491); er löst viele Flüssigkeit ganz besonders kohlen-
stoffhaltige (flüchtige Oele z. B. etc.) und ebenso sehr viele feste Substan-
zen unter anderen auch Jod, Brom, etwas Schwefel und Phosphor, Fette,
Harze, Alkaloide etc. Die kohlensauren und schwefelsauren Salze sind
fast alle in Alkohol unlöslich.
647. Zersetzungen. Der Alkohol zer&Ut beim Durchleiten seines
Dampfes durch eine glühende Röhre in Wasser, Wasserstoff", Kohle, Koh-
lenoxjd, Sumpfgas, Elajl, Benzol, Phenyl, Naphthalin etc« Bei schwa-
cher Glühhitze entsteht wesentlich: Methylwasserstoff, Eohlenoxjd
und Wasserstoff: ejHgO = eH4 + H, + 60. — Durch Oxydation
wird er meistens zu Aldehyd und Essigs&ure umgewandelt (vgl. §§. 605,
620). Der Sauerstoff der Luft allein wirkt bei gewöhnlicher Temperatur
nicht oxydirend auf ihn ein, aber unter Vermittelung einiger Fermente
(vgl. bei Essig), unter Mitwirkung poröser Substanzen und überhaupt
derjenigen Körper, welche, wie das Platin Gase auf ihrer Oberfläche ver-
dichten, führt er den Alkohol durch langsame Verbrennung in Aldehyd
und in Essigs &ure über; die durch diese langsame Verbrennung er-
zeugte Wftrme ist häuflg so gross, dass sich der Alkoholdampf bis auf
seine Entzündungstemperatur erhitzt. (Platinmohr, Platindraht, Döberei-
ner*s Glühlämpchen , Chromoxyd, Eisenoxyd etc.). Chromsäure bringt
den Alkohol zur Entflammung. Destillation mit chromsaurem Kali oder
mit Braunstein und Schwefelsäure liefert Aldehyd, Essigsäure, Essig-
ftther, Acetal (roV^^ (Ojj? Ameisensäure etc. Bei Einwirkung von
Salpetersäure entstehen ausser diesen Oxydationsproducten noch: Stick-
oxydul, Stickoxyd, Blausäure und Salpetrigsäure-Aether. Lässt
man die Einwirkung bei gemässigter Temperatur stattfinden, so entstehen
noch: Glyoxal, Glyoxylsäure, Glycolsäure und Oxalsäure*).
Beim Vermischen von^lkohol mit Königswasser tritt (wie bei concen-
trirter Salpetersäure) von selbst Sieden ein; ausser den durch Salpeter-
säure allein entstehenden Oxydationsproducten wird noch Chloroform
*) Debus, Ann. Chem. Pharm. 0. 1; CH. 20.
Alkohol. 399
und Ghloral gebildet. Auch ein Oemisch von Weingeist, Salpetersäure
und Kochsalz kommt von selbst ins Sieden und es wird ausser den ge-
nannten Producten noch Chlorpik rin erzeugt Chlor wird von Alkohol
in reichlicher Menge absorbirt (im Sonnenlicht kann Entflammung ein-
treten). Es wirkt zunächst oxjdirend und erzeugt Aldehyd und bei was-
serhaltigem Weingeist Essigsäure; die dabei entstehende Salzsäure erzeugt
dann Aethylchlorid und vermittelt die Bildung von Essigäther und
Acetal; auf alle diese Producte wirkt das Chlor dann substituirend ein,
man erhält gechlorte Essigäther, gechlorte Acetale, Chlorsubstitutions-
producte des Aethylchlorids und als hauptsächliches Endproduct: Trichlor-
aldehyd = Chi oral: €,HClje.
Durch Destillation mit Chlorkalk oder durch Einwirkung von Chlor
auf eine alkoholische Ealilösung entsteht Chloroform. Brom und Jod
erzeugen in ähnlichen Verhältnissen Bromoform und Jodoform. — Eine
Lösung von Silber oder Quecksilber in starker Salpetersäure erzeugt mit
Alkohol Enallsilber oder Knallquecksilber. Durch Einwirkung von
Platinchlorid hat Zeise*) 1830 eine Anzahl merkwürdiger, zum Theil
schön krystallisirender Verbindungen erhalten, deren Natur noch nicht
festgestellt ist
Mischt man Alkohol mit Schwefelsäurehydrat, so entsteht Aethjl- 648.
schwefelsaure (S- 677); erhitzt man das Gemisch, so wird, bei nicht
2U grossem Ueberschuss von Schwefelsäure, Aether gebildet (§§• 651);
wird endlich Alkohol mit viel Schwefelsäure erhitzt, so entsteht Aethy-
len := G^^^» Bei Einwirkung von Schwefelsäureanhydrid auf Alkohol
entstehen Verbindungen dieses zweiatomigen Radicals (Aethjlen) mit
Schwefelsäure: Carbylsulfat, Aethionsäure, Isäthionsäure.
Bei Einwirkung sehr vieler Substanzen auf Alkohol bleibt das Ra-
dical Aethyl unverändert ; alle diese Metamorphosen des Alkohols werden
gelegentlich der im Folgenden beschriebenen Aethjlverbindungen erwähnt
werden.
Alkoholate. Der Alkohol verbindet sich mit einigen Salzen etc.,
indem er gewissermaassen das Krjstallwasser vertritt (Krystallalkohol).
Man kennt die folgenden Verbindungen:
♦) Vgl. Gmelin, Handbuch IV. 700 ff.; Gerhardt, Trait6 IL 816.
verpuffendes Chlorplatin ^2^^^^^! Adde 6thyl-chloroplatimqae.
Ammoniakyerbindimg 62H3(NH4)Pt]0l2 ^thyl-chloroplatinate d'am-
moniaque.
entzündlicher Flatinsahniak eaH^Pt^Cla, KH4CI ^thyl-chloroplatinate de
chlomre d'ammonimn.
entzündliches Platinkalisalz eaH^PtaCI,, KCl ^thyl-chloroplatinate de
Chlomre de potasBiun.
400 Aeihyl Verbindungen.
ZnCl, + 2e,Hee
CaCl + 2e,H,e
CajO + 2e2Hee
MgNe, + SGjHeO
Die Verbindungen mit ZnCl^, CaCl und NOjMg werden durch Auflösen des
betreffenden Salzes in Alkohol und Abkühlen krystallisirt erhalten; die weniger
leicht zersetzbare Chlorcalciumverbindung kann auch durch Verdampfen dargestellt
werden.
Aethjlate. Der typische Wasserstoff des Alkohols ist durch Me*
talle ersetzbar (§. 616), der Alkohol verhält sich also gewissermaassen
wie eine Säure. Die Verbindungen mit Kalium und Natrium:
OH/
Alkoholkalium oder Kaliumäthyiat ' E \ ^
OH/
Alkoholnatrium oder Natriumäthylat ^Jof^
werden durch Eintragen von Kalium oder Natrium in völlig wasserfreien
Alkohol dargestellt. Sie sind beide krystallisirbar, die Ealiumverbindung
am leichtesten, und zerfallen mit Wasser zu Alkohol und Alkalihydrat
Eine entsprechende Zinkverbindung:
Zinkäthylat ^^gn!^
ist von Frankland durch Einwirkung von Sauerstoff auf Zinkäthyl er-
halten werden.
Aethyläthen (Aether, Schwefeläther, Aethyloxyd) = ^*h*|^
= ©4H10O.
Der Aether wurde 1640 von Yalerius Cordus entdeckt und als Oleum vitrioli
dulce beschrieben. Frobenius nannte ihn zuerst Aether. Später wurde der mit
Vitriolöl dargestellte Aether als Schwefelftther bezeichnet, um ihn von andern Aether-
arten zu unterscheiden. Val. Rose zeigte 1800, dass er keinen Schwefel enthält
Fourcroy und Vauquelin vermutheten, der Aether entstehe aus dem Alkohol durch
Verlust von Wasser; sie zeigten 1797, dass bei Destillation von Schwefelsäure und
Alkohol neben Aether auch Wasser auftrete. Die Analysen von Saussure 1807
und von Gay-Lussac 1816 bestätigten diese Vermuthung; beide hielten den Aether
und den Alkohol für Verbindungen von ölbildendem Gas mit Wasser, eine Ansicht,
die dann von Dumas und Boullay und von Mitscherlich weiter ausgedehnt wurde
(vgL §. 102). liebig nahm zuerst 1884 *) in beiden das Radical Aethyl an und
betrachtete den Aether als das Oxyd dieses Radicals, den Alkohol als Hydrat die-
ses Oxyds.
•} Ann. Chem. Pharm. DL 1.
Aethylftther. 401
Bildung des Aetbers. Der Aethjlftfher entsteht aus Alkohol 652.
oder andern Aethylverbindungen durch eine grosse Anzahl chemischer
Reactionen. Die für die Erklärung des Vorgangs der Aetherbildung wich-
tigsten und gleichzeitig die best untersuchten Bildungsweisen sind die
folgenden :
I. Lftsst man Aethyljodid (Bromid oder Chlorid) auf Alkoholkalium
einwirken, so entsteht Jodkalium und Aether*):
Aethyljodid. Alkoholkalium. Aether. Jodkalium.
n. Beim Erhitzen eines Gemenges von Alkohol und Schwefeisäure-
hydrat wird, bei einer Temperatur von etwa 140®, Aether gebildet Der
Aether ist dabei das Product zweier aufeinander folgenden doppelten Zer-
setzungen. Bei der ersten entsteht durch Einwirkung des Schwefelsäure-
hydrats auf Alkohol Aethylschwefelsäure und Wasser:
Schwefelsäure. Alkohol. Aethylschwefelsäure. Wasser.
Bei der zweiten wirkt die Aethylschwefelsäure auf ein weiteres Mo-
lecfll des in der Mischung noch unangegriffen vorhandenen Alkohols, ein
und erzeugt Aether, während Schwefelsäurehydrat regenerirt wird:
Aethylschwefelsäure. Alkohol. Schwefelsäurehydrat. Aether.
H e^H,
2)
^-jri;5r>s.r-4i(^ = ^.g + ^go
Da nach Verlauf dieser beiden Reactionen die ursprtingliche Schwe-
felsäure wieder regenerirt worden ist, so ist es einleuchtend, dass der
Process continuirlich sein kann. Lässt man nämlich zu dem erhitzten Ge-
misch von Alkohol und Schwefelsäure fortwährend neuen Alkohol zuflies-
sen, so wird dieser zum Theil von der vorhandenen Schwefelsäure in
Aethylschwefelsäure übergefahrt, zum anderen Theil von der vorhandenen
Aethylschwefelsäure in Aether umgewandelt. Bei dieser letzteren Reac-
tion wird aus der Aethylschwefelsäure wieder Schwefelsäurehydrat erzeugt,
welches von Neuem mit dem zufliessenden Alkohol Aethylschwefelsäure
bildet u. s, f. — Man kann also mit einer verhältnissmässig geringen
Menge Schwefelsäurehydrat eine grosse (der Theorie nach unbeschränkte)
*) Williamson, Jahresb. 1860. 469. — Ann. Chem. Pharm. LXXVIL 87.
K«kaU, orfM. Gheal«. 26
402 Aethyl Verbindungen.
Menge von Alkohol in Aether umwandeln. Wesentlich ist nur, dass das
in Zersetzung begri£fene Gemisch fortwährend die for den Verlauf der
beiden Reactionen nöthige Temperatur habe, d. h. dass es auf 140® —
145® erhitzt wird; denn erst bei dieser Temperatur wirkt die Aethjl-
Schwefelsäure auf Alkohol ein. Da das bei der Reactlon 1) erzeugte
Wasser zusammen mit dem durch die Reactlon 2) gebildeten Aether ab-
destillirt, so behält das Gemisch stets dieselbe Zusammensetzung, wenn
man genau so viel Alkohol zufliessen lässt, als Aether und Wasser ab-
destilliren. Die für die Zersetzung nöthige Temperatur wird einfach in
der Welse hergestellt, dass man ein Gemenge von Alkohol und Schwefel-
säure in solchen Verhältnissen anwendet, dass sein Siedepunkt bei 140®
— 145® Hegt
d58. Theorie der Aetherbildung. Die eben mitgetheilte Erklärong des
Vorgangs bei der Bildung des Aethers ist zuerst von Williamson gegeben und
durch eine Reihe sorgföltiger Yereache gestützt worden, die gleich näher bespro-
chen werden sollen. Die Aetherbildung gehört jetzt zu den am besten gekannten
chemischen Metamorphosen; ihre Erkenntniss hat es möglich gemacht, eine grosse
Anzahl anderer Reactionen in ähnlicher Weise zu erklären und hat wesentlich sa
den raschen Fortschritten, welche die organische Chemie in den letzten Jahren
gemacht hat und ganz besonders zur Entwicklung der jetzt herrschenden theoreti-
schen Ansichten beigetragen.
Man war firüher der Ansicht, die Schwefelsäure wirke durch ihre Verwandt-
schaft zum Wasser; sie entziehe dem Alkohol die Elemente des Wassers oder
auch das Wasser, welches man fertig gebildet im Alkohol annahm. (Alkohol =
C4H4.2HO; Aether = 64H4.HO oder Alkohol = C4H5.O + HO). Nachdem
man gefunden hatte, dass mit dem Aether auch Wasser abdestillirt und zwar eben-
soviel als bei der Zersetzung des Alkohols zu Aether und Wasser frei wird *),
gab man diese Erklärung als unhaltbar auf, weü man nicht annehmen konnte,
dass die Schwefelsäure Hihig sei dem Alkohol Wasser zu entziehen unter Bedin-
gungen, unter welchen sie dieses Wasser nicht einmal zurückzuhalten im Stande
ist. Indem man dann auf eine eigentliche Erklärung vollständig Versucht leistete,
nahm man an, die Schwefelsäure wirke nur durch Contact oder, wie man sich
auch ausdrückte, durch katalytische Kraft (Mitscherlich , Berzelius), der Al-
kohol spalte sich durch die Wirkung der katalytischen Kraft in Aether und Was-
ser. Die Bildung der Aethylschwefelsäure wurde von diesem Erklärungsversuch
(wenn man den Gebrauch eines Wortes so nennen kann) entweder vollständig un-
berücksichtigt gelassen oder man nahm an, diese Säure zerfalle zu Schwefelsäure
und Alkohol, der sich dann weiter spalte.
Der erste Versuch einer chemischen Erklärung der Aetherbildung wurde von
liebig ••) gemacht. Nach seiner Auffassung geht der Bildung von Aether bei Ein-
wirkung von Schwefelsäure auf Alkohol die Bildung von Aethylschwefelsäure vor-
aus. Die Aethylschwefelsäure = C4H5, O.SO, + HO. SO, zerfällt bei 126«— 140*
*) HitscherUch erhielt z. B. auf 80 Th. Aether 20,9 Th. Wasser; die Theorie
verlangt 19,5 Th. Wasser.
••) Ann. Chem. Pharm. (1884) IX. Sl; femer: ibid. ^yni 89-, ^^^ 129.
Aeiherbildong. 403
in Aether, Schwefelsäiirehydrat und wasserfreie Schwefelsäure. Bei dem Process
der continuirlidien Aetherdarstellung bildet das freigewordene Schwefdsäureliydrat
und ebenso die wasserfreie Schwefelsäure, indem sie sich vorher mit Wasser ver-
bindet, mit dem zuüiessenden Alkohol von neuem Aethylschwefelsäure, die in der-
selben Weise zerföllt. Zwei später wirklich vorgebrachte Einwände hatte diese
Theorie gleich von Anfang zurückgewiesen. Dass nämlich aus einem und dem-
selben Gemisch einerseits Wasser entweicht, während andererseits wasserfreie
Schwefelsäure frei wird, lässt sich so erklären, dass die freiwerdende wasser-
freie Schwefelsäure sich direct mit in der Nähe befindlichem Wasser verbindet,
während an anderen Stellen der die Flüssigkeit durchstreichende Aetherdampf
Wasserdampf mit fortreisst. Dass aber in einer und derselben Flüssigkeit gleich-
zeitig Aethylschwefelsäure entsteht und zersetzt wird , hat , worauf H. Rose noch
besonders aufmerksam machte, seinen Grund darin, dass durch den zuüiessenden
Alkohol nothwendig eine Abkühlung hervorgebracht wird, so dass die Aethyl-
schwefelsäure an den kälteren Stellen entsteht, um dann an den heisseren zu zer-
fiedlen *). Nachdem dann Mitscherlich gezeigt hatte, dass der Process der Aether-
bildung auch continuirlich ist wenn man statt Alkohol zufliessen zu lassen Alko-
holdampf einleitet, wodurch in keiner Weise Temperaturemiedrigung hervorgebracht
werden könne, wies L. Gmelin darauf hin, dass da, wo der Weingeist eintrete,
derselbe im Ueberschuss einwirke und so durch eine Art von Massenwirkung die
Bildung der Aethylschwefelsäure erleichtem könne.
Dass bei Temperaturen die niedriger sind als 126®, und namentlich bei einer
so verdünnten Aethermischung , dass ihr Siedepunkt unter 127® liegt, statt des
Aethers nur Alkohol abdestillirt, wurde dadurch erklärt, dass man annahm, in der
verdünnteren Flüssigkeit finde der freiwerdende Aether hinlänglich viel Wasser vor,
um sich im Entstehungsmoment (Statu nascenti) mit ihm zu Alkohol zu verbin-
den. In der concentrirteren Flüssigkeit fände er das dazu nöthige Wasser nicht
vor, insofern er an den Stellen, wo er frei werde, mit concentrirter Schwefelsäure
in Berührung sei, während an andern Stellen Wasser frei werde, mit welchem sich
der Aether jetzt, weil nicht mehr im Status nascens, nicht mehr verbinden könne.
In neuerer Zeit ist gegen diese Theorie der Aetherbildung noch eingewendet wor-
den ♦•), dass die Aethylschwefelsäure weder für sich noch mit Wasser auf 140®
erhitzt Aether gebe; beim Erhitzen mit Wasser entstehe Alkohol und nur beim
Erhitzen von Aethylschwefelsäure mit Alkohol werde Aether gebildet. (Es muss
beigefügt werden, dass diese Versuche in keiner Weise Beweiskraft besitzen; denn
wenn beim Erhitzen von Aethylschwefelsäure mit Wasser Alkohol und beim Er-
hitzen mit Alkohol Aether entsteht, so muss auch beim Erhitzen mit wenig Was-
ser Aether gebildet werden, indem erst Alkohol entsteht, der dann seinerseits auf
Aethylschwefelsäure einwirkt In der That erhielten auch Sertürner und Hennel
beim Erhitzen der concentrirten Säure Aether.)
Da die Theorie der Aetherbildung einer der Grundpfeiler der jetzigen ^54,
theoretischen Ansichten ist, so ist es geeignet, die Gründe etwas näher zu erörtern,
welche zu Gunsten der von Williamson gegebenen Erklärung sprechen.
Nach der älteren Ansicht und nach der von liebig gegebenen Theorie der
*) Vgl. auch: Ann. C9iem. XC. 50.
**) Vgl Jahresber. 1860. 456 und 458 (Graham, Lhermite, Buignet, Personne).
26 ♦
404 Aethylverbindangen.
Aetherbildung ist der Aether = C4H5O, d. h. er ist Alkohol, von welchem sich
Wasser (HO) abgelöst hat; nach Williamson's Ansicht ist der Aether Alkohol, in
welchem 1 At Wasserstoff durch Aethyl ersetzt worden ist Beide Ansichten un-
terscheiden sich wesentlich dadurch, dass die erste im Aether einmal das Radical
Aethyl annimmt; während nach der zweiten das Molecül des Aethers zweimal
das Radical Aethyl enthält. Man hat:
Aether =CA.O oder C«H..O ^ ög^^
Es ist einleuchtend, dass die erste dieser drei Formeln nur dann möglich ist, wenn
man dem Sauerstoff = 0 das Atomgewicht 8 beilegt; wenn man dagegen durch
Betrachtung der sftmmtlichen Sauerstoifverbindungen zu der Ansicht gekommen ist,
dass der Sauerstoff ein zweiatomiges Element ist, d. h. dass 0 := 20 = 16 die
geringste und untheilbare Menge von Sauerstoff ist ($$. 163 ff.) , so ist diese For-
mel an sich unmöglich und man muss den Aether durch eine doppelt so grosse
Formel ausdrücken.
Zu Gunsten dieser grösseren Molecularformel spricht auch die Dampfdichte
des Aethers. Wäre das Molecül Aether = C4H5O, so wäre der Dampf einvoln-
mig (vgl. §§.418 ff.), der Aether würde eine Ausnahme vomVolumgesetz (S§.396ff.)
büden; ist das Molecül Aether dagegen ^'j^*!^ ("oder c*H**o)' "^ ^^ ^^
Dampf, wie die bei weitem grösste Anzahl von Dämpfen zweivolumig.
Man weiss, dass im Allgemeinen die Aethylätherart einer einbasischen Säure
um 149 niedriger siedet als das betreffende Säurehydrat (vgl. §§. 476 ff.)- Z. B.:
Essigsäure. Essigäther.
^^»h|o Siedepunkt = 118«; ^^*^|e Siedepunkt = 74*
Vergleicht man die Siedepunkte des Alkohols und des Aethers:
Alkohol. Aether.
^^^je Siedepunkt = 78«; |*h»|o Siedepunkt = 34«
so findet man dieselbe Differenz von 44^. Man muss demnach annehmen, dass
der Aether zum Alkohol in derselben Beziehung steht, wie der Essigäther zur
Essigsäure, d. h. dass er Alkohol ist, in welchem 1 At H durch das Radical Aethyl
ersetzt ist *) (gewissermassen die Aethylätherart des Alkohols).
In der That ist auch die Bildung des gewöhnlichen Aethers der Bildung
dieser Aetherarten völlig analog. Man hat z. B.:
Aetliyljodid. Essigsaures Kali. Essigäther.
jri;5r7x^i^ = ^ + ^§Ct^ .
Aethyljodid. Alkoholkalium. Aether.
•) Will, Ann. Ctem. Pharm. XCL 273. Kopp, Ann. Chem. Pharm. XCVL 14.
Aediertxfldiiiig.
405
Besonders beweisend sind die von l^lliamson *) %wc Begründung seiner An-
sicht ingeBtellten Versuche. Lftsst man nftmlich Jodäthyl auf Kaliammethylat oder
Ifisst man Jodmethyl auf Kaliumfithylat einwirken, so entsteht in beiden Fällen
neben Jodkalium ein Aether, welcher gleichzeitig die beiden Alkoholradicale ent-
hält, der Aethyhnetfayläther.
Aethyljodid.
.(mZ
Kaliammethylat
Z5i^ =
Aethylmethyläther.
= KJ 4-
666.
Methy^odid.
>.
Kaliumäthylat
' ^1
Aethylmethylttther.
Kl e = KJ +
S:l<
Da nun der gewöhnliche Aether durch eine vollständig analoge Reaction
entsteht (siehe oben), so muss man annehmen, dass er auch analog zusammenge-
setzt ist, das heisst, dass er zwei Radicale enthält, die nur in diesem Falle
gleichartig sind, während sie bei den zwei zuletzt erwähnten Reactionen verschie-
den sind.
Wollte man annehmen, der gewöhnliche Aether sei: C4H5O und das Product
der ersten der folgenden drei Reactionen:
CAJ 4- °*"ioi = ^ + ^:
iH,0
C4H»0
C.H.J + ^*^^8( = KJ + gg.g(
CAJ + ^^i^ = KJ + g^jg}
seien zwei Molecöle Aether, so wäre nicht einzusehen, warum in den beiden an-
dern nicht ein Gemenge von zwei Aethem entsteht (Methyläther und Aethyläther),
sondern vielmehr eine Verbindung beider, d. h. ein gemischter Aether oder Dop-
peläther (der Aethylmethyläther). Da aber in den beiden letzten Reactionen ein
Doppeläther entsteht, der die beiden Alkoholradicale enthält, so muss man anneh-
men, dass auch bei der ersten ein einziges Molecül gebildet wird, welches die bei-
den Alkoholradicale (2 Aethyl) enthält
Abgesehen von dieser Analogie der Bildungsweise der einfachen Aether und 666.
der Doppeläther, spricht schon die Existenz der Doppeläther und ein verglei-
chendes Studium der physikalischen Eigenschaften der einfachen Aether und der
Doppeläther für die Ansicht, dass alle Aether zwei Alkoholradicale enthalten, die
ftlr die einfachen Aether gleichzeitig, für die Doppeläther verschieden sind. Man
hat eine fortlaufende Reihe von Aethern:
*) Ann. Chem. Pharm. LXXVÜ. 87.
406 Aetiiylverbindungen.
Siedepnnkt
MethylÄther ^» H« 0 = | gj |o — 21«
Methylfithylfither 6, H, O = ^J» |e + !!•
Acthyl&ther ^4 HioO = 0^*}^ 84«
Methylamyläther 6. Hi40 = e H* 1^ ^
Aethylbutyläther 6« H^^e = ^^^ }^ 80«?
Aethylamyläther 0, H,g0 = ^»^ |o 112«
Butyläther 6» Hig0 = ^«^ je 104«
Amylfither eioHjaO = 9^"}^ 176«
Die Doppeläther sind intermediär zwischen den einfachen Aethem (vg^L
§. 176) , alle Aether entsprechen 2 Vol. Dampf, die Siedepunkte wachsen für n€H,
nm annähernd 26®.
Will man dagegen die einfachen Aether mit der halben Formel darstellen,
so hat man zwei parallel laufende Reihen.
Einfache Aether. Siedepunkte. Doppeläther. Siedepunkte.
Methyläther Cj H,0 — 21® ; Methyläthyläther ^> j^« ^| + 11«
Aethyläther C4 H» 0 + 84» ; Methylamyläther ^> §» ^| 92*
Butyläther C, H, 0 104« ; Aethylbutyläther ^* ^» ^| 80« ?
Amyläther CioHnO 176« ; Aethylamyläthcr ^4 j^» ^| 112«
Die einfachen Aether enthalten 1 0, die Doppeläther 2 0; die ersteren ent^
sprechen 1 Vol. Dampf, die letzteren 2; fär die ersteren wäre die Siedepunkts-
differenz für nBHg doppelt so gross wie far die letzteren.
657. Besonders beweisend ist noch ein quantitativer Versuch von Berthelot"**).
Erhitzt man nämlich Aethylbromid mit weingeistiger Kalilösung, so entsteht Brom-
kalium und Aether. Wäre dieser = C4H5O, so könnte der Weingeist offenbar nur
•) Ann. Chem. Pharm. XCn. 861.
Aetherbildung. 407
als Lösungsmittel wirken, die Zersetzung würde nach der Gleichung erfolgen
müssen:
C4H5Br 4- KO = C4H5O -}- KBr
Damach entstünde aus 1 Hol. Aethylbromid , 1 MoL Aether; die von Ber-
thelot angewandten 22 Grm. hätten also 7,5 Grm. Aether geben müssen. Statt
dessen erhielt Berthelot 12 Grm. Aether, was bei den durch die Art des Versuchs
nothwendigem Verluste hinlänglich beweist, dass der Alkohol zur Bildung des
Aethers mitgewirkt hat und dass dieser p*ü*X} = <^*H*i^ ^^*' "^^^^ welcher
Formel 15 Grm. Aether hätten erhalten werden müssen.
Dass die Bildung des Aethers durch Schwefelsäure so verlauft wie oben 658.
(§. 652) angegeben wurde, — d. h. dass zunächst Aethylschwefelsäure entsteht,
die dann mit einem zweiten Molecül Alkohol von neuem doppelte Zersetzung zeigt
u. s. w. — ist von Wilüamson •) durch den folgenden Versuch festgestellt worden.
Lässt man zu Amylschwefelsäure 'oder auch zu dem erhitzten Gemisch von Amyl-
alkohol und Schwefelsäure gewöhnlichen Alkohol (Aethylalkohol) zufüessen, ge-
rade so virie dies bei der Darstellung des gewöhnlichen Aethers geschieht, so ent-
steht ein Doppeläther (der Amyläthyläther) und der Rückstand enthält, wenn man
die Destillation so weit fortsetzt, dass nur noch Aethyläther überdestillirt, keine
Amylschwefelsäure mehr, sondern nur Aethylschwefelsäure. Man hat:
Amylalkohol. Amylschwefelsäure.
Alkohol. Amylschwefelsäure. Amyläthyläther.
Alkohol Aethylschwefelsäure.
8)
ejCpr>Nr_|)jse. = ?)e + ^^^m.
Andere Bildungsweisen des Aethers. Wie oben er^rähnt 669«
entsteht der Aether durch eine grosse Anzahl von Reactionen (§. 652);
alle diese Reactionen können in derselben Weise erklärt werden, wie die
beiden dort näher besprochenen Bildungsweisen.
Im folgenden sind die wichtigsten dieser Bildungen zusammengestellt:
1) Aethyljodid wirkt unter starker Wärmeentwicklung auf trockenes Silberozyd
ein, es entsteht Jodsilber und Aether:
Aethyljodid. Silberoxyd. Aether.
*) Asa. Chem. Phann. LXZXI. 78. — Jahresber. 1861. 611.
408 Aethylverbindungeii.
Methy^odid wirkt ebenso, es entsteht Methylfither. Wendet man ein Ge-
menge von Aethyljodid und Methyljodid an, so erhält man Aethylmethyl-
äther (Wurtz) •).
2) Durch Erhitzen von Aethy^odid oder Bromid mit Alkohol anf 200* entsteht
Aether (Reynoso).
Aethylbromid. Alkohol. Bromwasserstoff. Aether.
8) Erhitzt man Aethyljodid oder Bromid mit Wasser auf 160* — 200*, so ent-
steht Aether (Frankland, Reynoso). Dabei wird zuerst Alkohol gebildet
nach der Gleichung:
Aethylbromid. Wasser. AlkohoL
Br.f^HTTNj; Hjjft = HBr + «»=^0
die Bildung des Aethers erfolgt dann nach 2).
4) Erhitzt man Chlorwasserstoff, Bromwasserstoff oder Jodwasser-
stoff mit Alkohol auf 200* — 240*, so wird Aether gebildet, indem zuerst
Aethylchlorid, Bromid oder Jodid entstehen, die dann nach 2) auf Alkohol
einwirken (Reynoso) ••).
6) Wie diese Wasserstoffsäuren, so liefern auch viele Hetallchloride (oder
Bromide) wenn man sie mit Alkohol destillirt oder zweckmässiger in zuge-
schmolzenen Röhren erhitzt Aether. Z. B.: Chlorzink (Hasson); Zinnchlorid
(Euhlmann); Chlormangan, Chlorkobalt, Chlomickel, Chlorkadmium, Eisen-
chlorür, Quecksilberchlorid etc. (Reynoso). Selbst Chlorcalciam und Chlor-
strontium geben, wenn man sie mit Alkohol auf 300* erhitzt, Aether
(Berthelot) •••).
6) Auch viele Schwefelsäuresalze geben, wenn man sie mit Alkohol auf
200* — 240* erhitzt Aether. Z. B. die schwefelsauren Salze von: Magnesia,
Manganoxydul, Eisenozydul, Zinkozyd, Cadmiumozyd, Eobaltozydul und
Uranozyd; femer: Schwefelsaure Thonerde, Alaun, Ammoniakalaun, Eisen-
alaun, Chromalaun etc. (Reynoso).
7) Auch Phosphorsäure und Arsensäure führen den Alkohol in Aether;
über-, ihre Wirkung ist der der Schwefelsäure völlig analog (Boullay).
660. Darstellung des Aethers. Zur DarstelluDg des Aethers ver-
fährt man gewöhnlich nach der von Boullay angegebenen Methode der
continuirlichen Aetherbereitung. Man erhitzt ein Gemisch von
9 Tb. englischer Schwefelsäure und 5 Th. Alkohol (von 90®) [etwa gleiche
Volume] in einem geeigneten Destillirapparat — im Grossen in einer
Blase mit gut gekühlter Vorlage — sobald ein in die Flflssigkeit eintan-
«) Jahresber. 1856. 686.
••) ibid. 1857. 564. — Ann. Chem. Pharm. CI. 100.
*•*) ibid. 1852. 6U. — Ann. Chem. Pharm. LXZXUI. 104.
Aetiiyläthe
409
chendes Thermometer 140^ zeigt, l&sst man durch ein unter dem FltLssig-
keitsniveau ausmündendes Rohr fortwährend Alkohol zufliessen, so dass
das Niveau der Flüssigkeit stets dasselbe bleibt und die Temperatur des
erhitzten Gemisches zwischen 140^—145® schwankt.
Das Destillat trennt sich bei gut geleiteter Operation in zwei Schich-
ten, es wird zur Entfernung der schwefligen Säure mit Kalkmilch oder
Kalilauge geschüttelt und im Wasserbad rectificirt Zur weiteren Reini-
gung, namentlich zur Entfernung des Alkohols, wird noch wiederholt mit
Wasser gewaschen, über Chlorcalcium getrocknet und rectificirt.
Eigenschaften. Der Aether ist eine farblose, leicht bewegliche 661.
Flüssigkeit, von eigenthümlichem (ätherartigem) Geruch und brennendem
Geschmack. Er ist leichter als Wasser (spec. Gew. = 0,736) und mit
demselben nur wenig mischbar. 9 Th. Wasser lösen 1 Th. Aether, 36
Th. Aether Idsen 1 Th. Wasser. Er mischt sich mit Alkohol und Holz-
geist in allen Verhältnissen. Er brennt mit leuchtender Flamme.
Der Aether siedet bei 34,5® und verdunstet daher rasch und unter
starker Kälteerzeugung. Sein Dampf ist sehr schwer, spec. Gew. = 2,586
(Gaj-Lussac) und fliesst daher nodi leichter als Kohlensäure an den
Wänden der Gefässe und am Boden hin. Da der Dampf, wie der flüs-
sige Aether, sehr brennbar und sehr leicht entzündlich ist und sogar mit
Luft ein ezplodirendes Gemenge bildet, so ist bei Handhabung nament-
lich grösserer Mengen besondere Vorsicht nöthig.
410 Aethylverbindtingen.
Der Aether löst in geringer Menge Schwefel und Phosphor; er löst
Brom, Jod, Ooldchlorid, Platinchlorid, Eisenchlorid, Quecksilberchlorid etc.,
ferner sehr viele organische Stoflfe: Oele, Fette, Harze u. s. w.
Der Aether oxjdirt sich leicht, schon durch den Sauerstoff der Luft.
In Berührung mit Platinschwamm oder feinem Platindraht zeigt er die-
selben Erscheinungen wie der Alkohol und liefert, wie es scheint, diesel-
ben Producte. Salpetersäure oxjdirt ihn leicht unter Bildung von Koh-
lensäure, Essigsäure, Oxalsäure, Salpetrigäther etc., auch Chlorsäure und
Bromsäure wirken oxydirend. — Chlor wirkt so lebhaft ein, dass jede
zutretende Blase unter Feuererscheinung und Schwärzung verschwindet
Mässigt man die Einwirkung, so entstehen Substitutionsproducte (§§. 686).
Schwefelsäureanhydrid vereinigt sich mit Aether zu Schwefelsäureäthyl-
äther; Schwefelsäurehydrat gibt Aethylschwefelsäure etc. Beim Erhitzen
von Aether mit Salzsäure entsteht Aethylchlorid ; PhosphorchlorOr wirkt
erst bei 180® auf Aether ein unter Bildung von Aethylchlorid.
662. Aethylwasserstoff: öjHj . H. Der Aethylwasserstoff wurde 1 848
von Frankland und Eolbe *) durch Einwirkung von Kalium auf Cyan-
äthyl (§. 667) zuerst dargestellt, damals aber ftir Methyl gehalten. 1850
zeigte Frankland , dass es durch Einwirkung von Wasser auf Zinkätbjl
entsteht und dass es folglich auch dargestellt werden kann, wenn Aethyl-
jodid mit Zink und etwas Wasser in einer zugeschmolzenen Röhre (vgl.
8. 627) einige Stunden lang über 150® erhitzt wird **).
Der Aethylwasserstoff ist ein färb- und geruchloses Gas, bis jetzt
nicht zu einer Flüssigkeit verdichtet. Es löst sich sehr wenig in Wasser
(§. 491), mehr in Alkohol (1 VoK Alkohol absorbirt bei 9® und 665,5
M. m. 1,22 Vol. Gas). Es brennt mit bläulicher nicht leuchtender Flamme.
Chlor wirkt auf Aethylwasserstoff ein und erzeugt wie es scheint Substita-
tionsprodacte. Bei Einwirkung gleicher Volume im zerstreuten Tageslicht ent-
steht ein Gas: 62H5CI, welches von Aetliylchlorid (§. 664) verschieden zu sein
scheint, indem es bei — 18^ noch gasförmig und in Wasser weit löslicher ist als
Aethylchlorid. — 2 Vol. Chlor mit 1 Vol. Aethylwasserstoff geben ein flüssiges
Product, wahrscheinlich 63H4CI3.
662. Aethyl: 62^6. 62H5. Von Frankland 1849 entdeckt. Löwig
hatte schon früher versucht, das Aethyl durch Einwirkung von Kalium
auf Aethylchlorid und Aethylbromid darzustellen. Pogg. Ann. XLV. 346.
Man erhält es, indem man Jodäthyl mit metallischem Zink in einer zuge-
schmolzenen Röhre auf 150 erhitzt Es entsteht dabei zunächst Zinkäthyl,
welches dann von Jodäthyl weiter angegriffen wird (vgl Zinkäthyl)«
Nach beendigter Reaction enthält die Röhre eine leicht bewegliche Flas-
sigkeit (durch Druck verdichtetes Aethyl). Beim Oeffnen entweicht zuerst
•) Ann. Chem. Pharm. LXV. 269.
•«) ibid. LXXL 208.
Aethyl. 411
Aetbylwasserstoff and Aethylen, später, wenn die Gasentwicklung ruhiger
geworden ist, reines Aethyl ♦).
Das Aethyl entsteht auch durch Einwirkung von Quecksilber auf
Jodäthyl im Sonnenlicht **). Wenn man in mit Quecksilber gelullte und
umgestfirzte Ballons einige Tropfen Jodäthyl bringt, und sie dem Sonnen-
licht aussetzt, so entwickelt sich rasch ein Gas, welches Frankland aus
Aethyl: 67,76%, Aethylwasserstoflf: 17,90 »/o und Aethylen: 14,34 %
bestehend fand.
Das Aethyl ist ein farbloses, schwach ätherartig riechendes Gas,
welches bei 4~ ^^ unter einem Druck von 2^/2 Atmosphären flüssig wird
und bei etwa — 23® siedet. Es ist in Wasser wenig löslich (§. 491),
leicht löslich in Alkohol (1 Vol. absorbirt bei 14® und 745 M« m. Druck
18 Volumina).
Das Aethyl verhält sich den meisten Reagentien gegenüber völlig indifferent
Es ist bis jetzt nicht gelungen, eine andere Aethylverbindung aus ihm darzustellen.
Ton Chlor wird es im zeiBtrenten Tageslicht angegriffen; das flüssige Prodact
scheint nicht Aethylchlorid, sondern ein Substitationsproduct zu sein.
Aethylderivate einbasischer Säuren.
Aethylchlorid. Chloräthyl. Salzsäureäther: 62H5.CI. Es ent- 664.
steht bei Einwirkung von Salzsäure auf Alkohol oder Aether, ferner wenn
die Chlorverbindungen des Phosphors bei gewöhnlicher Temperatur auf
Alkohol oder bei erhöhter Temperatur auf Aether einwirken. Auch beim
Erhitzen von Alkohol mit Chlorschwefel, Chlorantimon, Chlorzinn, Chlor-
zink etc. wird Aethylchlorid gebildet.
Zur Darstellung sättigt man entweder Alkohol mit Salzsäoregas, lässt es
einige Zeit stehen und destUürt dann, oder man erhitzt ein Gemenge von Alkohol
(6 Th.) und Schwefelsfiure (5 Th.) mit Kochsalz (12 Th.). Die entweichenden
Dämpfe werden mit Wasser von 20® gewaschen, über Chlorcalciam getrocknet
und in stark abgekühlter Vorlage verdichtet
Das Aethylchlorid ist eine leicht bewegliche Flüssigkeit von äther-
artig durchdringendem Oeruch. Es siedet bei 4" 11<^, löst sich wenig in
Wasser, in allen Verhältnissen in Alkohol und Aether. Es brennt, wie
die meisten organischen Chlorverbindungen, mit grüngefärbter Flamme.
Das Aethylchlorid zeigt mit anderen Substanzen leicht doppelte Zer-
setzung, in alkoholischer Lösung häufig bei gewöhnlicher Temperatur, in
vielen Fällen nur beim Erhitzen. Dabei entsteht Chlorwasserstofifsäure
oder Chlormetali, während das Radical Aethyl an die Stelle des Wasser-
stoffs oder Metalls tritt. Das Aethylchlorid kann desshalb zur Darstellung
vieler anderer Aethylverbindungen verwendet werden.
*) Ann. Chem. Pharm. LXXL 174.
••) ibid. LXXVn. 221.
412 AeChylverbindimgen.
Leitet man Aethjlohlorid durch eine glühende Röhre, oder zweck-
mässiger aber erhitzten Natronkalk, so zerf&llt es zu Salzs&nre und
Aethylen:
Aethylchlorid. Aethylen.
©A.Cl e,H4 + HCL
Chlor wirkt im zerstreuten lichte langsam, im Sonnenlichte rasch ein
und bildet Substitutionsproducte ($. 690).
665. Aethylbromid. BromäÜiyl: OsHs.Br. — (Serullas 1827.) Man
bereitet es durch gleichzeitige Einwirkung von Brom und Phosphor auf
Alkohol.
40 Th. Brom und 8,2 Th. Phosphor werden in kleinen Uengen in abgekfibl-
ten Alkohol (32 TL) eingetragen, direct deatillirt, das Product mit Wasser geföllt,
mit Wasser und etwas Kali oder Soda gewaschen, über Chlorcalciiim getrocknet
and rectifidrt (Beynoso).
Das Aethylbromid ist eine farblose, ätherartig riechende Flüssigkeit,
die bei 40,7^ siedet Es verhält sich im Allgemeinen wie Aethylchlorid,
zeigt aber noch leichter doppelte Zersetzung.
666. Aethyljodid. Jodäthyl: OjH^.J. (6ay-Lussao 1815.) Es wird,
wie das Bromid, durch gleichzeitige Einwirkung yon Jod und Phosphor
auch Alkohol erhalten.
Man trägt entweder das Jod und den Phosphor portionenweise in den Alko-
hol ein (Frankland empfiehlt: 7 Th. Phosphor, 28 Th. Jod, 35 Th. Alkohol; Bey-
noso: 16 Th. Phosphor, 30 Th. Alkohol, 60 Th. Jod). Oder man übergiesst 10 Th.
Jod mit 10 Th. Alkohol, und trägt unter Abkühlen 1 Th. Phosphor aUmShüg ein
(Lautmann). Oder man operirt in 2 Kolben, indem man in dem einen Jod in Al-
kohol löst und die klare abgegossene Lösung im anderen Kolben auf Phosphor
einwirken lässt Die Wirkung des Phosphors muss das erstemal durch Erwärmen
eingeleitet werden*, sobald die Flüssigkeit entfärbt ist, giesst man in den andern
Kolben und löst von neuem Jod; man giesst dann wieder in den den Phosphor
enthaltenden Kolben und unterstützt die Wirkung, die jetzt ohne weitere Erhitzung
erfolgt durch Umschütteln. Man kann endlich den Phosphor mit Alkohol über-
giessen und das Jod y ermittelst eines leinenen Tuches an der Oberfläche der Flüs-
sigkeit aufhängen. Man destillirt dann, fällt das Destillat mit Wasser, setzt dem
ausgefüllten Aethyljodid zur Entfernung von freiem Phosphor etwas Jod zu, bis es
selbst bei längerem Stehen gefärbt bleibt, entzieht das überschüssige Jod durch
Schütteln mit Quecksilber, beigemengte Säuren mit Bleiozyd, entwässert Über Chlor-
caldum und rectificirt.
Das Aethyljodid ist frisch bereitet farblos, es riecht eigenthttm-
lich ätherartig, etwas an Knoblauch erinnernd. Siedepunkt 72,2^ (Frank-
land). Spec. Gew. 1,946 bei 16®. — Es ist unlöslich in Wasser, mit Al-
kohol mischbar. Es zeigt noch leichter doppelte Zersetzung als das
Aethylbromid und bildet z. B. beim Erhitzen mit Wasser auf 150® Jod-
wasserstoffs&ure und Aether. Es bräunt sich bei längerem Stehen, be-
sonders rasch bei Einwirkung des Lichtes unter Freiwerden von Jod.
Aethylderiyate einbasischer Säuren. 413
Aethylflnorür soll nach Reinsch durch Einwirkung von Flasssttare auf
Alkohol entstehen. Es ist noch nicht nfther nntersncht
Aethyl Cyanid. Cyanäthyl. Propionitril: «jHjN = GjH^.eN 667.
(Pelouze 1834). Destillirt man äthylschwefelsaures Kali (iVs — ^ Th.)
mit Cyankallum (1 Th.), oder erhitzt man längere Zeit Jodftthyl (2 Th.)
mit Cyankalium (1 Th.) unter Zusatz von Alkohol und destillirt dann
(Willi am 8 od), so erhält man Aethylcyanid als bei 88^ siedende Flüs-
sigkeit. Nach diesen Bildungs weisen erscheint dieser Körper als Cyan-
Verbindung des Radicals A e t h y L Nach seinen Zersetzungen, nament-
lich insofern er beim Behandeln mit Kalilauge Propionsäure und Ammo-
niak gibt:
Aethylcyanid. Propionsäure.
ejHj.ON + 2H,0 = e^e, + nh,
kann er betrachtet werden als ein Rest des Propionsäuren Ammoniaks,
als Propionitril. Man erhält in derThat dieselbe Substanz, wenn man
propionsaures Ammoniak oder P^opionamid mit Phosphorsäureanhydrid
erhitzt
Das Cyanäthyl wird später als dem Ammoniaktypus zugehörige Ver-
bindung des Radicals: OJ^^ näher beschrieben, hier muss nur erwähnt
werden , dass bei Einwirkung von Kalium auf wasserhaltiges Cyanäthyl
(neben Kyanäthin) Cyankalium und Aethylwasserstoff erzeugt wird. (Kolbe
und Frankland) *) vgl. $. 662.
Aethylcyanid. Aethylwasserstoff.
GjHj.eN + H,e -f K, = OA-H + eN.K 4- KHO
Aethyl nitrit, Salpetrigäther, Salpeteräther: O^Hs.NO^. (Kunkel 668.
1681; Dumas und Boullay). Wie oben erwähnt ($. 647) wirkt Salpeter-
säure auf Alkohol sehr heftig ein; während ein Theil des Alkohols oxy-
dirt wird, gibt ein anderer mit der aus der Salpetersäure entstehenden
salpetrigen Säure Salpetrigsäureäther.
Destillirt man ein Gemenge von Alkohol und Salpetersäure (gleiche Theüe
Alhohol von 35^ und Salpetersäure von 82^, Thenard), indem man bis zum Ein-
treten der Reaction erwärmt und dann das Feuer entfernt, so verdichtet sich in
den als Vorlage dienenden WoalfTschen Flaschen, die zur Hälfte mit Salzwasser
gefüllt sind, eine leichtere Flüssigkeitsschicht, die man ftlr sich rectificirt und dann
noch über etwas gebrannten Kalk stellt. Berzelius empfiehlt nach Black's Vor-
schrift Alkohol (9 Th.), Wasser (4 Th.) und rauchende Salpetersäure (8 Th.) in
einem Glascylinder zu schichten, 2--3Tage stehen zu lassen und die obere Schicht
durch Destillation zu reinigen.
Zweckmässiger ist es, nach Liebig, die aus Stärkemehl und Salpetersäure
entwickelte salpetrige Säure durch verdünnten und abgekühlten Alkohol zu leiten
*) Ann. Chem. Pharm. LXV.
414 Aethylverbindnngen.
and die entweichenden Dftmpfe zu verdichten. Oder man destillirt direct (nach
Grant) gleiche Volume Alkohol mit Salpeters&ure^ St&rkemehl oder auch Zucker,
oder (nach E. Kopp) mit Eupferspänen.
Das Aethylnitrit ist eine gelbliche, nach Aepfeln riechende Flüssigkeit, die
sich mit Alkohol in allen Verhältnissen mischt, in Wasser aber wenig löslich ist
(48 Th. Wasser). Es siedet bei ^ 18®. Beim Aufbewahren zersetzt es sich, nsr
mentlich bei Gegenwart von Wasser, unter Freiwerden von Stickoxyd und häufig
mit Zersprengen der Gefösse. Von Schwefelwasserstoff (oder Schwcfelammonium)
wird das Aethylnitrit reducirt nach der Gleichung:
Aethylnitrit Alkohol. -
OaHj.Ne, + 8HaS = Bfi.^ + NH, + EjO + SB,
Der Salpeteräther der Fharmacopöen, (Spiritus nitrico-aethereus oder
nitri dulcis) ist eine Auflösung von Aethylnitrit in Alkohol oder auch das (durch
Schütteln mit Potasche von fireier Säure befreite) Product der Destillation eines Ge-
menges von Schwefelsäure mit viel Alkohol.
Salpetersäure-Aethyläther: ^^ |o (Miilon 1843). — Naefa
dem was eben über die Einwirkung der Salpetersäure auf Alkohol ge-
sagt wurde, ist es. klar, dass durch Destillation eines Gemenges beider
Substanzen kein Aether der Salpetersäure erhalten wird; setzt man aber
dem Gemisch etwas Harnstoff zu, der, wie die meisten Amide, alle etwa
freiwerdende salpetrige Säure augenblicklich wegnimmt, so wird Salpeter-
Bäureäther erhalten.
Man destillirt, zweckmässig nicht mehr als 150 Grm., einer Mischung von
1 Vol. Salpetersäure und 2 Vol. Alkohol unter Zusatz einiger Gramme Harnstoff
oder salpetersauren Harnstoff; füllt das Product mit Wasser, trocknet mit Ohlor-
calcium und rectificirt.
Der Salpetersäureäthjläther siedet bei 86®, riecht angenehm ätherisch
und schmeckt süss. Er brennt mit weisser Flamme; sein Dampf über
den Siedepunkt erhitzt, explodirt beim Entzünden. Durch Erhitzen mit
alkoholischer Ammoniaklösung auf 100<^ gibt er salpetersaures Aetlijl-
amin :
Salpetersänreäther. Aethylamin.
[H jX^ e^H,] ^ j e^H»
H
H
^^ H Ne.
l\o = »11* + ""^'
Ton Sohwefelammonium wird er leicht reducirt, nach der Gleichung:
Salpetersäureäther. Mercaptan.
6A(Nea)0 + 6H,e = ejH^S + NH, + 8H,0 + 39,
Aethylderivate einbaBiBcher Sftnren.
415
Ueberchlorsfture&thylftther: 62H5.CIO4. (Clarke, Hase u. Boyle 1841).
Die einzige bekannte Aetherart einer Sauerstoffsäure des Chlors, wird durch Destillation
von überchlorsanrem Barjrt und äthylschwefelsaurem Baryt (in Mengen von höchstens
6 Gr.) erhalten^ indem man die Temperatur* nur über 170^ steigen lässt. — Dieser
Aether ist eine angenehm riechende, in Wasser unlösliche Flüssigkeit. Er kann
mit Wasser bis zum Sieden erhitzt werden. In reinem Zustande ist er leicht zer-
setzbar und ezplodirt beim Entzünden, Erhitzen, Reiben oder Stossen, bisweilen
sogar ohne sichtbare Veranlassung.
Durch Destillation von Ueberchlorsäure mit Alkohol wird kein üeberchlor-
säureäther, sondern nur gewöhnlicher Aether erhalten.
Cyans&ureftthyläther: ^^|o. Von Wurtz 1848 ♦) entdeckt.» 670.
Er entsteht, neben Cjanursänreäthyläther (§. 682), bei Destillation von
cyansaurem Kali mit äthylschwefelsaurem Kali. Farblose Flüssigkeit, von
stechendem Geruch, stark zu Thränen reizend, Siedepunkt 60®.
Der Cyansäureäthyläther verhält sich den meisten Reagentien ge-
genüber der Cyansäure völlig analog , mit dem Unterschied, dass das ent-
stehende Product an der Stelle von Wasserstoff das Radical Aethyl ent-
hält. Es gibt so ein Mittel eine grosse Anzahl äthylhaltiger Verbindungen
darzustellen.
Alle diese Zersetzungen werden später ausführlicher besprochen werden (siehe :
Amide der Kohlensäure). Wir stellen hier die wichtigsten zusammen, um die Ana-
logie im Verhalten der Cyansäure und des Cyansäureäthers zu zeigen:
Cyansäure. Harnstoff.
1. eN.OH + NH, = eNaOH«
II.
Cyansäure-
fithylfither.
+
Aethylhamstoff.
NH, = eNaOHaCejH»)
Cyansäure.
GN.OH
+
HaO = NH, +
■©Oj
Cyansfture&ther.
6N.e(e^,)
+
Aethylamin.
H,e = NHaCeA) +
V/t/j
und da das entstehende Aethylamin sich (wie das Ammoniak Nr. I.) mit Qyan-
säureäther verbindet, so hat man femer:
Cyansäureäther. Aethylamin. Diäthylhamstoff.
eNe(eaH5) + NHa(eaH^ = 6NaeHj(eaH»),
m.
Cyansäure.
eNOH
+ 2KHe
Kohlens. Kali.
= NH, -p OG',Kj
*) Ann. Chem. Pharm. TiXXT. 827.
416 Aethylverbindongen.
Cyansäureäther. Aethylamin.
6Ne(eA) + 2KHe = NHjCeaHj) + e0,Ka
Cyansäareäther. Alkoholnatriam. Triäthylamin.
vgl. Stickstoffbasen der Alkoholradicale , §§. 709 ff. und ferner : Aethylacetamid,
Aethyldiacetamid.
Der Gjansäure&thyläther Terbindet sich direet mit Salzs&ure zu einer
bei 95® siedenden Verbindung p h (^ "^ HCl*) die von Wasaer raach
sersetzt wird zu Eohlens&ure und aalzsaurem Aethjlamin.
672. Sulfooyansäure&thyläther. Sulfocyan&thjl: ^ ^ > 9; entsteht
durch doppelte Zersetzung aus Sulfoejankalium und Athylschwefelsaurem
Kali oder auch Aethylchlorid. Lauchartig riechende Flflssigkeit^ die bei
146® siedet. Von starker Salpetersäure wird es zu &thylschwefliger Säure
(S* 076) oxydirt Kalilösung (namentlich alkohoUsche) und eine alkoho-
lische Lösung von Schwefelkalium wirken zersetzend; man hat:
SiüfocyanäthyL Kalihydrat Aethylsolfid. Cyankaliam. Cyansaores
KalL
2 6N.6(6,H») + 2KHe = (ß^E^^S + 6N.K + 6N0K + H,e
SulfocyanäÜiyl. Kaliumsnlfld. Aethylsulfid. Sulfocyankaliom.
2eN.Ö(ejHj) + K,S = (ejH^aS + 2eNßK.
Aethylderivate zweibasischer Säuren.
678. Aethjlsulfhydrat. Aethylmercaptan. Mercaptan*^), Schwefel-
6 H /
alkohol: 'q|B; von Zeise ***) 1833 entdeckt Das Aethylmercaptan
^tsteht aus Kaliumsulfhydrat durch Austausch des Kaliums gegen AethyL
Es entsteht auch durch Einwirkung von Schwefelphosphor auf Alkohol.
Man sättigt alkoholische Kalilösung mit Schwefelwasserstoff, leitet in das so
erhaltene KaÜamsulfhydrat Aethylchlorid bis zur Sättigung und destillirt unter fort-
währendem Einleiten von Aethylchlorid. Oder man destillirt eine wässrige Lösung
▼on Kaliumsulfhydrat von 1,8 spec. Gew. mit dem gleichen Volum einer Lösung
YOn äthylschwefelsaurem Kalk von demselben spec Gew. (Liebig). Das Destillat
wird mit Wasser gefallt, die aufschwimmende Schicht mit Chlorcalcium entwässert
und rectifidrt. *
^) Habich u. limpricht, Ann. Chem. Pharm. dX. 107.
*^) Der Name Mercaptan ist dem Aethylsulfhydrat von Zeise gegeben worden,
um die grosse Verwandtschaft dieses Körpers zu Quecksilber auszudrücken
(Ifercurlo aptum).
**^} Ann. Chem. Pharm. XL 1.
Aethylmercaptan. 417
Das Aethylsalfbydrat ist eine farblose Flüssigkeit von ausnehmend
unangenehmen zwiebelartigem Geruch. Spec. Gew.: 0,835; Siedep.: 36^
— Es brennt mit blauer Flamme und erstarrt durch die bei raschem Ver-
dunsten (an einem Glasstab z. B.) erzeugte Kälte zu einer weissen blättri-
gen Masse.
Das Aethylmercaptan kann den typischen Wasserstoff gegen Me-
talle austauschen (vgl. §. 209), es erzeugt so salzartige Verbindungen: '
die Mercaptide. Die Kalium- und Natriumverbindung werden durch
Auflösen des Metalls in Mercaptan erhalten. Viele Metallsalze, nament-
lich Bleizucker und Quecksilberchlorid, geben mit alkoholischer Lösung
von Mercaptan Niederschläge. Die, für das Mercaptan charakteristische,
Quecksilberverbindung wird auch durch Auflösen von Quecksilber-
oxyd in alkoholischer Mercaptanlösung und Erkalten oder Verdunsten der
Flüssigkeit in weissen glänzenden Krystallen erhalten, sie schmilzt bei 85®.
Die Zinkverbindung ist von Frankland durch directe Vereinigung von
Schwefel mit Zinkäthyl erhalten worden.
Von Salpetersäure wird das Mercaptan zu äthylschwefliger Säure
oxydirt
Aethylsulfid. Schwefeläihyl: ^ jj^js. (Döbereiner, Regnault) 674.
Wird erhalten, indem man in alkoholische Lösung von Kaliumsulfid (al-
koholische Kalilösung, die zur Hälfte mit Schwefelwasserstoff gesättigt ist)
Aethylchlorid einleitet und bei fortwährendem Durchleiten von Aethyl-
chlorid destillirt. Es ist eine farblose, unangenehm knoblauchartig rie-
chende Flüssigkeit, die bei 91^ siedet.
Das Aethylsulfid gibt mit einigen Metallchloriden krystallisirbare
Verbindungen. Man erhält sie durch Fällen der wässrigen oder besser
alkoholischen Lösungen. Z. B. : Aethylsulfid-Quecksilberchlorid : (62^5)2^^
-f- HgS; Aethylsulfid-Platinchlorid: (e2H5)2S + PtClj.
Salpetersäure oxydirt das Aethylsulfid unter Bildung von äthyl-
schwefliger Säure. Chlor wirkt substituirend (vgl. §. 686), die Einwir-
kung ist so heftig, dass sich das Aethylsulfid beim Eintropfen in eine
Ghloratmosphäre entflammt.
Aethylbisnlfid. (Zweifach Schwefelmethyl. Thialöl.): (ß2^5h^i (Zeise
18S4), entsteht bei Destillation von mehrfach Schwefclkaliam mit äthylschwefel
saurem Kali. Es siedet bei 151*^. Gleichzeitig entsteht eine höher siedende und
schwefelreichere Flüssigkeit, wahrscheinlich Aethyltrisulßd = (62H5)aSr,. — Durch
Oxydation mit Salpetersäure gibt das Aethylbisnlfid fithylschweflige Säure.
Selenverbindungen des Aethyls. — Das Selenmercaptan: 675.
Hi^® ist von Siemens*) erhalten worden, es ist dem Mercaptan sehr ähnlich.
^) Ann. Chem. Pharm. LXL 860.
Kck«U, orgao. Chemie. 27
418 Aethyl Verbindungen.
Das Selen äthyl: ^'u*JSe haben Löwig und Joy*) untersucht; es weicht
von dem analog zusammengesetzten Aethylsulfid in seinen Eigenschaften in bemer-
kenswerther Weise ab, insofern es, ähnlich wie ein Metall, sich mit Sauerstoff,
Chlor etc. zu verbinden vermag.
Tellur äthyl: (6jH^)aTe. Von Wöhler**) durch Destillation von Tellur-
kaliura mit äthylschwefelsaurem Kali erhalten, zeigt diese basischen Eigenschaften
in noch hervortretenderem Maasse. (Beide Verbindungen werden später beschrie-
ben werden.)
676. Aethyläther der schwefligen Säure. Die schweflige Säure
bildet zwei Aether und ausserdem ein Aetherchlorid (vgl. §. 353).
Aethylschweflige
Schwefligsäure-
Aethylsulfurjl-
Säare.
äthyläther.
Chlorid.
e^H.
eA
e,H,
^^:o
90J.CL
Aethylschweflige Säure. (Aethyldithionsäure.) Entsteht durch
Oxydation von Aethj Isulfhydrat ***) , Aethylbisulfid und Sulfocyanäthyl
mit Salpetersäure. Zur Reinigung stellt man das aus Wasser und Alko-
hol leicht krystallisirbare Bleisalz dar und zersetzt mit Schwefelwasser-
stoff. Beim Eindampfen im Wasserhad erhält man einen Syrup, der bei
längerem Stehen krystallisirt. Die Säure ist sehr zerfliesslich und auch
in Alkohol löslich. Die Salze sind löslich und meist krystallisirbar; bei
Einwirkung von Phosphoroxychlorid geben sie Aethylsulfurylchlorid.
Schwefligsäure - Aethyläther. Von Elelmen und Bouquet
1845 durch Einwirkung von Halbchlorschwefel auf Alkohol erhalten. Es
entsteht auch durch Einwirkung von Chlorthionyl f ) auf Alkohol. (Carius.)
•) Ann. Chem. Pharm. LXXXVI. 851.
••) ibid. LXXXIV. 69. Löwig u. Weidmann 1836; H. Kopp, Ann. Chem. Pharm.
XXXV. 846; Muspratt, ibid. LXV. 251.
^**) Das nach Löwig und Weidmann bei dieser Oxydation des Mercaptans zuerst
entstehende, bei 180<^ — 140® siedende Oel, dessen Zusammensetzung von die-
sen Chemikern = O^H 10^2^2 gefunden wurde, ist wohl Schwefligsäure-
Aethyläther, in welchem 1 At. 0 durch S ersetzt ist:
Es entspräche dann den Aethem der Sulfophosphorsäure (§. 661).
f ) Das Chlorthionyl wird zweckmässig durch Erhitzen von trocknem schweflig-
saurem Kalk mit Phosphoroxychlorid auf 150®, oder noch besser durch Ein-
wirkung von schwefliger Säure auf Phorphorsuperchlorid erhalten. Es sie-
det bei 80®. (Carius, Ann. Chem. Pharm. CXI. 94.)
Aethylfither der schwefligen Säure. 419
Zur Darstellung lässt man zweckmässig absoluten Alkohol im Ueberschuss
tropfenweise zu abgekühltem Chlorthionyl oder zu Halbchlorschwefel fliessen und
destillirt
Die Einwirkung erfolgt bei Chlorthionyl nach der Gleichung:
Chlorthionyl. Alkohol. Schwefligsäure-
Aether.
cijse + 2^a^^|e = (eaH^),.se3 + 2hci.
Da das Chlorthionxl als Chlorid des Radicals: SO betrachtet werden kann,
so kann man die Zersetzung auffassen als:
C],
&e
«»H,
und demgemäss den Schweiligsäure-Aethylätfaer durch eine vom doppelten Wasser-
typ sich herleitende Formel darstellen.
Bei Einwirkung von Halbchlorschwefel auf Alkohol wird, wie es scheint,
erst Chlorthionyl gebildet, welches dann auf Alkohol und wahrscheinlich auch auf
das entstandene Mercaptan einwirkt:
Halbchlorschwefel. Alkohol. Chlorthionyl. Mercaptan.
1) SjCl, + ^2^J0 = SOCl, + ^a^^js
Chlorthionyl. Mercaptan. Schwefligsäure- Aethylchlorid.
Aethyläther.
2) 3 &eaa + 4 e^H^S 003.(6^)2 + 2 e^HjCl + 4 HCl + 8 6j
Nach dieser Reaction kann der Halbchlorschwefel als geschwefeltes Chlor-
thionyl betrachtet werden (Carius) ♦).
Der Schwefligsäure- Aethyläther ist eine nach Pfeffer oiünzöl riechende
Flüssigkeit, die bei 160" siedet. Er wird von Wasser alimählig zersetzt.
Aethylsulfurylchlorid, Chlorid der iithylsch welligen Säure.
Von Gerhardt und Chancel durch Einwirkung von Phospboroxychlorid
auf äthylschwefligsaures Natron erhalten. Es siedet bei 17]<) und ist in
Wasser nicht löslich. Durch Einwirkung dieses Chlorides auf Ealium-
methylat oder Ealiumamylat entstehen Doppeläther der schwefligen Säure.
(Carius.)
Schwefligsäure- Schwefligsäure-
Aethylmethylätber. Aethyiamyläther.
Ö2H5 G2H5
GH.
31 ÖfiHiii
•) Ann. Chem. Pharm. CVI. 291.
27
420 Aethylverbindongen.
SO )
677. Äethylschwefelsäure. Schwefelweinsäure : g 0CT*(^i«(Von
Dabit 1800 entdeckt, von Sertürner 1819 und seitdem noch von vielen
Chemikern untersucht). Sie entsteht beim Mischen von Alkohol mit
Schwefelsäurehydrat und zwar in um so grösserer Menge je concentrirter
der Alkohol und je grösser die durch die Reaction selbst erzeugte Wärme.
Durch längeres Stehen oder durch Erwärmen der Mischung wird die Bil-
dung der Äethylschwefelsäure begünstigt, aber niemals wird aller Alkohol
oder alle Schwefelsäure in Äethylschwefelsäure verwandelt. Auch ver-
dünnte Schwefelsäure gibt mit Alkohol Äethylschwefelsäure, jedoch erst
beim Erwärmen.
Aethylen wird bei anhaltendem Schütteln (mit Quecksilber) von
Schwefelsäurebydrat absorbirt (1 Vol. Schwefelsäure absorbirt 120 Yol.
Aethylen) unter Bildung von Äethylschwefelsäure (Faradaj, Hennel, Ber-
thelot *).
Zur Darstellung der Äethylschwefelsäure verdünnt man das Gemisch von
gleichen Volumen Alkohol und Schwefelsäure, zweckmässig nach längerem Stehen
und Erwärmen im Wasserbad, mit Wasser, sättigt zur Entfernung der überschüssig
gen Schwefelsäure mit kohlensaurem Barjrt oder Bldozyd und zersetzt das Filtrat
mit der genau nöthigen Menge Schwefelsäure oder mit Schwefelwasserstoff.
Die Äethylschwefelsäure stellt nach dem Verdunsten im Yacuum
eine syrupdicke Flüssigkeit dar, die sich in Wasser und in Alkohol löst
Sie zersetzt sich bei längerem Stehen, rasch beim Kochen mit Wasser
unter Bildung von Schwefelsäure und Alkohol. Sie zeigt sehr leicht dop-
pelte Zersetzung und dient dieser Eigenschaft wegen zur Darstellung des
Aethers und vieler Aetherarten (vgl. §. 652).
Die äthjlschwefelsauren Salze sind sämmtlich in Wasser
ICslich und krystallisirbar; sie zersetzen sich beim Kochen mit Wasser,
viele schon beim Eindampfen ihrer Lösung, in Alkohol und schwefelsau-
res Salz. Beim trocknem Erhitzen mit einem anderen Salz, bisweilen auch
beim Kochen wässriger Lösungen, zeigen sie meistens doppelte Zersetzung
und bilden den Aethyläther der Säure deren Salz angewandt wurde.
Als parathionsaurenBaryt hat Gerhardt **) eine Modification des äthyl-
schwefelsauren Baryts beschrieben, deren wässrige Lösung sich beim Kochen nicht
zersetzt Man erhält dieses Salz durch längeres Kochen einer Lösung von äthyl-
schwefelsaurem Baryt, Filtriren von dem ausgefallenen schwefelsauren Baryt und
Sättigen der frei gewordenen Säure mit kohlensaurem Baryt Dieselbe beständige
Varietät des äthylschwefelsauren Baryts entsteht auch nach Berthelot ^**) aus der
durch Aetylen und Schwefelsäurehydrat erhaltenen Äethylschwefelsäure; femer
wenn man Alkohol mit S — 4 Vol. Schwefelsäure längere Zeit erhitzt, bis viel Aethy-
len ausgetrieben ist; demnach scheinen die von Regnault auf dieselbe Art erhalte-
nen äthionsauren Salze mit den parathionsauren identisch zu sein.
^) Jahresber. 1865. 602. — Ann. Chem. Pharm. XCIV. 78.
••) Trait6. IL 296.
•••) Jahresber. 1865. 602.
Aethylftther der Schwefelsäure.
421
Bchwcfelßftnre-Aethyläther: feH^*!^»- ~ Wetherill 1848. 678.
Er kann nicht dnrch Destillation von Alkohol mit Schwefelsäure erhalten
werden, wie es für die entsprechende Methylverbindung der Fall ist.
Er wird durch Zuleiten von Schwefelsäureanhjdrid zu abgekühltem Aether
erhalten. Der Schwefelsäure- Aethjl&ther kann nicht destillirt werden; er
zersetzt sich bei 150^ — Mit Wasser zerftUt er schon in der Kälte,
rascher beim Erhitzen in Weingeist und Aethjlschwefelsäure. Mit Am-
moniak gibt er sulfäthaminsaures Ammonium (Strecker).
Schwefelsäure* Sulfäthaminsaures
Aethjläther. Ammonium.
2(e,H5),.&e4 + 2NH, = N(e2H5)4HjS,Os.NH4
Als schweres Weinöl hat man den Ölartigen Körper bezeichnet, der bei
Destillation äthylschwefelsaurer Salze oder auch bei Destillation von Weingeist mit
Schwefelsäure auftritt Es scheint Schwefelsäurettthyläther zu enthalten. Wasser
scheidet daraus eine bei 280^ siedende Flüssigkeit ab (leichtes Weinöl), die
mit dem Aethylen gleich zusammengesetzt ist (OnHsn).
Von den Aethyläthern der phosphorigen Säure kennt man 679.
bis jetzt:
Aethjlphosphorige Phosphorigsäure-
Säure **). Aethyläther «"*).
m m
P
H,.e,HJ^»
(«A),!
e.
Beide entstehen durch Einwirkung von Phosphorchlorür auf Alkohol ; die
äthylphosphorige Säure, wenn verdünnter Weingeist; der Phosphorigsäure- Aethyl-
äther, wenn absoluter Alkohol oder Natriumäthylat angewandt werden,
hat z. B. :
Phosphorchlorör.
Alkoholnatrium
(S Molecüle).
Phosphorigsäure-
Aethyläther.
Cla
Na
Na
Na
III = '"^'^^ + (Wi^»
Phosphorchlorür.
Alkohol und
Wasser.
Aethylphosphorige
Säure.
€A:e = 2Hci + eaH,ci + eAle,
♦) Ann. de Chim. Phys. LXV. 98.
♦•) Wurtz, Ann. Chem. Pharm. LVIII. 74,
•••) Raüton, ibid. XCH. 848.
422
Aethylverbindimgen.
Der Phosphorigsfture-Aethyläther ist eine unangenehm riechende Flüfisigkeit)
die bei 191® siedet; die äthylphosphorige Säure zersetzt sich leicht, man kennt bis
jetzt nur saure Salze, von denen nur das Bleisalz krjstallisirt
680.
Aethyläther der Phosphorsäure.
Aethjlphosphor- Biäthylphosphor-
säure.
PO;
«2H5 e.
säure.
PO)
Phosphorsäure-
Aethyläther.
(6:
pe>
e.
Durch Erwärmen von glasiger Pbosphorsäure mit starkem Alkohol*),
beim Schütteln von syrupdicker Phosphorsäure mit Aether oder durch
Einwirkung von Phosphoroxychlorid auf wasserhaltigen Weingeist**)
entsteht Aethylphosphorsäure (Phosphorweinsäure). Phosphorsäure-
anhydrid mit absolutem Alkohol oder mit Aether gibt Diäthjl phos-
phorsäure. Der Phosphorsäure - Aethyläther ist von Cler-
mont ♦**) durch Erhitzen von phosphorsaurem Silberoxyd mit Jodäthyl
erhalten worden; Vögeli erhielt ihn durch Erhitzen von biäthylphosphor-
saurem Blei auf 200®:
Biäthylphosphor-
saures Blei.
Aethylphosphor-
saures Blei.
Phosphorsäure-
Aethyläther.
^pb(e,H5)j^3 - Pb,(e,H5)t^' + (e,H5),j^»
er entsteht auch (nach Schifif) durch Einwirkung von Phosphoroxychlorid
auf absoluten Alkohol. Mit Wasser wird er rasch sauer.
681« Man kennt noch eine Anzahl schwefelhaltiger Phosphor-
säureäther, deren Beziehungen zur gewöhnlichen Phosphorsäure and
ihren Aethern aus der folgenden Zusammenstellung ersichtlich ist:
Phosphor-
Aethylphos-
Diäthylphos-
Phosphorsäure-
Säure.
phorsäure.
phorsäure.
Aethyläther.
PO4H,
P«.JH
P^4 ^A
fH
^•Üil
Sulfophofl-
Aethylsulfophos-
Diäthylsulfophos-
phorsäure.
phorsäure.
phorsäure.
P^jSHa
POaö H
—
♦) Vögeli, Ann. Chem. Pharm. LXIX. 180.
••) H. Schiff.
••♦) Clermont, Ann. CJhem. Pharm. XCI. 876.
Aefhyl&ther der Phosphors&ure.
423
DiBulfophosphor-
Bftiire (unbekannt).
PeaSjH,
Trisnlfophosphorsäure
(unbekannt).
POojHj
Tetrasulfophosphorsänre
(unbekannt).
PS4H,
Diäthyldisulfo-
phosphorsäore.
tu
Disnlfophosphor-
säureäther.
Diäthyltre trasulfo-
phosphorsäure.
Tetrasnlfophofi-
phorsftiireftther.
PS4 ) 62H5
AethylsulfophoBphorsaures Kali oder Natron hat CloSz darch Ein-
wirkung von Phosphorsullbcblorid (PSCla) auf alkoholische Kali- oder Natron^
lösung erhalten. Die übrigen Verbindungen sind von Carius **) entdeckt Durch
Einwirkung von Phosphorsulfid (P2S5) auf Alkohol entsteht Diftthylsulfophos-
phorsänre und Disuliophosphorsäure-Aethyläther; aus letzterem ent-
steht durch Einwirkung einer alkoholischen Lösung von Kaliumsulfhydrat das Kali-
salz der Diäthyldisulfophosp hör säure. Durch Einwirkung von Mercaptan
auf Disulfophosphorsäureäther wird Diäthylsulfophosphorsaure erhalten; gleichzeitig
entsteht Aethylsulfid:
Disulfophosphor-
sfture.
Mercaptan.
€,H,
%<
Diäthylsulfo-
phosphorsaure.
H
Aethylsulfid.
ö
Lässt man statt des Mercaptans das Methylmercaptan oder Amylmercaptan
einwirken, so erhält man intermediäre Sulfide: das Methyläthylsulfid und
das Aethylamylsulfid , z. B. :
Disulfophosphor-
säureäther.
i^a^s
+
Methyl-
mercaptan.
Diäthyldisulfo-
phosphorsäure.
%^ =
pe,s,
Methylilthyl-
solfld.
Der Tetrasulfophosphorsänre- Aethyläther entsteht durch Einwir-
kung von Phosphorsulfid auf Mercaptan oder Quecksilbermercaptid ; er gibt mit
alkoholischem Kaliumsulfhydrat das diäthyltetrasulfophosphorsaure Kali
und ein neues Kalisalz, das wahrscheinlich diäthyltrisulfophosphorsaures
EaUist.
•) 1847. Compt. rend. XXIV. 888.
••) Ann. Chem. Pharm. CXII. 190.
424 Aetbylverbindungeti.
Pyrophosphorsfture-Aethyl&ther: PO \^t «t von Qer-
mont durch Einwirkung von Jodäthyl auf pyrophosphorsaures Silberoxyd
erhalten worden.
682. Aethyläther der Gyanursäure. Die Gyanursäure ist eine drei-
basische Säure (vgl. §. 579). Man kennt indessen bis jetzt nur zwei
Aether:
Biäthylcjanursäure. Gyanursäure - Aethyläther.
DerCyanursäureäthyläther wurde von Wurtz 1848 *) entdeckt Er ent-
steht als Nebenproduct bei Darstellung des Cyansäureäthyläthers (§*671); in grös-
serer Menge bei Destillation von cyanursaurem Kali mit äüiylschwefelsaurem Kali
(gleiche Gewichtsmengen) oder auch bei Einwirkung von Aethyljodid auf cyanor-
saures Silberoxyd. Man reinigt das Product durch Umkrystallisiren aus Weingeist.
Der Cyanursäureäther krystallisirt in farblosen, rhombischen Krystallen, die
bei 86^ schmelzen und bei 276^ sieden. Er ist in Alkohol, Aether und auch in
siedendem Wasser löslich und mit Wasserdämpfen flüchtig. Beim Kochen mit Kali-
lauge wird er zersetzt in Kohlensäure und Aethylamin; beim Kochen mit Baryt-
wasser entsteht ein ölartiges Zwischenproduct: •0gH„N302 (siehe: Amide der Koh-
lensäure), welches beim Erhitzen zu Cyansäureäther und Aethylharnstoff
zerfällt ♦♦). Chlor wirkt über 100® auf Cyanursäureäther ein und gibt ein Sub-
stitutionsproduct: 69H,iCl4Nj03.
B iäth ylcy an ur säure wird am zweckmässigsten aus den Mutterlaugen
vor der KrystaUisation des Cyanursäureäthyläthers durch Kochen mit Baryt, Zusatz
von Schwefelsäure und Eindampfen des Filtrats erhalten. Die Biäthylcyanursäure
krystallisirt in Rhomboedem, sie löst sich in Weingeist, Aether und heissem Wasser,
schmilzt bei 173® und ist in höherer Temperatur unzersetzt flüchHg. Bei Destilla-
tion mit Kali liefert sie Ammoniak und Aethylamin.
688, Aethjläther der Borsäure. Durch Einwirkung von Borchlorid
auf absoluten Alkohol haben Ebelmen und Bouquet ***) neutralen B o r-
säureäthjläther erhalten. Er ist eine farblose, leicht bewegliche
Flüssigkeit, die bei 119^ siedet und mit schön grüner Flamme brennt
Spec. Gew.: 0,8849, Dampfdichte: 5,14. Er ist: ^^ g ^ JO, f).
•) Ann. Chem. Pharm. LXXL 327.
••) Habich u. limpricht, Ann. Chem. Pharm. CIX. 101.
•••) Ann. Chem. Pharm. LVIL 827. — Ann. de Chim. Phys. [8] XVÜ. 55.
f) Die Verbindungen des Bors sind noch nicht hinlänglich untersucht, um mit
einiger Sicherheit durch typische Formeln ausgedrückt zu werden. Es scheint
AethylUther der KieselBäure. 425
Durch Einwirkung von Bors&nre auf Alkohol entstehen noch an-
dere Aether der Borsäure, als glasartige oder syrupartige Massen, weder
krystallisirbar noch ohne Zersetzung flüchtig.
Aethjläther der Eiesels&ure. Durch Einwirkung von Sili- 684.
ciumchlorid auf Alkohol sind von Ebelmen *) 1844 zwei flüchtige Eiesel-
säureäther erhalten worden :
Der erste siedet bei 165^ und ist eine farblose brennbare Flüssigkeit, die
von Wasser allmählig zersetzt wird unter Abscheidung von Kieselsäure«
Der zweite siedet bei etwa 360®; er entsteht auch, wenn der flüchtigere
Eieselsäureäther mit etwas wasserhaltigem Alkohol destillirt wird, indem
das Wasser des Alkohols die Elemente des Aethjläthers entzieht, um
Alkohol zu bilden. Bei dieser Destillation bleibt in der Retorte eine
durchsichtige glasartige Masse, deren Zusammenhang der Formel entspricht:
jr /r iF
rO H 1 [O^; bei weiterem Erhitzen destillirt der Aether r^ g ^ (^3 ^
ir
und es bleibt Kieselsäure: Si.Oj**).
wahrscheinlich, dass das Bor dreiatomig ist. Der oben beschriebene
Aethyläther und die entsprechenden Methyl- und Amyläther sind dann die
neutralen Aether einer dreibasischen Borsäure, die sich vom Typus
SHjO herleitet, in welchem 8H durch das dreiatomige Radical Bor ersetzt
sind. Das Chlorbor ist das Chlorid dieses Radicals. Die Dampfdichten
sprechen zu Gunsten dieser Formeln. Man hat:
gefunden.
berechnet
Borchlorid 8.942
4.06
Borsäuremethyläther 8.66
8.58
Borsäureäthyläther 6.14
5.08
Borsäureamyläther 10.56
9.4
♦) Ann. Chem. Pharm. LVn. 881.
**) Das Silidum ist vieratomig; Atomgew. = 28. Die beiden flüchtigen
Aether entsprechen den zwei einfachst- möglichen Hydraten:
Typus. T3rpus.
MF tr
4Ha0 ^He^ und m^^ ^Ho,
von welchen auch die einfacheren und wohl krystaUisirten Silicate abgeleitet
426
Aethylyerbindimgen.
685. Substitutionsproducte der Aethylverbindungen.
Bei Einwirkung von Chlor auf Aethjlverbindungen findet häufig,
namentlich bei Gegenwart von Wasser oder auch bei den dem Wasser-
tjp zugehörigen Substanzen, die noch typischen Wasserstoff enthalten,
eine Oxydation statt. So wirkt z. B. Chlor auf Alkohol oxydirend
(▼gl. §• 647); ebenso wird Aether bei Gegenwart von Wasser durch Chlor
oxydirt, indem dieselben Producte wie aus Alkohol gebildet werden.
Wirkt dagegen Chlor auf eine trockne Aethylverbindung ein, die keinen
dem Wassertyp zugehörigen typischen Wasserstoff enthält, so findet Sub-
stitution statt. Man kennt bis jetzt namentlich die Chlorsubstitu-
tionsproducte des Aethers, des Aethylsulfid's und des Aethyl-
chlorids.
686. Aus Aether und aus Aethylsulfid hat man bis jetzt die folgenden
Chlorsubstitutionsproducte erhalten :
Aethyläthcr (^2^5)7 ^
Monochloräthyläther (GaH^ClJa 0
Bichloräthyläther (ß2^9^hh^
Perchloräthyläther (B^Cl^')^ 0
CG^n^h ö Aethylsulfid.
(eaH3Cla)ae
(6aHjCl,),S
(e^HCU), e
Bichloräthylsolfid.
Trichlor&thylsulfid.
Tetrachloräihylsulfid.
Perchloräthylsulfid
Von den Substitutionsproducten des Aethylsulfid's ist das Tetra-
chloräthylsulfid von Regnault*) 1839 erhalten worden; die übrigen
hat Riche**J 1854 dargestellt Findet die Einwirkung des Chlors im
zerstreuten Tageslicht statt, so entstehen die weniger Chlor enthaltenden
Producte; bei Einwirkung im Sonnenlicht wird neben Perchloräthyl-
sulfid (welches indessen noch nicht rein dargestellt ist) noch Chlor-
kohlenstoff =: G^Cl^ erhalten.
Die Substitutionsproducte des Aethyläthers sind beson-
ders von Regnault, Malaguti und Lieben untersucht worden; einige der-
selben zeigen ein höchst merkwürdiges Verhalten.
werden können. — Die Dampfdichten der flüchtigen Siliciumyerbindungen
unterstützen diese Formeln. Man hat:
gefunden.
6,989
7,82
ir
SUidumchlorid Si . CI4
tr
Kieselsäure-Aethyläther Si . OiCOaHj)^
ir
Eieselsänre-^myläther Si . ^«(OsHii)« 1 1,7
*) Ann. Chem. Pharm. XXXIV. 84.
••) ibid. XCn. 358.
berechnet.
5,88
7,19
18,0
Subetitationsprodacta. 427
Der Monochlorftthylftther wurde zaerst 1887 von d'Arcet •) durch Ein- 687.'
Wirkung von Chlor auf Olbildendcs Gas erhalten (Chlorätheral); Regnault ver>
muthete schon, dass das Chlorätheral aus dem dem ölbildenden Gas beigemischten
Aetherdampf entstanden. Seitdem bat Lieben **) gezeigt, dass bei Einwirkung von
Chlor auf Aether bei Temperaturen, die 20<> — 30® nicht Übersteigen, wesentlich
Monochloräthyläther entsteht Er siedet bei 140^ — 147® und zersetzt sich
durch Wasser, indem vermuthlich ein dem Aldehyd und Essigäther isomerer Kör-
per entsteht; mit KaUlaoge liefert er Alkohol und Essigsäure.
Honochlor- Alkohol. Essigsaures
Aethyläther. KalL
e^a!^ + »K^ = ^'l?)^ + ^'^'|(^ + 2KC1 + H,^
Bichloräthyläther entsteht (Malaguti ***) 1889), wenn man Aether im 688.
zerstreuten Tageslicht, anfangs unter Abkühlen, später unter Erhitzen bis 100®, mit
Chlor sättigt Es entsteht dabei gleichzeitig neben viel Salzsäure noch Aethyl-
chlorid und Chloral; die Bildung dieser Producte ist leicht verständlich, wenn man
sich erinnert, dass die durch die Substitution frei werdende Salzsäure mit Aether
doppelte Zersetzung zeigt (§. 661) ; dabei entsteht neben Aethylchlorid Wasser,
durch dessen Gegenwart das Chlor dann oxydirend auf den Aether einwirkt
Der Bichloräthyläther ist eine neutrale Flüssigkeit von an Fenchel erinnern-
dem Geruch. Er zersetzt sich schon unter dem Siedepunkt und wird langsam von
Wasser und wässriger Kalilauge, rasch von alkoholischer KaUlösung zersetzt:
Bichlor- Essigsaures
Aethyläther. Kali.
t$S'}^ + «K^ = 2^'°*tj^ + 4Ka 4- 3H,e
Durch Einwirkung von Schwefelwasserstoff werden aus Bichloräthyläther,
unter Entwicklung von Chlorwasserstoff, zwei flüchtige und aus Alkohol krystalli-
sirbare Verbindungen erhalten, deren Bildung offenbar so erfolgt, dass 2 At Cl
durch 1 At S oder dass 4 At Cl durch 2 At S ersetzt werden. Beide geben mit
Kalilauge neben Schwefelkalium (und resp. Chlorkahum) essigsaures Kali. Sie
bilden gewissermassen Uebergänge von dem Aethyläther zum Essigsäureanhydrid:
Aethyl- Bichloräthyl- Chlorsulfäthyl- Sulfäthyl- Essigsäure-
äther, äther. ätherf). äther. anhydrid.
^a^slrL O^HjClalyv Ö2H3CI2I/V ^a^a^lrk ^2^3^)^
Man kann ^ie einerseits als Aethyläther betrachten, in welchem Wasserstoff
durch Chlor oder Schwefel ersetzt ist, andererseits als Essigsäureanhydrid in dem
der Sauerstoff des Radicals durch Schwefel oder Chlor vertreten ist
*) Ann. Chem. Pharm. XXVIII. 82.
••) ibid. CXI. 121.
•••) ibid. XXXn. 17.
f) Malaguti, Ann. Chem. Pharm. XXXn. 81. (6ther chlorosulftir^ und kther
8ulfiir6).
428 AeÖiylyerbindangen.
Perchlorftthyläther entsteht durch Emwirkimg von Chlor im Sonnen-
licht anf Bichloräthyläther. (Regnault 1889 *); Malagfuti 1845 **). — Er kiystalli.
sirt in quadratischen Oktaedern, schmilzt bei 69^ und beginnt bei SOO® zu sieden,
zersetzt sich aber dabei in:
PerchlorÄthyl- Chlorkohlen- Trichloracetyl-
äüier. Stoff. chlorid.
|ag*|e = ie,a. + e,a,e.ci.
Auch beim Erhitzen mit Schwefelsäurehydrat gibt der Perchlorftthylftther
Trichloracetylchlorid. Da dieses mit Wasser oder Kali zu Trichloressigsänre wird,
so ist es einleuchtend, dass bei vielen Zersetzungen des Perchlorftthyläthers die
Trichloressigsänre auftaritt.
Erhitzt man Perchloräthyläther mit einer alkoholischen Lösung von Schwefel-
kalium, so erhält man eine durch Wasser fällbare, bei 210^ siedende Fltissigkeit
= Chloroxethose = e4Cl,e = [^^q*!^?]
Perchloräthyläther. Chloroxethose.
tSi^ + 2|j& = säK + *^C1 + S,
Die Chloroxethose verbindet sich im Sonnenlicht direct mit Chlor, indem Perchlor-
äthyläther ***) regenerirt wird; sie verbindet sich ebenso mit Brom und erzeugt
dann: Perchlorobromäthyläther (Oxethosebronüd) = 3*q}'bJ*|^.
Lässt man Chlor bei Gegenwart von Wasser auf Chloroxethose einwirken,
so entsteht Trichloressigsänre:
Chloroxethose. Trichloressigsänre.
e^Cl'}^ + 8H,e + 2Clj = 2^a^^»^|e + 4 HCl.
Der Perchloräthyläther und der Perchlorobromäthyläther zei-
gen dieselben merkwürdigen Beziehungen zum Essigsäureanhydrid, auf welche
oben beim Bichloräthyläther und seinen schwefelhaltigen Abkömmlingen aufinerk-
sam gemacht wurde. Man hat:
Aethyläther. Bichloräthyl- Perchloräthyl- Perchlorobrom- Essigsäure-
äther, äther. äthyläther. anhydrid.
€aH,HjU eAClaU OaCljClaU öaCl.BrJ^ «aHa^Jz^
6,H,Hi|^ eAClar eaCljClJ^ eaCl,BrJ^ • e,H,Or
♦) Ann. Chem. Pharm. XXXIV. 27.
••) ibid. LVI. 268.
***) Die Chloroxethose zeigt in Entstehung und Verhalten eine bemerkenswerthe
Analogie mit dem Chlorkohlenstoff: O3CI4. Dieser entsteht durch Einwir-
kung von Schwefelkalium auf den Chlorkohlenstoff: O3CI« (§. 690) und ver-
bindet sich vrieder direct mit Chlor oder Brom.
Substitationsprodiicte. 429
Diese Bezieliimgen gewinnen an Interesse durch die Leichtigkeit, mit welcher
ans dem Perchloräthyläther Verbindungen der Essigsäurereihe (Trichloracetylchlo-
rid, Trichloressigsäure) entstehen. Die grosse Verschiedenheit, welche diese aus
dem Aethylftther sich durch Substitution ableitenden Verbindungen in ihrem chemi-
schen Verhalten von der Muttersubstanz zeigen, lässt deutlich hervortreten, wie
durch den Einfluss der individuellen Natur der in eine Verbindung eintretenden
Elemente der chemische Charakter der Verbindung geändert werden kann (§§. 211,
219 etc.).
ChlorsubstUutionsprodttcte des Aethyl Chlorids, sind
von Laurent *) und Regnault **) untersucht. Man kennt die folgenden :
Aethylchlorid 62H5.CI Siedep.: +12»
MonochlorÄthylchlorid e2H4Cl.Cl 64»
Bichoräthylchlorid GJä^Cl^.Cl 75«
Trichlor&thylchlorid e^HjClj^Cl 102»
Tetrachlor&Oiylchlorid esHC^-Cl 1460
Perchlorftthylohlorid e^Cl^.Cl 182»
(anderthalb Chlorkohlenstoff).
Man erhält diese Verbindungen durch Einwirkung von Chlor auf Aethylchlo-
rid in einem Glasballon (zweckmässig ist der bei Aethylenchlorid angegebene Ap-
parat). Beim Beginn der Operation ist es zweckmässig, um die Reaction einzu-
leiten, die Gase der Wirkung der Sonnenstrahlen auszusetzen; wenn die Reaction
einmal begonnen hat, geht sie auch im Schatten weiter. Leitet man die Operation
so, dass das Aethylchlorid im üeberschuss ist, so entstehen wesentlich die an Chlor
ärmeren Substitutionsproducte; durch Einleiten von Chlor in die so erhaltene Flüs-
sigkeit erhält man die an Chlor reicheren. Die Producte werden durch fractionirte
Destillation getrennt.
Ein Gemenge dieser verschiedenen Substitutionsproducte (der über 110® sie-
dende Theil) findet in neuerer Zeit unter dem Namen Aether anaestheticus als lo-
cales Schmerzstillungsmittel Anwendung.
Mit diesen Chlorsubstitutionsproducten des Aethylchlorids sind das
Aethylenchlorid (62H4.CI2) und die aus diesem erhaltenen Substitutions-
producte isomer, aber in den Eigenschaften verschieden. Das Endpro-
duct: 62^16 ^B^ i^ beiden Fällen identisch (vgl. Aethylenchlorid).
Ob die aus dem Aethylwasserstoff durch Chlor entstehenden Pro-
ducte mit dem Aethylchlorid und seinen Substitutionsproducten identisch
oder nur isomer sind, ist noch nicht mit Sicherheit dargethan (vgl.
§. 662).
*) Ann. de Chim. Phys. LUV. 828.
*•) Ann. Chem. Pharm. XXXUL 810.
430 Propyl-, Butyl-, Amyl-, Caproylverbindungen.
Propyl-, Butyl-, Amyl- und Caproylverbindungen.
691. Mit dem Namen Fuselöl bezeichnet man im Allgemeinen die bei
der geistigen GähruDg zuckerhaltiger Flüssigkeiten neben dem gewöhn-
lichen Alkohol entstehenden flüchtigen Flüssigkeiten, die bei der Destilla-
tion des Weingeistes mit diesem und besonders gegen Ende der Opera-
tion in mehr oder weniger grosser Menge übergehen. In den meisten
Fällen bestehen die Fuselöle aus mit dem Aetbylalkohol homologen Al-
koholen *). Viele bestehen ausschliesslich aus Amylalkohol; andere
enthalten denselben wenigstens in bei weitem überwiegender Menge. Erst
in neuerer Zeit ist in dem Fuselöl aus Rübenzuckermelasse der Butyl-
alkohol und in dem Fuselöl aus Weintrebern der Propyl- und der
Gaproy lalkohol aufgefunden worden.
Diese Alkohole bilden die Ausgangspunkte zur Darstellung der mei-
sten Verbindungen der betreffenden Alkoholradicale. Einige dieser Ver-
bindungen sind indessen auch auf andere Weise erhalten worden. So
erhält man die isolirten Alkoholradicale durch elektrolytische Zer-
setzung derjenigen fetten Säuren, die 1 At. 6 mehr enthalten; z«B.: Butyl
aus Baldriansäure, Amyl aus Capronsäure, Caproyl aus Oenanthylsäure.
Dieselben Alkoholradicale sind, nach William's **) , in den Destilla-
tionsproducten der Boghead -Oaunelkohle enthalten und werden aus dem
unter 143® siedenden Theil durch Behandeln mit rauchender Salpetersäure,
Aetzkali und Rectification des nicht zerstörten Oeles über Natrium dar-
gestellt. Man erhält so:
*) Neben den Alkoholen sind in den meisten bis jetzt untersuchten Faselölen
Säuren der Fettsäurereihe und Aetherarten dieser Säuren enthalten.
Im Fuselöl von Gerstenbranntwein aus schottischen Whisky brennereien fand
Rowney [Jahresber. 1851. 442, 1862. 499J Caprylsaure und Caprinsfture
(wahrscheinlich als Amyläther); im Fuselöl eines au^ Korn und l^s er-
haltenen Weingeistes fand Wetherill [Jahresb. 1853. 441] Essigsäure, Capryl-
saure und wahrscheinlich Capronsäure und Oenanthylsäure j das Fuselöl aus
Kornbranntwein enthält nach Kolben. A. Oenanthylsäure und Margarinsäure;
das Fuselöl aus Runkelrübenmelasse enthält nach Müller [Jalircsb. 1852, 498]
und Fehling [Jahresb. 1852. 441] Capronsäure, Caprinsäure und Caprylsaure,
nach Perrot [Jahresb. 1857. 852] Aetherarten von Capiyl - und Pelargonsäure
vielleicht auch Valeriansäure, Capronsäure und Oenanthylsäure •, im Kartoffel-
fuselöl hat Johnson [Jahresb. 1854. 445] Caprinsäure nachgewiesen^ Suri-
nam'sches Rumfuselöl enthält nach Mulder [Jahresb. 1858. 802] Oenanthyl-
säure und Palmitinsäure; das Weinfuselöl enthält wesentlich Oenanthäther,
andere Aetherarten fetter Säuren und freie Säuren der Essigsäurereihe.
Im Fuselöl aus Krappweinstein ist ein Kohlenwasserstoff von der Formel
des Terpentinöls und eine campherartige Substanz von der Zusammensetzung
des Borneocampher's enthalten (Jeanjean, Jahresb. 1856. 526). — Das Fu-
selöl aus Kombranntwein enthält ausser den oben genannten Säuren noch
ein eigenthümliches Oel von unbekannter Natur,, das s. g. Eomöl. -^
••) Ann. Chem- Pharm. CIL 126.
Propylverbmdungen.
Siedepunkt.
Propyl
(esH,),
68»
Butjl
(e4H.)3
119»
Ainyl
(esHu),
169»
Caproyl
(eeHn)a
202».
431
Auch in dem Steinöl von Schade (Hannover) scheinen, nach Eisen-
stuck *) Kohlenwasserstoffe von der Zusammensetzung der Alkoholradi-
cale enthalten zu sein (besonders: Propyl, Butyl etc.j.
s DieCyanide der Alkobolradicale sind, wie §. 609 erwähnt, mit
den Nitrilen der fetten Säuren identisch und können aus den Ammoniak-
salzen der um 1 At. 6 reicheren fetten Säure oder aus den Amiden die-
ser Säuren dargestellt werden.
Endlich können einzelne Verbindungen .der betreffenden Alkobol-
radicale aus den Kohlenwasserstoffen : 6,iH2n erhalten werden (vgl. §. 624).
So gibt Propylen mit Schwefelsäurehydrat die Propylschwefelsäure **),
mit Chlor-, Brom- oder Jodwasserstoff Propyl-chlorid , -bromid oder -Jo-
did***); ebenso gibt Amylen das Amyl-chlorid und - bromid f).
Da alle Verbindungen dieser Alkobolradicale mit den entsprechenden Aethyl-
verbindungen in Bezug auf Bildung, Darstellung und Eigenschaften die grösste
Analogie darbieten, so kann eine ausführliche Beschreibung umgangen werden.
Wir beschränken uns darauf anzugeben , welche Verbindungen bis jetzt dargestellt
sind und theiien von einigen die wichtigsten Eigenschaften mit.
Pro pylv er bin dun gen.
Der Propylalkohol: ^^|o wurde 1853 von Chanoelff) im 692.
Fuselöl aus Weintrebernbranntwein aufgefunden. Er siedet bei 96®, löst
sich reichlich, jedoch nicht in allen Verhältnissen, in Wasser. Mit
/l TT i
Schwefelsäure gilft er Propylschwefelsäure: ^ |j|S*^4.
Die Propylschwefelsäure entsteht auch durch directe Vereini-
gung von Propylen mit Schwefelsäurehydrat, welches sein 200fache8
Volum von Propylen absorbirt. Der Propylchlorid , Propylbromid und
Propyljodid können durch directe Vereinigung von Propylen mit den be-
treffenden Wasserstoffsäuren erhallen werden (Berthelot).
Butyl verbin dun gen.
Das Radical Butyl: (ßjiP^')2^ wurde 1849 von Kolbefft) durch
•) Ann. Chem. Pharm. CXm. 162-
••) Jahresber..l855. 611.
•♦♦) ibid. 1856. 423; 1867. 425.
t) ibid. 1857. 426.
•H-) ibid. 1853. 503; Ann. Chem. Pharm. LXXXVH. 127.
ftt) Ann. Chem. Pharm. LXIX 259.
432
Butylverbindungen.
elektroljtische Zersetzung des valeriansauren Eali's erhalten; man erhält
es auch durch Einwirkung von Kalium auf Butjljodid. Es siedet bei 108^
Der Butylalkohol: ^*^|o wurde 1852 von Wurtz *) in dem
Fuselöl aus Rübenzuckermelasse aufgefunden. Man kocht den bei wie-
derholten Destillationen zwischen 105® — 115® siedenden Theil längere
Zeit mit concentrirter Kalilauge und gewinnt aus dem bei der schliess-
lichen Destillation übergehenden Oele, den Butylalkohol durch fractionirte
Destillation.
Zu diesen fractionirten Destillationen bedient man sich zweckmässig eines
Apparates, in welchem die Dämpfe durch eine senkrechte Röhre aufsteigen müs-
sen, so dass stets nur der flüchtigere Theil abdestillirt. — Ein Thermometer, des-
sen Engel in dem Dampf unterhalb des seitlich angelötheten Abflossrohres steht,
gibt den Siedepunkt des gerade überdestillirenden Theiles an.
Der Butylalkohol siedet bei 109®; spec. Gew. 0,8032 bei 18®,5.
Er dreht die Polarisationsebene des Lichtes nicht. Er löst sich in 10,5
Vol. Wasser bei 18®. — In seinem chemischen Verhalten zeigt er mit
dem Aethylalkohol die grösste Analogie, wie dies die zahlreichen von
Wurtz dargestellten Abkömmlinge darthun.
Er gibt mit Chlorcalcinm eine krystallisirbare Verbindung; löst EaHum unter
Wasserstoffentwicklong auf unter Bildung von krystallisirbarem Ealinmbutylat.
*) Ann. Chem. Pharm. XCHIL 107.
Butylverbmdungen. 433
Beim Mischen mit Schwefelsaure gibt er Butylschwefelsäure: * h}^^*'
beim Erhitzen mit viel Schwefelsäm-ehydrat : Butylen (Tetrylen): BJBl^ und da-
mit poljrmere Kohlenwasserstoffe. Beim Erhitzen mit Chlorzink entsteht Butylen,
neben Butyl Wasserstoff; beim Auftropfen auf bis 250® erhitzten Natronkalk
Buttersäure.
Durch Einwirkung von Salzsäure oder Phosphorsuperchlorid wird Butyl-
chlorid: ^^H^Cl (Siedep. 70®); durch Brom und Phosphor Butylbromid (sied.
89®), durch Jodphosphor oder gleichzeitige Einwirkung von Jod und Phosphor
Butyljodid (sied. 121®) erhalten. Letzteres gibt mit Ealiumbutylat oder mit
trockenem Silberoxyd den Buthyläther: 2 h }^5 mit salpetersaurem Silberoxyd
Salpetersäure-Butyläther: J^g 1^ (sie«^- ISO®); mit schwefelsaurem Silber-
oxyd Schwefelsäure-Butyläther: ^'*o®}ö^4- Durch Einwirkung von Ka-
lium oder Natrium auf Butyljodid erhält man das Radical Butyl: 2 h | (Sie-
dep. 106®); durch Einwirkung von Natrium auf ein Gemenge von Butyljodid und
Aethyljodid das intermediäre Radical: Aethyl-Butyl: ^*§*| (sied. 62®). Aethyl-
jodid mit Kaliumbutylat gibt den intermediären Aethyl-Butyläther: 0*2*|^
(sied. 78 — 80)i
Amyl Verbindungen.
Amylalkohol. Fuselöl. Amyloxydhydrat : ^*^J||e.
Der Amylalkohol war in unreinem Zustand schon Scheele bekannt; Du?. 694.
mas*) lehrte 1884 seine Zusammensetzung kennen; Cahours **) zeigte 1887
seine Analogie mit dem Aethylalkohol , die dann durch die Arbeiten von Dumas
und Stas***), Balardf) weiter nachgewiesen wurde.
Der Amylalkohol bildet den Hauptbestandtheil der meisten Fuselöle;
man gewinnt ihn aus dem Kartoffelfuselöl oder dem Fuselöl von ROben-
Zuckermelasse durch Waschen mit Wasser und fractionirte Destillation
des in Wasser unlöslichen Theiles.
Der Amylalkohol ist eine farblose Flüssigkeit von unangenehmen'
Geruch, er krystallisirt bei — 20« und siedet bei 132«. 8p. Gew. 0,8184
bei 15^ Er ist in Wasser nur wenig löslich, mit Alkohol und Aether
mischbar.
Der Amylalkohol lenkt, wie Biot zuerst beobachtete, die Ebene des pola-
risirten Lichtes nach links ab; alle Abkömmlinge des Amylalkohols zeigen das-
*) Ann. Chem. Pharm. XIIL 80.
•♦) ibid. XXi 288.
•♦♦) ibid. XXXV. 143.
t) ibid. XUL 111.
KekiiU, or^Ao. Cbenle, 28
431 Amylverbindongen.
selbe optische Verhalten. Nach Pasteur *} ist das Drehangsvermögen des Amyl-
alkohols von versdüedenem Ursprung und von verschiedenen Darstellnngen un-
gleich, und es gelingt, durch Darstellung von amylschwelelsaurem Baryt and
Trennung des löslicheren Salzes von dem unlöslicheren, den gewöhnlichen Amyl-
alkohol in zwei Bestandtheile zu zerlegen, von welchen der eine optisch wirk-
sam, der andere optisch indifferent ist.
In seinem chemischen Verhalten zeigt der Amylalkohol die gröaste
Aehnlichkeit mit dem Aelhylalkohol.
Er oxydirt sich leicht, schon durch den Sauerstoff der Luft, rasch unter Ver-
mittlung von fein zertheiltem Platin unter Bildung von Baldriansäure. Durch
Destillation mit oxydirenden Substanzen gibt er Valeraldid, Baldrianafiure
und Baldriansftureamyläther; durch schmelzendes Kalihydrat wird unter
Wasserstoffentwicklung Baldriansäure ei*zeugt.
Amylalkohol. Baldriansau-
res KalL
^*W^ + h}^ = ^*^*k\^ + 2 H.
Durch Einwirkung von Chlor entstehen Substitutionsproducte des Valeraldids.
Beim Erhitzen mit viel Schwefelsäure oder mit Chlorzink liefert der Amylalkohol
unter Verlust von Wasser Amylen: O^Hj^ und mit diesem polymere Kohlen-
wasserstoffe.
Amylalkohol. AmyleiL
eftH;
Uje = e,H„ + g|e
Lässt man den Dampf des Amylalkohols durch eine glühende Röhre gehen, so
tritt neben andern Zersetzungsproducten Propylen: 63H9 auf.
Kalium oder Natrium erzeugen unter Wasserstoffentwicklung krystallisirba-
res Kaliumamylat und Natriumamylat: J^JO-.
695. Amyläther, Amyloxyd: ^^o^^/^) entsteht durch Destillation von Amyl-
alkohol mit Schwefelsäure oder (neben Amylen) bei trockner Destillation von
amylschwefclsaurem Kalk. Williamson erhielt Um durch Einwirkung von Amyl-
jodid auf Natriumamylat. Siedp. 176*. — Amyl-Methyläther: 90*}^'
Siedep. 92, ist von Williamson **) dargestellt, ebenso:
Amyl-Aethyläther: ^^jj* JO, siedet 112«. Der letztere entsteht durch
Einwirkung von Aethyljodid auf Natiiumamylat oder durch Amyljodid und Na^
triumäthylat, (vgl. auch §. 658); er wurde schon früher von Baiard •••) durch Er-
hitzen von Amylchlorid mit alkoholischer Kalilauge erhalten, aber für Amyläther
•) Ann. Chem. Pharm. XCVI. 265.
••) ibid. LXXXL 79.
••♦) Ann. de Chim. phys. [8] XU. 802.
Amylverbindongen. 435
angesehen. Die von Halaguti *) dargesteUten ChlorsubstitationBproducte zeigen
dentlich, dass der von Baiard untersuchte Aether Amyläthyläther war.
, Amylwasserstoff: 65H11.H. Entsteht durch Einwirkung von Zinkamyl
auf Wasser und ist von Frankland ^*) 186(f durch Erhitzen von Amyljodid mit
Zink und Wasser dargestellt worden. Siedep. 30^.
Amyl: (OftHn.OjHn). Wurde von Brazier und Gossleth durch elektroly-
tische Zersetzung der Capronsäure, von Frankland durch Erhitzen von Amyljodid
mit Zinkamalgam , von Wurtz *^^) durch Einwirkung von Natrium auf Amyljodid
dargestellt. Es siedet bei 155® (Frankland), 156<^ (Wurtz). Phosphorsuperchlorid
greift es beim Erhitzen an und bildet chlorhaltige Producte 61OH20CI2 und BioHigCl«,
deren Natur noch nicht festgestellt ist.
Das Amyl findet sich auch, nach Williams, xmter den bei Destillation der
Boghead-Cannelkohle auftretenden Kohlenwasserstoffen vgl. §. 691.
Amylchlorid: ^sHu.Cl. Wird durch Destillation von Amylalkohol mit
Phosphorsuperchlorid (Cahours), durch Destillation von Amylalkohol mit concen-
trirter Salzsäure oder auch von mit Salzsäuregas gesättigtem Amylalkohol (Baiard)
und durch Einwirkung von braunem Chlorschwefel auf Amylalkohol (Carius und
Fries) f) erhalten. Siedep. 102. Durch Einwirkung von Chlor im Sonnenlicht ent-
steht ein Substitutionsproduct: ^^H^Clg.Cl (Cahours). Beim Erhitzen mit Natron-
kalk entsteht Amylen:
Amylchlorid. Amylen.
e^Hii.Cl + NaHO = e^Hio + NaCl + Ha0
Das Amylchlorid zeigt sehr leicht doppelte Zersetzung und wird mit Vortheil zur
Darstellung anderer Amylverbindungen angewandt
Amylbromid und Amyljodid werden durch Einwirkung von Brom oder
Jod und Phosphor auf Amylalkohol erhalten.
Amyl Cyanid. Cyanamyl. Capronitril. 65Hii.€N = OgHu.N. Wird
durch Destillation von Cyankalium mit Amyljodid, Amylchlorid oder amylschwe-
ielsaurem Kali erhalten. Es ist eine farblose, widerlich riechende Flüssigkeit, die
bei 146® siedet und beim Erhitzen mit Kalilauge, (besonders mit alkoholischer)
capronsaures Kali liefert. Durch Einwirkung von Kalium entsteht eine dem
Kyanäthin entsprechende Base.
Amylnitrit Salpetrigsäure - Amyläther. ^sHu.NO]*, entsteht beim Er-
wärmen von Amylalkohol mit Salpetersäure als gelbliche äpfelartig riechende Flüs-
sigkeit, die bei 99® siedet Chlor bildet Substitutionsproducte, Phosphor eine eigen-
thümliche Phosphor und Stickstoff enthaltende Säure (Biamylnitrophosphorige Säure:
eioH2aNPe4. Guthrie) ++).
NO l
Salpeter säure- Amyläther: ^ h }^? ^^^^ Wanzen riechende Flüssig-
keit, die bei 148® siedet und durch Destillation von Amylalkohol mit Salpetersäure
und Harnstoff gewonnen wird.
•) Ann. de Chim. phys. [8] XXVII. 417.
••) Ann. Chem. Pharm. LXXIV. 48.
•••) ibid. XCIV. 867. *
/ +) ibid. CIX. 3. -
tt) ibid. CXI. 82,
28
436 Amylverbindungen.
Cyanaäure-Amyläther siedet bei etwa lOO*; Sulfocyaneäure-Amyl-
ät her bei 197«.
Amylmercaptan (Sied. 120®), Amylsulf^d (Sied. 216*) und AmyL
bisulfid werden wie die entsprechenden Aethylverbindungen erhalten. Sie wer-
den von Salpetersäure zu amylschwefliger Säure oxydirt.
Selen- und Tellur Verbindungen des Amyls sind noch nicht näher unter-
sucht •).
Schwefligsäure-Amyläther **) (651111)2603 entsteht durch Einwirkung
von Chlorthyonyl oder von Halbchlorschwefel auf Amylalkohol als zwischen 220^
und 250^ siedende Flüssigkeit erhalten.
Schwefligsäure-Amyläthyläther ^*H"|&6a entsteht bei Einwirkung
von Aethylsulfurylchlorid (§. 676) auf Amylalkohol, er siedet zwischen 210® —
226«.
Amylschwe feisäure * U>S64, entsteht beim Vermischen von Amyl-
alkohol mit Schwefelsäure , es findet dabei starke Erhitzung statt und die Mischung
färbt sich roth oder braun. Man lässt das Gemisch, zweckmässig unter öfterem
Erwärmen, längere Zeit stehen und reinigt die gebildete Säure nach der bei Aethyl-
scliwefelsäure angegebenen Metliode.
Die Amylätherarten der phosphorigen Säure sind sämmtlich dar-
gestellt:
Amylphosphorige Biamylphosphorige Phosphorigsäure-
Säure. Säure. Amyläther.
w mm
^»Hi! je, (e^Hn)! j e, (e^Hn),)^»
Ha) h(
Man erhält diese drei Verbindungen bei Einwirkung von Phosphorchlorflr
auf Amylalkohol, den neutralen Aether zweckmässiger, indem man statt des Amyl-
alkohols Natriumamylat anwendet
Von den Amylvcrbindungen der Phosphorsäure sind nur die beiden sau-
ren Aetherarten bekannt:
A my Iphosphorsäure. Biamylphosphorsäure.
PO] POi
^»Hj i \ Oj (65^1 i)a ( ^s
H\
Die Am y Iphosphorsäure entsteht beim Mischen von Phosphorsäure-
hydrat mit Am\ lalkohol , sie ist zweibasisch (Guthrie) *, die Biamylphosphor-
säure wird als Hauptproduct bei Einwirkung von Phosphorsuperchlorid auf Amyl-
alkohol gebildet (Fehling).
•) Vgl. Wöhler u. Dean, Ann. Chem. Pharm. XCVH. 1. .
^*) VgL Carius, Ann. Chem. Pharm. CXI. 98, 103 und Carius und Fries, Ann.
Chem. Pharm. CUL 5.
Caproylverbindnngen. 437
m
Der BorBftare-Amyläther: irx^ ^ \^z '^^"^ Ebelmen wie die entepre-
chende Aethylverbindung erhalten, siedet bei 270*— 275*.
ir
Der KieselBäure-Amyläther: .^^ . \b^ siedet bei 822« — 826^
Caproylverbindungen.
OH )
Das Radioal Caprojl: ^^g^^j wurde 1850 von Brazier und 696.
Gossleth durch elektrolylisohe Zersetzung der Oenanthyls&ure erhalten.
Nach Williams findet es sich unter den Destillationsproducten der Bog-
head-Gannelkohle (vgl. $. 691). Es siedet bei 202<>.
Zwei intermediäre Radicale , das Hethyl-Caproyl: ^n^/i (siedet bei
etwa 85<>) und das Butyl-Capro yl: ^«|^* ( (siedet bei 1550) hat Wurtz 1855
durch Elektrolyse eines Gemenges von Önanthylsaorem Kali mit essigsaurem Kali
und resp. mit baldriansaurem Kali erhalten.
Der Caprojlalkohol wurde 1853 von Paget*) in dem Fuselöl
des aus Weintrebern bereiteten Branntweins aufgefunden. Er findet sich,
nachdem der Butjlalkohol und der Amylalkohol abdestillirt sind, in dem
schwerer flüchtigen Antheil und wird durch Destillation und getrenntes
Auffangen des bei 148®— 154<^ übergehenden Theiles gewonnen. Er wird
durch erhitztes Kali unter Wasserstoffen twicklong in Gapron s&ure um-
gewandelt und gibt mit Schwefelsäure Caproylschwefelsäure.
In dem bei höherer Temperatur siedenden Antheil desselben Fuselöls ver-
muthet Faget noch den Oenanthylalkohol: ^^ u|o und den Capryl-
alkohol: ^•"gjo.
Capryl Verbindungen (Oenanthylverbindungen).
Bouis**) entdeckte 1851 indem er Ricinusöl odor Ricinöl- 697.
säure mit Kalihydrat destillirte eine neue Alkoholart, von welcher er
GH )
es anfangs unentschieden Hess, obsieCaprylalkohol: * U>Ooder
Oenanthylalkohol: ^ J|>0 sei, die er aber später bei genauerer
•) Ann. Chem. Pharm. LXXXVIH 826.
«'•) Literatur: Bouis: Jahresber. 1851. 445; 1854. 581; 1855. 512, 525. —
Moschnin: Jahrb. 1853. 505. — Railton: 1863. 507. — Wills: 1853.
508. — Cahours: 1854. 484. — Squire: 1864. 486, 683. — Limpricht:
1865. 511. - Malaguti: 1866, 579. — Städeler; 1867. 869, -
Dachauer: 1858. 805.
438 CaprylverbindimgeiL
UntersuchaDg des im Orossen dargestellten Productes bestimmt als Ga-
prylalkohol erkannte.
Die Untersuchungen von Moschnin, Cahours, Squire und Dachauer
führten ebenfalls zu dem Resultat, dass der neue Alkohol Caprylalkohol sei;
dagegen kamen R all ton, Wills und Stadel er zu dem Resultat, die Substanz
sei Oenanthylalkohol.
Es muss auffallen, dass die Untersuchungen verschiedener Chemiker über
ein auf dieselbe Weise dargestelltes Product zu so verschiedenen Resultaten führten
und es liegt die Vermuthung nahe, dass aas Ricinusölen von verschiedenem Ur-
sprung oder auch, dass aus demselben Ricinusöl bei verschiedener Behandlung
bald der eine, bald der andere Alkohol erhalten werde. Indessen erhielt Bouis
bei zahlreichen Versuchen, die mit dem im Grossen dargestellten Product aus Ri-
cinusöl von Frankreich, Amerika und Deutschland angestellt wurden, stets nur
Caprylalkohol und niemals Oenanthylalkohol, und es spricht femer der Umstand,
dass die von den verschiedenen Chemikern untersuchten Substanzen einen gleichen
oder sehr nahe gleichen Siedepunkt zeigten, dafür, dass stets eine und dieselbe Al-
koholart bearbeitet wurde. Bemerkenswcrth ist dabei noch, dass die Siedepunkte
des Alkohols und seiner verschiedenen Derivate sämmtlich niedriger beobachtet
wurden, als man es bei den innerhalb der Alhoholgruppe stattfindenden Siede-
punktsregelmässigkeiten für die Capryl Verbindungen erwarten soUte.
Im Nachiolgenden sind diese Verbindungen als Caprylverbindungen be-
schrieben.
Caprylalkohol: ^*^gje. Der Caprylalkohol entsteht bei
Zersetzung der Rioinölsäure mit Kalihydrat; diese spaltet sich unter Was*
serstoffentwicklung in Fettsäure und Caprylalkohol.
^18^34^8 + 2KH0 =: 0ioHieK2O4 -|- ©gHijO + Hj
Ricinöl- Fettsaures Capryl-
säure. Kali. alkohol.
Darstellung. Man destillirt Ricinusöl (2 Th.) mit festem Ealihydrat oder
man erhitzt das aus dem Ricinusöl durch Verseifen gewonnene ricinölsaure Kali in
einer kupfernen Retorte. Aus dem Destillat wird, zweckmässig nach wiederholter
Rectification über festes Ealihydrat, der Caprylalkohol durch fractionirte Destillation
abgeschieden. Man erhält */, ~ ^/^ vom Gewicht des Ricinusöls. Bei rasch gelei-
teter Destillation bestehen die flüchtigen Zersetzungsproducte fast ausschliesslich
aus Caprylalkohol, wird langsam erhitzt, so entsteht neben diesem und bisweilen
&st ausschliesslich ein Körper, den man anfangs für Capiylaldehyd (S^HigO) hielt,
später für Methyl -Oenanthon: 6,Hi,(€H,)0 erkannte.
Der Caprylalkohol ist eine farblose Flüssigkeit von angenehm
ätherartigem Geruch. Er siedet bei 178<^, ist unlöslich in Wasser, mit
Alkohol und Aether mischbar. Er löst Kalium und Natrium unter Was-
serstoffentwicklung auf; gibt beim Erhitzen mit Schwefelsäure oder ge-
schmolzenem Chlorzink Caprylen: CgHi^; und wird von Salpetersäure
beim Kochen oxydirt, unter Bildung weitergehender Oxydationsproducte
(Buttersäure, Pimelinsäure, Lipinsäure, Bernsteinsäure eto.).
Cetylveri>indangeiL 439
BeimlGselidii des Caprylalkohols mit Schwefelsftare entsteht Caprylschwe»
felstture: • U>S04i bei Einwirkung von Phosphorsupercblorid entsteht Ca-
prylchlorid: GsHi^Cl (Sied. 176®); durch Einwirkung von Brom oder Jod und
Phosphor wird Gaprylbromid und Capryljodid erhalten, welches bei etwa
200® unter theilweiser Zersetzung ins Sieden kommt Durch Einwii-kung des Jodids
auf Schwefelkalium wird Caprylsulfid, durch Einwirkung auf salpctersaures
Silberoxyd der Salpetersfture-Capry läther erhalten, der bei 80® unter
theilweiser Zersetzung siedet. Durch Einwirkung von Natrium auf Caprylcblorid
entsteht in der Kälte Capryl (OgH,,)^, beim Erhitzen Caprylen-, vorher wird
eine blaue Verbindung erzeugt, die Bouis für GgHjjNa, NaCl hält. Der Capryl-
äther entsteht durch Einwirkung von Caprylcblorid auf die Natriumverbindung
des Oapr\ lalkohols , er ist bis jetzt nicht rein erhalten worden.
Durch Einwirkung von Methyljodid, Aethyljodid und Amylgodid auf die Na-
triumverbindung des Caprylalkohols hat Wills drei intermediäre Aether erhalten
(als Oenanthylverbindungen beschrieben).
Hethyl-Capryläther. Aethyl-Capryläther. Amyl-Capryläther.
sied. 161®. sied. 177®. sied. 220®.
^•Hnf ÖgH„| ^t^iiV
Cetyl verbin dun gen.
Cetylalkohol Aetbal. Cetyloxydhydrat: ^^«^gja ^^^•
Der Cetylalkohol wurde 1823 von Chevreul entdeckt; Dumas
und Peligot*) zeigten 1836 seine Analogie mit dem Aethylalkohol ; in
neuerer Zeit wurden seine Derivate noch wesentlich von Fridau **)
untersucht. Der Cetylalkohol findet sich in Verbindung mit Palmitin-
G H O/
säure, als Palmitinsäure-Cetyl&ther: a fj (^ (Cetin) im
Wallrath, dem festen Beslandtheil des die Höhlen der Schädelknochen
einiger Wale (Physeter, DeJphinus etc) erfüllenden Fettes. Zur Darstel-
lung des Cetylalkohols muss das Cetin des Wallraths durch ein Alkali
zersetzt (verseift) und der freigewordene Alkohol von der Palmitinsäure
getrennt werden.
Man trägt in geschmolzenen Wallrath (2 Th.) festes Kalihydrat ein, oder
man erhitzt den durch Waschen mit Alkohol von anhängendem Fett befreiten Wall-
rath längere Zeit mit höchst concentrirter Kalilauge auf 110® — 120. Man zersetzt
die Masse direcf , oder besser die durch Kochsalz aus der mit Wasser aufgeschlämm-
ten Masse, ausgeschiedene Seife, mit Salzsäure oder Schwefelsäure. Das ausge-
schiedene Fett (ein Gemenge von Cetylalkohol und Palmitinsäure) wird dann mit
Kalkmilch gekocht, die gebildete Kalkselfe getrocknet und mit Alkohol ausgezo-
•) Ann. Chem. Pharm. XIX 290.
^*) ibid. LXXSUL 1.
440 Cet^lyerbinduiigen.
gen. Der Cetylükahol wird gelöst, paJmitinsaarer Kalk bleibt zurüok (Damas und
Peligot, Frldau). Zur Reinigung krystallißirt man den Cetylalkohol aus Aether um.
Heintz zieht vor, denWallrath durch längeres Kochen mit alkoholischer Kali-
lÖBung zu verseifen, dann mit Chlorbarium zu f&Uen und zu filtriren. Die gröfiste
Menge des Palmitinsäuren Baryts bleibt auf dem Filter; die Lösung wird einge-
dampft und der Rückstand mit Aether ausgezogen. Durch Verdunsten erhält man
rohen Cetylalkohol, den man durch ümkrystallisiren aus Aether reinigt
Der Cetylalkohol ist eine weisse feste krystallinische Masse, er ist
geruch- und geschmacklos. Er schmilzt bei 49® — 50® und erstarrt bei
langsamen Erkalten in grossen Erjstallblättern. Er kann ohne Zersetzung
zu erleiden destillirt werden und verflüchtigt sich in geringer Menge beim
Sieden mit Wasser. Er ist unlöslich in Wasser, löslich in Alkohol und
Aether. Er brennt mit stark leuchtender Flamme.
Der Cetylalkohol ist, durch sein chemisches Verhalten vollständig
als Alkohol charakterisirt. Er gibt beim Erhitzen mit Ealihydrat, oder
zweckmässiger mit Kalikalk (220® — 275®) unter Wasserstoffentwicklung
palmitinsaures Kali:
Cetylalkohol. Palmitinsau-
res Kali.
Ö16H34O + KHO = OieHaiKOa + 2H,
Durch Einwirkung wasserentziehender Substanzen, am besten bei
Destillation mit Phosphorsäureanhydrid entsteht Ceten:
Cetylalkohol. Ceten.
Ö16H34O = ©leHj, + HjO
Kalium und Natrium wirken beim Erwärmen auf Cetylalkohol ein,
unter Wasserstoffentwicklung entsteht Kalium - oder Natriumcetylat
(Aethalnatrium).
700. Durch Einwirkung von Schwefelsäure auf Cetylalkohol (bei Erwärmen im
Wasserbad) entsteht Cetylschwefelsäure, die in freiem Zustande nicht unter-
sucht ist, aber ein leicht krystallisirendes Kalisalz bildet: ^i» y|S04. Das Ce-
tyl Chlorid: €|gH,3.Cl, durch Destillation von Cetylalkohol mit Phosphorsuper-
chlorid erhalten, ist eine in Wasser unlösliche Flüssigkeit, die fast ohne Zersetzung
zu erleiden destillirt werden kann. Cetylbromid, durch Erwärmen von Cetyl-
alkohol mit Brom und Phosphor im Wasserbad erhalten , ist eine feste weisse Sub-
stanz, die bei 15* schmilzt. Das Cetyljodid erhält man durch Eintragen von
Jod und Phosphor in geschmolzenen Cetylalkohol (bei 100^ — 120®), es ist ein
weisser, fester Körper, der bei 22® schmilzt, nicht destillirt werden kann und sich,
besonders leicht bei Einwirkung des lichtes unter Freiwerden von Jod zeraetzt.
Es wird beim Erhitzen mit Quecksilberoxyd und leichter noch mit feuchtem Silber-
ozyd (schon unter 100®) angegriffen und in Cetylalkohol übergeführt. Cetyloxyd,
Cetylftther: 3**o*'}o, durch Erhitzen von Aethalnatrium mit Cetyljodid auf 100®
erhalten, krystaUiAirl aud Alkohol oder Aether in glänzenden Blättcken; es schmilzt
Cerylverbindongex». 441
bei 64« und siedet bei etwa 800^ — Cetylsulfid: 0"g''}s wird durch länge-
res Kochen von Cetylchlorid mit einer alkoholischen Lösung von Ealiumsulfid dar-
gesteUt; es krystallisirt, schmilzt bei 57^ und erstarrt bei 54® krystallinisch. —
Cety^lsulfhydrat, Cetylmercaptan: " w^' ^° derselben Weise aus Kaliuin-
sulfhydrat und Cetyljodid gewonnen, schmilzt bei 50^,5 und erstarrt bei 44®, es ist
ebenfalls krystallisirbar.
Durch Einwirkung von Cetyljodür auf Ammoniak hat Fridau Tricetyl-
amin (vgl. §. 711), und die Einwirkung auf Anilin auch Oetylderivate des
Anilins erhalten. (Siehe Anilin.)
Nach Untersuchungen von Heintz *) entsteht, wenn man rohen Cetylalko- 70X.
hol oder auch, wenn man den in Alkohol löslicheren Theil des Cetylalkohpls (d. h.
das, was bei wiederholtem Umkrystallisiren in den Mutterlaugen bleibt) mit Eali-
kalk auf 275® — 280® erhitzt nicht reine Palmitinsäure, sondern ein Gemenge von:
Laurostearinsäure: 6iaH2403, Myristinsäure: ^iJ^2s^2t Palmitin-
säure: 'Oi«H3a02 und Stearinsäure: OisHj^-Oa. Heintz nimmt an, jede dieser
Säuren entstünde aus einem entsprechenden Alkohol von gleichviel Eoblenstoff-
atomen und der Wallrath enthielte ausser Getylalkohol (Aethal) noch drei andere
Alkoholarten :
Lethal ^12^9^
Methai OiAoO
Aethal OieH^^O
Stethai SigHjge
Ceryl Verbindungen.
Cerylalkohol, Cerotin: ^»^^glo. Von Brodle**) 1848 entdeckt. 702.
Der Cerylalkohol bildet in Verbindung mit Cerotinsäure als
Cerotinsäure-Ceryläther das Chinesische Wachs; eineWacbs-
art, die von China aus als feste, grosskrystallinische, dem Wallrath sehr
ähnliche, aber etwas festere und schwach gelb gefärbte Masse, in den
Handel gebracht wird und wahrscheinlich wie das Bienenwachs das Werk
eines Insektes ist.
Zur Darstellung des Cerylalkohols wird das chinesische Wachs mit festem
Ealihydrat verseift, die Seife in heissem Wasser gelöst und mit Chlorbari um ge-
flLllt Der Niederschlag, ein Gemenge von Cerylalkohol und cerotinsaurem Baryt,
wird abfiltrirt, getrocknet und mit Alkohol ausgezogen. Der alkoholische Auszug
lässt beim Verdampfen Cerylalkohol, der durch Umkrystallisiren aus heissem Al-
kohol und Aether gereinigt wird.
Der Cerylalkohol ist eine weisse krystallinische Substanz, die bei
79^ schmilzt Beim Destilliren geht ein Theil unverändert über, ein an-
derer Theil liefert unter Austritt von Wasser Ceroten:
^) Ann. Chem. Pharm. XCII. 299.
••) ibid. LXVn. 199.
442 MTricylyerbindangen.
Ceiylalkohol. Ceroten.
627H50O = 627H54 + HjO
Erhitzt man Cerjlalkohol mit Ealikalk, so wird unter Entwicklang
▼on Wasserstoff Gerotins&ure gebildet
Cerjlalkohol. Gerotinsaares Kali.
627H541O -p KHO z:z 627H51KO2 -}- 2H2
Durch Einwirkung von Schwelelsäurebydrat auf Cerylalkohol entsteht eine
weisse aus Aether krystallisirbare, in Wasser löslichen Substanz, deren Analyse
(O und H) der Formel entspricht: (ß^-i^M^i^y SO4H,. — Durch Einwirkung von
Chlor auf Cerylalkohol entsteht ein harzartiger Körper (dem Chloral analog),
CaiH^aCljO.
Myricyl verbin dangen.
704. M y r i cy 1 a 1 k o h 0 1 •j. Melissin. Melylalkohol : ^»<^g 1 0.
Wenn man aus Bienenwachs durch wiederholtes Auskochen mit
Wasser alle Gerotins&ure aaszieht, so bleibt ein bei 64® schmelzender
Rackstand. Durch Lösen in Aether erhftlt man daraus krystallisirtes und
bei 72<^ schmelzendes Myricin. Dieses ist Palmitinsäure -Myricyl&ther:
^ H 1 0. Man kann aus ihm den Myricylalkohol bereiten, indem man
mit festem Ealihydrat verseift, einen Barjtniederschlag darstellt und dann
mit Aether auszieht. Zweckmässiger verseift man mit alkoholischer
Kalilauge, zersetzt die Seife, nach Abdampfen des Alkohols, durch Kochen
mit Salzsäure und Wasser und löst das sich ausscheidende Fett in einer
grossen Menge heissen Alkohols. Beim Erkalten fällt der Myricylalkohol
aus, während Palmitinsäure in Lösung bleibt. Man reinigt durch Um-
krystallisiren aus Aether oder Benzin.
Der Myricylalkohol ist eine feste Substanz von seideartigem
Glanz. Er schmilzt bei 85® und erstarrt krystallinisch. Beim Erhitzen
verflüchtigt sich ein Theil unzersetzt, ein anderer zerfällt in Wasser und
einen festen Kohlenwasserstoff, wahrscheinlich Melen: G^ffl^^ Durch
Einwirkung von Kalikalk auf Myricjlalkohol entsteht Melissinsäure :
Myricyl- Melissinsaores
alkohol. Kali.
«soHeiö + KH0 = e3oH5tK0, + 2H,
Schwefelsäure und Chlor wirken ähnlich wie auf Cerylalkohol.
•) Ann. Chem. Pharm. LZXI. 147.
Verbindimgen mit dreiatomigen Elementen.
443
Verbindimgeii der Alkoholradicale mit den Elementen der Stickstoff-
gruppe.
LN . p . As . Sb , Bi .]
Atomgewicht: 14; 31; 75; 120; 208.
Die VerbiDdongen der Alkoholradioale mit den dreiatomigen 704.*
Elementen der Stickstoffgruppe sind in den letzten Jahren Ge-
genstand besonders gründlicher Untersuchungen gewesen, durch welche
nicht nur die chemische Natur dieser Elemente aufgeklärt, sondern
gleichzeitig Licht verbreitet wurde Ober die Metall -haltigen Verbindun-
gen der Alkoholradicale. Desshalb wird zweckmässig die Betrachtung
dieser Verbindungen derjenigen, der in ihrer Zusammensetzung einfache-
ren Verbindungen mit Metallen vorausgeschickt
Die Elemente der Stickstoffgruppe: Stickstoff, Phosphor, Ar-
sen, Antimon und Wismutb sind dreiatomig*); ihre einfachsten
Verbindungen mit einatomigen Elementen besitzen die allgemeine Formel:
mt f
B . 3R
worin R irgend ein atomiges Element (Wasserstoff oder Chlor etc.) oder
auch ein einatomiges kohlenstoffhaltiges Radical sein kann.
*) Neben den chemischen Eigenschaiten dieser Elemente, welche gerade bei den
im Folgenden besprochenen organischen Verbind angen besonders deutlich
hervortreten, sprechen auch die Dampf dichten aller bis jetzt untersuchten
flüchtigen Verbindungen der Elemente der Stickstoffgruppe für die Ansicht,
dass diese Elemente dreiatomig sind.
Im Folgenden sind die durch den Versuch ermittelten Dampfdichten
solcher Verbindungen mit den (nach §. 406) berechneten zusammengestellt:
Ammoniak
Phosphorwasserstoff
Phosphorchlorid
Arsenwasserstoff
Arsenchlorid
Arsenjodid
Antimonchlorid
Wismuthchlorid
Phosphorozychlorid
Phosphorsulfochlorid
Salmiak
firomwasserstoffsanrer Phos-
phorwasserstoff
Dampfdichte
gefunden.
berechnet.
NHa
0.589
0.588
PH,
1.19
1.14
PCla
4.87
4.76
AsH,
2.69
2.70
AsCl,
6.80
6.97
AsJ,
16.10
15.78
SbCl,
7.80
7.83
BiCl,
11.35
10.89
P0C1,
5.29
5.31
PSCI,
5.87
6.86
NH4CI
0.89
1.81
PH4Br
1.90
8.98
444
Verbindimgen der Alkoholradicale
Diese einfachsten Verbindungen besitzen die Eigenschail, sich durch
moleculare Aneinanderlagerung noch mit zwei einatomigen Elementen
(RR) vereinigen zu können zu Verbindungen von der Formel:
R . 5R = R . 3R + 2R
Die 80 erzeugten Verbindungen sind nur in festem oder flüssigem Zustand
beständig, beim Uebergang in den gasförmigen Zustand zerfallen die aneinander-
gelagerten MolecÜle zu zwei getrennten Molecülen.
Dampfdichte
efunden.
berechnet.
2.77
5.51
8.66
7.21
0.88
1.76
0.77
1.52
JodwasserstofTsaurer Phos-
phorwaßserstoflf PH4J
Phosphorsuperchlorid PCI5
Ammoniumsulfhydrat NH4&H
Cyanammonium NH^Cy
Man sieht, dass die Yerbindangen der Elemente der Stickstoffgruppe mit
drei einatomigen Elementen sämmtlich normale Dämpfe bilden (2 Vol. Dampf
entsprechend) \ dass dagegen alle Verbindungen mit 5 Atomen einatomiger
Elemente eine anomale Dampfdichte zeigen (4 VoL Dampf entsprechend) and
so zu der Annahme berechtigen, ihr Dampf sei ein Gemenge von zwei
Dämpfen; eine Annahme, die noch dadm'ch an Wahrscheinlichkeit gewinnt^
dass mehrere hierher gehörende Verbindungen, namentlich Antimon8npe^
Chlorid (SbCl^) imd Phosphors uperbromid (PBr^) sich durch Einwirkung der
Wärme leicht und zwar bei Temperaturen zersetzen, die niedriger sind als
die Siedepunkte des entstehenden Antimonchlorids und Phosphorbromids. —
Die Verbindungen mit 8 Atomen einatomiger und einem Atom eines zwei-
atomigen Elementes (POCI3, PSrClj) zeigen wieder normale Dampfdichten,
während das Ammoniumsulfhydrat wieder 4 Volumen entspricht.
Von den kohlenstoffhaltigen Verbindungen sind alle diejenigen, welche
den Substanzen der ersten Hälfte der obigen Tabelle entsprechen, ohne Zer-
setzung flüchtig und liefern normalen Dampf. Diejenigen dagegen, welche
den unorganischen Verbindungen mit anomalem Dampf entsprechen, zer.
setzen sich, wie dies in vielen Fällen bestimmt nachgewiesen ist, beim Er-
hitzen in zwei Molecöle.
Alles dies (zusammengenommen mit dem übrigen chemischen Verhalten)
führt zu der Ansicht, dass die Elemente der Stickstoffgruppe dreiatomig sind.
Für die dem NH3, PCI3, POCl, etc. entsprechenden Verbindungen ist dann
eine Ursache des Zusammenhangs der Atome ersichtlich, für Substanzen wie
Salmiak, Phosphorsuperchlorid, Ammoniumsulfhydrat dagegen nicht; die er
steren sind im Stand als Gasmolecüle zu fungiren , die letzteren nicht £m
ausführlicheres Eingehen in diese Vorstellung mag durch die folgenden grsr
phisch dargestellten Formeln der hierher gehörigen Verbindungen ersetzt
werden :
Ammoniak ,
Phosphorchlorid etc.
Phosphoroxy-
chlorid.
Salmiak, Phos-
phorsuperchlorid.
Ammoniam-
sulfhydrat
oooloo
mit Elementen der Stickstoffgruppe. 445
Es ist durch die chemische Individualität des dreiatomigen Elemen- 705.
tes bedingt, ob es sich, zur Erzeugung einer dem Typ: R.3R zugehöri-
gen Verbindung, besonders leicht mit Wasserstoflf oder mit Chlor ver-
einigt und ob die eine oder die andere Verbindung beständiger ist. So
ist für den 8ticksto£f nur die Wasserstoffverbindung (NH3) mit Sicherheit
bekannt, für das Wismuth kennt man nur die Chlorverbindung (BiCIg).
Für die drei zwischen liegenden Elemente (Phosphor, Arsen und Anti-
mon) kennt man die Chlor- und die Wasserstoffirerbindungen ; aber diese
Elemente • besitzen eine entschieden vorwiegende Neigung sich mit Chlor
zu verbinden und die Wasserstoffverbindungen sind um so weniger be-
ständig je mehr sich das dreiatomige Element in seiner chemischen Natur
und durch sein Atomgewicht dem Wismuth nähert.
Für alle diese Elemente können die 3R der Verbindung R . 3R
durch Alk 0 hol radicale ersetzt sein; und man kann die so entstandene
Verbindung dann entweder mit den Wasserstoff- oder mit den Chlor-
verbindungen vergleichen.
Man kann z. E. sagen, das Triäthylamin ist Ammoniak, in welchem die
3 At. H, das Triäthy larsin ist Arsenchlorür, in welchem die 8 At. Ol durch das
Radical Aethyl vertreten sind:
Ammoniak NH3 Arsenchlorür AsCl,
Triäthylamin NCOaHft), Triäthylarsin AsCeaH^),
Es ist ferner von der chemischen Individualität des dreiatomigen 706.
Elementes abhängig, mit welcher nach der Formel RR zusammengesetz-
ten Substanz die Verbindung R . 3R besonders leicht zusammentritt. So
vereinigt sich das Ammoniak mit ausnehmender Leichtigkeit mit: HCl,
HBr und HJ, dagegen nicht mit ClCl. Der Phosphorwasserstoff verbin-
det sich weit weniger leicht mit Wasserstoffsäure und nur mit HBr und
HJ; dem Arsenwasserstoff geht die Fähigkeit sich mit einer Wasserstofi-
verbindung zu vereinigen völlig ab. Umgekehrt vereinigt sich Phosphor-
chlorür (PCI3) leicht mit Clj; dagegen nicht mit HCl.
In den nach der Formel: R.3R zusammengesetzten Verbindungen
der Alkoholradicale tritt derselbe Einfluss der individuellen Natur
des dreiatomigen Elementes zu Tage. Das Triäthylamin: N(02H5)3 ver-
bindet sich leicht mit HCl aber nicht mit CI2 ; das Triäthylarsin : A8(€2H5)3
und Triäthylstibin : Sb(62H5)3 vereinigen sich leicht mit CI2 aber nicht
mit HCl; das Triäthylphosphin hält zwischen beiden die Mitte, es ist
fähig direct mit HCl und ebensowohl mit CI2 zusammenzutreten.
im I
Alle diese Verbindungen der Alkoholradicale (R . 3 R) sind Ahig mit
Chloriden der Alkoholradicale sich zu vereinigen zu Verbindungen von
der Formel:
R, 3R..RC1
(worin R ein einatomiges Alkoholradical bedeutet). Z. B.:
448
Stickstoffbaften der Alkoholradicale.
endlich Substanzen, die dem Ammoniakoxydhydrat entsprechen und
an der Stelle von 4 At. H Alkoholradicale enthalten. Ammonium-
basen"^).
Man hat also:
Typus: NH, [AmmoniakbasenJ
Typus: ^}<
allgemeine
Formel.
als
Beispiel.
Aminbasen,
iCnHln + l
NJH
Aethylamin.
Imidbasen.
iOnHln + l
NjOnHin + l
NJOA
Dilithylamin.
Nitrilbasen.
lönH^n + i
(enH^n + l
Triäthylamin.
Ammoniumbasen.
N(e„H2„+i>
N
'4'
Teträthylammo-
niornoxydhydrat.
710. .Alle diese Basen bilden dem Chlorammonium entsprechende salz-
artige Verbindungen:
Typus: NH4CI
allgemeine
Formel.
als
Beispiel.
N(enH2o+i)H,Cl
NCeaH^HjCl
Aetbylammo-
nium Chlorid.
N(enH2n+i)aHaa
N(eaH5)aH,Cl
Diäthylammo-
niamchlorid.
N(€uH2,,+i)3HCl
N(eaH5),HCl
Trifithylammo-
niumcblorid.
NeuH2D+i)4a
Teträthylammo-
nium Chlorid.
Diese Chloride (und die entsprechenden andern Salze) zeigen bei.
allen Salzzersetzungen — gleichviel ob 1, 2, 3 oder 4 At. H durch
Alkoholradicale vertreten sind — ein völlig gleiches und dem Ammonium-
Chlorid vollständig analoges Verhalten. Sie tauschen nämlich eine dem
Ammonium entsprechende Gruppe, die dabei das Verhalten eines einato-
migen Metalls zeigt, gegen andere einatomige Metalle oder auch gegen
1 At. H um. Sobald man aber durch eine stärkere Base (Ealihydrat,
Silberoxyd etc.) die organische Base in Freiheit setzt, zeigen die den
verschiedenen Gruppen zugehörigen Stickstofifbasen eine bemerkenswerthe
Verschiedenheit des Verhaltens.
*) Die Aminbasen worden 1648 von Wurtz, die Imidbasen und Nitrilbasen 1849
und die Ammoniumbasen 1851 von Hofmann entdeckt
Allgemeines Verhalten.
449
Die Chloride der Ammoniakbasen (Amin-, Imid- und Nitrilbaflen)
werden, wie das Ammoniumchlorid von Ealihydrat leicht angegriffen und
es wird dabei eine flüchtige, dem Ammoniak entsprechende Base in Frei-
heit gesetzt.
Man hat also:
Ammonium- Ealihydrat.
Chlorid.
NH4CI + KHO =
und ebenso:
Aethylammonium-
Chlorid.
N(e2H5)H3Cl + KHO =
Kalium- Ammoniak. Wasser.
Chlorid.
KCl + NH3 + H,e
Aethylamin.
KCl + N(e2H5)Ha + HjO
Die Chloride, Jodide etc. der Basen der vierten Gruppe (Ammonium-
basen) werden dagegen durch Ealihydrat nicht angegriffen; setzt man
zu ihrer wässrigen Lösung Silberoxyd, so entsteht Silberchlorid oder
Jodid und eine stark kaustische Lösung, welche eine dem Kalihydrat
(oder dem hypothetischen Ammoniumoxydhydrat) entsprechende Base
enthält«
Die Zersetzung ist also analog derjenigen des Kaliumchlorids mit
Silberoxyd:
Kaliumchlorid.
KCl + AgHO
Teträthylammo-
niumchlorid.
Ealihydrat.
= AgCl +
ii
O
N(ejHj)4Cl + AgH0 = AgCl +
Tetr&thylammo-
niumoxydhjdrat
•lil'
Sie ist verschieden von der Zersetzung, welche Ammoniumchlorid
und die Chloride der Ammoniakbasen durch Silberoxyd erleiden. Bei
diesen zerfallt die durch doppelten Austausch entstehende dem Typus:
H2O zugehörige Verbindung sofort in Wasser und Ammoniak oder eine
dem Ammoniak entsprechende Base. Bei dem Teträthylammoniumchlorid
dagegen bleibt die dem Typus: HjO zugehörige Verbindung bestehen.
Man sieht also , dass in dem Ammoniak 1 , 2 oder 3 Atome Was-
serstoff durch Alkoholradicale ersetzt werden könneo, ohne dass dadurch
der Charakter des Ammoniaks verloren geht. So zwar, dass die Atom-
gruppe, welche in den Salzen die Stelle eines einatomigen Metalles ver-
tritt, mit ausnehmender Leichtigkeit unter Bildung eines Ammoniaks zer-
fällt Wird dagegen ein viertes Alkoholradical zugefügt, so gewinnt diese
Kein 16, orgu. Chemie. 29
450
Stickstoffbasen der Alkoholradicale.
Grappe (das Ammoniam) an Beständigkeit; ihre dem Wassertjp zuge-
hörige Verbindung kann isolirt werden .ohne Zersetzung zu erleiden. FOr
das Verhalten der Ammoniak basen ist also die Ammoniaktheorie ein
einfacher Ausdruck; das Verhalten der Ammoniumbasen dagegen wird
vollständiger durch die Ammoniumtheorie ausgedrflckt.
711. Im Folgenden sind die bis jetzt bekannten Stickstoffbasen der AI-
koholradicale zusammengestellt:
Amidbasen.
Ammoniakbasen.
Imidbasen.
Nitrilbasen.
AmmoDiambasen«
Methyl,
basen.
inter-
mediär
Aethyl-
basen.
inter-
mediär
inter-
mediär
Amyl-
basen.
6H,
K)H sied
{H unter 0*
Methylamin.
Le,H,
H sied.
H 18«,7
Aethylamin.
je,
NJH
f CT
sied.
H 94*
Amylamin.
Dimethylamin.
»CT
sied.
'H 67«
Diäthylamin.
e»H„ sied.
H 170«
Diamylamin.
N<eH. sied.
Trimethylamin.
)eA
Triäthylamin.
NieaH» sied
'e»H,i 136«
Methyl-Aethyl
Amyl-Amin.
,«A
sied.
Hl IM
Diäthylamyl.
N
[65H11 sied
<e5Hii 2Ö7*
Triamylamin.
Tetramethylammoniam-
hydrat
N(eH,)(€AW^
Methyltriäthylammonium-
hydrat
Teträthylammonium-
hydrat
N(eH,)(eA)i(e»H„Me
Methyldiäthylamylammo-
niumhydrat
N(6A)a(eA0|e
Triäthylamylammonium-
hydrat
N(€AiMe
Tetramylammonium-
hydrat
Bildung und Dantellang.
451
Man kennt ferner:
Butylamin
"in
sied. 69"
Caprylamin
"if"
Bied. 170«
Aethylcaprylamin N < O^Hia
(H
Trieetylamin
schmilzt 39^.
Bildung und Darstellung der Stickstoffbasen.
Die ftlr die Theorie wichtigsten und zur Darstellung geeigneten Bil- 712.
dungsweisen sind die folgenden.
I. Die Aether der Cjansäure und der Cyanursäure, und ebenso die-
jenigen Abkömmlinge des Harnstoffs, welche Alkoholradicale enthalten,
zerfallen bei Einwirkung von Ealihjdrat (Kochen mit Kalilauge) in Koh-
lensäure und eine Aminbase.
Es ist früher schon darauf aufmerksam gemacht worden (§. 671), dass die
Zersetzung der Cyans&ureäÜier völlig analog ist derjenigen, welche die Cyansfture
selbst erleidet Wenn man die Cyansäure als Imid der Kohlensäure betrachtet,
das heisst als Ammoniak, in welchem 2 At H durch das zweiatomige Radical : 60
vertreten ist, so können diese Zersetzungen der Cy ansäure und ihrer Aether auf-
gefasst werden als doppelter Austausch des zweiatomigen Radicals Carbonyl gegen
2 Atome Wasserstoff in 2 Molecülen Kalihydrat. Man hat :
Cyansäure.
Kalihydrat.
K
Ammoniak. Kohlens. Kali.
■'jF7
h _
= N
K
€0»
Wird, statt der Cyansäure, ein Aether angewandt, d. h. Cyansäure, in wel-
cher H durch ein Alkoholradical ersetzt ist, so entsteht, statt des Ammoniaks, ein
Ammoniak in dem 1 At H durch ein Alkoholradical vertreten ist, also eine Amin-
base. Z. B.:
Cyansäure-
Aethyläther.
Kalüiydrat Aethylamin. Kohlens. Kali
Nl
K I
J V.
H
H
29
452 SÜckstoffbasen der Alkoholradicale.
Die Zersetzung der Cyanursäureiither kann, da die Cyannrsänre verdreifachte
C3*an säure ist, in derselben Weise aufgefasst werden. Auch die Bildung der Amin-
basen bei Einwirkung von Kalihydrat auf die Abkömmlinge des Harnstoffs ist der-
selbe Austausch des zweiatomigen Radicals: 60 gegen 2 At. H (vgl. Harnstoff,
Amide der Kohlensäure).
Diese Reaction, entdeckt von Wurtz 1848, gestattet wie man sieht
nur die Darstellung der Aminbasen, nicht der Imid- und Nitrilbaseo.
Öle ist eben desshaib als Darstellungsmethode reiner Aminbasen beson-
ders zweckmässig.
Nach dieser Methode hat Wurt^ dargestellt das : Methylamin, Aethji-
amin *) , Butylamin **) und Amylamin ***j.
Zur Darstellung destillirt man einen Aether der Cy ansäure oder Cyanursäore
mit Kalilauge, föngt die entweichenden ammoniakalischen Dämpfe in Salzsäure auf
und gewinnt durch Verdampfen das Chlorid der Amlnbase, aus welchem durch
Destillation mit Aetzkalk die Base selbst dargestellt wird.
713. II. Bei Einwirkung der Bromide und Jodide der Alkoholradicale auf
Ammoniak entsteht die Brom- und Jodverbindung einer Aminbase.
Die Reaction ist nach dem §. 704 Mitgetheilten verständlich. Das Ammonial^
vereinigt sich direct mit Aethyljodid zu einer dem Typus: Salmiak zugehörigen
Verbindung:
Ammoniak. Aethyljodid. Aethylammoniumjodid.
NH, + 62H5J = NH3(eaH5)J
Diese, obgleich durch Aneinanderlagerung von Aethyljodid und Ammoniak entstan-
den, zerl^Ut bei Einwirkung von Kalihydrat zu Jodwasserstoff und Aethylamin:
Man kann daher die Reaction auch auffassen:
^mmonial
£. Aethyljodid.
;^vf «,H,)J
N H
U
HJ.
Man kann annehmen, das Ammoniak tausche 1 At. H gegen Aethyl aus
und das gebildete Aeth>lamin bleibe mit der Jodwasserstoffsäure vereinigt.
Wie das Ammoniak, so vereinigt sich auch das Aethylamin (und
andere Aminbasen) direct mit Aethyljodid zu Biäthylammoniumjodid, aas
welchem durch Kali Biäthylamin abgeschieden wird. Dieses ist im Stande
sich wieder mit Aethyljodid zu vereinigen zu Triäthylammoniumjodid,
welches beim Behandeln mit Kali das Triäthylamin in Freiheit setzt. Das
Triäthylamin endlich verbindet sich wiederum direct mit Aethyljodid zu
♦) Ann. Chem. Pharm. LXXI. 330. LXXVI. 317.
••) ibid. XCUI. 124.
•••) ibid. LXXI. 340. IXSNl 334.
Bildung nnd Darstellung. 453
Tetr&thjlammoDiumjodid. Dieses zeigt jetzt ein von dem der vorher-
gehenden Jodide abweichendes Verhalten, es wird von Kalilauge nicht
zersetzt; aus der flachtigen Ammoniakbase ist eine nicht flüchtige
Ammoniumbase geworden.
Man hat also die folgenden Reactionen:
Aethyljodid.
Ammoniak NH, -J" ^2^5«^ = NCO^H^') H3J Aethylammoniumjodid.
Aethylamin NCeaHa)!!^ + ^aHjJ = N(e2H5)2HaJ Diäthylammoniumjodid.
Di&thylamin NCeaHft)^!! + ß^^y^ = N(e2Ha)3H J Triäthylammoniumjodid.
Tri&thylamin NCÖaRft), -|- B^E^J = N(62H5)4 J Teträthylammoniumjodid.
In der Regel verlauft indess die Reaction nicht so einfach wie eben
angenommen wurde. Schon bei der ersten Einwirkung des Jodids des
Alkoholradicals auf Ammoniak entstehen neben dem Jodid der Amin-
base auch die Jodide der Imid-, der Nitril- und der Ammoniumbase, in-
dem gleichzeitig Ammoniumjodid gebildet wird. Die folgenden Gleichun-
gen veranschaulichen diese Reactionen:
NH, 4- enHiD+iJ = N(eoH2n+i) H,J
2 NH, + 2 e.iH2„+iJ = N(enH2n4-t)2HaJ 4- NHJ
3 NH, 4. 3 OnH^n+iJ = N(€.,H2n+l)3H J + 2 im^J
4 NH3 4. 4 enH2h+iJ = NfenH2n+l)4 J 4" 3 NH^J
Fast immer bilden sich alle diese Verbindungen gleichzeitig, aber
in, je nach der Natur der Substanz und nach den Bedingungen, in wel-
chen man operirt, wechselnden Mengen.
So wird z. B. bei Einwirkung von Methyljodid auf Ammoniak \iel Ammo-
niamjodid gebildet, das Tetramethylammoniumjodid entsteht in überwiegender,
Methyl-, Dimethyl- und Trimethylammoniumjodid in untergeordneter Menge. Bei
Einwirkung von Aethyljodid dagegen wird ein Atom H nach dem andern durch
Aethyl ersetzt*, die erste Einwirkung liefert wesentlich Aethylammoniumjodid. Das
aus diesem durch Kali abgeschiedene Aethylamin liefert bei neuer Behandlung mit
Jodäthyl wesentlich Diäthylamin: aus diesem wird durch nochmalige Behandlung
mit Jodäthyl wesentlich Triäthylamin erhalten, welches dann bei Behandlung mit
Jodäthyl zu Teträthylammoniumjodid wird.
Die Ammoniumbase kann mit Sicherheit rein erhalten werden.
Häufig ist es zweckmässig, das Product der ersten Einwirkung durch
Kali zu zersetzen, die frei gewordene Base von neuem mit dem Jodid
des Alkoholradicals zu behandeln und dies mehrmals zu wiederholen.
Da die Ammoniumbasen beim Erhitzen zerfallen unter Bildung von
Nitrilbasen, so bietet auch die Reindarstellung dieser keine besondere
Schwierigkeit. Man hat nur nöthig, das Jodid der Ammoniumbase mit
Silberoxyd zu zersetzen und die frei gewordene Base zu destilliren.
Die Reindarstellung der A min b äsen dagegen und mehr noch die
der Imidbasen ist häufig mit Schwierigkeit verbunden. Man kann in
454 Stickstoffbasen der Alkoholradicale.
manchen Fällen die ungleiche Löslichkeit der Sake der verschiedenen
Basen in Alkohol und Aether zur Trennung benutzen. Oder naan setst
der freien Base eine zur völligen Sättigung ungenügende Menge einer
Säure, oder dem Jodid eine zur völligen Zersetzung ungenagende Menge
von Kali zu und destillirt. Man erhält dann entweder im Destillat oder
im Rückstand eine reine Base.
Die eben besprochenen Reactionen sind von Hof mann entdeckt
(1849 — 1851); die zahlreichen von ihm dargestellten*) Basen sind in
der Tabelle §. 711 zusammengestellt. Durch dieselbe Reaction erhielten
Cahours **) und Squire***) das Gaprjlamin; Fridauf) das Tricetylamin.
Darstellung. Die Bromide und Jodide der Alkoholradicale wirken schon
bei gewöhnlicher Temperatur auf wässrige und leichter nodi auf alkoholische Am-
moniaklösung; durch höhere Temperaturen wird die Reaction sehr beschleunig!
Man lässt die Substanzen gewöhnlich bei der Siedetemperatur des Wassers aufein-
ander einwirken, indem man sie in einer zugeschmolzenen Glasröhre oder dnem
zugeschmolzenen dickwandigen Glasballon im Wasserbad erhitzt. Auch Stöpsel-
glftser mit aufgebundenem Stöpsel oder mit einer Vorrichtung zum Au^^ressen des
Stöpsels sind anwendbar; für Darstellung grösserer Mengen sind starkwandige Glas-
flaschen, wie sie (ür künstliche Sauerwasser verwendet werden, sehr geeignet Zur
Darstellung von Aethylamin kann man auch durch ein in einem Apparat mit auf-
steigendem Kühlrohr erwärmtes Gemenge von Jodäthyl mit Alkohol Ammoniakgas
leiten, schliesslich unter fortwährendem Durchleiten von Ammoniak erkalten lassen
und nach mehrtägigem Stehen das unzersetzte Jodäthyl von dem gebildeten Aethyl-
ammoniumjodid abdestilliren. (Wühler) ff).
Die Amidbasen, Imidbasen und Nitrilbasen werden im AUgemeinen leichter
von den Bromiden und Jodiden der Alkoholradicale angegriffen als das Ammoniak
selbst In manchen Fällen genügt mehrstündiges Zusammenstellen der Substanzen,
in anderen kurzes Erhitzen in einem offenen Apparat
714. m. Durch Einwirkung von Gyansäure&ther auf Natriumäthylat ent-
steht direct Triäthylamin (Hofmann) fff).
Die Zersetzung ist der oben (§. 712.) besprochenen Bildung der Amin-
basen bei Einwirkung von Kalihydrat auf die Aether der Cyansäure vöDig analog,
nur wird das iRadical: 90 statt gegen 2 At H jetzt gegen zwei Aethyl aus-
getauscht:
*) Vgl. Ann. Chem.^ Pharm. LXXm. 91. LXXIV. 159. LZXVIIL 258.
TiXXTX. 11.
**) Ann. Chem. Pharm. XCÜ. 899.
•♦•) ibid. XCn. 400.
f) ibid. TiXXXITT. 25.
ff) ibid. LXXXVL 874.
fff) ibid. cm. 852.
Bildnng and Dantellang. 455
Cyanaftore- Natrium- Triftthyl- KohlenBaiires
Aethyläther. alkoholat amin. Natron.
e,H,
€>,H, Na
j^-ii§ + a
«*x^säi^ = »1^ + 13
0.
3
Andere BildungsweiseD der Ammoniakbasen.
Aebnlich wie die Bromide und Jodide, so erzeugen noch sehr viele 715.
andere Verbindungen der Alkoholradicale bei Einwirkung auf Ammoniak
oder Ammoniakverbindungen Stiekstoffbasen der Alkoholradicale.
1) Lässt man Aethylchlorid und Ammoniak in fttherischer Lösimg längere Zeit
aufeinander einwirken (zweckmässig in Stöpselflaschen, die man anfangs
öfter der Wirkung der Sonnenstrahlen aussetzt), so scheidet sich salzsaures
Aethylamin in schönen Krystallen aus. (Stas) *).
2) Durch Erhitzen von Aethylalkohol mit Ammonium -chlorid oder -Jodid auf
400^, oder von Methylalkohol mit Ammoniumchlorid auf 800<^ entstehen
Aminbasen. (Berthelot, Jahresber. 1852. 551.)
8) Wird eine alkoholische Lösung von Salpetersäure-Aethyläther mit Ammoniak
gesättigt und auf 100^ erhitzt, so entsteht viel Aethylamin. (Juncadella,
Ann. Chem. Pharm. CX. 254.)
4) Auch Phosphorsäure -Aethyläther gibt beim Erhitzen mit alkoholischer Am-
moniaklösung Aethylamin. (Clermont, ibid.)
5) Amylschwefelsaures Kali mit alkoholischer Ammoniaklösung auf 250® er-
hitzt gibt Amylamin. (Berthelot, Jahresber. 1858. 467.)
6) Wird zu Schwefelsäure -Aethyläther -Ammoniakgas geleitet, so entsteht das
Ammoniaksalz der Aethaminschwefelsäure**) (OgHa^NS^Og). Dieses,
mit kohlensaurem Baryt bis zur Veijagung alles Ammoniaks gekocht, gibt
bei Destillation mit Kalilauge Aethylamin. (Strecker.)
7) Aethylschwefelsaurer Kalk mit cyansaurem Kali oder besser mit Harnstoff
unter Zusatz von Aetzkalk erhitzt, gibt Aethylamin. (Tuttle, Jahresber.
1857. 888.)
8) Durch Einwirkung von Aethyljodid auf Tiimercuramin(N2Hg3)***) entstehen
Doppelverbindungen von Quecksilbeijodid mit Teträthylanmionium (vgl.
S. T28). (Müller.)
Durch längeres Erhitzen von weissem Präcipitat (Mercurammonium chlo-
rid HHgHa.Cl) mit Aethyljodid erhält man: eine Doppelverbindung von
Aethylammoniumchlorid mit Quecksilberchlorid, Doppelverbindungen von
Quecksüberjodid mit Aethyl-, Diäthyl-, Triäthyl- und Tetraäthylammonium-
jodid und noch goldgell^e glänzende Krystalle einer Doppelverbindung von
Quecksüberjodid mit einer quecksilberhaltigen Ammoniumbase (Mercuroteträ-
thylammonium). (Sonnenschein, Ann. Chem. Pharm. Cl. 20.)
*) Von historischem Interesse sind die früheren Versuche von Boullay, Dumas
und Stas. — Ann. Chem. Pharm. XXXV. 164.
**) Strecker, Jahresber. 1850. 416 u. 447. Ann. Chem. Pharm. LXXV, 46.
•••) Hg = 200.
456 Stickstoffbasen der Alkoholradicale.
716.. Vom theoretischen Interesse sind noch die folgenden Bildungs-
weisen,
9) Glycocoll zerfällt bei trockner Destillation zn Methylamin und Kohlen-
säure:
ebenso gibt Alanin: Aethylamin, Leucin: Amylamin. (Cahours, Jahresber.
1858. 321. Schwanert, Jahresber. 1857. 540.) Vgl auch §. 610.
10) Beim Erhitzen von Aldehydammoniak für sich oder mit Kalk entsteht
Dimethylamin. (Gössmann. Jahresber. 1854. 479. Petersen, Jahresber.
1857. 881.)
717. Die Ammoniakbasen der Alkoholradicale sind femer häufig auftre-
tende ZersetzuDgsproducte stickstoffhaltiger Verbindungen von complicir-
terer Zusammensetzung.
11) Viele Alkaloide geben beim Erhitzen mit Kali Ammoniakbasen. Caffelki
gibt Methylamin (Rochleder u. Wortz, Jahresber. 1849. 384.) ebenso Morphin
(Wertheim, Jahresber. 1850. 423.) Codein gibt Methylamin und Trimethyl-
amin (Anderson, Jahresber. 1850. 481.). Aus Narcotin entstehen, je nach
der Zusammensetzung des Narcotins, verschiedene Basen. (Wertheim, Jah-
resber. 1850. 481; 1851. 469.) Aus Theobromin entsteht durch Einwirkung
von Chlor Methylamin. (Rochleder und Hlasiwetz, Jahresber. 1850.)
12) Bei trockner Destillation von rohem essigsaurem Kalk entstehen Am-
moniakbasen. (Williams, Jahresber. 1858. 467.) Im Oleum an i male sind
Methylamin und Butylamin (Petinin) enthalten, wahrscheinlich auch Aethyl-
amin, Propylamin, Amylamin und Caprjlamin. (Anderson, Jahresber. 1851.
477.) Bei Destillation von Menschenham tritt Trimethylamin au£ (Dessaig-
ncs, Jahresber. 1856. 523.)
18) Bei Faul ni SS von Hefe entstehen neben Ammoniak auch Ammoniakbasen
(Malier, Hesse, Jahresber. 1857. 402.); ebenso bei Fänlniss von Mehl (Sul-
livan, Jahresber. 1858. 280.)
In der Häringslake ist Trimethylamin enthalten. (Wertheim, Jahresber.
1851. 480-, Winkler, Jahresber. 1852. Ö2ö. und 1864. 476.)
Ob das im Kalbsblut von Dessaignes aufgefundene Trimethylamin im fri-
schem Blut fertig gebildet enthalten ist, oder durch an&ngende Fänlniss ent-
steht, ist noch unentschieden. (Jahresber. 1857. 882.) ^
Fertig gebildet scheint Trimethylamin in den Blüthcn von Crataegus ozya-
cantha und monagyna, von Sorbus aucuparla undPyrus communis enthalten
zu sein (vgl. Wicke, Wittstein, Jahresber. 1854. 478); ebenso im Kraut von
Chenopodium vulvaria. (Dessaignes, Jahresber. 1851. 481; 1852. 525.) Auch
im Guano sind Ammoniakbasen enthalten. (Hesse, Jahresber. 1857. 402.)
Eigenschaften der Stickstoffbasen der Alkoholradicale.
Ammoniakbasen.
718. Die Ammoniakbasen (Amid-, Imid- und Nftrilbasen) sind sämmtlich,
wie das Ammoniak, unzersetzt flüchtig. Die Methjlbasen sind bei ge-
wöhnlicher Temperatur gasförmig. Die Siedepunkte liegen im AUgeoiei-
Eigenschaften der Ammoniakbasen. 45T
nen om so höher, je grösser der Eohlenstoffgehalt ist; bestinninte Siede-
punktsregelm&ftsigkeiten sind indessen bis jetzt nicht ersichtlich (vgl.
§. 711).
Sie besitzen einen dem Ammoniak ähnlichen, h&ufig einen an an-
dere Verbindungen derselben Radicale erinnernden, bisweilen auch einen
für die betreffende Base charakteristischen Geruch. (So riecht z. B. das
Trimethylamin ähnlich wie faulende Fische.) Sie sind brennbar und
können dadurch in manchen Fällen von dem Ammoniak unterschieden
werden.
Die Amidbasen sind in Wasser löslich. (1 Vol. Wasser absor-
birt bei 12®,5 1154 VoL, bei 25<> 959 Vol. Methjlamingas.) Von den
Imidbasen sind Dimethjl- und Diäthjlamin noch mit Wasser mischbar,
das Diamjlamin dagegen löst sich nur wenig. Ebenso sind von den
Nitrilbasen das Trimethjl- und das Triäthjlamin in Wasser löslich,
alle Amyl enthaltenden Nitrilbasen sind ölartige in Wasser wenig lösliche
Flüssigkeiten.
Die Aromoniakbasen verbinden sich sämmtlich direct mit Chlor-,
Brom- und Jodwasserstoff zu dem Salmiak entsprechenden Verbindungen
(vgl. §. 706). Diese Chloride sind meistens in Wasser und in Alkohol
löslich. Die Löslichkeit in Wasser nimmt im Allgemeinen mit zunehmen-
dem Eohlenstoffgehalt ab, während gleichzeitig die Löslichkeit in Alkohol
zunimmt*
Das tfethylammoninmchlorid ist zerfliesslich und in heissem Alkohol löslich.
Das Aethylammoniumchlorid , das Dimcthylammoniumchlorid etc. sind zerfliesslich
und auch in absolutem Alkohol sehr löslich ; auch das Triäthylammoniumchlorid
ist in Wasser noch ziemlich löslich; bei den Amyl enthaltenden Basen nimmt die
Löslichkeit in Wasser schon merklich ab. Das Tricetjlammoniumchlorid endlich
ist, wie alle Salze dieser Base, in Wasser unlöslich, dagegen leicht löslich in Al-
kohol und Aether.
Die Chloride der Ammoniakbasen geben mit Platin chlorid 719.
dem Platinsalmiak entsprechend zusammengesetzte Doppelsalze. Z. B. :
Trimethylammoniumplatinchlorid N(6H3)3HC1, PtCi]
Beim Vermischen concentrirter Lösungen entsteht gewöhnlich ein gelber Nie-
derschlag. Aus beissen wässrigen Lösungen scheiden sich die Platindoppelchloride
der Ammoniakbasen meist in gelben Krystallschuppen ans, das Trimethylammo-
niumplatinchlorid krystallisirt in orangegelben Octaädern, das Triäthylammonium-
platinchlorid in grossen morgenrothen rhombischen Krystallen. Die Platindoppel-
chloride der das Radical Amyl enthaltenden Ammoniakbasen scheiden sich meist
als Oeltropfen aus, die erst allmälig zu Kry staun adeln erstarren. Viele dieser
Platindoppelchloride sind auch in kaltem Wasser ziemlich löslich; und zwar sind
häufig die Platinverbindungen der Nitrilbasen löslicher wie die der Imidbasen, und
diese löslicher als die Platinsalze der Amidbasen. (So ist das Platinsalz Ton Aethyl-
amin wenig, das von Diäthylamin ziemlich, das des Triäthylamins sehr löslich in
Wasser.) In Betreff der Krystallform dieser Doppelverbindungen vgl. §. 508.
458 Stick8to£Fbasen der Alkoholradicale.
Auch mit Quecksilberchlorid und mit Ooldohlorid bilden
die Chloride der Ammoniakbasen krystallisirbare Doppelsalze. Z. B.:
N(€H,)H3C1 + Aua,
N(6aH5)H,Cl + AuC!,
2N(eaH5)HaCl + HgCl,
720. Die schwefelsauren Salze der Ammoniakbasen verbinden sich mit
schwefelsaurem Kali zu Alaunen, die meist mit dem gewöhnlichen
Alaun isomorph sind (vgl. $. 508). Z. B.:
Methylaminalauii (^^3)3/
Aethylaminalaun z. B.: il^/O« *{- 12 H^O
Trimethylaminalaan ISii^^ü^^YL^ )
Man hat femer beobachtet*), dass das schwefelsaure Aethylamin
mit schwefelsaurer Magnesia ein krjstallisirbares Doppelsalz bildet; das«
Aethylamin sich gegen Eupferchlorid und schwefelsaures Kupferoxyd
genau wie Ammoniak yerhält; dass eine dem phosphorsauren Bittererde-
Ammoniak entsprechende Aethylaminverbindung dargestellt werden kann ;
dass Aethylamin mit Quecksilberchlorid Niederschläge bildet, die den
durch Ammoniak erhaltenen entsprechen etc.
721. Die Ammoniakbasen zeigen in ihrem ganzen chemischen Verhalten
die grösste Aehnlichkeit mit dem Ammoniak selbst. Ihre wässrige Lösung
gibt mit Metallsalzen fast in allen Fällen dieselben Reactionen wie das
Ammoniak. Sie zeigen, wie das Ammoniak, mit Säureäther doppelte
Zersetzung, bei welcher ein Amid gebildet wird, in welchem Wasserstoff
durch ein Alkoholradical yertreten ist; z. B.:
Oxaläther. Aethylamin. Aethylozamid. Alkohol.
^1^% \c^ 1 o Ö2H5) ©jOj ) ö TT 1
(ejH»),!^» + 2 H N = (e,H5), N, + 2 ^«»^je
Sie verbinden sich wie das Ammoniak direct mit Gyan säure (und
ebenso mit den Aethern der Cyansäure (vgl. §. 671) unter Bildung von
Harnstoff, in welchem Alkoholradicale an der Stelle des Wasserstoffs ent-
halten sind. Dieselbe Umsetzung findet auch statt, wenn die schwefel-
sauren Salze der Ammoniakbasen auf cyansaures Kali einwirken. Man
hat z. B. (vgl. Amide der Kohlensäure):
Cyansäure. Aethylamin. Aethylharnstoff.
H
e -f HJN = GO.GjHs.Hj.N,
*) Vgl bes. Meyer, Jahresber. 1856. 620.
Eigenschaften der Ammoniakbaaen. 459
Die Ammoniakbasen der Alkoholradioale geben demnach ein Mittel
an die Hand, viele, und namentlich stickstoffhaltige Verbindungen der
Alkoholradicale darzustellen.
Auch gegen Chlor cy an verhalten sich die Ammoniakbasen genau
wie das Ammoniak *) (vgl. §. 590). Leitet man Chlorcjan in eine äthe-
rische Lösung der Ammoniakbase, so scheidet sich das Chlorid der ange-
wandten Base aus und die Lösung enthält ein Cjanamid in welchem
Wasserstoff durch ein Alkoholradical ersetzt ist. Z. B.:
Aethylamin. Cjanchlorid.
Aethjlammo- Aethjloyan-
niumehlorid. amid.
2N(G,H,)H, -f- ©NCl =
N(e,H,)H,.Cl + ejHjjN
Diäthylainin. Cjanchlorid.
Diäthylammo- Di&tbjlcjan-
niumoblorid. amid.
2 N(e,H,),H + eNCl =
N(e,H,),H,.ci + g,h,(n
Das Aethylcyanamid zerflLllt beim Erhitzen (bei etwa 180^) nach der
Gleichung:
Aethylcyanamid. Diftthylcyanamid. Aethyldicyandiamid.
Das Diäthylcyanamid ist bei 190^ ohne Zersetzung flüchtig; es bildet,
wie es scheint, mit Säuren keine bestimmten Verbindungen und zersetzt sich bei
Einwirkung von Säuren oder Alkalien in:
Diäthylcyanamid. Diäthylamin. Ammoniak. Kohlensäure.
^iHJn + 2 Hje- = OaH, N + H,N + GB^
Das Aethyldicyandiamid**) bleibt bei der Zersetzung des Aethylcy anamids
als fester Rückstand, der bei etwa 800® unzersetzt destillirt. Es bildet mit Salz-
*) Cloez und Cannizzaro, Ann. Ohem. Pharm. LXXVIII. 228; Cahours und
ClofeB, Ann. Ohem. Pharm XC. 94.
N
**) Das Aethyldicyandiamid ist: X g \^i\ <^^^^ ^<^ch der §. 392 gegebenen
Auffassung : O / N«.
460 Stickstoffbasen der Alkoholradicale.
s&ore ein krystallisirbares Salz, welches mit Platinchlorid ein krystallinisches Dop-
pelchlorid lieferi^
Setzt man zu Amjlamin eine ätherische Lösung Yon Schwefelkoh-
lenstoff, 80 scheiden sich weisse Eiystallschuppen aus; sie sind dasAmyl-
aminsalz der Amylsulfocarbaminsäure = ^ -^jL ^ ^^L iQ (Hofmann).
Aethylamin verhält sich ebenso.
722. Durch salpetrige Säure werden die Ammoniakbasen (wie die
meisten dem Typus Ammoniak zugehörigen Verbindungen) zersetzt, in-
dem das I^itril des Alkoholradicales (der Aether der salpetrigen Säure)
gebildet wird *). Man hat z. B.:
Aethylamin. Aethylnitrit.
Diäthylamin.
2 N(e2H5)jH + 3 NjOa = 4 e^Hj-NOa + H,0 + 2 N,
Andere Zersetzungen der Ammoniakbasen sind noch wenig untersucht Leitet
man in eine Lösung von Aethylamin Chlorgas, so entsteht salzsaures Aethylamin
und es scheidet sich: Aethylbichloramin **): 'GaHsClsN als gelbes Oel aus,
das bei 91® siedet und sich bei höherer Temperatur mit Explosion zersetzt Durch
Schwefelwasserstoff wird das Aethylbichloramin zersetzt, nach der Gleichung ••♦):
Aethylbichloramin. Aethylammonium-
Chlorid.
eaHftClaN + 2HaS = N(6aH5)H4Cl + HCl + B^
Brom wirkt in ähnlicher Weise auf Aethylaminlösung ^ Jod erzeugt gelbe sehr un-
beständige Krystalle von Aelhylbijodamin: O2H5J2N.
Methylamin wird von Chlor, Brom und Jod in derselben Weise angegriffen;
durch letzteres entsteht eine granatrothe Verbindung: Methylbijodamin : OH^2^>
die sich beim Erhitzen leicht, aber ohne Explosion zersetzt
Nach Bildung und Eigenschaften scheinen diese Substanzen nicht eigentliche
Substitution sprod acte , sondern vielmehr dem s. g. Jodstickstoff ähnliche Körper
zu sein.
Ammoniumbasen.
723. Die Ammoniumbasen sind als Hydrate in Wasser löslich. Die Lö-
sung verhält sich der Kalilauge analog, sie ist stark kaustisch, zerstört
wie Kalilauge die Epidermis, gibt mit Metallsalzen fast dieselben Reac-
•) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. LXXV. 856. — Riebe, Ann. Chem. Pharm.
CXI. 91.
••) Wurtz, ibid. LXXVI 327.
•••) Baejer, ibid. CVÜ. 281.
EigenachaAen der Ammomtunbasen. 461
tiooen wie Kalihydrat, zersetzt wie dieses die Aetiierarten der Alkohol-
rad icale, sie verseift Fette etc. —
Durch Verdunsten der wässrigen Lösungen können die Hydrate der
Aoamoniumbasen oder krystallisirte Verbindungen dieser mit Krystallwas-
ser erhalten werden.
Das Tetramethylammonium hydrat und das Tetraäthylammoniumhydrat liefern
beim Verdunsten über Schwefelsäure krystallinischc, sehr zerfliessliche Massen, die
mit grosser Begierde Kohlensäure anziehen. Das Tetraamylammoniumhydrat setzt
aus concentrirter Lösung grosse, wasserhaltige, nur wenig zerfliessliche Krystalle
ab, die beim Erwärmen im Kr y stall wasser schmelzen und beim Verdampfen eine
durchsichtige und sehr zerfliessliche Masse von Tetraamylammoniumhydrat:
NCe^Hii^l^ hinterlassen.
Die Salze der Ammoniumbasen sind meist schön krystallisirbar,
namentlich die der Amylverbindung. Man erhält sie entweder durch Zu-
satz einer Säure zur wässrigen Lösung des Hydrats; oder auch direct aus
dem Jodid durch Doppelzersetzung mit einem Siibersalz. Die Jodide wer-
den, wie oben (§.710) erwähnt, durch Kalilauge nicht angegriffen, son-
dern aus ihrer wässrigen Lösung durch Zusatz von Kalilauge in Krystallen
gefüllt, weil sie in Kali weniger löslich sind als in Wasser. Durch Sil-
beroxyd oder durch Silberoxydsalze werden sie zersetzt , vgl. $. 710.
Die Chloride der Ammoniumbasen geben mit Platinchlorid
schön krystallisirende Doppelchloride, z. B.:
N(ÖA)4C1 + PtCl,.
Die Chloride geben mit Quecksilberchlorid, die Jodide mit
Quecksilbe rjodid Doppelverbindungen, von zum Theil complicirter
Zusammensetzung.
Tetraäthylammoniumchlorid gibt mit Quecksilberchlorid: 2 NC^^H^j^Cl -{-
5HgC]2, ebenso gibt Tetraäthylammoniumjodid mit Quecksilbeijodid: 2}!i(ß^E^')^i
-J- 5 HgJ2 •). Durch Einwirkung von Quecksilber auf die PolyJodide der Ammo-
niumbasen (§. 724) entstehen Doppelverbindungen von anderer Zusammensetzung **) ;
z. B.: N(62H5)4J + EgJ,; N(eH3)4J + HgJj, und 2N(6H3)4J + SHgJj. Diesel-
ben werden auch durch Einwirkung der Jodide der Alkoholradicale auf Trimer-
curamin (NaHg,J erhalten; z. ß.: 2N(^eaH4)4iJ 4- 3 HgJ^ ♦••).
Auch mit Ooldchlorid geben die Chloride der Ammoniumbasen
krystallisirende Doppelverbindungen, z. B.:
NCe2H5)4Cl 4- AUCI3.
Gegen Cyans&ure zeigen die Ammoniumbasen eine von dem der
Ammoniakbasen abweichendes Verhalten, wenigstens entsteht beim Ein-
•) Hofimann, Ann. Chem. Pharm. LXXVin. 272.
••) Risse, ibid. CVIL 228.
•••) R. Müller, ibid. CVIIL 1.
462 StickBto£fba8en der Alkoholradicaie.
dampfen einer Lösung von schwefelsaurem Tetr&thjlammonium mit cy«i-
saurem Kali nicht Teträthylharnstoff, sondern kohlensaures TeträthjU
ammonium *).
724. Die Jodide der Ammoniumbasen besitzen die Eigenschaft sich
direct mit Jod zuPoljjodiden (oder Hjperjodiden) zu vereinigen. Man
kennt Verbindungen der Ammoniumjodide mit 2 Atomen Jod: Trijodide,
und solche mit 4 Atomen Jod: Pentajodide.
Biese merkwürdigen Verbindungen entstehen, wenn man die Lösung des
Jodids der Ammoniumbase mit einer alkoholiBchen Jodlösung yermischtj oder auch^
wenn man die durch Einwirkung von Ammoniak auf das Jodid des Alkoholradi-
cals erhaltene Flüssigkeit längere Zeit der Luft aussetzt. Aus Tetraäthylammonium.
Jodid wird nur Tetraäthylammoniumtrijodid erhalten, aus Tetramethylammonium-
Jodid entsteht wesentlich Tetramethylammoniumpentajodid , gleichzeitig aber auch
Tetramethylammoniumtrijodid. Die Trijodide könnnen auch durch Zusatz des Jo-
dids der Ammoniumbase zu dem Pentajodid erhalten werden.
Man kennt bis jetzt die folgenden Verbindungen **) :
Tetramethylammoniumtrijodid
Trimethyläthylammoniumtrijodid
Tiiäthylmetb ylammoniumtrijodid
Tetraäthylammoniumtrijodid
Trimethylamylammoniumtrijodid
Tetramethylammoniumpentajodid
Trimethyläthylammoniumpentajodid N(6H,)3(G2H5) J^^ 68*
Die Trijodide sind meistens schön dunkelviolett gefärbte Krystalle von säu-
lenförmigem Habitus. Die Pentajodide sind dunkel grüngrau gefärbt, und zeigen
in Farbe und Habitus der Krystalle grosse Aehnlichkeit mit Jod.
Die Lösung des Tetramethylammoniumjodids wird von Chlor zersetzt, an-
fangs entsteht Tetramethylammoniumpentajodid*, bei weiterem Einleiten von Chlor
verschwindet dieses wieder und es scheidet sich gelbes Tetramethylammoniumjodo-
tetrachlorid : K(€H3)4JCl4 aus, welches beim Umkrystallisiren aus Wasser gelbe
Krystalle von Tetramethylammouiumjododichlorid : N(6H3)4JC]2 liefert Dieselben
Verbindungen entstehen auch bei Einwirkung von Chlorjod auf Tetramethylammo-
niumchlorid.
Werden die Trijodide mit Quecksilber behandelt, so entstehen Doppelverbin-
dungen von der Formel : N(0H))4J -^ HgJ^ , die Pents^odide geben Verbindungen
von der Formel: 2N(eH,)4J + SHgJj ••♦).
Die Verbindungen der Ammoniumbasen erleiden sämmtlicb beim
Erhitzen Zersetzung.
Schmelzpunkt.
NCeH,), J,
80*
N(€H,),(eA) J.
64»
N(eH,)(€A). J.
62«
N(eA)« J.
142»
N(6H,),(e,H„) J,
80«
N(€H,)^ J.
126«
*} Brüning, Ann. Chem. Pharm. CIV. 200.
♦•) Weltaien, ibid. XCI. 88; XCIX. 1. — R. Müller, ibid. CVm. 1.
•♦♦) Hg = 200.
EigeDSchaften der Ammoniambasen.
463
Die Hydrate der Ammoniumbasen liefern dabei Aminbasen und 726.
und gleichseitig einen Alkohol, z. B.:
Tetramethyl-
ammoniumhydrat.
Trimethylamin. Methylalkohol *).
N(eH,), +
6H,
S!'
oder, statt dessen (und dies ist der gewöhnlichere Fall) Wasser und
einen
Kohlenwasserstoff: 60H90, z. B
\
Tri&thylamin. Aethylen. \
Teträthyl-
ammoniumhydrat
Enthfllt eine Ammoniakbase Aethyl, so wird, wie es scheint, stets Aemylen
ausgeschieden. So liefert Amyltriäthylammoninmhydrat beim Erhitzen Amyldiäthyl-
amin neben Aethylen und Wasser; aus Methyldiäthylamylaminoniumhydrat entstoit
Methylftthylamylamin. -, ""'^V
Die Jodide der Ammoniumbasen zerfallen betilä Erhitzen zu einer
Aminbase und dem Jodid eines Alkoholradicals , z. B.:
Tetr&thyl-
ammoniumjodid.
N(e,H,)4j =
Tri&thylamin. Aethyljodid.
N(GA3, + ©,H,.J
Da aber die entstehenden Producte sich direct zu vereinigen im
Stande sind, so wird im Destillirapparat selbst wieder Teträthylammonium-
jodid ei zeugt und es scheint desshalb, als ob ein Theil des Jodids unzer-
setzt aberdestiUirt wäre.
Durch Einwirkung von Chlor, Brom oder Jod auf Tetraftthyl- 726.
ammoniumoxyd entstehen noch nicht näher untersuchte Producte, von
welchen die Bromverbindung leicht krystallisirt **).
Behandelt man eine Ammoniumbase nochmals mit dem Jodid eines
Alkoholradicals, z. B. Teträthylammoniumhydrat mit Jodäthyl, so wird
durch doppelten Austausch das Jodid der Ammoniumbase und Alkohol
erzeugt; z. B.:
*) Die Zersetzung des Tetramethylammoniums ist desshalb von besonderem In-
teresse, weil man der Analogie nach die Bildung des bis Jetzt noch unbe-
kannten Kohlenwasserstoffs: 6H9 (Methylen) hätte erwarten sollen.
**) Hofinann, Ann. Chem. Pharm. LXXYIH 274.
464 Sfcickstoffbasen der Alkoholradicale.
TetrÄtbyl. Aethyljodid. Alkohol Tetr&thyl-
ammoniumhydrat. ammoniumjodid.
Es ist also (auf diesem Wege wenigstens) nicht möglich Stickstoff-
basen , die mehr als 4 Alkoholradicale enthalten , darzustellen *).
Darch Einwirkung von Aethylenbromid (OjH^.Brj) auf Trimetliylamin
hat Hofmann •♦). das Bromid einer bromhaltigen Base erhalten:
Trimethylamin. Aethylenbromid.
NCeH,), 4- e^HiBra = N(6Ha),e2H4Br2
Salpetersaures Silber fällt aus dem entstandenen Bromid nur die Hälile des
Broms als Silberbromid und man erhält ans der mit Salzsäure versetzten Flüssig-
keit durch Zusatz von Platin chlorid oder Goldchlorid kr^ stallisirende bromhaltige
Doppelverbindungen von der Zusammensetzung:
N(eH3),(e2H4Br)Cl + PtClj und N(eH3),(e2H4Br)Cl + AuCl
Das Aethylenbromid (62H4.Br2) verhält sich also bei dieser Keaction wie Brom-
ftthylbromid (B2^4ß^'> ^^) ^^d die entstehende kann aul'gefasst werden als das
Trimethyl - bromäthy 1 - ammoniumbromid = N(6H,)3(62H4Br) . Br.
Eine andere Betrachtung dieser und der ähnlich zusammengesetzten phospborhalü-
gen Verbindungen wird später (Amide des Radicals: ^2 1^4) mitgetheilt werden.
727. Man sieht leicht, dass unter den Stickstoff basen der Alkoholradicale
zahlreiche Isomerien möglich sind:
So ist das Aethylandn Isomer mit Dimethylamin :
Empirische Formel. Aeihylamin. Dimethylamin.
NOaH, N(eaH5)H2 N(eH3)2H
Das Trimethylamin ist isomer mit Aethylmetbylamin und mit Propylamin:
Empirische Formel. Trimethyalmin. Aethylmetbylamin. Propylamin.
In solchen Fällen kann die Elementaranalyse der Base selbst oder
ihrer Salze keinen Aufschluss über die Natur der Substanz geben und
man hat in der Tbat das als Zersetzungsproduct des Aldehydammoniaks
auftretende Dimethylamin anfangs für Aethylamin gehalten. Man
hat ebenso das als Zersetzungsproduct vieler stickstoffhaltiger Körper
auftretende und das in Pflanzen, in der Häringsiake etc. vorkommende
•) Hofmann , Ann. Chem. Pharm. LXXVm. 275.
♦•) Jahresber. 1858. 838.
Metallhaltige StickstofTbasen. 465
Trimethylamin für Propjlamin angesehen und als solches beschrieben*
(vgl. §. 717).
Der einfachste Weg die chemische Natur einer flüchtigen Stickstoff-
base feststellen ist die yon Hofmann zur Darstellung der Imid-, Nitril-
und Ammoniakbasen angewandte Reaction. Man hat nur nöthig die zu
untersuchende Base ein- oder mehrmal mit dem Jodid eines Alkohol-
radicals (z. B. Aethjljodid) zu behandeln, bis aus der flüchtigen Ammo-
niakbase eine nicht flüchtige Ammoniumbase geworden ist Die Zusam-
mensetzung dieser Ammoniumbase zeigt dann wie viel Wasserstoffatome
der Ammoniakbase noch durch Alkoholradicale ersetzbar waren und sie
stellt somit fest ob die Base eine Aminbase, Imidbase oder Nitrilbase ist.
(Indessen würde selbst diese Methode nicht gestatten das Diäthjlamin
vom Methylpropjlamin oder das Tributjlamin vom Aethyldiamylamin zu
unterscheiden).
Die Salze und Doppelsalze der Ammoniakbasen können femer noch
isomer sein mit den entsprechenden Verbindungen der Ammoniumbasen.
Z. B.:
empirisch. Butjlammo- Diäthjlammo- Tetramethjl-
niumchlorid. niumchlorid. ammoniumchlorid.
NG4Hi,Cl N(G4He)H3Cl N(e2H5)2HaCl N(eH3)4Cl
Die völlige Verschiedenheit der freien Basen macht indessen eine
Verwechslung der Ammoniumbasen mit Ammoniakbasen unmöglich.
Metallhaltige Stickstoffbasen der Alkoholradicale. 728.
Zinkverbindungen *). Wird in Zinkälhjl Ammoniakgas eingeleitet,
so wird dieses in reichlicher Menge absorbirt, es entweicht Aethjlwasser-
stoff und es scheidet sich Zinkamid als weisses in Aether unlösliches
Pulver aus: -^ )
Na? Hj
fi; tn^' z«
iZn
Ha -f 2 e^H
Ha
Wird statt des Ammoniaks Diäthjlamin angewandt, so entsteht eine
äthylhaltige in allen Eigenschaften ^dem Zinkamid analoge Verbindung,
(Zn
das Diäthykinkamid : N2I (€2^5)3
/(öA),
•) Frankland, Jahresber. 1857. 418.
KtkoU, orgu. Ch«ailt. 30
466 Phosphorbasen der Allcoholradicale.
729« Quecksilber- und EupferyerbinduDgeii. Die Ezistens sol-
cher VerbiDduDgen ist oben schon erwähnt worden (§$. 715, 720); sie
sind bis jetzt nicht näiier untersucht.
780. Platinverbindungen. Nach Versuchen von Wurts*) können
aus Methylamin und Aethjlamin platinhaltige Basen erhalten werden, die
den verschiedenen Plataminbasen entsprechen.
Durch directe Einwirkung von Methylamin auf PJatinchlorür wird eine grOne
Verbindung erhalten, die dem s. g. Magnus'schen Salz entspricht:
Methylplatammoniumchlorid N . Pt(6H,)Ha . Cl.
Durch Kochen mit Salpetersäure entstehen daraus gelbe Krystalle, die Worts
für dem Gros'schen Salz analog hälL Wird die grüne Verbindung mit onterscbiia-
sigem Methylamin erwärmt, so entsteht eine krystaUisirte Verbindung, die dem
Chlorid der s. g. ersten Reiset'schen Base entspricht:
Methylplatdiammoniumchlorid N, . Pt(6H,)2H, . ECL
Das Aethylamin gibt ganz entsprechende Verbindungen.
Palladiumy er bin düngen ^*). Das Palladiumchlorür gibt mit Aethyl-
amin ähnliche, bis Jetzt nicht näher untersuchte Verbindungen, wahrscheinlich:
Aethylpalladammoniumchlorid N . Pd(82H»)Ha . Cl
Aethylpalladdiammoniumchlorid N, . Pd(92H5)2H, . HG
Phosphorbasen der Alkoholradicale.
731. Die Phosphorbasen der Alkoholradicale wurden 1846 von Paul
Thenard*^) entdeckt und 1855 von Uofmann und Cahoursf) ge-
nauer untersucht
Paul Thenard erhielt durch Einwirkung von Methylchlorid auf Phos-
phorcalcium fünf phosphorhattige Methylverbindungen. Drei derselben
entsprechen den drei Wasserstoffverbindungen des Phosphors. Sie wur-
den von Thenard als Verbindungen dieser Phosphorwasserstoffe mit Me-
thylen (= OH2) angesehen; der jetzigen Auffassungs- und Ausdrueka-
weise nach können sie als diese Phosphorwasserstoffe betrachtet werden,
deren Wasserstoff durch das Redical Methyl (6H3) ersetzt ist Man hat:
Posphor- Selbstentzündlicher Fester Phosphor-
. Wasserstoff Phosphorwasserstoff. Wasserstoff
PH, P.H» PA
Trimethylphosphin. Phosphodimethyl. —
♦) Wurtz, Ann. Chem. Pharm. LXXIV. 328.
••) Hugo Müller, ibid. LXXXVL 866.
•••) Jahresber. 1847—48. 645.
t) Ann. Chem. Pharm. CIV. 1.
Phosphorbasen der Alkoholradicale. 467
Das Trimethylphosphin beschreibt Th. als eine bei 40^^41* siedende
FlOssigkeit von stark basischen Eigenschaften \ sie bildet mit Säuren Salze und geht
durch Oxydation in eine Säure über, die mit einem Thcil der Base vereinigt bleibt
Das Phosphodimethyl siedet bei 260^; es ist selbstentzdndlich, unlöslich in
Wasser und besitzt einen höchst unangenehmen Geruch. Bei langsamer Ozyda*
tion gibt es eine krystallisirbare Säure. Mit Salzsäuregas bildet es eine krystallisir-
bare Verbindung, die bei weiterer Einwirkung von Salzsäure zu einer Flüssigkeit
wird und endlich zerfällt in das salzsaure Salz der Base: PCGH,)) (Trimethylphos-
phin) und in ein gelbes geschmack- und geruchloses Pulver: P4(6H3)2. — Durch
Erhitzen des salzsauren Phosphodimethyls mit Wasser entsteht dieselbe Säure, die
durch Oxydation von Trimethylphosphin erhalten wird und gleichzeitig ein gas.
förmiger Körper von der Zusammensetzung: PH3(6Hj) [Monomethylphosphin ?] der
mit seinem gleichen Volum Sauerstoff eine saure Flüssigkeit, mit dem gleichen
oder doppelten Volum Salzsäure kr\ stallisirende Verbindungen gibt Das direct
erhaltene Product besteht nach Thenard wesentlich aas salzsaurem Trimethylphos-
phin, aus Phosphodimethyl und dem festem: P4(OH3}3. Aethylchlorid gibt mit
Phosphorcaldnm ganz entsprechende Verbindungen.
Die Versuche von P. Thenard, obgleich an sich unvollständig, bieten dess-
halb besonderes Interesse, weil zu jener Zeit, ausser dem Eakodyl, noch keine
Verbindung eines Alkoholradicals mit einem Element der Stickstoffgruppe oder mit
einem Metall bekannt und weil selbst das Kakodyl noch nicht als Methyl Verbindung
erkannt war. Die von Thenard bei diesen Versuchen zuerst angewandte Reaction
hat seitdem, mehr oder weniger modifidrt, die Entdeckung einer grossen Anzahl -
höchst merkwürdiger Verbindungen der Alkoholradicalc ermöglicht
Spätere Versuche von Berl6 ♦) durch Einwirkung von Aetliyljodid auf Phos-
phomatrium oder durch Erhitzen von Aethyljodid mit Phosphor und Natrium
Phosphoräthylverbindungen darzustellen blieben ohne bestimmtes Resultat
AuchHofmann und Gahours wandten anfangs ein der Thenard'- 7S2.
sehen Methode analoges Verfahren an. Sie fanden, dass bei Einwirkung
▼on Aethyljodid oder Methyljodid auf Phosphornatrium wesentlich drei
Verbindungen erhalten werden:
Phosphodimethyl. Trimethyl- Tetramethylphosphonium-
phosphin. Jodid.
p,(eH,)4 P(eHo, P(eH,)4j
Die erste Verbindung ist die dem Eakodyl entsprechende selbst*
entxflndliche Base von Thenard. Die zweite Base entspricht dem Tri-
methylamin, die dritte Substanz dem Tetramethylammoniumjodid. Die
Schwierigkeit die bei der Reaction gleichzeitig entstehenden Producte
zu trennen veranlasste dann den eingeschlagenen Weg zu verlassen und
gewissermassen die umgekehrte Reaction in Anwendung zu bringen.
Statt die Chlor- und Jodyerbindung des Alkoholradicals auf eine Metall-
verbinduDg des Phosphors einwirken zu lassen, Hess man die Chlorver-
^) Jahresber. 1855. 590.
80 •
468
Phosphorbaaen der Alkoholradicale.
binduog des Phosphors auf eine Metallverbindung des Alkoholradicals
einwirken.
783. Triäthjlphosphin: P(G2H5)3. Phosphorchlorür wirkt auf Zink-
äthjl äusserst heftig ein, bisweilen mit Explosion. Mässigt man die Ein-
wirkung indem man eine ätherische Lösung von Zinkäthjl anwendet und
das Phosphorchlorür langsam zufliessen lässt, so tauscht das Phosphor-
chlorür: PCI3 sein Chlor gegen das Aethyl des Zinkäthyls aus; es ent-
steht Triäthylphosphin : P(62H5)3 und Zinkchlorid.
Zur Darstellung des Triäthylphoßphins dient zweckmässig der folgende
Apparat:
a. Eohlensäureapparat; b. Schwefelsäure- Waschflasche j c. Kohlensäure-Reservoir •
d. Knierohr mit Phosphorchlorür; e. Vorlage*, f. Retorte mit ätherischer Lösung
von Zinkäthyl *, g. Tropfapparat, Phosphorclilorür enthaltend. Das Phosphorchlorür
des Knierohres d dient einerseits als regulirendes Flüssigkeitsventil und nimmt
gleichzeitig die letzten Spuren des bei der sehr lebhaften Reaction fortgerissenen
Zinkäthyls auf. Nach beendigter Reaction wird der Inhalt des Knierohrs und der
Vorlage mit dem in der Retorte belindlichen Hauptproduct vereinigt und die obere
Flüssigkeitsschicht, ein Gemisch von Aether mit überschüssigem Phosphorchlorür,
von der dickflüssigen unteren Schicht, die beim Erkalten meist zu einer zähen
Masse erstarrt, abgegossen. Das Product der Reaction ist eine Verbindung der
Phosphorbase mit Zinkchlorid, aus welcher durch Destillation mit Kali die Base
abgeschieden vnrd. Man bringt zweckmässig zu dem in der Retorte fest anhaften-
den Harzkuchen Stücke von festem Kalihydrat und lässt durch den Tropfapparat
Wasser zufliessen. Die Phosphorbase destillirt dabei durch die von der Reaction
selbst erzeugte Wärme mit Wasserdämpfen über und sanmielt sich in der Vorlage
als auf dem Wasser schwimmende Oelschicht. Diese wird abgehoben, längere Zeit
mit festem Kalihydrat zusammengestellt und im Wasserstoffstrom rectificirt.
In neuerer Zeit hat Gahours*) gefunden, dass auch durch EUn-
•) Ann. Chem. Pharm. CXII. 231.
Triäihylphosphin. 469
Wirkung Yon Aetbyljodid auf Phosphorzink (durch Erhitzen von Zink in
Phosphordämpfen erhaltenj Triäthylphosphin entsteht.
Eigenschaften des Triäthjlphosphins. Das Tri&thjlphos- 734,
phin ist eine farblose, leicht bewegliche, stark lichtbrechende Flüssigkeit,
die bei 127®,6 siedet. Es ist leichter als Wasser (spec. Gew. =: 0,812)
und in Wasser völlig unlöslich; löslich in Alkohol und in Aether. Es
besitzt einen durchdringenden, fast betäubenden Geruch, der in yerdflnn-
lern Zustand dem Geruch der Hyacinthe ähnlich ist.
Das Triäthylphosphin verbindet sich direct mit Sauerstoff, Chlor, 785.
Brom, Jod, Schwefel und Selen. Die entstandenen Verbindungen ent-
halten stets 2 Aequivalente des einwirkenden Elementes ; z. B. :
Triäthylphosphinoxyd P(62H5)3e
Triäthylphosphinsulfid P(G2H5)3&
Triäthylphosphinchlorid P(OjH5)3Cl2
Das Triäthylphosphin oxydirt sich leicht, schon durch den Sauerstoff der
Luft unter starker Erwärmung und reichlicher Ozonbildong. Bringt man die Base
mit Sauerstoffgas zusammen, so entstehen weisse Dämpfe und es tritt häufig Ent-
zündung ein. Steckt man einen mit Triäthylphosphin getränkten Papierstreifen in
eine mit Sauerstoff gefüllte Röhre und taucht diese in warmes Wasser, so tritt
nach wenigen Augenblicken eine heftige Explosion ein. Auch mit Chlor, Brom
und Jod verbindet sich das Triäthylphosphin direct; die Wärmeentwicklung steigert
sich häufig bis zur Entzündung. Lässt man die Base in Chlorgas tropfen, so ent-
zündet sich jeder Tropfen. Das Triäthylphosphin verbindet sich femer direct mit
Schwefel. Bringt man Schwefel auf Triäthylphosphin, so schmilzt der Schwefel zu
einer auf der Flüssigkeit tanzenden Kugel und löst sich allmälig auf; die klare
Flüssigkeit erstarrt beim Erkalten zu einer prachtvollen Krystallmasse. — Lässt
man Sauerstoff, Chlor oder Schwefel etc. auf die wässrige oder ätherische Lösung
des Triäthylphosphins einwirken, so ist die Reaction weit weniger heftig.
Die durch directe Vereinigung des Triäthylphosphins mit den Ele-
menten entstehenden Verbindungen sind sämmtlich krystallisirbar. Na-
mentlich wird die Schwefelverbindung leicht in grossen Erystallnadeln
erhalten, die bei 94® schmelzen und bei 88® wieder erstarren. Sie sind
in kaltem Wasser wenig, in siedendem in reichlicher Menge löslich; auch
Alkohol und Aether lösen das Sulfid. Das Triäthylphosphinoxyd siedet
bei etwa 240® und erstarrt beim Erkalten zu strahlich - krystallinischer
Masse. Es ist sehr zerfliesslich , in Wasser und Alkohol in jedem Ver-
hältniss, in Aether nur wenig löslich; von Kalilauge wird es aus der
wässrigen Lösung als Oel abgeschieden. Durch Einwirkung von Chlor-,
Brom- oder Jodwasserstoflfsäure auf Triäthylphosphinoxyd werden Triäthyl-
phosphin - chlorid , bromid oder Jodid erhalten; durch Schwefelsäure oder
Salpetersäure entstehen schwierig krystallisirbare Salze.
Das Triäthylphosphin verbindet sich ferner direct mit Chlor-, Brom- 736.
und Jodwasserstofifsäure, mit Schwefelsäure und Salpetersäure. Alle diese
470 Fhosphorbasen der Alkoholradicale.
Verbindungen sind, wiewohl schwierig, krjstallisirbar. Die sahsanre Ver-
bindung gibt mit Platinchlorid ein in kaltem Wasser schwer, in Alkohol
und Aether unlösliches Platinsalz von der Zusammensetenng :
TriäthylphoBphonium-Platinchlorid P(6,Hj),HCl + PtQ,.
787. Teträthylphosphoniumverbindungen. Das Triäthylphosphin
verbindet sich direct mit Aethy^odid zu Tetr&th jlphosphoniumjodld :
PceiHo, + (e,H,)j = P(G,H,)«J
Vermischt man Triäthylphosphin mit Jodäthyl, so tritt nach einigen Augen-
blicken eine heftige Reaction ein, die Flüssigkeit zeigt ein explosionsartiges Auf-
wallen und erstarrt beim Erkalten zu weisser Krystallmasse. Wird eine ätherische
Lösung der Base angewandt, so erfolgt die Reaction langsam.
Das Tetr&thjlphosphoniumjodid ist in Wasser sehr löslieh,
weniger in Alkohol, unlöslich in Aeifaer; Aether fUlt die alkoholische
Lösung, aus der wässrigen Lösung scheidet Kalilauge das Jodid unver-
ändert aus (vgl. §. 723). Behandelt man das Teträthylphosphoniumjodid
mit Silberoxyd, so erh< man Tetr&thylphosphoniumhydrat, dea-
sen wässrige, stark alkalische Lösung leicht Kohlensäure anzieht und beim
Verdunsten eine krystallinische, äusserst zerfliessliche Masse lässt Durch
Zusatz von Salzsäure, Schwefelsäure oder Salpetersäure zur Lösung des
Hydrats werden sehr zerfliessliche und nur schwer krystallisirende Balze
erhalten. Das Chlorid gibt mit Platin- und Ooldchlorid krystalliairende
Doppelsalze:
Tetrftthylphosphonium-Platinchlorid F(ßfi^)^CL + Pt Qs
Teträthylphosphonium-Goldchlorid FiBfi^)fil + AuCi^
788. ^ii'^^ eine wässrige Lösung von Teträthylphosphoniumhydrat
der Destillation unterworfen, so geht anfangs nur Wasser über, später
entweicht unter plötzlichem Aufschäumen Aethylwasserstoff und bei 240^
destillirt dann Triäthylphosphinoxyd aber, welches in Vorlage und
Betortenhals krystallinisch erstarrt:
Teträthylphospho- Triäthylphos- Aethylwasserstoff.
niumhydrat phinozyd.
P(©.H,)^j^ _, p(e,H.),e + (e,H,)H
Die Zersetzung des Teträthylphospboninmhydrats durch Hitze ist also ▼öllig
verschieden von der der entsprechend zusammengesetzten Stickstoffbasen. Während
bei diesen eine flüchtige Ammoniakbase (Nitrilbase) und ein dem Wassertyp inge-
höriger Körper entstehen, z. B.:
Teferttthylphosphoniiun. 471
Tetnimethylammo- Trimefhyl- Methyl-
niumhydrat. amin. alkohol.
bleibt bei der Phosphorverbindang der Sauerstoff bei der phosphorhaltigen Gmppe
nnd es löst sich eine dem Wasserstofftyp zugehörige Verbindung los.
L&88t man auf Triäthylphosphin statt des Aethyljodids Methyl- oder 789.
Amyljodid einwirken, so entstehen:
Triftthylmethylpbosphoniumjodid P(62H5)3(eH3) J
TriWhylamylphosphoniumjodid P(ß2^5)z(ß5^iiV
Durch Einwirkung von Zinkmethyl auf Phosphorchlorar entsteht 740,
Trimethylphosphin: P(GH^')^ Dieses siedet zwischen 40^ und
42« (vgl. §. 731), es verhält sich dem Tri&thylphosphin völlig analog.
Wird Trimethjlphosphin mit Hethyljodid zusammengebrannt, so entsteht:
Tetramethylphosphoniumjodid P(€H3)4J
Ebenso bilden Aethyl- oder Amyljodid:
Trimethyläthylphosphoniumjodid P(eH,),(6,H4) J
Trimethylamylphosphoniumjodid ^(GE^)^(ß^Eii)J.
Alle diese Verbindungen verhalten sich dem Tetr&thylphosphoninm-
jodid völlig analog.
Die aus Triäthylphosphin durch Einwirkung von Aethylenbromid und von
Schwefelkohlenstoff entstehenden Abkömmlinge werden später gelegentlich dieser
Körper beschrieben (vgl. auch S- 726).
Im Folgenden sind* die bis jetzt bekannten Phosphorbasen der AI* 741.
koholradicale und Repräsentanten ihrer einfacheren Verbindungen zusam-
mengestellt Um die chemische Natur dieser organischen Verbindungen
besser hervortreten zu lassen, vergleichen wir dieselben mit unorgani-
schen Verbindungen des Phosphors, statt, wie dies gewöhnlich geschieht,
auf die entsprechenden Stickstoffverbindungen als Typen zu beziehen.
472
FhosphorbaBen der AJkoholradicale.
Verbindungen der Phosphinbasen.
Verbindungen dex
PhosphoniumbaB^a.
lypufl: PH,
PH4J
—
—
PH4J
oder PCI3
—
PCI5
PCljO
P(€H,),
P(6H,)aHCl
P(eH3)3Cla
P(€H,),0
PCeH,)^ J
P(eH,),(eA) J
P(eH,),(e,H„) j
P(^2H5),(eH,) j
P(eA).
P(^A)aHCl
P(eA),Cl,
P(^2H»),0
P(eA)4 J
P(eA)*(^Ai)J
Platinhaltige und goldhaltige Phosphorbasen sind von Hofmann '^
durch Einwirkung von Platinchlorid oder Ooldchlorid auf die alkoholische
Lösung des Triäthjlphosphins dargestellt worden, aber bis jetzt nicht
n&her beschrieben.
Platotriäthjlphosphoniumchlorid
Aurotriäthjlphosphoniumchlorid
P(ejH5)3Pt.Cl
PceA)3Au.ci.
Arsenbasen der Alkoholradicale.
642. Die erste arsenhaltige Eohlenstoffverbindung wurde yor jetzt 100 Jahiren
(1760) von Cadet bei Destillation von arseniger Säure mit essigsaurem Kali ent-
deckt. Lange Zeit blieb diese merkwürdige Substanz (Cadet's rauchende arsenika-
lische Flüssigkeit) ohne weitere Berücksichtigung und, einige Versuche von Thenard
1804 abgerechnet, ohne weitere Untersuchung. Ausführliche Untersuchungen von
Bunsen (1887 — 1848) zeigten dann, dass die Cadet'sche Flüssigkeit und die zahl-
reichen aus ihr erhaltenen Abkömmlinge einen gemeinschaftlichen Bestandtheil
^jH^Ab (= C.]H«As) enthalten, der von Bunsen in isolirtem Zustand dargestellt,
alsRadical aller dieser Verbindungen erkannt und als Eakodyl bezeichnet wurde,
Ueber die Constitution dieses Radicals wurden, von Dumas, Laurent, Ger-
hardt u. A., zahlreiche Hypothesen aufgestellt; aber erst in neuester Zeit wurde
die von Eolbe ausgesprochene Vermuthung das Eakodyl sei Arsendimethyl
(As(6H3)a) durch Versuche von Frankland***) wahrscheinlich gemacht und
bald nachher von Cahours und Riche f) auf dem Weg des Experimentes be-
stätigt Die letzteren Chemiker entdeckten das Trimethylarsin und die Verbindun-
gen des Tetramethylarsoniums. Gleichzeitig hatte Landoltff) die entsprechen-
♦) Ann. Caiem. Pharm. CIU. 367.
••) ibid. XXXVII. 1; XLU. 14; XLVI. 1.
•••) ibid. LXXL 216.
f) ibid. LXXXVin. 318; XCH. 361. — Jahresber. 1863. 487; 1864. 627.
tt) ibid. TiXXXTX. 301; XCn. 366. — Jahresber. 1863. 487; 1864. 680.
Anenverbindungen der Alkoholradicale. 473
den Aethylverbindnngen : Anendifithyl , Triftthylarsin und TeträÜiylarsoniiun dar-
gestellt Arsenverbindungen, die gleichzeitig zwei verschiedene Alkoholradicale ent-
halten, wurden von Cahonrs und Riebe beschrieben.
Die Entdeckung der Arsenmonomethylverbindungen verdankt manBaeyer*)
(1858) , dessen umfiEkssende Untersuchung zuerst ein klares Licht warf auf die Be-
ziehungen der verschiedenen Arsenverbindungen untereinander, und gleichzeitig ein
besseres Verst&ndniss auch der übrigen Verbindungen der Alkoholradicale mit den
Elementen der Stickstoffgruppe und mit einigen Metallen ermöglichte.
Die Verbindungen des Arsens mit Methyl und Chlor sind be- 743.
sonders geeignet die Beziehungen der yerschiedenen Verbindungen des
Arsens mit den Alkoholradicalen zu zeigen. Im Folgenden sind diese
Verbindungen zusammengestellt. Man kann sie in zwei Reihen ordnen.
Die Verbindungen der ersten Reihe sind nach dem Tupus : R . 3 R ; die
der zweiten Reihe nach dem Tjpus : R -|- 5 R oder R . 3 R -f- 2 R zu-
sammengesetzt (vgL $. 704. Me = Methyl = €H,).
Typus: NH4CI.
-As He Me Me Me Gl (1)
-As Me Me Me Gl Gl (3)
=A8 Me Me Gl Gl Gl (5)
=As Me Gl Gl Gl Gl (7)
(2)
Typus: NH3.
As Me Me Me:
(4)
As Me Me Gl
(6)
As Me Gl Gl :
As Gl Gl Gl
Die Verbindungen der ersten Reihe besitzen die §. 704 als für die
Substanzen von der Formel: R . 3 R charakteristisch erkannte Eigenschaft,
sich direct mit einer Verbindung von der Formel : 2 R zu vereinigen ; und
zwar verbinden sich die drei methylbaltigen Verbindungen direct mit
2 Atomen Chlor; das erste Glied der Reihe (Trimethjlarsin) ausserdem
noch mit den Chloriden oder Jodiden der Alkoholradicale. — Die Ver-
bindungen der zweiten Reihe (R . 3 R + 2 R) erleiden sämmtlich beim
Erhitzen Zersetzung, indem sie zu 2 R und R . 3 R zerfallen. Dabei wird
stets Methjlchlorid : (eH3)Cl ausgeschieden und es entsteht mithin eine
der ersten Reihe zugehörige Verbindung, die das Radical Methyl einmal
weniger enthält.
Alle diese Substanzen verhalten sich, insofern sie Chlor enthalten,
bei geeigneten Reactionen wie die Chloride von Radicalen, deren Atomig-
keit ausgedrückt ist durch die Anzahl der Chloratome, die in der Substanz
enthalten sind (vgl. $. 297).
*) Ann. Chem. Pharm. CYII. 267. — Jahresber. 1868. 879.
474
Arsenyerbindnngen der Alkoholradieale.
Man hat demnach:
Tetramethylarsonium
A8(GH,)4
einatomig.
Trimethylarsin
AsCeHj),
zweiatomig.
Arsendimethyl
A8(eH,),
einatomig und dreiatomig. |
ArsenmoDomethyl
A8(eHo
zweiatomig und
yieratomig.
744. Das Tetramethylarsoniumchlorid (Nr. 1. der Tabelle) ent-
spricht dem Tetramethjlammonium - und dem Tetra&thylphosphonium-
dilorid; es verhält sich wie das Chlorid eines einatomigen Radicals:
Tetramethylarsonium, dessen Verbindungen sämmtlioh denen der
entsprechenden Stickstoff- und Phosphorbasen völlig analog, sind.
Das Trimethylarsin (Nr. 2.) entspricht dem Trimethylamin and
dem Triäthylphosphin. In seinen Eigenschaften schliesst es sich enger
an die letztere Verbindung an. Aber während diese ebensowohl mit HCl
als mit CI2 oder mit O sich zu verbinden im Stande ist, vereinigt sich
das Trimethylarsin nur noch mit Clj oder mit O. Es erzeugt so:
Trimethylarsinchlorid (Nr. 3.) und entsprechende Verbindun-
gen des zweiatomigen Trimethylarsins , z. B.:
Trimethylarsinchlorid As(6H3)3Cl3
Trimethylarsinbromid A8(6H3)3Br3
Trimethylarsinoxyd As(6H3)30
Tnmethylarsinsulfid As(eH3)3S
Das Arsendimethylchlorid (Nr. 4.) verhält sich wie das CJhlo-
rid des einatomigen Radicals: Arsendimethyl oder Kakodyl. Die Verbin-
dungen dieses Radicals sind z. B.:
Typus: HH HCl Ei^ H<«
h1^ Er
[As(GH3)3]3 A8(GH,)3 . Cl A8(eH3)3 i ^ A8(GH3) i g
A8(GH3)3i^ As(GH3)i^
Kakodyl. Kakodylchlorid. Kakodyloxyd. Eakodylsulfid.
Im Arsendimethyltrichlorid (Eakodyltrichlorid) (Nr. 5.) spielt
dieselbe Atomgruppe die Rolle eines dreiatomigen Radicals. Ebenso in
der Eakodylsäure und dem s. g. basischen Eakodylsuperchlorid. Man hat:
Typus: H3CI3 2 HjO 2 H^O + HCl '
As(GH3)3 . CI3 A8(GH3)3 i ^ A8(eH3)3 ( 03
Hp» H3ICI.
Eakodyltrichlorid. Eakodylsäure. Basisches Eakodyl-
superchlorid.
Das Arsenmonomethyichlorid (Nr. 6.) ist das Chlorid des
ArsenTerbindimgen der Alkoholradicale. 475
zweiatomigen Arsenmonomethyls. Die ihm entspreehenden Verbindun-
gen sind:
Typus: 2 HCl 2 H J H,e H,S
A8(eH,).CI, As(eH,).J, A8(eH,).0 A8(eH,).S
Arsenmono- Arsenmono- Arsenmono- Arsenmono-
methjlchlorid. metbjljodid. methjloxjd. methjlsulfld.
Im Arsenmonomethjltetrachlorid (Nr. 7.) endlich und ebenso
in der ans dem Arsenmonomethjldichtorid durch Oxydation entstehenden
Arsenmonome thyls&nre ist dasselbe Arsenmonomethyl vieratomig.
Man hat:
Typus: 4 HCl 3 H,0
As(eHa) . CI4 As(GH,) / ^
H,r»
Arsenmonomethyl- Arsenmonomethyl-
tetraohlorid. säure.
Von besonderem Interesse sind diejenigen Reactionen, bei welchen 745.
die Arsenmethylradicale bei Beibehaltung ihrer Zusammensetzung ihre
Basioit&t ändern (vgl. SS- 289, 309).
Das Arsendimethylchlorid verbindet sich, wie schon erwähnt, direot
mit Chlor zu Arsendimethyltrichlorid. Aus dem einatomigen Chlorid
wird ein dreiatomiges, welches mit Wasser in der That zunächst basi-
sches Eakodylsuperchlorid und dann Kakodylsäure erzeugt. Die Kako-
dylsäure, eine Verbindung desselben dreiatomigen Radicals, entsteht
auch durch Oxydation (mittelst Quecksilberoxyd z. B.) des Eakodyloxyds,
in welchem dieselbe Atomgruppe einatomig ist Durch Einwirkung von
Salzsäure auf Eakodylsäure wird basisches Eakodylsuperchlorid, durch
Einwirkung von Phosphorsuperchlorid auf Eakodylsäure wird Eakodyl-
trichlorid (Arsendimethyltrichlorid) erhalten«
In derselben Weise entsteht aus dem zweiatomigen Arsenmono-
methyldichlorid durch directe Vereinigung mit Chlor das v i er atomige Ar-
senmonomethyltetrachlorid und durch Oxydation mittelst Silberoxyd die
Arsenmonomethylsäure, die dasselbe vi er atomige Radical enthält.
Der Uebergang des einatomigen Arsendimethyls in das drei-
atomige und ebenso der Uebergang des zweiatomigen in das einatomige
Arsenmonomethyl ist also stets eine Oxydation und zwar entweder durch
directe Vereinigung mit Chlor oder durch Einwirkung eines oxydirenden
Metalloxyds.
Von Interesse sind femer die Keactionen, bei welchen die Arsen- 746.
methylverbindungen durch Austritt von Methylchlorid in Verbindungen eines
an Methyl ärmeren Badicales übergehen (vgl. %. 303). Die Verbindungen der
476 Arsenverbindangen der Alkoholradicale.
Salmiakreihe (zweite Reihe der Tabelle §. 743) verliereo, wie erwähnt,
bei Einwirkung der Wärme Methjlchlorid und geben Verbindungen der
Ammoniakreihe (R . 3 R).
So zerfällt Tetramethylarsoniumjodid zu Trimethylarsin und Methyljodid:
AsCeHgV = AsCeHg), + OHj.J
Das Trimethylarsinchlorid zersetzt sich ebenfalls beim Erhitzen, wahrschein-
lich in:
A8(6H3)3.Cla = A8(€H,)a.Cl + €H,.C1
Vom Arsendimethyltrichlorid ist nachgewiesen, dass es zu Arsenmonomethyl-
dichlorid und Methylchlorid zerflQlt:
As(eH3)a.Cl3 = As(eH,).aa + eHj.Cl
Das Arsenmonomethyltetrachlorid endlich ist nur in Eältegemischen bestän-
dig und zersetzt sich sobald die Temperatur sich dem Gefrierpunkt nähert nach
der Gleichung:
A8(€H3).Cl4 = ASCI3 + OHj.Cl
Arsenmonomethyl-
tetrachlorid.
Da nun jedes Glied der Ammoniakreihe sich direct mit Cl^ zu ver-
binden im Stande ist, um ein durch Wärme in der oben besprochenen
Weise zersetzbares Chlorid der Salmiakreihe zu erzeugen, so kann man
in indirecter Weise von jedem Glied der Ammoniakreihe auf das n&chst
niedere Glied herabsteigen.
Dieser Uebergang ist stets eine Aufeinanderfolge zweier Reacüonen, es ent-
steht zunächst durch directe Vereinigung mit Chlor ein Körper der Salmiakreihe,
der dann zerfällt. Wird dießeaction bei Wärmegraden vorgenommen, bei welchen
das betreffende Glied der Salmiakreihe nicht beständig ist, so treten direct dessen
Spaltungsproducte auf und die Reaction kann dann, indem man von der ephemeren
Bildung des Z wisch enproductes absieht , aufgefasst werden als doppelter Austausch.
Man hat z. B.:
Arsenmonomethylchlorid. Arsenchlorid Methylchlorid.
AsClClfceH,) ,X' ^Cl = AsCl, + eH,.ci
oder:
Arsendimethylchlorid. Arsenmonomethyl- Methylchlorid.
Chlorid.
AsCl(6H,)r(^r? V^ ^^JC^ = As(eH3).Cla + eH3.Cl
Man kann demnach die Glieder der Ammoniakreihe als Trimethylarsin an-
sehen, in welchen 1, 2 oder 3 Methyl durch Chlor ersetzt sind; gerade so wie
man sie umgekehrt als Chlorarsen betrachten kann, dessen Chlor durch Methyl
vertreten ist.
Arsenyerbindungen der Alkoholradicale. 477
Bemerkenswerth ist ferner, dass auch ein Aufsteigen in der Reihe 747.
der nach der Formel : R . 3 R zusammengesetzten Arsenverbindungen mög-
lich ist. Durch Einwirkung von Zinkmethjl kann nämlich das Chlor des
Arsendimethjlchlorids (Eakodjlchlorids) gegen Methyl ausgetauscht wer-
den; es entsteht Trimethy larsin. Ebenso wird bei Einwirkung von Ghlor-
arsen auf Zinkmethyl, indem die drei Atome Chlor gegen Methyl ausge-
tauscht werden, Trimethy larsin erhalten.
Endlich verdient erwähnt zu werden, dass bei Einwirkung von Me- 748.
thyljodid auf freies Eakodyl Zersetzung eintritt, indem Eakodyljodid
(Arsendimethyljodid) und Tetramethylarsoniumjodid entsteht:
Kakodyl. Methyljodid. Eakodyljodid. Tetramethyl-
arsoniumjodid.
IScGHät + 2GH,.J = A8(eH,),.J + A8(€H,)4J
Die Zersetzung kann aufgefasst werden als Aofeinanderfolge zweier Reac-
tionen. In der ersten wird Trimethylarsin erzeugt, welches sich dann mit Methyl-
jodid zu Tetramethylarsoniumjodid vereinigt:
\ As(€H3)a
2) AsCeHg), + €H,.J = As(€H,)4J
Wie das Methyljodid wirkt auch Methylbromid und die entsprechen-
den Aethyl- und Amyl Verbindungen.
Arsenäthylverbindungen. Die äthylhaltigen Arsenbasen sind 749.
bis jetzt weniger erforscht als die entsprechenden Methylverbindungen.
Man kennt Teträthylarsoniumverbindungen, femer Triäthylarsin und seine
Verbindungen und endlich Arsendiäthyl (Aethylkakodyl) und Verbindun-
gen dieses Radicals. Die den Arsenmonomethylverbindungen entsprechen-
den Aethylverbindungen sind bis jetzt nicht bekannt.
Arsenbasen mit verschiedenen Alkoholradicalen. Man 750.
kennt bis jetzt nur Arsoniumbasen , welche verschiedene Alkoholradicale
enthalten.
Da die Jodide und Bromide der Arsoniumbasen durch zwei wesent-
lich verschiedene Reactionen erhalten werden können, so sind zwei
Gruppen von intermediären Arsoniumbasen bekannt:
1) Durch Einwirkung des Bromids oder Jodids eines Alkoholradicals
auf eine Arsinbase entsteht das Salz einer Arsoniumbase , die drei
gleiche und ein verschiedenes Alkoholradical enthält Man kennt:
Trimethyläthylarsoniumjodid As(0 YL^^{Q^^
Triäthylmethylarsoniumjodid kA{ß^^^[ß YL^
478 Anenrerbindungen der Alkoholradicale.
2) Bei Einwirkung von Arsendimethjl (Eakodjl) auf Aethyl-ohlorid,
bromid oder Jodid , oder auf entsprechende Amjlverbindungen, ent-
stehen Verbindungen, die auf 2 Methjl zwei Aethjl oder zwei Amyl
enthalten, z. B. :
Dimethyldi&thylarsoniumjodid A8(6H3)2(62H5 ^^^
Dimethyldiamylarsoniumjodid As(€H3)2(65H|i)2J.
Bildung und Darstellung der Arsenbasen.
Die Arsenbasen der Alkoholradicale können durch drei wesentlich
verschiedene Reactionen erhalten werden.
761. ^ Durch Einwirkung der Jodide oder Bromide der Alkoholradicale
auf Arsen oder auf Arsenmetalle (besonders Arsenzink, Arsennatrium).
1) Erhitzt man Hethyljodid oder Aethyljodid mit metallischem Arsenik
auf 160® — 200®, so entstehen in grossen orangerothen Tafeln kry-
stallisirende Doppelverbindungen :
As(e HjV + AsJ,
As(e,H5)4J + AsJ,
Unterwirft man diese Doppeljodide der Destillation, so findet Zer-
setzung statt und es destiilirt wesentlich Trimethylarsin oder Tri-
ftthylarsin. Kocht man die Doppeljodide mit Kalilauge, so wird
Kaliumjodid und arsenigsaures Kali gebildet und es scheidet sich
ein schweres beim Erkalten krystallisirendes Oel aus, weiches Te-
tramethylarsoniumjodid oder Tetraäthylarsoniumjodid ist (Ca-
hours und Riche, Gahours*).
2) Erhitzt man Verbindungen von Arsen und Zink (oder Cadmium)
mit Hethyljodid oder Aethyljodid auf 17i>® — 180®, so entstehen
graue Massen, aus welchen heisser Alkohol Doppeljodide auszieht,
die beim Verdunsten in glänzenden Krystallen erhalten werden:
2 As(eH,)4J 4- ZnJ, 2 As(eH,)4J + CdJ,
2 Aaie^E^)^] + ZnJ, 2 As(e)H5)4J + GdJ,
Kocht* man diese Verbindungen mit Kalilauge, so entsteht, neben
Jodkalium und Zinkoxyd, Tetramethylarsonium- oder Tetra&thylar-
sonium -Jodid (wie bei 1) [Cahours].
8) Aethyljodid wirkt auf Arsennatrium (dem man zweckmässig 4 — 5
») Ann. ChenL tluunn. CIL 228.
BUdang und Daretellang. 479
Theile Quarzsand zusetzt) schon bei gewöhnlicher Temperatur ein,
durch die bei der Reaction erzeugte W&rme destillirt das aber-
schassige Methyljodid grösstentheils ab. Zieht man das Produot
mit«Aelher aus, setzt Alkohol zu, verdunstet den Aether und giesst
zur alkoholischen Lösung Wasser, so bleibt Tetraäthylarsoniumjodid
in Lösung, während Arsendiäthyl gefällt wird. Das letztere enth<,
wenn alles aberschassige Aethjljodyd abdestillirt war, Tri&thylarsin,
welches durch fractionirte Destillation vom Arsendi&thjl getrennt
wird. Unterwirft man das Rohproduct der Darstellung direct der
Destillation, so geht anfangs Aethyljodid aber, dann Tri&thylarsin
und endlich Arsendiäthyl. Im Destillat bildet sich durch Vereini-
gung des Tri&thylarsins mit Jod&thyl krystallisirtes Tetraäthylarso-
niumjodid, und zwar namentlich dann in grosser Menge, wenn die
Producte zusammen aufgefangen werden und längere Zeit stehen
(Landolt).
Methyljodid wirkt auf Arsennatrium in derselben Weise ein. Man
erhält durch Destillation Arsendimethyl (Eakodyl), Trimethylarsin
und Tetramethylarsoniumjodid. (Gahours und Riche).
IL Durch Einwirkung von Zinkäthyl oder Zinkmethyl auf Arsen- 752.
chlorür entstehen Triäthylarsin oder Trimethylarsin , (vgl. §. 733). [Ca-
hours und Hofmann, Hofmann*)]
m. Durch Destillaten eines Gemenges von essigsaurem Kali mit 768.
arseniger Säure wird Arsendimethyloxyd (Kakodyloxyd) erhalten, wel-
chem eine kleine Menge Arsendimethyl (Kakodyl) beigemengt ist, wo-
durch das Rohproduct an der Luft selbstentzandiich wird. [Cadet,
Bunsen.]
Die Bildung einer Methylverbindung aus der Essigsäure ist an sich leicht
verstSndlich (vgl. Methylwasserstoff J. 626, Radical-Methyl §. 627 und Essigsäure).
Die Zersetzung wird wahrscheinlich ausgedrückt durch die Gleichung **):
A83O, + 4 eAE^, = A82(eaH,)40 + 2 ee,K, -f 2 ee.
Arsenige Essigsäure- Kakodyloxyd. Kohlensäure- Kohlensäure.
Säure. Kali Kali.
*) Ann. Chem. Pharm. CII. 876.
**) Man kann sich von der Zersetzung in der Weise Rechenschaft geben, dass
man annimmt, die arsenige Säure tausche 2 Atome 0 gegenje 2 Methyl
aus:
iAB[e )"V^ (ß^th]K^(m^^ UsCOT,),
As e jX>Te^)IlKa(ee>)> Jascot,), ^^
480 Arsenverblndangen der Alkofaolradicale.
Aber es entstehen gleichzeitig auch secondäre Prodacte. Neben der Kohlen-
sfture entweicht Methylwasserstoff; das Destillat trennt sich in zwei Schichten, von
welchen die untere rohes Kakodyloxyd (Alkarsin) ist, (aus welchem sich arsenige
Säure und Arsen absetzt) während die obere eine wässrige Lösung dieser Körper
ist, die ausserdem noch Essigsäure und Aceton enthält. Der Rückstand ist koh-
lensaures Kali mit Kohle und Arsenik.
Zur Darstellung erhitzt man zweckmässig ein Gemenge von gleichen Theilen
arseniger Säure und essigsaurem Kali in einer mit einem Kühlrohr versehenen Glas-
retorte, die im Sandbad allmählig erhitzt wird. Zur Reinigung wird die schwerere
Schicht des Destillates mehrmals mit Wasser gewaschen und dann mit Wasser
destillirt. Das so erhaltene Alkarsin (Kakodylhaltiges Kakodyloxyd) kann
durch Destillation über Bar3rt oder Kalk getrocknet werden.
Dass aus ArsendimethylverbinduDgen andere ArseobaseD erhalten
werden können, ist oben §§. 748, 750 schon angegeben.
Ob andere mit der Essigsäure homologe Säuren bei Destillation mit
arseniger Säure dem Eakodyl entsprechende Verbindungen liefern, ist
bis jetzt nicht mit Sicherherheit nachgewiesen *).
764 Die theoretische Wichtigkeit vieler Arsenbasen der Alkoholradikale lässt es
zweckmässig erscheinen , den im Vorhergehenden mitgetheilten allgemeinen Be-
trachtungen einige weitere Details beizufügen; eine ausführliche Beschreibung aller
hierhergehörigen, namentlich aller vom Kakodyl sich ableitenden Verbindungen
würde die Grenzen dieses Werkes überschreiten.
Arsenmethylverbindungen.
Tetramethylarsoniumverbindungen sind bis jetzt durch Einwirkung
von Methyljodid auf Arsen, auf Arseniink und auf Kakodyl dargestellt (vgl. §. 751
Nr. I. 1, 2). Das Tetramethylarsoniumjodid ist eine krystallisirte Ver-
bindung, die sich beim Erhitzen in Trimethylarsin und Methyljodid zer-
legt; von Kalilauge wird es nicht angegriffen-, durch Silberoxyd wird das Jod ent-
zogen und eine stark kaustische Lösung von Tetramethylarsoniumhydrat
erhalten, die beim Verdunsten Krystalle hinterlässt und mit Schwefelsäure und
Salpetersäure zeriliessliche krystallisirbare Salze bildet.
Das Trimethylarsin siedet bei 120^
Arsendimethjly erb in düngen, Eakodylverbindungen.
1) Verbindungen des einatomigen Arsendimethyls. Bei Einwir-
kung von Methyljodid auf Arsen oder Arsenzink wird Arsendimethyl (Radical-
Kakodyl) als der bei 165 — 170^ siedende Theil des Destillates erhalten. Das bei
Destillation von essigsaurem Kali mit arseniger Säure gewonnene Product: Al-
karsin, ist ein Gemenge von Kakodyloxyd mit etwas Kakodyl; es siedet bei
♦) Vgl. Wöhler: Jahresb. 1847 — 48, 494. Ann. Chem. Pharm. LXVni. 127.
(iibbs: Jahresb. 1853, 439. Ann. Chem. Pharm. LXXXVI. 222.
Kakodylyerbindtmgen. 4gl
etwa 160* und gefiriert bei 26* j es besitzt einen furclitbar widerlichen lang anhaf-
tenden Qemch and ist selbstentzflndlich. Es entzündet sich im Chlorgas, czplo*
dirt mit rauchender Salpetersäure oder mit Kalium; es ozydirt sich leicht, durch
langsamen Luftzutritt, durch kalte concentrirte oder heisse verdünnte Salpetersäure
oder durch leicht reducirbare Metalloxyde, zu Eakodylsäure. Das Radical-Ka-
kodyl = Ag/OJ£*^*} i«t von Bunsen durch Einwirkung von Kakodylchlorid auf
Zink, (Zinn oder Eisen) bei 100* und durch Einwirkung von Kakodylsulfid und
Kakodylbromid auf Quecksilber dargestellt worden, es siedet bei 170*, entzündet
sich bei Berührung mit Luft oder mit Chlor. Bei gemässigter Einwirkung von
Sauerstoff oder von Chlor wird es zu Kakodyloxyd oder zu Kakodylchlorid; es
verbindet sich ebenso direct mit Brom, Schwefel etc. — Das Kakodyloxyd s=
AsröH ?^l^ wird am zweckmässigsten durch Einwirkung von Kalilauge auf unter
Wasser befindliches Kakodylchlorid und Destillation erhalten. Es ist eine nicht
selbstentzündliche und nicht rauchende Flüssigkeit (Baeyer). — Das Kakodyl-
chlorid = As(6H3)2.Cl erhält man aus Alkarsin durch üebergiessen mit rau-
chender Salzsäure, Zusetzen von gepulvertem Quecksilberchlorid und Destillation
des entstandenen Krystallbreies. Man behandelt das Product mit Kalk und Clilorcal-
dum und rectificirt. Das Kakodylchlorid ist eine farblose bei etwa 100* siedende
Flüssigkeit, deren Dampf betäubend wirkt, durchdringend riecht und die Schleim-
häute der Augen und Nase heftig angreifL Es verbindet sich mit Metallchloriden
KU kxystallisirenden Doppelchloriden. Das Kakodylbromid und Kakodyl-
Jodid sind dem Chlorid völlig analog. — Das Kakodylsulfid = weH^M^
entsteht bei Einwirkung von Schwefelwasserstoff auf Alkarsin oder bei Destillation
von Kalkodylchlorid mit Schwefelwasserstoffbaryum. Es ist eine an der Luit nicht
rauchende, weit über 100* siedende Flüssigkeit von durchdringendem dem Mer-
captan und dem Alkarsin ähnlichem Geruch. Kakodylbisulfid = [As(6H3)3]2S2
entsteht bei Erwärmen von Kakodylsulfid mit Schwefel oder bei Einwirkung von
Schwefelwasserstoff auf Kakodylsäure, es bildet grosse , bei etwa 50* schmelzende
Krystalle. Ein dem Kakodylsulfid entsprechendes Selenid wird durch Destillation
von Kakodylchlorid mit Selennatrium erhalten. — Cyankakodyl (Cyanarsin) =
As(€H3)3.6N ist von Bunsen durch Destillation von Alkarsin mit concentrirter
Blausäure oder mit Qnecksilbercyanid erhalten worden. Es krystallisirt in grossen
demantglänzenden Säulen, die bei 87« schmelzen; es siedet bei 140* und sublimirt
bei Mittelwärme in schönen Krystallen. Es ist äusserst giftig. Alle diese Kako-
dylverbindungen sind in Wasser sehr wenig löslich.
2) Verbindungen des dreiatomigen Araendimethyls. Kako-
dylsäure (Alkargen) = '^(^^^|^3|0, entsteht durch langsame Oxydation des
Alkarsins; am besten durch Einwirkung von Quecksüberoxyd auf unter Wasser
befindliches Alkarsin. Sie krystallisirt in grossen wasserhellen Säulen, die bei
200* unter theilweiser Zersetzung schmelzen. Die Säure ist geruchlos und nicht
giftig. Sie treibt Kohlensäure aus und gibt mit Basen zum Theil krystalllsirbare
Salze. — Eine der Kakodylsäure entsprechende S ulf o k ak o d y 1 s ä ur e ist bis
jetzt nur in Salzen bekannt Diese entstehen durch Einwirkung von Schwefelwas-
serstoff auf einige Kakodylsäore^alie oder bei Zersetzung des Kakodylbisulfids
durch einige Metalloxyde.
EckaU, orfu. ChMüa. 3|
1
482 Arsenverbindimgön der Alkoholradicale.
Daa Eakodylbisulfid kann in der That als sulfokakodylsanres Eakodyl be>
trachtet werden. Man hat:
Bleisulfokakodylat. Eakodylsolfokakodylat
(Eakod^lbisolfid)
A8(eH,),i A8(eH,)ai
Basisches Kakodylsuperchlorid (salzsaore Eakodyls&nre ) sr
As(6H^2jOa (Typus: 2H26- + HC1) entsteht bei Einwirkung von gasförmiger oder
TOn concentrirter wSssriger Salssftnre auf Kakodylsfinre (Bunsen) oder ans Eako.
dyltrichlorid durch Anziehen von Feuchtigkeit aus der Luft oder durch Binwirkang
von Alkohol (Baeyer). Es krystallisirt in grossen durchsichtigen ErystaDblättem.
Eakodyltrichlorid := A8(6H3)3 . CI3 entsteht aus Eakodylchlorid durch
directe Vereinigung mit Chlor. Da das Eakodylchlorid sich mit Chlorgas ent-
flammt, so muss man die Einwirkung dadurch massigen , dass man auf die Ober-
fläche eines Gemenges von Eakodylchlorid und Schwefelkohlenstoff Chlorgas leitet;
das Trichlorid scheidet sich in Erystallblättchen aus. Dieselbe Verbindung ent-
steht durch Einwirkung von Phosphorsuperchlorid auf Eakodylsäure :
Eakodylsäure Phosphorsuper- Eakodyltrichlorid Phosphorozy-
chlorid 4* Salzsäure chlorid
h|1±2 — \ ci[Jci,p r"cr+^^^''
Man trägt zu Phosphorsuperchlorid , welches sich unter Aether befindet, Ea^
kodylsäure ein, wascht die sich ausscheidenden ErystaUflitter mit Aether, löst in
derselben Flüssigkeit und erhält durch Verdunsten grosse Erystalle. Das Eako-
dyltrichlorid zersetzt sich schon bei gewöhnlicher Temperatur langsam, beim Er-
wärmen rasch zu Arsenmonomethylchlorid und Methylchlorid (Baeyer).
Ar senmonometbyl Verbindungen.
1) Verbindungen des zweiatomigen Arsenmonomethyls. Das
Arsenmonomethylbichlorid, als Zersetzungsproduct des Eakodyltrichlorids
erhalten, ist eine bei 138® siedende Flüssigkeit von äusserst unangenehmem Ge-
ruch und furchtbarer Wirkung auf die Schleimhäute. Durch Einwirkung von
Schwefelwasserstoff auf das Chlorid entsteht krystallisirbares Arsenmonome-
thylbi Sulfid. Zersetzt man das Chlorid mit kohlensaurem Eali, zieht mit AI-
kohol aus und krystallisirt den beim Verdunsten des Alkohols bleibenden Rück-
stand aus Schwefelkohlenstoff um, so erhält man Arsenmonomethylozyd
AsCOHj) 0, in schönen durchsichtigen Erystallen, die bald porccUanartig werden.
0
Das Arsenmonomethyljodid = As(6H3>.J2 wird in grossen goldgelben
Nadeln durch Einwirkung von Jodwasserstoff auf das Oxyd erhalten.
2) Verbindungen des vieratomigen Arsenmonomethyls. Durch
Einwirkung von Silberoxyd auf Arsenmonomethylbichlorid wird Arsenmonome-
thylsäure gebildet^ während gleichzeitig Chlorsilber und metalliecbei SÖbar enl-
Arsenverbindimgen der Alkoholradicale. 483
stehen. Die ArsenmonomethylsAnre ist eine Inftbeständige krystallisirbare Sub-
stanz; sie ist sweibasisch; man hat:
Arsenmonomethylsfture Silbersalz Barytsalz *)
A8(efl^)u^ Ä»(eH,)j^^ ^(«H?)U^
Leitet man Chlorgas anf ein stark abgekühltes Gemenge von Arsenmonome-
thylbichlorid und Schwefelkohlenstoff, so scheiden sich grosse KrystaUe aus, die
offenbar Arsenmonomethyltetrachlorid = As(6H,) . CI4 sind. Sie zer-
fallen sobald die Temperatur sich dem Gefrierpunkt nfihert in Methylchlorid und
Chlorarsen.
Arsenftthyl Verbindungen.
Diese Verbindungen sind wesentlich von Landolt untersucht. Das Tetra-
ftthylarsonium bildet meist leicht krystallisirbare Verbindungen, man kennt Chlorid,
Bromid, Jodid, ein Chlorplatin-Doppelsalz und die freie Base als Hydrat. Das
Triäthylarsin siedet bei 140^^ - 180<*. Das Triäthylarsinoxyd ist flüssig, das Sulüd,
Bromid und Jodid sind krystallisirbar:
Triftthylarsin. Oxyd. Snlfid. Bromid. Jodid.
A8(6aH,), As(eaH^)aG AsCejHft),.^ AsCGaH^a-Bra As(eaH5),.J,
Das Arsenbiäthyl entspricht in allen Eigenschaften dem Eakodyl. Es
siedet bei 185^—190®, ist selbstentzündlich, gibt mit Chlor oder Jod direct Ver-
bindungen und wird durch Oxydation in eine der Kakodylsäure ensprechende Säure
Übergeführt; Arsenbiäthylstture: ^^t^»^*Mej|.
Platin- und goldhaltige Arsenbasen.
Die Existenz platin- und goldhaltiger Basen, die sich vom Triäthyl- 766.
arsin ableiten und bei Einwirkung von Platinchlorid oder Goldchlorid auf
eine alkoholische Lösung dieser Base entstehen, ist von Hofmann**)
angekündigt:
Plato -Triathylarsoniumchlorid A8(e2H5)3PtCl
Auro - Triäthylarsoniumchlorid A8(62Hs)3 AuCl.
Sehr merkwürdige platinhaltige Verbindungen von noch unbekann-
ter Natur, sind von Bunsen aus Eakodylchlorid erhalten worden* Setzt
man nämlich zu einer Lösung von Platinchlorid Eakodylchlorid, so ent-
steht ein roihgelber Niederschlag von Eakodyl -Platinchlorid [A8(6H3)2C1
-)- PtCl)]; wird dieser mit Wasser gekocht, so löst er sich auf und es
krystallisirt beim Erkalten das Chlorid einer platinhaltigen Base; aus
•) Vgl. 5. 810. Anmerk.
**) Ann. CheuL Pharm. Cm. 867.
31 •
484 ADtimoilyerbindimgen der Alkoholradicale.
diesem köonen dann andere Salze der Base erhalten werden. Bansen be*
trachtet diese Verbindungen als Salze eines Kakodjls, in welchem 1 Atom H
durch Platin ersetzt ist; Gerhardt hält es für wahrscheinlicher, dass
zwei Atome Wasserstoff durch 1 Atom des zweiatomigen Platins ver-
treten sind. Man hätte:
UOHjPt)
= As (6-
Eakoplatylohlorid rr AsOsH^PtCa = AaiOBE^
oder = AseAPtCl = As^eHjJ*^^
Antimonbasen der Alkoholradicale.
75G. Die Antimonverbindungen der Alkoholradicale schliessen sich, so
weit sie bis jetzt bekannt sind, in Zusammensetzung und in Eigenschaften
enge an die entsprechenden Arsenverbindungen an. Die Zahl der bis
jetzt bekannten Antimonverbindungen ist indessen weit geringer als die
der Arsenverbindungen (vgl $. 743). Man kennt nur die den folgenden
Formeln entsprechenden Verbindungen: (S zr Alkoholradical)
Sb R R Cl^-^^==8'> R R R Cl CL
Vom Methyl sind Stibinverbindungeu und Stiboniumverbindungen be-
kannt, aber nur die letzteren genauer untersucht Vom Badical Aethjl
sind beide Gruppen von Verbindungen ausführlich untersucht Vom
Amjl kennt man ausserdem ein dem Eakodjl entsprechendee Stibdi-
amyl.
757. Geschichte der Antimonbasen. Die Antimonbasen wurden
1850 von Löwig und Schweizer*) entdeckt; diese Chemiker erhiel-
ten durch Einwirkung von Aethyljodid auf Antimonkalium das Triäthyl-
stibin. Landolt**) stellte 1851 die entsprechende Methylverbindong
dar, er beobachtete gleichzeitig die Bildung des Tetramethylstibo-
niumjodids und untersuchte die Abkömmlinge dieses Körpers* R.
Löwig ***) beschrieb dann 1855 die Verbindungen des Teträthyl-
stiboniums. Die amylhaltigen Antimonbasen sind von Berld f) (und
von Gramer) dargestellt W* Merck ff) erhielt dann vom Tri&thylstibin
•) Ann. Chem. Pharm. LXXV. 815. 827.' Jahresber. 1850. 470. — VgL auch
Löwig, Ann. Chem. Pharm. LXXXVIIL 828.
••) Ann. Chem. Pharm. LXXVHL 91; LX2LS1V.44. Jahresb. 185L 501; 1852.694
•••) ibid. XCVIL 822. ibid. 1865. 582.
t) Ibid. XCVn. 8ia ibid. 1856. 586.
tt) ibid. ZCVn. 829. ibid. 1855. 582.
AntinonrerblndangeQ der Alkoholradieale. 485
eigenthümliche basische Verbindangen (Ozychlorid etc.), die von
Strecker*) zuerst richtig interpretirt wurden. Stibouiumyerbindungen,
die gleichzeitig mehrere Alkoholradicale enthalten sind von Friedlän-
der **J untersucht worden.
Bildung und Darstellung der Antimonbasen. Die Anti- 758.
monbasen entstehen bei Einwirkung von Antimonkalium auf die Jodide
der Alkoholradicale.
Man verfährt dabei, nach Low ig and Schweizer in der Weise , dass
man Antdmonkaliam (durch heftiges Glühen von 5 Th. Weinstein mit 4 Th. Antimon
erhalten) mit 2 — 8 Th. Quarzsand pulvert, in kleinen Kölbchen mit dem Jodid
des Alkoholradicals (Aethyljodid z. B.) befeuchtet und in einem mit Kohlensäure
geftUlten Destillirapparat abdestillirt. Man erhält Triathylstibin und Teträthylsti-
boniumjodidj) welches letztere durch Einwirkung des überschüssigen Aethyljodids
auf Triathylstibin entsteht
Auch durch die umgekehrte Reaction, d. h. durch Einwirkung von
Zinkätbyl auf Antimonchlorid kann Triathylstibin erhalten werden. (Hof-
mann **♦).
Da die Aethylverbindungen des Antimons am besten untersucht 759«
sind, werden diese genauer beschrieben die entsprechenden Methylver-
bindungen dagegen nur kurz erwähnt
Methylantimonverbindungen. Durch EÜnwirkuDg von Methyljodid
auf Antimonkalium und Destillation wird |Trimethylsti bin = Sb (0H3)3 erhal-
ten, als farblose rauchende an der Luft selbst-entzündliche Flüssigkeit. Es verbin-
det sich direct mit 2 Gl , 2 Br, 2 J oder auch mit 6-, S etc. und verhält sich über-
haupt genau wie Triathylstibin. Das Trimethylstibiu verbindet sich schon in
der Kälte mit Methyljodid zu einer weissen Krystallmassc von Tetramethyl-
stiboniumjodid = Sb(6Hs)4J. Dieses bildet den Ausgangspunkt zur Dar-
stellung andrer Teiramethylstibonium - (oder Stibmethylium-) Verbindungen. Durch
Einwirkung von Salzsäure oder Bromwasserstoffsäure entstehen unter Freiwerden
von Jodwasserstoff, durch Einwirkung von Chlor oder Brom unter Freiwerden
von Jod, das Tetramethylstibonium - Chlorid und- bromid. Beide werden indess
zweckmässiger durch Zersetzen des Jodids mit Lösungen von Quecksilber-chlorid
oder- bromid erhalten. Das Bromid und Jodid krystallisiren in Nadeln, das Chlo-
rid in hezagonalen Tafeln , es gibt mit Piatinchlorid einen orangegelben krystalli-
nischen Niederschlag von: Sb(6H3)4Cl -|- PtCl^. Durch Zersetzung des Jodids
mit Silberozyd wird eine stark kaustische Lösung erhalten, die beim Verdunsten
Tetramethylstiboniumhydrat = ^ 'hI^ ^ weisse krystallinische Masse hin-
terlässt Die Lösung der Base gibt mit Schwefelwasserstoff ein Sulfid, welches
sich beim Eindampfen als grünes amorphes Pulver abscheidet Salpetersäure gibt
*) Ann. Chem. Pharm. CV. 806. Jahresb. 1868. 886.
••) Jahresber. 1867. 428.
•••) Ann. Chem. Pharm. CIH 867. Jahresb. 1867. 380.
486 AnilaiODVfiibinckmg»! d«r Alkfi^olyactt^iJa.
eSsR kiystallisirbaies S^ Sdiwefelaftnre eneugt twd Salse, «in onores und ein
neutrales.
Antimon äthylier bin düngen.
760. Tri&thylstibin. Das Tri&thylstibin wird, wie oben (§. 758) er-
wähnt durch Destillation von Aethyljodid mit Antimonkalium gewonnen;
durch Rectification des Productes erhält man es rein , als farblose an der
Luft rauchende und selbstendzündlicbe Flüssigkeit. Es siedet bei 158®,5;
sp. Gew. 1,3244, es ist in Wasser unlöslich, löslich in Alkohol und
Aether. Das Triäthylstibin entzündet sich mit Sauerstoff, mit Chlor und
mit Brom. Bei langsamer Einwirkung der Elemente entstehen Verbin-
dungen mit: 2 Gl, 2 Br, 2 J oder mit O, S. Z. B.:
Triäthylstibinchlorid Triäthylstibinozyd.
sbtejHj), . cij sb(e,H5), e.
Bei Einwirkung von Sauerstoff wird neben dem in Aether löslichen
Triäthylstibinoxyd ein in Aether unlösliches Pulver erzeugt (antimonsaures
Triäthylstibin). Wird Triäthylstibin mit concentrirter Salpetersäure zu-
sammengebracht, so tritt Entzündung ein ; verdünnte Salpetersäure bil-
det neutrales salpetersaures Triäthylstibin (siehe unten). Bemerkens-
werth ist das Verhalten des Triäthylstibins gegen Salzsäure, dabei wird
nämlieh nicht: Sb(62H5)3 . HCl erzeugt, sondern Triäthylstibinchlorid:
Sb(62H5)3Cl2 unter Freiwerden von Wasserstoff. Das Triäthylstibin, ob-
gleich dem Typus NH3 zugehörig, zeigt also nicht die für den Typus
Ammoniak im Allgemeinen charakteristische Reaction , es verbindet sich
nicht direct mit Salzsäure. Es verhält sich vielmehr wie ein metallähn-
liches Radical, d. h. es treibt den Wasserstoff aus, indem es 2 Atome
Wasserstoff ersetzt. Das Triäthylstibin ist demnach in dieser Reaction,
wie in seinem gesammten Verhalten zweiatomig.
Das Triäthylstibinoxyd = Sb(62H5),0, durch langsame Oxydation
des Triäthylstibins , durch Zersetzung des Jodids mit Silberoxyd oder des schwe-
felsauren Salzes mit Barytwasser dargestellt, ist nach möglichster Concentration
eine farblose zähe unkrystallinische Masse, die in Wasser, Alkohol und auch in
Aether löslich ist, und mit Säuren direct Salze, mit Schwefelwasserstoff ein kry-
stallisirbares Sulfid eraeugt Das Chlorid und Bromid sind flüssig und in Wasser
unlöslich, letzteres erstarrt bei — 10® zu weissen Ery stallen. Das Jodid, am
zweckmässigst^n durch Zusatz von Jod zu einer alkoholischen Lösung von Tri-
äthylstibin erhalten, bildet farblose Krystalle, die bei 70^,5 schmelzen.
Eigenthümliche Verbindungen: ein Oxy bromid, Oxyjodid etc. sind von Merck
erhalten worden. Die Zusammensetzung dieser Körper ist:
Triäthylstibinoxjrjodid. Triäthylstibinoxyjodid Typus.
Sb(e,H.)i^O 2HJ
Sb(9A).^ + SbceA^A oder si^J^|g^^| j j, H,0
Aalt]iuni?«iliindii]ig«ii der Alkoliolnidleak. 487
Das beim Abdampfen sidi in octaediischen ErystiUen ansecheidende Tri-
äthylstibinoxyjodid entsteht z. B. durch directe Vereinigung von Triäthylstibiiyodid
mit Triftthylstibinoxyd (S treck er) oder auch (wahrscheinlich unter Vermittlung des
Sauerstoffs der Luft) wenn statt des Oxyds das Triaethylsübin mit dem Jodid zu-
sammengebracht wird; man erhält dieselbe Verbindung auch durch Einwirkung
Yon wfissrigem Ammoniak auf Triäthylstibinjodid:
Triäthylstibinjodid. Triäthylstibinoxyjodid.
2Sb(eAV2 + 2NH3 + H,0 = sbSÄä?, + 2NH.J
Durch Zersetzen des Ox>jodids mit salpetersaurem Silberoxyd erhielt Merck
ein krystallisirendes basisch salpetersaures Salz, welches beim Eindampfen
mit Terdünnter Salpetersäure zu dem oben schon erwfthnten neutralen salpe-
tersauren Salz wird*). Man hat:
Basisch salpetersaures Neutrales salpetersaures
Tri&thylstibin Triäthylstibin.
sb(eA)s^ sb(eA)a
NO,
n
e, N0, e.
Teträthylstiboniamjodid = Sbce,!!«)«! entsteht beim Er- 761.
hitzen Ton Tri&thjlstibin mit Aethyljodid auf 100^: ea verh< sieh genau
wie die entsprechende Methylverbindung (§.759) und dient als Ausgangs-
punkt zur Darstellung anderer Teträthylstibonium - (Stibäthylium-) yer-
bindungen.
EinMethyl.Triäthyl8tiboniumjodid=Sb(eaHB)t(eH,)JistYon
Friedländer durch Einwirkung von Methyljodid auf Triäthylstibin er-
halten worden; aus ihm werden andere Verbindungen dieser gemischten
Antimonbase dargestellt
Antimonamylverbindungen. Durch Einwirkung von Amyl- 762«
Jodid auf Antimonkalium wird Triamylstibin erzeugt, welches man ent-
weder durch Destillation (Gramer) oder durch Ausziehen mit Aether
(BerU) reinigen kann; es verhält sich im Allgemeinen wie die entspre-
chenden Methyl- und Aethyl Verbindungen. Durch Destillation erleidet es
(nach 6erl6) Zersetzung und es wird dabei Stibdiamyl = 85/9*11 ^*^'|
gebildet, eine dem Eakodyi entsprechende Verbindung, weiche nicht
krystallisirbare und bis jetzt nicht näher untersuchte Salze bildet.
Platin- und goldhaltige Antimonbasen.
Wie für die Phosphor - und die Arsenbasen , so sind auch für das 763.
Triäthylstibin platin - und goldhaltige Verbindungen dargestellt, aber bis
jetzt nicht näher beschrieben (vgl. §§. 741. 755).
*) Diese Sabe entsprechen den beiden Salpetersäure- Salzen der zweiatomigen
Metalle z. B. des Quecksilbers. Vgl §. 810. Anm. und f. 777.
488 WismothTerfafaidaiigen der Alkdliolndieale.
Wismnthbasen der Alkoholradicale.
764. Löwig und Schweizer*) beobachteten, dass bei Einwirknng^
von Aethyljodid auf Wismnthkalium (erhalten durch Olahen eines Ge-
menges von Wismuth (5 Th.) mit Weinstein (4 Th.)) eine dem Triftthyl-
stibin ähnliche Verbindung entsteht. Diese wurde dann von Breed^*)
und später von Dünhaupt***) näher untersucht
Triäthylbismuthin = BiCejHft)!« Da diese Verbindung nicht
destillirbar ist, so wird das Product der Einwirkung von Aethyljodid auf
'Wismuthkalium mit Aether ausgezogen, der Lösung Wasser zugesetst
und der Aether durch Verdampfen entfernt; das Triäthylbismuthin schei-
det sich dabei als gelbliche leichtbewegliche FlQssigkeit aus (sp. Grcw.
1,82) die mit Wasser und selbst mit Aether destillirt werden kann, fiCIr
sich aber nicht flüchtig ist Die Verbindung ist selbstentzandlich, erleidet
beim Erhitzen bei etwa 50^ Zersetzung und explodirt bei 150® mit Hef-
tigkeit
Das Triäthylbismuthin gibt nur wenige gut charakterisirte Verbin-
dungen. £s zersetzt sich leicht unter Bildung unorganischer Wismuth-
verbinduDgen. So scheidet z. B. der Sauerstoff der Luit aus der alkoho-
lischen oder ätherischen Lösung der Base Wismuthhydrat = ( g \ 'J
aus. Die Darstellung des Triäthylbismuthinoxyds = BiCG^H^ljO gelang
nicht Lässt man auf die wässrige Lösung Schwefelwasserstoff einwir-
bTi
ken, so erhält man ein Doppelsulfid: Bi(e2H5),9 -f- ^\^r
Interessant ist die Einwirkung von Quecksilberchlorid auf Triäthyl-
bismuthin. Wird nämlich eine alkoholische Lösung von Quecksilberchlo-
rid eingegossen, so scheidet sich reines Quecksilberchlorttr aus; verf&hrt
man dagegen umgekehrt, so bleibt die Flüssigkeit anfangs klar, später
entsteht ein starker Niederschlag, der sich beim Erwärmen im Wasserbad
wieder löst; beim Erkalten setzt die FlQssigkeit dann Erystalle von
Hercuräthylchlorid z=: Hg (620^)01 ab, während die Lösung das
Chlorid einer neuen Wismuthbase: Bismuthomonäthylchlorid =r: BiGsH^Cl)
enthält
Die Zersetzung kann aufgefasst werden als:
Tri&thylbismuthin 2 Mol. Qaecksilber- Bismathomon- Hydrargyräthyl*
Chlorid. äthylchlorid chiorid.
e,H,
'ft
•) Jahresb. 1860. 477.
•*) ibid. 1862. 601. Ann. Chem. Pharm. LZXXU 106.
•••) ibid. 1864 684. ibid. XCIL 871.
BoriMhyl. 489
SetEt man su dieser, das BismuthomoBftthyloUorid enihalteDden Lö-
sung, Jodkalium, so färbt sich die Flüssigkeit intensiv gelbroth; fügt man
Wasser zu bis zur Trübung, erwärmt im Wasserbad bis die Flüssigkeit
wieder klar wird und lässt erkalten, so scheiden sich goldgelbe sechsseitige
Bl&ttchen aus, von Bismuthomonäthyljodid = Bi(02H5)J2. Dieses
Jodid ist die beständigste Verbindung der neuen Base und selbst diese
wird durch Jodkalium allmälig zu Wismuthjodid zersetzt. Das Chlorid,
das salpetersaure und das schwefelsaure Salz des Bismuthomon-
äthyls sind ebenfalls krystallisirbar , aber sehr unbeständig. Bismutho-
monäthyloxjd : Bi(62H5)0, scheint der gelbe] amorphe Niederschlag zu sein,
welcher von nicht überschüssiger Kalilauge in der Lösung des Jodides
hervorgebracht wird. Wird dieser Niederschlag mit Alkohol ausgewaschen
und im luftleeren Raum rasch getrocknet, so tritt, solbald er mit Luft in
Berührung kommt, Entzündung ein.
BoräthyL
An die im Vorhergehenden beschriebenen Verbindungen der Alko- 766.
holradicale mit den Elementen der Stickstoffgruppe, schliesst sich zu-
nächst noch das Boräthyl an. Das Bor, obgleich in seinem chemi-
schen Charakter wesentlich verschieden von Stickstoff^ Phosphor, Arsen,
Antimon und Wismuth, ist dennoch dreiatomig wie diese. Der Bor-
säureäther (§. 683) enthält dreimal das Radical Aethyl im Molecül,
das Boräthyl enthält ebenso in 1 Mol. 3 Rad. Aethyl, verbunden mit
einem Atom Bor. Es entspricht völlig dem Borchlorid : B0CI3; man könnte
es als Borchlorid betrachten, dessen Chlor durch Aethyl vertreten ist.
Das Boräthyl hat bis jetzt nicht aus dem Borchlorid erhalten wer-
den können; es wurde in neuester Zeit vonFrankland undDuppa**)
durch eine eigenthümliche , in theoretischer Hinsicht sehr interessante
Reaction dargestellt, nämlich durch Reduction des Borsäureäthyläthers.
Mischt man diesen Aether mit Zinkäthyl ($. 770), so findet Erwärmung
statt; der Borsäureäther tritt seinen Sauerstoff an das Zinkäthyl ab, es
entsteht Zinkäthylat und Boräthyl. Man hat:
Borsäureäthyläther. Zinkäthyl Boräthyl. Zinkäthylat.
^ feA),(^» + 3 Z«(^2H5), = 2 BoCe^H^), + 3 foA), j^*-
Das Zinkäthyl wirkt also bei dieser Reaction einfach reducirend, ge-
Wissermassen wie ein MetalL
*) Die Dampfdichte des Borttthyls wurde gefunden 8.4; die Molecularformel:
BoC^^H«), führt zur Dampfdichte: 8.88.
*•) Ann. Chem. Pharm. CXY. 819.
Dm Borftthyl: 60(0^),, durch DestiDatioii geranigt, ist eine
fiffMose leiditbewegÜdie FlOssigkeii (sp. Gew. 0.69); es siedet bä 95*
imd besitzt einen stecfaeoden Genieh, seine Dampfe reizen stark za Thrft-
nen nnd greifen die Schleimhtate heftig an. Es entsllndet sieh an der
Loft und brennt mit schön grflner, rossender Flamme. In Wasser ist es
nnlöslieh und wird langsam sersetsi.
Lässt man das Borathyl sich langsam oxydiren, indem man es in einem
Kolben der Einwirkung trockner Loft nnd zolelzt der Einwirknng Ton Sauerstoff
aosaetzt, so entsteht eine bei gewöhnlichem Druck unter theÜweiser Zersetsnng,
im Kohlensänrestrom uniersetzt flächtige Flüssigkeit, die bei höherer Temperatur
nedet als das BorSthjl selbst. Diese Substanz hat die Zusammensetanng :
m
Bo(0)H^)}03; sie kann als ein Oxyd des Boräth^ betrachtet werden^ oder aach
als intermediär swischen dem Borathyl und dem Bonsäureithylather. Man hat:
BorithyL (unbekannt), BorStibylozyd. BorsftureStfayl-
äther.
BO I ^ »Ä BO 4^ BO »rv
(GA).» (eA).r (eA),r» (eA).r'
Typus: 3 H, H, + H,e 1 H^ + 2Hs0 3H,0
Das Boräthyloxyd wird von Wasser rasdi serselzt, es entsteht Alkohol
und eine flflchtige S abstanz, die leicht in weissen Krystallblattem sublimirt. Dieae
Substanz hat die Zusammensetzung: l^o{^^^iA^^\ sie ist also Boräthylozyd^
welches 2 Aethyl gegen 2 At .Wasserstoff ausgetauscht hat, sie zutsteht dem
unbekannten sauren Aether der Borsäure in derselben Beziehung wie das Bor-
äthyloxyd zum neutralen Borsäureäther. Ihre Bildung erklärt sich aus der Glei-
chung:
Boräthjloxyd.
m
Bo
Bo
(^jHs);
Je, +2H,0=eAJe, +2 ^»^4(0
Verbindungen der Alkoholradieale mit einatomigen Me-
tallen.
766. Ihrem Oesammtverhalten nach scheinen nur das Kalium, Na-
trium, Lithium und Silber einatomige Metalle zu sein. Die Verbin-
dungen mit Alkoholradicalen sind nur für die beiden ersteren bekannt
und selbst diese kennt man nicht in reinem Zustaud. Vom Lithium weiss
man nur, dass es eine entsprechende Verbindung bildet; die Versuche,
Silberäthyl darzustellen, haben bis jetzt keine Resultate geliefert
767. Natriumäthyl. Von Wanklyn *) 1857 entdeckt. Das Na-
triumftthyl kann nicht durch Einwirkung von Natrium auf Jodäthyl er-
halten werden (vgl weiter unten); dagegen entsteht es, wenn Natrium
^) Ann. Chem. Pharm. CVIH 67.
VAtprimnSthyl. 491
bei gewöhnlicher Temperatur auf Zinkäthyl einwirkt Aber auch ao wird
nicht freies Natriumäthjl, sondern eine Verbindung von Katriumfttbjl mit
Zink&thyl erhalten.
Hat man Natrium (1 Th.) auf reines Zinkäthyl (10 Th.) während mehrerer
Tage einwirken lassen, so ist alles Natrium aulgelöst und dafür eine äquivalente
Menge Zink gefSUt Die zähe Flüssigkeit ist eine Lösung der Verbindung von Na-
triumäihyl mit Zinkäthyl in überschüssigem Zinkäthyl. Durch Abkühlen dieser
Flüssigkeit auf 0® erhält man grosse Krystalle der Verbindung von Natriumäthyl
mit Zinkäthyl; verdunstet man das Zinkäthyl in einem Strom von Wasserstofifgas,
so bleibt dieselbe Verbindung in Krystallen zurück, die bei 27^ schmelzen. Die
Zusammensetzung dieser Verbindung ist: ZucBqHs), -{- Na(62H^.
Es gelingt nicht aus dieser Verbindung reines Natriumäthyl abzuscheiden.
Bei gelindem Erwärmen erleidet die Verbindung Zersetzung, indem aller Kohlen-
stoff und Wasserstoff entweicht, während metallisches Natrium und Zink zurück-
bleiben. Erwärmt man die krystallisirte Verbindung mit Natrium im V^asserbad,
so tritt ebenfalls Zersetzung ein. Von Wasser wird die Verbindung augenblicklich
zersetzt, es entsteht Zinkozyd- und Natronhydrat, während reiner Aeihylwasser-
stoff entweicht Die Verbindung ist selbst entzündlich und verbrennt, der Luft aus-
gesetzt, explosionsartig.
Lässt man zu einer Lösung von Natriumäthyl in Zinkäthyl Jodäthyl zutreten,
so findet augenblicklich Zersetzung statt, indem Jodnatrium gebildet wird, während
ein Gas ^entweicht, welches aus gleichen Volumen Aethylwasserstoff und Aethy-
len besteht:
Natriumäthyl Aethyljodid Aethylwasserstoff Aethylen
NaC^aEj) + «A.J = OaHj.H + B^E^ + NaJ.
Diese Zersetzung erklärt, warum bei Einwirkung von Natrium auf Jodäthyl
kein Natriumäthyl erhalten wird*, insofern nämlich das Natrium erst bei Tempera-
turen, die höher sind als 100® auf Aethyljodid zersetzend einwirkt, während das
etwa gebildete Natriumäthyl momentan von dem überschüssigen Aethyljodid zer-
setzt wird. Bei Einwirkung von Natrium auf Aethyljodid findet also eine ganz
ähnliche Reacüon statt, wie diejenige bei Einwirkung von Zink auf Jodwasserstoff ;
der bei der letzteren Reaction vielleicht als Zwischenglied gebildete Zinkwas-
serstoff hat bei Gegenwart von Jodwasserstoff eine eben so ephemere Existenz wie
das Natriumäthyl bei Gegenwart von Jodäthyl *).
Das Natriumathyl verbindet sieh leioht mit Kohlensäure und erzeugt
propionsaures Natron **).
Natrium&thjl Propionsaures Natron
Na(eA) + 602 = esHjNaez.
KaliumäthjL (Wanklyn). Kalium wirkt noch heftiger auf Zink-
äthyl ein 9 als Natrium, man erhält, wie bei Anwendung von Natrium
eine krystallisirbare Doppelverbindung von Kaliumäthyi mit Zänkäthyl«
*) Frankland, Ann. Chem. Pharm. CX. 107.
••) Wanklyn, ibid. CVIL 126.
492 Zfadcrerbindiingen der Alkohölndioale.
Natrinmmethjl*) kann, in entsprechender Weise, dareh Einwir-
kung von Natrium auf Zinkmethjl (oder dessen Lösnng in Aether) er-
halten werden« Es verbindet sich direct mit Eohlens&are und bildet so
essigsaures Natron (vgl. $. 795).
Verbindungen der Alkoholradicale mit zweiatomigen
Metallen.
768. Zu den sweiatomigen Metallen können mit Sicherheit das
Quecksilber und das Zink gerechnet werden. An dies letztere rei-
hen sich an: das Cadmium und das Magnesium. Auch das Cal-
cium, Strontium und Baryum müssen ihrem gesammten chemischen
Verhalten nach für zweiatomig gehalten werden. Verbindungen dieser
letztgenannten Metalle mit Alkoholradicalen sind indessen bis jetzt nicht
bekannt.
Von den Verbindungen zweiatomiger Metalle mit Alkoholradicalea
sind namentlich diejenigen des Zinks und des Quecksilbers nfther
untersucht. Bei den Quecksilberverbindungen ist der durch die
zweiatomige Natur des Metalls veranlasste Charakter am deutlichsten
ausgeprägt. Diese Verbindungen sind in der That völlig analog den
Verbindungen der Alkoholradicale mit den Elementen der Stickstoffgruppe
und namentlich mit denen des Arseniks; immer natürlich mit den durch
die verschiedene Atomigkeit des Metalls bedingten Abweichungen.
769. Zinkverbindungen; entdeckt von Frankland 1849. Man
kennt bis jetzt Verbindungen des Zinks mit den Alkoholradicalen : Methyl,
Aethyl und Amjl, und femer Verbindungen, die gleichzeitig Zink, ein
Alkoholradical und Jod enthalten. Diese letzteren sind Zwischenglieder
zwischen Zinkjodid und der nur das Alkoholradical enthaltenden Ver-
bindung. Man hat z. B.:
Zinkjodid. Jod - Zink&thyl. ZinkäthjL
Intermediäre Verbindungen, d. h. solche, die gleichzei^g zwei ver-
schiedene Alkoholradicale enthalten (z. B. Methyl und Aethyl) konnten
bis jetzt nicht dargestellt werden ***),
Man erhält die Verbindungen des Zinks mit den Alkoholradicalen)
indem man die Jodide der Alkoholradicale auf Zink einwirken lässt; da-
bei entsteht zunächst eine nicht flüchtige Verbindung, die Jod, Zink und
das Alkoholradical enthält; beim Erhitzen zerfällt diese Verbindung in
Jodzink und die flüchtige Zinkverbindung des Alkoholradicals. Z. B.:
^) Wanklyn, Ann. Chem. Pharm. CS. 284.
••) Frankland, ibid. LZXI. 218.
^•) Frankland, ibid. CXI. 61-
ZinkSthyl.
493
U.
Aethy^jodid.
Jodslnkftthyl.
Zn + ejHj.J
= z-jf'^'.
Jodzmkftthyl.
Jodzink. Zinkäthyl.
<^\f^ =
zi» j. + m^^i'
Die Dampfdichten der flüchtigen Zinkverbindimgen zeigen deatlieh, dass ein
Molectil zwei Radicale Aethyl oder Methyl enthält Es ist nämlich:
HolecolarformeL Dampfdichte.
berechnet: gefdnden:
Zinkmethyl: Zn|^]^< 8.294 8.291 (Wanklyn.)
Zinkäthyl:
-K
4.268
4.269 (Frankland.)
ZinkÄthyl ♦) Znj^^g*. Aethyljodid wirkt auf Zink schon bei ge- 770.
wohnlicher Temperatur ein, aber die Einwirkung ist dann sehr langsam;
sie erfolgt rascher bei 100^ noch leichter bei 120 — 130^ — L&sst man
reines Jodäthyl auf Zink einwirken , so aberkleidet sich das Zink mit
Krystallen von Jodzinkäthyl.
Darstellung. Zur Darstellung des Zinkfithyls wird daher zweckmässig
ein Gemenge von Aethyljodid mit Aether angewandt*, der Aether dient als Lö-
sungsmittel des Jodzinkäthyls und veranlasst so, dass das Jodäthyl stets mit einer
metallischen Zinkiltiche in Berührung ist. Man nimmt gewöhnlich gleiche Volume
Aether und Jodäthyl (oder Va Volum Aether auf 1 Volum Jodäthyl) und stellt
das Gemenge vor der Verwendung noch einige Zeit über Phosphorsäureanhydrid.
Das Zink wird gewöhnlich in granulirtem Zustand angewandt, soll Draht oder
Blech verwendet werden, so muss man erst durch eine Säure eine rein metallische
Oberfläche herstellen ; es wird vor der Verwendung gut getrocknet Abwesenheit
von Wasser (und auch von Alkohol) ist Hauptbedingung des Gelingens , da sonst
gasförmige Zersetzungsproducte entstehen. Statt des Zinks kann auch Zinkamal«
gam angewandt werden.
Man nimmt die Operation gewöhnlich in zugeschmolzenen Glasröhren (vgl
{. 627) oder in zugeschmolzenen dickwandigen Glasballons vor. Man erhitzt im
Oelbad auf 180* oder auch nur längere Zeit im Wasserbad; die Beaction verläuft,
wenn einmal eingeleitet, selbst bei niederen Temperaturen von selbst Grössere
*) Vgl. bes. Frankland, Ann. CheoL Pharm. XCV. 2&i
494
Zinkverbindungen der Alkoholradicale.
Mengen von Zinkäthyl werden zweckmässig in
dem von Frankland angegebenen Digestor dar-
gestellt Einrichtung und Gebrauch des Apparats
Isind aus nebenstehender Zeichnung verständlich«
Der innere CjUnder, aus dickwandigem, getriebe-
nem Kupfer, wird vor der Operation, durch Er-
hitzen im Ofen selbst, getrocknet; man trägt dann
das getrocknete Zink (4 — 6 Unzen) noch heiss ein,
schraubt die Deckplatte zu und iässt verschlossen
erkalten. Das Gemenge von Jodäthyl (3 Unzen)
und Aether (halbes Volum) wird dann durch die,
mit einer Schraube verschliessbare Oe£fhung der
Deckplatte eingetragen, der Apparat verschlossen
und einige Zeit auf 180® erhitzt Der Ofen besteht
aus mehreren Cylindem. Der Kupferdigestor be-
findet sich in einem kupfernen Cylinder, der als
Oel- oder Luftbad dient Der Boden vnrd direct
durch die Flamme, die Seitenwände durch die
zwischen diesem und dem umhüllenden Eisenblech-
cylinder durchstreichenden Verbrennungsgase ge-
heizt Der äussere Mantel von Weissblech ver-
mindert die Wärmeausstrahlung. Nach beendigter Operation wird das Product
abdestillirt Bei dieser Destillation geht anfangs nur Aether über, und man muss
bis weit Über den Siedepunkt des Zinkäthyls (118®) erhitzen (zuletzt bis gegen
200®), well das Jodzinkäthyl erst bei höheren Temperaturen vollständig zerlegt
wird. Durch wiederholte Rectification kann das Zinkäthyl rein erhalten werden.
Alle Destillationen müssen, da das Zinkäthyl sich direct mit Sauerstoff verbindet,
in Apparaten ausgeführt werden, die mit Kohlensäure, Wasserstoff oder Leuchtgas
gefüllt sind.
Das ZiDkäthyl ist eine farblose, leicht bewegliche Flüssigkeit, die
bei IIB® siedet. Spec. Gew. = 1.18. Es hat einen eigenthtimlichen
Geruch und ist mit Aether mischbar. Es entzündet sich an der Luft und
brennt mit weisser Flamme unter Abscheidung dichter Dämpfe von
Zinkoxyd.
Durch langsame Oxydation einer Lösung von Zinkäthyl in Aether
entsteht Zink&thylat (§. 650) (neben etwas Zinkoxydhydrat und essig-
saurem Zink):
Zinkäihyl. Zinkäthylat
i']t^ + ». = <^ti«^
Tr> man Schwefel in eine ätherische Lösung von Zink&thyl, so
entsteht: Zinkmeroaptid (§. 673).
Zinkäthyl Zinkmeroaptid*
iilÄ + 9. = '«-«^jS.
Zinkäthyl. 495
Chlor, Brom oder Jod wirken in entsprechender Weise auf Zink-
äthyl, nur zerfällt das Produet, der einatomigen Natur dieser Elemente
wegen, in Chlorzink und Aethjlchlorid (oder die correspondiren-
den Brom- oder Jodverbindungen) z« B.:
Zink&thjl Aethylbromid.
ZnJ^^g» + 2®^» = Zn Br, + 2eaH5Br.
Ob bei dieser Einwirkung zuerst Jodzinkäthyl: ZnSj^***, oder entsprechende
Verbindungen entstehen, ist noch nicht ermittelt
Von Wasser wird das Zinkäthyl augenblicklich zersetzt unter
Bildung von Zinkoxydhydrat und Aethylwasserstoff ($. 662).
Zinkäthyl. Zinkoxydhydrat. Aethyl-
wasserstoff.
n
Ammoniak bildet mit Zinkäthyl das Zinkamid; Diäthylamin, bei
entspriechender Reaction, das Diäthybdnkamid (vgl. §. 728).
Stick oxyd wird von Zinkäthyl absorbirt, es entsteht eine weisse 771.
0
hrystallisirte Substanz von der Zusammensetzung : Zn{GJi^JS^2^r Durch
Wasser wird unter Entwicklung von Aethylwasserstoff ein basisches Zink-
salz erzeugt, aus welchem Kohlensäure die Hälfte des Zinks ausfällt
Aus dem so erhaltenen Zinksalz können durch doppelte Zersetzung die
Säure selbst und andere Salze dargestellt werden. Die meisten Salze
dieser, von Frankland*^) als Dinitroäthylsäure bezeichneten Säure,
sind, wiewohl schwierig, krystallisirbar ; selbst die Alkalisalze verpuffen
noch weit unter der Glühhitze explosionsartig.
Die Dinitroäthylsäure ist vielleicht das Aethyl-Derivat eines Amids der
Salpetersäure, also: Aethylnitramid. Man hat:
Dinitroäthylsäure. Natronsalz. Basisches Zinksalz. Directes Product
.Nej iNOa iNO, IN0J
'« '^^ ^ Zn Hn
Schweflige Säure wird von Zinkäthyl in reichlicher Menge absorbirt; 772.
es entsteht ein krystaUisirendes Zinksalz: [ZnC^aHs)) + 8&0a], aus welchem durch
*) Vgl. Frankland, Ann. Chem. Phann. XCEL 842. Frankland stellt die Dini-
troäthylsäure durch die Formel dar: C4H5(N0a)2H3-, oder durch NO(NOa)
(C4H5), HO-, das heisst als salpetrige Säure, in welcher 10 durch NO,
und 10 durch C4H5 ersetzt ist
496 Zinkyerbindungen der Alkoholradicsla.
doppelte Zenetzang andere Salse und auch die Sfinre selbst erhalten werden kön-
nen. (Hobson)*).
Durch Einwirkung vonPhosphorchlorür aufZinkfithyl entsteht Triäthyl-
phosphin (§. 733)-, bei Einwirkung von Arsenchlorür wird Triäthylarsin gebüdet
(S. 762).
Auch Quecksilberchlorid, Bleichlorid etc. wirken auf Zinkäthyl
ein; es entstehen Aethylverbindungen der betreffenden Metalle. Durch Einwirkung
von Natrium, Kalium oder Lithium auf Zinkäthyl werden Natriumäthyl u. 8. w.
gebüdet (vgl §. 767).
Durch Aethyljodid wird das Zinkäthyl bei etwa 170« aersetit**), es ent-
steht Zinkchlorid und Aethyl, gleichzeitig aber auch Aethylwasserstoff und Aethy-
len (vgl. 663).
Der Borsäureäther wird von Zinkäthyl reducirt za Boräthyl (§. 766). Ueber
die Einwirkung von Zinkäthyl auf Mercuräthy^odid, St«nnäthyljodid u. 8. w.
▼gl SS. 778, 784.
778. Zinkmethyl*^:Zn j®g». Methjljodid wirkt auf metallisches
Zink leichter ein als Aethyljodid; bei Anwesenheit von Aether erfolgt die
Reaction schon unter 100^; die Darstellung von reinem Zinkmethjl bie-
tet indess eigenthümliche Schwierigkeiten.
Wird ein Gemenge von Methyljodid mit Aether angewandt, so gelingt es
nicht durch iractionirte Destillation des Productes das Zinkmethyl vom Aether lu
trennen, man erhält vielmehr eine bei 61* — 67^ siedende Verbindung beider Sub-
stanzen: 2 Zn(eH,)3 + iejSL^)2^\ wird statt des Aethyläthers verdichteter Me-
thyläther angewandt, so entsteht eine entsprechende Verbindung von Zinkmethyl
mit Methyläther. Versucht man dagegen die Einwirkung von reinem Methyljodid
auf Zink (ohne Zusatz von Aether), so bleibt entweder, wenn die Hitze nicht gross
genug war, viel Methyljodid unzersetzt-, oder, wenn die Temperatur während der
Einwirkung zu hoch war (höher als 120^), das schon gebildete Zinkmethyl wird
durch Einwirkung des überschüssigen Methyljodids zu Jodzink und Methyl zerlegt
Die Darstellung des reinen Zinkmethyls gelingt, nach Wanklyn, in folgender
Weise. Man bereitet durch Einwirkung eines Gemenges von Methyljodid mit etwas
Aether auf Zink eine Lösung von Zinkmethyl in Aether, setzt von neuem Methyl-
jodid zu und erhitzt mit frischem Zink. Man wiederholt diese Operation mehrmals
und erhält zuletzt ein Gemenge von viel Zinkmethyl mit wenig Aether, aus welchem
bei der Recüfication zwischen 50®--60^ reines Zinkmethyl destillirt
Das Zinkmethyl gleicht in seinen Eigenschaften völlig dem Zink-
ätbyl. Es verbindet sich mit Jodzink zu einer krystallisirten Verbindung,
*) Vgl. Ann. Chem. Pharm. CIL 73. Hobson bezeichnet die Säure als Ae-
thylotrithionsäure und gibt ihr die Formel: S,0((C4H^, HO) er be-
trachtet sie als 3 SO^ , worin 1 0 durch C4H5 ersetzt ist
^ Brodie, Ann. Chem. Pharm. LXXVIU. 168.
•••) Frankland, Ann. Chem. Pharm. LXXT. 218; LXXV. 846; und besonders:
CXL 62.
Zinkmethyl. 497
wahrscheinlich Zn Jj '. Gegeo SauerstoflF, Schwefel, Chlor, Natrium etc.
▼erhält es sich genau wie Zinkäthjl. Mit Stickozjd verbindet es sich
direct und erzeugt eine der Dinitroäthjlsäure entsprechende Verbindung,
die Dinitromethjlsäure (ygl. §• 771.). Auch mit schwefliger Säure
verbindet es sich direct; aber während 1 Mol. Zinkäthyl mit 3 MoL
schwefliger Säure zusammentritt, vereinigt sich das Zinkmethyl nur mit
2 MoL dieser Säure; das Product: [ZnlGH,), + 2BQ^ wird von Hob-
son'*') als methyldithionsaures Zink bezeichnet«
Q^^\ wird durch Erhitzen von Amjljodid mit 774.
Zink auf 180® erkalten; es ist eine farblose Flüssigkeit, die an der Luft
raucht ohne sich zu zersetzen. Es zerfällt mit Wasser zu Zinkoxydhydrat
und Amylwasserstofif. (Frankland)**).
Cadmiumäthyl. Dass Cadmium unter Einfluss des Lichtes auf Aethyl- 775.
Jodid einwirkt, ist schon von Frankland***) beobachtet worden. Die Versuche
von Wanklynf) zeigen, dass eine Aethyl Verbindung des Cadmiums ezistirt, die
indesB bis jetzt nicht näher untersucht ist
Magnesiumäthyl ff). Magnesiumfeile wirken schon bei ge- 776.
wohnlicher Temperatur auf Aethyljodid. Man erhält, neben Magnesium-
jodid, eine flüchtige lauchartig riechende Magnesium Verbindung, die, wie
das Zinkäthjl selbstentzündlich ist und mit Wasser zu Magnesia und
Aethylwasserstoff zerAllt. — Methjljodid wirkt mit derselben Leichtigkeit
auf Magnesium ein; das Magnesiummethyl entspricht in seinen Eigen-
schaften dem Magnesiumäthyl.
Quecksilberverbindungen der Alkoholradicale. Es wurde 777.
oben (S. 768.) schon erwähnt, dass bei den Quecksilberverbindungen der
Alkoholradicale der durch die zweiatomige Katur des Metalls fff) veran-
•) Ann. Chcm Pharm. CV. 287.
♦•) ibid. LXXXV. 360.
•••) ibid. LXXXV. 864.
t) Jahresb. 1856. 558.
tt) Cahours 1859. Ann. Chem. Pharm. CXIV. 240.
tft) Dass das Quecksilber zweiatomig ist, ergibt sich sowohl aus den Dampf-
dichten seiner flüchtigen Verbindungen; als aus seinem gesammten chemi-
sehen Charakter. Man hat: Hg = 200 = 1 Atom = 1 Molccül. Beim
Quecksilber besteht das Gasmolecül nur aus einem Atom; das Queck-
silber weicht darin von den meisten Elementen ab, iür welche die relative
Grösse des Gasmolecüls bekannt ist; es zeigt eine gewisse Analogie mit vie-
len organischen Verbindungen, namentlich mit denjenigen Kohlenwasser-
stoffen, die die Rolle zweiatomiger Badicale spielen.
K«k«14, organ. Chemto. 82
498 Qaecksflbenrerbindiingeii der Alkoholradicale.
lasste Charakter am schärfsten aasgeprägt ist Man kennten der That
flir Methyl and ftlr Aethjl je zwei Verbindangen mit Quecksilber.
Nämlich :
MethylTcrbindangen.
Mercnrodimethyl Eg(eE^){6E^}
Mercaromethyl-
(chlorid) Hg(eH3) Cl
Aethylverbindongen.
HgCeiH^XeA) Mercorodiäthyl
Hg(eA) Cl Merearäthyl(chlorid)
Quecksilberchlorid Hg Cl Cl j Hg a a
Beide Arten von Verbindungen können als Quecksilberchlorid be-
trachtet werden, in weichem die Hälfte des Chlors oder alles Chlor durch
ein Alkoholradical vertreten ist Im letzteren Fall hat man eine indiffe-
rente Verbindung (einen neutralen Aether des Quecksilbers) unfiUiig mit
Säuren oder mit sauren Elementen Verbindungen einzugehen. Ist da-
gegen nur die Hälfte des Chlors durch ein Alkoholradical ersetzt, so ent-
steht eine salzartige Verbindung, das heisst eine Substanz, die leicht
Die bis jetzt bekaDnten Dampfdichten flüchtiger Qaecksilberverbindongen
sind:
Molecnlarformel.
Dampfdichte
berechnet
gefanden.
Quecksilber
^
6.92
7.03
n
Chlorid
Hga,
9.38
9.8
11
bromid
HgBr,
12.46
12.16
n
Jodid
HgJ,
15.7
15.9
n
methyl
Hg(OT,),
7.96
8.29
«
ftthyl
Hg(eA),
8.58
9.97
n
chlorür
HffCl
8.15
8.85.
Für das QaeckBÜberchlorür scheint ea indessen wahrscheinlicher, dass die
Molecularformel : Hg^Cl^ ist und dass sein s. g. Dampf ein Gemenge der
Zersetzungsproducte : Quecksilberchlorid und Quecksilber ist. Wenigstens
finden die dem Quecksilberchlorür entsprechenden Salze ihre einfachste Deu-
tung, wenn man annimmt, dass 2 Atome Quecksilber sich zu einem zusam-
mengesetzten Radical: (Hg]) vereinigen.
Die einfachsten Salze des Quecksilbers sind:
Ozydsalze
O^dolsalze
neutr&L
basisch.
nentral.
basisch.
HgJ
(Hg,)J
<5l^j».
Mercuräthyl. 499
doppelte Zersetzung seigt, und bei welcher der mit dem Chlor verbun-
n
dene Rest [Hercuräthjl -=: Hg(62H5)] die Rolle eines einatomigen Ra-
dicals spielt.
Die beiden Arten der Quecksilberverbindungen sind für das Queck-
silber genau dasselbe, was das ülercaptan ($. 673) und das Schwefeläthjl
(S. 674) für den Schwefel sind:
Hercaptan. Aethjlsulfid. Mercurftthjlchlorid. Mercurodiäthyl.
"•■ki« fk\' ''SK« lÄI*
nur mit dem, durch die verschiedene Natur des Schwefels und des Queck-
silbers veranlassten Unterschied, dass, nach Sättigung einer Verwandt-
schaftseinheit durch ein Alkoholradical , beim Schwefel die andere Ver-
wandtschafteinheit besonders leicht durch Metalle oder metallähnliche
Radicale, beim Quecksilber dagegen durch Chlor oder chlorähnliche Ra-
dicale gebunden wird. Gerade so wie das Aethjlsulfid als Aethyläther
des Mercaptans, so kann das Mercurodiälhjl als Aethjläther der Mercur-
ftthjlverbindungen angesehen werden.
Bemerkenswerth ist die Leichtigkeit, mit welcher aus denjenigen 779
Verbindungen, die 2 Alkoholradicale enthalten, die andern entstehen, in
denen nur ein Alkoholradical enthalten ist.
Lässt man z. B. auf Mercurodi&thyl Brom (Jod oder Chlor) ein-
wirken, so entsteht Mercuräthylbromid neben Aethjlbromid; es
findet also genau dasselbe Verhalten statt, wie bei den früher beschrie-
benen Arsenmethylverbindungen (vgl. §. 746). Man hat:
Mercnrodiäthyl. Mercuräthyl- Aethyl-
bromid. bromid.
Hgfe.H>-|rc^) ] < ^^]^^ = Hg(e3H,)Br -f e^.Br
Selbst Säuren wirken in entsprechender Weise. So entsteht z. B. bei
Einwirkung von Bromwas8ersto£f:
Mercurodiäthyl. Mercuräthylbromid. Aethylwasserstoff.
HgCe.H.)r(e;H;r" x^ ^g = Hg{e,H,)Br + e,H,.H
und ebenso bei Einwirkung von Schwefelsäure das Schwefelsäure -Salz
des Mercuräthyls und Aethylwasserstoff.
Ganz in derselben Weise wirken auch einige Salze. Lässt man
s. B. Quecksilberchlorid auf Mercnrodiäthyl einwirken, so entsteht, indem
das letztere die Hälfte seines Aethyls gegen die Hälfte Chlor des ersteren
austauscht, Mercuräthylchlorid. Man hat:
MercurodiäthyL Quecksilberchlorid. Mercuräthylchlorid.
HgCGaH,), + HgCI, = 2 HgCGaH»)^
32 ♦
500 Quecksilberverbindungen der Alkoholradicale.
Umgekehi't entstehen aus den Quecksilberverbindungen, die nur ein AI-
koholradical enthalten, leicht diejenigen mit zwei Alkoholradicalen, So
tauscht z. B. das Mercuräthyljodid (und ebenso das Chlorid) bei Einwir-
kung auf Zinkäthjl sein Jod gegen Aethyl aus und es entsteht Mercuro-
di&thyl.
Mercuräthyljodid. Zinkäthyl. HercurodiäthyL Jodzink.
2 Hg(G2H5)J + Zn(G,H5)2 = 2 SgC^e^^^xe^E^-) + ZnJ,
779. Bildung. Die Quecksilberverbindungen der Alkoholradicale ent*
stehen :
I. Bei Einwirkung von metallischem Quecksilber auf Methyljodid oder
Aethyljodid. Dabei wird Mercuräthyljodid oder Mercuromethyljodld
gebildet:
Hg + e^HjJ = Hg(e2H,)J.
Q. Bei Einwirkung von Quecksilberchlorid auf Zinkäthyl oder Zinkmethjl.
Dabei entsteht, wenn äquivalente Mengen angewandt wurden, direct
Mercurodiäthyl oder Mercurodimethyl :
HgCla + ZnCe^Hg), = HgCGjHj), + ZnCl,.
Da aber, wie oben erwähnt, Mercurodiäthyl mit Quecksilberchlorid
sich zu Mercuräthylchlorid umsetzt, während umgekehrt Mercuräthyl-
Chlorid mit Zinkäthyl das Mercurodiäthyl erzeugt, so hängt es von
den Bedingungen des Versuchs ab, ob Mercurodiäthyl oder Mercur-
äthylchlorid erhalten wird,
in. Die Mercuräthylverbindungen sind ferner erhalten worden durch
Einwirkung von Quecksilberchlorid auf Bismäthin (§. 764), dabei
entsteht nämlich: Mercuräthylchlorid und Bismäthylchlorid. (Dan-
haupt.):
Triäthyl- Quecksilber- Bismuthomon- Mercuräthyl-
bismuthin. chlorid. äthylchlorid. chlorid.
SBi.cejHß), + 2iJgClj = 2Bi(eiH5)Cl2 + 2Hg(ejH5)Cl
Verschiedene Versuche eine gemischte QuecksUberverbindung, das Merciir-
ftthylmethyl = HgcGHaX^^jBft) darzustellen, gaben keine völlig entscheidenden
Resultate. Bei Einwirkung von Zinkäthyl aui' Mercttromethyljodid erhielt Frank-
land Zinkmethyl und Mercurodiäthyl. Bei Einwirkung von Zinkmethyl auf Mer-
curäthylchlorid wurde eine bei etwa 130^ siedende Flüssigkeit erhalten, die wahr-
scheinlich Mercuräthylmethyl ist, sich aber bei jeder Destillation in leichter
flüchtiges Mercurodimethyl und schwerer flüchtiges Mercurodiäthyl zerlegt ^).
•) Frankland, Ann. Chem. Pharm. CXL 67.
Hercnrftthyl. 501
Im Folgenden ist das Wichtigste über DursteDnng nnd Eigenschaften der
Qaecksilbermethyl- und -Aethyl Verbindungen zasammengestellt *).
Lässt man Methyljodid während mehrerer Tage unter Einwirkung des Son- 7go.
nenlichts mit Quecksilber in Berührung, so entsteht eine weisse krystallinische
Hasse von Mercuromethyljodid: Hg(6H3)J (Frankland). Aethyljodid wird
bei Einwirkung von Sonnenlicht durch Quecksilber völlig zersetzt, es entsteht Jod-
quecksUber und ein Gasgemenge, welches aus Aethyl, Aethylwasserstoff und Aethy-
len besteht (Frankland) (vgl. §. 663). Setzt man dagegen Aethyljodid und Queck-
silber dem zerstreuten Tageslichte aus, so bilden sich nach einigen Wochen farb-
lose Krystalle von Mercurä!thyljodid: Hg(G2H5)J (Strecker). -— Giesst man
eine verdünnte und warme Lösung von Quecksilberchlorid in Weingeist zu einer
weingeistigen Lösung von Triäthylbismuthin, so scheidet sich ein flockiger Niederschlag
aus, der sich beim Erwärmen wieder löst; beim Erkalten krystallistrt dann Mer-
curäthyl Chlorid: VL%{B^{^C\^ während Bismuthomonäthylchlorid: Bi(e3H5)Cl,
in Lösung bleibt (Dünhaupt). Wird statt des Quecksilberchlorids Quecksilberbromid
angewandt, so erhält man Mercuräthylbromid: Hg(62H5)Br. — Am bessten erhält
man die Hercuräthylverbindungen , indem man gepulvertes Quecksilberchlorid, in
gerade hinreichender Menge, in eine ätherische Lösung von Zinkäthyl einträgt. Es
entsteht dabei Mercurodiäthyl: B.%{^%B.^)^^ welches sich als schwerere Schicht
unter einer Lösung von ZiDkchlorid in Aether absetzt. Durch DestiUation erhält
man das Mercurodiäthyl (Buckton). Will man Mercuräthylchlorid darstellen,
so löst man das rohe Slercurodiäthyl in Alkohol und kocht mit Quecksilberchlorid,
beim Abkühlen der filtrirten Lösung krystallisirt dann Mercuräthylchlorid
(Frankland).
Zur Darstellung der Übrigen Quecksilberverbindungen der Alkoholradicale
dienen die eben erwähnten Substanzen als Ausgangspunkt. Die Darstellung selbst
ist nach den oben mitgetheilten allgemeinen Reactionen verständlich.
Quecksilbermethylverbindungen. Das Mercuromethyljodid
krystallisirt aus Aether in perlmutterglänzenden Blättchen, es ist in Alkohol ziem-
lich löslich, schmilzt bei 143^ und sublimirt dann unverändert. Im Lufbdtrom subli-
mirt es schon bei 100^. Durch doppelte Zersetzung mit salpetersaurem Silberozyd
u
erhält man Mercuromethyhiitrat : ^^ }^ + Ö^O, aus dessen Lösung durch
Salzsäure das Mercuromethylchlorid als perlmutterglänzende Schüppchen gefüllt
wird (Strecker).
Destillirt man Mercuromethyljodid mit Ealihydrat, Ealkhydrat oder besser
mit Cyankalium, so erhält man Mercurodimethyl: Hg(6H3)2, als farblose,
leicht entzündliche Flüssigkeit, die bei 93® — 96* siedet, in Alkohol und Aether
•) Vgl. besonders: Frankland, Ann. Chem. Pharm. LXXVIL 224; LXXXV.36I5
CXI. 57.
Strecker, ibid. XCII. 75.
Dänhaupt, ibid. XCII. 879.
Buckton, ibid. CVm. 103 ; ax. 218.
502 Qaecksilberverbindimgeii der Alkoholradiealo.
lOalich, in Wasser unlöslich; spec. Gew. s 8,07. Die Zersetiuig eiCoIgt bei An-
wendung von Cyankaliom nach der Gleichung:
Mercuromeihyl- Cyankaliam. Mercnro«-
jodid. dimethyl.
2 Hg(GH,)J + 2 K(€N) = Hg(6Ha)a + 2 KJ + Hg(OT),
statt des Cyanquecksilbers entsteht Quecksilber und Paracyan.
Von Brom oder Jod und ebenso von Salzsäure oder Schwefeiäure wird das
Mercurodimethyl zersetzt, indem Mercuromethylbromid , -chlorid, oder -sulfat er-
halten wird, während Methylbromid oder Methylwasserstoff entweicht Auch bei
Einwirkung von Phosphorchlortir entsteht Mercurälhylchlorid. Mit Zinnchlorid bil-
det das Mercurodimethyl eine krystallisirbarc Verbindung, die bei Zusatz von Was-
ser zerföUt unter Bildung von Mercuromethylchlorid (Buckton).
Quecksilberftthylverbindungen. Das Mercuräthylchlorid:
Hg(^2^»)Cl lind ebenso die entsprechenden Brom - oder Jodverbindungen krystal-
liren aus Alkohol oder Aether in weissen irisirenden Blättchen, die unangenehm
Zersetzung subUmiren. DasMercurftthylsulfid: ^fif<^a^»^|s
Hg(GaH»)J
wird von Schwefelammonium aus der Lösung des Chlorids als gclblichweisses Pul-
ver gefällt, es kann aus Aether krystallitfirt werden. Das Mercuräthyloxyd
n
wird als Hydrat: ^&^^2^ftJ|o erhalten durch Versetzen des Chlorids mit Silber-
oxyd, es ist nicht krystallisirbar; seine wässrige Lösung reagirt stark alkalisch,
treibt das Ammoniak aus und (llllt Thonerde. Das salpetersaure, schwefelsaure
und Oxalsäure Salz sind ebenfalls krystallisirbar (Strecker, Dünhaupt).
Das Mercurodiäthyl: Hg(G2H5)3 ist eine leicht entzündliche, schwere
Flüssigkeit (spec. Gew. 2,44), die bei 156^ — 160® siedet^ es ist in Wasser unlös-
lich, in Alkohol wenig löslich, aber mischbar mit Aether. Man erhält es nur
schwer durch Destillation von Mercuräthylchlorid mit Kali oder Cyankalium, leich-
ter durdi Einwirkung von Zinkäthyl auf Mcrcuräthyljodid , am zweck massigsten
nach der oben erwähnten Methode durch Einwirkung von Quecksilberchlorid
auf Zinkäthyl. Dass es von Brom, concentrirter Salzsäure oder von Schwefelsäure
zersetzt wird, indem die Hälfte des Aethyls austritt, während eine Mercuräthyl-
verbindung entsteht, wurde oben erwähnt; ebenso, dass es beim Kochen der alko-
holischen Lösung mit Quecksilberchlorid Mercuräthylchlorid erzeugt (Buckton).
riechen und ohne
Die Isolirung des Radicals Mercuräthyl = ^^^^a^sH ist bis jetzt
Hg(e,H.)f
nicht
gelungen. Bei Einwirkung von Quecksilberchlorür auf Zinkäthyl entsteht Mercuro-
diäthyl, während Quecksilber ausgeschieden wird. Man hat:
Zinkäthyl. Quecksilber- Mercurodi-
chlorür. äthyl.
ZnCeaHj), + Ef^aCl, = Hg(6A)a + ZnCl, + Hg
Selen- und TeUnräthyL 503
Töllnr- nnd SeleDverbindungen der Alkoholradicale*). 781.
Di6 Tellur- and Selen verbiDdungen des Aethyls sind früher schon be-
schrieben worden (§. 676). Es wurde dort erwähnt, dass die Verbin-
!G H KG H
g* * und Te <jj^ * in ihrem Verhalten völlig dem Mer-
n^ * entsprechen, dass dagegen das Selenäthjl und Tel-
!G H iO H"
^*jj* und Te jg^jj* ein eigenthümliches und von
©*H* fl-bweichendes Verhalten zeigen. Beide
Verbindungen sind nämlich fähig sich mit Chlor, Brom, Sauerstoff und
auch mit Säuren zu vereinigen und so salzartige Verbindungen zu erzeu-
gen, in welchen sie, ähnlich wie die Verbindungen mancher Metalle mit
Alkoholradicalen , die Rolle zusammengesetzter Radicale spielen. Man
kennt z.B. ein Telluräthylchlorid: Te(62H5)2Cl2, ein Telluräthyl-
oxyd: Te(62H5)2^ etc. Diese Verbindungen entsprechen dem Aethyl-
phosphinchlorid : ^(ß2^s)z^\2 ^^^ d^™ Aethylphosphinoxyd : P(©2H5)jO;
das Telluräthyl ist in der That für das zweiatomige Tellur genau, was
das Triäthylphosphin für den dreiatomigen Phosphor ist (vgl. §§. 733 ff.).
Ausser diesen verhältnissmässig einfach zusammengesetzten Verbindungen
existiren noch einige Oxychloride und Oxybromide etc., die als
Molecularaneinanderlagerungen der Oxyde mit dem Chlorid oder Bro-
mid etc. betrachtet werden können.
Bemerkenswerth ist noch, dass die Tellur Verbindungen diese ba-
sischen Eigenschaften in weit ausgeprägterem Grade besitzen als die ent-
sprechenden Verbindungen des Selens; so zwar, dass für das Tellur
sowohl die Aethyl- als die Methylverbindung solche salzartige Verbin-
dungen erzeugen, während bei dem Selen nur die Aethylverbindungen
die Rolle eines Radicals zu spielen im Stande ist, das Selenmethyl da-
gegen sich verhält wie das Schwefeläthyl.
Bis zu eineoi gewissen Grade zeigt indess selbst das Schwefeläthyl ein
solches basisches Verhalten, insofem es nämlich im Stande ist mit einzelnen sau-
ren Chloriden, z. B. mit Quecksilberchlorid imd Platinchlorid, krystallisirbare Ver-
bindungen zu büden. (Loir) •♦).
Man erhält diese Verbindungen indem man die betreffende Tellur-
oder Selenverbindung in Salpetersäure löst; die Lösung enthält das sal-
petersaure Salz der Tellur- oder Selenbase; durch Zusatz von Salzsäure,
♦) Vgl.: Wöhler, Ann. Chem. Pharm. XXXV. 112; T.XXXTV.
Hallet, ibid. LXXIX. 223.
Wöhler u. Dean, ibid. XCüL 288.
Joy, ibid. LXXXVI. 86.
**) Ann. Chem. Pharm. LSSXVJL 869.
504 Selen- und TeUorftthyl.
Bromwasserstoffisäure oder Jodwasserstoffsftare werden die Chloride, Bro-
mide und Jodide als krjstallinische NiederBchläge gefällt; aus den Lösnii-
gen dieser scheidet Ammoniak nicht etwa das Oxyd, sondern vielmehr
ein Oxy Chlorid, Oxybromid oder Oxyjodid aus; die Oxyde selbst kön-
nen dagegen aus den Jodiden oder Chloriden durch Silberoxyd erhalten
werden.
Beispielsweise mögen die Verbindungen des Tellormethyls etwas nfiher be-
schrieben werden. Löst man Tellurmethyl, durch Destillation von methyl-
schwefelsaurem Baryt mit Tellurkalium erhalten (Siedep. 82®), unter Elrwärmung
in Salpetersäure, so wird Salpeters aures Tellurmethyl gebildet, welches
in farblosen Prismen krystollisirt Das Tellur methylchlorid: Te{ßE^)^C}2'i
wird durch Salzsäure als weisser Niederschlag geföllt, es schmilzt bei 97^,6 and
kann aus beissem Wasser umkrystallisirt werden. Das Bromid: Te(0H2)2Br2
gleicht dem Chlorid, es schmilzt bei 89®. Das Jodid: Te(6H,)3J2 wird von Jod-
wasserstoffsäure als gelber, bald roth werdender Niederschlag geflQlt, es krystalli-
sirt aus heisscm Wasser oder Alkohol in zinnoberrothen Prismen. Setzt man zur
Lösung des Chlorids Ammoniak, so werden farblose Erystalle von Tellur methyl-
oxychlorid: x^I^h^Mci erhalten. Das Tellurmethyloxyd: TeCOH^laO
entsteht in wässriger Lösung durch Zersetzung des Chlorids oder Jodids mit Sil-
beroxyd; es bleibt beim Verdunsten der Lösung als undeutlich krystallisirte zer-
fliessiche Masse; es treibt Ammoniak aus, fällt Eupferozyd und wird von schwef-
liger Säure rasch reducirt unter Abscheidung von Tellurmethyl.
Verbindungen der Alkoholradicale mit vieratomigeD
Metallen.
1^32, Zinnyerbindungen der Alkoholradioale. Die Zinnverbin-
düngen der Alkoholradicale und namentlich des Aethyls sind schon 1852
von Löwig*), Frankland **J, Cahours und Riebe ♦*♦) untersucht
worden. In neuerer Zeit haben sich wesentlich: Cahours f), Buck-
ton ff) und Frankland mit diesem Gegenstand beschäftigt.
Die Verbindungen des Zinns mit den Alkoholradicalen finden ihre
einfachste Deutung, wenn man annimmt, das Zinn sei ein vieratomiges
Element; das heisst ein Atom Zinn (Sn == 118) besitze die Eigenschaft
sich mit 4 Atom Chlor etc. zu verbinden. Man hat dann die folgenden
Reihen von Verbindungen, die sämmtlich als Zinnchlorid betrachtet wer-
den können, in welchem ein TheU des Chlors oder auch alles Chlor
durch Alkoholradicale ersetzt ist.
•) Ann. Cbem. Pharm. LXXXIV. 108.
••) ibid. LXXXV. 832; CXL 44.
•••) ibid. LXXXIV. 338; LXXXVIL 816.
t) ibid. CXL 239; CXIV. 244, 864.
tt) ibid. CIX. 226.
ZinnTerbindangen der Alkoholradieale.
505
HetbylYerbindongen *).
Stanntetramethyl BnCeH,)«
Stanntrimethyl-(cblorid)Sn(eH3'),Cl
StaDndimethyl.(cblorid) SdCGHsJ^GI,
unbekaDDt SnCGH,) Gl,
ZiDDcblorid SnCl4
Aethylverbindnngeii.
SDCesHs)^ StaDDtetr&thyl.
SnCOaBj),« 8tanntriäthyl.(chlorid).
SnCe^Hj),«, StanndiäthyKchlorid).
811(0405)013 unbekannt.
SnCI« Zinnchlorid.
Die Stannmonomethyl - und Stannmonäthylverbindungen [Sn(6H3)Cl3
und entsprechende] sind bis jetzt nicht bekannt Dagegen kennt man
zwei dem Stanntetramethyl und dem Stannteträthyl entsprechende inter-
mediäre Verbindungen; n&mlich:
Stanndimethyldiäthyl 8n(eH3),(e3H3)3
Stanntrimethyläthyl Sn(eH3),(e,H5).
Man hat ferner die den beiden in der Tabelle aufgeführten Chlori-
den entsprechenden Radicale isolirt dargestellt. Nämlich:
Stanntrimethyl
Sn(eH,)3( 8n(eA)3j
8n(eH3)3l 8n(e3H5)3i
Stanndimethyl «;(gS;];j
8tanntriäthyL
ll^ftl 8t"°*«^"'y»-
Da man das Zinn gewöhnlich halb so gross annimmt: Sn =69, so wer-
den diese Verbindungen meist durch etwas* andere Formeln dargestellt und mit
anderen Kamen bezeichnet Zur Vermeidung von Missverständnissen sind beide
Bezeichnungs - und Benennungsweisen hier neben einander gesetzt:
Sn = 118.
Sn = 59.
Stannteträthyl
Sn(e3Hj)4
=
Sn (eaH»)a
Stanndiäthyl.
Stanntriäthyl
Sn(e,H5)3
=
Su3(e,H5),
Stannsesquiäthyl.
Stanndiäthyl
SnceaHj),
=
Sn (eaHj)
Stannäthyl.
Stannäthyl
SnCejHjj
"
"~"
^) Auch die bis jetzt bekannten Dampfdichten flüchtiger Zinnverbindungen zei-
gen, dass das Zinn vieratomig ist, und unterstützen die hier gebrauchten
Molecularformeln. Man hat:
MolecularformeL
Damj
>fdichte
berechnet
gefunden.
Zinnchlorid
Sn CI4
8.999
9.1997
Stanndimethylchlorid
SnCeHjiaClj
7.678
7.731
Stanndiäthylchlorid
Sn(eaH5)jCla
7.647
8.710
Stanndiäthylbromid
SnieaHj^jBr,
11.626
11.64
Stanntrimethyljodid
Sn(eH3),J
10.042
10.826
StanntriäÜiylchlorid
Sn(e3H5)3a
8.822
8.48
Stanntriäthylbromid
SnCejHjljBr
9.862
9.924
Stanndimethyldiäthyl
Sn(eH,)a(e3H3)a
7.069
8.638
Stannteträthyl
Sn(63H3)4
8.028
8.021.
506 Z!miTerbl&dimgen der Alkoholradicale.
AnftBer diesen einfachsten Verbindungen, die zum Zinnchlorid in der-
selben Beziehung stehen, wie die früher (§§. 743 ff.) beschriebenen Arsen-
methjlTcrbindungen zum Arsenchlorür, existiren noch eine Anzahl an-
derer Verbindungen von complicirterer Zusammensetzung. Alle diese
Substanzen bleiben zunächst, der Uebersichtlichkeit wegen, unberttcksich-
tigt; es wird nachher gezeigt werden, dass sie zu den einfacheren Zinn-
äthylverbindungen in sehr naher Beziehung stehen.
Da die bis jetzt dargestellten Methjlverbindungen des Zinns die
vollständigste Analogie mit den entsprechenden Aethylverbindungen zei-
gen , so genügt es nur diese letzteren ausführlicher abzuhandeln *).
Zinnäthylverbindungen.
788. Bildung. Die Zinnäthylverbindungen sind bis jetzt wesentlich durch
Einwirkung von metallischem Zinn oder einer Legirung von Zinn und
Natrium auf Aethyljodid (oder auch Aethylbromid) dargestellt worden.
Wird reines Zinn angewandt, so muss entweder auf 180® erhitzt werden,
oder man setzt die Substanzen der Einwirkung der durch einen parabo-
lischen Spiegel concentrirten Sonnenstrahlen aus (Frankland). Bei An-
wendung einer Legirung von Zinn und Natrium erfolgt die Einwirkung
bei um so niederer Temperatur je reicher die Legirung an Natrium ist,
so zwar, dass Natrium reichere Legirungen (z. B. 1 Th. Na auf 4 Th. Sn)
schon bei gewöhnlicher Temperatur auf Aethyljodid einwirken. Zur Be-
endigung der Reaction ist es stets zweckmässig auf 120® zu erhitzen
(Cahours).
Bei Anwendung von Zinn allein wird fast ausschliesslich krystillisi-
rendes Stanndiäthyljodid: Sn(€2H5)2Js erhalten. Bei Anwendung
von an Natrium armen Zinnlegirungen entsteht ebenfalls wesentlich dieses
Jodid ; gleichzeitig wird , und zwar in um so grösserer Menge je reicher
die Legirung an Natrium ist, Stanntriäthyljodid: Sn(62H5),J gebil-
det. Wird endlich eine an Natrium reiche Legirung angewandt (1 Th.
Natrium auf 4 Th. Zinn), so entstehen fast ausschliesslich freie Radicale,
nämlich: Stanndiäthyl: sSre^H^^ "°^ ^^^°°*"^*^y^- S^^^
(Cahours).
Die Zinnäthylverbingungen können femer durch Einwirkung von
Zinnchlorid auf Zinkäthyl erhalten werden.
Genetische Beziehungen der verschiedenen Zinnäthyl-
verbindungen. Geradeso wie man bei den Arsenmethylverbindungen
durch Einwirkung von Chlor von den methylreicheren Gliedern der Reihe zu
den methylärmeren herabsteigen kann, bis endlich Arsenchlorür erhalten
*) üeber Zinnamyl Verbindungen vgl Grimm, Ann. Chem. Pharm. ZGIL 888.
SlaauiftÜiyL 507
wird, und wie man nmgekehrt durch Einwirlrong Ton Zinkmethyl in der
Reihe aufsteigend, methylreichere Verbindungen darstellen kann, so ist auch
bei den Zinnäthylverbindungen durch Einwirkung von Jod oder von Salz-
säure ein Absteigen in der Reihe und umgekehrt durch Einwirkung von
Zinkäthyl ein Aufsteigen möglich.
Lässt man auf Stannteträthyl, Stanntriäthyljodid oder Stanndiäthyl-
jodid Jod einwirken, so wird stets Aetbyl entzogen und durch Jod er-
setzt; es entsteht Aethylj od id und das nächst niedere, d.h. an Aethyl
ärmere und an Jod reichere Glied der Reihe (Cahours). Man hat:
stannteträthyl.
Sn(€,H,)4 +
J.
=
(e,H,)J
+
Staimtriäthy^odid.
8n(eiH,),J
StanntriSthyljocIid.
J>
^
(e«H,)j
+
StanndiSthyljodid.
SD(e,H,),J,
Staondiäthyljodid.
Sn(€,H5)aJ, +
2J,
—
2(e,H,)j
+
Zimgodid.
SnJ«
Lässt man z. B. auf Stannteträthyl in der Kälte wenig Jod einwirken , so
, entsteht Stanntriäthjljodid ; erwärmt man mit mehr Jod, so wird Stanndiäthyljodid
gebildet; erhitzt man in zngeschmolzenen Röhren mit viel Jod, so bildet sich
Zinnjodid. Es ist bis jetzt nicht gelungen , diese JEleaction bei Bildung des in der
Reihe noch fehlenden Stannmonfithyljodids : SD(6aH^)J3 einzuhalten.
Ganz ähnlich wirkt Salzsäure, nur wird dann statt des Aethyl-
Jodids Aethylwassenstoff gebildet. Aus Stannteträthyl entsteht z.B.
beim Erhitzen mit Salzsäure zuerst Stanntriätbylchlorid und dann Stann*
diäthylchlorid (Frankland, Buckton):
Stannteträthyl. Stanntriftthylchlorid.
8ii(ejH5)4 + HCl = eaH5.H + Sn(G2H5)3Cl
Stanntriäthylchlorid. Stanndiäthylchlorid.
Sn(GaH5)aCl + HCl = Q^E^M -f- Sn{6,H5)jCl,
Durch Einwirkung von Zinkäthyl ist aus Stanndiäthyljodid das Stann-
teträthyl erhalten worden:
Stanndiäthyljodid. Stannteträthyl.
SnCGjHj)^!, + ZnCGaHs), = ZnCl, + 8n(G,H5)4
Bei diesem Versuch ist Zinkäthyl im üeberschuss angewandt worden (Back-
ten, Frankland) ; es ist wahrscheinlich, dass bei Einwirkung von weniger Zinkäthyl
das zwischenliegende Glied der Reihe, Stanntriäthyljodid, erhalten wird.
Ebenso entsteht bei Einwirkung von Zinkmethyl auf Stanndiäthyl-
jodid das Stanndimethyldiäthyl (Frankland):
Stanndiäthyljodid. Zinkmethyl. Stanndimethyldiäthyl
8n(eA)tJ, + zicGH,), = ZnCl, + Sn(G,H5)a(GB»)t
506 Zmnyerbindimgen der Alkoholradieale.
und, dorcb eine entsprechende Reacdon, bei Einwirkang von Zinkäthyl
auf Stanntrimethyljodid das Stanntrimethyl&thyl (Gabours):
Stanntrimethyljodid. Stanntrimethyl&thyl.
2Sn(eH,)jJ + ziKGjHj), = ZnCl, + 2 8n(eH3)3(G2H4)
785. ^^^ Isolirung der Radicale ist bis jetzt nur fdr Stanndiätbyl
durch eine einfache Reaction ausgeführt. Lässt man nämlich auf Stann-
diäthylchlorid Zink einwirken, so entsteht (genau wie bei der Isolirung
das Radicals Eakodyl S* 754). Zinkchlorid und Stanndiätbyl (Frankland):
Stanndiätbylchlorid. StanndiäthyL
2Sn(e,H,),Cl, + 2Zn = 2ZnCl, + sSjelHljii
Es unterliegt keinem Zweifel, dass Natrium in derselben Weise wirkt wie
Zink, und dass desshalb bei Einwirkung von Zinn- Natrium -Legirungen auf Jod-
äthyl um so mehr freie Radicale entstehen, je reicher die Legirung an Natrium ist
Es ist femer sehr wahrscheinlich, dass Aethyljodid sich mit den freien Ra-
dicalen, mit Stanndiäthyl wenigstens, direct verbindet:
Stanndiäthyl: Iq^I^h*)*} + ^ ^»^»'^ == ^ Snt6aH5),J — Stanntriäthyljodid.
So erklärt sich, dass es bei Darstellung der Zinnäthylverbindungen von der Menge
des angewandten Jodäthyls abhängig ist, ob ein freies Radical oder das Jodid des
ftthylreicheren Radicals erhalten wird.
Bemerkens werth ist ferner, dass das Stanndiätbyl beim Erhitzen
Zersetzung erleidet, indem es in Zinn und Stannteträthyl zer&llt
(Cabours) :
Stanndiäthyl. Stannteträthyl.
Ä];i = Sn + SnfeA),
und endlich, dass S tan ndiäthyloxyd sicli beim Erhitzen mit Kalilauge
zersetzt, indem zinnsaures Kali und flüchtiges Stanntriäthy loxyd ge*
bildet wird. (Cabours.)
Stanndiäthyloxyd. Stanntriäthylozyd.
Einzelbeschreibang der Stannätbylverbindungen«
78& Stannteträthyl. Das Stannteträthyl: SnCeaH^)«, ist eine farblose und
fast geruchlose Flüssigkeit, spec. Gew. 1.19; Siedep. 181 Es ist leicht entzündlich
und brennt mit stark leuchtender Flamme. Es ist unfähig salzartige Verbindungen
einzugehen, verhält eich vielmehr wie ein Aether des Stanntriäthy Is oder des Stann-
diäthyls. Bei Einwirkung von Jod oder von Salzsäure wird unter Austritt von
Aethy^Qijdid oder Aethylwasserstoif Stanntriäthyljodid oder Chlorid, oder auch
Stannäthyl. 509
Stanndiäthyljodid oder Chlorid erzeugt. Das Stanndimethyldi&thyl:
SiHeH,)j(eaH4)„ siedet bei 144* — 146»^ das Stanntrimethyläthyl:
Sn(6H3),(6aH5,», bei etwa 150«; das Stanntetramethyl: Sn(6H,)4 bei
1400 _ 1460.
Stanntriäthyl. Das Radical Stanntriäthyl: InfG^H*)*} ^* ®"* gelbes, bei
etwas 180® siedendes Oel, es vereinigt sich direct mit Sauerstoff, Chlor, Brom
und Jod. Die Verbindungen des Staun triäthyls sind meist ohne Zersetzung fldchtig
und besitzen einen stechenden Geruch. Das Stanntriäthyloxyd: c ,2VM^»
am bessten durch Destillation von Stanndiäthyloxyd mit Kali erhalten, bildet als
Hydrat: gnf^^H*)'}^ "^ ^*^ farblose glänzende Prismen, die bei 44® schmelzen
und bei 272® sieden. Es ist löslich in Alkohol, Aether und Wasser, die letztere
Lösung reagirt stark alkalisch. Erhitzt man es längere Zeit bei einer seinem Sie-
depunkt naheliegenden Temperatur, so erhält man es wasserfrei Es gibt mit
Säuren direct Salze. Das Staunt riäthyljodid: Sn(62H5)3J (spec. Gew. 1.83 ;
Siedep. 2360— 288«); Stanntriäthylbromid: SnieaHjJaBr (Siedep. 222®— 224«)
und das Stanntriäthylchlorid: Sn(6aH5),Cl (spec. Gew. 1.428; Siedep. 208®
— 210®) sind stechend riechende ölartige Flüssigkeiten, die in Wasser wenig, in
Alkohol und Aether leicht löslich sind; das Chlorid erstarrt bei etwa 0® krystalli-
nisch. Das Stanntriäthyl Cyanid, aus dem Jodid und Cyansilber erhalten,
sublimirt in schönen Nadeln. Das salpetersaure Salz ist schwer krystallisirbar;
das schwefelsaure Salz krystallisirt in glänzenden Prismen. Das ameisensaure und
das essigsaure Salz sind ebenfalls krystallisirbar und ohne Zersetzung fLttchüg.
Das Oxalsäure Salz krystallisirt leicht und ist in Wasser sehr löslich.
Stanndiäthyl. Das Radical Stanndiäthyl: |°|^»g»M ist eine dicke,
ölige, in Wasser unlösliche Flüssigkeit (spec. Gew. 1.55), die sich beim Erhitzen
in Zinn und Stannteträthyl zersetzt Es verbindet sich direct mit Sauerstoff, Chlor,
Brom und Jod. Das Stanndiäthylchlorid: Sn(GaH5)2Cla (schmilzt: 60®, sie-
det: 220®), das Stanndiäthylbromid: Sn(e3H()aBr2 (siedet: 282® — 288®)
und das Stanndiäthyljodid: SnCGaH^JsJa (schmilzt: 42®, siedet: 240®) kry-
stallisiren in seiden glänzenden Nadeln und sind in Alkohol, Aether und auch in
Wasser, namentlich beim Erhitzen, löslich. Aus ihren Lösungen f&llt Ammoniak,
das Stanndiäthyloxyd = Sn(GaH5)20 als weisses amorphes Pulver, in Wasser,
Alkohol und Aether unlöslich. Aus diesem Oxyd können durch Säuren direct
die Salze des Stanndiäthyls erhalten werden. Das salpetersaure Salz:
(NO ) 1^* krystallisirt in grossen Prismen, das schwefelsaure Salz: „ fah ) |^a
in glänzenden Blättchen. Auch das ameisensaure , essigsaure und weinsaure Salz
sind krystallisirbar. Das Oxalsäure Salz ist ein unlösliches blendend weisses
Pulver.
Es wurde obeu ($. 782) erwähnt, dass ausser diesen einfacheren 787.
von dem Zinnchlorid sich herleitenden Aethjlverbindungen noch eine An-
zahl anderer Substanzen von complicirterer Zusammensetzung existiren.
Diese Verbindungen sind wesentlich von Löwig untersucht worden. Bei
Einwirkung von Jodäthyl auf eine, zur Mässigung der Reaotion mit Sand
510 Zinnverbindungen der Alkoholradicale.
gemengte, Legirung von 1 Th. Natriam mit 6 Th. Zinn, und AbdestillireD
des aberschüssigen Jodäthjis wurde eine Masse erhalten, aas welcher
durch verschiedene Lösungsmittel verschiedene Zinnäthylradicale und Jo-
dide solcher Radicale getrennt werden konnten.
Low ig unterschied damals die folgende Radicale:
Stannäthyl Sn(C4H5) Sn(C4Hft)J
Methstannäthyl SujCC^Hj), Sn,(C4H5),J
Aethstannäthyl Sn4(C4H4), 8n4(C4H5)5J
Methjlenstannäthjl ^ ^^liCiß^)^
Elajlstannathyl Sn4(C4H4)4 Sn4(C4H5)4J
Acetstannäthyl — Sn4(C4H4),J
Fflr einzelne wurden die freien Radicale und die Jodide, für andere
dagegen nur die Jodide und niemals die freien Radicale erhalten. Von
diesen Verbindungen ist die als Stann&thjl bezeichnete Substanz iden-
tisch mit den oben als Stanndiäthjl bezeichneten Verbindung; das
Methstannäthyl ist identisch mit Stanntriäthyl. Die meisten der
übrigen von Löwig beschriebenen Verbindungen sind von andern Che-
mikern nicht wieder erhalten worden. Nur eine mitLöwig's Methylen-
stannäthyljodid gleich zusammengesetzte und wahrscheinlich iden-
tische Substanz wurde von Cahours bei Einwirkung von Jod auf Stann-
triäthyl und von Frankland bei Einwirkung von Jod aufStanndimethyl-
diäthyl erhalten.
Man hat nfimlich:
Stanntriäthyl.
Stanndimethyldiäthyl.
2 Sn(eH,),(€A). + 9J. = 4 (€H,)J + sSlAhS
In Betreff der Eigenschaften der Löwig'schen ZinnSthylverbindongen mag
nur erwähnt werden, dass die freien Radicale: Aethstannäthyl nnd Elayl-
stannäthyl ölartige Flüssigkeiten sind, dass aber von diesen sowohl als von
den beiden nie in freiem Zustand beobachteten Radicalen: Methylenstann-
äthyl und Acetstannäthyl, meistens krystallisirte Chlor-, Brom- oder Jod-
verbindungen, krystallisirte salpetersaure oder schwefelsaure Salze und fOr das
Aethstannäthyl auch ein krystallisirtes Oxydhydrat erhalten wurden.
788. Da die Existenz dieser von Löwig beschriebenen Verbindungen
mehrfach angezweifelt worden ist*), so scheint es geeignet, die Be-
*) Vgl B. B.: Strecker, Ann. Chem Pharm. GV. 806.
StannSthyl. 5]|
Ziehungen dieser Körper zu den oben beschriebenen einfacheren Zinnftthjl-
verbindungen etwas ausführlicher zu erörtern.
Die Glieder der oben mitgetheilten (§. 782) Normalreihe der Zinnäthylver-
bindungen können entweder betrachtet werden als Zinnchlorid, dessen Chlor durch
Aethyl ersetzt ist, oder auch als Stannteträthyl , dessen Aethyl durch Chlor oder
Jod vertreten ist Die isolirten Radicale dieser Normalreihe besitzen als freie Mo-
lecfüe eine verdoppelte Formel; nämlich:
StanndiäthyL StanntriäthyL
SnlOa
Snie,
Sn(eaH5)al SnCGaH»),»
~ ^2^M Sn(eaH.),f
Wenn man nun annimmt, dass in jedem dieser Radicale wieder Aethyl durch Chlor
oder Jod ersetzt werden kann (gerade so vne dies bei dem Stannteträthyl der Fall
ist), so erhält man die folgenden Formeln:
aus StanndiäthyL aus StanntriäthyL
"• lÄä = ««^teAV, IV. l^^ii) = sn,(e,H^A
Von diesen Formeln ist nun: I. Löwig's Acetstannftthyljodid; m. Löwig^s
Aethstannäthyljodid und IV. Löwig's Ifethylenstann&th yl Jodid. Das
Acetstannäthyljodid steht demnach zum isolirten Stanndifithyl genau in derselben
Beziehung, v?ie das Stanntriäthyljodid zum Stannteträthyl ; das Methylenstannäthyl-
Jodid und das Aethstannäthyljodid verhalten sich zum isolirten Stanntriäthyl genau
wie das Stanndiäthyljodid und das Stanntriäthyljodid zum StannteträthyL
Wenn man femer in dem isolirten Radical Aethstannäthyl zwei Aethyl
durch Jod ersetzt, so erhält man die Formel von Löwig's Elay Istann äthyl-
jodid:
AethstannfithyL Elaylstaunäthyljodid.
SnaCeaH^la» Sna(ejH9)4JI _ fin r« TT w
Sn,(e,H,)*| Sna(eaH5)4j| ^ ^^(^aH,)^
Das Elaylstannäthyljodid steht demnach zum Aethstannäthyl in derselben Bezie-
hung wie das Stanndiäthyljodid zum Stannteträthyl.
Man hat demnach die folgenden Reihen von Verbindungen , in denen jedes
niederere Glied sich von dem höheren durch Vertretung des Aethyls durch Jod
herleitet:
StannteträthyL StanntriäthyL StanndiäthyL AethstannäthyL
SnieaHft)^! SujiteaHft), Sna(eaHe)4 Sn^ce^j^o
Stanntriäthyljodid. Aethstannäthyljodid. Acetstannäthy^odid. ^
Sn(eA)3J Sn,(eaH,)5J Sn^(eji^)^ -
Stanndiäthyljodid. Methylenstannäthyljodid. Elaylstannäthyljodid.
Sn(€A)aJ, SnaCGaH^Va - Sn^ce^H^Ä
512 Zinnäthyl verbindangen der Alkoholradicale.
Diese complicirter zasammengesetzten Zinnäthylverbindungen können nwi
entweder durch Einwirkung von Jod auf das als Anfangsglied der Reihe dienende
Radical erhalten werden, z. B. das Methylenstannäthyljodid und vielleicht auch das
AethstannäÜiyljodid durch Einwirkung von Jod auf Stanntriäthyl. Sie können fer-
ner gebildet werden durch Vereinigung von Jodäthyl mit den isolirten einfacheren
Radicalen. Z. B.:
Stanndiäthyl: |JJ||2^»M + OjEiJ = Sn,(eAUJ Aethstannäthyljodid.
Ebenso würde das bis jetzt nicht bekannte Stannmonäthyl: gj^f^ ^ )| mitlGA^
das Acetstannäthyljodid , mit 2 ^^H^J das Methylenstannäthyljodid geben.
Da umgekehrt die von Löwig dargestellten Radicale, sich wahrscheinlich
bei Einwirkung von Jodäthyl zu den Jodiden einfacherer Radicale umsetzen, z. B.:
Aethstannäthyl [SnatBaHs)»], + 2 e^H^J = 2 SnteaH^V + [SnieaH^ljla
Elaylstannäthyl [Sn^teaH»)«], + 4 G^E^J = 4 Sn(e2H5),J
so ist es einleuchtend, dass es wesentlich von den Bedingungen, in welchen die
Operation ausgeführt wird, abhängen muss, ob diese complicirteren Verbindungen
erhalten werden oder nicht und es erklärt sich so einigermassen, warum bei neue-
ren Versuchen, wo man meist in zugeschmolzenen Röhren arbeitete und wo mit-
hin das Product der Einwirkung eines Ueberschusses von Jodäthyl ausgesetzt war,
diese Verbindungen nicht gebildet wurden, während sie bei Löwig's Versuchen
entstanden, weil das Überschüssige Jodäthyl während der Reactlon abdestiUirte.
Schliesslich muss noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass diese Ver-
bindungen, wenn man nämlich annimmt, dass das Aethyl eine dem Wasserstoff
ähnliche Rolle spielt, in ihrer Zusammensetzung eine gewisse Analogie zeigen mit
einigen Kohlen wasserstoffverbindungen; eine Analogie, die Löwig schon zur Wahl
der von ihm benutzten Kamen veranlasste und die an Interesse gewonnen hat,
seitdem der Kohlenstoff und das Zinn als vieratomige Elemente erkannt wor-
den sind.
Blei äthyl verbin dun gen.
739, Durch Einwirkung von Jodäthyl auf eine Legirung von Blei und
Natrium sind von Löwig*) bleihaltige Aethjlverbindungen dargestellt
worden, von welchen namentlich die einem Jodid von der Formel:
Pb2(02H5)3J entsprechend zusammengesetzten näher untersucht und als
Methplumbäthjlverbindungen beschrieben wurden. Gleichzeitig hatten
Gahours und Riche beobachtet, dass Jodäthyl von Blei nicht angegriffen
wird. Diese Beobachtung fand B u c k t o n ** j später bestätigt, aber es zeigte
sich, dass durch Einwirkung von Zinnäthyl auf Chlorblei verschiedene
bleihaltige Verbindungen erhalten werden können.
<) Ann. Chem. Pharm« LXXXVIIL 818.
••) ibid. CIX.
Blei&thyl. 513
Destillirt man die bei Einwirkung von Chlorblei auf Zinkftihyl unter
Ausscheidung von metallischem Blei entstehende Flüssigkeit, so wird eine
,bei 198® — 202® siedende, fast geruchlose, brennbare Flüssigkeit erhal-
ten; das Bleiteträthjl: Pb2(62Hs)4. Lässt man Salzs&uregas auf diese
Verbindung einwirken, so entweicht Aethjlchlorid und es entsteht in lan-
gen Nadeln krystallisirendes Bleitriäthjlchlorid: Pb2(62H5)3CL Aus
diesem kann mit Kali oder Silberoxyd das Blei tri ftthyloxyd erhalten
werden, aus welchem bei Einwirkung von S&uren Salze entstehen, von
denen das schwefelsaure in Nadeln krystallisirt, die auch bei Zusatz von
Schwefelsäure zu einer heissen Lösung des Chlorids gefällt werden. Nach
diesen Thatsachen scheint das Blei, wie dew Zinn, vieratomig zu sein.
(Pbj = 1 Atom = Pb = 207).
Die bis jetzt bekannten Bleiäthyle sind dann die folgenden :
Bleitetr&thyl Pb(G,H5)4
BleitriÄthylchlorid Pb(G,H5),Cl.
Aluminiumäthyl. Durch Erhitzen von Jodäthyl mit Aluminium 79a
hatCahours *) eine bei 340®— 350® siedende und an der Luft rauchende
Flüssigkeit erhalten, deren Zusammensetzung der Formel: Al4(02H5)3J9
entspricht. Dieses Jodid zersetzt das Wasser explosionsartig unter Bil-
dung von Thonerde, Jodwasserstoff und Aethylwasserstoff; es entzündet
sich in einer Atmosphäre von Chlor oder Sauerstoff*. Von Zinkäthyl wird
das Jodid lebhaft angegriffen, es entsteht Jodaluminium und eine sehr
entzündliche Blüssigkeit , welche vermuthlich Aluminiumäthyl ist.
Diese Verbindung wurde nicht rein erhalten; nach der Zusammensetzung
des Jodids und nach der Dampfdichte des Chloraluminiums scheint ihr
die MolecularformeU A\^(ß2^s)s zuzukommen.
Das Beryllium wirkt ähnlich wie Aluminium und scheint entspre-
chende Producte zu erzeugen. ^
Wo 1fr am verbin dangen der Alkoholradicale. Wolfram 791.
wird selbst bei langem Erhitzen mit Jodäthyl auf 240® kaum angegriffen.
Jodmethyl wirkt kräftiger; man erhält eine zähe bei sehr hoher Tempe-
ratur siedende Flüssigkeit, aus welcher Aether eine in farblosen Tafeln
krystallisirendes und bei 110® schmelzendes Jodid auszieht: W(€H2)3J.
Aus diesem erhält man durch Silberoxyd das Wolframmethyloxyd:
W2(6H3)qO als weisses Pulver. Dieses gibt mit Säuren unkrystallisirbare
Salze, aus deren Lösung durch Alkalien das Oxyd wieder gef&Ut wird.
(Riohe)**).
*) Ann. Chem. Pharm. CXIV. 242.
••) Vgl. Jahresb. 1866. S. 878.
Keknl^, orsM. Chemie. 83
514
Fette Säuren.
Zweite Gruppe.
Yerbindimgen der einatomigen Oiykohlenwasserstofiadicale : 6nE^^i&.
[Gruppe der fetten Säuren und ihrer Abkömmlinge.]
792. An die einatomigen Alkohole schliesst sich zunächst, durch zahl-
reiche verwandtschaftliche Bande verknüpft, eine Reihe einbasischer Säu-
ren an, die s. g. fetten Säuren. In ihrer Zusammensetzung weichen
diese von jenen nur dadurch ab , dass sie 2 Atome Wasserstoflf weniger
und dafür 1 Atom Sauerstoff mehr enthalten :
Man hat also zwei parallel laufende Reihen:
Alkohole.
Säuren.
Methylalkohol
eH4 e
GH, 0,
Ameisensäure.
Aethylalkohol
GaHeO
G2H4 Oj
Essigsäure.
Propylalkohol
GaHsO
G3H0 O2
Propionsäure.
Butylalkohol
G4H10O
^4^8 ©a
Buttersäure.
Amylalkohol
©ftHijO
G5H10G2
Baldriansäure.
etc..
etc.
Jeder Alkohol ist fähig durch Oxydation in die entsprechende Säure,
das heisst in diejenige Säure, die gleichviel Eohlenstoffatome enthält,
überzugehen. Jeder Alkohol kann ausserdem auf indirectem Weg in die
nächst -kohlenstoffreichere Säure übergeführt werden. Umgekehrt liefern
die Säuren, bei geeigneten Reactionen, Spaltungsproducte, die auch aus
den nächst-niederen, d. h. um 1 Atom Kohlenstoff ärmeren Alkoholen er-
balten werden können.
793. Aehnlich wie das Verhalten der einatomigen Alkohole und ihrer
wichtigsten Abkömmlinge in einfacher und klarer Weise durch typische
Formeln ausgedrückt werden kann, in welchen Atomgruppen von der
Form: GdH^o + i als Radicale angenommen werden, so können viele Ei-
genschaften und Metamorphosen der fetten Säuren und ihrer nächsten
Abkömmlinge, durch typische Formeln dargestellt werden, in welchen
Atomgruppen von der Form: GnH2a..i0 als Radicale angenommen sind.
Die den einfachsten Typen zugehörigen Verbindungen solcher Radi-
cale sind:
Allg^emetae Betraditangen.
515
Wasserstofftjp.
Wassertyp.
Ammoniak-
typ.
Hydrür.
Chlorid.
Hydrat
Anhydrid.
Amid.
Allge-
mein.
e„Hin-iO
©.Hi.-iO.Cl
Hi^
enH,_,ej
e„Hi._,er
e.H2n_,0]
h[n
h\
als
Beispiel.
Aldehyd.
GjHjO.Cl .
Acetyl-
chlorid.
Essigsäure.
ejHjOivv
ejHaOr
Essigsäure-
anhydrid.
e,H,o)
H^N
H)
Acetamid.
Solche Formeln sind, ähnlich wie dies früher (§• 616.) für die AI- 794
kohole entwickelt wurde, ein einfacher Ausdruck für eine grosse Anzahl
TOB Thatsachen; z. B. für die folgenden:
1) Der vom Typus noch vorhandene Wasserstoff ist stets durch andere
Radicale yertretbar.
Der typische Wasserstoff des Hydrats kann z. B. durch Metalle,
durch die Radicale der Alkohole oder auch durch die Radicale der
Säuren ersetzt werden. Man hat so:
Säure.
62"8^
H
Essigsäure.
nt^
Salze. Aether. Anhydrid.
Kr «aHsi ejHaOr
Essigsäure-Kali. Essigsäure- Essigsäure-
Aethyläther. anhydrid.
In derselben Weise ist der typische Wasserstoff der HydrOre ver-
tretbar* Man hat:
Aldehyd.
Aceton.
Ö2H3O
eHj
Chlorid.
eil
2) Der typische Sauerstoff der dem Wassertyp zugehörigen Verbin-
dungen kann durch Schwefel ersetzt werden, ohne dass die Atom-
gruppe in mehrere Molecüle zerfällt und ohne dass die Vertretbarkeit
des typischen Wasserstoffatoms verloren geht. Z. B.:
Essigsäure.
Thiacetsäure.
Thiacetsäure-
Thiacetsäure-
KaU.
Aether.
Wje
eAgja
ejHaOjg
«^j8
38
0
516 Fette Säuren.
Der typische Saaerstoff kann durch Chlor ersetzt werden; dann
zerfült aber, gerade wie bei den Alkoholen (vgl. §. 618.) das Hole-
cül in zwei verschiedene MoleoQle. Z. B. :
Essigsäure. gibt: Aoetjlchlorid. Salzsäure.
e,H,eje Ma|i« = eAo.ci + Ha
3) Die alsRadicale angenommenen Atomgruppen können durch wech-
selseitigen Austausch in andere Verbindungen übertragen werden.
Zu B.:
Acetylchlorid. Essigs&are.
Essigsäureäthyläther. Acetamid. Alkohol.
Acetylchlorid. Essigsäure-EaU. Essigsäureanhydrid.
4) Die Formeln zeigen femer, dass durch Vertretung des Wasserstoffs
in der als Radical angenommenen Atomgruppe durch andere Ele-
mente (Chlor, Brom etc.) Substitutionsproducte erhalten wer-
den können, die mit der Muttersubstanz eine gewisse Anzahl von
Eigenschaften gemein haben. Z. B.:
Essigsäure. Monochloressig- Dichloressig- Trichloressig-
säure. säure. - säure.
e,H,ej^ e,H,ciO|^ e,Hci,ej^ ö,ci,ej^
5) Die Formeln drücken endlich in einfacher Weise die Beziehungen
der fetten Säuren zu den Alkoholen von gleichviel Kohlenstoflfatomen
aus, indem sie die Säuren gewissermassen als Sauers toffsubstitutions-
producte der Alkohole darstellen:
Aethylalkohol. Essigsäure.
796. Die eben filr die fetten Säuren und ihre nächsten Abkömmlinge ge-
brauchten Formeln, in welchen Radicale von der Form GoH^n-iO ange-
Allf emeiBe Betraehtnngen. 5)7
Dommen sind, drücken indess weit weniger vollständig das Gesammt-
verhalten der in Rede 8t€henden Verbindungen aus, als es die entspre-
chenden Formeln der Alkohole thun.
Die fetten S&uren zerfallen nämlich, wie mehrfach erwähnt (vgl
$. 609), bei manchen Reactionen in der Weise, dass eine Verbindung
eines um 1 Atom Kohlenstoff ärmeren Alkoholradicals entsteht; und sie
können umgekehrt aus Verbindungen dieser um 1 At. G ärmeren Alko-
holradioale gebildet werden.
So gibt z. B. Essigsäure bei elektroljtischer Zersetzung ihres Kali-
salzes das Methyl, Baldriansäure gibt Butyl:
Essigs. Kali. Methyl. Kohlen- Kohlens.
säure. Kali.
aWj^ + H,e = lll\ + ee, + ^je, + h,
Baldrians. Kali. Butyl.
•I
e.H.«je + H,o = Ijgjj + ee, + ^je, + h.
Durch ähnliche Zersetzung entsteht beim Erhitzen eines essigsauren Salzes
mit einem Alkali Methylwasserstoff:
Essigsäure-Kali.
Methyl- Kohlens.
Wasserstoff. Kall
e,H,Oj^ +
- h| + K,i^»
In gewisser Beziehung das Umgekehrte dieser Reactionen findet statt
wenn Kohlensäure sich mit Natriummethyl zu essigsaurem Natron ver-
einigt :
Natriummethyl. Kohlensäure. Essigs. Natron.
Na.GH, + G0, = ^'^f^\^
Oder auch, wenn durch Einwirkung von Kohlenoxyd auf Kaliumalkoholat
propionsaures Kali entsteht :
Kohlenozyd. Kaliumalkoholat. Propions. Kali.
Die letztere Reaction ist völlig analog der Bildung von ameisensaurem
Kali aus Koblenoxyd und Kalihydrat:
Kohlenoxyd. Kalihydrat. Ameisens. Kali.
ee + 5|e = ^°^{e
II« = ""li'
518 Fette Sftnren.
796. ^lU T^^^ diesen BildongB - und Zersetznngsweisen in den Formeln Rechnung
tragen, so muss man die Radicale: -9dH2b~i0 weiter auflösen und als auB den
Gruppen On— iH^n— i und 00 *) bestehend betrachten-, das heisst als zusammen-
gesetzt aus dem um 1 At. Kohlenstoff ärmeren AlkoholradicaJ und dem Radical
der Kohlensäure. Man erhält dann die Formeln (vgl. §§. 260. 609.):
Typus.
Z. B.:
Ameisensäare. Essigsäure. Propionsäure.
m\ m\ e^.
H^ h}^ h^
Solche Formeln erinnern stets daran, dass die fetten Säuren in Verbindungen der
nächst kohlenstoffärmeren Alkoholradicale und in Kohlensäure zerfallen können
und dass sie umgekehrt durch Vereinigung von Kohlenozyd oder Kohlensäure mit
einer Verbindung eines Alkoholradicals entstehen können. Sie drücken im Uebri-
gen Alles das aus, was die einfacheren Formeln: ^"^^n—i^l^. auch ausdrücken,
nur in etwas weniger einfacher Form.
797. Bei einer dritten Gruppe von Metamorphosen gehen die fetten Säu-
ren in Verbindungen über, in welchen, bei typischer Betrachtung, Radi-
cale angenommen werden müssen , die 1 At. H weniger enthalten als die
Radicale: OnH^a-iO der fetten Säuren.
So gibt z. B. Essigsäure mit Chlor die Ghloressigsäure, aus welcher
dann Gljcolsäure erhalten werden kann:
Essigsäure. Monochloressigsäure. Glycolsäure.
e,H,eu e.H,cieu , hu
e,H,e
H
i»
Die Chloressigsäure wird dabei als Substitutionsproduct der Essig-
säure gebildet, sie zerfällt aber als sei sie das Oxychlorid der Gljcol-
säure.
nach Bildung. nach Zersetzung.
Chloressigsäure: ®»^»^'gje ^^^'hJo
•) 60 = Kohlenozyd = Radical der Kohlensäure: G0.0.
Allgemeine Betrachtungen. 519
Ganz entsprechende Metamorphosen können auch in umgekehrtem
Binn ausgefOhrt werden. Aus der Olycolsäure kann wieder Essigsäure
und auf dieselbe Weise aus der Milchsäure Propionsäure dargestellt wer-
den. Die Milchsäure gibt nämlich bei Einwirkung von Phosphorsuper-
chlorid ein flüchtiges Chlorid *), welches bei Einwirkung von Wasser
Monochlorpropionsäure erzeugt, die durch Zink in gewöhnliche Propion-
säure überftihrt werden kann.
Nach ihrer Bildung aus Milchsäure können das flüchtige Chlorid und
die Chlorpropionsäure ausgedrückt werden durch die Formeln :
Milchsäure.
Chlorid.
ChlorpropioDS&ore.
ejHjO.Cla
Dieselben Körper können andererseits um ihre Beziehungen zur Propion-
säure auszudrücken dargestellt werden durch die Formeln:
Chlorpropionjlchlorid. Chlorpropionsäure. Propionsäure.
©,H4Cie.ci e3H4Cieu esHsOi^
Wollte man die fetten Säuren durch Formeln darstellen, welche an diese ge- 798.
oetischen Beziehungen zu den zweiatomigen Säuren (Glycolsäore, IfilchsAure etc.)
erinnern, so müsste man 1 At. H vom Radical: 6nH2n— lO- loslösen. Man hätte
80 die Formeln:
Allgemein. Essigsäure. Propionsäure.
H| ^ H ^ H|
h)^ h!^ hP
Da femer die Di chlor essigsaure, nach Versuchen von Ferkln und Duppa,
in Glyozylsäure umgewandelt werden kann und da diese der Glycerinsäure
homologe Säure durch die typische Formel:
ausgedrückt werden muss, so könnte die Essigsäure durch eine dasselbe Radical
enthiJtende Formel dargestellt werden. Man hätte:
Glyozylsäure. Dichloressigsäure. Essigsäura
eaHei^ ejHeJCla 6aHe*Ha
*) Welches indess nicht rein dargestellt worden ist.
520 Fetto Sftnren.
799. Bei noch andern Metamorphosen endlich entstehen aus den fetten
Säuren Substanzen, die noch s&mmtlichen Kohlenstoff enthalten, während
aller Sauerstoff ausgetreten ist. Die Ammoniaksalze der fetten Säuren
gehen nämlich durch Verlust von Wasser zunächst in Amide über; aus diesen
oder auch aus den Ammoniaksalzen selbst kann dann durch wasserfreie
Phosphorsäure aller Sauerstoff in Form von Wasser eliminirt werden, in-
dem ein s. g. Nitril gebildet wird, welches durch Aufoahme von Wasser
wieder rückwärts in das Ammoniaksalz der fetten Säure übergeht
Man hat z. B. :
Essigs. Ammoniak. Acetamid. Acetonitril.
oder:
e,H,e) e,H,.N
Da die Nitril e als Verbindungen dreiatomiger Radicale betrachtet werden,
so könnten die fetten Säuren, am an diese Beziehung zu den Nitrilen zu erinnern,
durch Formeln dargestellt werden, die dieselben dreiatomigen Radicale enthalten.
Man hätte z. B. (vgl §. 246):
Essigsäure. Typus.
«^e. ji
4«
Die Bildung der Ameisensäure aus Chlorolorm: 6H.C1, könnte dazu fahren, die
Ameisensäure durch die entsprechende Formel darzustellen:
Ameisensäure.
800. Da die Nitrile identisch sind mit den Cyaniden der Alkoholradi-
cale Und da sie durch Aufnahme von Wasser in das Ammoniaksalz einer
fetten Säure übergehen, oder durch Einwirkung von Ealihjdrat unter
Freiwerden von Ammoniak das Kalisalz einer fetten Säure liefern, so ist
die Möglichkeit gegeben, aus jedem Alkohol die um 1 Atom Kohlenstoff
reichere fette Säure darzustellen, vgl. §§. 609.
Wollte man in den Formeln der fetten Säuren der fiilduAg dieser Körper
aus den Nitrilen und gleichzeitig der Entstehung dieser als Cyanide der Alkohol-
radicale Rechnung tragen, so müsste man den Kohlenstoff des Cj'ans von dem
Kohlenstoff des Alkoholradicals getrennt schreiben und man käme so etwa zu den
Formeln:
Allgemein. Essigsäure.
Rationelle Fomieln. 521
Es ist vielleicht nicht ohne Interesse, gelegentlich der fetten Sftu- 801.
ren, dieser in Bezug auf Metamorphosen am besten studirten Eörpergruppe,
und am Beispiel der Essigsäure, der am genauesten erforschten Säure
dieser Gruppe, einige Betrachtungen über den Sinn der rationellen For-
meln beizufügen.
In den vorhergehenden Paragraphen wurde gezeigt, dass die Meta-
morphosen, d. h. die Bildungs- und Zersetzungsweisen der fetten Säuren,
in verschiedene Gruppen abgetheilt werden können, in der Weise, dass
die derselben Gruppe zugehörigen Metamorphosen gewisse gemeinschaft-
Uche Charaktere zeigen. Da nun die rationellen Formeln nichts Anderes
sind als ein schematischer Ausdruck der Metamorphosen, so ist es ein-
leuchtend, dass aus jeder Gruppe von Metamorphosen eine rationelle
Formel abgeleitet werden kann, die alle der betreffenden Gruppe zuge-
hörigen Bildungs- und Zersetzungsweisen in einfacher Weise ausdrückt
Die den verschiedenen Gruppen zugehörigen Metamorphosen filhren natür-
lich zu verschiedenen rationellen Formeln. Wollte man von einer ratio-
nellen Formel beanspruchen, dass sie alle Metamorphosen gleichzeitig
ausdrückt, so müsste man eine Formel aufsuchen, welche alle einzelnen,
aus den verschiedenen Gruppen von Metamorphosen sich herleitenden
Formeln zu einem Ausdruck zusammenfasse
Für die Essigsäure ergibt sich z. B. aus der Thatsache, dass bei
Bildung der Salze 1 Atom H durch Metalle vertreten wird, die Formel:
GsHgOj.H. Nimmt man dazu die Metamorphosen der Essigsäure bei
Einwirkung von Phosphorchlorid und Phosphorsulßd und weiter alle die
§.794 erwähnten Reactionen, so erhält man die Formel: 62H3O.0.H, die
G H O^
man gewöhnlich : ' 'tt ( ^ schreibt. Diejenigen Metamorphosen der Es-
sigsäure, bei welchen das Essigsäuremolecül in eine der Methjlgruppe
und eine der Eohlensäuregruppe zugehörige Verbindung zerfällt, oder
durch Aneinanderlagerung dieser gebildet wird, führen zu der Formel:
GH QQ J
6H3.GO.O.H, oder: '* h1^' ^^^' ^^^ typischer Schreibweise:
GH,
GO|^* I^cr Uebergang der Essigsäure in Gljcolsäure und die Rück-
G H G Hi
bildung der Essigsäure aus Gljcolsäure führen zu der Formel : ' ^ H ( ^
oder ^ f} 0 ' 7 Qod wenn man gleichzeitig den vorher erwähnten Reac-
tionen Rechnung tragen will, so hat man:
522 Fette Sftnren.
Soll dabei noch die Beziehang der Essigsäure zur Olyozyls&ure
berücksichtigt werden, so muss noch ein Atom Wasserstoff losgelöst
werden. Han hat dann:
en.H
eeiu
H\e
Der genetischen Beziehung der Essigsäure zum Acetonitril nach er-
hält die Essigsäure die Formel: ^q|^2; und wenn gleichzeitig die
Bildung des Acetonitril als Methylcjanid Berücksichtigung finden soll,
so wird dieselbe: ^'^^jo,.
Man sieht nun leicht, dass eine umfassende rationelle For-
mel der Essigsäure, d. h. eine Formel, die alle Metamorphosen gleich-
zeitig ausdrückt, alle aus den verschiedenen Gruppen von Metamorpho-
sen abgeleiteten und ftlr diese berechtigten rationellen Formeln vereinigen
und mithin alle einzelnen im Essigsäuremolecül enthaltenen Atome ge-
trennt schreiben müsste. Man hätte etwa die Formel:
Hi HH)
E}6 HHf
E) flH(
eje (™)
die man von dem Typus : 4 Hj -|- 2 E^B^ oder 8 H, ableiten könnte.
Eine solche Formel drückt, weil sie aus allen bekannten Metamor-
phosen der Essigsäure hergeleitet ist, alle Metamorphosen aus; aber sie
bietet gerade desshalb auch nicht mehr dieVortheile dar, die man durch
den Gebrauch rationeller Formeln erlangen will; sie erinnert nicht mehr
weder an die eine noch an die andere Gruppe von Metamorphosen.
Eine umfassende rationelle Formel eines Körpers, von welchem sehr
zahlreiche Metamorphosen bekannt sind, muss also jedenfalls alle einzel-
nen Atome getrennt schreiben, aber sie muss die Atome ausserdem noch
so gruppiren, dass die bei den einzelnen Metamorphosen vereinigt blei-
benden Atome auch in der Formel benachbart gestellt sind und ferner so,
dass die relative Stellung der Atome in der Formel eine gewisse Rechen-
schaft gibt von den hauptsächlichsten Eigenschaften der Verbindung.
Für verhältnissmässig einfach - zusammengesetzte Körper ist dies er-
reichbar *) und die eben mitgetheilte Formel der Essigsäure (die, wie
*) Ftlr complicirt zusammengesetzte Körper ist voraaBsichtlich eine ganz um-
fassende rationelle Formel nicht möglich, einmal weil die im Molecfll
Rationene FonneliL 523
man leicht sieht, Nichts anderes ist als ein geschriebener Ausdruck für
die mehrfach gebrauchte graphische Darstellung vgl. §. 275.) leistet Alles,
was eine chemische Formel leisten kann. Die folgende Charakteristik
der Essigsäure zeigt in der That, dass alle Eigenschaften dieses Körpers
in der obigen Formel (und in der mit ihr identischen graphischen Dar-
stellung) ausgedrückt sind. — Die Essigsäure enthält 2 At. 0, 4 At H
und 2 At. O im Molecfil. Von den 4 Wasserstoffatomen wird das eine
bei gewissen Beactionen vorzugsweise hinweggenommen, vielleicht weil
es mit der Eohlenstoffgruppe nur in indirecter Verbindung steht; es wird
dabei besonders leicht durch Metalle oder metallähnliche Radicale ver-
treten, vielleicht veranlasst durch seine relative Stellung zu den beiden
Sauerstoffatomen. Die drei anderen Wasserstoffatome sind durch Chlor etc.
substituirbar, sie zeigen eine völlig verschiedene Function, vielleicht weil
sie direct vom Kohlenstoff gebunden sind. Von den beiden Sauerstoff-
atomeu wird bei vielen Beactionen nur das eine weggenommen, vielleicht
weil es nur zur Hälfte von den Kohlenstoffatomen gebunden ist. Dabei
bleibt häufig die Gruppe: C2H30 unzersetzt, vielleicht weil alle Atome
in directer Verbindung mit dem Kohlenstoff sind. Diese Gruppe zeriUUt
indess bei anderen Beactionen und zwar so , dass die beiden Kohlenstoff-
atome sich trennen, indem das eine mit dem anliegenden Sauerstoff als
Kohlenoxyd weggeht oder Kohlensäure erzeugt, während das andere mit
den drei anliegenden Wasserstoffatomen eine Methjlverbindung bildet
u. s. w. —
Die folgende schematische Darstellang ist noch geeigneter diese Verhftlt-
nisse hervortreten za lassen. Sie zeigt, dass ein darch Aneinanderlagemng ver-
schiedener Atome gebildetes Molecül bei verschiedenen Metamorphosen bald da,
bald dort spaltbar sein kann und dass so Atomgrappen, die bei gewissen Beac-
tionen anzersetzt bleiben und als Radicale betrachtet werden.^ weiter zerfallen und
so als aus verschiedenen Atomgmppen oder Radicalen zusammengesetzt erscheinen.
g f e
Bei der Bildung der Salze und der Aether ei folgt Spaltung nach ab; bei Bildung
der Thiacetsäure nach b c. Bei Einwirkung der Chloride des Phosphors löst sich
räumlich gestellten Atome auf der Ebene des Papiers nicht so neben einan-
der gruppirt werden können, dass die bei verschiedenen Metamorphosen ver-
einigt bleibenden Atome in einer und derselben Formel benachbart gestellt
sind. In vielen Fällen aber auch desshalb nicht, weil während der Zer-
setzung Atome zusammentreten können, die in dem bestehenden Molecül
nicht einmal benachbart gestellt sind.
524
Fette Säuren.
der Wasserstoff und Sauerstoff ab , nach a c. Bei der Bildung des Acetonitrils
wird auch das zweite Sauerstoffatom entzogen , a d. Bei gewissen Reacdonen er-
scheint also die Gruppe ach als Radical, bei andern die Gruppe adh; die erste
ist einatomig, die zweite dreiatomig. Bei denjenigen Metamorphosen, bei welchen
eine Methylverbindung entsteht, spaltet sich das Molecül nach e d; die Gruppe
a c d e ist das Radical der Eohlensfture, die Gruppe e d h Methyl. Bei Einwirkung
von Chlor oder Brom wird hg entzogen; die Gruppe a c g h ist dann ein zwei-
atomiges Radical, das Radical der Glycolsäure.
Es ist einleuchtend , dass selbst für die Essigsäure (und mehr noch
fQr complicirter zusammengesetzte Körper) eine völlig umfassende ratio-
nelle Formel (selbst wenn sie bei dem jetzigen Stand der Wissenschaft
gegeben werden kann) für den gewöhnlichen Gebrauch nicht geeignet
ist, dass vielmehr, nach irgend Zweckmässigkeitsgründen, eine von den
aus einer gewissen Gruppe von Metamorphosen abgeleitete rationelle For-
mel ausgewählt werden muss.
Da nun die Formel: * 'gjo gerade die am besten studirten Metamorpho-
sen und desshalb gleichzeitig die Beziehungen zu einer grossen Anzahl gut unter-
suchter Körper ausdrückt, so wird im Nachfolgenden diese Formel vorzugsweise
gebraucht und nur dann eine weiter -auflösende rationelle Formel benutzt werden,
wenn es sich um Erklärung gewisser Metamorphosen oder um Hervorheben gewis-
ser Analogieen handelt.
SchUesslich mag noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass im Verlauf
der Entwicklung der Wissenschaft jede der oben erwähnten Gruppen von Meta-
morphosen als besonders massgebend angesehen und dass so rationelle Formeln
gebraucht oder wenigstens vorgeschlagen wurden, die bald den einen, bald den
andern der oben erwähnten Gesichtspunkte besonders hervortreten liessen. Ein
einfacher Blick auf die Seite 58 zusammengestellten Formeln der Essigsäure wird
dies zeigen.
002. Uebersicht der einfachsten Verbindungen der einato-
migen Säureradieale und derjenigen dieser Säureradieale
mit den einatomigen Alkobolradicalen:
Hydrür.
Typus: V^asserstofiF.
Radical. Chlorid.
Keton.
Allgemein.
GoHon-lO^
G„H2n-ie
e„H2n-ie.ci
e„H«ai+l s
Beispiel.
G,H,e;
Aldehyd.
unbekannt.
Acetylchlorid.
Aceton.
Charakteristik der Grappen.
525
Typus: Wasser.
Säure.
Salz.
Aether.
Anhydrid.
Allgemein.
e„H,„+, ^
e„e2„-ie(^
Beispiel.
Essigsäure.
Essigsäure-
Kali.
Essigsäure-
Aethyläther.
Essigsäure-
Anhydrid.
Tjpus: Ammoniak.
Amid. Diamid. Triamid.
Allgemein.
H
H
N
e.Hln-lOl
Ö„H2,_|0)
6.H2o-ie)
e„Hto_iO[N
Beispiel.
Acetamid.
e,H,0)
Diacetamid.
unbekannt.
N
G,H,0
G,H,0
e,H,
Aethyldiacet-
amid.
Wir stellen zunächst als Charakteristik der in dieser Tabelle aufge- 808;
führten Gruppen alles das zusammen, was in Bezug auf Bildung und ehe*
mische Eigenschaften der verschiedenen Verbindungen, die derselben Gruppe
zugehören, im Allgemeinen gesagt werden kann. Alles was nur für ein-
zelne Glieder der Gruppe bekannt ist, bleibt der Einzelbesohreibung der
betreffenden Substanzen vorbehalten. Die wichtigsten physikalischen Ei-
genschaften sind gelegentlich der Aufzählung der jeder Gruppe zugehöri-
gen Verbindung zusammengestellt.
I. Hydrüre. Aldehyde.
Bildung. Es wurde mehrfach erwähnt (§. 620), dass die einato-
migen Alkohole durch Oxydation in einbasische Säuren übergeftlhrt wer-
den können« Wird diese Oxydation durch freien Sauerstoff unter Vermitt-
lung von feinzertheiltem Platin oder von ähnlich wirkenden porösen Sub-
stanzen ausgeführt, oder werden die Alkohole mit direct oxydirenden
Substanzen behandelt (z. B. Braunstein und Schwefelsäure, chromsaures
Kali und Schwefelsäure, Salpetersäure, Chlor etc.), so geht der Bildung
der fetten Säure die Bildung des entsprechenden Aldehyds voraus.
Jedem Alkohol können also durch Oxydation zwei Atome Wasser-
stoff entzogen werden, es entsteht der Aldehyd*) von gleichviel O, Z.B.:
*) Diese Beziehung zum Alkohol wird durch den von Liebig vorgeschlagenen
Namen Aldehyd angedeutet (von Alkohol dehydrogenatum).
526 Fette Samen.
Aethjlalkohol. Acetaldehjd.
^2^6^ "■ ^a — - O2H4O
804. Eine andere Bildungsweise der Aldehyde wurde in neuerer Zeit
von Piria*) und gleichzeitig von Limpricht ♦*) entdeckt. Wird näm-
lich das Salz einer fetten Säure mit der äquivalenten Menge von amei-
sensaurem Salz gemengt und das Gemenge der trocknen Destillation un-
terworfen, 80 entsteht der Aldehyd der angewandten fetten Säure. Z. B. :
Essigsaures Ameisensaures Aldehyd. Eohlens. Kali.
Kali. Kali.
Diese Bildung der Aldehyde ist der nachher ($. 808.) zu besprechen-
den Bildung der Eetone völlig analog; sie erklärt sich durch folgendes
Schema (vgl §. 236):
Ameisens. Kali. Essigs. Kali.
Ueber Bildung einzelner Aldehyde aus Olycolen und bei Oxydation
eiweissartiger Körper vgl §§. 820, 826.
aoö. Eigenschaften. Die Aldehyde gehen durch Oxydation mit Leich-
tigkeit in die entsprechenden Säuren über. Die Oxydation erfolgt schon
durch den Sauerstoff der Luft, leichter durch oxydirende Substanzen.
(Die Aldehyde reduciren desshalb aus Silberlösung metallisches Silber;
und weil die Reduction ohne Oasentwicklung erfolgt, so legt sich das
Silber als Spiegel an die Oefässwand an.) Man hat:
Acetaldehyd. Essigsäure.
€,H40 * + e = OjH^Oj
Durch Erhitzen mit Kalihydrat geben die Aldehyde das Kalisalz der
entsprechenden Säure unter Entwicklung von Wasserstoff. Z. B.:
Acetaldehyd. Essigs. Kali
H K ) ^*
Die meisten Aldehyde verbinden sich direct mit Ammoniak and
geben krystallisirte Aldebydammoniake. Z. B.:
Acetaldehyd. Aldehydammoniak.
^A^j + NH, = eAe.NH, = ^«^
*) Ann. Chem. Pharm. C. 104.
••) ibid. XCVn. Ö68.
Charakteristik der Grappen.
527
Die Aldehyde verbinden sich ferner mit sauren schwefligsauren Al-
kalien and bilden krystallisirbare Salze, die s. g. aldehydschweflig-
sanren Salze *j. Z. B.:
Acetaldehyd.
Sanr. Bchweflig-
saures Katron.
Aldehyd, schweflig-
saures Katron.
B^M
irO'gKH SS ^2H4^^u^2EH
Die Katar dieser Yerbindimgen ist noch nicht völlig aufgeklärt; die meisten
sind leicht zersetzbar, aus einzelnen kann indess die entsprechende Säure abge-
schieden werden (vgl. Oenanthol. §. 918). Die Bildung dieser aldehydschweflig-
sauren Salze kann häufig zur Reindarstellung der Aldehyde angewandt werden.
Man schüttelt die den Aldehyd enthaltende Flüssigkeit mit einer concentrirten Lö-
sung von saurem schwefligsaurem Katron, reinigt die gebildeten Erystalle durch
Auspressen und Auswaschen mit Alkohol und zersetzt sie dann durch Destillation
mit kohlensaurem Katron.
IL Radioale. Die Radieale der fetten Säuren sind bis jetzt nicht gOG.
mit Sicherheit bekannt, obgleich ihre Darstellung, zu welcher die Theorie
verschiedene Wege andeutet, mehrfach yersucht wurde**), (vgl noch
Butyrylchlorid %. 910).
in. Chloride. Die Chloride der einatomigen OxykoUenwasser- 307.
stoffiradicale entstehen bei Einwirkung von Phosphorchlorid und Phosphor-
chlorür auf die Hydrate und Salze der fetten Säuren und bei Einwirkung
▼on Phosphorylchlorid (Phosphoroxychlorid) und PhosphorchlorOr auf die
Salze der fetten Säuren (vgl. $. 618). Man hat:
Essigsäure.
Phosphor-
chlorid.
w[(i:
■^ r
Gl
ga,p +
8 Holecüle
Essigs. Kali.
Phosphoryl-
chlorid.
Acetylchlorid
-f- Salzsäure.
HCl
Phosphor-
saures EaU.
Phosphoryl-
Chlorid.
+ poa.
8 Holecüle
Acetylchlorid.
K.e
K.0
\
N^
Wja,
_ pei
gje, 4. seA^.ci
8 Holecüle
Essigs. Kali.
K.e
K.e
K.O
6jH,e ^
eaH,0
N^
Phosphor-
chlorür.
Phosphorig-
saures Kali.
8 Holecüle
Acetylchlorid.
[)ci, rr Ije, + seAo.ci
•} Bertagnini, Ann. Ghem. Pharm. LXXZY. 179.
•^) Gerhardt, Jahresb. 1862. 446.
528 Fette Säuren.
Die Chloride der einatomigen Sftareradicale sind besonders cha-
rakterisirt durch die Leichtigkeit, mit welcher sie doppelte Zersetzung
zeigen; sie werden dessbalb mit Vortheil zur Darstellung anderer Ver-
bindungen der S&ureradicale angewandt. Sie zerfallen schon mit Was-
ser, unter Wärmeentwicklung, in Säurehydrat und Salzsäure. Z. B.:
Acethylchlorid. Salsaäure. Essigsäure.
ci.fM^süZZlje = Ha + «Aöj^
Die Bromide und Jodide der Säureradieale können durch ganz
entsprechende Reactionen erhalten werden wie die Chloride, sie sind
noch weit weniger untersucht als diese.
808. IV. Eetone. Die Ketone oder Acetone können als Verbindun-
gen der einatomigen Säureradieale mit den einatomigen Alkoholradicalen
betrachtet werden; oder auch als Aetherarten der Aldehyde, d. h. als
Aldehyde, in welchen der typische Wasserstoff durch Alkoholradicale
vertreten ist
Die Acetone können im Allgemeinen durch zwei Reactionen erhal-
ten werden:
1) Durch Einwirkung der Chloride der Säureradieale auf die Zink-
verbindungen der Alkoholradicale *). Die Zersetzung erfolgt nach
dem Schema:
Zinkäthyl. 2 Mol. Acetyl- 2 Mol. Acetyl-
chlorid. äthyl.
Cl
= ZnCl.
ty^Hj^ .\72^S^
Cl ^ OjHj.eaHjO
2) Durch trockene Destillation eines Salzes einer fetten Säure, oder
auch eines Gemenges der Salze verschiedener Säuren. Die Zei^
Setzung wird ausgedrückt durch das allgemeine Schema.
Keton. Eohlens. Kali.
On— 1H211— I
«|J0
Wird das Salz einer einzigen fetten Säure der Destillation unter-
worfen (ist also m = n) , so enthält das gebildete Aceton das Ra-
dical der angewandten fetten Säure verbunden mit dem um 1 At. €
ärmeren AlkoholradicaL Z. B.:
^) Freund. Sitzungsb. der Wiener Akademie. XLI. 499.
Charakteristik der Gruppen. 529
Essigs. Kali. Essigs. Kali. Acet-aceton.
Solche Verbindungen sind schon seit lange bekannt, sie können ab
normale oder gewöhnliche Acetone unterschieden werden.
Unterwirft man dagegen ein Gemenge der Salze zweier fetten Säu-
ren der Destillation (ist also m nicht gleich n), so werden intermediäre
oder gemischte Acetone erhalten, das' heisst solche, bei welchen
diese einfache Beziehung des Alkoholradicals zum Säureradical nicht statt-
findet *). Bei diesen Verbindungen kann aus der Bildung nicht herge-
leitet werden, ob das kohlenstoffreichere oder das kohlenstoffärmere Säure-
radical durch Verlust von Kohlenoxyd in ein Alkoholradical übergegangen
ist. Man hat z. B.:
Essigs. Kali. Valerians. Kali. Valeryl- Acetyl-
Methyl. Butyl.
Die oben (§. 804) erwähnte Bildung der ^dehyde, bei Destiilation eines
Gemenges von ameisensaurem Salz mit dem Salz einer anderen fetten Säure, ist,
wie man leicht sieht, nur ein specieller Fall dieser allgemeineren von Wiliiamson
schon früher aufgefundenen Reaction.
Die Acetone verbinden sich grossentheils, ähnlich wie die Aldehyde,
mit sauren schwefligsauren Salzen zu krystallisirbaren Verbindungen. Die
Zersetzungen der Acetone sind noch wenig erforscht, (vgl. Acetyl-ace-
ton SS. 923).
V. Hydrate der fetten Säuren. In den vorhergehenden Pa- 809.
ragraphen wurde schon über Bildung und Eigenschaften dieser Körper
manches zusammengestellt (vgl. bes. 88- 794 — 801); auf andere allge-
meine Beziehungen wird nachher noch besonders aufmerksam gemacht
werden,
VI. Salze der fetten Säuren. Die fetten Säuren sind einba- 810.
sisch, sie bilden also mit einer und derselben Base im Allgemeinen
nur ein Salz ♦♦). Z. B.:
•) Williamson, Ann. Chem. Pharm. LXXXL 86. Friedel, Ann. Chem. Pharm.
CVm. 128.
**) Für die Zusammensetzung dieser Salze, wie der Salze überhaupt, ist ausser
der Basicitfit der Säure noch die Atomigkeit des Metalis und resp. die Aci-
dität der Base zu berücksichtigen. Das Salz einer zweis^äurigen Base
(oder eines zweiatomigen Metalls) entsteht stets durch Vereinigung zweier
Ke kille, oigan Chenle 34
530 Fette Säuren.
Essigsaures Silber. Essigsaurer Kalk.
Agi^ dar'
Ausser diesen normalen Salzen existiren noch für einzelne Metalle
sogenannte übersaure Salze, das heisst Verbindungen, die als Anein-
anderlagerung von einem Molecül Säure mit einem Molecfll des normalen
Salzes betrachtet werden können. Z. B.:
Uebersaures üebersaures
essigsaures Kali. ameisensaures Natron.
Diese übersauren Salze, die, wie es scheint, nur bei einatomigen Me-
tallen vorkommen, krystallisiren aus stark sauren Lösungen, verlieren aber
beim Verdunsten ihrer wässrigen Lösung den Ueberschuss von Säure und
liefern normale Salze.
811. Die Salze der fetten Säuren enthalten in krystailisirtem Zustand oft Krystall-
wasser.
Dabei kommt vcrhältniläämässig häufig der Fall vor, dass die mit einem
Aequivalent des Salzes verbundene Menge gleich ist */2 oder auch l^fj Hole-
cüle Wasser. Man hat dies häufig als Argument ffir die Ansicht aufgeführt,
das Molecül Wasser sei nicht Ha0, sondeim HO, das Atom Sauerstoff sei also
nicht O = 16, sondern 0 = 8. Man überzeugt sich indess leicht, dass nur die
Salze zweiatomiger Metalle in dieser Weise Bruch theile von Wassermolecülen
in Verbindung mit einem Aequivalent Salz enthalten, so dass also die mit
einen! Molecül Salz verbundene Wassermenge ein Multiplum von ganzen Mole-
cülen ist. Mit andern Woi*ten: man hat nur nöthig, statt der Aequivalentformeln
atomistische Molecularformeln zu schreiben, um die Bruchtheüe der Erystallwasser-
molecüle verschwinden zu machen. Z. B.:
Molecüle der einbasischen Säure -, ebenso das Salz eines dreiatomigen Metalls
durch Vereinigung von drei Molecülen etc.
Im weiteren Verlauf dieses Lehrbuches sind immer dann, wenn die Zu-
sammensetzung metallhaltiger Verbindungen durch atomistische Mole-
cularformeln ausgedrückt werden soll, dem Metall Striche beigefügt,
welche die Atomigkeit ausdrücken. Da für viele Betrachtungen A e q ai-
valent formein denselben Dienst leisten wie atomistische Formeln, und
da zudem die Atomigkeit vieler Metalle bis jetzt nicht mit Sicherheit fest-
gestellt werden kann, so hat man vorgezogen ^die Zusammensetzung der
Salze häufig durch Formeln auszudrucken, in welchen der Atomigkeit des
Metalls keine Rechnung getragen ist, in welchen also der Buchstaben für
das Metall einAequivalent Metall bezeichnet Solche Formeln sind dann
natürlich keine Molecularformeln; sie müssen vielmehr, um sie in solche
umzuwandeln, mit 2 oder mit 3 etc. muldplicirt werden, je nachdem das
Metall zweiatomig oder dreiatomig u. s. w. ist
Charakteristik der Grappen. 531
Aequivalentformeln. Atomistische Molecularformehl.
e.H.O[^
+
»/Ae
+
H,0
b4*^
+
iV,H,e
+
8H,0
eAOj^
+
i'/,H,o
+
SHjO
eAOje
+
V,H,^
(e,H,0),t
+
H,0
e,H.e,e
+
i»/Ae
(«Aej.)^^
4-
3H,0
Die fettsauren Salze einatomiger Metalle enthalten stets eine ganze Anzahl
von Molecülen Krystallwasser *}. Z. B. :
Ameisensaures Natron. Essigsaures Natron.
Vn. Aether der fetten Säuren. Die Aether der fetten S&uren 812.
entstehen häufig schon bei Einwirkung der Säure auf den Alkohol, man
stellt sie meist nach den gelegentlich der Aetherarten schon bespreche-
nen Methoden dar (§. 625), d. h. durch Einwirkung der Chloride (Bro-
mide etc.) der Alkoholradicale auf die Hydrate oder Salze der fetten Säu-
ren y durch Einwirkung der sauren Schwefeisäureäther auf die Salze etc.
Gewöhnlich umgeht man dabei die Reindarstellung der Verbindungen der
Alkoholradicale, indem man direct ein Gemisch von Schwefelsäure und
dem betreffenden Alkohol mit dem Salz der fetten Säure destillirt, oder
indem man ein Gemenge der fetten Säure mit dem betreffenden Alkohol
mit Salzsäure sättigt und dann destillirt, oder wenn der gebildete Aether
nicht ohne Zersetzung flüchtig ist direct mit Wasser fällt.
Die Aether der fetten Säuren entstehen auch durch Einwirkung des
Anhydrids oder des Chlorids der Säure auf einen Alkohol.
Einzelne werden auch durch directe Oxydation des Alkohols erhal-
*) Sollten vielleicht solche Salze oder überhaupt Salze erhalten werden, die mit
einem Molecäl des trocknen Salzes ^/j oder 1^/3 Molecüle Krystallwasser ver-
bunden enthalten (wie dies bei dem monochloressigsauren Kali der Fall zu
sein scheint), so würde daraus doch keinerlei Argumentation gegen die hier
und früher entwickelten Ansichten Über Moleculargrösse hergeleitet werdem
aus den Seite 135 Anm. mitgetheilten Gründen. Man hat sich dort, in Er-
manglung von sicher nachgewiesenen Beispielen, genöthigt gesehen, Bei-
spiele zu benützen, bei welchen schon die Atomigkeit des Metalls zur Ver-
doppelung der Formel führt und somit die Bruchtheile der Molecüle ver-
schwinden macht.
34 ♦
532
Fette SAaren.
teD. In diesem Fall entsteht ein Aether, welcher die sieb entsprechen-
den Säure- und Alkoholradicale, d. h. Radicale von gleichviel Kohlen-
stoffatomen enth&it Z. B.:
Amylalkohol, gibt: Valeriansäure-amyläther.
QU je
Die Aether zerfallen in geeigneten Bedingungen, indem sie mit 1 Mo-
lecfll Wasser etc. doppelte Zersetzung zeigen, in das Hydrat der Säure
und in Alkohol oder eine andere Verbindung des Alkoholradicals. Diese
Zersetzung erfolgt häufig, namentlich bei hohen Temperaturen schon
durch Wasser, leichter beim Kochen mit Alkalien, bisweilen auch bv\
Einwirkung von Säuren. Z. B. :
818.
äure-
Aethyläther.
EsBigsaures
KalL
Alkohol.
H
[mZ
j
j}
o =
Kl
}o + c^^[e
EssigBäure-
Aethyläther.
feaH5
J
_H]C1
EBsigs&ure. Aethylchlorid.
_ ^AOj^ ^ eA.ci
. EBBlgBftnre-
Aethyläther.
EsBigsftore.
Aethylschwefel-
säure.
Bei Einwirkung von Ammoniak erzeugen die Aether der fetten
Säuren Amide (vgl. §. 815).
Die Aether der fetten Säuren mit mehratomigen Alkoholen (z« B.
Olycol, Olycerin) werden gelegentlich dieser besprochen.
Vin. Anhydride oder wasserfreie Säuren. Die Anhydride
der fetten Säuren wurden 1852 von Gerhardt entdeckt. Sie entstehen
bei Einwirkung der Chloride der Säureradieale auf die Salze der fetten
Säuren. Z« B.:
Acetylchlorid.
gfeaHaO
Essigs. Kali.
=31
O = KCl
Acetanhydrid.
Da die Chlorverbindungen des Phosphors bei Einwirkung auf die
Salze der fetten Säuren die Chloride der Säureradieale erzeugen, so ist
es einleuchtend, dass bei Einwirkung der Chloride des Phosphors auf
Charakteristik der Gruppen. 533
einen Deberschuss dee betreffenden Salzes direct ein Anhydrid gebildet
wird. Das Anhydrid ist dann das E^odact zweier aufeinander folgender
doppelten Zersetzungen.
Die Anhydride zeigen mit Wasser doppelte Zersetzung und bilden
so Hydrate. Z. B.:
Esaigsäure-Anhydrid. Essigsäure. Essigsäure.
Sie zersetzen sich ebenso mit Alkoholen unter Bildung von Aethern:
Essigsäure- Alkohol. Essigsäure. Essigsäure-
Anhydrid. Aethyläther.
«![^^=|!« = '"•> + *«h>
Bei Einwirkung auf Ammoniak erzeugen sie Amide ($. 815)*
Die Anhydride stehen zu den Säurehydraten genau in derselben Be-
ziehung wie dieAether zu den Alkoholen. Das heisst, sie enthalten in einem
Molectil zweimal dasselbe Radical, welches nur einmal im Molecttl des Säurehydrats
enthalten ist.
Die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Anhydride zeigen deut-
lich, dass dies der Fall ist. Als besondere Argumente für diese Formeln der An-
hydride mögen hier noch zwei Thatsachen in Erinnerung gebracht werden (vgL
S. 175).
1) Die Existenz intermediärer Anhydride*) und das Zerfallen dieser
Körper durch Wasser. Z. B.:
Acetyl-Benzoyl- Essigsäure. Benzoesäure.
Anhydrid.
2) Das Zerfallen des durch Einwirkung von Schwefelphosphor auf Essigsäure-
Anhydrid entstehenden Thiacetsäure-Anhydrids durch Wasser**):
Thiacetsäure-Anhydrid. Thiacetsäure. Essigsäure.
•) vgl. 5. 862.
•♦) VgL S. 868.
534 Fette Säuren.
814. Hjperoxjde der S&ureradicale. Diese merkwardige Elasae
von Verbindungen ist 1858 von Brodie *) entdeckt worden. Man er-
hält sie durch Einwirkung von Baryumhjperoxyd auf die Anhydride (vgL
bei Acetylhyperoxjd %. 864).
816. IX. Amide der einatomigen Säureradieale. Die Amide der
Säureradieale werden durch zwei wesentlich verschiedene Reactionen ge-
bildet:
1) Indem man auf dem Weg doppelten Austausches den Wasserstoff
des Ammoniaks durch ein Säureradical ersetzt, was leicht bei Ein-
wirkung der Aether oder der Anhydride auf trocknes Ammoniak oder
concentrirte Ammoniaklösung, oder bei Einwirkung der Chloride der
Säureradieale auf Ammoniak oder kohlensaures Ammoniak erfolgt. Z. B. :
Essigs&are- Acetamid. Alkohol.
Aethyläther.
2) Die Ammoniaksalze der fetten Säuren verlieren bei Destillation Was-
ser und geben Amide **). Z. B. :
Essigs. Ammoniak. Acetamid.
Die Amide sind wesentlich charakterisirt durch die Eigenschaft,
unter Wasseraufnahme wieder in die Ammoniaksalze der fetten Säuren
aberzugehen. Diese Zersetzung erfolgt bei Einwirkung von Wasser erst
bei höheren Temperaturen; sie findet weit leichter statt, wenn statt des
Wassers ein Alkali oder eine Säure angewandt werden. Dabei wird ent-
weder (bei Einwirkung eines Alkali's) Ammoniak entwickelt, während
ein Salz der fetten Säure entsteht; oder es wird ein Ammoniaksalz der
zur Zersetzung angewandten Säure erzeugt, während die fette Säure
frei wird.
Die Amide liefern bei Einwirkung wasserentziehender Substanzen
(namentlich Phosphorsäureanhydrid, Chloride des Phosphors etc.) unter
Verlust von Wasser die Nitrile. Z. B.:
Acetamid. Acetonitril.
(GAG
n)h = N.e,Ha + H,0
IE
•) Ann. Chem. Pharm. CVIII. 79.
••) Kündig, ibid. CV. 278.
Genetigche BesdehmigeiL 535
Die Amide Terbinden sich, wie dies Ton dem Typus NH3 zugehörigen
Körpern erwartet werden konnte, mit Säaren zu salzartigen Verbindun-
gen. Sie verhalten sich andererseits ähnlich wie Säuren, d« h. sie tau-
schen typischen Wasserstoff gegen Metalle aus (vgl. §.212 und bei Acet-
amid §. 865). Auch durch Alkoholradicale kann der typische Wasserstoff
Tcrtreten werden, man hat so ätherartige Verbindungen der Amide, z. B.
Aethylaeetamid : OsH« > N.
X. Die Diamide^ sind bis jetzt wenig bekannt. Man kennt nur 816.
das Diacetamid (vgl. J. 867j und eine von ihm sich ableitende Verbin-
dung des Aethyldiacetylamid.
Bildung, Zersetzungen und Vorkommen der Verbindun- 817.
gen der einatomigen Säurevadicale: 6nH2n-iO.
Genetische Beziehungen der Verbindungen einatomi-
ger Säureradieale zu Verbindungen anderer Radicale. Ob-
gleich die meisten Bildungs- und Zersetzungsweisen der in Rede stehen-
den Verbindungen schon in den vorhergehenden Paragraphen besprochen
worden sind, so scheint es geeignet dieselben hier nochmals von ande-
rem Gesichtspunkt aus zusammenzustellen, um die zahlreichen verwandt-
schaftlichen Bande hervortreten zu lassen, welche die Verbindungen der
einatomigen Säureradieale mit den Verbindungen anderer Radicale ver-
knüpfen.
I. Einatomige Alkoholradicale. 818.
1) Von gleich viel 6. Jeder Alkohol geht durch directe Oxydation
in den Aldehyd und die fette Säure, durch schmelzendes Ealihydrat
in die fette Säure von gleich viel Kohlenstoffatomen über (§§. 620,
792, 803).
Die umgekehrte Reaction, d. h. Umwandlung einer Säure in den
Alkohol von gleichviel Kohlenstoffatomen ist bis jetzt nur in einzel-
nen Fällen ausführbar. (Vgl. Valeraldehyd §. 917 u. Acetonitril.)
2) Von 1 At. © weniger. Die Umwandlung der Alkohole in fette 819.
Säuren, die 1 At O mehr enthalten, ist nach drei verschiedenen Me-
thoden gelungen.
a) Aus jedem Alkohol kann eine fette Säure von 1 At. 6 mehr er-
halten werden, indem man zuerst das Cyanid des Alkoholradicals
darstellt und dieses dann durch Kochen mit einem Alkali zersetzt
(vgl. SS- 609, 6ri7).
b) Durch Einwirkung von Kohlensäure auf Katriummethyl entsteht
Essigsäure, auf Matriumäthyl Propionsäure (vgl. $$. 767, 795),
536 Fette Säuren.
c) Kohlenoxjd verbindet sich direct mit Alkoholnatrium zu propion-
saurem Natron. (Kohlenoxjd mit Ealihydrat erzeugt in entspre-
chender Weise ameisensaures Kali.) (vgl. §. 795.)
Das Umgekehrte dieser synthetischen Bildungen findet bei folgenden
Zersetzungen statt.
a) Aus jeder fetten Säure entsteht durch elektroljtische Zersetzung
eines Salzes das isolirte Radical des um 1 At G ärmeren Alkohols. Ge-
mische mehrerer fetten Säuren geben gemischte oder intermediäre Radi-
cale (vgl. §S. 624, 627, 795).
b) Essigsaure Salze geben beim Erhitzen mit einem Alkali Methyl-
wasserstoff, beim Erhitzen mit arseniger Säure Arsendimetbyl (Kakodyl)
(vgl. 88. 624, 626, 753).
c) Hierher gehört auch die Bildung der Acetone, bei welcher jedoch
nur die Hälfte der angewandten fetten Säuren diese Umwandlung in das
nächst kohlenstoffärmere Alkoholradical erleidet (vgl. §. 808).
820. n. Zweiatomige Alkoholradicale. (Gruppe HL
Die zweiatomigen Alkohole (Glycole) liefern beim Behandeln mit
Chlorzink die Aldehyde von gleichviel Eohlenstoffatomen (Wurtz). Man
hat so aus Glycol den Acetaldehyd und aus Propylglycol den Propyl-
aldehyd erhalten. Z. B.:
Glycol. Aldehyd. Wasser.
(vgl. noch: Disulfometholsäure 8* 611.)
821. ni. Zweiatomige Säureradieale: OnHto-aO. (Gruppe IV.)
1) Von gleich viel Kohlenstoffatomen.
Die Ameisensäure liefert bei vielen Zersetzungen Kohlenoxyd oder
Kohlensäure.
Die Essigsäure kann in Glycolsäure, die Propionsäure in Milch-
säure übergeführt werden (vgl. §. 797).
Auch die Bildung der Sulfoessigsäure aus Essigsäure gehört hier-
her (vgl. 8. 356).
Umgekehi't kann das Kohlenoxyd in Ameisensäure umgewandelt
werden (§. 831), und man kann aus Milchsäure die Propionsäure,
aus Glycolsäure die Essigsäure darstellen (vgl. %, 797).
2) Von 1 At. e mehr.
Die Verbindungen der zweiatomigen Säureradieale GnH^n-iO lie-
fern bei manchen Zersetzungen die um 1 At^ G ärmeren Aldehyde
(oder Abkömmlinge dieser).
Genetische Beziehimgen. 537
So zerföllt z. B. die lÜlchBäare, bei elektrolytischer Zersetiung, sa Eohlen-
säiire und Aldehyd:
MUchsftore. Aldehyd. Kohlensäure.
Durch Einwirkung von Chlor (Braunstein und Salzsäure) entsteht aus Milchsäure
das Chloral: ^^HCJ^O (Trichloraldehyd). Das Leucin, die Aminsäure der mit der
Milchsäure homologen Leucinsäure, liefert bei Einwirkung von Schwefelsäureanhy-
drid den Valeraldehyd , neben Kohlensäure und schwefliger Säure. Man hat:
Leucin. Valeraldid. Kohlenoxyd.
e,Hi3N0a = e»H,oe + nh, + eo
Umgekehrt können aus den Aldehyden die um 1 At. 6 reicheren
zweiatomigen Säuren und auch die Aminsäuren dieser Säuren dargestellt
werden (vgl. §• ßlO).
So entsteht aus Aldehyd und Cyanwasserstoff das Alanin (Lactaminsäure)
und aus diesem kann Milchsäure erhalten werden*, ebenso gibt Valeraldehyd mit
Cyanwasserstoff das Leucin. Z. B.:
Aldehyd. Cyanwasserstoff. Alanin. Milchsäure.
H "
ejB^e + eHN 4- H,e = h|n ^'^^^l^a
0
IV. Zweiatomige Säureradieale: 6nH7„_402 (Dioxykohlen- 822.
wasserstofifradicale). Die fetten Säuren stehen zu den zweiatomigen Sau-
0
ren der Bernsteinsäurereihe (^ " *^ h'(^^^ ^° naher verwandtschaft-
Hcher Beziehung. Diese Beziehungen sind indess noch yerhältnissmässig
wenig untersucht.
Es mag einstweilen erwähnt werden, dass häufig aus fetten Säuren
durch Oxydation (z. B. mit Salpetersäure) die zweibasische Säure von
gleich viel Kohlenstoffatomen erhalten wird. Z. B.:
aus: Essigsäure: ej^^^^ OaHae« Oxalsäure.
Buttersäure: O^HgO, ^«HfO« Bemsteinsäure.
Ob umgekehi-t eine zweibasische Säure durch Reduction in eine einbasische von
gleichviel Kohlenstoffatomen übergehen kann, ist noch nicht nachgewiesen.
Es scheint ferner, als ob jede Säure der Bernsteinsäurereihe beim
Erhitzen für sich oder mit Kalihydrat in Kohlensäure und die um 1 At. O
ärmere fette Säure zerfallen könne. Mit Sicherheit nachgewiesen ist diese
Reaction bis jetzt nur für die zwei ersten Glieder der Reihe , sie scheint
aber auch bei den höheren stattzufinden. Man hat:
Oxalsäure: ^^H^^« = 60, + BE^^i Ameisensäure.
Malonsäure: O,H,04 = SO, -f 6311403 Essigsäure.
538 Fette Sftnrai.
823. V. Dreiatomige Radicale: OnH^n-i. (Gruppe VI.) Die Bildang
der fetten Säuren aus den Verbindungen dreiatomiger Radicale ist schon
früher erwähnt worden. (§. 608),
Es gehört hierher die Bildung von Ameisensäure aus Chloroform:
Chloroform. Ameisensäure.
GH.Cl, ^^h!^
und die Bildung der fetten Säuren aus ihren Nitrilen (vgl. §.609). Z. B.:
AT
Cyanwasserstoff: OH.N -f 2R^B =: NH, 4- €Hj|0, Ameisensäure.
Acetonitril: eA.N + 2HaO = NH, -{- O^^i Essigsänre.
Genau das Umgekehrte dieser Reaction ist die Bildung der Nitrile
aus den Säuren.
Hierher gehört auch noch die Bildung der Propionsäure bei Gährung
des Glycerins:
Glycerin. Propionsäure.
824. VI. Die Säuren derOelsäurereihe: ®"^^"~^g|e CGr^PPe XH.
S. 363) zerfallen beim Erhitzen mit Kalihydrat in zwei Säuren aus der
Reihe der fetten Säuren, von welchem die eine immer Essigsäure ist.
Man hat:
Essigsäure.
Acrylsäure: GjH^e, -f 2HjO = B^^ij^^ + G HaG, Ameisensäure.
Crotonsäare: G^HeG, + 2H2G = GaH4Ga + GaH^G, Essigsäure.
Angelicasäure: GftHgGj + 2HaG = GjiH^O, + GaH.Gj Propionsäure.
Oelsäure: GigH^Gj + 2HaG = GJH4G2 -f Gi^HjaG, Palmitinsäure.
826. VIL Die meisten der den übrigen Gruppen der Tabelle 8. 362 und
363 zugehörigen Verbindungen sind noch verhältnissmässig wenig unter-
sucht und es sind desshalb die Beziehungen dieser Verbindungen zu den
fetten Säuren nur unvollständig erkannt.
Viele dieser Verbindungen geben bei einfachen Zersetzungen fette
Säuren oder Abkömmlinge der fetten Säuren. So zerfallen z. B. Glyce»
rinsäure, Aepfelsäure, Weinsäure und Citronensäure bei Einwirken von
schmelzendem Ealihydrat nach den Gleichungen:
GenetiBdie Beziehungen.
Glyerinsänre.
EBsigsfture.
Ameisensäure.
öjH^O^
=
OjH^Oj
+
eH,o,
Aepfdsfture.
Essigsäure.
Oxalsäure.
'G4HgO'5 -f" Hj'S' =
GaH40a
+
GJI^B^ + H,
WdTiRÄure.
Essigsäure.
Oxalsäure.
^4ß%^9
=
63H403
+
G3H304
Citronenstinre.
Essigsäure.
Oxalsäure.
e.H,o, +
E^e=z
26,H4e,
+
92^304
539
Im Vorhergehenden sind alle diejenigen Bildungs- und Zersetzungs- 826.
weisen der fetten S&uren und ihrer Abkömmlinge besprochen worden,
die nach einfachen Zersetzungsgleichungen erfolgen. Es muss jetzt noch
Einiges beigefügt werden in Betreff des natürlichen Vorkommens der der
Gruppe zugehörigen Verbindungen und in Betreff derjenigen Bildungs-
weisen, bei welchen fette B&uren oder ihre Abkömmlinge als Producte
tiefer eingreifender Zersetzungen aus anderen Körpern entstehen.
Vorkommen. Die fetten Säuren linden sich zum grössten Theil
fertig gebildet in der Natur. Einzelne in freiem Zustand z.B. Ameisen-
säure (in den Ameisen, Brennnesseln etc.) ^Valeriansäurein der Baldrian-
wurzel; Pelargonsäure im ätherischen Oel von Pelargoneum roseum;
Cerotinsäure im Bienenwachs. Andere kommen als Aetherarten ein-
atomiger Alkohole vor, so besteht der Wallrath wesentlich ausPalmitin-
säure -Cetyläther: W j| >0; das chinesische Wachs aus: Cero tin-
O H Q i
säure -Ceryläther: 9 ff c^- ^^^ meisten fetten Säuren finden sich
in den Fetten als Gljceride, das heisst als Aetherarten des dreiato-
6 H i
migen Alkohols Glycerin =z 'h*(^s- Diese Verbindungen werden
später ausführlicher beschrieben werden. Hier muss nur erwähnt wer-
den, dass die natürlichen Fette meist neutrale Aether des Glycerins
sind, d. h. Glycerin, in welchem 3 At. typischen Wasserstoffs durch
Säureradieale vertreten sind. Z. B. :
Butyrin.
m
Palmitin.
Stearin.
^»^«(a ^»^*iA ^i^slri
und dass die Glyceride beim Kochen mit Kalilauge (oder Bleioxyd etc.)
genau zerfallen wie die Aetherarten einatomiger Alkohole (vgl. §. 812)
das heisst so, dass der Alkohol (Gljcerin) in Freiheit geselzt wird, wäh-
rend ein Salz derjenigen fetten Säure entsteht, deren Glycerid angewandt
wurde. Z. B.:
540
Fette SÄuren.
1 Mol
3 Mol. 1 Mol.
3 Hol. Ste«riii8.
Stearin.
Kalihydrat. Glycerin.
Kali.
&).K'
+ 8 S^ = ^%|^»
+ S ®iÄ»|je
Fertig gebildet in der Natur findet sich femer der Caprinaldehyd
(im Rautenöl §. 916).
Bildung. Die fetten Säuren und ihre Aldehyde sind sehr häufig
auftretende Zersetzungsproducte complicirter zusammengesetzter organi-
scher Verbindungen. Sie entstehen besonders häufig durch Oxydation.
So wird z. B. die Ameisensäure in reichlicher Menge gebildet bei Oxy-
dation von 8tärkemehl, Zucker etc. Bei Oxydation eiweissartiger Sub-
stanzen (Fibrin, Casein etc.) entstehen: Ameisensäure, Essigsäure, Pro-
pionsäure, Buttersäure, Baldriansäure, Capronsäure und die Aldehyde der
Essigsäure, Propionsäure und Buttersäure*). Auch bei Oxydation der
kohlenstoffreicheren Alkohole und der kohlenstoffreicheren fetten Säuren
treten die niederen Glieder der Reihe der fetten Säuren auf. — Einzelne
fette Säuren entstehen durch Gährung; z. B. Propionsäure und Butter-
säure. Auch Aetherarten werden bisweilen bei Gährung ''erzeugt (siehe
Oenanthäther §§. 907 u. 691). — Die Essigsäure endlich entsteht in reichlicher
Menge bei trockener Destillation von Zucker und namentlich von
Holzfaser.
827. Zersetzungen. Unter den Zersetzungen der fetten Säuren, bei
welchen Producte entstehen, die zur angewandten Säure in keiner eio-
fachen Beziehung stehen, verdienen besonders die folgenden Erwähnung-
Von stark oxydirenden Substanzen werden die fetten Säuren in der Weise
zersetzt, dass kohlenstofiftrmere Glieder derselben Reihe und ausserdem
weiter gehende Oxydationsproducte z. B. Kohlensäure, Oxalsäure, Bern-
steinsäure etc. entstehen (vgl. §. 278).
Bei trockner Destillation der Salze der fetten Säuren oder auch bei
Einwirkung starker Hitze auf die freien Säuren entstehen , selbst aus den
Anfangsgliedern der Reihe, Substanzen, die mehr Eohlenstoffatome im
Molecül enthalten als die angewandte Substanz, bisweilen sogar Körper,
welche der Klasse der kohlenstofireicheren Verbindungen zugehören. So
entsteht z.B. bei trockner Destillation von ameisensaurem Baryt: OHBaO^
neben Grubengas: 6H4 auchElayl: O2H4 und Propyien : 63H5. Bei trock-
ner Destillation essigsaurer Salze: 62H3MO2 entsteht: Propyien: G^Hq,
Butylen: 64H8, Amylen: O5H1Q. Bei Einwirkung von starker Hitze auf
Essigsäure entsteht Benzin: 6Jä^ und Naphtalin: OxqU^ (vgl. §. 281).
**) Vgl bes. Guckelberger, Ann. Chem. Pharm. LXIV. 39.
Fette Sttoren.
541
Da die fetten Säuren die bei weitem wichtigsten Verbindungen die- 828.
ser Oruppe sind und da sie ausserdem den Ausgangspunkt zur Darstel-
lung fast aller andern Verbindungen der Gruppe darbieten, so geben wir
zunächst eine Uebersichtstabelle der mit Sicherheit bekannten Glieder
dieser Reihe:
Radi
c a 1.
Säur
e.
Namen.
Formel.
Namen
Formel.
/
€nH2n-ie
GoHln-lGlrL
Hr
Schmelz-
punkt
Siedep. be-
obachtet
Form)'!
e H 0
Ameisensäarc
G HaG,
+ 10
1000
Acetyl
OaHaG
Essigsäure
Gj H4 Gj
+ 170
1170
Propionyl
e, HftG
Propionsäure
Gj H, Gj
1410
Butyryl
e^H, e
Buttersäure
G4 Hg Ga
unter
— 20«
1560
Valeryl
e^H^e
^'aleriansäu^e
G5 H,oGa
1760
Caproyl
G« HuG
Capronsäure
G« HjjGa
+ 60
1980
Oenanthyl
6, HiaG
Oenanthsäure
Gl H14GJ
2120
Capryl
Gs H15G
Caprylsäure
Gg HigGj
+ 140
2860
Pelarg}'!
G« H,,G
Pelargonsäure
G» HigGa
+ ISO (?)
2600
Rutyl
GioHigG
Caprinsäure
GjoHaoGa
+270,2 (800)
Lanryl
G12H23G
Laurinsäure
G12H34G2
+ 480,6
Myristyl
GiAtG
Myristinsäure
GiAgGa
4- 680,8
Palmyl
öi«H,iG
Palmitinsäure
GigHjaGj
+ 620
Hargaryl
G17H33G
Margarinsäure
GiiHg^Ga
+ 590,9 (?)
Stearyl
G18H35G
Stearinsäure
GigHjgGa
+ 690,2
Arachyl
GaoHjjG
Arachinsäure
GaoH^oG)
+ 760
Behenyl
G22H43G
Behensäure
GaaH44G2
+ 760
Cerotyl
Ga^HjjO
Cerotinsäure
GaiHg^Ga
+ 780
MeUssy]
G3OH50G
Melissinsäure
Gg^Hg^Ga
+ 880
Die Tabelle enthält ausser den Namen und Formeln der fetten Sau- \
ren (und der von der Typentheorie in ihnen angenommenen Radicale)
noch die durch Beobachtung gefundenen Schmelzpunkte und Siedepunkte.
542 Fette Säuren.
Man sieht, dass die Schmelzpunkte im Allgemeinen um so höher
liegen, je mehr Atome das Säuremolecül enthält. So zwar, dass die An>
fangsglieder der Reihe, bis zur Pelargons&ure, bei gewöhnlicher Tempe-
ratur flüssig sind, während die weiteren Glieder, also die fetten Säuren
von höherem Moleculargewicht bei gewöhnlicher Temperatur fest sind.
Für diese letzteren steigt der Schmelzpunkt im Allgemeinen mit dem Mo-
leculargewicht; derselben Zusammensetzungsdifferenz entspricht aber nicht
dieselbe Differenz der Schmelzpunkte. Eine bemerkenswerthe Anomalie
zeigen die beiden ersten Glieder der Reihe, insofern sie bis zu weit höhe-
ren Temperaturen fest bleiben als die folgenden (vgl. §. 481).
Die Siedepunkte der fetten Säuren steigen stetig mit zunehmendem
Moleculargewicht und es entspricht derselben Zusammensetzungsdifferens
(eHj) annähernd die Siedepunktodifferenz =r 19<> (vgl. $. 477).
Bemerkenswerth ist ferner, dass die fetten Säuren in Wasser um
so weniger löslich sind, je höher ihr Moleculargewicht ist. Während die
ersten Glieder der Reihe sich mit Wasser in jedem Verhältniss mischen,
löst sich die Valeriansäure in 30, die Gapronsäure in 96 Theilen Wasser;
die höheren fetten Säuren endlich sind in Wasser völlig unlöslich.
In der nachfolgenden Einzelbeschreibung sind die Ameisensäure
und Essigsäure mit allen ihren Abkömmlingen ausführlich abgehandelt.
Für die übrigen der Gruppe zugehörigen Körper hat man sich darauf
beschränkt, alle bis jetzt bekannten Verbindungen übersichtlich zusam-
menzustellen. Man hat die wichtigsten physikalischen Eigenschaften und
einige historische Notizen beigefügt; in Betreff der Bildung, Darstellung
und der chemischen Zersetzungen dagegen sind weitere Thatsachen nur
beigefügt worden, wenn sie besonderes Interesse darbieten.
Ameisensäure.
[Radical: Formyl = GHO],
Wenn man die bis jetzt bekannten von der Ameisensäure sich her-
leitenden Verbindungen vergleicht mit den Gruppen von Verbindungen,
deren Darstellung für andere Radicale der Form: OnHin-iG gelungen ist
(S. 902), so überzeugt man sich leicht, dass die meisten der diesen
Gruppen entsprechenden Verbindungen für die Ameisensäure bis jetxt
nicht bekannt sind.
Man sieht zunächst, dass ein Aceton der Ameisensäure nicht mög-
lich ist; es wäre identisch mit dem Aldehyd. Aber auch der Aldehyd,
das Chlorid, das Anhydrid und das Amid der Ameisensäure sind
bis jetzt unbekannt. Bei Oxydation von Methylalkohol hat man z. B.
niemals die Bildung des Formylaldehyds beobachtet, man erhält st«t8
AmeUensfture. 543
tlirect Ameisens&ure ; bei Einwirkung von Phosphorsuperchlorid auf Amei-
sensäure erhält man statt des Formylchlorids (6H0.C1) dessen Zer-
setzungsproduete: Eohlenozyd und Salzsäure: (60 -|- HCl); bei Einwir-
kung von Ammoniak auf Ameisensäureäther erhält man statt des Formyl-
amid's ameisensaures Ammoniak und Alkohol. [Man kennt indess ein
von dem Formylamid sich ableitendes Phenylformylamid oder Formanilid].
Die einzigen bekannten Formylverbindungen sind demnach: die
Ameisensäure, ihre Salze und ihre Aetherarten.
6H&)
Ameisensäure, Formylsäure = GH^Os = hI^' Die Amei- 881.
sensäure wurde von Sam. Fischer (1760) und von Harggraf beob-
achtet, von Berzelius, Göbel, Döbereiner und Liebig untersucht
Sie findet sich fertig gebildet in den Ameisen und zwar in solcher
Menge, dass diese Thiere auf Lakmuspapier ihren Weg als rothe Linie
bezeichnen *). Man hat sie ferner in den Processionsraupen (Bombyx
processionea) und in den Brennnesseln (Urtica urens und dioica), in ver-
wesenden Fichtennadeln etc. nachgewiesen.
Sie entsteht sehr häufig als Zersetzungsproduct, namentlich bei Oxy-
dation von Zucker, Stärkmehl, Gummi, eiweissartigen Substanzen etc.
Synthetisch kann die Ameisensäure durch längeres Erwärmen von
Kohlenoxyd mitEalihydrat auf 100® dargestellt werden. (Berthelot**) vgl.
8. 795).
Als Product einfacher Reactionen entsteht sie ferner bei Oxydation
von Methylalkohol (§. G30); bei Zersetzung von Chloroform, Bromo-
form, Jodoform (§. 823J; beim Erhitzen von Oxalsäure und bei Zer-
setzung der Blausäure ($. 525). — Die letztere Reaction ist desshalb von
besonderem Interesse, weil sie deutlich zeigt, dass die Blausäure, die
früher ($. 525) als Wasserstofifverbindung des Radicals Cyan beschrieben
wurde, das Nitril der Ameisensäure ist.
Darstellung. Man bereitete die Ameisensäure früher durch De- 882.
stUlation der Ameisen mit Wasser. Bessere Ausbeute gibt die Destillation
von Stärke (10 Th.) mit Braunstein (37 Th.), Schwefelsäure (30 Th.) und
Wasser (30 Th.) ***). Am zweckmässigsten ist die von Berthelot f )
angegebene Methode.
Man erhitzt gleiche Mengen krystallisirter Oxalsäure und Qlyeerin in einer
*) Die Ameisen spritzen im gereizten Zustand Ameisensäure aus. Blickt man
horizontal Über einen frisch zerstörten Ameisenhaulen hin, so sieht man einen
förmlichen Regen kleiner Tröpfchen sich erheben, die aus sehr concentrirter
stark ätzender Ameisensäure bestehen.
««) Ann. Chem. Pharm. XCVIL 125.
•••) ibid. XVIL 69.
t) ibid. XCYUL 189.
544 PeUe Sfturen.
Retorte auf etwa 110<^, bis alle Entwicklung von Kohlensäure aufgehört hat Man
setzt dann Wasser zu und destillirt eine der zugesetzten Wassermenge gleiche
Menge Flüssigkeit ab. Man wiederholt dieses Zusetzen von Wasser und Abdestil-
liren so lange als noch Ameisensäure überdestillirt (Auf 1 Kilogr. Oxalsäure mfis-
sen 6 — 7 Liter Flüssigkeit abdestillirt werden, man erhält dann sehr nahe die der
Theorie nach mögliche Menge Ameisensäure). Das rückständige Glycerin kann sn
neuen Darstellungen verwendet werden. Der Vorgang bei dieser Darstellung ist
wahrscheinlich folgender. Es entsteht zunächst, unter Entweichen von Eohlenaäure
ein Glycerid der Ameisensäure, beim Kochen mitWaseer wird dieses Qlycerid zer-
setzt in Glycerin und Ameisensäure.
Trockne Ameisensäure (Ameisensfturehjdrat) erhält man am
sweckmässigsten durch Zersetzen des ameisensauren Blei's mit Schwefel-
wasserstoff.
Man nimmt diese Operation in einer tubulirten Retorte vor,, die man im
Wasserbad erhitzt Das Product wird durch Rectification über ameisensaures Blei
vom gelösten Schwefelwasserstoff gereinigt
Bei dieser Darstellung entsteht häufig ein weisser krystallirender, knoblauch-
artig riechender Körper, der in etwas grösseren Mengen erhalten wird, wenn man
das ameisensaure Blei während des Ueberleitens von Schwefelwasserstoff auf 200*
•^800* erhitzt limpricht hält diese Substanz fÜrThioformylsäure = 6H4OS;
d. h. für Ameisensäure, in welcher die Hälfte des Sauerstoffs durch Schwefel er-
setzt ist
888. Eigenschaften. Das Ameisensäurehydrat ist eine wasserhelle
Flüssigkeit Yon stechendem Geruch und stark saurem Geschmack; es er-
seugt auf der Haut Blasen. Sp. Gew. 1,2353. — Der Dampf ist brennbar.
Die Ameisensäure zerfiLllt beim Erwärmen mit concentrirter Schwefelsäure
in Eohlenoxyd und Wasser. Man hat:
Ameisensäure.
OHjO) ^^^ GO -y- HjO
Durch Chlor wird sie in Salzsäure und Kohlensäure zersetzt:
eHjOj + CI2 = 60, + 2 HCl
Oxjdirende Substanzen verwandeln sie leicht in Kohlensäure und
Wasser.
Die Ameisensäure reducirt daher beim Kochen salpetersaures Silberoxyd und
salpetersanres Quecksilberoxyd unter Abscheidung von Metall. Da bei der Zer-
setzung Gasentwicklung stattfindet, so scheidet sich das metallische Silber nicht
als Spiegel aus (wie bei Aldehyd), sondern als graues Pulver. Quecksilberchlorid-
lösung wrd von Ameisensäure reducirt unter Bildung von Quecksilberchlorfir.
Diese Reductionen hönnen zu* Erkennung der Ameisensäure benutzt werden; noch
charakteristischer ist das nachher zu erwähnende Verhalten der bei Einwirkung
von Quecksilberozyd auf Ameisensäure entstehenden Quecksilbersalze.
Durch Erhitzen ameisensaurer Salze mit überschflssi(;em Alkali (am
Ameisensäare. 545
besten Barythjdrat) wird unter Wasserstoffen twicklung oxalsaures Sabs
erzeugt. Man hat:
Ameisensäure. Oxalsäure.
2eH2ea = eaHjO^ + H,
Ameisensaure Salze. Die Ameisensäure ist eine einbasische 884.
Säure, sie bildet indess einige ttbersaure Salze*), die jedoch weniger
leicht rein erhalten werden als die entsprechenden essigsauren Salze.
Man kennt das saure Kali- und das saure Natronsalz: E\^ *^ 6H2O2.
Alle ameisensauren Salze sind in Wasser leicht löslich; am schwerlös-
lichsten sind das Bleisalz (36 Th.) und dasQuecksilberoxjdulsalz
(520 Th. Wasser). Das Bleisalz wird dieser genügen Löslichkeit wegen
in Form weisser Erystallnadeln gefällt, wenn man einer Lösung von
essigsaurem Biei Ameisensäure oder ein ameisensaures Salz zusetzt; es
kann bisweilen zur Trennung der Ameisensäure von der Essigsäure ver-
wendet werden.
Das Ameisensäure-Ammoniak ist krystallisirbar. Es zerfällt
bei raschem Erhitzen in Blausäure und Wasser:
Ameisens. Ammoniak. Cyanwasserstoff.
^je = eNHftOa = eNH + 2Hae
Umgekehrt gibt Cjanwasserstoff, wie früher erwähnt (§. 525), unter
Aufnahme von Wasser ameisensaures Ammoniak. Beide Reactionen cha-
rakterisiren die Blausäure als Nitril der Ameisensäure (Formonitril).
Die krjstallisirten ameisensauren Salze *♦) enthalten bisweilen Kry-
Btallwasser. Z. B.:
Aequivalent- Atomistische Mole-
formeln, cularformeln.
Ameisensaures Natron ^^}o + H^e ; ^^}^ + H^O
Ameisensaures Strontian ^^^|^ + ^2^ \ ^^^^Mo» + 20^0
Ameisensaurer Zink ^"^}^ + H^e ; ^^^^^le,. + 2Ha0
' Zu'
Besondere Erwähnung verdienen die Quecksilbersalze der Amei-
sensäure. Schüttelt man wässrige Ameisensäure mit Quecksilberoxyd, so
•) B ine au, Ann. Chem. Pharm. LXlV. 320. vgl. Helntz, ibid. C. 371.
••) Vgl. Jahresber. 1869. 828.
KekoU, orgaa. Cheaiie. 35
546 ^ette SäureA.
entsteht eine klare Lösung, welche ameisensaures Queoksiiberoxyd eoütfüt
Bei gelindem Erwärmen (und selbst in der Kälte nach einiger Zeit) et"
starrt diese Lösung zu einem Brei weisser Krystallblättchen von ameisen-
saurem Quecksilberoxjdul, während Kohlensäure entweicht. Erhitzt man
bis zum Sieden, oder lässt man längere Zeit stehen, so scheidet sich un-
ter weiterer Entwicklung von Kohlensäure metallisches Quecksilber aus.
Man hat:
Ameisensaures Ameisensaures Ameisensäure.
Quecksilberozyd. Quecksilberoxydul.
2
Hg' (Hg,)' "*
Ameisensaures Quecksilber. Ameisensäure.
Quecksilberoxydul.
(OHO),^^ = 2 Hg + en^ea + ee,.
(Hga)f
835. Aetherarten der Ameisensäure. Man kennt bis jetzt:
GHOi
Ameisensäure-Methyläther ßj^ |0
OHO)
Ameisensäure- Aethyläther o o (^
OHO i
Ameisensäure-Amyläther o tj | O
Der erstere wird bei Destillation von ameisensaurem Natron mit Schwefel-
säure-Methyläther, die beiden anderen durch Destillation von ameisen-
saurem Katron (7 Th.) mit einem Gemenge von Aethylalkohol (6 Th.)
und Schwefelsäure (10 Th.) oder mit einem Gemenge von Amylalkohol
(7 Th.) und Schwefelsäure (6 Th.) erhalten. Die physikalischen Eigen-
schaften dieser Aetherarten sind §. 906 mitgetheilt.
Beim Erhitzen mit Schwefelsäure zerfällt der Ameisensäure - Aethyl-
äther in Aethylschwefelsäure und Kohlenoxyd:
Ameisensäure- Aethylschwefel-
Aethyläther. säure.
Substitutionsproducte der Ameisensäure und ihrer
Aetherarten.
886. Man kennt bis jetzt keine Substitutionsproducte der Ameisenafture.
Bei Einwirkung von Chlor zerfällt die Ameisensäure, wie schon erwähnt,
in Kohlensäure und Salzsäure.
Ameisensfiare. Substitutionsproducte. 547
Körper, die als Aetherarten der einfach geoblortenAmeisensäure be-
trachtet werden können, entstehen bei Einwirkung von Carbonylchlorid
= eOClj (Phosgen) auf Alkohole:
Chlorameisen- Chlorameisen- .Chlorameisen-
methyläther. äthjläther. amylftther.
ecieu öcie>^ ecie/^
eH,i^ eAi^ e,H„r
Diese Substanzen können andererseits (vgl. $. 797) betrachtet wer-
den, als:
Chlorkohlensäure- Chorkohleos&ure- Cblorkohlensäure-
methylftther. . &thyl&ther. amyl&ther.
eo )Ci e e jci e e jci
€H,{e e^H^le e^^ni^
Die letzteren Formeln diilcken die Bildungs - und Zersetzungsweisen dieser
Aetherarten aus. Die ersteren zeigen nur die Analogie mit den Aethem der Mono-
chloressigsäure , denn man hat diese Körper bis jetzt weder aus Ameisensäure er-
halten, noch in Ameisensäure übergeführt, was indess wahrscheinlich durch
Einwirkung von Zink oder Katriumamalgam gelingen wird (vgl. Carbonylverbin-
dungen).
GCIO)
Perchlorameisen'methjl&ther = ^^j >G = €2C]40s, ist
von Gafaours*) durch Einwirkung von Chlor im Sonnenlicht uufAmeisen-
sfturemethjläther erhalten worden. Es ist eine stechend riechende, bei
180»— 185« siedende Flüssigkeit.
Er ist isomer mit Carbonjlchlorid (Phosgen) und geht in der
That beim Durchleiten seiner Dämpfe durch ein auf 350<^ erhitztes Rohr
fast vollständig in dieses über:
€2Ci4e, = 2eeci2.
Er bildet mit Weingeist Chlorkohlensäureäthyläther (siehe oben)
verhält sich also, als ob er das mit ihm isomere Carbonylchlorid wäre. Wässri-
gcs Ammoniak wird tou dem Aether mit Heftigkeit zersetzt, unter Bildung von
Thichloracetamid und Salmiak. Diese Reaction ist leicht erklärlich, wenn
man bedenkt, dass der Perchloramcisenmethyläther dieselbe Zusammensetzung hat,
wie völlig gechlorte Essigsäure, d. h. wie Untercblorigsäure-Trichloressigsäure.
Man hat:
eciei
ealh = ^»^'*^^ = ^'^''SK
^) Ann. Chem. Pharm. LXIV. 315.
35 •
548 ' Fette Säuren.
Die Reaction ist dann folgende:
N
Trichloracet- Unterchlorige
amid. Säure.
(H
H
H
_7s^re,ci3e) ^
Cl )
und die unterchlorige Säure zersetzt gleichzeitig Ammoniak unter Freiwerden von
Stickstoff und Bildung von Salmiak.
Durch Einwirkung von Chlor auf Ameisensäureäthyläther haben Ma-
laguti *) und Cloez **) zwei Substitutionsproducte erhalten :
zweifach gechlorter
Ameisensäureäthyläther QJlJoX^^
völlig gechlorter
Ameisensäureäthyläther 69 Cl^Oa
Beide sind nicht ohne Zersetzung destillirbar; der letztere ist identisch mit Per-
chloressigsäuremethyläther (§. 879). Er zerfallt beim Durchleiten seines
Dampfes durch ein schwachglühendes Porzellanrohr in Trichloracetylchlorid
(§. 884) und Carbonylchlprid:
Prochlorameisen- Trichloracetyl-
äthyläther. chlorid.
■ft PI 1 "" vjCl^vj SS ^201^0^ -p ^O'Clj
Durch Wasser oder Alkalien wird er zerlegt unter Bildung von Trichloressi^
säure:
Trichloressigsäure.
eStK ^ ^^^ "^ ^aCi,ej^ 4. eoj, 4. ohci.
Mit Alkohol liefert er: Trichloressigsäure äthyläther neben Chlorkoh-
lensäureäther (Chlorameisensäureäther, siehe oben):
Clilorkohlen- Trichloressig-
säureäther. ^äther.
Bei Einwirkung von wässrigem Ammoniak entsteht Trichloracetamid:
Trichloracetamid.
LOaClaO
St}^ + NH3 = nJh' ' 4- eeci, +
HCl.
*) Ann. Chem. Pharm. XXXIL 89.
••) ibid. LX. 269.
AcetylTerbindungeK. 549
. Die im Vorhergehenden besprochenen völlig gechlorten Aetherarten der
Ameisensäare bieten in theoretischer Beziehung ein besonderes Interesse dar, weil
ihr Verhalten deutlich zeigt, wie durch den Einfluss der individuellen Natur der
in eine Verbindung eintretenden Elemente der chemische Charakter der Verbindung
gelindert werden kann (vgl. Perchloräthylfither §. 689.
Die Bildung von Trichloracetamid aus Perchlorameisen-methjlfither ist dess-
halb noch besonders interessant, weil aus Verbindungen der Methyl- und der For-
mylgruppe, aus Methylalkohol und Ameisensäure, die beide nur 1 At. 6 im Mo-
lecül enthalten, eine Verbindung entsteht, die 2 Atom Kohlenstoff im Molecül
enthtilt und der Acetylgruppe zugehört, und die sogar in Essigstture übergeiührt
werden kann. So dass also die erwähnte Reaction (seit 1846) ein Mittel an die
Hand gibt, die Essigsfture synthetisch aus Ameisensäure und Holzgeist darzustellen.
Acetylverbindungen.
[Radical: Acetyl = ©aHaO.]
Da die Acetylverbindungen in den allgemeinen Betrachtnngen über die Ver-
bindungen der einatomigen Säureradieale fast ausschUesslich als Beispiele benutzt
wurden, so kann hier in Bezug auf viele Bildungs • und Zersetzungsweisen auf das
dort, Mitgetheilte verwiesen werden (vgl. §§. 793 — 816). Eine Uebersicht der Ver-
bindungen des Radicals Acetyl nach der Typentlieorie ist §. 803 gegeben.
Aldehyd, Acetaldehyd = e,H40. [Acetylhydrür = ^*^»gj]. 837.
Der Aldehyd wurde von Döbereiner 1821 durch Oxydation des Alko-
hols mittelst Platinmohr erhalten und als leichter Sauerstofi&ther be-
schrieben (vgl. S. 847); Lieb ig*) stellte seine Zusammensetzung fest
und untersuchte ihn genauer. Der Aldehyd entsteht, wie früher er-
wähnt, bei Oxydation des Alkohols und anderer Aethylverbindungen
(▼gl> $. 803) z. B. der Aethylsehwefelsäure-, bei trockner Destillatioii
eines Gemisches von essigsaurem Salz mit ameisensaurem Salz ($. 804);
durch Einwirkung von Chlorzink auf Glycol ($. 820) ; bei Zersetzung der
Milchsäure durch oxydirende Substanzen oder durch den galvanischen
Strom**) (8. 821), etc.
Darstellung. Man destillirt bei sehr gut abgekühlter Vorlage 2 Theile
80 procentigen Weingeist mit 3 Th. Brannstein, 3 Th. Schwefelsäure and 3 Th.
Wasser^ bis das Destillat 3 Th. beträgt und Lakmus zu röthen anßingt Man rec-
tificirt dieses Destillat 2 mal über gleichviel Chlorcalcium und stellt aus dem Pro-
duct Aldehydammoniak dar, indem man es mit dem doppelten Voluni Aether
'*) Ann. CheuL Pharm. XIV. 183.
••) Kolbe, ibid. CXIIL 244.
550 Acctylverbindungcri.
mischt und Ammoniakgas einleitet (Liebig). — Man sättigt ein Geiniscli von Alko-
hol mit 2 Th. Wasser unter Abkühlen mit Chlorgas, destillirt '/jo ab, rectificirt
über Chlorcalciam und verfährt weiter wie oben (Liebig). — W. u. R. Rogers bringen
1 Th. säur, chromsaures Kali und 1 Th. Weingeist in eine Retorte und lassen 1'/, Th,
Schwefelsäure tropfenweise zufliessen-, das Destillat kann direct mit Aether ge-
mischt und Ammoniak eingeleitet werden. — Stadel er bringt 3 Th. chroms&u-
res Kali, 4 Th. Schwefelsäure, 12 Th. Wasser und 3 Th. Alkohol in eine mit
Kältemischung abgekühlte Retorte und entfernt dann die Kältemischung, worauf
die Reaction von selbst eintritt. In der auf 50* erwärmten Vorlage verdichtet aich
Wasser, während der aus der Vorlage entweichende Aldehyd in abgekühltem
Aether aufgefangen wird.
Bei allen diesen Darstellungen bereitet man zunächst Aldehydammoniak.
Um aus diesem den Aldehyd abzuscheiden, destillirt man die Lösung von 2 Th.
Aldehydammoniak in 2 Th. Wasser mit einem Gemenge von 3 Th. Schwefelsäure
und 4Th. Wasser im Wasserbad und rectificirt das Product mehrmals über Chlor-
calcium.
886. Eigenschaften. Der Aldehyd ist eine wasserhelle Flassigkeit,
von eigenthümlich betäubendem Geruch. Er siedet bei 20®; spec. Gew.
0.801 bei 0^ — Er mischt sich mit Wasser, Alkohol und Aether in je-
dem Verhältniss. Er oxydirt sich leicht zu Essigsäure, schon durch den
Sauerstofif 4er Luft, leichter durch oxydirende Substanzen.
Der Aldehyd reducirt daher aus Silbersalzen metallisches Silber, welches
sich als spiegelnde Fläche an die Glaswand anlegt Man setzt zur Ausführung die-
ser Reaction, die bisweilen zum Nachweis des Aldehyds benutzt werden kann, zu
der den Aldehyd enthaltenden Flüssigkeit sälpetersaures Silberozyd und einen
Tropfcfn Ammoniak und erwärmt gelinde.
Leitet man Aldehyddampf über glühenden Natronkalk, so wird un-
ter Wasserstoffentwicklung essigsaures Natron gebildet (§. 805). Dureh
Erwärmen von Aldehjd mit wässrigem oder weingeistigem Kali entstehl
eine gelbe oder rothbraune harzartige Materie, s. g. Aldehydharz, deren
.chemische Natur noch nicht erforscht ist.
839. Polymere Modificationen des Aldehyds. Der Aldehyd
zeigt eine grosse Neigung durch moleculaxe Cmlagerung in gleichzusam-
mengesetzte Körper von verschiedenen Eigenschaften aberzugehen. Man
kennt drei aus dem Aldehyd entstehende polymere Modificationen.
1) Metaldehyd. Wenn Aldehyd in zugeschmolzenen Röhren aufbe-
wahrt wird , so bilden sich glänzende , prismatische Krystalle , die in
Wasser unlöslich sind und bei 120® sublimiren, ohne vorher za
schmelzen (Liebig) *). Dieselbe Modification entsteht (neben Paral-
dehyd), wenn man ein Gemenge von Aldehyd und Wasser, nadi
Zusatz eines Tropfens Schwefelsäure oder Salpetersäure längere Zeit
giner Temperatur unter 0^ aussetzt (Weidenbüsch) *♦). Der Metalde-
•) Ann. Chem. Pharm. XIV. 141.
••) ibid. LXVI. 1Ö5.
Aldehyd. 551
byd geht beim Erhitzen in zugeecbmoizenen Röhren auf 180^^200^
wieder in Aldehyd über.
2) Paraldehyd. Wird neben Metaldehyd nach der zuletzt angegebe-
nen Methode erhalten. Er entsteht auch, wenn man Aldehyd mit
schwefliger Säure sättigt und einige Tage stehen lässt (Oeuther und
Cartmell *). Man erhält ihn ferner durch Erhitzen von mit Cyan
gesättigtem Aldehyd auf 100®, oder durch längeres Erhitzen von Al-
dehyd mit Jodäthyl auf 100® (Lieben). **)
Der Paraldehyd ist eine aromatisch riechende Flüssigkeit, die bei
+ 12® erstarrt und bei 124® siedet; er ist in Wasser nur wenig lös-
lich, mischt sich dagegen mit Aether. Beim Erwärmen mit wenig
Schwefelsäure geht er wieder in Aldehyd über.
Der Paraldehyd hat nach seiner Dampfdichte (gefunden: 4,58; 4,71)
die Molecularformel: ©eHijOa = 3 621140 (vgl. J. 849).
Der von Fehling ***) durch Einwirkung von Winterkälte auf Al-
dehyd erhaltene Elaldehyd, der bei +2® schmilzt und bei 94®
siedet, scheint mit Paraldehyd identisch zu sein. Jedenfalls kommt
ihm nach der Dampfdichte (gefunden: 4,51) dieselbe Molecularfor-
mel zu.
3) Acraldehydf). Wenn Aldehyd mit Chlorzink erhitzt wird, so
geht er zum Theil in diese polymere Modification über. Auch bei
Einwirkung von Ghlorzink auf Olycol entsteht diese Modification
neben gewöhnlichem Aldehyd. Der Acraldehyd ist eine stechend rie-
chende Flüssigkeit, die sich in Aether, Alkohol und Wasser löst und
Silbersalze reducirt. Er siedet bei 110®. Seine Dampfdichte (ge-
funden: 2,877) führt zur Molecularformel: 6411,02 = 262H4O (vgl.
S. 849).
Mit dem Aldehyd ist ferner isomer das Aethylenoxyd (§. 966).
Verbindungen des Aldehyds. Kalium und Natrium lösen sich 840.
in Aldehyd unter Wasserstoffentwicklung auf. Die entstehenden Verbin-
dungen sind noch nicht näher untersucht.
Aldehydammoniak ff). Der Aldehyd vereinigt sich direct mit
Ammoniak zu einer kr^'stallisirbaren Verbindung, die leicht durch Ein-
leiten von Ammoniak in ein Gemisch von Aldehyd (selbst unreinem) mit
Aether erhalten wird. Man kann diese Verbindung betrachten als Al-
dehyd, dessen typischer Wasserstoff durch Ammonium ersetzt ist, d. h.
•) Ann. Cbem. Pharm. CXII. 16.
••) Sitzungflb. d. Wiener Akademie.
•••) Ami. Chem. Pharm. XXVÜ. 319.
t) Wartz, A Bauer. Repwt de Chimie. 1860. 244.
tt) Döbereiner, 1885. liebig, Ann. Chem. Pharm. XIV. 133.
552 Acetylverbindangen.
ÜB Amtkioniümacetylür; oder auch als dem Typus Ammoniumozjdhydrat
zugehörige VerbinduDg des Radicals: GJB^ (vgl §. 849).
e^E^Q) oder H{N
2H,e> oder El
NH4I gIeA
HJ
e
Das Aldehjdammoniak krjstallisirt in durchsichtigen Bhomboedern , die
bei 70 — 80® schmelzen und bei 100® zum grossen Theil unverändert de-
stiUiren. Es löst sich leicht in Wasser, weniger in Alkohol, noch weni-
ger in Aether. Beim Aufbewahren ftrben sich die Krjstalle, besonders
wenn sie feucht sind, gelb; werden sie unier Aether aufbewahrt, so zer-
fliessen sie zu einem gelben Oel. Das Aldehjdammoniak wird von 8&a-
ren leicht zersetzt unter Freiwerden von Aldehyd; es entwickelt aber mit
Alkalien in der Kälte kein Ammoniak. Bei trockner Destillation liefert
es eine eigenthümliche Base (§. 850).
Schwefligsaures Aldehydammoniak. Das Aldehydammo-
niak verbindet sich direct mit schwefliger Säure zu einer krystallisirbaren
Verbindung: O2H40.KH3.SO29 ^^^ ^^^^ leicht in Wasser löst und von
Säuren in ihre Bestandtheile zerlegt wird (Redtenbacher) ♦). Diese Ver-
bindung ist isomer mit Tau r in.
Beim Erhitzen von schwefligsaurem Aldehydammoniak in einem zugeschmol-
zenen Rohr auf 150^ oder auch bei Destillation mit Kalk entsteht neben andexen
Producten eine flüchtige Ba^e, die anfangs ftir AeÜiylamin gehalten, später aber
^8 Dimethylamin erkannt wurde ••) (§. 716.).
Eine beständigere Modification dieses schwefligsauren Aldehydammoniaks
wird erhalten, wenn man auf das oben erwähnte braune zerflossene Aldeh3''dam-
moniak schweflige Säure einwirken lässt (Petersen) •♦•).
Durch Einwirkung von Schwefelwasserstoff auf Aldehydammoniak entsteht
Thialdin (§. 848). — Durch Einwirkung von Schwefelkohlenstoff erhält man Carbo-
thialdin = 65HHJN2S2 (^'gl- b^i Schwefelkohlenstoff). ■— Wird Aldehydammoniak
mit Blausäure und Salzsäure zusammengebracht, so entsteht Hydrocyanaldin =
69H13N4 und beim Erhitzen Alanin (= Lactaminsäure).
Der Aldehyd verbindet sich ferner direct mit sauren schwefligsauren
Alkalien zu krystallisirbaren Verbindungen, die gerade wie die entspre-
chenden Verbindungen der andern Aldehyde, durch Schütteln von Aldehyd
mit der Lösung des sauren schwefligsauren Salzes erhalten werden.
Die so dargestellte Ammoniakverbindung scheint wasserhaltig und von dem
oben erwähnten schwefligsauren Aldehydammoniak verschieden zu sein.
•) Ann. Chem. Pharm. LXV. 40.
••) Gössmann, ibid. XCI. 122. -- Petersen, ibid. CIL 317.
•••) ibid. CIL 824.
Aldehyd 553
Abkömmlinge des Aldehyds.
Der Aldehyd zeigt, bei Einwirkung verschiedener Substanzen, ein 841.
höchst eigenthümliohes Verhalten. Je nach der Natur der einwirkenden
Substanz erfolgt der Angriff auf das Aldehydmolecül bald von der einen,
bald von der andern Seite. Bei einzelnen Reactionen wird zunächst der
Wasserstoff (1 Atom) entzogen und durch andere Elemente vertreten;
bei anderen ist der Sauerstoff zunächst der zersetzenden Wirkung ausge-
setzt; bei einer dritten Gruppe von Zersetzungen löst sich gleichzeitig der
Sauerstoff und 1 Atom Wasserstoff vom Aldehydmolectll los; bei noch
anderen Reactionen endlich verbindet sich der Aldehyd direct mit der
einwirkenden Substanz.
I. Lässt man Chlor auf Aldehyd einwirken , indem man trocknen
Aldehyd in einen mit Chlor gefüllten Ballon einträgt, so entsteht wesent-
lich Acetylchlorid ♦).
Aldehyd. Acetylchlorid.
e,H,o[g ,^v^ ^^)ci = eAo.ci + hci
Der Aldehyd verhält sich also bei dieser Reaction wie das Hydrür des
Radicals Acetyl (= eaHjO).
IL 1) Bei Einwirkung von Schwefelwasserstoff auf wässrigen AI- 842.
dehyd wird der Sauerstoff durch Schwefel ausgetauscht und es entsteht
eine weisse, krystallisirte, in Alkohol und Aether lösliche, schon bei 46^
sublimirende und knoblauch artig riechende Substanz: Der Sulfal dehyd
Aldehyd. Sulfaldehyd.
Es wird bei dieser Einwirkung zunächst ein nach Knoblauch riechendes Oel
gebildet (6-62H4S, Haß), das beim Erhitzen sich zersetzt mit Zurücklassung von
krystallinisch erstarrendem Sulfaldehyd, und aus welchem Säuren unter Schwefel-
wasserstoffentwicklung Sulfaldehyd ausscheiden ♦•).
2) Setzt man zu einer Lösung von Aldehyd in Wasser Ammoniak 848.
und leitet dann Schwefelwasserstoff ein, so scheiden sich bald Erystalle
einer schwefelhaltigen Base: Thialdin = CeHisNSj aus. (Liebig und
Wöhler) **). Man hat:
3 Mol. Aldehyd. Thialdin.
3 e^ä^e + NH3 + 2 HjS = eeHisNSj + 3 H^e
•) Wurtz, Ann. Chem. Pharm. CIL 324. Jahresb. 18Ö7. 346.
••) Weidenbusch, ibid. LXVL 168.
•••) Liebig und Wöhler, ibid. LXL 1.
554 Acetylverbindungen.
Dieselbe Verbindung entsteht auch, wenn auf das oben erwähnte, als
Vereinigung von Schwefelwasserstoff mit Schwefelaldehyd zu betrachtende
Oel, Ammoniak einwirkt. Man hat:
3 Mol. Schwefelaldehyd. Thialdin.
3G2H4S + 2NH3 = GeHiaNSa + NH4Jg
Das Thialdin krystallisirt in wohlansgcbildeten Krystallen, die bei 4S*
schmelzen, bei gewöhnlicher Temperatur allmfilig sublimiren, mit Wasserdämpfen
unverändert flüchtig sind, während sie beim Erhitzen für sich Zersetzung erleiden.
Es ist in Wasser wenig löslich, leicht löslich in Alkohol und Aether.
Das Thialdin bildet mit Säuren krystallisirbare Salze. Z. B. :
Salzsaures Thialdin. Salpetersaures Thialdin.
e.H„NSa . HCl 6eHi,NSa . HO^N.
Es bildet mit Metallsalzen Niederschläge, die sich meist allmäüg zersetzen,
indem Schwefelmctall , ein Ammoniaksalz und Aldehyd gebildet wird.
Durch Einwirkung von Methyljodid , Aethy^odid oder Amyljodid kann 1 At
Wasserstoff des Thialdins durch ein Alkoholradical ersetzt werden (Hofmann) ^}.
Man erhält so z. 6. das:
Methylthialdinjodid.
e,Hja(eH,)NSa.HJ.
Lässt man auf dieses Salz Silberoxyd einwirken, so entsteht augenblicklich Jod-
silber und gleich darauf, unter Zersetzung der Base : Schwefelsilber, Aldehyd, Am-
moniak und Tetramethylammoniumoxydhydrat.
Durch Einwirkung von Selenwasserstoff auf Aldehydammoniak wird eine
dem Thialdin entsprechende Selen Verbindung , das Selenaldin = G^Hi^NSe^ er-
halten, (licbig und Wöhler).
844. 3) Phosphorsuperchlorid wirkt auf Aldehyd unter Wärmeenlwick-
lung ein **).
Aldehyd. Aethylidenchlorid.
e.Hjo jX^ c^2]ciaP = 6,H4Ci 4- pecia
Das Product (Aethylidenchlorid) siedet bei 60'; es ist, nach Beil-
stein***), identisch mit Monochloräthylchlorid (§. G90), aber verschieden
von dem isomeren Aethylenchlorid (§. 953).
4) Phosphorsuperbromid wirkt in derselben Weise wie die entApre-
chende Chlorverbindung. Es entsteht: Aethylidenbromid =:62H4Br2,
eine gelbe in Wasser unlösliche Flüssigkeit, die schon bei geringer Tem-
•) Hofmann, Ann. Chem. Pharm. CHI. 98.
••) Wurtz — Geuther, ibid. CV. 321. — Jahresb. 1858. 288.
••*) Ann. Chem. Pharm. CHI. 110. — Jahresb. 1859. 330.
Aldehyd. 555
peraturerhöhung unter steter Entwicklang Ton Bromwasserstoffdämpfen
zersetzt wird *).
5) Salzsäuregas wird von reinem Aldehjd absorbirt, es entsteht: 845.
Aethylidenoxychlorid = e4H8eCl2 = I^h^cIj!' ^^ ^^^ ^^^*^
117* siedet (Lieben)**). Die Reaction erfolgt nach dem Schema:
2 Mol. 2 Hol. Aethyliden-
Aldehyd. Salzsäure. oxychlorid.
■G H O
6) Nach Geuther u. Cartmell ♦**) geht der Bildung des Aelhy-
lldenoxychlorid's , die Bildung eines Körpers voraus, der die Zusammen-
Setzung: GgHijejClj = ©2^4. 0 \ besitzt, und der leicht (z. B. wenn
e,H4.Cl3\
durch die auf 60« — 80» erhitzte Substanz KohlensÄure geleitet wird) in
Aldehyd und Aethylidenoxychlorid zerfällt.
7) Leitet man durch ein Gemenge von Aldehyd mit abs. Alkohol
trocknes Salzsäuregas, so entsteht eine bei 96 — 100^ siedende Verbin-
düng von der Zusammensetzung f ) : G4H9©C1 = ^^jj* ' Cl \ ' ^^^ *'®
eine Vereinigung von Aldehyd mit Aethylchlorid betrachtet werden
kann.
8) Erhitzt man Aldehyd mit Acetyl chlor id im Wasserbad, so 846.
GH O ^
verbinden sich beide und es entsteht: G4HYG2CI = g^H*0*cil tt)»
Dieselbe Verbindung wird auch (neben Acetylchlorid §. 859) erhalten , wenn
Chlor auf Aldehyd einwirkt fff). Sie siedet bei 120— 124<> und wird von Alka-
lien und von heissem Wasser zersetzt zu: Aldehyd, Essigsäure und Salzsfturc.
9) Wird Essigs&ureanhydrid (§. 862) mit Aldehyd auf 180«
erhitzt, so treten beide Körper direct zusammen und bilden eine bei
168^,8 siedende Flüssigkeit, von der Zusammensetzung*): G5HJQ04 =
G2H4 . B
GaHgO^rv
GjHaOr
*) Wurtz u. FrapoUi, Ann. Chem. Pharm. CVIII. 223. — Jahresber. 1858. 290.
••) Ann. Chem Pharm. GVL 336. — Jahresber. 1858. 291.
•••) ibid. CXn. 1. — ibid. 1869. 385.
+) Wurtz u. Frapolli, loc. cit.
++) Simpson, Ann. Chem. Pharm CIX. 156. Jahresb. 1858. 293.
ttt) Wurtz, loc. cit. S. 553.
•) Geuther, Ann. Chem. Pharm. CVI. 249. — Jahresb. 1858. "092.
556 Acetylverbindnngen.
847. An die zuletzt beschriebenen Körper schlieast sich eine schon seit
länger bekannte Substanz an. Das:
Acetal = ©«Hi^e = ©^H*)* (.
Das Acetal wurde von Döbereiner als Product der Oxydation des Alko-
hols durch Platinmohr entdeckt und als schwerer Sanerstoffäther beschrieben;
es wurde dann von Lieb ig •), vonStas ••) und zuletzt von Wurtz •♦•) genauer
untersucht. Man erhält es durch Oxydation des Alkohols *, am zweckmässigsien, in-
dem man Alkohol mit Braunstein und Schwefelsäure destillirt (Verhältnisse wie
bei der Darstellung des Aldehyds nach Liebig § 8S7) und den über 60® siedenden
Theil durch Chlorcalcium, Kalilauge und fractionirte Destillation reinigt.
Das Acetal siedet bei 104<>, es löst sich in 18 Th. Wasser von 25*
und ist mit Alkohol und Aether mischbar. Bei Einwirkung von Salzsäure
liefert es Aethylchlorid und charakterisirt sich so als eine Aethylver-
bindung.
Wird ein Geraenge von Aethylalkohol und Methylalkohol mit Braun-
stein und Schwefelsäure destillirt, so erhält man ausser Acetal noch zwei
dem Acetal ähnliche Substanzen: Das Dimethyl-acetal (Sied. 55^
und das Methyl-äthyl-acetal f) (Siedep. 85). Man hat:
Dimethylacetal.
Hetbjlftthylacetal.
Di&thylacetal
(Acetal).
GiH« . e
^2l^4 • ^
G,H4.0
OH.U
Das Acetal (Diäthylacetal) zerfällt bei manchen Zersetzungen in Al-
dehyd und eine Aethylverbindung und es kann umgekehrt aus Aldehyd
und einer Aethylverbindung künstlich erhalten werden.
So entsteht z. B. bei längerem Erhitzen von Acetal mit Essigsäurehydrat auf
150—200«, Aldehyd und Essigsäureäthylätlier ft):
•) Ann. Chem. Pharm. V. 27.
••) ibid. LXIV. 322.
•••) ibid. C. 116.
f) Eine andere dem Acetal wahrscheinlich entsprechende Verbindung, die sich
aus dem Methylalkohol herleitet und durch Destillation von Methylalkohol
mit Braunstein und Schweielsfiure erhalten wird, ißt das Methylal =
9,HgOa = ^Hjl^ ] Siedep. 42®. Das s. g. Form o methylal ist nach
6H,f
Malaguti ein Gemenge von Ameisensäuremethyläther und Methylal. [Vgl.
Kaue, Ann. Chem. Pharm. XIX. 176; Dumas, ibid. XXVIL 135; Malaguti,
ibid. XXXII. 66.]
tt) Hofacker n. Beilsteiu, Ann. Chem. Pharm. CXU. 239. — Jahresb. 1859. 881.
AcetaL 557
Acetal. Essigsäure. Aldehyd. Essigäther.
Bei Einwirkung von Phosphorsuperchlorid auf AcetaJ entsteht: Aethylchlorid,
Phosphorozychlorid und wahrscheinlich auch Aethylidenchlorid *). Umgekehrt kann
nach Wurtz und Frapolli **) Acetal erhalten werden, wenn Aethylidenbromid
(§. 844) auf Natriumäthylat, oder auch wenn Aldehydäthylchlorid (§. 845) auf Na-
triumäthylat einwirkt Man hat:
+ 2 NaBr.
NaCl.
Bei allen im Vorhergehenden zusammengestellten Reactionen verhält 848.
sich der Aldehyd wie ein Oxyd des zweiatomigen Radicals: ^2^^; also
0
entsprechend der Formel: €2114.0. — Es werden später, gelegentlich des
Olycols, Verbindungen beschrieben werden, die mit den oben bespro-
chenen Abkömmlingen des Aldehyds isomer, d. h. die bei gleicher Zu-
sammensetzung in den Eigenschaften verschieden sind ($. 939).
Zu denjenigen Abkömmlingen des Aldehyds, deren Bildung durch Annahme
des iweiatomigen Radicals: O3H4 in einfacher Weise gedeutet werden können, ge-
hören noch das oben (§. 840) beschriebene Aldehydammoniak, die bei Ein-
wirkung von Cyansäure auf Aldehyd entstehende Tri gensäure (vgl. Amide der
Kohlensäure) und dad bei Einwirkung von Schwefelkohlenstoff auf Aldehydammo-
niak entstehende Garbo thialdin.
Im Folgenden sind die oben beschriebenen Abkömmlinge des AI- 849.
dehyds nochmals zusammengestellt***).
Aethylidenbromid.
NatriumOthylat.
AcetaL
OaH^Br, +
ii«.J;)9 =
Aldehydäthylchlorid.
e,H,.ci +
«■?!j» =
IS«
•) Beilstein , ibid. CXII 240.
••) loco cit. S. 555.
***) Das Aldehydammoniak, das Thialdin, das Carbothialdin und die
Trigensäure kinnen durch entsprechende Formeln dargestellt werden:
Aldehydammoniak. Thialdin. Carbothialdin. Trigensäure.
«»^^jo e^,U eA|g ^ >n..
558
Acetylverbindungcn
Aldehyd.
Aethyliden-
chlorid.
Aethyliden-
bromid.
6364.0
eaH4.Cla
e2H4.Bra
Aldehydäthyl-
chlorid.
Aldehydacetyl-
Chlorid.
eaH,efci
Typus; HjO oder 2HCI
Typua: Hje + HCl
Acraldehyd •). Acetal.
Aldehydacetyl- Aldehydäthy-
anhydrid. lidenchlorid.
e2H4i0 eaH4>e
(e2H5)2fe e2H,e)aJo
gX)^ Typus: 2H,e
e;H4(cia oderH,e+2HCl
Paraldehyd ••).
Acetoäthyl-
nitrit •♦•).
(NO,), 0
Dialdehydäthy-
lidenchlorid.
e,H4^e
eX'ci»
Typus: SH^O
oder 2Hae +
2HC1
850. IIL Es sind jetzt noch diejenigen Metamorphosen des Aldehyds zu
besprechen, bei welchen nur die Atomgruppe: 62H3 unangegriffen bleibt
1) Lässi man Carbonjlchlorid (Phosgen) auf dampfförmigen
Aldehyd einwirken, so entsteht Salzsäure, Kohlensäure und eine bei 45^
siedende Flüssigkeit, welche beim Abkühlen zu Erystallblättchen erstarrt,
die bei etwa 0® schmelzen. Diese Verbindung wird von Harnitz-Har-
nitzkjf) als Chloraceten bezeichnet: 62H3GI. Sie ist isomer mit
Honochloräthylen (§. 949). Ihre Bildung erfolgt nach der Gleichung:
Aldehyd. Carbonjlchlorid. Chloraceten.
€aH40 + eecij == ejHaCl +
60, 4- HCl
♦) Vgl. S. 839. 8.
♦•) Vgl. 889. 2.
••*) Das AcetoÄthylnitrat wurde von Nadler (Ann. Cham. Pharm. CXVL 173)
durch Destillation von äthylschwefelsaurem Kali mit Salpeter erhalten, es
siedet bei 82 — 86^ , redacirt Silbersalze und gibt mit weingeistiger Kali-
lauge Aldehydharz. Es kann als Addition von Aldehyd mit 2 Mol. Sal-
peter Säureäther betrachtet werden.
Aldehyd. Salpetersäureftther. Acetoäthylnitrat
f ) Ann. Chem. Pharm. CIL 192. — Jahresb. 1859. 882.
Aldehyd, 539
sie scheint bei Erw&nnen mit Wasser in Salzsäure und Aldehyd zersetzt
zu werden.
2) Wird Aldehyd längere Zeit mit einer concentrirten Lösung yon
ameisensaurem Kali, essigsaurem Natron oder weinsaurem Natronkali auf
100^ erhitzt*), so wird eine wasserhelle neutrale Flüssigkeit gebildet, die
sich in Wasser etwas löst, bei 100^ siedet, einen durchdringenden Geruch
besitzt und eine ammoniakalische Silberlösung genau so reducirt wie Al-
dehyd. Diese Substanz hat die Zusammensetzung: 64H«0 und entsteht
wahrscheinlich aus Aldehyd unter Austritt yon Wasser. Man hat:
Aldehyd.
2 GÄO = G^O + HaO
Man sieht leicht, dass diese Substanz zum Aldehyd in derselben Bezie-
hung steht, wie der Aether zum Alkohol; während das Chloraceten zum
Aldehyd dieselbe Beziehung zeigt, wie diejenige, welche zwischen Aethyl-
chlorid und Alkohol stattfindet. Man könnte also diese drei Substanzen
ausdrücken durch die Formeln: (vgl auch §. 886.)
Aldehyd. Aldehydäther. Chloraceten.
Der Aldehydäther kann einerseits als Aether des Aldehyds, anderer-
seits aber auch als Aldehyd des Aethyläthers betrachtet werden.
3) Auch die beim Erhitzen des Aldehjdammoniaks entstehende harz-
artige Base, das Tetrelallylammonium *'*') kann, wenn anders die
ihr und resp. ihren Salzen beigelegten Formeln richtig sind, durch eine
das Radical: G2H3 enthaltende Formel ausgedrückt werden:
Tetrelallylammoninmplantinchlorid.
N(G3H3)4Cl,HCl3
Fasst man Alles zusammen, was im Vorhergehenden über die Me- 851.
tamorphosen des Aldehyds mitgetheilt wurde, so sieht man, dass der
Aldehyd, je nachdem man die eine oder die andere Metamorphose be-
trachtet, durch verschiedene rationelle Formeln ausgedrückt werden kann.
Nach der sub I. erwähnten Reaction, und nach seinen Beziehungen zur
Essigsäure und den übrigen Acetylverbindungen erscheint er als Bydrür
des Radicals : Acetyl =: G2H3O. Nach den sab II. zusammengestellten
*) Lieben.
**) Heintz und Wislieenns.
560 Acefylverbindangen.
Metamorphosen kann er als Oxjd des Radicals: 62H4 betrachtet werden.
Die unter III. erwähnten Zersetzungen endlich finden ihre einfachste Deu-
tung, wenn man ihn als Hydrat des Radicals: GJS^ betrachtet. Man hat
also die drei Formeln:
e
Lieben hat in neuester Zeit vorgeschlagen, den Aldehyd als das
Oxyhydrtir des dreiatomigen Radicals: 62H3 zu betrachten, ihm also die
folgende Formel beizulegen:
Ö2H3 1 g
die gewissermassen die drei oben gegebenen Formeln zusammenfasst,
und ausserdem zeigt, dass das Radical: O2H3.O einbasisch, das Radical:
€2113 . H zweibasisch ist.
Man überzeugt sich in der That leicht, dass jede einzelne dieser
Formeln die chemische Natur des Aldehyds innerhalb gewisser Oruppen von
Metamorphosen ausdrückt, dass sie aber alle vereinigt werden müssen, um
ein vollständiges Bild von der chemischen Natur des Aldehyds zu geben.
Mit andern Worten der Aldehyd enthält 2 At. 6, 4 At. H und 1 At O
zu einem Molecül vereinigt. Unter dem Einfluss verschiedenartiger Be-
dingungen zersetzt sich dieses Molecül nach verschiedenen chemischen
Spaltungsrichtungen. Entweder so, dass nur der Sauerstoff, oder so, dass
nur der Wasserstoff, oder so, dass beide gleichzeitig sich ablösen und
dass mithin entweder die Gruppe: 62H3O, oder die Gruppe: ©2^4, oder
endlich die Gruppe: €2^3 ^^^ Rolle eines Radicals spielt (vgl. S§- 239 ff.).
G H Ol
852. Aceton: G^^^^ = '^ij 1. Das Aceton kann nach seiner Zu-
sammensetzung und nach seinen Bildungsweisen als der Methyläther dea
Aldehyds betrachtet werden; d. h. als Aldehyd, in welchem 1 At Was-
serstoff durch Methyl ersetzt ist. Da indess bei den meisten Zersetzungen
des Acetons Substanzen gebildet werden, die zu den Acetyl Verbindungen
in keiner näheren Beziehung stehen, so soll es später speciell beschrie-
ben werden (§. 923).
863. Essigsäure: G2H4e2 = ^^^^gjo.
Histerische Notizen. Schon die Alten kannten die verdtUmte Essigsäure
(rohen Weinessig), sie ist z. B. im alten Testament erwähnt Das Reinigen der
Bssigsfture durch Destillation lehrte Gerber im 8. Jahrhundert. Basilius Valentinus,
im 15. Jahrhundert, beschreibt die bei Destillation des Grünspans entstehende con-
E88ig8fture. 56J
ccntarirte Esaigaftare, den Spiritus veneris. Der Holzessig wird von Glauber 1648
erwähnt — Auch einzelne essigsaure Salze waren schon den Alten, viele den Al-
chimisten bekannt.
Vorkommen und Bildung. Die Essigs&ure findet sich nach
Vauquelin, Hermbstädt u. A. fertig gebildet in einigen Pflanzensäften und
selbst in einigen thierischen Flüssigkeiten.
Die meisten Bildangsweisen der Essigsäure sind schon oben aus-
ftlhrlich besprochen worden, vgl. besonders §§. 818) 819, 826.
Hier mögen, als theoretisch besonders wichtig, nochmals erwähnt
werden: 1) die Bildung der Essigsäure durch Oxydation von Alkohol
(§. 647), 2) die synthetische Bildung von essigsaurem Natron bei Ein-
wirkung von Kohlensäure auf Natriummethyl (vgl. $. 767), und die syn-
thetische Bildung der Essigsäure durch Zersetzung des Methylcyanids
(vgl. J. 667). Ausser diesen beiden Synthesen der Essigsäure müssen
noch zwei andere hier angedeutet werden: 1) durch Einwirkung von Chlor
auf Chlorkohlenstofif : 62014 (§. 957) , bei Gegenwart von Wasser ent-
steht Trichloressigsäure *) (§. 872), diese kann durch Zink oder Natrium-
amalgam in Essigsäure umgewandelt werden. Da der Ohlorkohlenstoff:
62^14 aus Schwefelkohlenstoff: 6S2, und dieser direct aus den ihn zu-
sammensetzenden Elementen erhalten werden bann, so ist demnach eine
vollständige Synthese der Essigsäure aus den Elementen selbst möglich.
2) Der durch Einwirkung von Ohlor auf Ameisensäure -methyläther ent-
stehende Perchlorameisenmethyläther (§. 836), gibt mit Ammoniak Tri-
chloracetamid, aus diesem kann Trichloressigsäure erhalten werden, die
ihrerseits in Essigsäure überführbar ist.
Für die Darstellung der Essigsäure im Grossen wird entweder die 864.
Oxydation des Alkohols oder die Zersetzung vegetabilischer Substanzen
namentlich des Holzes, durch trockene Destillation angewandt. Reine
Essigsäure wird stets aus essigsauren Salzen gewonnen. Eine verdünnte
Essigsäure, die je nach der Darstellung mit verschiedenen anderen Pro-
ducten gemengt ist, wird fabrikmässig dargestellt und als Essig be-
zeichnet.
Essigfabrikation. 1) Weinessig. In Deatschland und namentlich in
Frankreich werden beträchtliche Mengen von Essig aus Wein dargestellt Da der
Wein, für sich der Luft ausgesetzt, nur langsam in Essig Übergeht, während die
Gegenwart von Essig diese Umwandlung sehr erleichtert, so füllt man zuerst in
die zur Darstellung dienenden Fässer (Mütter) heissen Essig ein und setzt dann
in Perioden von einigen Tagen Wein zu. Man zieht dann von Zeit zu Zeit einen
Theil des gebildeten Essigs ab und füllt nach und nach mit Wein auf. Eine Tem-
peratur von 24^ — 27® ist für den Verlauf der Umwandlung am günstigsten. Bei
dieser Essigbildung (Essiggährung) entsteht eine eigenthümliche Pflanzenspeciea
(Mjcoderma vini oder cerevisiae), die, wie es scheint, als Ferment (Essigmutter)
*) Kolbe, Ann. Cham. Pharm. LIV. 182.
keknlö, organ. Chemie. g^
562 Acetylverbindungen.
wirkt. 2) Malz- oder Bieressig. In England wird der grösste Theil des EssigB
aus Würze dargestellt, d. h. siis eingemaischtem Gerstenmalz. Man lässt die
Würze erst durch Zusatz von Bierhefe gähren und führt die so erhaltene alkohol-
haltige Flüssigkeit genau so wie bei Darstellung des Weinessigs in Essig über. Die
grössere Unreinheit der Materialien macht noch ein Klären, d.h. ein Abziehen über
Hobelspäne oder am zweckmässigsten Weintrebern nöthig.
3) ßchnellessigfabrikation. Dieses von Sehützenbach 1823 angege-
bene Veiiahren gestattet eine verhältnissmässig rasche UeberfUhrung des Alkohols
in Essigsäure. Man füllt aufrechtstehende Fässer (Essigbilder) mit Holzspänen, die
man vorher mit Essig getränkt hat. Die weingeisthaltige Flüssigkeit (verdünnter
Spiritus, gegohrene Wüi'ze etc.) fliesst durch feine Löcher eines im oberen Theü
der Tonne angebrachten doppelten Bodens ein, tropft über die Holzspäne und bietet
so dem aufsteigenden Luftstrom, welcher unten durch einen Ring seitlicher Oeff-
nungen ein- und oben (unterhalb des doppelten Bodens) durch einen Ring seit-
licher Oeffnungen austritt, eine sehr gi-osse Oberfläche dar. Der schon vorhandene
Essig wirkt als Ferment und vermittelt die Oxydation des Alkohols. Anfangs mns&
das Local und der Essig gut gewärmt werden, sobald die Essigbildung im Gang
ist genügt die durch die Reaction erzeugte Wärme zur Erhaltung der geeigneten
Temperatur (26® — 27®). Zur Darstellung eines stärkeren Essigs (Essigsprit) wird
das Product nach Zusatz von neuem Alkohol noch ein- oder mehrmals in die &
sigbilder gebracht. Bei dieser Methode der Essigfabrikaiion kann leicht, dann nSm-
lieh wenn es an Luft fehlt, die Oxydation des Alkohols nur bis zur Bildung von
Aldehyd gehen und so beträchtlicher Verlust veranlasst werden
4) Holzessig. Zur Darstellung der Essigsäure aus Holz wird dieses darch
trockne Destillation, gewöhnlich in eisernen Oylindern, zersetzt. Der wässrige Theü
des Destillats wird nochmals destillirt, zur Abscheid ung harzartiger Prodacte. Das
anfangs übergehende enthält wesentlich Holzgeist, das später destillirende wesent-
lich Essigsäure. Man neutralisirt entweder das ganze Destillat oder nur die später
destillirendcn Theilc mit Kalk und reinigt dann entweder den essigsauren Kalk
direct, oder man führt ihn durch Zersetzung mit schwefelsaurem Natron in essig-
saures Natron über und reinigt dieses. Beide Methoden verwenden die Eigenschaft
der erwähnten essigsauren Salze ohne Zersetzung ein Erhitzen auf so hohe Tem-
peraturgrade aiiszuhalten , dass die meisten brcnzlichen Producte zerslöii; werden.
Man erhitzt z. B. das zur Trockne eingedampfte essigsaure Natron längere Zeit aaf
250®, löst in Wasser, trennt von den harzartigen Substanzen und destillirt mit
Schwefelsäure. Oder man dampft den essigsauren Kalk zur Hälfte ein , setzt Salz-
säure zu bis zur sauren Reaction. entfernt das sich ausscheidende Harz, dampft
zur Trockne, röstet gelinde, löst die geröstete Masse in Wasser, setzt die zur Zer-
setzung gerade nöthige Menge Salzsäure zu und destillirt. — Die nach solchen
oder ähnlichen Methoden gewonnene Essigsäure besitzt häufig noch einen empy-
rcumatischen Geruch und muss, wenn reine Essigsäure dargestellt werden soll,
noch weiter gereinigt werden.
Prüfung der Essigsäure, Acetomctrie. Der Gehalt einer verdflnn-
ten Essigbäure kann , selbst wenn keine andern Substanzen zugegen sind , nur bei
sehr verdünnten Lösungen annähernd aus dem spec. Gewicht erkannt wcfdeö.
Für starke Essigsäure ist die Methode nicht anwendbar, weil Mischungen von £^
sigsäurc und Wasser bei einer gewissen Goncentration ein Maximum des spec G^
Wichts zeigen (§. 488), so dass Säuren, die mehr als B0% Essigsäufehydrltt cnt-
Essigsäure. 563
halten und ebenso solche, die weniger enthalten, leichter sind als dieses Gemisd^
welches die grösste Dichte besitzt.
Die meisten zur Prüfung des Essigs auf seinen Gehalt an Essigsäure vorge-
schlagenen Methoden, auch das acidimetrische Verfahren (Titration mit kohlensau-
rem Natron) , geben nach Versuchen von Stein *) sehr ungenaue Resultate. Am
zweckmässigsten neutralidirt man mit Aetzbaryt, fällt den Barytüberschuss durch
Kohlensäure und wägt entweder den essigsauren Baryt (100^) oder verwandelt
ihn in schwefelsauren Baryt und wägt diesen.
Essigsäurehydrat. Eisessig = ' *H(^' ^^
Darstellung. Han bereitete das Essigsäurehydrat früher durch
trookeDe Destillation von essigsaurem Kupfer; später durch Destillation
von Bleizucker mit concentrirter Schwefelsäure. Jetzt wird gewöhnlich
trocknes essigsaures Natron (5 Th.), mit concentrirter Schwefelsäure (6 Th.)
destillirt, das Product zur Entfernung von schwefliger Säure mit Braun«
stein zusammengestellt und über etwas essigsaures Natron rectiflcirt* —
Auch durch Erhitzen des flbersauren essigsauren Kali's kann trockne Es-
sigsäure erhalten werden (Melsens).
Eigenschaften. Das Essigsäurehydrat ist bei Temperaturen un-
ter -]- 17^ fest und in grossen Blättern krystallisirt. Bei höheren Tem;-
peraturen ist es eine farblose Flüssigkeit, von stechend saurem Geruch.
Es ist brennbar und siedet bei 120^. Es ist sehr ätzend und zerstört die
Epidermis. Die Essigsäure mischt sich mit Alkohol und mit Wasser in
allen Verhältnissen.
Die folgende Tabelle enthält die spec. Gewichte der Gemenge von Essigsäare
und Wasser (nach Mohr); man sieht, dass beim Vermischen beider Flüssigkeiten
Contraction stattfindet und dass ein Gemenge von 4 Th. Essigsäure mit 1 Th.
Wasser das grösste spec. Gewicht besitzt (S. 488).
Gehalt an Essigsäure- Sp. Gew. Gehalt an Essigsäure- Sp. Gew.
hydrat io Procent.
hydrat
in Procent.
1
100
1.0685
60
1.067
95
1.070
60
1.060
90
1.0780
40
1.061
85
1.0780
30
1.040
80
1.0785
20
1.027
76
1.072
10
1.016
70 1.070 0 1.000.
Die wässrige Essigsäure von grösster Dichte besitzt annährend die Zusam-
mensetzung €2H402 4" ^a^ (berechnet: 77 •/o Essigsäurehydrat), sie siedet bei
gewöhnlichem Druck bei 104^, ohne ihre Zusammensetzung wesentlich zu ändern.
Zersetzungen. Die Zersetzungen der Essigsäure sind schon oben be-
sppochen, Diejenigen, bei welchen andere Verbindungen des Radicals Acetyl ent-
*) Vgl. PolTteohn. CentralbL 1869. 622.
86
564 Acetylvarbindung^en.
stehen, werden zudem als Bildungs weisen dieser Verbindungen nochmals erwfihot
werden.
Erkennung der Essigsäure. Zur Erkennung der Essigsäure
und der essigsauren Salze können die folgenden Reaetionen benutzt wer-
den. Essigsaure Salze geben beim Erhitzen mit Schwefelsäure Essigsäure,
beim Erhitzen mit Schwefelsäure und Alkohol Essigäther, die beide am
Geruch kenntlich sind. Sie geben mit Eisenchlorid eine rothe Färbung,
mit salpetersaurem Silber einen weissen , in heissem Wasser etwas lös-
lichen und beini Erkalten krystaUisirenden Niederschlag. Die trocknen
Alkalisalze geben beim Erhitzen mit arseniger Säure das an seinem wi-
derlichen Geruch leicht kenntUche Kakodyl (§. 753).
Freie Essigsäure löst Bleioxyd auf und gibt, wenn das Bleiosjd
im Ueberschuss angewandt wurde, eine basisch reagirende, also roUiea
Lakmus bläuende Lösung (Bleiessig).
S5Q, Essigsaure Salze. Die Essigsäure ist einbasisch; sie gibt also
mit derselben Base im Allgemeinen nur ein Salz. Indessen existiren fOr
die Alkalien (namentlich Kali) s. g. übersaure Salze (vgl. $. 810) und
ferner fOr viele zweiatomige Metalle, namentlich Kupfer und Blei, zahl-
reiche basische Salze.
Die meisten essigsauren Salze sind krystallisirbar, viele enthalten
Krystallwasser. Sie lösen sich fast sämmtlich in Wasser, grossentlieils
auch in Alkohol.
Viele essigsaure Salze werden in der Färberei und Kattundruckerei
als Beizen angewandt
Essigsaures Ammoniak. Durch Sättigen von Eisessig mit Ammoniak
wird ein krystallisirendes sehr lösliches Salz erhalten. Es zerfUlU beim Erhitzen,
indem zuerst Ammoniak, später Essigsäure (vielleicht ein saures Salz) und zuletzt
Acetamid übergeht (§. 865). — Durch Destillation von essigsam-em Kali mit Sal-
miak wird ein essigsaures Ammoniak von wechselnder Zusammensetzung erhalten
(Spiritus Minderen).
Essigsaures Kali. 1) Neutrales (Terra foliata tartari). Kry-
stallisirt in kleinen wasserfreien Nadeln, es ist sehr zerfliesslich, schmilzt
bei 292<^ und erstan't zu blättrig krjstallinischer Masse. Seine gesättigte
Lösung (1 Th. Salz auf 0,125 Th. Wasser, siedet bei 1G9<^). Es zersetzt
sich erst bei sehr hohen Temperaturen. 2) Ueber saures oder saures
essigsaures Kali = * ^K\^ "^ (72H4O, krystallisirt aus der Lösung
des neutralen Salzes in starker Essigsäure in Form platter Nadeln oder
langer Platten. Es schmilzt bei 148<^ und fängt bei 200® an Essigsäure-
hydrat abzugeben (Melsens).
Essigsaures Natron krystallisirt in grossen wasserhaltigea K17-
stallen ^^^|^|o + SHaO, die an der Luft verwittern. Es löst aieh in
4 Th. Wasser von 8<>; die siedend gesättigte Lösung enthält 2 Th. Sals
Esßigs&ure. 565
auf 1 Tb. Wasser, sie siedet bei 124^,4. Das krystallisirte Salz schmilzt
unter 100^ in seinem Krjstallwasser, das trockne Salz schmilzt bei 319^
Dass ein Oemenge von essigsaurem Kali mit essigsaurem Natron zu glei-
chen Aequivalenten leichter schmilzt (224^), als jedes der Salze fttr sich,
in^nrde früher schon erwähnt *) (J. 489).
Die essigsauren Salze Yon Kalk, Baryt, Strontian, Zink und Mangan
sind krystallisirbar und in Wasser sehr löslich.
Essigsaures Eisen. Durch Auflösen von Eisen in Essigsäure wird eine
fast farblose Lösung von essigsaurem Eisenox3'dul erhalten, die aus der Luft
Saaerstoff aufnimmt und in Oxydsalz übergeht. ' Fnsch gefälltes Eisenoxyd löst
sich in Essigsäure mit rother Farbe; die Lösung scheidet beim Kochen sämmt-
liohes Eisenoxyd als basisches Salz aus.
Essigsaure Thonerde, durch doppelte Zersetzung von essigsaurem Kalk
mit schwefelsaurer Thonerde oder mit Alaun erhalten, ist eine nicht krystaliinische
gnmmiartige Masse.
Essigsaures Zinn wird durch doppelte Zersetzung von Bleizucker und
Zinnchlorür erhalten, es krystallisirt schwer.
Essigsaures Bleioxyd. Das neutrale essigsaure Bleioxyd oder
einfach essigsaure Bleioxyd (Bleizucker) wird meist durch Auflösen von
Bleiglätte in Essig erhalten. Es krystallisirt in farblosen, vierseitigen
Prismen ejKaPbO + 1^2^,0, die sich in IV2 Th. kaltem Wasser und
in 8 Th. Alkohol lösen. Es besitzt einen anfangs süssen, dann widerlich
metallischen Geschmack. — Die Lösung des Bleizuckers in Wasser löst
schon beim Schütteln und rascher beim Erwärmen Bleioxyd auf und bil-
det basische Salze (häufig als Bleiessig bezeichnet), die durch Alkohol
geftllt werden können. Man erhält so, je nach der Menge des ange-
wandten Bleioxyds, halbessigsaures Bleioxyd: 62TT3Pb02, PbHOj oder
drittelessigsaures Bleioxyd: 62H3Pb02 + PbjG. Das letztere Salz schei-
det sich in Gestalt feiner Nadeln aus, wenn man Bleizuckerlösung mit
concentrirter Ammoniakflüssigkeit (Vft Vol.) mischt. — Sechstelessigsaures
Bleioxyd 62H3Pb02 -f- Pb^HG}, wird als weisses Pulver erhalten, wenn
überschüssiges Bleioxyd auf die Lösung eines der andern Salze einwirkt.
Es ist in Wasser nur sehr wenig löslich.
Essigsaures Kupferoxyd. Das neutrale essigsaure Kupferoxyd
(einfach-essigsaure Kupferoxyd), wird durch Auflösen von Kupferoxyd in
Essigsäure erhalten und krystallisirt in dunkelgrünen, rhombischen Säulen
(destillirter Grünspan): e2H,Cue + V2H2Ö. — Der gewöhnliehe
Grünspan ist ein Gemenge verschiedener basischer Salze. Er wird mei-
stens dargestellt, indem man Kupferplatten mit Essig oder mit säurenden
Weintrestern zusammenstellt. Das Kupfer überdeckt sich, unter Aufnahme
von Sauerstoff aus der Luft, mit einer dicken Schicht von Grünspan , der
abgeschabt und meist in Form blassblauer oder blassgrüner Kugeln in den
*) Schaffgotsch , Jahresb. 1867. 18.
566 AcetylTerbindimgen.
Handel gebracht wird. Er enthält : halbessigsaares Eupferoxyd GJi^OaB
-f- CuHO, neben zweidrittelessigsaurem Eupferoxyd : 2B2B^0vlO2 + GaHO
(beide Salze enthalten Erystallwaseer).
Ein Doppelsalz, das arsenig-essigsaure Eupferoxyd OiHsCaOi
4- AsGuOj wird wegen seiner lebhaft hellgrünen Farbe als Halerfarbe ete.
angewandt (Schweinfurter Grün). Zu seiner Darstellung wird eine
kochende Lösung von arseniger Säure mit einem dQnnen Brei von Grfln*
span gemischt, einige Zeit gekocht und etwas Essigsäure zugesetzt. Man
erhält einen anfangs schmutzig-grünen Niederschlag, der sich bald in ein
schweres lebhaft grünes Pulver umwandelt *).
Essigsaures Silber: OsHjAgOj- Wird als weisser krystallini-
scher Niederschlag erhalten, wenn concentrirte Lösungen von essigsaurem
Natron und salpetersaurem Silber gemischt werden. Es ist in kaltem
Wasser wenig löslich und krystallisirt aus heisser Lösung in perlmutter-
glänzenden platten Nadeln.
857. Aether der Essigsäure (vgl. auch $. 812).
Essigsäure - Methyläther: ^^H 1^^ ^^'^ ^^^^ ^^" ^^'
Darstellung der Aetherarten überhaupt dienenden Methoden gewonnen.
*) Die essigsauren Salze worden oben durch Aequivalentformeln dargestellt
(vgl. S. 529 Anmerk); wenn man, wie dies aus dem Qesammtverhalten der
betreffenden Metalle hervorzugehen scheint, das Kupfer und das Blei zwei-
atomig annimmt, so sind die einfachsten essigsauren Salze dieser Metalle
in atomistischen Molecularformeln:
Essigsaures Kupfer. Essigsaures Blei.
Keutralc Salze (e,ü,&)}^* (W)J^'
Halb-essigsaures Klopfer. Halb-essigsaures Blei.
Basische Salze eSoU, 6,H,OJe,
H' H'
Das Schweinfurter Grün wird in dieser Schreibv^eise ausgedräckt durch die
Formel:
Ctt)
Ca>e4
tu i ^
AsX
e^HaO '
Die Formeln der Bleisalze müssen yielleicht verdoppelt und das Blei vier-
atomig angenommen werden. Die Zusammensetzung der Bleiftthyle (§. 789)
spricht zu Gunsten dieser Atomgrösse des Bleis; und es erklärt sich viel-
leicht daraus die Existenz der verhältnissmässig grossen Anzahl basischer
Salze, welche dieses Metall bildet.
EBsigefioreäther. 567.
Z. B.: 3 Th. Holzgeist, 14Vt Th. Bleizucker und 5 Th. Schwefelsäure
werden destillirt, das Product mit Kalkmilch geschüttelt, das aufschwim-,
mende Oel Ober Chlorcaicium getrocknet und rectificirt (H. Kopp). — ,
Angenehm riechende Flüssigkeit^ die bei 58^ siedet und sich mit Wasser^
Alkohol und Aether mischt.
O H Oi
Essigsäure-Aethjläther. Essigäther: ^ || >0. Zu seiner
Darstellung können die folgenden Methoden verwandt weiden. Man de-
stillirt: 3 Th. essigs. Kali, 3 Th. abs. Alkohol und 2 Th. Schwefelsäure;
oder: 10 Th. essigs. Natron, 6 Th. Alkohol, 15 Th. Schwefelsäure; oder:
16 Th. essigs. Blei, 4V2 Th. Alkohol, 6 Th. Schwefelsäure. Das Product
wird mehrmals mit wenig Wasser gewaschen, mit Chlorcaicium getrock-
net und rectificirt. Der Essigäther bildet mit Clorcalcium eine Verbin-
dung, die schon bei 100^ den Essigäther abgibt. Man kann daher durch
Destillation des unreinen Essigäthers über Chlorcaicium im Wasserbade,
den Alkohol und das Wasser entfernen.
Der Essigsäure - Aethyläther siedet bei 74®, er löst sich in 7 Th.
Wasser und mischt sich mit Alkohol und Aether.
Der Essigäther findet sich in geringer Menge im Weinessig (§. 854).
O H O^
Essigsäure-Butyläther: ^ |j >0; von Wurtz durch Einwir-
kung von Butyljodid auf essigsaures Silber erhalten, siedet bei 114®.
O H O)
Essigsäure-Amyläther: 9 if (^5 durch Destillation von 2 » '■
Th. essigs. Kali, 1 Th. Amylalkohol und 1 Th. Schwefelsäure erhalten,
ist eine angenehm riechende, in Wasser fast unlösliche Flüssigkeit, die
bei 125® siedet. Eine Lösung des Aethers in Alkohol wird unter dem
Namen Birnöi (Pear-oil) in der Parfümerie verwendet.
G H Oi
Thiacetsäure *): ^ ^H\®* ^*^®® Verbindung steht zum Es- 858.
sigsäurehydrat in derselben Beziehung wie das Mercaptan (§. 673) zum
Alkohol und wie der Schwefelwasserstoff zum Wasser. Sie kann durch
zwei Reactionen erhalten werden. Entweder durch Einwirkung von drei-
fach oder fünffach Schwefelphosphor auf Essigs&urehydrat, wobei der ty-
pische Sauerstoff der Essigsäure durch Schwefel ersetzt wird; oder durch
Einwirkung von Acetylchlorid (§. 85Ö) auf Schwefelwasserstoffkalium,
wo das Radical Acetyl an die Stelle des Kaliums tritt.
Zur Darstellung der Thiacetsäure destillirt man am zweckmässigsten
1 Th. Essigsäurehydrat mit 2 Th. fünffach Schwefelphosphor und rectifi-
cirt das Product zur Entfernung der unzersetzt gebliebenen Essigsäure
nochmals über Schwefelphosphor.
•) Kekuld 1854, Ann. Cliem. Pharm. XC. 309. - Ulrich, ibid. CIX. 272; Ja-
quemin u. Yosselmann, Jahresb. 1859. 854.
568 Aceiylverbindimgen
Die Thiacetsäare ist eine farblose, beim Aufbewahren gelb wer-
dende Flüssigkeit, von unangenehmen an Essigsäure und an Schwefel-
wasserstoff erinnernden Geruch. Sie siedet bei 920 und löst sich in Was-
ser, Alkohol und Aether. Concentrirte Salpetersäure zersetzt sie bei
gelindem Erwärmen, i-auchende schon in der Kälte, mit Explosion. Bei
Einwirkung von Phosphorsuperchlorid gibt sie Acetjlchlorid and Phos-
phorsulfochlorid :
Thiacetsäare. Acetylchlorid.
4- Salzsfiure.
Von den Salzen der Thiacetsäure sind das Kali-, Natron-, Kalk-,
Baryt- und Strontiansalz löslich und krystallisirbar. Das Blei salz wird
als weisser, rasch grau werdender Niederschlag erhalten, wenn eine Lö-
sung von Thiacetsäure in Wasser oder Alkohol zu Bleizuckerlösung ge-
setzt wird; das Salz kann aus heissem Wasser oder Alkohol umkrystal-
lisirt werden und stellt dann seidenglänzende weisse Nadeln dar, die sich
rasch unter Bildung von Schwefelblei zersetzen.
Thiacetsäurcätker kann durch Einwirkung von Scliwefelphosphor anf
Essigsäareftthyläther erhalten werden.
Acetylchlorid, Chloracetyl: esHaO.Cl (vgl. auch §. 807). Das
Acetylchlorid entsteht bei Einwirkung von Chlor auf Aldehyd (S. 841)
und bei Einwirkung von Phosphorchlorür, Phosphorchlorid und Phosphor-
oxychlorid auf Essigsäure oder trockne essigsaure Salze.
Zur Darstellung dient zweckmässig eine der folgenden Methoden:
1) Man Ifisst PhoBphorchlorid (7 Th.) auf Essigsäurehydrat (2 Th.) einwirken.
Die Reaction tritt schon bei gewöhnlicher Temperatur ein, es findet starke
Wärmeentwicklung statt und entweicht viel Salzsäure. Man kann entweder
die Essigsäure allmälig zu dem Phosphorchlorid fliessen lassen, oder das
Phosphorchlorid allm&lig in die Essigsäure eintragen. Das durch Destilladon
erhaltene Product wird durch fractionirte Rectification in Phosphoroxychlorid
und Acetylchlorid zerlegt
2) Man mischt 9 Th. Essigsäure mit 7 Th. Phosphorcblorfir und erwärmt im
Wasserbad. Die Reaction beginnt bei 40®. (B^champ.)
8) Man lässt Phosphoroxychlorid auf geschmolzenes essigsaures Kali oder Na-
tron einwirken. Dabei ist e» zweckmässig das essigsaure Kali (10 Th.)
oder essigsaure Natron (8 Th.) allmfilig in das abgekühlte Phosphoroxy-
chlorid (6 Th.) einzutragen, weil bei umgekehrter Operation das gebildete
Acetylchlorid auf das im Ueberschuss vorhandene essigsaure 8alz einwirken
nnd Essigsänreanhydrid erzeugen würde. Wenn alles Salz in die Retorte
eingetragen ist, wird bei gelinder Hitze destillirt.
Alle diese Operationen müssen, weil die mit der Salzsäure entweichenden
Dämpfe des Acetylclilorids und Phosphoroxychlorids auf die Schleimhaut der Bron-
chien eine fürchtbar zerstörende Wirkung ausüben, in Apparaten ausgeführt wer
Acetylchlorid.
569
den, die withrend der Operation y5]lig verschlossen bleiben. Wird eine FlflsBigkeit
allmälig eingetragen, so dient zweckmässig der folgende Apparat
Soll dagegen ein fester Körper (Phosphorchlorid, essigsaures Salz etc.) all-
mftlig eingetragen werden, so bringt man die einzutragende Substanz in ein Glas-
kölbchen und setzt dieses mittelst eines weiten Eautschukschlaugs mit dem Tabulas
der Retorte in Verbindung. Bei jedem Heben des Kölbchens ßUt von der Sub-
stanz in die Retorte; sobald man das Kölbchen senkt, bildet der sich knickende
Kautschnkschlaug einen Verschlnss. Die aus der Vorlage entweichende Salzsäare
wird in einer mit Kalk gefüllten Flasche aufgefangen.
Zur Reinigung des Acetylchlorids von beigemengtem Phosphorozy Chlo-
rid destillirt man so oft Über kleine Mengen von trocknem essigsaurem Salz , bis
das Froduct, nach Zersetzung mit Wasser, keine Phosphorsäurereaction mehr zeigt
570 Acetylverbindungen.
Das Äcetjl Chlorid ist eine farblose, leiobt bewegliche FlOseig-
keit, die bei 55® siedet Es riecht stechend (nach Salzsäure und Essig-
säure), seine Dämpfe greifen die Augen stark an und bewirken eingeath-
met heftigen Husten und bei grösseren Mengen Blutspeien. Es sinkt in
Wasser anfangs unter, löst sich aber dann unter Wärmeentwicklung aaf,
indem es in Salzsäure und Essigsäure zerfällt.
860. Acetylbromid: ©jHjO.Br, wurde von Ritter *) durch Einwir-
kung von Phosphorsuperbromid auf Essigsäurehydrat erhalten. Es ist
eine farblose Flüssigkeit, die bei 81<^ siedet.
861. Acetyljodid: ©2H3OJ, von Guthrie **) durch gleichzeitige Ein-
wirkung von Jod und Phosphor auf Essigsäureanhydrid dargestellt, ist
eine braune durchsichtige Flüssigkeit Siedep. 108®.
862. Essigsäureanhydrid. Wasserfreie Essigsäure: q^q^q\^'
Von Gerhardt 1852 entdeckt***).
Das Essigsäureanhydrid wird zweckmässig nach der §. 813 angege«
benen Reaction, d. h. durch Einwirkung von Acetylchlorid auf ein troek-
nes essigsaures Salz dargestellt
Man läset Acetylclilorid (1 Th.) in essigsaures Natron (1 Th.) oder essig-
saures Kali (1^4 Th.) einfliessen und dcstillirt. — Da bei Einwirkung der Chlor-
verbindungen des Phosphors auf essigsaure Salze Acetylchlorid erzeugt wird, so ist
es einleuchtend , dass dos zur Darstellung von Essigsäureanhydrid bestimmte Ace-
tylchlorid nicht völlig von Phosphoroxychlorid gereinigt zu sein braucht; und man
sieht ferner, dass das Verfahren zur Darstelhing des Essigsäureanhydrids in man-
nigfacher Weise modificirt werden kann. Man kann z. B. Phosphoroxychlorid
(3 Th ) direct auf einen üeberschuss von essigsaurem Natron (10 Th.) oder essig-
saurem Kali (12 Th) einwirken lassen, oder man kann durch Einwirkung von
Phosphorsuperchlorid (7 Th.) auf Essigsäurehydrat (2 Th.) ein Gemenge von Phos-
phoroxychlorid und Acetylchlorid darstellen und dieses dann direct mit essigsau-
rem Natron (20 Th.) oder essigsaurem Kali (24 Th.) destilliren.
Bei allen diesen Darstellungen ist es nöthig gegen Ende der Destillation
stark zu erhitzen, weil ein Theil des Essigsäureanhydrids mit überschttssig vor-
handenem essigsaurem Salz eine Verbindung bildet^ die erst bei hoher Temperatar
zersetzt wird. Durch fractionirte Kectitication wird dann das Essigsäureanhydrid
von etwa noch vorhandenen Chloriden und von Essigsäurehydrat getrennt
Das Essigsäureanhydrid kann auch durch Einwirkung von Bensoyl-
chlorid (7 Th.) auf essigsaures Natron (4 Th.) oder essigsaures Kali
(5 Th.) erhalten werden. Es entsteht dann zuerst Acetyl-benzoyl-anhydrid,
welches sich bei der Destillation in Benzoylanhydrid und Essigsäureanhy-
drid umsetzt, von welchen das letztere (iberdestillirt. Man hat:
•) Ann. Chem. Pharm. XCV. 209.
••) ibid. CIIL 836.
♦••) ibid. LXXU. 127. — LlütVlI. 149.
E68ig8äiireanhydrid. 571
Essigs. Kali. Benzoylchloiid. Acetyl-benzoyl-anhydrid.
Acetylbenzoyl- Acetylbenzoyl- Essigsäure- Benzoesänre-
anhydrid. anhydrid anhydrid. anhydrid.
Das Essigsäureanhydrid ist eine farblose Flüssigkeit, welche dem
Essigsäurehydrat sehr ähnlich rieht. Speo. Oew. 1.073. Siedep. 138o. —
Es sinkt in Wasser unter, zersetzt sich aber allmälig in Essigsäurehydrat ;
mit Alkohol gibt es Essigälher; mit Phosphorchlorid erzeugt es Acetyl-
chlorid; durch Ammoniak entsteht Acetamid (vgl. auch §• 8^3). Von
Gyansäureäther wird es zersetzt unter Bildung von Aethyldiacetamid (§. 869).
Kalium und Natrium lösen sich unter Wasserstofifentwicklung
im Essigsäureanhydrid auf, es entsteht dabei eine ätherartig riechende,
in "Wasser wenig, lösliche Flüssigkeit, die noch nicht näher untersucht ist
Bei Einwirkung von Kalium entsteht gleichzeitig eine Verbindung von
Essigsäureanhydrid mit essigsaurem Kali, die in weissen Nadeln krystal-
lisirt. Dieselbe Verbindung kann auch durch Auflösen von essigsaurem
Kali in heissem Essigsäureanhydrird erhalten werden. Sie hat die Zu-
sammensetzung : 2 62H8KO2 + a^h'o I ^' ^^^ zersetzt sich beim Erhitzen
in Essigsäureanhydrid und zurückbleibendes essigsaures Kali. (Gerhardt.)
Thiacetsäureanhydrid *): e^H^ol®' ^'^^ ^^^ Destillation 863.
von Essigsäureanhydrid mit Phosphorsulfid erhalten ; es siedet bei etwa 121^
und zersetzt sich mit Wasser zu Essigsäure und Thiacetsäure, vgl. $.813.
Unterchlorig - essigsäureanhydrid. Essigsäure - Ghlor:
' 'qiiO. Dieses intermediäre Anhydrid wird, nach Angaben von
Schtttzenberger **) , erhalten , wenn wasserfreie unterchlorige Säure bei
niederer Temperatur auf Essigsäureanhydrid einwirkt.
Essigsäure- Unterchlorige Essigsäure-
anhydrid. Säure. chlor.
Es hat dieselbe Znsammensetzung wie Monochloressigsäure ($. 871), be-
sitzt aber völlig verschiedene Eigenschaften.
Es ist eine schwach gelb gefärbte Flüssigkeit, die im luftleeren Raum destil-
lirbar und in Eis haltbar ist. Bei gewöhnlicher Temperatur zersetzt es sich all-
*) Kekul^, Ann. Chem. Pharm. XC. 312.
••) Compt rend. HL 186.
572 Acetylverbindungen.
mälig, beim Erhitzen auf 100^ mit Explosion, in Chlor, SauerBtoff nnd Esaigsäare-
anhydrid.
Von Wasser wird es gelöst, indem es in Essigsäurehydrat und Unterchlorig-
Säurehydrat zerßült:
Essigsäure- Essigsäure. Unterchlorige
chlor. Säure.
Quecksilber und Zink wirken schon bei gewöhnlicher Temperatur auf Essig-
säurechlor ein, indem das Chlor durch Metall ersetzt wird, so dass essigsaures
Salz und Chlormetall erzeugt werden (bei Quecksilber unter gleichzeitigem Frei-
werden von Chlor).
Lässt man Jod auf Essigsäure- Chlor einwirken, so entsteht Essigsäure-
Jod und Chloijod:
Essigsäurechlor. Essigsäurejod. Chlorjod.
Das Essigsäurejod explodirt bei etwas über 100®. Es zerfällt mit Wasser
augenblicklich zu Jod, Jodsäure und Essigsäurehydrat Auch von Alkohol wird
es in der Kälte zersetzt, indem Jod, Jodsäure, Essigsäurehydrat und Essigsäure-
äthyläthcr entstehen. Die Zersetzung durch Hitze erfolgt, wie es scheint, nach der
Gleichung :
Essigsäure- Essigsäure-
jod, methyläther.
gOaE^oj^ = j, + ee, 4- ^'Sl^j^
Bei Einwirkung von Chlorjod auf essigsaures Natron scheint ebenfalls Esaig-
Säurejod zu entstehen. Wird Chlorjod im Ueberschuss angewandt, so entsteht
Methylchlorid, nach dem Schema:
Essigs. Natron. Methylchlorid,
^a^^je + 2JC1 = Jj + NaCl + eOa + G H,C1.
Durch Einwirkung von Brom auf Essigsäure-Chlor wird Essigsäure-Brom
erhalten, welches sich bald von selbst mit Explosion zersetzt.
Lässt man Schwefel auf Essigsäurechlor einwirken, so entsteht Essigsäure-
anhydrid, nach dem Schema:
4^'^ah + ^> = ^g'hJo)^ + S^a + S + 2C1,
864. Aethylhyperoxyd*). |^H*e(^* ~ ©Äöa- Von Brodie 1858
entdeckt. Man mischt allmälig äquivalente Gewichtsmengen Essigsäure-
anhydrid und Baryumhyperoxjd in trocknem Aether, iiltrirt vom ausge*
schiedenen essigsauren Baryt ab und dampft bei niederer Temperatur ein.
*) Ann. Chem. Pharm. CVUI. 81.
Acetamid. 573
Der Raekstand, mit Wasser gewaschen, hinterlässt das Acefylbjperoxyd
als zähe Flassigkeit.
Das Aoetylhyperoxyd schmeckt ungemein stechend, es entfärbt In-
digolösung, oxydirt Manganoxydul und wandelt das gelbe Blutlaugensalz
in rothes um. Von Barytwasser wird es zerlegt, indem essigsaurer Baryt und
Baryumhyperoxyd entstehen. — Beim Erhitzen zersetzt es sich mit Explosion.
Amide der Essigsäure.
Eb wurde schon oben erwfihnt (§. 815), daas von den nach der typischen
Betrachtungsweise möglichen Amiden des Acetyld nur das Acetamid und das Dia-
cctamid bekannt sind , während die Darstellang des Triacetamids bis jetzt nicht
gelungen ist.
Acetamid: H>N. Von Dumas, Malaguti und Leblanc 866.
Hi
1847 entdeckt. Es entsteht durch Einwirkung von Essigäther auf Am-
moniaklösung, durch Einwirkung von Essigsäureanhydrid auf Ammoniak
oder von Acetylchlorid auf kohlensaures Ammoniak; femer durch De-
stillation von essigsaurem Ammoniak (vgl §$. 814, 856, 857).
Zur Darstellung des Acetamids sättigt man käuflichen Eisessig mit Ammo-
niak und destillirt, sobald das Thermometer auf etwa 200<^ gestiegen ist, geht
fast reines beim Erkalten krystallisirendes Acetamid über. Man erhält ^/^ def
angewandten Essigsäure als Acetamid. Durch nochmaliges Sättigen des imter 200^
Übergegangenen Antheils mit Ammoniak und Destilliren werden neue Mengen er-
halten (Kündig) •).
Mischt man Essigsliureäther mit concentrirtem wässrigem Ammoniak und
erhitzt man das Gemenge mehrere Stunden auf 120 — 180^ oder lässt man es bei
gewöhnlicher Temperatur mehrere Monate stehen, so wird ebenfalls Acetamid ge-
bildet, das bei nachheriger Destillation als der über 200^ destillirende Theil ge-
wonnen wird.
Das Acetamid ist eine farblose krystallisirte Substanz; es schmilzt
bei 78® und bildet beim Erkalten grosse Krystalle, es siedet bei 222^
Es besitzt einen eigenthümlichen Geruch, löst sich leicht in Wasser,
Alkohol und alkoholhaltigem Aether; in reinem Aether ist es nur wenig
löslich.
Der chemische Charakter des Acetamid's ist von eigenthümlichem
Interesse. Während es einerseits, als dem Ammoniaktypus zugehörige
Substanz, sich direct mit Säuren vereinigt und so salzartige Verbindungen
erzeugt, die den Ammoniaksalzen entsprechen; verhält es sich anderer-
seits wie eine schwache Säure, d. h. es ist fähig 1 Atom Wasserstofif
gegen Metalle auszutauschen und so wiederum salzartige Verbindungen
zu erzeugen (Strecker**); vgl. auch 8, 212).
Salpetersaures Acetamid: OjBftON, NOjH, scheidet sich beim Stehen
•) Ann. Chem. Pharm. CV. 278.
••) ibid. cm. 381.
5T4 AcetylTerbindungen.
einer Lösung von Acetamid in concentrirter Salpeters&ore in farblo$en, leicht
schmelzbaren und verpuffenden Erystallen aus. — Salzsaures Acetamid:
(GaH^ON)], HCl, ist in Aether unlöslich und wird durch Einleiten von Salzsfiure-
gas in eine Lösung von Acetamid in Aetheralkohol erhalten , es kann aus Alkohol
umkrystallisirt werden.
G2H30 ) C^aHjOjj
i— .,^ ---- -- »
^1»
Silberacetamid: Ag(K und Quecksilberacetamid:
Hg>N,
werden durch Auflösen der frisch gefällten Metalloxyde in einer wässrigen Lösung
von Acetamid erhalten; sie sind beide krystallisirbar.
866. Zersetzungen des Acetamids (vgl. auch $. 815). Das Acet-
amid zerfällt, wenn man es mit Wasser in einer zugeschmolzenen Röhre
erhitzt, oder wenn man es mit Alkalien oder Säuren kocht, in Essigsäure
und Ammoniak. Bei Einwirkung von Phosphorsäureanhjdrid gibt es
Acetonitril; durch Phosphorchlorid entsteht eine Verbindung des Ace-
tonitrils mit Phosphorchlorür. Rauchende Schwefelsäure erzeugt Salfo-
essigsäure und bei weiterer Einwirkung Disulfometholeäare
(8. 998).
Erhitzt man salzsaures Acetamid in einem zugesehmoIaEenen
Rohr auf 200^ und destillirt dann, oder leitet man über schmelzendes
Acetamid Salzsäuregas und destillirt, so bleibt in der Retorte ein wenig
flüchtiger Rückstand, der neben Salmiak salzsaures Acediamin ent-
hält: 62H11N2, HCl, während viel Essigsäure, etwas Acetjlchlorid und
eine in der Vorlage krjstallisirende Substanz übergehen. Diese letz-
tere lässt beim Behandeln mit Aether salzsaures Acetamid ungelöst; die
Lösung hinterlässt beim Verdunsten Erystalle einer Vei-bindung von Acet-
amid mit Diacetamid (eeHije,Nj = ejHjON + e4H^e,N). Löst
man diese Verbindung in Aether und leitet Salzsäure ein, so ftllt salz-
saures Acetamid aus, während Diacetamid in Lösung bleibt (Strecker).
357, Diacetamid: 6411702^ = €2Hs^>N, nach der oben beschriebe-
H)
nen Methode erhalten, ist eine in Wasser, Alkohol und Aether lösliche
Substanz, die beim Verdunsten der ätherischen Lösung in nadeiförmigen
Erystallen erhalten wird. Es zersetzt sich beim Kochen mit Säuren in
Essigsäure und Ammoniak. Man hat:
Diacetamid. Essigsäure.
G4H^e2N + 2H2e = 2G2H4e2 + NH,
Das Diacetamid entsteht auch, wenn gleich in geringer Menge, bei Einwir-
kung von Acetylchlorid auf Acetamid:
Acetamid. Acetylchlorid. Diacetamid.
{ ^»^»^ (€ H O
^)[h i"^v^€iaH3ejci = NJejHje + Ha
Amide der Easigsttore. 575
Es bildet sich ferner, wonn Acetonitril mit Essigsfturehydrat in zngeschmolzenen
Röhren auf 200« erhitzt wird :
Acetonitril. Essigsäure. Diacetamid.
Es scheint endlich bei jeder Rectification des Acetamids in geringer Menge erzeugt
zu werden, indem das Acetamid zu Ammoniak und Diacetamid zerflQlt. (Kekul6.)
Aethylacetamid: 62H5VN; ist von Wurtz*) durch zwei Be- 868
sctioneD erhalten worden. Es entateht beim Verdampfen einer Auflösung
▼on Essig&ther in wässrigcm Aethylamin (vgl. $. 721).
Essigäther. Aethylamin. Alkohol. Aethylacetamid.
0 H )
f 62H5 H ) '
oder bei gelindem Erwärmen von Cyansftureäther mit EsBigsfturehydrat
(vgl. 8. 670):
Cyansäure- Essigdäure. Acthylacet- Kohlensäure,
äthyläther. amid.
J* + ee.
Das Aethylacetamid siedet bei 205®; es zerflLllt beim Kochen mit Kali in
essigsaures Salz und Aethylamin.
Aethyldiacetamid: ©jHaOjN. Von Wurtz**) durch Erhitzen 8e9.
von Cyansäureäther mit Essigs&ureanhydrid auf 180— 200<^ erhalten:
Cy ansäure- EsHigsüurc- Acthyldiacet- Kohlensäure,
älhyläther. anhydrid. amid.
es ist eine bei 185 — 192® siedende FlQssiglieit.
Das Aethylacetamid steht zum Acetamid, das Aethyldiacetamid zum
Diacetamid in derselben Beziehung wie der Essigsäureäthyläther zur Essig-
säure.
•) Ann. Chem. Pharm. LXXVI. — LXXXVIII. 316.
••) ibid. LXXXVIIL 375.
576 Acetylverbindongen.
Substitutionsproducte der AcetylyerbindungeiL
Substitutionsprodacte der Essigsäure.
870. Chlorsubstitutionsprodacte. Die bei directer Einwirkung von
Chlor auf Essigsäurehjdrat entstehenden Substitutionsproducte sind schon
seit lange bekannt. Ihre Entdeckung und ihr Verhalten sind von nicht
geringem Einfluss auf die Entwicklung der chemischen Theorien gewesen
(vgl. 110, 116, 119). Die Trichloressigsäure wurde 1838 von Du-
mas*) entdeckt; die Monochloressigsäure, von Leblanc schon
1844 beobachtet, wurde in neuerer Zeit von R. Hoffmann**) genauer
untersucht. — Die Bichloressigsfture ist bis jetzt noch nicht darge-
stellt; da indess das Rohproduct der Einwirkung von Chlor auf Essig-
säure an Chlor um so reicher wird je höher der Siedepunkt und ohne
dass Trichloressigsäure darin enthalten ist (die an dem durch Zersetzung
entstehenden Chloroform leicht nachzuweisen wäre) (Hoffmann) ; und da
dieses Product beim Behandeln mit Alkohol ein Gemenge von Aethe^
arten bildet, aus welchem Bichloressigäther gewonnen werden kann (vgl.
§. 878), so ist ihre Existenz kaum zweifelhaft.
fi TT CIf^#
871. Monochloressigsäure: e,H,Cie, = ^ ' gje. Sie entsteht,
wenn Chlor bei zerstreutem Licht oder besser bei Einwirkung von dire^
tem Sonnenlicht auf den Dampf von überschassiger Essigsäure einwirkt
Zur Darstellung leitet man trocknes Chlorgas auf die Oberfläche von Eu-
essig , welcher in einer Retorte durch ein Bad von salpetersaurem Natron auf 120*
erhitzt und der Einwirkung der Sonnenstrahlen ausgesetzt ist An hellen Sommer-
tagen wird selbst bei raschem Chlorstrom alles Chlor absorbirt Die Retorte wird
so gestellt, dass die im Itetortenhals und im Kühlrohr sich verdichtenden D&npie
stets wieder zurückfliessen. Nach beendigter Einwirkung wird das Product der
Destillation unterworfen, wobei die Monochloressigsäure zwischen 186 — 187* Aber-
destillirt. (Hoffmann.)
Die Monochloressigsäure entsteht auch durch Einwirkung von
Honochloracetjlchlorid auf Wasser (vgl. $. 883).
Die Monochloressigsäure bildet wohlausgebildete Krjstalle, sie
schmilzt bei 62<^ und siedet bei ISö^' — 187<>,8. — Sie zerfliesst an
feuchter Luft und ist in Wasser äusserst löslich. Sie bildet wie die
Essigsäure mit Kali ein sehr lösliches, neutrales Salz: 62H2GIKO3 -f
IV2H2O und ausserdem ein übersaures Salz: [esHsClEGs, e2H,eiOJ,
welches bei Zusatz von Monochloressigsäure zur Lösung des neutralen
Salzes in Krjstallschuppen gefällt wird.
Das Barytsalz krystallisirt entweder in durchsichtigen wasserhaltigen Kiy.
•) Ann. Chem. Pharm. XXXII. 101.
••) ibid. Cn. 1.
Chloresslgsttiire. 577
stallen ^aHadBaO^ 4* ^3^) ^^^^ ^ weissen Warzen, die das wasserfreie Salz
sind *). (Kekul6). Das Sübersalz ist wasserfrei and in kaltem Wasser schwer
löslich.
Beim Erhitzen der monochloressigsauren Salze in trocknem Zustand
entsteht Ghlormetall und Glycolid (vgl. §. 797):
Monochloressig- Glycolid.
saures Kali.
eAciej^ _ eaHjO.e .+ kci
Bei anhaltendem Kochen der wässrigen Lösung oder besser beim Erhitzen
dieser Lösung auf 120^ tritt dieselbe Zersetzung ein, nur wird statt des
I Olycolid's Olycolsäure erzeugt:
' Honoehloressigsaures Kali. Oljcols&are.
Das Ammoniaksalz der Monochloressigsäure wird , wenn man es für sich
erhitzt, gerade so zersetzt wie das Kalisalz, es bildet neben Ghlorammo-
' nium Glycolid und Glycolsäure **); wird es dagegen mit einem
t Ueberschuss von starker Ammoniaklösung in einer zugeschmolzenen Röhre
i erhitzt, ao entsteht Glycocoll ***).
' Honoehloressigsaures GlycocolL
Ammoniak.
^^^M^i^ + NHa = e^H^NGa + NH4CI.
I Trichloressigsäure: GaClaHej = ^^^'^g|e. Sie entsteht bei 872.
Einwirkung von überschüssigem Chlor auf Essigsäure (Dumas), bei Ozy-
' dation des Ghlorals (§. 885) (Kolbe), bei Einwirkung von Wasser auf
Trichloracetylchlorid (§• 884), als Zersetzungsproduct des Perchloräthyl-
äthers und der Chloroxethose (vgl. §. 689). — Sie bildet sich endlich wenn
unter Einwirkung der Sonnenstrahlen Chlor bei Gegenwart von Wasser
auf den Chlorkohlenstoflf : GjCl^ einwirkt (Kolbe) f).
Diese letztere Bildungsweise ist desshalb von besonderem Interesse, weil sie
) eine vollständige Synthese der Essigsäure , d. h. eine künstliche Bildung aus den
I Elementen selbst, möglich macht (vgl §. 853).
*) Vgl. Hoffmann, loc. cit 8. 16.
••) Kekiil6, Ann. Chem. Pharm. CV. 286; und neuere Versuche.
•••) Cahours, ibid. CVIL 148.
t) Kolbe, ibid. UV. 181.
KtkaK» orgaa. Chemid. 37
S78 AMito'lv^irbiiidaagen.
Wird flüssiges Eohlenchlorid (63CI4) nnter einer Wassenchicfat in
Chlorgas gefüllten Flasche dem Sonnenlicht ausgesetzt, so entsteht, neben viel Aa-
derthalbchlorkohlenstoff (OaCl«), Trichloressigsfture. Der Vorgang ist offen-
bar folgender! durch Einwirkung Yon Chlor anf Kohlenchlorid (ß2Ci^ entsteht
zuerst Anderthalbchlorkohlenstoff (^aCl«) , dieser wirkt im Moment des Entstehens
anf 2 Holecfile Wasser ein, indem Trichloressigsfture und Salzsäure erzeugt
werden:
Anderhalb- Trichloressig-
chlorkohlenstoff. säure.
^jCl, + 2Hae = ejClaHe, + 3 Ha
Der Anderthalbchlorkohlenstoff verhält sich also bei dieser Reaction wie das Chlorid
m
eines dreiatomigen Radicals (63CI3 . Cl,) und die Bildung der Trichloressigslore ist
völlig analog der Bildung der Ameisensäure aus Chloroform (vgl. §. 823).
Da nun das Eohlenchlorid 62CI4 durch Einwirkung von Glühhitze auf Doppdt-
Chlorkohlenstoff CfCl« (§. 640) erzeugt wird, da dieser bei Einwirkung von Chlor
auf Schwefelkohlenstoff (6S3) entsteht und da der Schwefelkohlenstoff leicht durch
directe Yereinigung der ihn zusammensetzenden Elemente erhalten werden kann; ao
ist die DarsteUung der Trichloressigsäure aus den Elementen selbst möglich. Nun
kann aber die Trichloressigsäure mit Leichtigkeit in Essigsäure übergeführt werden
(siehe unten), es ist also, freilich anf nicht gerade kurzem Weg, die Möglichkeil
gegeben, die Essigsäure aus den Elementen selbst künstlich darzustellen.
Zur Darstellung der Trichloressigsäure aus Essigsäure und Chlor wird Ela-
essig in mit trocknem Chlorgas gefüllte Flaschen eingebracht und die Flaschen
dann dem directem Sonnenlicht ausgesetzt. (Auf ein Liter Chlorgas dürien höch-
stens 0,9 Gr. Eisessig angewandt werden.) Das Product wird in Wasser gelöst
und die Trichloressigsäure durch Erystallisation von der gleichzeitig gebildeten
Oxalsäure getrennt.
Die Trichloressigsäure krystallisirt in wohlausgebildeten rhom-
boedrischen Erjatallen; sie schmilzt bei 46® und siedet bei 195® — 200^.
Sie ist zerfliesslich. Von den Salzen der Trichloressigsäure ist das
Kali und Ammoniaksalz sehr löslich, selbst das Silbersalz ist in Was-
ser löslich«
Die Trichloressigsäure wird von Kalilauge und wässrigem Ammo-
niak schon bei gelindem Erwärmen zersetzt, in Kohlensäure und Chloro-
form:
Trichloressigsäure. Chloroform.
eiHClaOa = eHCl, + 60,
Diese Zersetzung ist, wie früher schon erwähnt, völlig analog der
Bildung von Grubengas bei Einwirkung von Kali auf ein essigsaures Sah
(88. 819, 236).
Durch Kalium- oder Natriumamalgam, durch Zink oder durch den
galvanischen Strom kann die Trichloressigsäure wieder in Essig-
säure übergefohrt werden (MeLsens, Kolbe).
B^omessigsKar^. 57g
Bromsubstitutionsproducte. Die Bromsubstitationsproducte 878.
der Essigsäure sind von Perkin und Duppa*) untersucht worden.
Brom wirkt auf Essigs&ure bei der Temperatur von 100® selbst im Son-
nenlicht nicht ein. Bei etwa 146<> erfolgt die Einwirkung schon im Dun-
keln sehr rasch.
Zur Darstellung der gebromten Essigsftoren erhitzt man am besten 3 Th.
Essigsäu^ehydrat mit 4 Th. Brom in einer zugeschmolzenen Röhre auf 150^. Der
Ueberschuss von Essigsfture dient zur Absorption der gebildeten Bromwasserstoff-
säure. Das Product wird abdestillirt bis das Thermometer auf 200^ gestieged ist.
Die rückständige Masse, ein Gemenge von Monobromessigsäure und Bibromessig-
sänre, erstarrt beim Erkalten krystallinisch ^ sie wird auf 180^ erhitzt und Kohlen-
säure durchgeleitet bis kein Bromwasserstoff mehr entweicht Man verdünnt dann
mit dem lOfachen Volum Wasser, sättigt in der Siedhitze mit kohlensaurem Blei,
lässt einige Stunden stehen, und filtrirt ab. Da das bibromessigsaure Blei weit lös-
licher ist als das monobromessigsaure , so bleibt alle Bibromessigsaure als Bleisalz
in Lösimg und der krystallinische , auf dem Filter bleibende Niederschlag gibt bei
Zersetzung mit Schwefelwasserstoff reine Monobromessigsäure.
Zur Darstellung der Bibromessigsaure leitet man durch siedende Mono-
bromessigsäure im Sonnenlicht Bromdämpfe und entfernt aus dem Product die ge-
löste Bromwasserstoffsänre indem man auf 120® erhitzt und Kohlensäure dnrch-
Idtet
Monobromessigsäure: ejHaBrO, = ^*^»^'gje. Sie krystal- 874.
lirt leicht in Rhomboedem; sie schmilzt unter 100® und siedet bei 208^
Sie ist in Wasser und Alkohol löslich und an feuchter Luft sehr zer-
fliesslich.
Durch Zink wird sie in Essigs&ure ttbergeführt Beim Erhitzen in
einer verschlossenen Röhre erleidet sie eine sonderbare Zersetzung, es
entsteht Bibromessigs&ure neben Kohlenoxyd etc., yielleicht nach
der Gldchnng:
Honobromessig- Bibromessig-
saure. säure.
3 eABrO, = e,H,Br,e, + 3 60 + €£4 + HBr + H^O
Die Alkalisalze der Monobromessigsäure sind löslich und krystallisirbar. Das
Blei- und Silbersalz sind krystallinische ^Niederschläge. Das Bleisalz kann aus
heissem Wasser umkrystallisirt werden, das Silbersalz zerfällt beim Kochen mit
Wasser in Bromsilber und Glycolsäure. Das Ammoniaksalz gibt beim Erhitzen
mit flberschtlssigem Ammoniak Glycocoll.
6 HBr f^)
Bibromessigs&ure: G2E^BT2i^2 = ^ 'hI^* ^^ ^^ ^^^ ^^'
lose Flflssigkeit, die bei 225® — 230® siedet und sich in Wasser, Alkohol
und Aether löst Das Ammoniak- und das Kali-salz sind löslich und kry-
•) Ann. Chem« Phann. C?. 61 ; OVm. 106; CX. 115.
87 •
580 Aeetylverbindimgen.
stallisirbar, das Bleisalz ist selbst in kaltem Wasser sehr löslidi; du
Quecksilber- and Silbersalz sind krystallinische Niederschläge.
Erhitzt man das bibromessigsaure Silber mit Wasser auf 100®, so
entsteht Bromsilber und Bromglycolsäure:
Bibromessigs. Silber. Bromglycolsäure.
e,HBr,Oj^ + H,e = ^'™gje, + AgBr.
Erhitzt man dasselbe Salz mit fiberschflssigem Silberoxyd, so wird
alles Brom eliminirt und es entsteht Glyoxylsäure:
Bibromessigsaure. Glyoxylsäure.
ejHjBrjOz + AgjO + H,e = G2H4e4 + 2 AgBr.
876. Jodsubstitutionsproducte der Essigsäure. (Perkin und
Duppa) *). Das Jod wirkt selbst beim Erhitzen auf 200® nicht substi-
tuirend auf die Essigsäure ein; aber man kann auf indirectem Weg die
JodsubstitytioDsproducte der Essigsäure darstellen. Erhitzt man nämlich
Monobromessigsäure- äthyläther oder Bibromessigsaure -äthyläther mitJod-
kalium, so wird das Brom gegen Jod ausgetauscht und man erhält den
Aether der Monojod- oder der Bijod-essigsäure. Man hat:
Monobromessig- Monojodessig-
sfiureäther. säureäther.
^^e^W + KJ = ^*e^|^ + ™'
Bibromessig- Bijodessig-
sftureäther. säureäther.
Zur Abscheidung der Monojodessigsäure wird ihr Aether mit Baiyt-
wasser gekocht und das erhaltene Barytsalz mit Schwefelsäure zersetzt
Die Bijodessigsäure erhält man aus ihrem Aether, indem man diesen durch
Schüttehi mit Kalkmilch zersetzt und aus dem Ealksalz die Säure dnrdi
Zusatz von Chlorwasserstoffsäure fällt
Monojodessigsäure: ^ H(^* ^^^ krystallisirt leicht in
farblosen rhombischen Tafeln; sie schmilzt bei 82® und ist nicht zerfliess-
lioh. Beim Erhitzen wird sie zersetzt Das Silbersalz zerfällt leicht in
Jodsilber und Glycolsäure.
G HJ O)
Bijodessigsäure: ^ ^h1^* ^^^ ^^^ ^ Wasser wenig löslieh,
*) Ann. Chem. Pharm. CZSL 125. — Gompt rend. Juni 18d0. p. 1161k
SubstitationBproduete der EsBigsänreSther. S8i
löst sich aber leicht in Alkohol und Aether und krystallisirt beim Ver-
dunsten dieser Lösungen in grossen Erjstallen. Zersetzt man ein bijod-
essigsaures Salz durch eine Säure, so fällt die Bijodessigs&ure als schwe-
res, bald krjstallinisch erstarrendes Oel aus.
Das bijodessigsaure Silber zerfällt beim Kochen mit Wasser in Jod*
Silber und Jodgljcol säure:
Bijodessigs. Silber. Jodglycolsäure.
WOj^ + H,e = ^'%^je, + Agj
Substitutionsproducte der Essigsäureäther.
Substitutionsproducte der Aetherarten der Essigsäure können durch ^^*
i zwei Töllig verschiedene Reactionen dargestellt werden. Man kann ent-
weder 'aus einer substituirten Säure (oder dem entsprechenden Chlorid)
durch Einwirkung eines Alkohols den Aether der substituirten Säure dar-
' stellen, oder man kann auf einen Aether der Essigsäure Chlor oder
t Brom einwirken lassen und so Substitutionsproducte des schon gebildeten
^ Aethers darstellen. Für die nach der ersten Art erhaltenen Aether ist
es durch die Art der Darstellung nachgewiesen, dass der Wasserstoff des
Essigsäureradicals und nicht der des Alkoholradicals durch Chlor oder
Brom vertreten ist. Bei den nach der zweiten Methode dargestellten sub«
stituirten Aethern ist es völlig unentschieden, ob die Substitution im
Säureradical oder im Alkoholradical stattgefunden hat.
I. Aether der substituirten Essigsäuren.
Die chlor-, brom- oder jodhaltigen Essigsäuren bilden im Allgemei- 678.
nen sehr leicht Aetherarten. In den meisten Fällen entsteht schon bei
längerem Stehen eines Gemenges der freien Säure mit Alkohol, oder we-
nigstens bei Erhitzen dieses Gemenges, die betreffende Aetherart
Man kennt bis jetzt die folgenden Aether Bubstituirter Eosigsänren:
Monochloressig-äthyläther ßfi^de^ = ^^^^^^jo Siedep. 148ö,6
Trichloresßig^thyläther Gfi^Cl^e^ = ^0^'^}^ « 164*
Monobromessig-niethyläther GaH^Brea = ^^^'^^j^ „ 144«
Monobromessig-Äthylfitiier e4H,Brej = ^*°^^|e „ 169*
MonobromesBig-amylfither G^HijBrea = ^*^^|o „ 207»
Bibromeasig-äthyläther eABrjOa = ^^""^[^
Monojodessig-äthyläther e4H,Je, « ^*e*^|^
Bycdeesig-Äthyläther Ofi^^^^ = ^^^^^\^
562 Acpif lTÄprbijw*^PDi,gfwu
Der Monochloressig-älJiylfither ist Ton Willm *) durch Einwirlnmg von
Chloracetylchlorid (§888) auf Alkohol, der Trichloressig-äihyläiher von Dumas ^)
durch Destillation von Alkohol, Schwefelsäure und trichloressigsaurem Kali erhal-
ten worden.
Die Aether der gebromten Essigs&uren sind von Perkin n. Duppa **^')
durch Einwirkung der Säure auf den betreffenden Alkohol, die Aether der jod-
haltigen Essigsäuren durch Zersetzen der entsprechenden bromhalügen Yerbindiiii-
gen mittelst Jodkalium dargestellt (vgl. §. 876).
Lässt man auf den bei 185® — 190® destillirenden Theil des Productes der
Einwirkung von Chlor auf Essigsäurehydrat (§. 870) Alkohol einwirken , so wird
ein Gemenge von Aethem erhalten, deren Chlorgehalt um so grösser ist, je höher
der Siedepunkt:
Siedepunkt. Chlorgehalt
143«-144® 81,4 %
146«~148* 88,8 %
148®- 162* 87,8 %
152® -167® 42,7 %
157®--164® 46,9 %
Das erste Product entspricht in Siedepunkt und Chlorgehalt nahezu dem Mono-
chloressig-älhyläther (29®/^ Chlor); die beiden letzten enthalten annähernd die dem
Bichloressig-äthyläther entsprechende Menge Chlor (45,22 ®/0) f).
n. SubstitutioDsproducte der Essigsäureäther.
879. Essigsäuremetbyl&ther. Bei Einwirkung von Chlor aofEssig-
säuremethyläther im zerstreuten Tageslicht entsteht Bichloressigsfture-
methjläther ff ) =: ejH^CljOj, eine bei 148<> unter theilweiser Zersetzung
siedende Flüssigkeit, die beim Kochen mit Wasser oder Alkalien in
Ameisensäure, Essigsäure und Salzsäure zerf&Ut:
Bichloressigsäure- Ameisen- Essigsäure,
methyläther. säure.
esH4Clje, + 2H,0 = GH,0, + €aH40, + 2 HCl
Nach dieser Zersetzung scheint es, als ob das Chlor im Alkoholradical und
nicht im Säureradical enthalten sei.
Lässt man Chlor im Sonnenlicht auf Essigsäuremethyläther einwir-
ken, so wird aller Wasserstoff durch Chlor vertreten und es entsteht:
PerchloressigsäuremethylätherfffjzzrGaCl^O,. Der soerhaltene
Aether ist identisch mit Perchlorameisenäthyläther (§. 836).
•) Ann. Chem. Pharm. CII. 109.
••) ibid. XXXII. 112.
•••^ Vgl die bei den betreffenden Säuren angegebenen Abhandlungen,
f) G. C. Foster, Privatmittheilung.
•H*) Malaguti, Ann. Chem. Pharm. XXXH 89.
tH-) Clofiz, ibid. LX. 261.
8Tib0titatK«sinrodiieto 4es BMgftthers. 5g3
Hau hat
Perchlorameisen- PerchloresBigsftiire-
sänre&thylttther. . meihyläther.
Man hfttte danach erwarten sollen zwei isomere aber in ihren Eigenschaften ver-
schiedene Substanzen za erhalten. Der Versuch hat dagegen gezeigt, dass beide
Substanzen nicht isomer, sondern in ihren physikalischen Eigenschaften und ihren
diemischen Zesetzungen identisch sind.
Essigs&ureäthyläther. Chlor wirkt auf EBsigsäure&thylftther 880.
selbst in zerstreutem Tageslicht stark ein. NachMalaguti undLeblano
wird wesentlich Bichloressigsäureäthjläther erhalten. Nach Ver-
suchen vonSchillerup *) entsteht, wenn man die Einwirkung des Chlors
so lange fortsetzt, bis dasselbe bei 100® unabsorbirt entweicht, ein Ge-
menge verschiedener Substitutionsproducte , die durch fractionirte Destil*
lation nicht getrennt werden können.
^ Die analytischen Resultate machen es wahrscheinlich, dass dieses Gemenge
I aus den drei ersten Chlorsubstitutionsproducten des Essigäthers, d. h. aus einfach-,
zweifach- und dreifach -gechlortem Essigftther besteht Ifan fand:
Siedepunkt Chlorgehalt
100»-106* 88.4 %
lOÖ^—llO» 37.8 %
' 110«-116« 40.8 %
^ Das letzte Product rectifidrt gab :
\ 100«-106* 87.1 %
I 115«— 120» 43.6 %
Das bei der ersten Destillation über 120^ Siedende gab bei Rectification:
100«- 110« 40.6 «lo
110«— 120« 46.8 «/o
120®— 130« 48.6 %
180*— 140» 60.6 %
Die Rechnung verlangt:
e4H,C10a 28.9 %
e4H.Claea 46.2 %
OAClae, 66.6 %
Bemerkenswerth ist noch, dass die Siedpunkte der so erhc^tenen gechlorten
Essigäther weit niedriger liegen als die der aus Chloressigsäure dargestellten Aether
von entsprechendem Chlorgehalt
Wird Essigs&ureäthylather zuerst im zerstreuten Tageslicht mit Chlor
ges&ttigt und dann bei Einwirkung des directen Sonnenlichtes und unter
gleichzeitigem Erhitzen auf 110^ noch andauernd mit Chlor behandelt, so
wird aller Wasserstoff durch Chlor vertreten. Man erh< Perchlor-
*) Ann« Cbem. Fhann. GZL 129.
584 AeelylTerbliidiiiigeiL
essigsäureathylather = 64CISO2 = ^ecf |^» *^® durchdrin-
geDd riechendes schweres Oel, welches sich beim Erhitzen auf 245® in
Trichloracetjlchlorid (§. 884) umsetzt. Man hat:
Perchloressigsäure- Trichloraoetyl-
äthyläther. chlorid.
e4Cig03 = 2 6201,0. a.
Diese Zersetzung des Perchloressigsäureäthyläthers entspricht ▼oll-
ständig der Spaltung des Perchlorameisenmethylfithers in Carbonyl-
chlorid (Phosgen) und der des Perchlorameisenäthyläthers oder des
identischen Perchloressigsäuremethyläthers in Trichloracetylchlorid
und Carbonylchlorid (§. 886). Das Carbonylchlorid steht zur Ameisensäure
und zum Methyl genau in derselben Beziehung wie das Trichloracetylchlorid zur
Essigsäure und zum Aethyl; es kann als Chlorformylchlorid betrachtet werden:
(ee.cia = ecie.ci).
Der Perchloressigsäureäthyläther zerfällt mit Wasser, mit Alkalien^
mit Alkohol und mit Ammoniak genau wie das mit ihm isomere Trichlor-
acetylchlorid.
Substitutionsproducte des Acetamids.
881. Die bis jetzt bekannten Substitutionsproducte des Acetamids sind
nicht durch substituirende Einwirkung aus schon gebildetem Acetamid
erhalten worden , sie sind vielmehr Producte der Einwirkung von Ammo-
niak auf einen Aether einer substituirten Essigs&ure oder auf ein diesen
Säuren entsprechendes Ghorid.
(ejHjCie
Monochloracetamid = ©2H4CI0N = NJh ; von
/H
Willm *) durch Einwirkung von Ammoniak auf Honochloracetylchlorid
(S. 883) erhalten, krystallisirt in glänzenden Blättern, es ist in 10 Th.
Wasser von 24® löslich; Alkohol löst es etwas leichter, Aether nicht.
(6201,0
Trichloracetamid = G2H2ClaeN = Nm ; von Cloö*
/H
1845 entdeckt; entsteht bei Einwirkung von Ammoniak auf Triohloressig-
Säureäthyläther (§. 878) , oder auf Trichloracetylchlorid (§. 884).
Auch bei Einwirkung von Perchloräthyläthcr (§. 689) , Perchlorameisensäure.
äthyläther (§. 836) sowie dem mit diesem identischen Perchloressigsäuremethyl&tfaer
(S. 879) und Perchloressigsäureäthyläther (§. 880) auf Ammoniak wird Trichlor-
acetamid gebildet, was leicht erklärlich ist, wenn man sich erinnert, dass alle
•) Ann. Chem. Pharm. OL 110.
SnbBÜtaiionBprodacte.
585
diese Körper beim Erhitzen Chloracetylcblorid und bei Einwirkung von Wasser
oder Alkalien TrichloressigBäare erzeugen.
Das Triohloracetamid ist in Wasser kaum löslich; es krystalli-
sirt in farblosen Prismen, die bei 135® schmelzen, es siedet bei etwa 230®
unter theilweiser Zersetzung:
Lässt man auf feuchtes Trichlofacetamid im Sonnenlicht Chlorgas
einwirken, so entsteht ein krystallisirbares in Aether und in Alkohol lös-
liches, in Wasser unlösliches Product: 62HCI4ON, welches von Glo6z
Chloracetaminsäure genannt worden ist, weil es mit Kali und mit
Ammoniak krystallisirende Verbindungen bildet Dieser Körper ist wahr-
lejCijO
scheinlich: N{C1 und steht demnach zum Trichloracetamid in ahn-
lieber Beziehung wie das Aethjlbichloramin zum Aethjlamin (vgl. §. 722).
iGjHßrje
Dibromacetamid = 02H3Br20N = N<H ; entsteht, wenn
/H
ein Aether der Dibromessigsäure durch Ammoniak zersetzt wird. Durch
eine entsprechende Reaction wird aus einem Aether der Bijodessigsäure
das Bijodacetamid = 62H3J2ON erhalten. Beide Amide sind kry-
stallisirbar, in Alkohol und Aether leicht, in Wasser wenig löslich. (Per-
kin und Duppa).
Substitutionsproducte des Aldehyds und des Acetyl-
chlorids.
Wenn man den Aldehyd als Hydrür des Radicals Acetyl und das 882.
Acetylchlorid als das Chlorid desselben Radicals betrachtet, und wenn
man annimmt, der Wasserstoff des Radicals könne durch Chlor vertreten
werden, ohne dass die Verbindung ihren Typus und ihren chemischen
Charakter ändert, so hätte man die folgenden Reihen von Verbindungen,
in welchen je drei Glieder gleiche Zusammensetzung zeigen :
empirische Formel.
Aldehyd
GaH, G.H
OaH^ G
eaHjCl e .H
GaHaCl G
GjH, G.Cl
Acetylchlorid.
OaHClaO.H
eaHjClaG
GaHaClO.Cl
Monochloracetyl-
chlorid.
Chloral
e, ci,e.H
GaH ClaO
GaHClaG.Cl
Ga CI3G
Ga CI3G.CI
Trichloracetyl-
chlorid.
Man sieht leicht, dass in jeder Reihe einzelne Glieder fehlen und
zwar gerade diejenigen, die in der andern Reihe vorhanden sind; so
also, dass, wenn man beide Reihen in einander schiebt, eine fortlaufende
586 AoetflverUndimgen.
Reihe von Verbindungen erhalten wird, die der empirischen Formel nach
als Substitutionsprodacte des Aldehyds betrachtet werden können. Es
liegt demnach der Gedanke nahe, dass es wirklich nur Eine Reihe sol-
cher Verbindungen gibt und dass es von der Anzahl der in der Verbin-
dung enthaltenen Chloratome abhängig ist, ob dieselbe das Verhalten
eines Aldehyds (Hydrürs) oder das Verhalten eines Chlorids zeigt Be-
merkenswerth ist jedenfalls, dass, nach neueren Versuchen von Wurtz •),
bei Einwirkung von Chlor auf Aldehyd das Acetylchlorid (vgl. $. 841)
und bei weiterer Einwirkung von Chlor auf dieses das Honochlor-
acetylchlorid erhalten wird; während nach einer älteren Angabe von
Fehling *•) unter den Producten der Einwirkung von Chlor auf Aldehyd
Chlor al enthalten ist.
888. Monochloracetylchlorid: GjHjCljO = ejHjClO.Cl; wurde
von Wurtz durch Eintragen von Acetylchlorid in mit Chlor gefüllte
Ballons erhalten; es entsteht auch bei Einwirkung von Phosphorchlorid
auf Olycolsäure (vgl. §. 821. L). Es siedet bei etwa 105<^. Es zersetzt
sich mit Wasser zu Salzsäure und Monochloressigsäure ; es bildet mit
Alkohol Monochloressigsäure -äthyläther (§. 878), mit Ammoniak Mono-
chloracetamid (§.881); verhält sich demnach wie das Chlorid des einfach
gechlorten Essigsäureradicals.
884. Trichloracetylchlorid: CjCUO = 6,0,0. Cl. Von Mala-
guti '*'**) 1844 entdeckt. Es entsteht, wie mehrfach erwähnt, sehr häufig
bei Zersetzung völlig gechlorter Aether durch Hitze.
Der Perchloressigsftureäthyläther zerfiUlt gerade auf in 2 Molectüe
Trichloracetylchlorid (vgL §• 880); der Perchloressigsäuremethyläther
(§.879) und der identische Perchlorameisensäureäthyläther ($. 8S6) lie-
fern Trichloracetylchlorid neben Carbonylchlorid ; der Perchloräthyl&ther
(S. 689) Trichloracetylchlorid neben Chlorkohlenstoff (6aCl«); der Perchlor-
kohlensäureäthyläther gibt Trichloracetylchlorid neben Chlorkohlenstoff
(62CI9) und Kohlensäure; der Perchlorozalsäureäthyläther zerflUlt in Tri-
chloracetylchlorid, Carbonylchlorid und Eohlenozyd.
Es ist eine farblose, rauchende Flüssigkeit, die bei 118® siedet;
spec. Oew. 1,6. Es zersetzt sich mit Wasser allmälig zu Salzsäure und
Trichloressigsäure ; mit Alkohol gibt es Trichloressigsäure- äthyläther
($. 878); mit Ammoniak Trichloracetamid ($. 881). Durch Einwirkung
von Phosphorwasserstofif entsteht ein phosphorhaltiges Amid, das T ri-
eh loraoetylphosphid = 62H2C130P; eine krystallisirbare Substanz,
die bis jetzt der einzige Repräsentant der vom Phosphorwasserstoff sich
ableitenden und den phosphorhaltigen Basen (§§. 731 ff.) entsprechenden
Amide ist
*) Ann. Chem. Pharm, dl. 98.
••) ibid. XXXn. 26.
•••) ibid. LVL 268.
CUona. 587
Chloral, Triehloraldehyd: e^UCi^O =2 e^CitB .E. Von Lie- 88ß.
big*) 1832 entdeokt, von Dumas und von Stftdeler **) untersucht
Es entsteht bei lange fortgesetzter Einwirkung von Chlor auf Alkohol
(vgl. S. 647) (Liebig) und bei Destillation von Stärke oder Zucker (1 Th.)
mit Salzsäure (7 Th.) und Braunstein (3 Th.) (Städeler).
Zur Darstellung des Chlorals aus Alkohol leitet man durch möglichst abso*
> loten Alkohol anfangs unter Abkflhlen später unter Erhitzen trocknes Chlorgas;
I der Alkohol geht, während Ströme von Salzsäure entweichen, in eine dicke Flüs-
sigkeit über, die sich während der Operation in zwei Schichten trennt, durch fort-
gesetztes Chloreinleiten aber wieder homogen wird. Das Einleiten des Chlors muss
möglichst lange fortgesetzt werden, sonst wird statt des Chlorals wesentlich ein
I Gemenge von gechlorten Acetalen (§. 892) erhalten. Das Endproduct der Reaction,
unreines Chloralhydrat, erstarrt bei längerem Stehen krystallinisch. Schüt-
I telt man es direct mit dem mehrfachen Volum Schwefelsäure, so scheidet sich eine
l oben aufschwimmende Schicht von Chloral aus, die bei mehrstündigem Stehen
in die unlösliche Modification übergeht Zur Darstellung von reinem Chloral aus
diesem Rohproduct kann man entweder direct mit dem mehrfachen Volum Schwe-
felsäure schütteln und destilliren; oder man lässt das nach dem Schütteln mit
Schwefelsäure abgeschiedene Chloral in unlösliches Chloral übergehen, wascht die-
* ses mit Wasser, trocknet es gut und erhitzt es, wobei es sich bei 180<^ in flüssiges
i Chloral umwandelt, welches überdestillirt. Jedenfalls muss das Product nochmals
über Schwefelsäure und zuletzt zur Entfernung der Salzsäure Über gebranntem Kalk
rectificirt und nur das bei 94 — 99® überdestiliirende aufgefangen werden. — Will
man neben dem Chloral auch die gechlorten Acetale gewinnen , so schüttelt man
' das Rohproduct mit Wasser, trennt das unlösliche Gel von der wässrigen Lösung
des Chloralhydrats, dampft diese letztere ein und destillirt mit Schwefelsäure.
' Das Chloral ist eine farblose, leicht bewegliche Flüssigkeit, von
durchdringendem eigenthümlichem Geruch; seine Dämpfe greifen die Au-
gen heftig an. Es siedet bei 94,4®, Dumas (99® Kopp) ; spec. Gew. 1,502.
. — Es- löst sich leicht und unter Erhitzen in Wasser, indem Chloralhydrat
, entsteht.
I Es verhält sich in vielen Reactionen dem Aldehyd analog; es bildet
mit sauren schwefligsauren Salzen krystallisirende Verbindungen ; mit Am-
, moniak entsteht eine Verbindung, die das Silber in spiegelnder Form re-
, ducirt; Schwefelwasserstoff fällt aus der wässrigen und aus der ammo-
^ niakalischen Lösung schwefelhaltige Verbindungen, von denen die erstere
wahrscheinlich dem Sulfaldehyd (§. 842), die letztere dem Thialdin (§. 843)
entspricht (Städeler) ♦♦*). Durch Kochen mit concentrirter Schwefelsäure
wird es oxydirt und zum Theil in Trichloressigsäure übergeführt (Eolbe).
Nach allen diesen Reactionen entspricht das Chloral dem Aldehyd. Betrach- 886.
tet man diesen als Hydrür des Radicals: O^H^O (vgl. §.841), so ist das Chloral
*) Ann. Chem. Pharm. I. 189.
••) ibid. LXL 101.
•••) ibid. CYL 268.
588 AeetylverUndmigen.
das Hydrfir des gechlorten Radicals: 63CI30, welches auch in der TrichloressigsSnre^
dem Trichloracetamid und dem Trichloracetylchlorid angenommen werd^L kann.
Betrachtet man dagegen den Aldehyd als: ^^>0, (vgl. §. 850), so ist das
ö Gl I
Chloral: ^ J|0. Diese letztere Formel bringt das Chloral in einfache Beziehnng
zu der §. 689 beschriebenen Ozethose. Die Ozethose verhält sich zum Chloral
wie der Aldehydäther (§. 850.2) zum Aldehyd; sie kann als ein Substltationapro-
duct des Aldehydäthers betrachtet werden:
Aldehyd. Chloral. Aldehydäther. Ozethose.
€^^j^ €.a^j^ eAj^ e,a.j^
Die Ozethose steht demnach zum Trichloräthyläther (§. 689) genau in der-
selben Beziehung, wie der. AldehydSther zum Aethyläther und wie der Aldehyd
zum Alkohol.
887. Wässrige Alkalien zersetzen das Chloral in Chloroform und amei-
sensaures Salz. Man hat:
ChloraL Kalihydrat. Chloroform. Ameisens. EalL
-1% S}» = «HCU + »f(« ■
H
Erhitzt man Chloral mit Salpetersäure, so entsteht (neben der Tri-
Chloressigsäure) auch Chlorpikrin (EekuM) *). Die Zersetzung kann durch
das Schema versinnlicht werden:
Chloral. Salpetersäure. Chlorpikrin. Ameisensäure.
1% 5^]0 = e(Ne,)ci, + 6H,o,
H ■
Mischt man Chloral mit einer Lösung von Alkoholnatrium in Alko-
hol, 80 wird es unter Erhitzung zersetzt; es entsteht: Chloroform und
Ameisensäure- äthyläther (Eekul^).
ChloraL Alkohol. Chloroform. Ameisensäure-
äthylftüier.
H
Beide Zersetzungen entsprechen vollständig der Bildung von Methylwasser-
stoff beim Erhitzen eines essigsauren Salzes mit Ealihydrat (§. 795) und femer der
Bildung der Aldehyde und der Acetone beim Erhitzen der Salze oder Salzgemenge
der fetten Säuren (§. 808).
888. Chloralhydrat: esHClaO + H^O. Lässt man Chloral an feuch-
ter Luft stehen, oder verdunstet man eine Lösung von Chloral in Wasser,
*) Ann. Chem. Pharm. CVI. 144i
SnbBtitairte Acetale. . 5g9
80 erhält man schöne Erystalle von Chloralhydrat. Es riecht eigenthüm-
lieh, von Ghloral völlig verschieden; es sublimirt schon bei gewöhnlicher
Temperatur, siedet aber erst bei 120®. Durch Schattein mit Schwefel-
säure wird es durch Wasserentziehung in Ghloral verwandelt.
Die D&mpfe des Chloralhydrats scheinen ein Gemenge von Wasserdampf und
Ghloral zu sein; wenigstens ist die Dampfdichte nur halb so gross, als die ans
dem Moleculargewicht berechnete; gefanden: 2.76, berechnet: 5.06; (vgl. §. 402).
Metachloral, unlösliches Ghloral, hat man die weisse, ^^'
amorphe, mit dem Ghloral isomere Substanz genannt, in welche selbst
reines Ghloral beim Aufbewahren allmälig übergeht, und die besonders
leicht entsteht, wenn flQssiges Ghloral bei gewöhnlicher Temperatur mit
Schwefelsäure in Berührung ist. Das unlösliche Ghloral wird von Wasser
nicht gelöst, es geht beim Erhitzen auf ISO-— 200® in gewöhnliches Ghloral
über; es steht also wahrscheinlich zum Ghloral in derselben Beziehung
wie der Hetaldehyd (§. 839) zum Aldehyd.
Ghloralid = BiU^Gl^B^ *). Entsteht beim Erhitzen von flüssi- 890.
gern Ghloral mit concentrirter oder mit rauchender Schwefelsäure. Es ist
in Wasser und in kaltem Alkohol fast unlöslich. Aus heissem Alkohol
oder aus Aetheralkohol krystallisirt es in weissen Nadeln oder in grossen
Prismen. Es schmilzt bei 112® und siedet bei 260®.
Die chemische Natur des Chloralid's ist noch nicht erkannt. Es enthalt die
Elemente von 8 Ghloral — 1 Chloroform oder von 2 Ghloral 4- Eohlenozyd.
Bromal: OaHBrj^. Durch Einwirkung von Brom auf absoluten Alkohol 891.
hat Löwig **) ein dem Ghloral entsprechendes Bromal dargestellt, welches mit
Wasser eine krystallisirende Verbindung: Bromalhydrat liefert.
Snbstitutionsproducte des Acetals.
> Durch Einwirkung oxydirender Substanzen auf Alkohol, z. B. durch i
I Destillation mit Braunstein und Schwefelsäure, entsteht Acetal (§. 847).
Lässt man Ghlor auf wässrigen Alkohol einwirken, so entsteht ebenfalls
Acetal (Stas) ; bei längerer Einwirkung des Ghlors findet dann Substitu-
tion des gebildeten Acetals statt und es entstehen gechlorte Acetale
(Dumas , Lieben ***). Man kennt bis jetzt die folgenden :
Monochloracetal = e,Hi,Cl Oj = m H')1e ^^®^®P' l^-^^**
I Dichloracetal = B^Ei^Cia^i = feaHSa}S " 170-185«.
Trichloracetal = e^ü^iCi^e^ = ^^'jS
•) Stftdeler, Ann. Chem. Pharm. LXI. 104; GVI. 258; Kekol^, ibid. GV. 298.
••) Ann. Ghem. Pharm. IDL 288.
•••) ibid. CIV. 114.
590 ^^^ BSXöteä.
I
Die beiden ersteren entstehen bei Einwirkung von Chlor auf 80 procentigen
Alkohol j das Trichloracetel wird bei Anwendung von absolutem Alkohol erhalten,
seine Bildung geht der des Chlorals voraus (vgl. §. 885) , und dieses ist vielleicht
ein Zersetzungsproduct des Trichloracetals. Man könnte dann die Einwirkung des
Chlors auf Alkohol (§. 647) ausdrücken durch die Formeln:
ejH, O + Qj = 2HC1 4- 6aH40 Aldehyd.
^2^4 e + 2e2H.0= Ha^ 4- 6,Hji40a AcetaL
^•1^14^2 + Cla = Ha 4- 6eH„Ciea MonochloracetaL
€eH,,Cie2 + Cla = HCl + eeHuClaO, Bichloracetal
eeH,aCl202 4- Cla = HCl 4- 6eH„Cl,ea Trichloracetal.
6eHiiCl,ea + 2HC1 = HaO + 2eaH5Cl 4- eaHCl,e Chloral.
An die eben besprochenen Körper schliesst sich noch ein chlorhal-
tiges, bei 120^ siedendes Product an, welches Wurts*) bei Einwirkung
Yon Chlor auf Aldehyd erhielt, und das seiner Zusammensetzung nach
(64H7CI92) als ChlorsubstitutioDsproduot einer mit dem Aldehyd polyme-
ren Substanz, vielleicht des Acraldehyds (§. 839) betrachtet werden kann.
Durch Einwirkung von Chlor und von Brom auf Methylalkohol
hat Glogz**) zwei Substanzen erhalten, die mit dem Chloral undBromal
isomer zu sein scheinen und als Parachloralid: Oj^^'s^ ^^^ Para-
bromalid bezeichnet werden. Beide Körper lassen, wenn anders die
fUr sie mitgetheilten Formeln richtig sind, bis jetzt keinerlei Deutung zu.
Fette Säuren: enEuO^.
Ein Verzeichniss der bis jetzt bekannten fetten S&uren wurde §. 828
gegeben. Es sind dort gleichzeitig die wichtigsten physikalischen Eigen-
schaften (Siedepunkt und Schmelzpunkt) für jede einzelne Säure beigeflQgt,
die Beziehungen der physikalischen Eigenschaften zur Zusammensetzung
besprochen und ausserdem allgemeine Bemerkungen über Vorkommen,
Bildung etc. zusammengestellt (vgl. ferner §$. 817). Die zwei ersten
Glieder der Reihe, Ameisensäure und Essigsäure, sind im Vorher-
gehenden ausführlich mit allen Abkömmlingen abgehandelt. Da nun die
übrigen fetten Säuren und ihre Abkömmlinge , soweit dieselben bis jetzt
untersucht sind, die grösste Analogie mit der Essigsäure und den von
diesen sich herleitenden Verbindungen zeigen, so genügt eine kurze An-
gabe von Vorkommen und Darstellung dieser Substanzen und es ist nur
dann eine speciellere Beschreibung nöthig, wenn die betreffende Verbin-
dung praktisch wichtig ist, oder wenn sie ein theoretisch interessantes
und von dem der t\J>rigen fetten Säuren abweichendes Verhalten zeigt.
•} Ann. Chem. Pharm. GH. 94
•♦) ibid. CXL 17a
Fette Säarai. 591
Zunftchst mag erw&hnt werden, dass man häufig die Reihe der fei-
ten Säuren in zwei Abtheilungen trennt; indem man als flflssige Fett-
säuren die niederen, meist bei gewöhnlicher Temperatur flüssigen und
und unzersetzt flüchtigen Säuren (etwa bis zur Caprinsäure) zusammen-
fasst, während man die an Kohlenstoff reicheren, bei gewöhnlicher Tem-
peratur festen und nur unter theil weiser Zersetzung flüchtigen, als feste
Fettsäuren bezeichnet
In Betreff der Darstellung der fetten Säuren muss noch bemerkt
werden, dass viele, namentlich die festen Fettsäuren, einzig aus den sie
fertig gebildet enthaltenden Substanzen, den Fetten dargestellt werden
können; mit Ausnahme der Margarinsäure, die sogar nur künstlich,
aus dem Cyanid des nächst-kohlenstofiarmeren Alkohols erhalten worden
le ist (während ihre Existenz in den Fetten zum mindesten zweifelhaft ist);
jjr und der Melis sin säure, die ebenfalls nicht fertig gebildet in der Natur
ai gefunden, sondern durch Oxydation des Alkohols von gleichviel Eohlen-
Ki Stoffatomen erhalten wurde. Für manche der flüchtigen fetten Säuren
n bieten einzelne der früher erwähnten künstlichen Bildungsweisen gleich-
i; zeitig zweckmässige Methoden der Darstellung dar. Da z. B. jeder Al-
;x; kohol entweder in die fette Säure von gleichem Eohlenstoffgehalt oder
g( in die um 1 Atom Kohlenstoff reichere Säure übergeführt werden kann,
0 so sind diejenigen. Alkohole, die man sich leicht in grösserer Menge ver-
^ schaffen kann, zweckmässige Ausgangspunkte für die Darstellung zweier
fetten Säuren. Die Baldriansäure wird z. B. vortheilhaft durch directe
Oxydation des Amylalkohols gewonnen. Die Oenanthsäure kann mit Yor-
theil aus dem Cyanid dieses Alkohols, dem Cyanamyl erhalten werden.
Ebenso kann das Cyanid des gewöhnlichen Alkohols, das Oyanäthyl, mit
Vortheil zur Darstellung der Propionsäure dienen. Für (}ie Propionsäure
ist ausserdem eine andere Bildungsweise, die indirecte Reduction der
Milchsäure, eine zweckmässige Darstellungsmethode. Die Buttersäure end-
lich wird am einfachsten durch Oährung des Zuckers, besonders des Milch«
Zuckers, gewonnen.
Da die natürlichen Fette stets Gemische verschiedener fetten Säuren 894
sind und da auch bei anderen Darstellungen, z. B. bei Oxydationen und
selbst bei Gährung, meist verschiedene fette Säuren neben einander erhal-
ten werden, so bieten diejenigen Methoden, nach welchen eine vollstän-
dige Trennung der verschiedenen fetten Säuren möglich ist, ein beson-
deres Interesse.
Flüchtige fette Säuren können durch öfter wiederholte fractio-
^ nirte Destillation nur sehr unvollständig getrennt werden. Eine vollstän-
dige Trennung ist nur durch partielles Neutralisir en und Abdestil-
liren der nicht gebundenen Säure möglich.
Will man z. B. Battersäure von Valeriansäure scheiden, so sättigt man einen
Theil des Säuregemenges mit Kali oder Natron, fügt die übrige Säure zu und
destUlirt Man erhfilt dann, je nach den Mengenverhfiltnissen in welchen beide
592 Fette Sftoren.
Säuren vorhanden waren, entweder im Destillat reine Battersftnre, während der
Rückstand beide Säuren enthält, oder man hat im Destillat beide Säuren and der
Rückstand enthält nur Valeriansäure. Die erste Operation gibt also eine der bei-
den Säuren rein. Durch ein- oder mehrmaliges Wiederholen der Operation, d. h
durch partielle Sättigung und Destillation des gemengten Destillats oder des aus
dem Rückstand mit Schwefelsäure abgeschiedenen Säuregemenges, kann auch die
andere Säure rein erhalten werden. — Enthält das Gemenge Essigsäure, so bleibt
diese stets als saures essigsaures KaU im Destillationsrückstand (Liebig) *).
Die festen fetten Säuren können durch mehrfach wiederholtes
Erjstallisiren aus Alkohol nur in den wenigsten Fällen getrennt werden.
Eine vollständige Trennung wird dagegen erreicht durch die von Heintz **)
empfohlene Methode der partiellen Fällung ♦♦♦).
Man fällt eine alkoholische Lösung des Säuregemenges mit einer zur völli-
gen Zersetzung bei weitem ungenügenden Menge von in Alkohol gelöstem essig-
saurem Blei oder essigsaurer Magnesia oder von in Wasser gelöstem essigsaurem
Baryt Man wiederholt mit der aus jedem Niederschlag abgeschiedenen Satire diese
Behandlung so oft, bis man eine Säure erhält, die durch partielle Fällung nicht
mehr weiter zerlegt werden kann, bis also die ans den zuerst und aus den »t
letzt gefällten Salzen abgeschiedenen Säuren gleiche Zusammensetzung und gleiche
Schmelzpunkte zeigen.
Nach dieser Methode hat man gefunden, dass manche der aus Fet-
ten dargestellten Säuren, die man früher für chemische Individuen hielt,
Gemenge verschiedener fetter Säuren sind. Man hat z. B. die frOher als
Margarinsäure bezeichnete Säure als ein Gemenge von Palmitin-
säure und Stearinsäure erkannt. Die nach dieser Methode ange-
stellten Untersuchungen haben es ferner wahrscheinlich gemacht, dass in
den natürlichen Fetten nur diejenigen fetten Säuren vorkommen, für welche
die Anzahl der Eohlenstoffatome durch 2 theilbar ist
Dass für die festen fetten Säuren der Schmelzpunkt das hauptsäch-
lichste Kriterium der Reinheit ist, ist früher schon erwähnt worden;
ebenso, dass Gemenge verschiedener fetten Säuren immer einen niedrige-
ren Schmelzpunkt zeigen als die am schwersten schmelzbare Säure des
Gemenges, und häufig sogar Schmelzpunkte, die niedriger sind als der
des am leichtesten schmelzbaren Gemengtheils (§. 489).
896.
Propionsäure = B^E^Oi = ^'^^glo.
Sie wurde zuerst 1844 von Gottlieb f) durch Oxydation desMet-
acetons ($. 929J und durch Einwirkung von concentrirter Kalilauge auf
*) Ann. Chem. Pharm. LXXL 855.
••) ibid. LXXX. 298. — Fogg. Ann. LXXZIV. 221. u. bes. Joum. prakt Cbm.
LXVL 1.
***) VgL auch Pebal, Ann. Chem. Pharm. ZCL 188.
t) Ann. Chem. Phann. HL 121.
Proploiiittara. 593
Zucker erhalten. Redtenbaoher *) beobachtete ihre Bildang bei GHÜi-
rong des Olycerins. Strecker**) erhielt sie einmal als er Zucker mit
Kreide und Käse bei einer 22* nicht abersteigenden Temperatur g&hren
liess. Dumas, Malaguti und Leblanc ***), so wieFrankland und
Kolbef) lehrten zuerst ihre synthetische Darstellung aus CyanäthyL
Wanklyn ff) zeigte, dass sie durch directe Vereinigung von Natrium-
athyl mit Kohlensäure entsteht (§. 767); Ulrich fff) erhielt sie durch
indirecte Reduction der Milchs&ure.
Zur Darstellung der Propionsäure zersetzt man Cyanäthyl durch Kochen
mit Kalilauge, destillirt mit Schwefelsäure und trennt die Propionsäure von der
gleichzeitig gebildeten Ameisensäure und Essigsäure, indem man die Ameisen-
säure durch Quecksilberoxyd zerstört und dann die Essigsäure dadurch entfernt,
dass man Natronsalze darstellt und krystallisiren lässt, wobei das Propionsäure
I Katron stets in der Mutterlauge bleibt (Williamson). — Oder man destillirt milch-
i sauren Kalk mit Phosphorsuperchlorid und zersetzt das Destillat (Lactylchlorid =:
Chlorpropionylchlorid) mit Wasser und 2iink.
Die Propionsäure riecht der Essigsäure ähnlich; sie löst sich in
Wasser in jedem Verhältniss, wird aber durch Salze (z. B. Chlorcalcium)
aus dieser Lösung abgeschieden. Ihre Salze sind in Wasser löslich und
krystallisirbar.
Chlorpropionsäure: ^»^^^|0. Diese der Monochloressigsänre ($. 871)
entsprechende Verbindung wurde bis jetzt nicht durch Einwirkung von Chlor auf
Propionsäure, sondern durch Zersetzung des bei Destillation von milchsaurem
Kalk mit Phosphorsuperchlorid entstehenden Chlorids (Lactylchlorid) durch Wasser
erhalten. Ihr Silbersalz zerfällt beim Kochen mit Wasser in Chlorsilber und Müeh-
sänre (Ulrich).
Nitropropionsäure: ^«^(^^a)^|e. Durch Erhitzen vonButyral oder
Butyron (§§. 920, 922) mit Salpetersäure und Fällen des Productes mit Wasser
erhielt Chancel *) ein gelbes Gel; aus diesem wird durch Kali ein in goldgelben
Schuppen krystallisirendes, beim Erhitzen verpuffendes Kalisalz erhalten, aus wel-
chem durch Mineralsäuren die Ölartige Säure wieder abgeschieden werden kann.
Die Analyse der Salze führt zu der angegebenen Formel *, Beziehungen zur Propion-
säure sind indessen bis jetzt nicht nachgewiesen. Die Substanz hat desshalb In-
teresse, weil Nitrosubstitutionsproducte der fetten Säure bis jetzt nur sehr wenig
bekannt sind (vgl. §. 898).
ButtersÄure: G^H^B^ = *^g>0. Sie wurde ron Chevreul 896.
gelegentlich seiner klassischen Untersuchungen aber die Fette (1814) in
*) Ann. Chem. Pharm. LVIL 174.
••) ibid. XCIL 80.
•••) ibid. LXIV. 882.
i) ibid. LXV. 228.
t+) ibid. CVn. 126.
ttt) ibid. CDL 271.
•) ibid. LEL 896.
K«ksU, orgam. Oktal«. 33
594 Pette S&nren.
der Batter entdeckt; seitdem ist sie vielfaeh in thierischen Sftften, z. E
der Fleischflassigkeit, und in Secreten (namentlich Schweiss) beobachtet
worden.
Man hat sie femer im Johannisbrod (den Früchten von Geratonia
siliqua) nnd in den Früchten der Tamarinde (Tamarindus indica) gefun-
den. Sie entsteht ferner bei Oxydation und bei Fäulniss eiweissartiger
Substanzen und in besonders grosser Menge bei der fauligen Oährung
der Zuckerarten.
Zur Darstellung der Buttersäure empfiehlt Bensch*) 8 Eilogr. Rohrzucker
mit 15 Gr. Weinsfture in 13 Eilogr. siedendem Wasser zu lösen und einige Tage
stehen zu lassen; dann etwa 120 Gr. faulen ESse, den man in 4 Eilogr. saurer
Kilch Tertheilt hat und 1,5 Eilogr. Ercide zuzusetzen und das Gemenge an einem
etwa 80^ — 85® warmen Ort sich selbst zu überlassen. Nach etwa 10 Tagen ist
die Masse unter Bildung von milchsaurem Ealk breiartig geworden; spfiter
tritt Gasentwicklung ein und die Masse wird wieder dünnHOssig; nach 5 — 6 Wo-
chen ist die Gährung beendigt Man setzt zu der mit dem gleichem Volum Wasser
verdünnten Lösung 4 Eilogr. krystallirte Sode, iiltrirt vom geföllten kohlensauren
Kalk ab, dampft auf etwa 5 Eilogr. ein und setzt 2,75 Eilogr., vorher mit Wasser
verdünnte Schwefelsäure zu. Ein Theil der Buttersäure scheidet sich als Oelschicht
aus, durch Destillation der Salzlösung kann die darin gelöste gewonnen werden.
Durch Rectificatlon des mit Chlorcalcium getrockneten Productes wird reine bei
166* siedende Buttersäure gewonnen.
Die Butters&ure ist eine farblose Flüssigkeit, die sich in Wasser,
Alkohol und Aether löst Da sie in Salzlösungen weniger löslich ist als
in Wasser, wird sie durch leicht lösliche Salze aus der wässrigen Lösung
ausgeschieden. In völlig reinem Zustand riecht sie nicht unangenehm;
nach längerem Aufbewahren dagegen widerlich nach ranziger Butter.
Bei längerem Eochen mit Salpetersäure geht die Buttersäure in Bernstein-
säure über (vgl. §. 822). Bei Einwirkung von Chlor auf Buttersäurc im Sonnen-
licht entstehen Substitutionsproducte , die nocli nicht näher untersucht sind **).
Phosphorsuperchlorid erzeugt mit Buttersäure Butyrylchlorid (§. 909). Lässt man
Bromdampf bei gewöhnliclier Temperatur auf buttersaurcs Silber einwirken, so ent-
steht Honobrombuttersäure (Borodine).
£1 IT A»
Thiobu^tyrylsäure: * 'j;>S von Ulrich durch Einwirkung von
Schwefelphosphor auf Buttersäure erhalten, ist eine widerwärtig riechende bei 130^
siedende Flüssigkeit, die sich in Wasser wenig, leicht in Alkohol löst.
397 Butteressigsäure. Nöllner***) erhielt 1841 als Product der
Oährung von rohem weinsaurem Ealk eine eigenthttmliche Säure von der
Zusammensetzung der Propionsäure GaHeO]. Limpricht u. v. Uslarf)
•) Ann. Chem. Pharm. LXI. 177.
**) Pelouze und G61is , Ann. Chem. Pharm. LU. 289.
•••) Ann. Chem. Pharm. XXXVIU. 299. Vgl. femer: NicUös, ibid. LXI. 848;
Dumas, Malaguti u. Leblanc, ibid. LXIV. 329.
t) ibid. XCIV. 321.
ValeriaiiBttiire. 595
zeigten sp&ter, duss diese Säare eigenthfimliche Salze zu bilden im Stande
ist, dass sie aber bei fractionirter Destillation in Essigsäure und But-
tersäure zerfällt (eeHi204 = ejH^Oj + ©A^a).
Valeriansäure. Baldriansäure: ^*^*g|e. Von Chevreul 1817 898.
im Delphinöl entdeckt. Die Baldriansäure scheint im Pflanzenreich ziem-
lich verbreitet zu sein \ man hat sie in der Baldrianwurzel, der Angelika-
wurzel, der Wurzel vnn Athamanta oreoselinum, den Früchten von Vi-
bumum opulus etc. gefunden. Sie entsteht häufig bei Oxydation von
, Fetten , bei Oxydalion und auch bei Fäulniss eiweissartiger Substanzen etc.
I Der Amylalkohol (§. 694) liefert bei Oxydation Valeriansäure ♦) (neben
Valeraldehyd und Valeriansäure- Amyläther).
t Zar Darstellung der V&leriansfiare eignet sich am besten die folgende Me-
i thode. Man lässt ein Gemenge Ton Amylalkohol (iTh.) mit Schwefelsäure (2Th.)
I langsam zu einer Lösung von saurem chromsaurem Kali (5 Th ) in Wasser zuflies-
I sen und erhitzt, sobald ohne Erwärmung keine Reaction stattfindet, längere Zeit
I mit aufwärts gerichtetem Kahlrohr, nm den anfangs gebildeten Valeraldehyd zu
t Yalerianräure zu oxydiren. Man destillirt dann ab, sättigt das Destillat mit koh-
\ lensanrem Natron, entfernt den Valeriansäure - Amyläther durch Destillation und
I destillirt die trockne Masse mit ^/^ ihres Gewichtes Schwefelsäure, die mit der
Hälfte Wasser verdünnt ist
' Die Valeriansäure ist eine farblose Flüssigkeit von eigenthflm-
lichem Geruch; sie löst sich in 30 Th. Wasser von 12<'; mit Alkohol
und Aether ist sie mischbar.
Die Valeriansäure liefert bei Zersetzung ihres Kalisalzes durch den galvani-
schen Strom Butyl (§. 698) *, durch Oxydation mit Übermangansaurem Kali in alka-
lischer Lösung gibt sie: Buttersäure, Propionsäure, Essigsäure und Oxalsäure (Neu-
bauer) **). Leitet man Valeriansänrc in DampfTorm durch eine glühende Röhre,
so entsteht Kohlenoxyd, Kolilensäurc und ein Gemenge von Kohlenwasserstoffen,
in welchem viel Propylen; 63!!, enthalten ist (Hoümann) •♦♦).
Nitrovaleriansäure: 65H9(N02)^a wurde von Dessaignes f) durch
IStägiges ununterbrochenes Kochen von Valeriansäure mit concentrirter Salpeter-
säure erhalten. Sie krystallisirt in gelben Tafeln, die bei etwa 100^ sublimiren.
Chlorsubstitutionsproducte der Valeriansäure (6511,01303 und
65H,Cl.|Oj) ++) sind von Dumas und Stas durch Einwirkung von Chlor auf Va-
leriansäure. erhalten worden. Durch Einwirkung von Brom auf valeriansaures Sil-
ber wird Monobromvaleri an säure: O^H^BrO^ erhalten, sie ist eine farblose
Flüssigkeit, die sich bei der Destillation zersetzt (Borodine).
*) Dumas u. Stas, Ann. Chem. Pharm. XXXV. 145. Baiard, ibid. lÄL 811.
••) Ann. Chem. Pharm. CVI. 62.
•••) ibid. LXXVIL 161.
t) ibid. LXXIX. 374.
tt) ibid. XXXV. 149.
38 ♦
596 P«^ Säuren.
699. Caprons&ure: OnHi^Oj* ^i^ findet sich in vielen Fetten. Che*
yreul entdeckte sie 1818 in der Butter; Fchiing*) lehrte ihre Dar-
stellung aus Cocosnussöl. Sie entsteht sehr h&ufig bei Oxydation von
Fetten mit Salpetersäure, bei Oxydation eiweissartiger Substanzen etc.
Sie entsteht femer beim Erhitzen des Caproylalkohols ($. 696) mit Kali
und kann synthetisch durch Zersetzung des Amylcyanids ($. 695) gewon-
nen werden (Frankland u. Kolbe) **). Die nach der letzteren Methode
dargestellte Capronsäure lenkt, wie der Amylalkohol selbst, die Ebene
des polarisirten Lichtes nach rechts ab, während die Säure aus Cocos-
nussöl optisch unwirksam ist (Wurtz) •*♦).
Die Capronsäure löst sich in 96 Th. Wasser und ist mit Alkohol
mischbar.
Vaccinsfiure hat Lerchf) eine, wie es scheint, der Batteressigsänre enU
sprechende Säure genannt, deren fiar3rtsalz: G^H^BaO^ ausBatter erhalten wurde.
Frisch dargestellt kann dieses Barytsalz umkrystallisirt werden, ohne sich zu ver-
ändern; ist es dagegen durch Liegen an der Luft verwittert, so krystallisiren aus
der Lösung buttersaurer und capronsaurer Baryt neben einander i2BJIipO^
900. Oenanthylsäure — €7H|403|. Von Laurent 1837 als Oxyda-
tionsproduot mancher Fette entdeckt Sie bildet sich namentlich bei Oxj-
dation des Ricinusöls (Tilley) ff) und bei Oxydation des aus diesem
durch Destillation entstehenden Oenanthols (Bussy vgl. $.918). Sie riecht
angenehm aromatisch und ist in Wasser nur wenig lösUch.
Caprylsäurefff) — ©sHiaOj. Von Lerch 1844 in der Butter
entdeckt und seitdem auch in andern Fetten z. B. dem Cocosnussöl auf-
gefunden. Sie krystallisirt bei 10® in feinen Nadeln oder in Blättchen,
die bei 14 — 15® schmelzen; sie siedet bei 236^ — 240®.
Pelargonsäure *) O^HjgOj. Sie wurde vonPless 1846 in dem
bei Destillation der Blätter von Pelargonium roseum mit Wasser ent-
stehenden ätherischen Oel aufgefunden. Redtenbacher erhielt sie bei
Oxydation der Oelsäure; Gerhardt u. Cahours durch Oxydation des
Rautenöls.
Bei dieser letzteren Darstellung entsteht bisweilen eine eigenthümliche als
*) Ann. Chem. Pharm. LIIL 406.
•^) ibid. LXIX. 803. und Brazier u. Gossleth, ibid. LXXV. 249.
•••) ibid. CV. 295.
t) ibid. XT.IX. 227.
tt) ibid. XXXIX. 160.
tft) Vgl. bes. Lerch, Ann. Chem. Pharm. XUX. 223. — Fehling, ibid. LOI. 899.
*) „ „ Pless, ibid. LIX. 54. — Redtenbacher, ibid. LIX. 62. — Gerhardt
u. Cahours, ibid. LXVII. 245.
PalmltixiBftiire. 597
Stickoxyd-Pelargonsäure *) bezeidinete Substanz ß^Ei^^^i ^a^a; <^® l>ü
jetzt fast ohne Analogie dasteht
Oenanthsfiure. Aus Oenanthäther (§.907) haben Liebig und Pelouze
eine S&ure erhalten, die mit der Pelargonsfture grosse Aehnlichkeit zeigt und von
manchen Chemikern für mit dieser identisch angesehen wird **).
Gaprinsfture, RatiDsäure ***) : Oi^HscOa- Sie findet sich in vielen
Fetten, namentlich in der Butter und im Cocosnussöl. Sie entsteht bei
Einwirkung von verdflnnter Salpetersäure auf Rautenöl, welches wesentlich
aus dem Aldehyd der Gaprinsäure ($. 916) besteht (Gerhardt) (vgl. auch
S. 430 Anm.).
Laurinsäure. Laurostearinsäure f ) : G12H22O2. Die Glycerin- 901.
Verbindung dieser Säure ist in den Lorbeeren (Laurus nobilis), den Pichu-
rimbohnen (Nectandra Pichury) und dem Gocosnussfett (Gocos nucifera)
aufgefunden worden.
Cocinsfture. Cocostearinsäure G^HsiO). Die Existenz dieser ans dem
Cocosnussöl dargestellten Säure ist durch neuere Versuche zweifelhaft geworden.
Sie ist wahrscheinlich ein Gemenge verschiedener Säuren.
Myristinsäure ft)' ^lÄs^a» VonPlayfair 1841 in der Mus-
katbutter (Myristioa moschata) gefunden, kommt nach Heintz auch im
Wallrath vor.
Bensäure: G15H30O2 ist nach Walter in den Nüssen von Moringa aptera
enthalten ; sie schmilzt bei 62 — 68^
Palmitinsäure fff): Gi^E^Q^. Die Palmitinsäure scheint eine
der am häufigsten vorkommenden fetten Säuren zu sein; wenigstens ma-
chen es die Versuche von Heintz wahrscheinlich, dass alle früher als
Margarinsäure bezeichneten fetten Säuren Gemenge sind von Palmitinsäure
mit Stearinsäure, die nach der Methode der partiellen Fällung ($. 894)
getrennt werden können. Sie findet sich in besonders reichlicher Menge,
und zwar zum Theil (oft bis 1/3) in freiem Zustand, im Palmöl. Sie ent-
steht beim Erhitzen von Getylalkohol ($. 699) mit Ealihydrat oder
Kalikalk (Dumas u. Stas) und beim Erhitzen der Gel säure: GieHsoO^
mit Ealihydrat (Varrentrapp) vgl. $. 824.
Die Palmitinsäure krystallisirt aus alkoholischer Lösung in feinen
*) Vgl. auch Chiozza, ibid. LXXXV. 226.
••) liebig u. Pelouze, ibid. XIX 241.
•••) Vgl. bes. Lerch, ibid. XUX. 223. — Görgey, ibid. LXVI. 290. - Gerhardt,
ibid. LXVII. 246.
t) Vgl. bes. Marsson, [ibid. XLL 883. — Sthamer, ibid. LIIL 890. — Görgey,
ibid. LXVI. 290.
+t) Playfair, Ann. Chem. Pharm. XXXVII. 162.
fff) Vgl. bes. Heintz, Ann. Chem. Pharm. LXXX. 299; LXXXIV. 297;
LZXXVm. 296.
598 Fette Sftüren.
weissen Nadeln; die geschmolzene Sfture erstarrt beim Erkalten schuppig
krjstallinisch«
Durch Einwirkung von Chlor auf Palmitinsäure hat Fremy verschiedene Sab-
stitutionsproducte erhalten, die noch nicht näher untersucht sind.
902. Margarinsäure: O17H34O2. Durch Zersetzung von Cyancctyl mit
Kalilauge hat Becker*) eine feste fette Säure erhalten, die schuppig
krystallinisch erstarrt. Nach Bildungsweise und Analyse ist diese Säure
wirkliche Margarinsäure, der niedrige Schmelzpunkt (53®) scheint anzu-
deuten, dass die untersuchte Säure nicht völlig rein war.
Dass die von Chevreul als Maigarinsäure bezeichnete Säure, die in üast
allen Fetten enthalten ist, wahrscheinlich keine selbststfindige Säure, sondern ein
Gemenge von Palmitinsäure und Stearinsäure ist, wurde oben schon erwähnt. Es
ist in der That für alle s. g. Margarin säuren, die in neuerer Zeit untersucht wor-
den sind, gelungen durch partielle Fällung Palmitinsäure und Stearinsäure abzu-
scheiden; und man erhält ferner durch Zusammenschmelzen von 1 Th. Stearinsäure
mit 9 Th. Palmitinsäure ein Gemenge, welches, wie die aus Fetten dargestellte
s. g. Margarinsäure bei 60® schmilzt und nadlich krystallinisch erstarrt.
908. Stearinsäure •♦): Gi^U^^O^* Diese ebenfalls von Chevreul ent-
deckte Säure findet sich mit der Palmintinsäure in fast allen Fetten.
Zur Darstellung reiner Stearinsäure löst man gewöhnliche Seife in 6 Th.
hdssem Wasser und setzt 40 — 50 Th. kaltes Wasser zu, wodurch sich perimutter-
glänzende Schuppen ausscheiden, die ein Gemenge von saurem palmitinsaurem und
saurem stearinsaurem Katron sind. Man löst in heissem Alkohol und lässt eiical-
ten; das weniger lösliche Stearinsäure Salz scheidet sich zuerst aus und wird durch
eine Säure zersetzt. Die so erhaltene Säure kann durch mehrmaliges Umkrystalli-
siren völlig von der löslicheren Palmitinsäure getrennt werden. Auch durch par-
tieUe Fällung kann die Stearinsäure leicht von andern fetten Säuren getrennt wer-
den, sie wird dabei vor der Palmitinsäure gefällt.
Die reine Stearinsäure krystallisirt aus Alkohol in Blättchen und
erstarrt schuppig krystallinisch. Sie schmilzt bei 69^,2.
Gemenge von Stearinsäure mit Palmitinsäure schmelzen, wie schon
erwähnt (§. 489) bei Temperaturen, die niedriger liegen als die Schmelzpunkte der
beiden Gemengtheile in reinem Zustand. Man fand z. B.:
•) Ann. Chem. Pharm. CII. 209. — Hcintz, Pogg. Ann. CIL 257; Jahresber.
1657. 855.
^*) Vgl. bes. Redtenbacher, Ann. Chem. Pharm. XXXV. 46. Gottlieb, ibid. LVJL
88. — Heintz, ibid. LX2CXIV. 297.
Anhydride. 599
Steftrinsänrc.
Palmitinsäare.
Schmelzpunkt.
100
0
69.2
80
20
65.3
60
40
60.3
40
60
56.8
80
70
66.1
10
90
60.1
0
100
62.0
Die gewöhnlichen Stearinkerzen Bind solche Gemenge dieser beiden fetten
Säuren. Die Methoden der fabrikm&ssigen DarsteUung derselben werden spftter
gelegentlich der Oelsäure mitgetheilt.
Arachin säure *): 620H40O3 warde im Erdnussöl (Arachis hypo-
goea) Yon Gössmann aufgefunden.
Behensäure **): O22H44O2 1^^ ^^ ^^^^ ^^^ Behennasse (Horinga
Nux Beben, Moringa oleifera) enthalten. Sie schmilzt bei 76®.
Gerotinsäure ***): G27H54O29 findet sich im freien Znstand im 904.
Bienenwachs und als Gerotinsäure -Geryläther im chinesischen Wachs.
(Brodle.) Sie schmilzt bei 78® und krystallisirt aus der alkoholischen
Lösung in Körnern.
Behandelt man Bienenwachs mit siedendem Alkohol, so löst eich die Cero-
tinsänre (Cerin) auf und es bleibt Myricin (Palmitinsäure -Myricyläther). Zur
völligen Reinigung der Ccrotinsfinre föllt man die heisse alkoholische Lösung mit
einer heissen alkoholischen Lösung von Bleizucker, zieht den Niederschlag mit
Alkohol und mit Aether aus, zersetzt ndt concentrirter Essigsäure, wascht die ab-
geschiedene Sfture mit siedendem Wasser und krystallisirt aus Alkohol um.
Melissinsäuref): G2oH^02, sie ist nicht fertig gebildet in der
Natur gefunden worden. Man erhält sie durch Erhitzen des Myricylalko-
hols (§. 704) mit Natronkalk. Sie gleicht der Gerotinsäure und schmilzt
bei 88» — 89<>.
Anhydride der fetten Säuren.
Die Anhydride der fetten Säuren wurden von Gerhardt 1852 ent- 906.
deckt. Die Bildung und das chemisoheYerhalten der Anhydride ist oben
(J. 813) besprochen; es genügt iiier die bis jetzt bekannten Anhydride
zusammenzustellen.
*) Gössmann, Ann. Chem. Pharm. LXXXIX. 1. ~ Gössmann u. Scheren, ibid.
XCVn. 257.
•♦) Völcker, ibid. LXIV. 342. - Strecker, ibid. LXIV. 346.
••♦) Brodie, ibid. LXVIL 180.
t) Brodie, ibid. LXXL 149.
600
Fette Staren.
Formel.
Schmels-
ponkt
Siedepunkt
Esfligsfture-aiihydrid *)
188«
Propionsftare-anhydrid **)
lÄII»
16Ö«
Battenftore-anhydrid •••)
190* (etw»)
Valerianstture-anhydrid f )
ISIt*
216« (etwa)
Capronsänre-anhydrid ff)
OenaBthyMnre^hydrid fff )
unter 0*
290* (etwa)
Pelargonsänre-ftohydrid **)
+ »•
PalmitiiiBftiirMiihydrid «•*)
+ 68»8
Aether der fetten Sfturen mit den einatomigen Alkohol-
radicalen: GoHsa-fi.
906. Im Folgenden sind zan&ohst die bis jetzt bekannten Aeiber Eusam-
mengestellt
•) VgL 5. 862.
••) limpricht nnd v. Uslar, Ann. C9iem. Pharm. ZCIY. 822.
•••) Gerhardt, ibid. LXXXVn. 165.
f) Ghioaaa, ibid. LXZXIV. 106.
ff) Oüoua, ibid. LZXXVI. 269.
fff) Malerba, ibid. XCl. 102.
^) Chioua, ibid. LXXXV. 229.
••) Chiossa, ibid. LXXXV. 281.
^«) Makrba, ibid. Xa 104.
AcuorartUL
601
Empirische
Formel.
RationeUe
Formel.
Siedepnnkt
berechnet geftinden.
Schmelz-
pnnkt
AmeiBensfture-Methyläther
^2^40,
eH0U
86»
88«
Essigs&Bre-Methylftiher
OjH^Oj
^•1^1^
66«
66»
AmdBens. Aethylftther
^J^
66»
E«8ig8. Aethylftther
«
^§fj^
74»
74«
Bntters. MethyUther
^A»ö'»
^*lt1h
98»
96»
PropionB. Aethylftiher
^•e^lh
96»-
98«
Essigs. Propylftther
^'Äj^
cjrea
AmeisenB. Batyläther
gegot
100«
Valerians. Methylftiher
Qfiii&i
^•5i,!l^
112»
116»
Bntters. Aethylfither
^&^^
1U»6
Essigsfture-Bntylftther
^^^th
lU«
Ameisens. Amyläther
114»
Caprons. Methyläther
€,H,«0,
^•Xh
181»
180 (?)
Yalerians. Aethylftther
^^^
188*
Butten. Propylftther
^^.ia^
um
ISO«
Essigs. Amyiather
^fjty
188»
Caprons. Aethylftther
Bfiifßt
%'^ji^
160»
162 (?)
Propions. Amylftther
Wi^
165
(etwa)
602
Fette Slnrai.
Empirische
Formel
RaüoneUe
Formel
Siedi»unkt
berechnet gefanden.
Schmeb-
ponkt
Caprjls. Methyläther
OjHjgOj
^•Xl^
169*
Oenaathfl. Aethyläther
^'Ifi^
Bauers. AmyliUher
e4H,ou
173-
176*
1
Capryls. Aethyläther
OioHj(|0a
^'If}^
I8S0
214 (?)
Valerians. Amyläther
^f^y
188«
Essigsäure-Capryläther
19S*
Pelargonsäure-Aethyläther
OiiHja^j
^•?ik!l^
207*
216-
218*
Capronsäure- Amyläther
211«
Caprinsäure-Aethyläther
612H3403
^"SiCI^
226»
Laurinsäure-Aethyläther
^lAs^j
®'»|»»i^jo
264«
264«
— lO*
Myristinsäare-Aethyläther
^ifHjjOj
^"e^hl!^
Palmitinsäare-Aethyläther
^is^if^a
^"SVh!^
24*^
Essigsänre-Getylätlier
6jH3O)0
18*,5
Stearins. Methyläther
^i»H„Oa
^"Xh
85*(?)
Stearins. Aethyläther
^"e^!K|
83*7
Arachins. Methyläther
öaiH4jOj
^'•^K
54* —
54«,5
Palmiüns. Amyläther
^"6^3^
IS*^
Aethenrten.
603
Empirische
Formel.
Rationelle
Formel.
Siedepunkt
berechnet, geftinden.
Schmelz-
ponkt
ArachiDS. Aethyläther
^21^44^2
^"eVHÜ^
60«
Stearins. Amyläther
O23H4,02
^"i^y\
25»,ö
Arachins. Amyläther
^25Hm^2
•46*
Cerotins. Aethyläther
^2f^ö8^2
^"if}^
69* -
60«
Palmitins. Cetyläther
OssHg^O)
x^y
49*
Palmitins. Myricylathcr
^4€^f2^2
729
Cerotins. Geryläther
^•4^108^2
^eM^
82»
Man sieht leicht aus den mitgetheilten Formeln , dass unter den 907.
Aethem der fetten Säuren zahlreiche Metamerieen stattfinden (vgl. §.314);
diese Aether sind zudem isomer mit den fetten Säuren; sie sind ferner
polymer mit den Aldehyden, den Acetonen (§. 912) und mit einzelnen
andern Körpern, wie Aethylenoxyd , Allylalkohol etc.
Die Siedepunkte steigen mit zunehmendem Moleculargewicht; die
Siedepunktsdifferenz beträgt annähernd 19® für die Zusammensetzungs-
differenz OHj (vgl. §. 477). Alle Aether sind ohne Zersetzung flüchtig;
die meisten sind bei gewöhnlicher Temperatur flüssig; die mit höherem
Moleculargewicht sind fest und krystallisirbar. Alle Aetherarten der fetten
Säuren sind in Alkohol und in Aether löslich; die Anfangsglieder der
Reihe lösen sich aach in Wasser, werden aber durch Salze aus der wäss-
rigen Lösung ausgeschieden.
Bildung, Darstellung und Eigenschaften dieser Aether sind früher
besprochen worden (vgl. $. 812 und $$• B35. 857); dass einzelne Aether,
namentlich der Yaleriansäure-Amyläther auch bei directer Oxydation des
betreffenden Alkohols (Amylalkohol) entstehen, wurde $. 812 erwähnt
(vgl. auch 8. 917).
Oenanthäther. Als Oenanthäther wurde von Pelonze und liebig *) die
ätherartige Flüssigkeit beschrieben, die bei Destillation von Wein oder von Wein-
hefe erhalten wird und die dem Wein seinen Gerach (Blnme, Boaquet) verleiht
^) Ann. COiem. Pharm. ZIX. 241.
604
Chloride der fetten Sftoxen.
Es wurde §. 900 schon erwfihnt, dass viele Chemiker die aus diesem Aether abge-
schiedene Oenanthsäore fOr identisch mit Pelargonsäare halten.
906. Dass elDzelne Aetberarten der fetten S&uren, namentlioh die ycd
höherem Moleculargewicht, fertig gebildet in der Natur vorkommen, wurde
S. 826 erwähnt Es sind dies: Palmitinsäure-Cetyläther (Cetin),
der in Olein gelöst in den Höhlen der Schädelknochen einiger Phjseter-
und Delphinusarten Yorkommt und den Hauptbestandtheil des sogenannten
Wallrath's ausmacht; und ferner die sogenannten Wachsarten. Von
diesen sind die wichtigsten: das Bienenwachs (Hauptsubstanz der Bie-
nenzellen), bestehend aus: Cerotinsäure (Gerin) und Hyristin (Palmitin-
säure-HyricjIäther) und das chinesische Wachs (Cerotinsäure-Ceryl-
äther) , welches, ähnlich wie das Bienenwachs, von Insecten (Coccus ceri-
ferus) abgesondert wird.
Chloride, Bromide, Jodide der fetten Säuren.
909. Die Chloride der fetten Säuren, von welchen Cahours*) schon
1847 einige (namentlich das Butyrylchlorid) darstellte, waren längere Zeit
vergessen und verkannt**), bis sie Gerhardt 1852 — 1854 genauer
untersuchte.
Formel.
Sied^ankt.
Aeetylehlorid ***)
e,H, 0.C1
66»
ButTTylcblorid f)
e^B, e.ci
95»
Valeiylchlorid ff)
e5H,e.ci
115»
Pelargylchlorid ftt)
e,H„e.ci
220»
Aoetylbromid *)
e,H, O.Br
81«
Aoetyljodid *•)
ejH, e.j
108»
ButTTjrljodid *••)
e,E, o. j
146«— 148»
Yaleiyljodid
ecH, e.j
168»
•) Compt rend. XXY. 724.
*•) Vgl. z. B. Gmelin, Handb. d. org. Chemie. 4. Anfl. Bd. U. 5. 241.
•••) Vgl. S- 869.
t) Gerhardt, Ann. Chem. Pharm. LXXXVÜ. 71.
ff) Moldenhaner, ibid. XCIY. 102.
ftt) Cahonrs 1850. Quart Joum. of the Chem. Soa m. 240.
•) Ritter, Ann. Chem. Pharm. XCV. 209. vgl. §. 860.
••} Guthrie, ibid. CIIL 885. vgl. S- 861.
•^) Cahonrs, ibid. CIV. 111.
Amide der fetten SftnieiL
605
Dem froher (§. 807) über Bildung und Eigenschaften dieser Körper
Hitgetheilten ist hier nichts Weiteres beizufflgen ; far die Darstellung kön-
nen die betreffenden Acetylverbindungen ($$. 859 — 861) als Huster
dienen.
Es mnss hier nur noch eines Versuches von Freund*) erwähnt 910.
werden, nach welchem es wahrscheinlich ist, dass bei Einwirkung von
Natriumamalgam auf die Chloride der fetten Sfturen , die Radicale dieser
Säuren isolirt werden können. Lässt man nämlich Natriumamalgam auf
Butjrylchlorid einwirken und destillirt, so wird eine bei der Recti-
fication zwischen 250® und 260® siedende neutrale Flüssigkeit erhalten,
G H 0>
die nahezu die Zusammensetzung des Butyryls: g'g^^f zeigt
Amide der fetten Säuren.
911.
Formel
Schmelz-
punkt.
Siedepunkt
Aoetamid
Propionamid *)
Bntyramid •*)
Yaleramid •♦*)
Oenanthamid f )
Caprinamid ff)
Palmitamid fff)
HVN
h(n
hSn
h\
hJn
Hi
H N
H
79«
223®
über: 210
115«
216«
95»
unter 100*
etwa 60*
^) Ann. Chem. Pharm. CXYIII. 88.
••) Dumas, MalaR^ti, Leblanc, Ann. Chem. Pharm. LIQV. 884.
*^^) Chancel, Compt rend. XVHL 949.
t) Cbiozza o. Malerba, Ann. Chem. Pharm. XCL 108.
tt) Bowney, ibid. T.XTffX. 248.
ttt) BouUay, Journal de Pharm. [8] V. 829.
606 Fette Siucn.
Alle diese Amide sind durch EinwirkoDg yon Anunoniak anf die
betreffenden Aeiher dargestellt, das Acetamid und Batjramid aus-
serdem durch Destillation der Ammoniaksalze. Das Palmitamid (Margai^
amid) entsteht, nach Bonllay, durch Einwirimng von Ammoniak anf
Olivenöl. In Betreff der Bildung und Eigenschaften der Amide vgl.
SS. 815 und 865.
Aldehyde und Acetone der fetten Säuren.
912. Die Aldehyde und Acetone, aber deren Bildung und Verhalten schon
fraher das Wichtigste mitgetheilt wurde (vgl 58. 803, 805, 808) zeigen
häufige Isomerieen, was leicht schon aus den folgenden aUgemeinen
Formeln ersichtlich ist.
Empirische Formel. Aldehyd. Aceton. Aceton.
G.Ho.e GaHia-iO^ e.nin_,e( G«Hi._iet
Sie sind ferner polymer mit den Hydraten der fetten Säuren und mit
den mit diesen Säurehydraten isomeren Aetherarten der fetten Säuren:
Säurehydrat Aether.
t
Auch Aethylenoxyd: e^E^.(^ und AUylalkohol: ^'^JO sind mit
Aldehyd und Aceton isomer.
918. Die wirklichen Aldehyde sind wesentlich charakterisirt durch
die Leichtigkeit, mit welcher sie durch Oxydation in fette Säuren Ober-
gehen. Sie verbinden sich mit Ammoniak zu Aldehydammoniaken und
geben mit sauren schwefligsauren Salzen krystalüsirbare Verbindungen.
Sie entstehen bei directer Oxydation der Alkohole, und bei manchen an-
dern Reactionen, z. B. bei Oxydation eiweissartiger Körper. Jede nach
der Formel: 6bH<2i,0 zusammengesetzte Substanz, welche die oben ange-
gebenen charakteristischen Eigenschaften besitzt, kann als wirklicher
Aldehyd angesehen werden.
914. Die Acetone können wie oben (§. 808) erwähnt, als Aetherarten
der Aldehyde betrachtet werden. Sie geben zum Theil, wie die Aldehyde,
mit sauren schwefligsauren Alkalien kiystallisirte Verbindungen , sind aber
weit weniger leicht oxydirhar und geben, wenn die Oxydation gelingt,
nicht die entsprechende fette Säure von gleichviel Eohlenstoffatomen.
Die Acetone werden wesentlich durch zwei Reactionen gebildet.
Die erste (synthetische) Bildungsweise — Einwirkung des Chlorids eines
Säureradicals auf die Zinkverbindnng eines Alkoholradicals — ^ liefert Fto-
I
Aldehyde und Acetone. 607
ducte, die darch eine die Bildung ausdrflckende radonelle Formel darge-
Btellt werden können. Bei den nach der zweiten Bildungsweise — De-
Bliilation der Salze der fetten Säuren — dargestellten Acetonen ist dies
nicht oder wenigstens nicht mit voller Sicherheit möglich.
Die durch Destillation der Salze der fetten Säuren erhaltenen Ace-
tone können in zwei Gruppen gebracht werden:
1) Normale oder gewöhnliche Acetone, entstehend bei Destilla-
tion des Salzes einer einzigen Säure* Sie enthalten 2n — 1 Eohlen-
stoffatome, wenn die Säure aus der sie entstanden n Eohlenstoff-
atome enthält, und können mit grosser Wahrscheinlichkeit als Ver-
bindungen des Radicals der Säure mit dem um 1 At. Kohlenstoff
ärmeren Alkoholradical betrachtet werden; oder, wenn man das
Säureradical auflöst in Kohlenoxjd (60) und ein Alkoholradical
(vgl. $. 796), als Verbindung von Kohlenoxyd mit zwei gleich zusam-
mengesetzten Älkoholradicalen. Man hat z. B.:
Essigsäure. Aldehyd. Aceton.
i e\^ e\ GH,|
oder:
eem, eejf. eej|H.
2) Gemischte oder intermediäre Acetone, das heisst solche,
I bei welchen diese einfachen Beziehungen der beiden Radicale nicht
stattfinden. Sie enstehen:
a) bei Destillation eines Gemenges der Salze zweier fetten Säuren.
Dann sind der Art der Entstehung nach zwei rationelle Formeln
> gleich wahrscheinlich. Man hat z. B. für den bei Destillation von
I baldriansnurem Salz mit essigsaurem Salz entstehenden Aceton:
' entweder oder
G5H9O l G2H3O )
eH,i gäI
Die zweite Art der Auffassung dagegen gibt für solche interme-
diäre Acetone nur eine rationelle Formel, z. B. :
DasB die Aldehyde im Grand genommen nur ein specieller Fall der inter-
mediären Acetone sind und dass sie auch in entsprechender Weise entstehen kön-
I ncn , wurde oben erwähnt (§. 804).
^ b) Gemischte Acetone entstehen femer, neben den normalen
^ Acetonen, bei trockner Destillation der Salze einer einzigen fet-
ten Säure. Wenigstens hat man in neuerer Zeit gefunden, dass
608
Aldehyde und Acetone.
bei Destillation yon essigsaarem und von buttenaurem Salz em
Prodaot erhalten wird, welches bei fractionirter Destillation io
Körper zerlegt werden kann, die alle nach der Formel: OhH^bO
zusammengesetzt sind und bei welchen, mit steigendem Siedepunkt,
das Holeculargewicht zu- der Sauerstoffgehalt dagegen abnimmt,
so dass sie sich also in ihrer Zusammensetzung immer mehr einem
Kohlenwasserstoff: OnHin n&hem.
Für solche Producte ist es bis jetzt nicht möglich rationelle Fonneh
aufzustellen.
Ein gemischtes Aceton scheint auch das bei Destillation von Ridniuöl
mit Kali entstehende s. g. Methylönanthol ($. 921) zu sein.
916. L Wirkliche Aldehyde.
Empirische
Formel.
Rationelle
Formel.
Rationelle
Formel.
Siedeponkt.
Schmd*-
pankL
Acetaldehyd
e Ao •
«A»)
eejf.
21»
Fropionaldid
6,H,0
e:&j|A
(66»-66«)
Butylaldid
64H.0
Wj
eejgÄ
(68»-76»)
Yaleraldid
^A^O
e.H.|j
€egA
93«
Oenanthol
6,Hi40
Hf
60 j§«^"
162»
nnter
— 12
Caprinaldehyd
6ioH300
€ioH|,0J
eejg»^»
228» (?)
-2»
Enodylaldehyd (?)
OjiHjaO
Hf
eejl'«^"
218»
4-7«
Lamylaldehyd
^11^24^
OiaHssO
e^jJiiH»,
232*
Palmitylaldehyd
^le^aa^
€0J®"H,x
62*
Nur wenige dieser Aldehyde sind durch Oxydation der entsprechen-
den Alkohole dargestellt worden, nftmlich: Acetaldehyd, Valeraldehjd
und Pahnitylaldehyd *). Durch Destillation von ameisensaurem Salz mit
*) Fridau^ Ann. Chem. Phann. IiJiXK^ii. 23.
I
Aldehyde. 609
dem Sals der entsprechenden fetten Säure wurde nur der Acetaldehyd er-
halten. Die vier ersten Aldehyde entstehen auch, neben zahlreichen an-
dern Oxydationsproducten, wenn eiweissartige Substanzen (Albumin, flbrin»
Casein oder Kleber) mit Braunstein oder chromsaurem Kali und Schwefel-
i s&ure destillirt werden *}. Die so erhaltenen Producte zeigen alle für die
) wirklichen Aldehyden charakteristichen Eigenschaften (nur von dem Pro-
pylaldehyd oder Metacetal konnte dies wegen Hangel an Substanz nicht
I nachgewiesen werden '^). Der Butylaldehyd wird auch bei Oxydation
des Leucins gebildet ***).
i Das Oenanthol, durch Destillation des Ricinusöls erhalten, ist
durch alle seine Eigenschaften bestimmt als Aldehyd charakterisirt*
Der Gaprinaldehyd bildet nach Gerhardt f) den Hauptbestand-
theil des ätherischen Bautenöls (Ruta graveolens); er gibt mit Ammoniak
^ und mit sauren schwefligsauren Salzen krystallisirbare Verbindungen und
I geht bisweilen in eine polymere Modiflcation über, die krystallisirbar ist,
5 bei +13» schmilzt und bei 230<> — 235« siedet. — Nach Williams ff)
enthält das Rautenöl nicht Gaprinaldehyd, sondern Enodylaldehyd
und in geringer Menge Laurylaldehyd; beide verbinden sich mit
sauren seh wefiigsauren Alkalien. Auch Hallwachs fff) fand, dass das
Rautenöl wesentlich aus Enodylaldehyd besteht. Nach Strecker hat
der Hauptbestandtheil des Rautenöls allerdings die Zusammensetzung
^ii^ssO, ist aber kein Aldehyd, sondern ein intermediäres Aceton , näm-
Kch Methyl- caprinal: ^'®^ff j.
Yaleraldehyd. Valeral. Von Dumas und Stas ♦) entdeckt, 917.
als Oxydationsproduct des Amylalkohols mit Salpetersäure. Man bereitet
« es zweckmässig nach Parkinson**), indem man in eine lauwarme
Lösung von 12^/3 Th. chromsaurem Kali langsam ein Gemisch von 11 Th.
Amylalkohol, 16^/3 Schwefelsäure und 16^/3 Th. Wasser zufliessen lässt
Der meiste Aldehyd destillirt von selbst über, zuletzt wird erwärmt Man
hebt die Oelschicht des Destillates ab, schüttelt sie mit saurem schweflig-
saurem Natron, presst die Krystalle aus, wascht sie mit Alkohol und
^
•) Guckdberger, Ann. Chem. Pharm. LXIV. 89. — KeUer, ibid. LXXII. 24. —
Bei diesen Oxydationen der eiweissartigen Körper entstehen ausserdem:
AmeisenBäure, Essigsfiure, Propionsäure, ValerianBäure, Capronsfture; Bitter-
mandelöl, BenzoSsänre-, Blansäure, Valeronitril.
**) Stftdeler hat (Ann. Chem. Pharm. CXI. 286) darauf aufinerksam gemacht,
dass das so erhaltene Metacetal wahrscheinlicher Aceton sei.
♦•♦) liebig, Ann. Chem. Pharm. LXX. 813.
t) Gerhardt, ibid. LXVII. 242. — Bertagnini, ibid. LXXXV. 288.
^ tt) Williams, ibid. CVE. 874.
i ttt) Hallwachs, ibid. CXIIL 107.
♦) Ann. Chem. Pharm. XXXV. 166.
•♦) ibid. XC. 114.
K«kiiU, orgu. Chemie. 39
610 Fette Sftnren.
zersetzt durch Destillation mit kohlensaurein Natron. Der Valeraldehyd
riecht angenehm äpfelartig und reizt wie die meisten AmylverbindungeB
zum Husten. Er ist in Wasser nur wenig löslich, mit Alkohol und Aether
mischbar. Frisch dargestellt siedet er bei 98®; nach längerem Aufbewah-
ren steigt der Siedepunkt und ein beträchtlicher Theil geht in eine höher
siedende wahrscheinlich polymere Modification Ober.
Der Valeraldid gibt mit sauren schwefligsauren Alkalien *) und nut
Ammoniak krystallisirbare Verbindungen. Die Ammoniakyerbindnng er-
hält man leicht, wenn man die wässrige Lösung des Aldehyds (luftfrei,
so wie sie bei der Destillation erhalten wird) mit wenig Ammoniak Iftn-
gere Zeit stehen lässt (Parkinson) , oder indem man Valeraldid mit sehr
concentrirtem Ammoniak zusammenbringt (Hühner).
Lässt man Chlor auf Valeraldid einwirken , so wird nicht Valerylchlorid er-
zengt (vgl. §. 841), es entsteht vielmehr ein Sabstitationsprodact, der BichlorYaler-
aldid: OsHsClaO, der mit sauren schwefligsaaren Salzen krystallisirbare Yerbiii-
düngen gibt (Kündig) ••).
Destillirt man Valeraldid mit Phosphorchlorid , so entsteht ein bei ISO* n^
dendes Chlorid: 65H10CI2, das an alkoholische Kalilösung Salzsäure abgibt nod
wahrscheinlich 65H9CI erzeugt (Ebersbach). — Erhitzt man Valeraldid mit Essig-
säureanhydrid auf 200^, so findet directe Vereinigung statt (Guthrie u. Kolbe)***).
vgl Acetaldehyd §. 846.
Erhitzt man Valeraldid mit Aetzkalk, so wird Amylalkohol und bal-
driansaurer Kalk erzeugt. Bei der Destillation entstehen dann Zersetzungspro-
ducte dieses letzteren, unter welchen zwei gemischte Acetone 6«Hi20 und 6iH|40
zu sein scheinen (Fittig) f)*
Das von Chancel als Destillationsproduct des valeriansauren Kalks eriiil-
tene Valeral (Siedepunkt: 100^ — 110®) scheint mit Valeraldid identisch zu sein.
918. Oenanthylaldehyd. Oenanthol. 1827 von Bussj und Lecana
entdeckt; von VVilliamson ff ) , Tillej fff), Bertagnini *) untersucht Ei
entsteht bei trockner Destillation von ricinölsaurem Natron oder bei troek-
ner Destillation von Ricinusöl. Zur Reindarstellung schüttelt ncian dai
Bohproduct mit saurem schwefligsaurem Natron und destillurt die ausge-
pressten und mit Alkohol gewaschenen Krystalle mit kohleasaoran
Natron.
Das Oenanthol oxjdirt sich leicht zu Oenanthjisäure. Es absor-
birt Ammoniakgas und gibt so eine von Wasser zersetzbare und anfangs
kiystallisirte Verbindung.
^) Ebersbach, Ann. Chem. Pharm. CVI. 264
••) Ann. Chem. Pharm. CXIV. 1.
•♦•) ibid. CIX. 296.
t) ibid. CXVII. 68.
tt) ibid. LXI. 88.
ttt) ibid. LXVIL 106.
•) ibid. LXXXV. 278.
^
Acetone.
611
Das OeDftoihol verbindet sich nioht nur mit sauren schwefligsauren
Salzen zu krystallisirbaren Verbindungen, man kann sogar die önanthol-
schweflige Säure: 6<xHx40, QB^ in freiem Zustand darstellen, ent-
weder durch Zersetzung eines ihrer Salze oder indem man schweflige
Säure in eine Mischung Ton Oenanthol und Wasser einleitet (Mendelejef *)«
Erhitzt man önantholschwefUgsaures Ammoniak fEir sich, oder destillirt man
es mit Aetzkalk, so entsteht Tricaprylamin : N(9«Hi,),.
Bei Einwirkung Yon Phosphorchlorid auf Oenanthol entsteht das bei 191^
siedende Oenantholchlorid: 67H14CI3; dieses gibt beim Kochen mit alkoholi-
scher Ealilösang das Chlorönanthol : 67Hi,Cl (Siedep. 165®); und bei Einwirkung
yon Natrium das Oenanthylen: 61H14 (limpricht) ^^).
Wird Oenanthol mit Aetzkalk erhitzt, so entsteht Oenanthylalkohol
und önanthsaurer Kalk, als dessen Zersetzungsproducte dann Oenanthaceton
(§. 920), Oenanthylen: 61H14 und andere mit diesem homologe Kohlenwasserstoffe
auftreten (Pittig) ♦♦♦).
n. Acetone.
A. Synthetisch dargestellte Acetone.
919.
Rmpiridche
Formel.
RationeUe
Formel.
Rationelle
Formel.
Siedepunkt
Acetyl-mcthyl
Acetyl-äthyl
Propionyl-äthyl
77«,6-80«,6
100»-101«
Diese Verbindungen wurden von Freund f) durch Einwirkung von
Acetylchlorid und Propionchlorid auf Zinkmethyl und Zinkäthyl erhalten.
Das Acetyl-methyl ist identisch mit gewöhnlichem Aceton (§. 923); das
Acetyl-methyl und das Acetyl-ätbyl verbinden sich mit saurem schweflig-
saurem Natron; das Propionyläthyl besitzt diese Eigenschaft nicht
^) Ann. Chem. Pharm. CK. 241.
••) ibid. cm. 80.
••♦) ibid. CXVIL 76.
t) ibid. CXVm. 1.
39
gJ2 ^^^ Sfturen.
920. B. Normale Acetone, erhalten dnroh Deatillation von einem
Salz.
Empirische
Formel.
Rationelle
Formel.
Rationelle
Formel.
Siede-
punkt
Schmelz-
punkt
Dargestellt ans:
Aceton
e,He0
.«^P.
66*
Essigsauren Saken.
Propion
65H100
«^ie5:
100«-
llO*
Propiona. Baryt*).
Buttereasigsaurem
Baryt ♦♦).
Batyron
6,Hi40
*««(
^leÄ
144«
Butters. Kalk»»^.
Valeron
OgHijO
e'^lSÄ
166«
Valerians. Kalk f).
Capron
^iiHjaO
^«!
Caprons. Baryt ü).
Oenanthon
^ijl^ae^
264«
+ 80«
Kalki-H-).
Caprylon
^lÄo^
278«
+ 40»
Caprylaanrem
Baryt*).
Lanron
^uß4fß
*«
^ßä;
+ 66«
Uurina. Kalk**).
MyriBton
^i-flb^ß
Xfi3
+ 76*
Myristina. Kalk.
Von diesen Acetonen ist nur das erste, das gewöhnliche Aceton, g^
nauer untersucht; es soll nachher (§. 923) specieller beschrieben werden.
In Betreff der andern mag nur Folgendes erwähnt werden : das Propion ans
Butteressigsäure verbindet sich mit saurem schweflig-saurem Kali (vgl. Pro-
pionyl-äthyl S^919); dasButyron gibt bei Einwirkung von Salpetersäurt
Nitropionsäure (S. 895), bei Einwirkung von Phosphorchlorid ein Chlorid
von der Formel: O^Hi^Cl Die vier in der Tabelle zuerst aufgeflüuten
Acetone sind krystallisirbar.
*) Morley, Ann. Chem. Pharm. LXXVIII. 187.
♦•) limpricht und v. Uslar, ibid. XCIV. 327.
•••) Chancel, ibid. LH. 295.
t) Ebersbach, ibid. GVL 268.
tt) Brazier u. Gossleth, ibid« LXXV. 256.
ttt) ▼. üslar u. Seekamp, ibid. CVm. 179
*) Gnckelberger, ibid. LXIX. 201.
**} Overbeck, ibid. LXXXIV. 289.
Acetone.
613
C. Gemischte Acetone, erhalten durch Deetillation von Sali. 921.
gemengen.
Empirische
Fonnel.
Rationelle
Formel.
Rationelle
Formel.
Siede-
punkt.
Erhalten aus:
Methyl-Valeral
Metbyl-Oenan-
thol
eH,|
eH,f
120*
171»
Valerians. EaU mit
esaigs. Natron^).
Oenanths. Natron
mit essigs. Na-
tron ••).
Das Hetbyl-Oenanthol entsteht auch bei Destillation von Ri-
cinusöl oder besser von ricinölsaurem Natron mit überschüssigem Natron-
hydrat.
Es wird von dem gleichzeitig gebildeten Oenanthylalkohol (§. 679) durch
Schütteln mit saurem schwefUgsaurem Natron und Destilliren der ausgepressten
Krystalle mit Natronlange getrennt. Es ist in Wasser imlöslich, mischbar mit Al-
kohol und Aether. Es reducirt ammoniakalische Silberlösung, gibt mit Phosphor-
chlorid ein bei 190® — 200® siedendes Chlorid: OgHi^Cl^ und geht mit sauren
schwefligsauren Alkalien krystallisirbare Verbindungen ein. — Es wurde früher ftlr
Caprylaldehyd gehalten •••).
D« Gemischte Acetone, erhalten bei Destillation von einem 922.
Salz.
Aus essi
i^aurem Blei+):
Aus butte
rsaurem Kalk
++):
Empirische
Siede-
Empirische
Siede-
Formel.
punkt.
Formel.
punkt.
neben Aceton
e,H, 0
66«
Methylaceton
e^HgO
750^770
Butyral
e^e
96*
Aethylaceton
OjHioO
90*-95»
Methylbutyral
^5^10^
gegen 111«
Aethylbutyral
6tH,j0
„ 1280
Butyron
67H140
144*
Methylbutyron
ös^nO
ISO«
Butylbutyron
^11^1"^
222«
*) Williamson, Ann. Chem. Pharm. TiXXXT. 86.
*•) Stfideler, Chem. Centralbl. 1858. 81. Joum. pr. Chem. LXXU. 241. Jahresb.
1867. 359.
•••) Vgl. auch: Bouis, Ann. Chem. Pharm. XCVII. 34. — limpricht, ibid.
XCIIL 242.
t) Fittig, Ann. Chem. Pharm. CX. 17.
+t) Chancel, ibid. LIL 296. — Friedel, ibid. CVm. 122. — limpricht, ibid.
CVIIL 183. '
614 Fette Sftiuren.
Alle diese Verbindangen, mit Ausnahme des M ethyl-butyrons undButyl-
bntyrons, gehen mit saoren schwefligsaaren Alkalien krystallisirende Yerbindon-
gen ein. Das Bntyral, obgleich mit dem Aldehyd der Battersänre gleich susam-
mengesetzt, scheint doch von diesem verschieden zu sein; es verbindet sich nicht
mit Ammoniak, während der bei Oxydation eiweissartiger Körper entstehende Ba-
tjrraldid mit Ammoniak eine schön krystallisirende Verbindung gibt (Gnckelberger).
Das Butyral gibt, wie das Butyron, bei Einwirkung von Salpetersäure Kitro-
propionsäure. Bei Einwirkung von Chlor erzeugt es Substitutionsproducte
[^«H^CIO, e4HeCla0, 64H4CI4O]; mit Phosphorchlorid liefert es ein bei etwas
über 100<^ siedendes Chlorid: 64H,C1 (Chancel).
Zu diesen gemischten Acetonen gehören noch zwei Körper, die vonFittig*)
bei Destillation von Valeraldid mit Kalk erhalten wurden und die wahrscheinlich
Zersetzungsproducte des anfangs gebildeten valeriansauren Kalkes sind. Die For
mehi dieser Verbindungen sind: BJSLi^^ (Siedep. 182<> — 184^) ; 61H14O (Siedep.
161^ — 164®) , beide geben mit Phosphorchlorid entsprechende Chloride , verbinden
sich aber nicht mit sauren schwefligsauren Alkalien.
Auch der Hauptbestandtheil des Rautenöls ist nach Strecker ein gemischtes
Aceton (§. 916).
Aceton *♦).
928. Das Aceton: G^B^O entsteht bei trockner Destillation essigsaurer
Balze, namentlich des Kalk*, Baryt- und Bleisalzes. Es bildet sich auch,
wenn Essigeäured&mpfe durch eine glühende Röhre geleitet werden:
Bssigs&ure. Aceton.
2e,H4e, = e,Hee + ee, + H,e
Es entsteht femer bei trockner Destillation von Weinsäure, Citro-
nensäure, Zucker, Holz etc. und ist daher ein Bestandtheil des rohen
Holzgeistes.
Zur Darstellung des Acetons unterwirft man entweder essigsauren Kalk der
trocknen Destillation oder man destillirt ein Gemenge von essigsaurem Blei (4 Th.)
mit Aetzkalk (1 Th.) in einer eisernen Flasche. Das Product wird mit etwas
chromsaurem Kali und Schwefelsfture destillirt, mit Chlorcalcium entwässert und
aus dem Wasserbad rectificirt Völlig reines Aceton erhält man am besten aus
der Verbindung des Acetons mit saurem schwefligsaurem Natron.
Das Aceton ist eine wasserhelle Flüssigkeit von angenehmen Oe-
ruch, die sich mit Wasser, Alkohol und Aether mischt und bei 56® sie-
det; speo. Gew. 0,814 bei (fi.
Sättigt man Aceton mit Ammoniak und erhitzt mehrere Tage auf 100®, so
werden beim Verdunsten grosse Krystalle erhalten, die eine polymere Modifi-
•) Vgl. $. 917.
*^) ^?l* l>^8* Gmelin, Handb. der org. Chemie. I. 782 ff., femer: Hofmann, Ann.
Chem. Pharm. LXXI. 121; Maule, ibid. LXXI. 187; Fittig, ibid. CX. 28;
Stftdeler, ibid. CXL 277; Bouis, ibid. LXIV. 816; Friedel, ibid. CXIL 286)
Biche, ibid. CXU. 821.
. Aceton. 615
eaiion des Acetons zu sein scheinen (Fittig). — Trftgt man Natrium in Aceton
ein und destillirt die breiartige Masse, so geht erst unverändertes Aceton über,
später ein dickes Oel, ans welchem sich beim Stehen schöne Krystalle abscheiden,
die nach Städeler die Zusammensetzung 'Be^ie^s = ^s^ia*^ 4" ^H^O besitzen.
Sie schmelzen bei 42®, destilliren bei raschem Erhitzen auf etwa 200® als krystal-
linisch erstarrende Flüssigkeit über, verlieren aber bei längerem Erhitzen schon
unter 100® Wasser und geben zuletzt ein Oel, wahrscheinlich: -SsHi^O das als Pa-
racet on (Fittig) oder Pinakon (Städeler) bezeichnet wird. Die Bildang dieses
Körpers erklärt sich aus der Gleichung:
Aceton. Pinakon.
2 OaH.e + Naj = e^HijO + Na^O
Der Aceton verbindet sich mit sauren schwefiigsauren Salzen zu
krystallisirenden Verbindungen (Städeler, Limpricht).
Zersetzungen des Acetons. Leitet man Acetondampf über 9^*
erhitzten Natronkalk, so wird Aroeisensäure und Essigsäure erzeugt (Oott-
lieb). Erhitzt man Aceton mit chromsaurem Kali und Schwefelsäure, so
entsteht Essigsäure und Kohlensäure. Wird ein Gemenge von Aceton
und verdünnter Schwefelsäure durch den galvanischen Strom zerlegt, so
bilden sich Essigsäure, Ameisensäure und Kohlensäure (Friedel)« Ein
Gemisch von Aceton mit verdünnter Salpetersäure gibt bei elektrolytisoher
Zersetzung Essigsäure, Ammoniak und Methylamin (Riche).
Abkömmlinge des Acetons. Substitutionsproducte. 925.
Wird ein Gemisch von Aceton und Salzsäure durch den galvanischen
Strom zerlegt, so entsteht bei 117® siedendes Monochloraceton:
63H5CIO; ein Gemisch von Aceton mit BromwasserstoffsSure liefert bei
derselben Behandlung das bei 140^—145® siedende Monobromaceton:
GaHsBrO (Riche). — Leitet man Chlor in Aceton, so entsteht zunächst
Bichloraceton: 63H4GI3O, welches bei 1 1 6®,5 siedet und sich mit saurem
schwefligsaurem Natron verbindet. Bei längerer Einwirkung von Chlor
im Sonnenlicht wird Trichloraceton: 63H3CI3O erzeugt (Fittig). —
Auch aus Holzgeist *) entstehen durch Chlor Substitutionsproducte dea
Acetons, nämlich Trichloraceton undTetrachloraceton:63H2Cl40;
das letztere gibt durch Wasserauinahme ein krystallisirtes Hydrat, wel-
ches bei 35<^ schmilzt: e3H2Cl4e, 4H2O (Bouis). — Aus China-
*) Man hat mehrfach die Vermuthung ausgesprochen, dass dem von Bouis an-
gewandten Holzgeist Aceton beigemengt gewesen sei. Neuere Versuche von
CI06Z (Compt. rend. XLVIII.) zeigen indess ebenfalls, dass die Producte der
Einwirkung Yon Chlor auf Methylalkohol mehr Kohlenstoffatome im Molecül
enthalten als der angewandte Alkohol. Die Bildung von Substitutionspro-
ducten des Acetons aus Methylalkohol ist zudem leicht verständlich, wenn
man bedenkt, dass das Aceton als Verbindung von Methyl mit Kohlenoxyd
angesehen werden kann (§. 914) (vgl. $. 680).
616 P«tte SlMiren.
säure, Gitronensfture, Gallussäure etc., entsteht durob Eiiiwir-
kupg Yon chlorsaurem Kali und Salzsäure das Pentachloracetoo,
dessen krystallisirendes Hydrat: 6^RC]^0^ 4H2O beim Erhitzen zu Was-
ser und dem bei etwa 130® siedendem Pentachloraceton: ÖjHClj©
zerfällt (Städeler). — Perchloraceton: OaCl^iO wird aus Citronensäure
durch Einleiten von Chlor im Sonnenlicht erhalten, es siedet bei etwa
100® und gibt mit Wasser ein krystallisirendes Hydrat (Plantamour).
Behandelt man Aceton mit Phosphorchlorid, so entsteht ein mit
Propylenchlorid isomeres Chlorid, das Methylchloracetol: OjH^CIi
(Siedepunkt 70®) ; gleichzeitig wird ein Zersetzungsproduct dieses Chlorids
erhalten, welches aus demselben auch bei Einwirkung von Silbersalzen,
von Ammoniak und von Natriumalkoholat entsteht, es siedet bei 30® und
ist identisch mit Monochlorpropylen : OaHsCl (§. 958) (Friedel).
Wird ein Gemenge von Aceton und Aether mit Ammoniak gesättigt
und auf 100® erhitzt, oder auch nur nach längerem Stehen verdunstet, so
entsteht eine ölartige Base, das Acetonin*): 69HX8N2, die mit Oxal-
säure ein krystallisirendes Salz bildet. Lässt man gleichzeitig Schwefel-
wasserstoff und Ammoniak auf Aceton einwirken, so entsteht Thi aceto-
nin: egHigNS, (Städeler)."
Wird Schwefelkohlenstoff und Ammoniak mit Aceton zusammenge-
stellt, so entsteht die krystallisirende Schwefelwasserstoffverbindung des
Carbothiacetonins: OiQHisNjda (Hlasiwetz).
Lässt man Aceton längere Zeit mit Salzsäure und Blausäure stehen,
so wird eine Säure erhalten, die Städeler als Acetonsäure: 64HgO|
bezeichnet, sie ist wahrscheinlich identisch mit Butylactinsäure.
926. Einwirkung von Schwefelsäure auf Aceton. Mischt man Aceton mit
con centrirter Schwefelsäure , so entsteht Mesitylschwe feisäure, deren krystalÜ-
sirtes Eupfersalz die Zusammensetzung hat: 03H5CUS03, H3O (Blasiwetz).
Destillirt man Aceton mit Schwefelsäure, so entsteht Mesitäther (Medtrl-
ozyd): ßfii^B' als angenehm riechende, bei 120* siedende Flüssigkeit Dieselbe
Verbindung wird auch erhalten, wenn das bei Einwirkung von Salzsäure oder
besser von Phosphorchlorid auf Aceton entstehende Mesitylchlorid: 0«H^Q
*) Die Beziehungen des Methylchloracetols , des Acetonins, Thiacetonins und
Carbothiacetonins zum Aceton können durch die folgenden Formeln ansge-
drückt werden:
Aceton. Methylchlor- Acetonin. Thiacetonin. Carbothi-
acetol. acetonin.
CfjHf . 0 ^3^9 • Cl j
Aceton. 617
' (i<l«ntiBch mit Frieders: Monochlorpropylen?) mit alkoholischer EalilÖBang «ersetzt
wird (Eane).
Bei der Destillation des Acetons mit Schwefelsftare wird neben Mesitäther
noch ein bei 166® — 160® siedender Kohlenwasserstoff, das Hesitilol oder Mesi-
I tylen: B9H12*) erhalten (Eane, Hofmann). Aus diesem wird durch rauchende
Schwefelsäure Meritylol schwefelsaure: O^HiiMSO, erzeugt; bei Einwirkung
von Chlor, Brom oder Salpetersäure entstehen die folgenden Producte (Cahours,
Hofmann) :
Mesitylen. Trichlor- Tribrom- Dinitro- Trinitro-
mesitylen. mesitylen. mesitylen. mesitylen.
I
Durch Einwirkung von Schwefelwasserstoff auf eine alkoholische Lösung von
Dinitromesitylen wird eine krystallisirte Base, das Nitromesidin: O^Hi^N^O^
(= 6,H,o(Nea)HaN) erhalten (Maule).
Zersetzt man Aceton mit Ealihydrat, so entsteht ein über 200® sieden-
der Eörper: Xylitöl: OiaHigO (Löwig u. Weidmann). Wird Aceton mit ge-
branntem Ealk destillirt, so erhält man neben Mesitäther noch eine bei 210® —
220® siedende Substanz: OtHi^B-, welche Phoron zu sein scheint (Fittig).
Die Bildung der oben erwähnten Substanzen ist leicht verständlich, da sie
aus 2, 8 oder 4 Acetonmolectüen durch einfachen Austritt von Wasser entstehen
können. Man hat:
Aceton.
2 e,H,e -
HaO
=
^f ^10^
Mesitäther.
3 e^H^e -
- 2Hae
=
6, Hj^O
Phoron«
4 e,H,0 -
- 8 Hje
=
^w^is^
Xylitöl.
8 6aH.0 -
- 8 H,e
=
6, Hjj
Mesitylen.
Die chemische Natur dieser Verbindungen ist dagegen noch wenig aufge-
klärt Der Mesitäther, das Mesitylchlorid und die Mesitylschweielsäure können
durch Annahme des einatomigen Radicals: €f3H5 gedeutet werden. Man hat:
Aceton. Mesitäther. Mesitylchlorid. Mesitylschwefelsäure.
Während aus diesen Abkömmlingen für das Aceton die rationelle Formel:
' Hi^ abgeleitet werden kann, führen die §. 925 ei wähnten Substanzen zu der
m
Formel: 6aH|.0. Das Aceton zeigt in diesem doppelten Verhalten eine
grosse Aehnlichkeit mit dem ihm homologen Aldehyd, vgl. §. 851.
®) Isomer mit C^nmol: 6^1).
618 Aceton.
Die Abkömmlinge des Meeitylens berechtigen zur Annahme des R«dicali:
69H11 :
Meeitylen. Kitromesidin. Hesitylenschwefelsäare.
e,H„.H €.H,o(N0^) €.H„»
H
h!»
927. An das Aceton schliesst sich ein aus rohem Holzgeist abgeschiedener, bd
etwa 60® — 61® siedender Körper an, der als Lignon *) oder Xylit bezeidnet
wurde und der wahrscheinlich nur unreines Aceton ist Er gibt bei Einwirkung
von Ealihydrat oder von Schwefelsäure Producte, die den aus Aceton enengta
sehr ähnlich und wahrscheinlich identisch sind. Neben XylitÖl (dessen IdeadUt
nachgewiesen ist) wurde ein in Eigenschaften und Zusammensetzung mit dem Ib-
sitylen nahezu übereinkommender Kohlenwasserstoff und ausserdem eine bei 100*—
120® siedende Flüssigkeit, Xylitnaphta, erhalten, deren Bildung leicht Terständ-
lich ist, wenn man das lignon fär mit Aceton identisch hält
Aceton. Xylitnaphta.
Der niedrige Siedepunkt macht es indessen wahrscheinlich, dass der Sabstam
kein so hohes Holeculargewicht zukommt; sie ist vielleicht nur ein Gemenge (oder
eine lose Verbindung) von Aceton mit Mesitäther.
928. Dumas in: 6eH|oO**). Als Zer^etznngsproduct des Acetons entsteht beiDe>
stillation essigsaurer Salze, beim Durchleiten von Essigsflure oder von Aceton dnrd
eine glühende Röhre, ein bei 120® — 125® siedender Körper, der mit dem Mesit-
äther gleiche Zusammensetzung zeigt, aber von demselben verschieden za Mii
scheint, insofern er mit sauren schwefligsauren Alkalien Verbindungen eingeht,
was der Mesitäther nicht thnt (Fittig) •*•).
929. Metacetonf) hat man ein bei Destillation von Zucker (1 Th.) mit g^
branntem Kalk (3 Th.) entstehendes Zersetzungsproduct genannt, welches bei 84*
siedet, in Wasser unlöslich ist und bei Oxydation mit chromsaurem Kali md
Schwefelsäure neben Kohlensäure und Essigsäure auch Propionsäure liefert h
scheint mit dem Dumasin isomer zu sein.
•) Vgl. Gmelin, Handbuch der org. Chemie. I. 808 — 816.
**) Kane, Heintz, vgl. Gmelin, Handbuch der org. Chemie. I. 796.
♦♦•) Ann. Chem. Pharm. CX 21.
t) Fremy, Ann. Chem. Pharm. XV. 278; Gottlieb, ibid. LIL 127.
ZwÖAtomige Radicale: ChiHto. 619
Dritte Grnppe.
Zweiatomige Kohlenwasserstofiradicale : OaH^n.
Ad die einatomigen Alkohole: GnHio+tO, und die von den- 930.
selben durch Vertretung von Hj durch O sich ableitenden einatomigen
S&uren: OnH^nO), sohliessen sich zunächst zwei Eörpergruppen an, deren
empirische Formeln schon höchst einfache Beziehungen zu den Formeln
jener Körper erkennen lassen. Man hat:
Einatomige Alkohole: 6nH2D-|-20
Zweiatomige Alkohole: 6nH2a4-202
Oder in Beispielen:
Alkohol: eaH,0
Glycol: 6jH.ea
OdH^dO) einatomige Sfioren.
ObH^d^s zweiatomige Säuren.
62H403 Essigsäure.
^2^40, Glycolsäure.
Die zweiatomigen Alkohole unterscheiden sich von den ein-
atomigen,^ und ebenso die zweiatomigen Säuren von den einatomigen,
nur dadurch, dass sie bei gleichem Oehalt an Kohlenstoff- und Wasser,
stoffatomen ein Atom Sauerstoff mehr enthalten.
In ihrem chemischen Charakter zeigen die Gljcole ebenfalls eine 981.
grosse Analogie mit den einatomigen Alkoholen, aber es findet dabei
die charakteristische Verschiedenheit statt, dass in den Glycolen zwei
Atome Wasserstoff durch Badicale yertretbar sind, während in den ein-
atomigen Alkoholen nur ein Atom Wasserstoff durch Radicale ersetzbar
ist. Dieselbe Verschiedenheit findet sich wieder bei den beiden Säure-
gruppen *).
Diese Verschiedenheit wird ausgedrückt durch die typischen Formeln :
Einatomige Alkohole: ^"^^"Hje
Zweiatomige Alkohole : ^"^"| O,
Oder in Beispielen:
Alkohol: ^»^^}e
Glycol: ^»J*}^,
©nHin-iö»^ ematomige SSuren.
enH2n-^|^^ zweiatomige Säuren.
^A^|e Essigsäure,
^»^^je, Glycolsäure.
Man sieht leicht, dass die in den Formeln der zweiatomigen Alko-
hole und Säuren als Radicale angenommenen Atomgruppen sich Ton den
Radicalen der einatomigen Alkohole und Säuren durch ein Atom Was-
*) Dass in der Glycolsäure und den mit ihr homologen Säuren nur ein Atom
Wasserstoff mit Leichtigkeit gegen Metalle ausgetauscht wird, während das
andere leichter durch andere Radicale ersetzt wird, wurde mehrfach erwähnt
(z. B. SS- 216, 298) und wird gelegentlich dieser Säuren noch besprochen.
cfV*]
620 Zweiatomige Radieale: €iAa.
serstoff unterscheiden, welches sie weniger enthalten. Durch den Ver-
lust dieses Wasserstoffs sind die Radieale, die vorher einatomig, d. h.
einem Atom Wasserstoff äquivalent waren, jetzt zweiatomig, d. h. zwei
Atomen Wasserstoff äquivalent geworden, wie sich dies aus den fniher
entwickelten Ansichten über die Atomigkeit und Aneinanderlagerung des
Kohlenstoffs ergibt.
Die zweiatomigen Alkohole und Säuren können demnach betrachtet
werden als zwei Molecüle Wasser, die dadurch zu einem Holecül zusam-
mengehalten sind, dass zwei den verschiedenen Wassermolecfllen zoge-
hörige Wasserstoffatome, durch ein zweiatomiges Radical vertreten sind.
Z. B.:
Typus. Glycol. Glycolsäure.
Es ist vielleicht nicht ungeeignet, bei dieser Gelegenheit wieder darauf auf-
merksam zu machen , dass die typische Auffassangs - und Schreibweise nichts an-
deres ist als ein conventionell gewählter Ausdruck der Thatsachen. Die Thateache
selbst ist die , dass darch Einzutreten von einem Atom Sauerstoff zu dem sonst
unverändert bleibenden Holecül, ein Atom Wasserstoff seinen Charakter in der
Weise umändert , dass es sich jetzt leichter von der Gruppe der Eohlenstoffatome
loslöst
Alle Abkömmlinge der zweiatomigen Alkohole und alle Metamor-
phosen, durch welche solche Verbindungen entstehen, können in einfacher
Weise durch typische Formeln dargestellt werden, in welchen Atom-
gruppen von der Form: OqH^o als zweiatomige Radieale angenonunen
sind.
In allen solchen Formeln drückt die typische Schreibart genau das>
selbe aus, was bei den einatomigen Alkoholen und Säuren durch eine
entsprechende Schreibart angedeutet wurde.
So zeigt z. B. die Formel des Glycols, dass in diesem Körper zwei Atome
Wasserstoff durch Radieale vertretbar sind. Z. B. :
We, ^Ä) Ä/ e^] eA)
H) Na^ H
Sie zeigt femer, dass die beiden typischen Sauerstoffatome durch Chlor er-
setzbar sind (bei Einwirkung von Phosphorchlorid z. B.)« Dabei kann nun ent-
weder ein Atom Sauerstoff durch die äquivalente Menge Chlor, oder es können
zwei Atome Sauerstoff durch 4 At Chlor ersetzt werden; im ersteren Fall löst
sich ein Molecül Salzsäure los, im zweiten treten zwei Atome Wasserstoff des
Qlycols in Verbindung mit Chlor aus. Man hat:
AUgemeine Batnchtongen.
621
h(«
H(0
H a
H Gl
H Gl
Die zweiatomigen Alkohole bilden also ein Ghlorid mehr als die einatomi-
gen. Ausser dem eigentUchen Ghlorid: B^^^-^^i erzeugen sie noch ein zwischen
diesem und dem Glycol selbst intermedifires Ghlorid, ein Oxychlorid: Bfi^BCL
Diese Verbindangen leiten sich ab von den folgenden Typen:
Hi
)e
Hj
je
r
)H Gl
jHGl
IHGl
Diese Beispiele zeigen schon, dass die zweiatomigen Radicale mehrere Mo-
lecflle von gleicher oder von verschiedener Natur zusammenhalten können (vgL
SS- 200 ff.) und daäs sie so eine weit grössere Anzahl von Verbindungen zu er-
zeugen im Stande sind, wie die einatomigen. (Vgl. auch die typische Zusammen-
stellung des vom Aethylglycol sich ableitenden Verbindungen $. 962.)
Die zweiatomigen Radioale: OnH^ sind in isolirtem Zustand 9^-
bekannt Das Verhalten dieser Kohlenwasserstoffe und viele ihrer Bil-
duDgsweisen stehen mit der oben mitgetheilten Ansicht Ober ihren chemi-
schen Charakter in Uebereinstimmung. Diese Kohlenwasserstoffe entstehen
nämlich — ausser bei tiefer gehender Zersetzung verschiedener Substan-
zen von complicirterer Zusammensetzung — auch aus den einatomigen
Alkoholen: €nH2ii4.20; oder aus anderen Verbindungen derselben Radi-
cale; und zwar durch Reactionen die deutlich zeugen, dass die einato-
migen Radicale: GnHtD-i-i ein Atom VPasserstoff verlieren und so die
Kohlenwasserstoffe GnEm erzeugen.
Die einatomigen Alkohole zerfallen bei Einwirkung wasserentziehen-
der Substanzen (Chlorzink, Phosphorsäureanhydrid, Schwefelsäure etc.),
bisweilen auch bei Einwirkung hoher Temperaturen allein, in Wasser und
Kohlenstoffe. Z. B.:
Aethylalkohol.
Aethjlen.
H
ije = ®>«*gje = €A + H,e
Die Chloride (Bromide, Jodide) der Alkoholradicale zerfallen häufig
schon beim starken Erhitzen ihrer Dämpfe oder bei Einwirkung erhitzter
Hetallozyde, in Salzsäure und Kohlenwasserstoffe. Z. B.:
Aeibylchlorid. Aethylen.
HCl
622 Zweiatomige Radicale: 6ttH2D.
Auch bei Zersetzung anderer Verbindangen der einatomigen Alkoholndieak
treten häufig die Kohlenwasserstoffe : 6nH)n auf. So entsteht z. B. Aethylen bdo
Erhitzen von Teträthylammoniumhydrat (§. 725), bei Einwirkung von Aethyljodid
auf Natriumäthyl (§. 767). Ferner entsteht Ceten bei Destillation von Wallntk
(§. 699); Helen bei Destillation von Wachs (§. 908) etc.
Die Kohlenwaaserstoffe OnH^a zeigen das Verhalten zweiatomiger
Radicale. Sie verbinden sieh direet mit zwei Atomen : Chlor, Brom ode
Jod; z. B.:
Aethylen« Aethylenchlorid. Aethylenbromid. Aethjlenjodid.
Ö1H4 e,H4.Cl, ejH^.Br, ejH4.J,
Die so erzeugten Substanzen verhalten sich wie die Chloride, Bio-
mide oder Jodide zweiatomiger Radicale, d. h. sie sind fähig, bei Ein-
wirkung auf gewisse Substanzen, die mit dem Chlor oder Brom yerboii-
dene Atomgruppe gegen zwei Atome Wasserstoff oder gegen zwei Atome
Silber etc. auszutauschen. So entsteht z. B. bei Einwirkung von Aetby-
lenjodid auf essigsaures Silber das Diacetylgljcol, aus welchem dami
Glycol erhalten werden kann. Man hat:
Aethylenjodid. 2 Mol. essigs. Silber. Jodsilber. DiacetylglycoL
— — \ r^t^ ^M^
— ^wr «Aer
984. Die Kohlenwasserstoffe: €nH2n zeigen indess noch eine andere Seite
ihres chemischen Verhaltens. Aus den eben erwähnten Chloriden (md
Bromiden) wird nämlich, bei Einwirkung von Alkalien (besonders in al-
koholischer Lösung) Salzsäure eliminirt. Das entstandene Prodnct, du
als Substitutionsproduct des ursprünglich angewandten Eohlenwassersfolb
betrachtet werden kann , ist wieder fähig sich mit 2 Atomen Chlor n
verbinden. Das so erzeugte Chlorid kann wieder Salzsäure verlieren und
so weiter fort, bis schliesslich aller Wasserstoff des angewandten K(A-
lenwasserstoffs durch Chlor ersetzt ist Jeder Kohlenwasserstoff kann so
als Ausgangspunkt von zwei Reihen chlorhaltiger Körper dienen, tob
welchen die der einen als Substitutionsproducte des Kohlenwasserstob
selbst, die der andern als Substitutionsproducte seines Chlorids betrachtet
werden können (vgl. $. 999).
985. Genetische Beziehungen der zweiatomigen Kohlenwassentoff-
radicale: OdH^b zu den Verbindangen anderer Radicale.
L Einatomige Alkoholradicale: GnHsn+i.
Dass die Kohlenwasserstoffe CaHio aus den einatomigen Alkoholen
und auch aus andern Verbindungen derselben Radicale entstehen könneo,
wurde oben erwähnt ($* 933).
Genetische Beüehnngen. 023
Zu diesen üebergftngen einatomiger Alkoholradicale in zweiatomige gehört
auch die Bildung von Carbylsulfat, Aethionsäure und IsäthionBäure bei
Einwirkung von Schwefelsäureanhydrid auf Aethylalkohol und Aethyläther. Da
dieselben Substanzen auch, und zwar leichter, aus Aethylen (O^H^) erhalten wer-
den können, so kann man sie als Verbindungen dieses zweiatomigen Radicals be-
trachten S. 992.
Umgekehrt können die Kohlenwasserstoffe: OnH^n, indem sie sich
an ein Atom Wasserstoff anlagern einatomige Alkoholradicale und resp.
Yerbindungen dieser Radicale erzeugen. Sie verbinden sich z. B. mit
mehr oder weniger grosser Leichtigkeit, mit Salzsäure, Bromwasserstoff-
säure oder Jodwasserstoffsäure und erzeugen so die Chloride, Bromide
und Jodide der einatomigen Alkoholradicale; sie verbinden sich ebenso
direct mit Schwefelsäurehydrat und erzeugen die betreffenden Aether-
schwefelsäuren.
Das Aethylen; 6aH4 verbindet sich verhftltnissmttssig leicht (bei öOetündi-
gern Erhitzen auf 100*) mit Jodwasserstoff, weniger leicht mit Chlor- oder Brom-
wasserstoff; Propylen: C^H«; Amylen: 65H10; Caprylen: G^Hi« undCeten: Ci^H^s
vereinigen sich ebenfalls bei lang anhaltendem Erhitzen aui 100® mit Chlor-, Brom-
oder Jodwasserstoffsäure *).
Das Aethylen wird von Schwefelsäurehydrat erst bei lang anhaltendem
Schütteln absorbirt; das Propylen und Butylen dagegen verbinden sich leicht mit
Schwefelsaure ••).
Da die so erhaltenen Verbindungen (Chloride, Bromide, Jodide und Aether-
schwefelsäuren) f&hig sind beim Kochen mit Wasser oder Metallozyden die betref-
fenden Alkohole zu erzeugen, so gibt diese Reaction ein Mittel in die Hand, aus
vielen Kohlenwasserstoffen die zugehörigen einatomigen Alkohole synthetisch dar-
zustellen ♦••).
Zu diesen Rückbildungen von Yerbindungen einatomiger Alkohol-
radicale aus den zweiatomigen Kohlenwasserstoffen, gehören auch die bei
Einwirkung der Chloride des Schwefels auf Aethylen und Amylen ent-
stehenden Producte.
Die beiden Chloride des Schwefels verhalten sich bei dieser Reaction wie
das Sulfid und Bisulfid des Chlors (dem Kaliumsnlfid und Kaliumbisulfid ent-
sprechend):
*) Berthelot, Ann. Chem. Pharm. CIV. 184; CXV. 114.
••) Berthelot, ibid. XCIV. 78.
***) Dass das Aethylen sich mit Schwefels&urehydrät direct zu Aethylschwefel-
säure verbindet, war schon 1826 von Faraday und 1826 von Hennel beob-
achtet worden. Die Bildung des Alkohols aus Aethylschwefelsäure war da-
mals bekannt, und es war somit ein Mittel gegeben, den Alkohol aus
Aethylen synthetisch darzustellen (vgl. Gmelin, Handb. der org. Ch. L 526,
272). In neuerer Zeit haben Berlhelof s umfassende synthetische Versuche
diese Thatsachen völlig festgestellt und ihnen von neuem die Aufinerksam-
keit der Chemiker sagewendet.
624
Zwdatomige Radicale: OnHan.
Chlorsulfid.
<%lorbisalfid.
eil
eil
II».
Wirkt Aethylen: 62H4 auf diese Chloride ein, so lagert sich dieGrappe€|1I|
an Chlor an» gerade so, wie sie bei den eben erwähnten Reactionen sich «nda
Wasserstoff der SalzsKure oder des Schwefelsäurehydrats anlagert; es entstehen*):
Aethylendichlorosulfid. Aethylendisuliochlorid.
e^ciig
eAcii«
eAcir»
Beide Körper können betrachtet werden als Substitutionsproducte da Ib-
captans (§. 678) und des Aethylbisulfids ($. 674). Man hat:
Mercaptan. Aethylbisulfid.
i:ll^'
Dichlormercaptan. Monochloräthylbisulfid.
«r eaH^Cir«
Bei Einwirkung von Aethylen auf Chlorbisulfid entsteht noch: Chlorlthylft
bisulfochlorid (Dichloräthylbisulfid) und aus diesem wird durch Chlor das Dicfal»
' äthylenbisulfochlorid erhalten , dessen Identität mit dem aus Aethylbisulfid dai{^
steUten Trichloräthylbisulfid nachgewiesen wurde. Van hat:
Dichloräthylbisulfid.
ejH,Cl,U
Trichloräthylbisulfid.
O^HjClsio
(Vgl. femer die entsprechenden Amylverbindnngen $• 972).
Die folgende ZusammenstelluDg zeigt, dass ein SabstitationsproM
eines einatomigen Alkohols dieselbe Formel besitzt, wie das Oxyehloä
eines zweiatomigen ; z. B. Monochloräthylalkohol gleich salzsaures Oljeol:
Alkohol
Monochloralkohol.
Essigsäure.
Monochloressigs&mt
^A}o
eAOj^
e ACie ^
Alkohol.
Salzs. GlycoL
Essigsäure.
Honochloressigsimt
^g
«.^j«
h(0
Glycol.
Glycolsäure.
•) Guthrie, Ann. Chem. Pharm. CXm. 266; CXVL 284. — Vgl auch: IBcbm
ibid. CXUL 288.
Genetische Beriehniigen. Q25
Da nun bei den entsprechenden 8&aren, deren Formeln beigefllgt
sind, eine einatomige Säure in eine zweiatomige und umgekehrt eine
zweiatomige in eine einatomige umgewandelt werden kann (k. B. Essig-
säure in Olycokäure uud umgekehrt), indem man die dem salzsau-
I Ten Olycol entsprechende Verbindung (Honochloressigsäure = salzsaure
Glycolsäure) als Zwischenglied benutzt, so ist es sehr wahrscheinlich,
dass in der Gruppe der Alkohole die entsprechende Reaction ausfähr-
bar ist. Wenn auch aus Alkohol kein Olycol erhalten werden kann,
weil bei Einwirkung von Chlor auf Alkohol nicht Substitutionsproducte
sondern Oxydationsproducte entstehen, so wird sich doch das Glycol zu
Alkohol reduciren lassen, indem man zuerst salzsaures Olycol darstellt
und in diesem dann, durch Zink oder Natriumamalgam das Chlor durch
Wasserstoff ersetzt.
l IL Beziehungen der zweiatomigen Eohlenwasserstofiradicale zu den 986«
einatomigen Säuren OnH^nOs.
Aus den fetten Säuren entstehen bei einigen Reactionen diejenigen
^] Kohlenwasserstoffe OnH^n (oder auch Verbindungen dieser zweiatomigen
^ Badicale), die 1 At. 6 weniger enthalten als die fette Säure.
So entsteht z. B. aus BaldrianBäure bei elektrolytischer Zersetzung ihres
Kalisalzes neben Butyl (§. 698) auch Butylen.
Hierher gehört auch die Bildung der Disulfometholsfture und der Disulfo*
ätholsäure bei Einwirkung tou Schwefel Säureanhydrid auf Essigsäure oder Propion-
säure (vgl. $. 996). Da die fetten Säuren bei vielen Reactionen sich verhalten als
enthielten sie das einatomige Alkoholradical von 1 At Kohlenstoff weniger (S* .796),
^ entsprechend der Formel:
»" ©H,
ji* Essigsäure = ^^0
so ist die Bildung der Kohlenwasserstoffe 6aH2n und ebenso die Bildung der er-
^. wähnten Sulfosäuren aus einer fetten Säure von 1 At 6 mehr, im Grund genom-
men nur eine Umwandlung eines einatomigen Alkoholradicals : €fDH2o-fi in ein
^ zweiatomiges: 6nHin.
in. Beziehungen zu zweiatomigen Säuren. 987.
1) Die Olycole sind fähig durch directe Oxydation (Einwirkung von
Salpetersäure oder von Sauerstoff unter Vermittlung von feinzertheiltem
Platin) in zweiatomige Säuren fiberzugehen. Dabei werden (genau wie
bei der Bildung der fetten Säuren aus den Alkoholen) 2 Atome Wasser-
stoff durch ein Atom Sauerstoff ersetzt und es entstehen so Hydrate der
zweiatomigen OzykohlenwasserstoflBradicale. Da diese letzteren durch Wie-
derholung derselben Oxydation in die Hydrate der zweiatomigen Dioxy-
KekoU, orfu. Ckeala. 40
626 Zweiatomig« Radicale: CfnH^n.
koUenwasseratoffi-adicale abergehen köDDen, so können ans jedem Gljtd
durch Oxydation zwei verschiedene zweiatomige Sftoren erhalten weidet
Z. B.:
Glycol. Olycolfläure. Oxals&are.
öAU eAO)^ «i^iU
H,r^ Hjj^» H,i^>
2) Die zweiatomigen Kohlen wasserstoflfe: OnH^o sind fähig, anfv-
directem Weg zweiatomige Säuren zu erzeugen, welche 2 Atome 6 meb
enthalten.
Gerade so wie die Cyanide der einatomigen Alkoholradicale imla
Aufnahme von Wasser zu den Ammoniaksaizen der fetten Säuren Ver-
den; z. B.:
Aethylcyanid. Propionsäure.
e^.GN + 2Hjie = G,H«0, + NH,
so entsteht aus Aethylencyanid bei Behandeln mit Ealihydrat Bemstdn-
säure und Ammoniak (Simpson):
Aethylencyanid. Bemsteinsäure.
©jH^jlg + 4H,e = G4H,G4 + 2NH,
938. IV- Beziehungen zu dreiatomigen Kohlen wasserstofiBradiaü»
Reactionen der Art sind bis jetzt nur wenige bekannt Bei Einwiikag
von Phosphorjodür (P2J4) auf Glycerin entsteht Propylen und gleichzdtii;
AUylbromid, welches als Jodsubstitutionsprodtu l des Propylens betrachtei
werden kann:
Glycerin. Propylen. Allyljodid.
G,H.U G,H. G,H,J.
Umgekehrt kann aus Allyljodid das Allyltribromid erhalten werden;
dieses gibt mit essigsaurem Silber das Triacetglycerin (Triacetin) aus wel-
chem durch Zersetzen Glycerin gewonnen werden kann:
Allyljodid. Allyltribromid. Triacetin. Glycerin.
m IM m
(GAe),i • ^^
Hierher gehört auch die Bildung des Methylenjodids und la-
derer Methylenverbindungen aus Jodoform :
Jodoform. Methyleigodid.
m a
^H.Jj Gfl(2.J2
627
Isomerieen der Kohlenwasserstoffe: OnHta und ihrer
Verbindungen untereinander und mit andern Substanzen.
X) Die Kohlenwasserstoffe: 6nH2n sind alle untereinander isomer,
resp. mit einander p o 1 y m e r.
Da häufig bei Zersetzungen, z. B. bei trockner Destillation organischer Sub-
stanzen, verschiedene dieser Kohlenwasserstoffe neben einander entstehen; da fer-
ner in manchen in der Natur vorkommenden Stoffen z. B. in einigen Steinölen,
! verschiedene dieser Kohlenwasserstoffe neben einander enthalten sind ; so ist es ein-
I leuchtend, der Polymerie wegen, dass die Elementaranalysc nicht zeigt, mit welchem
Kohlenwasserstoff man es gerade zu thun hat, dass vielmehr zur Entscheidung
I dieser Frage die physikalischen Eigenschaften und ganz besonders die Zusammen-
setzung und Eigenschaften der Abkömmlinge studirt werden müssen. Bisweilen
entstehen bei einer Reaction, durch welche ein bestimmter Kohlenwasserstoff er-
halten werden sollte, gleichzeitig polymere Modiücationen dieses Kohlenwasser-
stoffs. So wird z. B. bei Destillation von Amylalkohol mit Chlorzink neben Amy-
len auch Paramylen erhalten.
2) Die Chloride der Kohlenwasserstoffe sind isomer mit den einfach
i gechlorten Chloriden der Alkoholradicale. So ist z. B. Aethylenchlorid
isomer mit Moi^chloräthylchlorid (§. 690).
Aethylenchlorid. Monochloräthylchlorid.
©A-Clj eÄCLCl
Die Substitutionsproducte des Aethylenchlorids sind isomer mit den
an Chlor reicheren Substitutionsproducten des Aethylchlorids (vgl §. 690).
Die Chloride der Kohlenwasserstoffe: Collen sind ferner isomer mit
den aus den Aldehyden sich ableitenden Chloriden. So ist das Aethylen-
chlorid (§. 953) isomer mit Aethylidenchlorid (§. 844). Bemerkenswerth
ist, dass diese beiden in ihren Eigenschaften verschiedenen Verbindungen
durch alkoholische Kalilösung eine und dieselbe Substanz des Chloräthy-
len : G2H3CI (§. 953) liefern. In ganz ähnlicher Weise ist das Propylen-
chlorid : 63H(|C]2 (§. 958) isomer mit dem aus dem Aceton sich herleiten-
den Methylchloracetol (§.925); und auch diese beiden Chlorverbindungen
geben beim Behandeln mit alkoholischer Kalilösung ein und dasselbe Sub-
stitutionsproduct des Propylens, das Chlorpropylen : 63H5CI.
Mit dem Brompropylenbromid : G3H5Br3 sind isomer das AUyltri-
bromid und des Tribromhydrin.
3) Die Oxyde der Kohlenwasserstoffe: CoH^n sind isomer mit den
Aldehyden. Z. B.:
Aethylenoxyd. Aldehyd.
O2H4 . 0 üjH^O
Das Aethylenoxyd ist folglich auch isomer und resp. polymer mit
all den beim Aldehyd erw&hnten Substanzen ($§, 839, 912).
40 •
C28 Zweiatomige Radicale: BuEbtm.
Bemerkenswerth ist, das« bei Einwirkung von Chionink auf Oljooi
statt des Aethylenoxyds, dessen Bildung h&tte erwartet werden solteH,
der mit diesem isomere Aldehyd auftritt und gleichzeitig eine der poij-
meren Modificationen des Aldehyds, der Acraldehyd ($. 839).
4) Einzelne der früher ($$• 846 ff.) beschriebenen Abkömmlinge da
Aldehyds sind isomer mit entsprechenden Deriyaten des Olycols. Ni-
mentlich die folgenden:
aus Glycol. aus Aldehyd.
Diftthylglycol. Acetal.
Diacetylglycol. Aldehyd-Acetanhydrid.
Salzsaur. AcetylglycoL Aldehyd-Acetylchlorid.
Bja^ jCl OaH^e I
eaH,oje (e,H,0)Cif
Es wurde früher schon darauf aufmerksam gemacht, dass die zuletzt (3 ui
4) erwähnten Isomerieen zu denjenigen gehören, über deren Ursache man sich an
wenigsten Rechenschaft zu gehen im Stande ist (§. 819).
940. Für einzelne der von den Kohlenwasserstoffen: OdH^b sich ablete
den Substitutionsproducte hat man beobachtet, dass sie unter gewiuci
noch nicht näher ermittelten Bedingungen sich in feste, polymere Modift-
cationen umwandeln. So wird z. B. flüssiges Üromäthylen : O^B.^Bt hm
Aufbewahren in einer zugeschmolzenen Röhre oft und bisweilen sehr rasdi
zu einer festen weissen Masse (Hofmann) *). Eine ähnliche Umwandluog
hat Regnault schon vor längerer Zeit f&r das Bichloräthylen : G^Q^
beobachtet
In der folgenden Specialbeschreibung sind zuerst die Eolllenwasee^
Stoffe selbst besprochen; nachher ihre Chlor-, Brom- und JodverbindaiigeD
und die von ihnen sich herleitenden Substitutionsproducte. Man hat daifl
alle die Substanzen zusammengestellt, in welchen die Eohlenwasserstofle:
€oH2o die Rolle zweiatomiger Radicale spielen; und zwar zunächst die
Olycole und ihre Abkömmlinge, dann die Stickstoff, Phosphor nnd Axaei
enthaltenden Basen, und endlich die von der Schwefelsäure sich ableitea-
den Verbindungen (s. g. Sulfosäuren) dieser zweiatomigen Radioale.
*) Ann. Chem. Pharm. CXY. 271.
62»
Kohlenwasserstoffe: GuE^a.
941.
Schmelz-
Namen.
Formel.
Siedepunkt
pankt
Mettiylen (unbekannt)
e H,
AeÜiylen (Elayl)
e,H^
Propylen (Tritylen)
e,H.
Butylen (Ditetryl, Tetrylen)
e4H,
Amylen
^» H,o
Hexylen (Caproylen, Oleen)
€, H,j
Oenanihylen
67 H,4
86* (89«)
Caprylen
^8 Hu
56»
(Nonylen, ElaCn, Naphten)
6t Hjg
96»
CParamylen)
610H20
125*
—
—
110*
Geten
^ifHjj
Ceroten
6aiH^4
276»
67»-68»
Helen
0«oH«Q
;870*-880»
62»
Paraffin
OiAi
8S»-68«
Ozokerit
e»H.
76« und 90»
Viele dieser Kohlenwasserstoffe können aos den entsprechenden ein-
atomigen Alkoholen erhalten werden; entweder dureh Einwirkung was-
serenteiehender Substanzen oder durch Zersetzung dieser Alkohole oder
ihrer Verbindungen durch Hitze (J. 933). — Auch die diesen Alkoholen
entsprechenden Aldehyde und S&uren (fette B&uren) liefern bei manchen
Zersetzungen solche Kohlenwasserstoffe ($. 936); namentlich entstehen
dieselben, wenn die fetten 8&nren durch glohende Röhren geleitet oder
wenn Salze der fetten Sfturen der trocknen Destillation unterworfen wer-
den. Auch die Oelsttare gibt bei trockner Destillation Kohlenwasserstoffe
von der Formel: QtHu- Viele organische Substanzen yon complicirter
Zusammensetzung liefern ebenfalls bei trockner Destillation solche Koh-
lenwasserstoffe; so enthalt z. B. das bei Destillation von Fetten, Harzen,
Holz oder Steinkohlen entstehende Gas (Leuchtgas), Aethylen, Buty-
IcD etc. Bei allen diesen Destillationen entstehen gleichzeitig flüssige und
selbst feste Kohlenwasserstoffe von derselben Zusammensetzung (Paraffin).
— Bei der trocknen DestiUation des Holzes und der Steinkohlen werden
neben diesen Kohenwasserstoffen auch noch kohlenstoffireichere Snbstan-
^0 Kohlenwasserstoffe: 6nHaa.
zen gebildet (namentUoh : Benzol, PheDjlalkohol, Kreosot ete.); bd den
Harzen und bituminösen Schiefern (Bogheadkohle), dagegen bestehen die
gasförmigen, flüssigen und festen Destillationsproducte fast ausschliessHck
aus den Kohlenwasserstoffen GnHin (vgl. §. 691).
Fertig gebildet in der Natur sind flüssige Kohlenwasserstoffe in yer-
sohiedenen Steinölen aufgefunden worden *) (vgL aueh $. 691); feste
Kohlenwasserstoffe (ParaMn) hat man in Steinölen, in der Boghead-
Cannelkohle etc. gefunden. Auch die s. g. Erdwachse, Erdharze (Ozo-
kerit etc.) sind feste Kohlenwasserstoffe von der Zusammensetzung OdH«..
Besondere Erwähnung verdienen noch die von Berthelot ^) als
Synthesen ***) der Kohlenwasserstoffe bezeichneten Bildung»-
weisen. Wird Schwefelkohlen stoffdampf mit Schwefelwasserstoff Ober
glühende Metalle geleitet, so entsteht: Aethylen. Beim Durchleiten einer
Mischung von Sumpfgas und Kohlenoxydgas durch eine glühende Röhre
entsteht Propjlen. Bei Destillation von ameisensaurem Baryt wird Aethj-
len und Propylen gebildet. Bei Destillation von essigsaurem Natron mit
gleichviel Natronkalk bilden sich neben Methylwasserstoff (§. 626) aueh
Aethylen, Propylen, Butylen und Amylen etc.
942. Aethylen. Elayl. Oelbildendes Oas: O2H4. Entdeckt 1795 vod
den holländischen Chemikern: Deimann, Paets van Troostwyk, Bondt
und Lauwerenburgh. Es entsteht beim Erhitzen von Aethylalkohol mit
concentrirter Schwefelsäure, bei trockner Destillation der ameisensanreo,
essigsauren, buttersauren Salze, der Fette, Harze, des Holzes, der Stein-
kohlen etc. und ist daher Bestandtheil aller Leuchtgase.
Zur DarBtellung des Aethylens erhitzt man zweckmässig ein Gemeoge too
1 Vol. Alkohol mit 4 Vol. Schwefelsäure, dem man um das Schäumen zu vermei-
den soviel Sand zusetzt, dass ein dicker Brei entsteht. Man wäscht das Gas mit
Kalilauge zur Entfernung von schwefliger Säure und Kohlensäure.
Das Aethylen ist ein farbloses schwach ätherisch riechendes Gib;
bei — 110^ kann es durch starken Druck zur Flüssigkeit verdichtet werden.
Spec. Gew. 0,97; Löslichkeit in Wasser und Alkohol vgl. $.491. Aether
absorbirt es in reichlicher Menge; auch von Eupferchlorür wird es gelöst
•) Vgl. z. B. Ann. Chem. Pharm. CXIII. 169; CXIV. 279; CXV. 19.
••) Ann. Chem. Pharm. CVIII. 188.
•♦•) Berthelot bezeichnet alle künstlichen Bildungsweisen als Synthesen. Es \A
zweckmässiger diesen Ausdruck füi* diejenigen Metamorphosen zu reseniien,
bei welchen durch verhältnissmässig einfache (und folglich durch Fonidi
darstellbare) Reactionen complicirtere Substanzen aus einfacheren gebildet
werden.
i
l
Aeäiylen. 631
Das Aedijlen brennt mit lenchtender Flamme. Da es beim Durcb-
leiten durch ein glflhendes Rohr zn Onibengas und Kohle zersetzt wird«
Aethjlen. Methylwasserstoff.
G,H4 = eH4 + G
^ so ist es wahrscheinlich, dass in der Flamme des Aethylens dieselbe Zer-
setzung stattfindet, so dass also eigentlich das gebildete Grubengas brennt,
während die abgeschiedene Kohle zum Glühen erhitzt wird und dadurch
I die Flamme leuchtend macht. In Chlorgas brennt das Aethylen mit stark
■ russender Flamme:
" G2H4 + 2C1, = G, + 4 HCl.
( Mischt man 1 Vol. Aethjlen mit 2 Vol. Chlor und zündet das Gemenge
an , so brennt es langsam ab und es scheidet sich viel Kohle aus.
I Das Aethjlen verbindet sich direct mit Chlor, Brom oder Jod ($. 933),
I mit Untersalpetersäure und mit den Chloriden des Schwefels (§. 935).
Mit wasserfreier oder mit rauchender Schwefelsäure erzeugt es Carbjl-
sulfat und Isäthionsäure (§. 994). — Mit Salzsäure, Bromwasserstoffsäure
oder Jodwasserstoffsäure verbindet es sich bei langanhaltendem Erhitzen,
mit Schwefelsäureh jdrat bei andauerndem Schütteln; es entstehen Aethyl-
; ohlorid-, bromid- oder Jodid und Aethjlsohwefelsänre ($. 935).
Propjl en: G,He. Es entsteht, wenn die Dämpfe von Amjlalko- ^^^
i hol *) oder von Valeriansäure durch ein glühendes Rohr geleitet werden,
i Es wird häufig bei trockner Destillation gebildet ; in besonders reichlicher
Menge z. B. wenn Oelsäure (10 Th.) mit Kalkhjdrat (3 Th.) und Natron-
kalk (3 Th.) destillirt wird. Auch beim Erhitzen eines Gemenges von
, essigsaurem Kali mit oxalsaurem Kalk wird Propylen erzeugt **). Es
I entsteht femer neben Alljljodid bei Einwirkung von Phosphoijodür (P2J4)
i auf Gljcerin ; und endlich bei Behandeln des AUjljodids (G3H5J) mit
Quecksilber und Salzsäure (Berthelot und De Luca).
Das Propjlen ist gasförmig, durch starken Druck verdichtbar; bei
[ — 40^ wird es noch nicht flüssig. Es löst sich in 6 — 10 Vol. Wasser,
I Alkohol löst 12 — 13 Vol. Propjlen. Rauchende Schwefelsäure absorbirt
es rasch ; auch Schwefelsäurehjdrat absorbirt es weit leichter als das
Aethjlen. Es verbindet sich wie dieses mit Chlor, Brom oder Jod und
bei langem Erhitzen mit Salzsäure etc.
Butjlen: G4H8. (Ditetrjl). Es wurde 1825 von Faradaj aus dem 944.
durch Destillation von Gel dargestellten Leuchtgas durch starken Druck
abgeschieden und seitdem auch in andern Leuchtgasen nachgewiesen. Es
•) Reynolds, Ann. Chem. Pharm. LXXVH. 114.
••) Dusart, ibid. XCVH. 127.
632 Kohlenwasseraioffe; ^oHsa.
entsteht häufig neben andern Kohlenwasserstoffen bei troekner DestOls-
tion; und in verhältnissmässig grosser Menge bei elektroljtiseher Zet-
Setzung des valeriansauren Ealfs *).
Das Butjlen ist bei gewöhnlicher Temperatur gasförmig; es ve^
dichtet sich bei etwa 0^ — Von rauchender Schwefelsäure wird es rasdi
aufgenommen; es verbindet sich direcl mit Chlor und Brom.
946. Amylen: 65H1Q. Es entsteht bei Destillation von Amylalkohol mit
Ghlorzink ^) oder mit überschüssiger Schwefelsäure; femer bei troekner
Destillation aroylschwefelsaurer Salze *♦*). Es wurde von CouSrbe ia
durch Druck verdichtetem Leuchtgas aufgefunden.
Das von Marchand neben andern Producten bei Destillation der äthyl8chw^
felsanren Salze erhaltene Aetheron scheint mit Amylen identisch zu sein.
Das Amylen siedet bei 35®; es verbindet sich direct mit Chlor und
Brom und wird von rauchender Schwefelsäure leicht aufgenommen. Ei
verbindet sich langsam mit Salzsäure etc.
Das Amylen ist vor einiger Zeit als Anaestheticum vorgeschlagen (Snov,
1856) und versuchsweise statt des Chloroforms und des Aethylftthers angewandt
worden.
Caproylen: OeHx). (Hexylen, Oleen). Von Fremy unter den
Destillationsproducten der Oelsäure aufgefunden.
Oenanthylen: O^H^^. Vom Limprichtf) durch Einwirkung von
Natrium auf Oenanthylenchlorid erhalten.
Gaprylen: Gg^ie- (Octylen). Entsteht bei Destillation von Cet
prylalkohol mit Schwefelsäure oder Ghlorzink ff) ; und bei Destillation
pelargonsaurer Salze (Cahours).
Elaän: Ö^Hig (Nonylen) wird neben Caproylen bei Destillation
der Hydroolelnsäure und Metaolelnsäure gebildet (Fremy).
Das von Pelletier und Walter aus Steinöl durch Destillation abgeschiedene
Kaphten (Siedep. 115®) ist vielleicht mit Elaen identisch.
Par amylen: 610H20. Entsteht neben Amylen bei Destillation Ton
Amylalkohol mit Schwefelsäure.
946. Ceten: ©leHj,. Von Dumas und Peligot durch Destillation tob
Cetylalkohol mit Phosphorsäureanhydrid erhalten, bildet sich auch W
Destillation des Wallraths (§. 908). Es ist eine farblose Flüssigkeit, die
bei 275® siedet. Es verbindet sich langsam mit Salzsäure oder Brom-
wasserstoffsäure zu Cetylverbindungen.
Bei Einwirkung von Schwefelsäure auf Alkohol (Aetherdarstellung) wird
*) Kolbe, Ann. Chem. Pharm. LXIX.
••} Baiard, ibid. UI. 816.
•••) Kekul^, ibid. LXXV. 280.
t) limpricht, ibid. CHI. 85.
tt) BoQis, ibid. XCO. 896.
Paraffin. 633
hftnfig eine als schweres Wdnöl bezeichnete Sabstanz gewonnen, die ein Gemenge
^ YOn Schwefel8$Lareäihyläther und Kohlenwasserstoffen von der Zusammensetzung
6nH2a zu sein scheint Durch Behandeln mit Wasser und Destillation wird ein
bei 280® siedender Kohlenwasserstoff erhalten, das leichte WeinÖl, Aetherin oder
Aetherol, der mit dem Ceten grosse Aehnlichkeit zeigt.
Aehnliche Producte entstehen bei trockner Destillation der äthylschwefel-
sauren Salze, bei Einwirkung von Chlorzink, von Phosphors&ureanhydrid etc. auf
Alkohol
Ceroten: 627H54. KrystalllDische Substanz, die bei Destillation'
des chinesischen Wachses entsteht und durch wiederholte Destillation in
flüssige Kohlenwasserstoffe zersetzt wird *).
Helen: 63oH^. Entsteht bei trockner Destillation des Bienen-
wachses. Es löst sich in Aether und in fetten und ilachügen Oelen.
Aus siedendem Alkohol krystallisirt es in Schuppen, die bei 62® schmel-
zen ♦♦).
Paraffin. Hit dem Namen ParafBn bezeichnet man im AUgemei- 9^7.
nen diejenigen, dem Ceroten und Helen ähnlichen und nach der Formel
OsHsn zusammengesetzten festen Kohlenwasserstoffe, die bei Destillation
Yon Holz, Braunkohle, Torf and bituminösen Schiefem entstehen. Das
Holeculargewicht dieser Substanzen hat bis jetzt nicht festgestellt werden
können, da man dieselben noch nicht in wohlcbarakterisirte Verbindun-
gen ttberzufahren vermochte. DaParafHne von verschiedener Darstellung
völlig verschiedene Schmelzpunkte zeigen und da sie femer durch fraotio-
nirte Krystallisation aus Alkohol in Producte von verschiedenem Schmelz-
punkt zerlegt werden können, so muss man annehmen, dass die als Pa-
rafBn bezeichneten Substanzen Gemenge von verschiedenen homologen
und nach der Formel 6qH2o zusammengesetzten Kohlenwasserstoffen sind.
An die durch Destillation erhaltenen ParafBne schliessen sich die als na-
türliche ParafBne, Erdwachs etc. bezeichneten Substanzen (Ozokerit,
Scheererit, Fichtelit u. b. w.) an; ferner die festen Bestandtheile einiger
Steinöle z. B. des Rangoon-Theers.
Bollej ***) hat in neuester Zeit gezeigt, dass in einzelnen bituminö-
sen Schiefern z. B. in der Boghead-Gannelkohle das Parafßn schon fertig
gebildet enthalten ist und durch Alkohol und Aether ausgezogen werden
kann.
Die Schmelzpunkte einiger Paraffine sind beispielsweise die folgenden.
Parafffin durch Destillation:
des bituminösen Schiefers von Antun 33^
von Holz 33*,6— 47»,5
*) Brodie, Ann. Chem. Pharm. LXYII. 210.
«*) Ettling, Brodie, ibid. LXXL 166.
*^«) Ann. Chem. Pharm. CXV. 61.
634 KohlenwasserBtoife: €^iHtn.
von Torf 46V
von Boghead-Gannelkohle 45^,5—52
von rheinischem Blfttterschiefer 50^,5
von bitaminösem Schiefer von Glasgow 55^
[Aus diesem letzteren darch fractionirte Krystallisation] 45® — 58*
Natürliches Paraffin:
aus Boghead-Cannelkohle 41*
aus Rangoon-Theer 61*
Ozokerit (von Borystow in Galizlen) 60*
aus Galizischem Erdwachs durch fractionirte Krystalli-
sation 65*
Das Paraffin wurde 1830 ¥00 Relohenbach in den Destülationspro-
ducten des BucheDholzes entdeckt. Ueber sein chemisches Verhalten ist
nur sehr wenig bekannt. Durch längeres Kochen mit Salpetersäure wird
es oxjdirt unter Bildung von Buttersäure, Valeriansäure, Bemsteio-
säure etc.
Chlor wirkt bei gewöhnlicher Temperatur nicht ein; mit geschmol-
zenem Paraffin gibt es Substitutionsproducte, als Endproduct einen Kör-
per der aonähernd €5117013 zusammengesetzt ist *). Das Paraffin ist uh
löslich in Wasser, löslich in Aether und in heissem Alkohol.
948. Chlor-, Brom- und Jodderivate der Kohlenwasserstoffe:
Dass die Kohlenwasserstoffe: GnHsn sich direct mit 2Ci, 2 Br, 2J
vereinigen, wurde oben (§.933) erwähnt. Von so erhaltenen Yerbindon-
gen kennt man die folgenden:
Chloride.
Formel.
Methylenchlorid
Aethylenchlorid
Propylenchlorid
Batylenchlorid
Amylenchlorid
^ H2 CIq
tjjH^ CI3
ejH, Cla
BSb Cla
OsHigCla
Siede-
punkt.
40»
85®
108»
127«
Bromide.
Formel.
Siede-
punkt
Jodide.
Aethylenbromid
ejH« Bra
129»
Propylenbromid
e^H, Bra
144«
Butylenbromid
e4H8 Bra
160«
Amylenbromid
OsHioBra
180*
Methylenjodid
Aethylenjodid
Propylenjodid
FormeL
*) Bolley, Ann. Chem. Pharm. GVL 281.
Chloride, Bromide ete.
635
Die 80 erhaltenen Chloride und Bromide verlieren bei Einwirkung 949.
von alkoholiBcher Ealilösnng Salzsäure oder Bromwasserstoffsäure, indem
gleichzeitig Körper gebildet werden, die als Chlor- oder Bromsubstitu-
tionsproduete der angewandten Kohlenwasserstoffe betrachtet werden kön-
nen. Diese sind wieder f&hig sich direct mit CI2 oder Br^ zu verbinden,
zu Substanzen, die wiederum Salzsäure oder Bromwasserstoffsäure elimi-
niren können und so weiter fort, bis endlich aller Wasserstoff durch
Chlor oder Brom vertreten ist. Man kann so aus jedem Kohlenwasser-
stoff zwei Reihen Chlor- (oder Brom-) haltiger Substanzen darstellen,
von welchen die eine Substitutionsproducte des Kohlenwasserstoffs, die
andere Substitutionsproducte seines Chlorids enthält.
Abkömmlinge der Art sind bis jetzt nur von dem Aethylen aus-
führlich untersucht. Man kennt die folgenden Körper:
Substitationsproducte von :
Siede-
punkt
Aethylen.
Chlorid.
Siede-
punkt.
Aethylen
«A ^^
^^^^e^H^ .CI2
850
Aethylenchlorid.
Chloräthylen
+ 180
€,H,a d;^
Bichloräthy-
1«»
+ 3Ö»
OaHaClacC;;^
^^^^eaH,Cl .Cla
1150
Chloräthylen-
chlorid.
Jen
^"---^eaHaCla.Cla
187«
Bichloräthylen-
Trichloräthy-
?
OaHCla,--—
'-'^"^
chlorid.
len
" — ::r^2H Cl,.Cla
154«
Trichloräthylen-
Perchloräthy-
1160,7
e, ci,cc::;^
'^^
chlorid.
len
^"^-^Oj CU.Cla
182«
Perchloräthylen-
chlorid.
(Anderthalb-chlor-
kohlenstoff.)
Das Aethylenchlorid ist isomer mit dem Monochloräthylchlorid , die
von ihm sich ableitenden Substitutionsproducte sind isomer mit den an
Chlor reicheren Substitutionsproducten des Aethylchlorids (§. 690). Die
Endglieder beider Reihen: das Perchloräthylenchlorid: 62CI4.CI2 und das
Perchloräthylchlorid : 62C15.C1, sind ein und derselbe Chlorkohlenstoff:
CaCl« (§. 956).
Es mag hier schon erwähnt werden, dass die eben angefahrten
Substanzen wirklich durch die beschriebene und in der Tabelle angedeu-
tete Aufeinanderfolge von Reactionen erhalten werden können; indessen
erfolgen diese Reactionen niemals mit vollständiger Schärfe. Schon bei
Einwirkung von Chlor auf Aethylen wird neben dem Aethylenchlorid et-
was Salzsäure gebildet und es entstehen gleichseitig Substitutionsproducte
636
KohlenwMflentoffe: €hiHsn.
960.
des AethylenchloridB. Bei fortgesetzter BinwirkuDg des Oilors auf Aedij-
lenchlorid kann nach und nach aller Wasserstoff durch CSilor sabsti-
tuirt und so Perchloräthylenchlorid (Anderthalbohlorkohlenstoff) erhalten
werden.
Während alle wasserstoffhaltigen Sabstitutionsproduote des Aethjlea*
Chlorids, wie dieses selbst, von alkoholischer Ealilösung zersetst werden
unter Austritt von Salzsäure, wird das Perchloräthylenchlorid Ton Ksli
nicht mehr angegriffen; bei Einwirkung von Schwefelkalium dagegen Ter-
liert es Chlor und wird zu Perchloräthylen.
Aus Aethylenbromid können, nach kurzen Angaben von Ci-
hours *), Bromsubstitutionsproducte des Aetbylens und des Aetfaylenbromidt
erhalten werden, die den oben aufgefohrten Ghlorsubstitution8prodncte&
vollständig entsprechen. Genauer untersucht sind nur die folgenden:
Aethylen GA --....^
Bromäthylen 6 ABr -^^ A -Br, Aethylenbromid
Bibromäthylen eABr,I^^^^==^ABr.Br, Bromttthylenbromid
Ferbromäthylen
B^U
Hau kennt femer ein Perchloräthylenbromid: GsCl^.Brs, welches
durch directe Vereinigung von Perchloräthylen mit Brom entsteht (Hsdagati).
Auch aus Aethylenjodid wird bei Einwirkung von alkoholischer
Ealilösung Jodwasserstoffsäure eliminirt und es entsteht ein Jodaubstitii-
tionsproduct des Aetbylens: das Jodäthylen oder Aldehydenjodid : €iH|J
(Siedep. 56«) (Regnault).
951. Aus Propylen sind die folgenden chlorhaltigen Verbindungen er-
halten worden:
Siedep.
Propylen 6,H,
Chlorpropylen 9«HtCl
Bichlorpropylea 63114013;
Trichlorpropylen GsHsClt;
Qaadrichlorpro-
pylen ejHjCU:
Quintichlorpro-
pylen G,H Cl,
Perchlorpropylen 6^ Cl«
98»-98«
170«
196«
220«— 225«
240»— 245»
Propylenchlorid
Chlorpropylen-
Chlorid
Bichlorpropylen-
chlorid
Trichlorpropylen-
Chlorid
Qnadrichlorpropy-
lenchlorid
Qnintichlorpropy-
lenchlorid
Percblo]
chlorig
•} Gompt rend. ZXXL 298
Chloride, Bromide etc.
637
Durch Einwirkuiig von Brom hat man die folgenden Yerbindungen
erhalten :
Siedep.
Propylen
efi.
Brompropylen
62«
e,HjBr
Bibrompropylen
120*
eABr,.
Tribrompropylen
e,H,Br3
Siedep.
146«
192«
226«
2560
Fropylenbromid
Brompropylen-
bromia.
Bibrompropylen-
bromid
TribrompropyL
bromid.
ien-
Die flbrigen Kohlenwasserstoffe sind noch nicht in dieser Richtung
bearbeitet worden.
Hethylenderivate *). Das Methylen selbst ist bis jetzt nicht ^^^
bekannt. Einzelne Abkömmlinge des Mediylens sind in neuester Zeit
aus dem Jodoform: GHJj erhalten worden.
Methylenjodid: OHyF). Wird durch Einwirkung yon Jodoform
(4 Hol.) auf eine nicht zu concentrirte alkoholische Lösung von Natrium-
ftthylat (9 Hol), und Fällen mit Wasser erhalten (Buttlerow). Es ent-
steht auch, wenn man Jodoform in zugeschmolzenen Röhren einige Stun-
den auf 160^ erhitzt und mit Wasser destillirt (Hofmann). Das Methylen-
jodid ist eine gelbe bei 181® unter theilweiser Zersetzung flQchtige Flfls-
sigkeit, die bei -|- 2® zu breiten Erystallbl&ttern erstarrt Es gelingt nicht
aus dem Methylenjodid das Methylen selbst darzustellen; bei Einwirkung
von Kalium oder Natrium erfolgt die Zersetzung unter Explosion; bei
Einwirkung von Natriumamalgam entweicht wesentlich Wasserstoffgas«
Der Ton BrÜning **) durch Behandeln von Jodoform mit alkoholischer Eali-
Idsnng erhaltene Körper (dem die Formel: CaHJ^O beigelegt wurde), ist nach allen
Eigenschaften identisch mit Methylei^jodid.
Methylenchlorid: eH^Gl^ entsteht bei Einwirkung von Chlor
auf Methylenjodid, als farblose, dem Chloroform ähnlich riechende Flfls-
sigkeit.
Vgl. femer: Diozymethylen , Essigsfture-Methylglycol etc. ($.969).
Aethylenderivate.
Aethylenchlorid: €2H4.Gla (Elaylchlorid, Oel der hoUftndischen 968.
Chemiker) 1795 von den §. 942 genannten Chemikern entdeckt Es bil-
det sich leicht, wenn Aethylen und Chlor in feuchtem Zustand auf ein-
*) Buttlerow, Ann. Ghem. Pharm. CVIL 110-, CIL 242; CUV. 204; CXV. 822.
Hoimann, ibid. CXV. 267.
^) Ann. Chem. Fhann. dV. 187.
638
Kohlenwasserstoffe: OnHtu.
ander einwirken; sind beide Gase völlig trooken, so findet bsi kfm
Wirkung statt.
Zur Darstellang des Aethylenchlorids läset man entweder Chlor und Acth]*
len in einen Glasballon zusammentreten:
oder man leitet Aethylen durch den Tubulus einer Retorte in eine schwaeh s-
wärmte Chlormischung (2 Braunstein, 3 Kochsalz, 4 Wasser, 5 Schwefelsaure)
und destillirt dann ab. Auch durch Einleiten von Aethylen in Antimonsapercfalorid
kann Aethylenchlorid dargestellt werden. Es entsteht femer bei Einwirkung toi
Phosphorsuperchlorid auf Glycol.
Das Aethylenchlorid ist eine farblose, angenehm riechende, in Was-
ser unlösliche Flüssigkeit (speo. Gew. 1.27), die mit grün gefärbter, stark
russender Flamme brennt.
Yen Zink wird es beim Erhitzen zersetzt unter Freiwerden tob
Aethylen (Wanklyn und Tbann). Bei Einwirkung von Natrium oder Ka-
lium entweicht ein Gemenge von Wasserstoff und Chloräthylen : 6)0,01
Durch alkoholische Ealilösung und ebenso durch Natriumäthylat zerfallt
es unter Bildung von Chloräthylen:
954.
Aethylenchlorid.
02n^C]2
Chloräthylen.
+ Ha
Von Schwefelsäure wird es nicht angegriffen, Chlor wirkt subsö-
tuirend und erzeugt als Endproduct Anderthalbchlorkohlenstoff. Einwi>
kung von Schwefelkalium und Schwefelwasserstoffkalium vgl. 5. 968.
Aethylenbromid: C^H^Br). (Elaylbromid.) Entdeckt von Ba-
iard 1826. Es wird leicht erhalten, indem man Brom mit Aethylen
sättigt, das Product mit Kali wäscht, mit Chlorcalcium trocknet and
rectiflcirt.
Da durch die Reaction beträchtliche Erwärmung stattfindet, empfiehlt mis
unter Wasser befindliches Brom anzuwenden, um Verlust an Brom au vermeito
\
Aethylenbromid. 639
^ Das Prödnct ist reiner, wenn trocknes Brom angewandt und die Masse stets etwas
abgekühlt wird. Hoimann *) empfiehlt das Brom in eine vorher über Wasser mit
« Elayl gefüllte Flasche zn bringen, die Flasche dann mit einem Kork zu verschlies-
sen, durch welche eine bis fast zum Boden reichende Glasröhre eingeführt ist und
dann unter öfterem Umschütteln das Aethylen aus einem Gasometer einströmen
zu lassen.
Das Aethylenbromid ist eine farblose, angenehm riechende Flüssig-
^ keit, die bei niederer Temperatur (etwa 0^) krystallinisch erstarrt, bei
9® schmilzt und bei 129® siedet; spec. Gew. 2,16.
Mit weingeistigem Kali zerf&IIt es und erzeugt Bromäthylen:
62H8Br (vgl. auch §. 950). Dieses verbindet sich leicht mit Brom und
I erzeugt soBromäthylenbromid: 62H3Br3 **), aus welchem durch alko-
holische Ealilösung Bibromäthylen: €3^2^^ 2 erhalten wird (Sawitsch).
I Das Aethylenbromid zeigt leichter doppelte Zersetzung als das
Aethylenchlorid. Mit Schwefelkalium und Schwefelwasserstoffkalium gibt
f es dieselben Producte wie dieses. Mit essigsaurem Eali erzeugt es Mon-
acetylglycol etc. vgl. §§. 965 ff.
Das Monobromäthylen erleidet bei Einwirkung von Natriumäthylat
oder Natriumamylat eine sehr merkwürdige Zersetzung; es zerfällt näm-
Kc lieh zu Bromwassertstoff und Acetylen (Sawitsch) '*'**). Man hat:
Monobromäthylen. Acetylen.
eaH,Br = OjH, + HBr.
Dieselbe Zersetzung tritt ein, wenn Monobromäthylen (oder auch
,j^ Monocbloräthylen) in eine ammoniakalische Lösung von salpetersaurem
^ Silber eingeleitet wird; man erhält dann die Silberverbindung des Aoety-
lens (Miasnikofi) f).
la Aethylenjodid: 62H4.J2 (Faraday 1821). Es entsteht, wenn 966.
gl Aethylen im Sonnenlicht oder bei gelinder Wärme (50^ — 60^) auf Jod
g: einwirkt
in£ Im Kleinen erhält man es leicht durch Ueberleiten von Aethylen über er-
hitztes Jod; ein Theil des Productes sublimirt in farblosen Nadeln. Zur Darstel-
lung grösserer Mengen erwärmt man das Jod in einem langhalsigen Kolben und
leitet das Aethylen auf die Oberfläche des Jods. Man steigert die Wärme sehr
allmälig und leitet, sobald die Masse flüssig geworden ist, das Aethylen in die«
selbe ein. Man erhält zuletzt eine braune Flüssigkeit, die beim Erkalten krystaUi«
^ nisch erstarrt. Man wäscht mit Kali und krystallisirt aus Alkohol um.
I Das Aethylenjodid entsteht auch wenn Aethyljodid durch Hitze,
z* B. beim Durchleiten seines Dampfes durch eine glühende Röhre zer«
setzt wird:
i'^
ji
s
•) Ann, Chem. Pharm. CXV. 269.
••) Wurtz, Ann. Chem. Pharm. CIV. 248.
•••) Compt rend. UL 157. — Bull. Soc ehim. 1861. S. 7.
1^ t) Bull Soc chlm. 1861. S. 12.
640 EohleiiwaaBarotoife: 6nH2a.
Aethyljodid. Aethylenjodid. Aethjlen.
2e,H5j = e2H4j, + ejH4 + h.
Das AethyleDJodid krjstallisirt in farblosen Nadeln oder Prismen.
Es schmilzt bei 73® und sublimirt leicht, zersetzt sich aber dabei stets
zum TheiL Nur in einer Atmosphäre von Aethjlengas kann es in farb-
losen Krjstallen sublimirt werden. Es löst sich nicht in Wasser, leicht
in Aether und siedendem Alkohol, beim Erkalten dieser Lösung krystal-
lisirt das meiste aus.
Das Aethylenjodid zerfällt leicht in Aethylen und Jod. Diese Zer-
setzung findet schon bei gewöhnlicher Temperatur und besonders Im
Lichte statt; sie erfolgt rasch beim Erhitzen (ßb^. Von alkoholischer
Ealilösung wird es zum Theil zu Jodwasserstoff und Jod&thjlen:
GJI^ (siedet: 56®) zersetzt Chlor oder Brom setzen Jod in Freiheit
und bilden Aethylen - chlorid oder bromid.
Das Aethylenjodid zeigt leicht doppelte Zersetzung.
966. Anderthalbchlorkohlenstoff: O^ßU (Perchloräthylenchlorid :
6aCl4.CLi; Perchloräthylchlorid : GjClj.Cl). Entdeckt von Faraday
1821. — Der Anderthalbchlorkohlenstofi ist das Endproduct der Einwir-
kung des Chlors auf Aethylenchlorid und auf Aethylchlorid (vgl. $. 690).
Er entsteht auch bei Zersetzung des Doppeltchlorkohlenstoffs: 6C14 durch
Hitze ($. 640) und ferner bei Zersetzung des Perchloräthylftthers ($.689)
und anderer völlig gechlorter Aethylfttherarten.
Zur Darstellung des Anderthalbchlorkohlenstoffs leitet man — zweckmässig
unter directer Einwirkung der Sonnenstrahlen — Chlor durch siedendes Aethylen-
chlorid. Bei zerstreuten Tageslicht bleibt die Zersetzung unvoUstftndig, aber man
kann leicht den gebildeten ChlorkohleDStoff vom unzersetzten Aethylenchlorid oder
den zwischen liegenden Substitutionsprodacten trennen.
Der Anderthalbchlorkohlenstofi krystallisirt in farblosen wohlausge-
bildeten Krystallen ; er schmilzt bei 160<^ und siedet bei 182®, die Dämpfe
verdichten sich leicht zu Krystallen. Er ist unlöslich in Wasser, leicht
löslich in Aether und in heissem Alkohol.
Der Anderthalbchlorkohlenstofi zerfällt leicht zu Chlor und Einfach-
chlorkohlenstofi:
Anderihalbchlor- Einfachchlor-
kohlenstoff, kohlenstoff.
GaCle = e,Cl4 + Cl,
Diese Spaltung erfolgt schon durch Einwirkung der Hitze, z. B. bei
öfter wiederholter Destillation , oder wenn die Dämpfe durch ein glühen-
des Rohr geleitet werden; sie erfolgt ferner bei Einwirkung von Phos-
phor, Schwefel oder Jod; am leichtesten, wenn Anderthalbchlorkohlen-
stoff mit Zink und Schwefelsäure oder mit einer alkoholischen Lösung
von Schwefelwasserstofikalium behandelt wird.
Ghlorkohlenstoif. 641
Erhitzt man Andertbalbdhlorkohlenstoff mit Metallen oder trocknen
Metalloxyden, so findet vollständige Zersetzung statt. Bei mehrtägigem
Erhitzen mit festem Kalibjdrat auf 210^ — 220® entstehen: Chlorkalium,
Wasser und oxalsaures Kali (Geuther) '*'); bei längerem Erhitzen mit
alkoholischer Kalilösung auf 100® wird ebenfalls oxalsaures Kali gebildet,
neben Chlorkalium, Wa&serstoff, Aethjlen etc. (Berthelot) '^j.
Einfachchlorkohlenstoff. Perchloräthylen : 62014 (Faraday 957.
1821). Entsteht aus Anderthalbchlorkohlenstoff nach einer der eben an-
gegebenen Methoden; aus Trichloräthylenchlorid : OaHCly.Cl, durch Ein-
wirkung alkoholischer Kalilösung etc.
Zar Darstellung trägt man am besten Anderthalb chlorkohlenstoff, oder auch
das durch Zersetzung des DoppeltchlorkohlenstoiTs (§. 640) erhaltene Gemenge von
Einfachchlorkohlenstoff und Anderthalb chlorkohlenstoff, allmällg in eine mit Schwe-
felwasserstoff gesättigte Lösung von Ealihydrat in Alkohol. Man destillirt, sobald
die Gasentwicklung aufgehört hat, f&llt das Destillat mit Wasser und reinigt durch
Destillation.
Der Einfachchlorkohlenstoff ist eine leicht bewegliche FlQssigkeit,
die bei 122® siedet (Regnault); spec. Gew. 1,619. Er ist unlöslich in
Wasser, löslich in Alkohol und Aether.
Er verbindet sich im Sonnenlicht direct mit Chlor zu krystalliren-
dem Anderthalbchlorkohlenstoff. Bei gleichzeitiger Einwirkung von Chlor
und Wasser auf Einfachchlorkohlenstoff im Sonnenlicht entsteht Tri chlor-
essigsäure ($. 872). Erhitzt man Einfachchlorkohlenstoff mit gepul-
vertem Kalihjdrat auf 200®, so wird, und zwar leichter als aus Andert-
halbchlorkohlenstoff, oxalsaures Kali gebildet, während gleichzeitig
Wasserstoff frei wird (Geuther). Leitet man die Dämpfe von Binfach-
chlorkohlenstoff durch ein rothglühendes Porzellanrobr, so entsteht unter
Freiwerden von Chlor ein von Julin entdeckter und nach ihm benann-
ter Chlorkohlenstoff: 62CI29 der entweder das Chlorsubstitutionsproduct
des Acetylens: CjHj oder vielleicht Perchlornaphtalinchlorid : 610CI0.CI3 ist
Einfachbromkohlenstoff (Perbromäthylen): 62Br4. Entsteht
nach Löwig ***) bei Einwirkung von Brom auf Alkohol oder auf Aether.
Kleine Krystallblättchen, die bei 50® schmelzen.
Propylenderivate.
Das Propylenchlorid: 63H0.CI2 und das Propylenbr omid: 958.
€3HeBr2 wurden 1851 von Reynolds f) dargestellt.
•) Ann. Chem. Pharm. CXI. 174.
*^) ibid. CIX. 121. Diese Zersetzung kann aufgefasst werden als directer Aus-
tausch der sechsatomigen Gruppe: 63 gegen die äquivalente Menge, d. h.
gegen sechs Atome Wasserstoff oder Kalium.
•••) ibid. m. 292.
t) ibid. LXXVn. 114.
KekaU, orgao. Chenie. 41
642 Zweiatomig« ßadicftle: GnEia.
Das Pi-opylenohlorid siedet awischen 93* und 98*; es gibt ifeill alko-
holisoher Kalilösung das bei etwa 30* siedende Chlorpropjlea : 6tH|CI,
welches mit dem aus Methylchloracetol (vgl. Aceton J. 925) dargestellten
Chlorpropylen identisch ist, und sich wie dieses mit Brom su bei etwa
170* siedendem Chlorpropjlenbromid : GsHsCl.Br^ verbindet (Friedel)*).
Aus Propylenbromid entsteht durch Einwirkaag alkoholisefasr
Kalilösung leicht Brompropylen: G^HsBr (Cahours). Dieses Brom-
pylen vereinigt sich mit Brom und bildet so das Brompropylenbromid:
G^HsBr.Brj. Ein mit diesem wie es scheint identisches Brompropylen-
bromid entsteht bei Einwirkung von Bromdampf auf siedendes Propyleo-
bromid (Wurtz) **). Das nach beiden Methoden dargestellte Brooipropj-
lenbromid siedet bei 195* und wird beim Abkühlen nicht fest.
Eine mit dem Brompropylenbromid isomere Verbindung, das Allyl-
tribromid: OiHg.Br^, wird erhalten, wenn Brom auf AUyljodid: GJi^
einwirkt. Es siedet bei 217* — 218* und erstarrt beim Abkflhlen au fiiik-
losen Erystallen, die bei 16* schmelzen. Das so dargestellte AHyltriiM^
mid gibt bei Einwirkung auf essigsaures Silber Triacetin, ans welchem
dann Glycerin erhalten werden kann (Wurts) ***). Es gibt mit Ammoniak
eine bromhaltige Base, das Di-bromallylamin = 6sH4Br>N (Siaipson) f ).
Eine dritte isomere Substanz ist das bei Einwirkung von Phosphor-
bromid auf Glycerin entstehende Tribromhydrin: 6,HfBr|, welches
bei 180* siedet (Berthelot und de Luca) ft)-
Propylenjodid: GsHg.Jj entsteht, wenn man Propylengas mit
Jod der Einwirkung des Sonnenlichtes aussetzt odor auf 50* — 60® erhitit;
es ist flüssig (Berthelot und de Luca) fff).
fiutylenderivate*). Man kennt das Butylenchlorid: OJß^.Qf
(Paraday 1825, Kolbe) und das Butylen bromid: 64H,.Br, (Wurtz).
Das letztere siedet bei etwa 158* und zerlUlIt beim Erwärmen mit alko-
holischer Ammoniaklösung zu Bromammonium und Brombutylen : 64H)Br
(Cahours).
Amylenderivate sind noch verh&llnissmässig wenig bekannt
Man erhält aus Amylen das bei 170* — 175* siedende Amylenbromid:
•) Ann. Chem. Pharm. CXII. 286.
••) ibid. Chem. Pharm. CIV. 245.
♦••) loc. cit und Ann. Chem. Pharm. CIL 839.
f ) Ann. Chem. Pharm. CIX. 862.
tt) ibid. CL 76.
ttt) ibid. XCn. 811.
^) Kolbe, Ann. Chem. Pharm. LXIX. 278. — Wortz, ibid. CIV. 249.
Qlycole. 643
OsHio.Bri und aus diesem: Bromamylen, BromamyleiibroiBid und Bibrom*
amylen (Cahoars) *).
Nach Guthrie **) verbindet sich das Amjlen direct mit Untersalpe-
ters&ure und erzeugt so Amylennitrit: 65Hii(N0))2.
Das Oenanthylenchlorid: 67H14.CI2 ist bis jetzt nur aus
Oenanthylaldehyd erhalten worden (vgl. $. 918). — Vom Caprylen
weiss man nur, dass es sich mit Brom verbindet zu Gaprylenbromid;
GgH|0.Br«|«
Verbindungen der zweiatomigen Radicale: OnH^o.
Es wurde oben schon erwähnt ($.933), dass die Kohlenwasserstoffe: 900.
OnHsn b&ufig das Verhalten zweiatomiger Radicale zeigen. 80 zwar, dass
die durch directe Vereinigung dieser Kohlenwasserstoffe mit Chlor, Brom
oder Jod entstehenden Chloride, Bromide oder Jodide mit einigen Salzen
doppelte Zersetzung zeigen, bei welchen zwei Holecüle Chlor-, Brom-
oder Jodmetall entstehen, während der mit den zwei Atomen Chlor, Brom
oder Jod verbunden gewesene Kohlenwasserstoff die Stelle von zwei Ato-
men Metall , oder — typisch ausgedrückt — die Stelle von zwei Atomen
"Wasserstoff einnimmt.
Solche Verbindungen wurden schon 1840 von Low ig und Weid-
mann***) dargestellt. Aber die von diesen Chemikern durch Einwirkung
von Aethylenchlorid auf alkoholische Lösungen von Schwefelkalium und
Sehwefelwasserstoffkalium erhaltenen Substanzen : Aethylensulfid und
Aethylensulfhydrat, fanden, weil aller Analogie entbehrend, während län-
gerer Zeit nicht die gehörige Würdigung. — 1855 zeigten dann Buff f)
und gleichzeitig Sonnenschein und Meyer ff), dass bei Einwirkung
von Aethylen- Chlorid oder -bromid aufSchwefelcyankalium desAethylen-
sulfocyanat entsteht — Kurze Zeit nachher, 1856 stellte Wurtzfff) durch
Einwirkung von Aethylenjodid auf essigsaures Silber das Biacetylglycol
und aus diesem den zweiatomigen Alkohol: Olycol dar.
Ausführliche Untersuchungen, die Wurtz selbst und einzelne seiner
Schüler seitdem veröffentlicht haben, zeigten dann einerseits, dass eine
homologe Reihe solcher zweiatomiger Alkohole ezistirt; und lehrten an-
*) Vgl. auch: Bauer, Bulletin de la soc. chimique. 148.
•^) Ann. Chem. Pharm. CXVL 247.
***) Pogg. Ann. XLUL 128. — Joum. f. pr. Chem. XIX. 482.
t) Ann. Chem. Pharm. C. 229.
it) Joum. t pr. Chemie. LXV. 257.
ttf) Ann. Chem« Pharm. C. 111.
41
644
Zweiatomige Radicale: 6nH9o.
dererseits eine grosse Anzahl theoretisch höchst interessanter Abkönui.
linge dieser zweiatomigen Alkohole kennen.
961. Die wichtigsten dieser Verbindungen sind die zweiatomigen Al-
kohole oder Oljcole. Man kennt bis jetzt die folgenden:
Empirische
Formel.
Rationelle
Formel.
Siedepunkt
Aethylglycol
OjH^ 0,
^«.
197«,6
Propylglycol
^jH, Oa
**3:l®'
188«~189»
Butylglycol
^4^10^1
*^«.
183«— 184«
Amylglycol
ÖftHijOa
«\^9.
1770
Das AnfangsgHed der Reihe, Methylglycol : eH4e2 = ^g'j^i^*
bis jetzt nicht bekannt, aber man kennt einzelne seiner Abkömmlinge
(8. 969).
Bemerkenswerth ist, dass bei den zweiatomigen Alkoholen die Siede-
punkte nicht mit wachsendem Moleculargewicht steigen, wie dies bei den
einatomigen Alkoholen und den von diesen sich ableitenden Verbindus-
ge'h der Fall ist, dass vielmehr die Siedepunkte um so niedriger liegen,
je höher das Moleculargewicht ist (vgl. $. 477).
Die Bildungsweise und einzelne Eigenschaften der zweiatomigen
Alkohole wurden schon $$• ^31 ff. erwähnt, und werden bei Aethjlgljool
ausführlicher besprochen.
Da das Aethylglycol und seine Abkömmlinge am voUst&ndigsteo
untersucht sind, stellen wir zunächst die von ihm sich ableitenden Ver-
bindungen in typischer Uebersicht zusammen.
Glycolc. 645
Typische Uebersicht der Aethylenverbindangen«
Typuß.
H,
Aethylen.
^^n
Aethylen-
oxyd.
AeÜiylen-
solfid.
Aethylen-
chlorid.
Aethylen-
bromid.
H,e(und2HCl) 6,0,. 0
gX«
eX.cia
e,H4.Br^
Aethylen-
chlorhydrat
Aethylen-
bromhydrat
«Ha
1^^
Glycol.
Aethylen-
sulfliydrat.
e,H4(Gl
H|0
eXjBr
HU
Diäthylenalkohol *.
f^. ^J ^. .
ZHO
1^
Trifttbylenalkohol
Hl
O^Hio^a)
4Hae
^fHl4^4)
/
Tetrfithylenalkoho
H^
(öX)«^» (=
öHaO
^•^1«^»)
Pentftthylenalkohol.
H \
eB^e
Rexäthylenalkohol
^lo^aa^t)
THaO
^w^a«^!^
*) Der Diäthylenalkohol steht zum Glycol und zum Aethylenozyd genau in
derselben Beziehung wie das Nordhäuser VitriolÖl zum Schwefelsäurehydrat
und zum Schwefelsäureanhydrid.
646 Qlycole.
Mftn Bieht, daas da« sweiatonige Radieal: Aethylen, zwei ▼ersdue»
dene Holeoüle (z. B. HCl -f- HjO) zo eiDem Molecfll yereiiiigen kam
und dass namentlich eine grosse Anzahl von Verbindungen existiren (dk
Polyäthylenalkohole}, die bei typischer Betrachtung als eine gröBsere An-
zahl von Wassennoleealen angesehen werden können, welche durch ^lefa^
maligen Eintritt des zweiatomigen Radieals zu einem Molecül susammen-
gehalten sind (ygl. §. 204).
In vielen dieser Verbindungen kann der typische WasaerstofiF noch
durch andere Radicale ersetzt werden. Man erh< so aus: Aethylen-
bromhydrat (Olycolbromhydrin, Olycolozybromid) die Verbindangen :
Glycol-äthyloxybromid. Glycol-acetylozybromid«
63H4lBr 6AiBr
Im Glycol selbst kann entweder die Hälfte oder aller typischer
Wasserstoff vertreten werden. Und zwar entweder durch Metalle, wobei
salzartige oder den Alkoholaten ($. 616) entsprechende Verbindangen er-
zeugt werden:
Hononatriamglycol. Dinatriamglycol.
Oder durch Alkoholradicale , wobei Verbindungen entstehen, die den
Aethern (z. B. Aethyläther) entsprechen:
Honäthylglycol. DiathylglycoL
e
Oder endlich durch die einatomigen Radicale der fetten S&uren, wobei
den Aetherarten (z. B. dem Essigäther) entsprechende und folglich den
Salzen analoge Verbindungen entstehen, von welchen die eine dem neu-
tralen, die andere dem basischen Salz eines zweiatomigen Metalles ent-
spricht (vgl. S. 498 Anm.).
Monacetylglycol. Diacetylglycol.
Allgemeine Reaetionen. 647
Anüi in. eiBMlbeD der Polyftthylenalkohöle ist der Waseenrtoff dorch
StareMtdiMle vertrelbar; man kennt:
EBrigaftnre. Esugsäare- Easigsäoie-
dittthylenäther. triäthylenftther. tetrttthylenlttker.
(eA)J^^ (^A)a)^ (^«H^W^
(eAe),}^3 (eAe),r^ ie^i^ej^^
Die TerbinduDgen des Olycols mit zweiatomigen Säuren, z. B. Bernstein«
s&nre, werden bei dieser, die Benzojlverbindungen des Glyeols bei Benzoe-
säure besprochen werden.
Die Yom Olycol sich ableitenden, bei Einwirkung von Aethylenozyd
auf Ammoniak entstehenden Basen sind }, 983; die aus Gljcol und
Schwefelsäure entstehende Sulfoglycolsäure ist $. 993 beschrieben.
Die Bildungsweisen aller dieser Verbindungen sind leicht ver- ^^
ständlich. Im Folgenden sind die wichtigsten zusammengestellt.
Aethylenjodid wirkt lebhaft auf essigsaures Silber, es entsteht:
Diacetylglycol (vgl auch J. 933) (Wurtz).
Aethylenjodid. Essigs. Silber. Diacetylglycol
Wird Aethylenbromid mit einer alkoholischen Lösung von essig-
saurem Eal^ erhitzt, so entsteht Monacetylglycol (Atkinson). Beide,
das Monacetylglycol und das Diacetylglycol werden bei Ein-
wirkung von Kalihydrat oder beim Kochen mit Barytwasser zersetzt zu
essigsaurem Salz und Glycol (Wurtz). Man hat z. B.:
Diacetylglycol. Glycol Essigs. Kali.
Monacetylglycol Glycol. Essigs. Baryt
Wird Olycol mit Salzsäure erhitzt, so entsteht Aethylenchloriiydrat
(einfach salzsaures Olycol) (Wurtz):
Glycol Aethylenchlor-
hydrat.
eAi
•^je, + HCl = ^^^i{^ + H.G
648 Glycole.
Pboapborsuperchlorid wirkt lebhaft auf Olycol und bildet Aeihyleo*
ohlorid, identisch mit dem durch directe Vereinigung von Aethylen Mit
Chlor erzeugten (Wurtz):
GlycoL Aethylenohlorid.
^^ni^« + 2PCI5 = eaH4.Cla 4- 2P0C1, + 2Ha
Bei Einwirkung von Jodwasserstoffsäure auf Olycol entsteht Aetbj-
lenjodid und Aethylenjodhydrat (Simpson). Man bat:
GlycoL Aethylenjodhydrat
««^}e, + Hj = ^\^Q + H,e
Glycol. AethyleDJodid.
^»Jje, + 2HJ = eA.j, + 2H,0
Das Aethylenchlorhydrat wird von Kali leicht zersetzt unter Bildung
von Aethylenoxyd (Wurtz):
Aethylenchlorhydrat Aethylenoxyd.
^'^flle + hK = «»«.•« + KCl 4- H,^
Das Aethylenoxyd verbindet sich direct mit Wasser und erzeugt so
Glycol (Wurtz):
Aethylenoxyd. Glycol.
ff
Gleichzeitig oder auch bei Einwirkung von Aethylenoxyd aufOlyool
entstehen auch Polyäthylenalkohole^ vorwiegend Diäthylenalkohol (Wurtz):
Aethylenoxyd. Diäthylenalkohol.
Ha)
Das Aethylenoxyd verbindet sich direct mit Salzsäure zu Aethylen»
chlorhydrat (Wurtz):
Aethylenoxyd. Aethylenchlorhydrat
«A-Ö 4. HO = ^»^{g
Allgemeine Reacüonen.
649
Es ▼erbindet sich ebenso direct mit Essigeftiire oder mitBMigs&are-
anbydfid und erzeugt so Acetjlglyool und Diaoetylgljool (Wartz):
Acetylglycol.
Aethylenoxjrd. EsBigsänre.
AethyleDOxyd. Essigsänre-anhydrid. Diacetylglycol
(€AO)J^>
Dabei entstehen gleichzeitig die Essigsftureftther der Polyäthylen-
alkohole, aus welchen dann durch Kochen mit Kali oder Baryt die Poly-
ftthylenalkohole selbst (Di-, Tri* und Tetraftthylenalkohol) erhalten wer-
den können (Wurtz). Z. B.:
Aethylenoxyd.
Essigsäure.
Essigsäure-dlAthylen-
äther.
2«A.e + 2«»%}^ = (gggj,je, + H,e
Essigsäure-diäihylen-
äther.
Diäthylen-
alkohol.
mi^- + IS«-
_ («A):
h:)^»
Essigsaares
Bar3rt.
Das Glycol selbst liefert beim Erhitzen mit S&urehydraten Aether-
arten des Glycols, indem der typische Wasserstoff durch das Säureradicai
ersetzt wird (Louren^o). Man hat z. B.:
Glycol.
Essigsäure.
Monacetylglycol.
+ ^A|[o
Glycol.
Valeriansfture.
Divalerylglycol.
«»5j[0,
+ 2^AJje
= ceÄK« + '"'^
Erhitzt man Monacetylglycol mit Valeriansänre, so entsteht ein ge-
mischter Aether des Olycols (Louren9o):
llonacetyiglycoL Valeriansäure.
H!
Acetyl-valeryl-
glycol.
62H4J
je. + «A|}e = e^lje. +
H,e
650 Ol3Feol6.
Eifaitst naii Olyeol o4er beMer Hononitiriami^yeol mit Aetbyijodid,
80 wird MoD&thylgljool ttod wenn diefto« oder dosseD Natriamverbindng
mit neuem Aethyljodid erhitzt wird, Diftthylgljcol gebildet (Warte).
Man hat:
Glycol. Aethyljodid. Monäthylglyco].
HJ
Monttthylglycol. Aethyljodid. Diäthylglycol.
Wird Gljcol mit Acetylchlorid erhitzt, so bildet sich Glycolacetyl-
cblorid (Louren^o):
Glycol. Acetylchlorid. Glycolacetylchlorid.
Butyrjloblorid wirkt in derselben Weise. Dieselben und entspie-
chende Yerbindnngen werden auch erhalten , wenn man Oljcol mit dem
Hydrat der fetten Säure und Salzsäure oder Jodwasserstoffsäure eifaitit
(Simpson). Z. B.:
Glycol. Essigsftare. Glycolacetyljodid.
«»H.)e. + «A|j^ + HJ = ^frf^j^ + aH.e
Wird Honacetylglycol mit Salzsäure erhitzt, so entsteht leicht das-
selbe Olycolacetylchlorid (Simpson):
MonacetylglycoL Glycolacetylchlorid.
m
«S|je, + HCl = e^jg + H,e
Erhitzt man Honacetylglycol mit Acetylchlorid, so bildet sich Di-
acetylglycol neben Glycolacetylchlorid ; erhitzt man es mit ButyryloUorid,
so wird Acetylbutylglycol erzeugt neben Glycolacetylchlorid (LotireDfo).
Man hat z. B.:
Acetylglycol Butyrylchlorid. Acetylbutyryl- Glycolaeetyl-
glycol. Chlorid.
»6,^1 je, + €^«.01 = |.Ji|je, + e,^5|2
+ H.»
Allgemeiiie Roäctionen. 651
Lttset man Glyoolaeetyldilorid anfBilberaalze fetter Staren einwirken,
80 entstehen ebenfalls gemischte Aether des Oljools (Simpson). Z. B. :
Glycolacetyl- Bnttersaures Acctylbutyryl-
chlorld. Silber. chlorid.
Wird Oljcolacetylchlorid mit Kali behandelt, so entsteht leicht
Aethylenoxyd (Simpson):
Glycol-acetyl- Aethylen- Essigsaures
Chlorid. oxyd. Kali.
Lftsst man endlich Aethylenbromid bei etwa 120* auf Olyeol ein«
wirken, so entstehen (neben Aetbylenbromhydrat) verschiedene Poly-
ftthylenalkohole: Di-, Tri-, Tetra-, Penta- und Hexaäthylenalkohol , von
welchem die letzteren nur bei vermindertem Druck (im luftleeren Raum)
destillirt werden können (Louren9o). Man hat z. B«:
Glycol. Aethylenbromid. Penta-äthylen-
alkohol.
Wird bei dieser Darstellung über 130* erhitzt, so werden statt der
Polyäthylenalkohole entsprechende Poly&thylenbromhydrate erhalten (Lou-
ren^o).
Alle diese Bildungsweisen sind völlig analog der Bildung der Aetherarton
der einatomigen Alkohole.
Aethylenverbindungen *)•
AethylenglycoL Glycol: ^^h*!^«' Dm Aethylglycol wird 966.
♦) Vgl.Wurt«i, Ann. Chem. Pharm. C. 110 u. 116; Cm.866; C1V.174-, CVm.84;
CX. 126; CXin. 266; CXIV. 61; CXVI. 249; CXVIL 186. Ausführliche Ab-
handlung über Glycole. Ann. Chim. Phys. [8] LV. 400. u. Ann. Chem. Phann.
Suppl. I. 86.
Atkinson, Ann. Chem. Pharm. CIX. 282.
Simpson, ibid. CXIL 146; CXÜI. 116.
LoureuQO, ibid. CXIIL 268; CXIV. 122 n. 126; CXV. 868 und Repert de
Wurto. 1860. Dec. 467.
Debus, ibid. OX. 816.
"^ 652 Glyeole.
aus dem Honaoetylglycol oder dem Diaeetylglycol durch Zersetzen mit
Kalihydrat oder mit BarjtlösuDg dargestellt
Bei Zersetzung des Diacetylglycols mit Ealihydrat darf nicht mehr als
2 Mol. KH02 ^^ 1 Mol. Diacetylglycol angewandt werden, weil sonst tieüer
gehende Zersetzung eintritt Zweckmässig ist es zuerst nur mit der halben
Menge Kali zu destilliren und das Destillat dann mit neuem Kali vollständig za
zersetzen. •— Die Zersetzung mit Barytlösung ist vorthoilhafter. Man kocht
Diacetylglycol (direct den zwischen 140* — 200* deatiDirenden Theil) oder auch
das leichter darzustellende Monacetytglycol mit schwach Überschüssiger Baryt-
lösung, fällt den Barytüberschuss mit Kohlensäure, concentrirt die Lösung dnrdi
Abdampfen im Wasserbad, setzt dos doppelte Volum Alkohol zu, filtrirt vom
essigsauren Baryt ab, verdampft den Alkohol im Wasserbad und recUficirt den
Rückstand.
Das Glycol ist eine färb- und geruchlose, etwas zähe FlQssigkdt,
die sich mit Wasser und Alkohol mischt, in Aether aber wenig löelidi
ist Siedep. 1970,5; Spec. Gew. 1,125. Es löst Kalihydrat ^ Chlorcalciam,
Ghlomatrium, Chlorzink, Quecksilberchlorid etc.; kohlensaures Kali ist
etwas, schwefelsaures Kali kaum löslich.
Es ist leicht oxydirbar. Tropft man es auf Platinschwarz, so
kommt dieses in's Glühen und es entsteht Kohlensäure. Mässigt man die
Reaction, indem man das Gljcol mit Wasser, und den Sauerstoff der Laft
durch Zusatz von Kohlensäure verdünnt, so entsteht Glycolsfture. Ver-
dünnte Salpetersäure erzeugt in der Kälte Glycolsäure, beim Erhiteen
Oxalsäure (Wurtz). Schichtet man wässriges Gljcol mit oonccntrirter
Salpetersäure, so entsteht Glycolsäure, Glyoxylsäure und vielleicht 61y-
oxal (Debus). — Beim Erhitzen mit Kalihydrat auf 250® wird das Gljcol
unter Wasserstoffentwicklung zu Oxalsäure.
Erhitzt man Glycol mit Ghlorzink, so entsteht Aldehyd und deasen
polymere Modification der Acraldehyd ($. 839). Das Mononatrium- und
das Dinatriumglycol sind undeutlich krystallinische und serflieaslicfae
Massen.
Die bei Einwirkung von Salzsäure (oder Jodwassersloffsäure) , Phos-
phorchlorid, fetten Säuren und den Chloriden dieser Säuren auf Olyool
eintretenden Reactionen sind §. 964 besprochen.
966. Aethylenoxyd, Glycoläther: 62^4 -^^ Entsteht leicht, wenn Gl j-
colchlorhjdrat auf Kalihydrat einwirkt. Es siedet bei 13^,5, mischt aich
mit Wasser und wird von Phosphorsuperchlorid rasch zersetzt« Das
Aethjlenoxjd ist isomer mit Aldehjd, aber es verbindet sich nicht niit
sauren schwefligsauren Alkalien und gibt mit Ammoniak Jkeine dem AI-
dehjdammoniak entsprechende Verbindung, sondern wohlcharakterisirte
Basen. Das Aethjlenoxjd hat basische Eigenschaften; es verbindet aich
nicht nur direct mit Säuren z. B. Salzsäure, Essigsäure etc. (vgl. §. 964),
es fällt sogar Metalloxjde aus den Lösungen ihrer Salze. Es fikllt Eiaen-
oxyd, Thonerde, Kupferoxyd und Magnesia (als Hydrate); dagegen wird
Aethylen-giycol. 653
es von Kali and von Kalk aus seiner Verbindung mit Salzsäure (Aethy-
lenehlorhydrat) abgeschieden. Werden bei diesen Fällangen der Metall-
oxyde dureh Aethylenoxyd Lösungen von Metallehloriden , z. B. Chlor-
magnesium angewandt, so entsteht Aethylenchlorhydrat Man hat:
Aethylenoxyd. Aethylenchlorhydrat.
ejH^.e + Mgci + H,e = ^»^^«jgi + M|(e
Monacety Iglycol. (Einfach essigsaures Glycol, basisch Essig-
s&ure-Glycoläther: 0^E^Q\B2, Man erhält diese Verbindung am zweck-
H\
massigsten, indem man Aethylenbromid (1 Th.) mit essigsaurem Kali
(1 Th.) und Alkohol (2 Th.) in einem mit aufsteigendem Kühlrohr ver-
sehenen Apparat längere Zeit im Wasserbad erhitzt, dann abdestillirt
und rectificirt. Es siedet bei 132®, und ist mit Wasser und Alkohol
mischbar.
Diacetylglycol. (Essigsäure - Glycoläther) ; ro a Ol l^** Wird
durch Einwirkung von Aethylenjodid oder Aethylenbromid auf essigsaures
Silber erhalten.
Man mischt 5 Gr. Aethylenjodid mit 6 Gramm eBsigsaurem Silber und trägt
' das Gemisch rasch in einen Kolben ein. Sobald die von selbst eintretende Reac-
tion beendet und der Kolben abgekühlt ist, trägt man eine neue Menge des Ge-
i misches ein u. s. f.; und destillirt schliesslich im Oelbad (250® — 300<^) ab. Oder
man reibt Aethylenbromid mit essigsaurem Silber und etwas Eisessig zu einem
. Brei, erhitzt mehrere Tage im Wasserbad und destillirt. In beiden FäUen wird
das Product rectificirt; was unter 140® übergeht, ist wesentlich Essigsäure; der
zwischen 140® — 200® siedende Theil kann zur Darstellung des Glycols verwendet
' werden.
Das Diacetylglycol siedet bei 186®— 187®; es löst sich in 7 Th.
Wasser bei 22®; spec. Gew. 1,128.
Aethylenchlorhydrat. Salzsaures Glycol , Gly colchlorhy drin :
^^^le — Ö2H4O, HCl ist eine farblose bei 128® siedende mit Wasser
I mischbare Flüssigkeit.
Man erhitzt mit Salzsäure gesättigtes Glycol längere Zeit im Wasserbad,
I sättigt (wenn nöthig) mit neuer Salzsäure etc. und destillirt
I Bei Einwirkung von Natrium -amalgam geht das salzsaure Glycol
; durch umgekehrte Substitution in Aethyl-alkohol über (Louren^o) *).
*) Compt rend. LH. 1046. Vgl die §. 986 als Vermuthung ausgesprochene
Ansicht
654 Qlycole.
Für die übrigen vom Oljcol sich ableitenden Verbindungen genflgeB
die folgenden Angaben.
Das Monäthjlglycol löst Kalium unter Wassentoffentwieklug
und bildet eine feste Hasse = €2^5 >^*
k\
Das Diäthylglycol ist isomer mit Acetal (§.847), es siedet bei 123^5.
Polj&thjlenalkohole (vgl $.962). Der Diäthylenalkohol
siedet bei etwa 250^; der Essigs&ure-Di&thylenäther bei 250^ Der Tri-
ftthylenalkohol siedet bei 2S6^ — 289<>, sein Essigs&ureäther bei etwa
290®. Beide Poly&tbjlenalkohole oxydiren sieh leieht mit Platiomohr oder
mit Salpetersäure; der Diäthylenalkohol liefert die mit der Aepfels&oie
isomere Diglycolsäure, der Triäthylenalkohol gibt Diglycol&thylensäiue
(Wurtz). — Der Tetrftthylenalkohol siedet bei gewöhnlichem Luftdruck
über 300<>; im luftleeren Raum (bei 0,025 Mm. Druck) bei 230®. Bei
demselben Druck siedet Pent&thylenalkohol bei 281®, Hexäthylenalkohol
bei 325® (Louren^o).
Die YerbiDdungen des GlycolB mit Säuren haben (annähernd) die folgenden
Siedepunkte: Monobutyrylglycol: 220®, Dibutyrylglycol: 240* 5 Monovalerylglycol:
240®, Divalerylglycol: 256® j Acetylbutyrylglycol : 212®; Acetylvalerylglycol: 230».
— Das Distearylglycol krystallisirt in glänzenden. Schüppchen^ die bei 76*
schmelzen.
Das Glycolacetylchlorid siedet bei 144®— 146®, das Glycolbutyrylchlorid
bei etwa 190®.
9e7. Aethyleneyanid *). Cyanäthylen): ^sHijgw- Entsteht bd
Einwirkung von Aethylenbromid auf Cyankalium« Es ist eine halbfeste
krystallinische Hasse , deren TöUige Reinigung bis jetzt nicht gelang. Ei
schmilzt unter 50® und kann nicht destillirt werden. Bei Einwirkung tob
alkoholischer Kalilösung zerAUt es und bildet unter Ammoniakentwiek-
lung Bemsteins&ure (vgl. §. 937).
Schwefelverbindungen des Aethylens.
GH)
968. Aethylensulfhydrat. Glyoolmercaptan : 'g^f^a- Löwig und
Weidmann erhielten diese Verbindung in alkoholischer Lösung, indem sie
Aethylenchlorid mit einer alkoholischen Lösung von Schwefelwaaserstoff-
kalium zusammenstellten und vom gebildeten Chlorkalium abdeatUIirten.
Die Lösung riecht durchdringend, dem Mercaptan fthnlidi and gibt mü
essigsaurem Blei ein gelbes Salz: pb^l^i* Oiesst man Aethylenbromid
zu einer concentrirten alkohoholischen Lösung von Schwefelwaaserstoff-
*) M. Simpson, 1860. Ann. Chim. Phys. [8] LXL 224.
Methylen*glycol. 655
kalium, so scheidet sich unter Erwärmung viel Bromkalium aus und man
kann durch Zusatz von Wasser zur alkoholischen Lösung das Glycol-
mercaptan als farbloses Oel fidlen ; es zersetzt sich etwas bei der Destil*
lation (EekulQ.
Aethylensulfid: 62H4.S ist ein weisses, Äethylenbisulfid:
62H4 . 62 ^^^ gelbes Pulver. Beide entstehen, wenn Aethylenchlorid (oder
Bromid) auf alkoholische Lösungen von einfach oder von zweifach Schwe-
felkalium einwirken.
GH)
Aethylensulfocyanat, Schwefel cyanäthjlen : m^/f^a) bildet
weisse grosse Erystalle, die bei 90^ schmelzen und bei 83® erstarren und
kann bei vorsichtigem Erhitzen sublimirt werden. Es ist löslich in Al-
kohol, Aether und in siedendem Wasser.
Man kocht Aethylen-chlorid oder -bromid mit alkoholischer Lösung von
Sulfocyankalinm, dampft den Alkohol ab, zieht die Salze mit kaltem Wasser aas
und kiystallislrt aus siedendem Wasser. Bei Oxydation mit Salpetersäure gibt es
Disulfötholsfiure (Bu£f).
Methylenderivate*).
DasHethylenglyeol selbst hat bis jetzt nicht erhalten werden kön-
nen. — Diacetjlmethylglycol (Essigsfture-Methjiglycoläther) : /a r ^\ ( ^}
entsteht (neben Acrylsäure und Aethylmilchsäure) , wenn Methyleiyodid
(§. 952) mit essigsaurem Silber und Essigsäure auf 100® erhitzt wird. Es
ist eine farblose, stark riechende Flüssigkeit, die bei etwa 170® siedet
und sich in Wasser nur wenig löst« Beim Erhitzen mit Ealihydrat oder
Bleiozjd wird es unter Bildung von essigsaurem Salz zersetzt, aber es
entsteht kein HethylglyooL — Erhitzt man Essigsäure - Hethylglyool mit
einer zur Lösung unzureichenden Menge Wasser längere Zeit auf 100®, so
tritt Zersetzung ein; es entsteht Essigsäure und Di-methylenoxyd :
Essigs. Methyl- Di-methylen- Essigsaure,
glycol. oxyd.
Auch beim Erhitzen mit Silberozyd oder besser mit oxalsaurem
jSUberoxyd wird Dimethylenoxyd erhalten:
fissigs. Methyl- Oxalsaures Di-methylen- Essigsaures
glycol. Silber. ozyd. Silber.
•) Buüerow, Ann. Chem. Pharm. CYIL 110-, CZL 242; CZIV. 204; CXV. 822.
656 Glycole.
6H l
Das Di-methylenoxyd (Dioxymethylen) : .6sH402 = GH^i®*
(isomer mit Essigsäure) ist eine weisse krjstallisirbare und sublimirbvc
Substanz, die bei 152® schmilzt, aber schon unter 100® sublimirt; es ist
in Wasser, Alkohol und Aether selbst bei Siedhitze fast unlöslich. Es
oxjdirt sich leicht, bei Gegenwart von Platin schon durch den Sauenloi
der Luft, zu Kohlensäure und Wasser; bei Oxydation mit Bleihyperoxji
entsteht gleichzeitig Ameisensäure; es reducirt Quecksilber- and Silber-
oxyd. Mit Salzsäure gibt es eine wenig beständige Verbindung. IGt
Ammoniakgas erzeugt es eine krystallisirbare Base (§. 984). Bei Ehiwir-
kung von PhosphorjodQr auf Dimethylenoxyd entsteht Methylenjodid.
M e t h y I e n s n 1 f i d *) : GH^S. Stellt man Schwefelkohlenstoff nit
Zink und verdünnter Salzsäure zusammen, so entsteht, neben andern Pro-
ducten, eine weisse krystallinische Substanz, die bei 150® in langen Ka-
dein sublimirt, in Wasser unlöslich, in Alkohol und Aetber achwerlösüek
ist, aber aus Benzol, Chloroform oder Schwefelkohlenstoff in quadratiseheD
Prismen krystallisirt werden kann.
Die Bildung des Hethylensulfids ist leicht verständlich; man hat:
GSa + 2H, = GH,S + H,&
Es kann einerseits als Sulfid des zweiatomigen Methylens betrachtet
werden, andererseits aber auch als Hydrür des Badioals: 69, dessen
Sulfid der Schwefelkohlenstoff ist.
970. Propylenderivate **).
Durch Einwirkung von Propylenbromid auf essigsaures Silber er-
hält man das bei 186® siedende Diacetylpropylglycol. Aus diesen
wird durch Zersetzung mit Ealihydrat oder besser mit Aetzbarjt Propjl-
glycol: ^*H*|0, erhalten, Siedep. 1880— 189«.
Das Propylglycol gibt bei langsamer Oxydation (mit Platin) Milek-
säure; bei energischer Oxydation entsteht wesentlich Oxalsäure, Olyool-
säure, Essigsäure und wie es scheint auch Malonsänre.
Bei Einwirkung von Phosphorsuperchlorid auf Propylglycol entsteht
Propylenchlorid ; bei Destillation mit Ghlorzink Propylaldehyd (Wurtz).
Wird Propylglycol mit Salzsäure erhitzt, so entsteht bei 127® sie^
dendes Propylenchlorhydrat, oder salzsaures Propylglycol; dieses liefert bd
Destillation mit Kalilauge das bei 36^ siedende Propylenoxyd : 6^%*^'
(Oser).
^) Girard, Ann. Ohem. Pharm. C. 806.
•«) WurtK, ibid. C. 116; CV. 902; CX. 127. — Oser, BoUelan de la 9oe.d
Ck 286.
Amylglyool. 657
Butylenderivate *). 971.
Diacetjlbutylglycol, wie die entsprechenden Aethylglycol- und Pro-
pyJglycolverbindungen erhalten, siedet bei etwa 200^; es Kefert bei Zer-
GH)
Setzung mit Kali das bei 1830—184« siedende Butylglycol: *H*\^i-
Bei langsamer Oxydation des Butylglycols mittelst verdflnnter Salpeter*
s&are entsteht Butylactinsäure (Wurtz).
Ämylenderivate **). 972.
Das Amylglycol: * H^f^a (Siedep. 177<>) wird, wie die andern
Olycole durch Zersetzung des bei Einwirkung von Amylenbromid auf es-
sigsaures Silber, entstehenden essigsauren Amylglycols dargestellt Es gibt
bei Oxydation mit Salpetersäure Butylactinsäure: QJEL^Q^,
Durch Einwirkung von Salzsäuregas auf Amylglycol (bei 100<^) und
Destillation wird salzsaures Amylglycol und durch Zersetzung dieses mit
Kali das bei etwa 95« siedende Amylenoxyd: ©sH^o-^ erhalten (Bauer).
Zu den Verbindungen des zweiatomigen Radicals : 65H10 , gehören auch zwei
von Guthrie ****) durch Zersetzung des Amylendisulfochlorids erhaltene Körper.
Das Amylen verbindet sich nämlich, ähnlich wie das Aethylen (vgl. §.
direct mit den Chloriden des Schwefels. Man erhält aus:
Chlorsulfid.
Chlorbisulfid.
§!«
cn«
cir*
Amylendichlorosulfid.
Amylendisulfochlorid.
e,H,oCij^
e:K(s»
Substanzen, die wie die entsprechenden Aethylenverbindungen als Chlorsubstitu-
tionsproducte des Amylmercaptans und des Amylbilsulfids angesehen werden kön-
nen. Man hat:
Bichloramylsulfhydrat. Ohloramylbisulfid.
Lässt man Chlor auf (Amylendisulfochlorid) einwirken, so entsteht vierfach
gechlortes Amylsulfid (oder Trichloramylendisulfochlorid):
Tetrachloramylsulfid.
e5H,ci3^
•) Wurtz, Ann. Chim. Phys. [8] LV. 462,
••) Wurtz, Ann. Chem. Pharm. CVI. 24; CVII. 191. — Bauer, Bull, de la Soc.
d. Ch. 148.
•••) Ann. Chem. Pharm. CXHI. 266. u. CXVI. 244.
K e ko 1 < , orgaa. Chemie. 42
658 Zweiatomige Radicale: 6nH?o.
Bei andern Reactionen dagegen wird das Chlor des AmylendisnlfocUoiidi
(Chloramylbisulfids) eliminirt und es werden so Verbindungen des £weiaU)mi|eB
Amylens: O^H^q erzeugt Erwärmt man nämlich i^mylendisulfochlorid mit oki
alkoholischen Lösung von Ammoniak oder von Kalihydrat, so entsteht Cneben Gbidr-
ammonium oder Chlorkalium) das Disulfamylenoxydhydrat. Kocht man eine atte-
holische Lösung von Amylendisulfochlorid mit Bleiozyd oder lässt man Katrio»
alkoholat auf Amylendisuliochlorid einwirken, so wird Disulfamylenoxyd gebQdct
Disulfamylenoxyd. Disulfamylenoxydhydrat.
H, O
Die Bildung beider Substanzen ist leicht verständlich. Das Chlor des Am-
lendisulfochloiids wird entweder durch die äquivalente Menge Sauerstoff oder (wie
dies bei einer grossen Anzahl analoger Reactionen der Fall ist) durch eine iqn-
valente Menge des Restes: Ü0 ersetzt* dabei wird, aus den frtUier entwidLelta
Gründen das einatomige Radical: 65H10CI zu dem zweiatomigen: Osll^o. Das Di
sulfamylenoxyd kann demnach als Diamylenoxybisulfid betrachtet werden:
Typus. Diamylenoxybisulfid.
Das Disulfamylenoxydhydrat ist das Hydrat des Diamylenoxybisalfids :
Typus.
n
H2S3 ^ft^lO 1 A
2 H,© J-J'l^»
e.H..J0.
es steht zu dem (dem Diäthylenalkohol $. 966 analogen) Diamylenalkohol in il»
licher Beziehung wie das Aetliylbisulfid zum Aethyläther.
Verbindungen der Kohlenwasserstoffe: e„H^u mit den
Elementen der Stickstoffgruppe.
973. Die zweiatomigen Radicale: GnH^n können wie die einatomigei
Alkoholradicale den Wasserstoff des Ammoniaks ersetzen und so Sub-
stanzen von basischen Eigenschaften erzeugen. Man kennt vom Aelhjlei
die drei den Aminbasen, Imidbasen und Nitrilbasen der einatomigen AI
koholradicale (vgl. §. 70S) entsprechenden Verbindungen:
Aethylendiamin. Diäthylendiamin. Triäthylendiamin.
i©X (gX (e;H4
IG,H4 (G,H4 (e,H4
AmmoniAkbaeen der Kohlenwasseratoffe: OnHtn. Q5Q
Dieae SubBtanzen leiten sieh von dem Typus: 2NH3 her, in wel-
chem 2, 4 oder 6 Atome Wasserstoff durch das zweiatomige Radioal
vertreten sind.
Der vom Typus noch vorhandene Wasserstoff kann stets, z. B. bei
Einwirkung von Aethyljodid, noch durch einatomige Alkoholradicale ver-
treten werden. Dieselben oder analoge Verbindungen werden auch er-
halten, wenn Ammoniak, in welchem schon Alkoholradicale enthalten
sind, oder wenn entsprechende Phosphor- oder Arsenbasen (§§.731, 743)
auf Aethylenbromid einwirken.
Das Bromid der ersten Base entsteht leicht durch directe Aneinan- 974.
derlagerung von 2 Mol. NH3 und 1 Mol. Aethylenbromid. Man kann es
dorch die der Formel des Salmiaks: NH4CI nachgebildete Formel aus-
drücken :
^- NHHHP»***{Br.
In manchen Fällen, namentlich wenn Nitrilbasen oder diesen entspre-
chende Phosphor- oder Arsenverbindungen angewandt werden, lagert
sich nun statt zweier Molecüle nur ein Molecül der dem Ammoniaktypus
zugehörigen Basen an das Aethylenbromid an. Man erhält Bromide, die
durch die allgemeine Formel:
n.
NHHH
i«A|!U
ausgedrückt werden können, in welcher der Stickstoff durch Phosphor
oder Arsen ersetzt sein kann, während der Wasserstoff durch Alkohol-
radicale ersetzt ist Diese Bromide verbinden sich, bei geeigneten Be-
dingungen, mit Ammoniak oder mit dem Ammoniaktypus zugehörigen
Basen und erzeugen so Verbindungen vom Typus des ersten Bromids (L).
Diese beiden Bromide zeigen nun ein völlig verschiedenes Verhal-
ten. Aus den Broroiden des ersten Typus (I) werden die beiden Brom-
atome mit gleicher Leichtigkeit eliminirt. Die Bromide des zweiten Typus
dagegen verlieren das eine Bromatom leichter wie das andere. Die Bro-
mide des ersten Typus liefern z. B. direct bromfreie Basen; die Bromide
des zweiten Typus liefern zunächst bromhaltige Basen. Man hat typisch:
Die ersteren Basen können vom Typus: 2 g?0 abgeleitet wer-
43 ♦
660 Zweiatomige Radicale: OuHia.
den; von den zweiten kann man annehmen, sie gehören dem Typ«:
NR )
4>0 an, in welchem 1 At H durch das einatomige Badical: Gfijk
(Brom&thyl) ersetzt ist (vgl. §. 982).
Durch Einwirkung von Silberoxyd kann aus den bromhaKigen Bi-
sen II. a. das Brom eliminirt werden und man erhält so Basen, die daitb
die typische Formel:
ausgedrückt werden. Bei Annahme dieser Formel zeigen die Basen Eh.
eine gewisse Analogie mit den Basen I. a. Im chemischen Verhalten bei-
der findet indess eine bemerkenswerthe Verschiedenheit statt. Wfthreod
die Basen I. a. 2 Mol. Salzsäure neutralisiren und so ein Chlorid erzeagea,
welches 2 At. Chlor enthält, sättigen die Basen II. b. nur 1 Mol. Sih-
säure und bilden ein Chlorid , in welchem nur 1 At. Chlor enthalten ist
Man hat aus:
"• °' ' g*e [oder NHHH(eaH,e).Cl]
Die Platinsalze (und ebenso die Ooldsalze) sind stets den Chlorida
entsprechend zusammengesetzt. Man hat aus:
^'''* NHHHh>'«*|ci; S f'"'^''' N,HaH,Ha(eX)Cl, 2PtCUl
IL a. NHHHj^^'g la, PtClj ^^^^^ NeHH(eaH4Br )C1, PtCl,l
IL b. NHHHJß'W iCl.PtCl,
J^2"M [oder NHHH(e,H5e)Cl, PtCl,]
H)0
975. Man sieht leicht, dass diese Verschiedenheit des Verhaltens bedie^
ist durch die Anzahl der Ammoniakmolecüle, die in die Basen e]ngetI^
ten sind. Diejenigen Basen, bei deren Bildung 2 MolecQle Ammoniak
verwendet wurden, sind zweiatomig und zweisäurig; die andern dageget;
bei deren Bildung nur ein Molecül Ammoniak eintrat, sind einaton^
und einsäurig.
*) Diese von Hofmann u. A. gebrauchte Formel nimmt an, das Radical: Bfifi-
Ozyäthyl (Aetbylhyperozyd) ersetze 1 At H des Ammoniams.
Ammoniakbasen der Kohlenwasserstoffe: 6oH2n. 661
In den Basen ü. b. besitzen 1 Atom H und 1 At. O dieselbe Natur
wie die entsprechenden Elemente in dem der Base correspondirenden
Alkohol. In dem Bromid II. und in der Base II. a. hat das eine Atom
Brom noch dieselbe Natur beibehalten wie die, welche es im Aethjlen-
bromid besass. Dieses eine Bromatom löst sich denn auch in der That
bei manchen Reactionen so los, wie es ein Atom Brom des Aethjlen-
bromids thut (als BrH) und es entsteht so ein neues Bromid und eine
neue Base:
U. c. NHHH(eaH,).Br
NHHH(GjH,)}^
in welchen die Gruppe O2H3 (Vinjl) als einatomiges Radical angenom-
men werden kann. Auch in diesem Bromid ändert das Brom durch An-
lagerung des Ammoniaks seine chemische Natur in der Weise um, dass
es jetzt leicht durch doppelten Austausch entzogen werden kann, wfth*
rend das Brom des aus dem freien Aethylenbromid entstehenden Brom-
äthylens von gewöhnlichen Reagentien nur schwer angegriffen wird.
Die Mannigfaltigkeit der zu besprechenden Verbindungen wird da- ^^'
durch noch erhöht, dass zahlreiche Substanzen vom Typus I. und La.
existiren, in welchen zwei verschiedene Ammoniakbasen enthalten sind«
So zwar, dass statt des Wasserstoffs verschiedene Alkoholradicale in der
Verbindung enthalten sind; oder auch so, dass statt zweier Atome Stick-
stoff, Phosphor oder Arsen, verschiedene Elemente der Stickstoffgruppe
in die Verbindung eingetreten sind , z. B. Stickstoff neben Phosphor oder
neben Arsen, oder auch Phosphor neben Arsen.
Man kennt ferner zwei, durch directe Vereinigung von Aethylen-
oxyd mit Ammoniak entstehende Verbindungen, welche von gemischten
Typen: NHj + nH^O abgeleitet werden können f§. 983).
Historische Kotizen. Stickstoffhaltige Basen des Aethylens wurden 1858 977.
von Cloez •) und später *von Natanson**) dargestellt. In neuerer Zeit hat
Hof mann ***) ausführliche Untersuchungen über diesen Gegenstand angestellt,
durch welche die früher bekannten Basen richtig interpretirt und eine grosse Zahl
neuer Verbindungen entdeckt wurden. Die phosphor- und arsenhaltigen Aethylen-
basen, so wie einige aus Methylenjodid und Methylenchlorid sich ableitende Sub-
♦) Jahrcsber. 1853, 468; 1858, 844; 1869, 883.
••) ibid. 1864, 485 und Ann. Chem. Pharm. XCH. 48.
•••) ibid. 1868, 331, 338, 348; 1S59, 372, 384 und femer verschiedene Mitthei-
lungen in: Compt. rend.; Proceedings of the royal society; Quaterly Journal
of the ehem. Soc.
602 Zweiatomige Radicale: OnHto.
stanzen sind ebenfalls von Hof mann in neuester Zeit ontersucht worden. Ea
grosser Theil dieser Untersuchungen ist bis jetzt nur darch Torlänfige Mittlieiln-
gen bekannt
Die aus dem Aethylenozyd entstehenden Basen sind von Wurtz*) entdedi
ßtickstoffbasen des Aethylens.
Ammoniakbasen und AmmoDiumbasen.
978. Bei EinwirkuDg von Aethjlenohlorid oder besser von Aethylenbro-
mid auf alkoholische AmmooiaklösuDg entstehen schon bei gewöhDlieha
Temperatur (bei Anwendung w&ssriger Ammonickklösung erst bei l&ll»^ |
rem Erhitzen) krystallisirende Bromverbindungen der drei einfachflta
Aminbasen des zweiatomigen Aethjlens. Nftmlich:
Aethylendiammonium- Diäthylendiammoninm- Triäthylendiammoniom-
bromid. bromid. bromid.
NHHHI^% iBr NHHip.'' «V i^^ ^Hi^V ^^ ' IBr
NHHHf ^>*^« |Br NHI^ ^^^ ' ^^^ (Br NHf ^»"« ' **»**« ' ^»*** JBr
Die Bildung dieser Bromide erklärt sich aus den folgenden Glei-
chungen:
Asthylenbromid. Bromammonium.
e^Br, *f 2 NH, = N3H9(OaH4)Br» Aethylendum»
niumbromid.
2 eaH4Bra + 4 NH, = 2 NH4Br + N2H4(e2H4)aBra Diäthylcndiwim^
niumbromid.
8 e^Bra + 6 NH, = 4 NH4Br + N,Ha(ejH4),Br, Triäthylendian»
niumbromid.
Die beiden letzten Gleichungen zeigen, dass bei Bildung der äthylenreiehenB
Basen gleichzeitig Bromammonium entstehen muss.
Destillirt man diese Bromide mit Aetzkali, so werden fiachtige
Aminbasen erhalten. Nämlich:
Aethylendiamin. Diftthylendiamin. Trifithylendiamin.
Die Dampfdichten des Aethylendiamins und des Diäthylendiamins entsprecba
den mitgetheilten Molecularformeln. Für das Aethylendiamin hatte man anfoogs fr
Dampfdichte zu niedrig gefunden und desshalb die Base, in annähernder Ueberditfl»
*) Ann. Chem. Pharm. CXIV. 51.
SticketoffbaseQ des Aethyleos. 663
mang mit den Analysen, durch die Formel : G2H4NO ausgedrückt. Hofmann zeigte
dann, dass die untersuchte Substanz ein H^'drat des Aethylendiamins war: Na1l4(9aH4)
4- H^O; dass dieses beim Erhitzen zerilKUt zu Wasser und Aethylendiamin und
dass mithin der Dampf dieses Hydrats ein Gemenge der Dämpfe seiner Spaltungs-
producte ist (vgl. §. 402).
Die Zersetzungen dieser Aethjlenbasen sind noch wenig untersucht.
Interessant ist, dass bei Einwirkung von salpetriger Säure auf Aethjlen-
diamen neben anderen Producten auch Aethjlenozyd (§. 966) entsteht:
N,(G2H4)H4 + NjOa = 62114.0 +:i2N2 + 2 H,0
Lässt man auf diese drei Basen von Neuem Aethylenbromid ein-
wirken, 80 werden die Bromide der an Aethjlen reicheren Basen gebil-
det. Als Endproduct entsteht eine dem Teträthjlammoniumbromid (§. 723)
sehr ähnliche Substanz, die wahrscheinlich das Teträthylendiammo-
niumbromid: N2(G2H4)4Br2 ist
Der Wasserstoff dieser Diamine ist durch die Radicale der einato- 979.
migen Alkohole (Methyl , Aethyl) ersetzbar. Lässt man auf Aethylen-
diamin abwechselnd Aethyljodid und Silberoxyd einwirken, so entstehen
zwei flüchtige Basen und eine dritte nicht flüchtige, deren Jodide die
folgenden Formeln haben:
Aethylendiammoniumjodid ^2^9 i^i^^Vi
Diäthyl-äthylendiammoniumjodid NaTl4(GaH5)a(OaH4)J3
Teträthyl-äthylendiammoniumjodid ^'^J^^^J^ß^^i^^
Hexäthyl-äthylendiammoniumjodid Nj {ßT}^{)J<ß^\)i^\
Die aus dem letzteren Jodid mit Silberoxyd in Freiheit gesetzte
Base verhält sich genau wie das Teträthylammonium(hydrat) ($. 723);
sie ist nicht flüchtig und nimmt kein Aethyl mehr auf.
In entsprechender Weise erhält man aus Diäthylendiamin und Aethyl-
jodid die folgenden Jodide:
Difithylendiammoniumjodid N2H4 ißj^\^ifi%
I n
Diäthyl-difithylendiammoniumjodid ^'fi^'Ji^'fi^Ci'x^^^dr^i
Teträthyl-difithylendiammoniumjodid N, (fiJSL^JiGJ&^^'i
von welchen das letztere bei Einwirkung von Silberoxyd eine nicht flüch-
tige Ammoniumbase liefert, die kein Aethyl mehr aufzunehmen im Stande
ist; während aus dem vorhergehenden Jodid eine flüchtige Aminbase ent-
steht , die bei neuer Behandlung mit Aethyljodid das Teträthyldiäthylen-
diammoniumjodid liefert.
Methyljodid verhält sich gegen die Aethylenbasen genau wie
gegen Ammoniak. Es entsteht schon bei der ersten Einwirkung eine
beträchtliche Menge des Jodids der vollständig methylirten Base. Man
erhält so:
gg4 Zweiatomige Radicale: OnHtn.
aus Aeihyleiidiainin das:
Hexmethyl-äthylendiammoniunijodid N3(6H3)«(03H4)J2
aus Diäthylendiamin das:
Tetramethyl-diäthylendiammoniumjodid '^^iGil^z^i^J^^^^
Alle Basen, die durch Silberoxyd aus denjenigen Jodiden, in wel-
chen aller Wasserstoff darch Alkoholradicale vertreten ist, in Freihes
gesetzt werden, sind in Wasser löslich und sehr ätzend (Diaromonioi-
basen). Ihre Piatinsalze sind meist in Wasser schwer löslich und sehöi
krystallisirbar.
9g0. Aus den Aminbasen der einatomigen Alkoholradicale werda
durch Einwirkung von Aethylenbromid ebenfalls äthyl- und methylhaltige
Aethylenbasen erhalten.
Auf Aethylamin wirkt z. B. Aethylenbromid schon in der Kälte eu.
Es entstehen verschiedene Bromide, namentlich die folgenden:
Diäthyl-äthylendiammoniumbromid N3H4(eaH5)a(63H4) Er,
Diäthyl-diäthylendiammoniumbromid '^tB.^i^JSL^)^^^^ ^4)aBr2
Aus ersterem wird durch Destillation mit wasserfreiem Baryt eioe
ölige, stark ammoniakalisch riechende, krystallinisch erstarrende Flfissig-
keit erhalten; die man als Diäthyläthylendiammoniumoxyd oder auch &b
Hydrat des Diäthyläthylendiamins betrachten kann:
Diäthyl-äthylendiammonium- Hydrat des DiäÜiyl-äthylen-
ozyd. diamins.
N A(eX)2(^2H4) . ^ NjHaCeaH5)a(eX) + H,e
Diese Verbindung zeigt wie das oben erwähnte Hydrat des Aethylendiamiis
anomale Dampfdichte.
Das zweite Bromid kann auch durch Einwirkung von Aethylen-
bromid auf die zuletzt erwähnte Base erhalten werden ; es liefert &a
flüchtige, bei 185® siedende Base.
981. Ein völlig abweichendes Verhalten zeigen die Nitrilbasen der
einatomigen Alkoholradicale bei Einwirkung von Aethylenbromid. Wir-
rend bei Einwirkung von Ammoniak (oder von Aminbasen) zwei lo-
lecüle Ammoniak sich mit einem Molecfll Aethylenbromid vereioigeo:
2NH. + e,H.Br, = ägSJje.H.jlj
und so das Bromid eines Diammoniums erzeugen; tritt bei Einwiifaui{
StickBtoflfbasen des Aethylens. 665
einer Nitrilbase nur ein Molecül der vom Ammoniak sich ableitenden
Base mit einem Molecül Aethylenbromid zusammen. Man erhält z. B.
aus Trimethjlamin und Triftthylamin die folgenden Verbindungen:
Trimethylamin N(e H,), + e^H^Br = ^(6 H,)(e H,)(e H,)j^^"„^ jBr
Triäthylamin NcejH»), + OaH^Brj = N(e,H5)(e2H^)(eaH»)j^^''^^jBr
Den so erhaltenen Bromiden wird durch Einwirkung der meisten
Reagentien nur die HäJfie des Broms entzogen. Sie verhalten sich wie
einatomige Bromide bromhaltiger Basen:
Trimethyl-bromäthylammonlumbroniid N(9R,)3(G2H4Br) . Br
Triäthyl-bromäthylammoniumbromid N(G2H^,(0aW4B0 -Br
Versucht man durch Einwirkung von Ammoniak (oder von Amin-
basen) auf diese Bromide, zweiatomige Bromide darzustellen (entsprechend
dem Teträthyl&thylendiammoniumbromid etc.), so wird Bromwasserstoff-
säure eliminirt und man erhält:
Trimeth3d-vinylammomuinbromid N(0 ^^^^^^z) • Br
Trifithyl-vinylammoniumbromid ^(^2115)3(62113) . Br
Dieses eigenthümliche Verhalten der erwähnten Bromidc findet seine Erklä- i
rung in den folgenden Betrachtungen. Das Aethylenbromid xeigt, wie die meisten
Bromide der nur aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestehenden Radicale, verhält-
nissmfissig schwer doppelte Zersetzung; das in ihm enthaltene Brom ist den ge-
wöhnlichen Reagentien nur schwer zugänglich. Lagern sich zwei Molecüle Am-
moniak an Aethylenbromid an, so verändern beide Bromatome ihren chemischen
Charakter in der Weise, dass sie wie das Brom des Bromammoniums leicht durch
doppelten Austausch entzogen werden. Tritt dagegen nur ein Molecül Ammoniak
(oder einer vom Ammoniak sich ableitenden Nitrilbase) mit Aethylenbromid za-
sammen, so verändert nur ein Bromatom seine chemische Natur und die Verbin-
dung verhält sich wie das Monobromid des mit diesem Bromatom verbundenen
bromhaltigen Restes.
Andererseits weiss man, dass das Aethylenbromid bei Einwirkung vieler
Reagentien (z. B. alkoholischer Kalilösung) zerfällt in Bromäthylen (62^3Br) und
Bromwasserstoff. In den durch Anlagerung vom 1 Mol. Ammoniak an Aethylen-
bromid entstehenden Verbindungen hat das eine Bromatom diesen Charakter bei-
behalten; es löst sich bei Einwirkung von Ammoniak etc. als Bromwasserstoff ab
und es entstehen so die den Rest: 62H3 (Vinyl) enthaltenden Verbindungen.
Ein ähnliches Verhalten zeigen in noch ausgeprägterer Weise die Phosphor-
basen des Aethylens §. 985.
Hydoramine.
Das Aethylenoxyd (§. 966) verbindet sich direct mit Ammoniak
(Wurtz). Stellt man Aethylenoxyd mit einer concentrirten wässrigen Lö-
666 Zweiatomige Radicale: eaH2i.
BQDg yon Ammoniak zusammen, bo findet nach wenig Minaten eioeM
tige Einwirkung statt, bei welcher zwei sauerstoffhaltige AethjlenbaM
gebildet werden:
Aethylenoxyd.
2 93H40 + NH, = 64H11N0S Diäthylen-dihydoramin.
8 63H40 4. NRs = ^fHiftNe, Triäthylen-trihydoramin.
Man verjagt das überschflssige Ammoniak im Wasserbad, neatnli-
sirt die verdünnte Lösung mit Salzsäure und trennt die gebildeten CUo-
ride durch Krystallisation. Das Chlorid der ersten Base ist ankrystalli-
sirbar und bleibt in der Mutterlauge; das Chlorid des Tri&thylei-
trihjdoramins dagegen krystallisirt leicht in schönen RhomboMen,
die in Wasser sehr löslich in Alkohol fast unlöslich sind:
Tri&thjlen-trihydorammoniumchlorid = NG^Hi^Os.HCL
Das Platinsalz des Tri&thylen-trihydoramins krystallisirt in kldaa
orangegelben Schuppen; das Di&thylen-dihydoramin-platincblorid
wird bei freiwilligem Verdunsten in grossen wohlausgebildeten Krjsttllei
von orangerother Farbe erhalten.
Diftthylen-dihydoraminplatJnchlorid: NefHuO,, HCl, PtCi,
Triäthylen-trihjdoraminplatinchlorid: NeeHijO,, HCl, PtCl,
Die freien Basen sind syrupartige Flüssigkeiten von stark alkali-
scher Reaction. Man kann sie durch die typischen Formeln darstellen:
Typus.
Nfl, H,Ni H.
Dittthjrlen-dihydonunia.
bI»
8 H.
0 Triftthylen-trihydoremm.
Sie entsprechen den Aminsäuren der zweibaaischen Säuren. Ihre Wdu^
kann als Vereinigung mehrerer Molecüle durch Umlagerung der zweiatoinigen Bft-
dicale anfgeflust werden ($. 226J.
667
Stickstoffbasen des Methylens.
Methylenhaltige Stickstoflfbasen sind bis jetzt noch wenig untersucht 984.
Durch Einwirkung von Methylenjodid (S. 952) auf Trimethylemin erhält
man eine in Nadeln krystallisirende Jodverbindung:
Trimethylamin. Methylenjodid.
N(eH,), + ee,.j, = »'(«"»>»J€B,g
Aus dieser wird durch Silberoxyd die Hälfte des Jods eliminirt;
es entsteht eine jodhaltige Base:
Diese verliert bei längerem Kochen mit Silberoxyd von neuem Jod
und bildet die Base:
N(eH,veHj)u = NieHaWe'klh
Beide Basen geben krystalHsirbare Platinsalze.
Phosphorbasen des Aethylens.
Triäthylphosphin {%, 754) wirkt schon bei gewöhnlicher Temperatur »86.
auf Aethylenbromid ein, bei gelindem Erwärmen erstarrt das Gemisch
unter lebhafter Reaction zu einer blendend weissen krystallinischen Hasse,
die zwei verschiedene Bromide enthält:
Triäthylphosphin. Aethylenbromid.
Pr«H^ J. «H Rr - P(ÖaH5M«"u IBr Trifithyl-äthylenphoB-
neaHj), + e,H4.Bra - {^»"«jßr phoniumbromid.
P(öaHj)3 j /' 1 Br Hexäthjrl-äthylendi-
2P(e,H,), + e;H,.Br, == p[e'H|J'j^«"4
Br phosphoniumbromid.
Bei Uebersohuss von Aethylenbromid entsteht die erstere Verbin-
dung in überwiegender Menge; ist überschflssiges Triäthylphosphin vor-
handen, so wird wesentlich das letztere Bromid erzeugt.
Das erste Bromid verhält sich bei vielen Reactionen wie ein ein-
atomiges Bromid, d. h. es verliert, ähnlich wie das Triäthylbromäthyl-
ammoniumbromid ($. 981), nur die Hälfte seines Broms. Das zweite
Bromid zeigt ähnlich den $. 980 besprochenen Aethylendiammonium-
bromiden das Verhalten eines Dibromids eines zweiatomigen Phos-
phoniums; es ist Hezäthyläthylendipbosphoniumbromid.
668 Zweiatomige Radicale: OnHtu.
Das einatomige Bromid kann aus Alkohol in grossen farblosen
Oetagdern erhalten werden.
Durch Einwirkung von Silbersalzen verliert es nur die Hälfte des
Broms. Man erhält z. B. bei Digestion mit Ghlorsilbcr (oder auch bei
Digestion mit salpetersaurem Silberoxjd und Ausfällen des überschQssig
zugesetzten Silbersalzes durch Salzsäure) das Chlorid:
^'ilÄTiSSr^'- P(e;H.).(e.H.Br,.ci = P(W.je;H.{;
iCl
Br
aus welchem durch Platinchlorid das schwerlösliche aus Wasser in langen
Prismen krystallisirende Doppelsalz geiUllt wird:
Triäthyl-bromäthylphoB- p,^ ' . .^ ' ^ .p, „ p, _ ^(^i^Mf^''^ P^^
phoniumplatinchlorid. ^(^i^M^i^t^G}, PtCIj - {^«»«(Br
pta.
Bei Einwirkung von Silberoxyd verliert das einatomige Bromid beide
Bromatome. Wird eine verdünnte wässrige Lösung angewandt, so ent-
steht die stark alkalisch reagirende Base:
'riäthyl-fithylenphos- Pce2H5),(e2H5e)i^ _ ^(^i^bhlß^u f
phoniumhydrat. H( f * *(
Bf
Sie zeigt mit dem Bromid aus dem sie entstanden darin Analogie,
dass nur die Hälfte der mit dem Triäthylphosphin und Aethylen verbun-
denen Elemente leicht entzogen werden. Man erhält z. B. durch Zusatz
von Salzsäure ein Chlorid:
PieaH.),(eaH»e).ci = ^^^^^^He^uA
und aus diesem ein in grossen dunkelrothen Octaädern krjstallisirendes
Platinsalz. — Wird eine concentrirte Lösung des einatomigen Bromids
mit Silberoxyd behandelt, so entsteht eine der eben besprochenen Base
entsprechend zusammengesetzte Substanz, die nur die Elemente von 1 MoL
Wasser weniger enthält.
Triäthyläthylenphosphoniumoxyd = ^(^a^*'a| O^U^.B
Diese letztere Verbindung hat einige Analogie mit den von Wurtz dargestell-
ten Aethylenbasen (§. 988). Man hat:
Triäthyl-ftthylen- Diäthylen- Triäthylen-
hydorphosphin. dihydoramin. trihydoramin.
P(€,H,),| NH, J NH, »
eja^.eS 2€,e4.e( »«A-^i
Phosphorbaseo des Aethylens. 669
Bringt man das einatomige Bromid mit Zink und Schwefelsäure
(Wasserstoff im Status nascendi) zusammen, so entsteht Tetr&thylphos-
phoniumbromid :
Triftthyl-bromäthylen- Teträthylphosphonium-
phospboniumbromid. bromid.
P(eaH5),(eaH4Br).Br + Hj = P(eaH5),(e2H5)Br + HBr.
Erhitzt man das einatomige Bromid, so zerfällt es unter Bildung
von Triftthjlvinylphosphoniumbromid. Man hat:
Triäthyl-bromäthylen- Triäthylvinylphosphonium-
phosphoniambromid. bromid.
4- HBr
Dieselbe Zersetzung findet schon bei Einwirkung von Äethylenbromid auf
Triäthylphosphin statt, man erbfilt daher bei der Darstellung der beiden Triäthyl-
ätliylenphosphoniumbromide gleichzeitig Triäthylenvinylphosphoniumbromid und
Triäthylphosphoniumbromid.
Das einatomige Bromid verbindet sich mit Ammoniak oder mit vom
Ammoniak sich ableitenden Basen zu Substanzen vom Typus des zwei-
atomigen Bromids. Mit Triäthylphosphin erzeugt es dieses zweiatomige
Bromid selbst. Wird statt des Tri&thylphosphins Ammoniak oder eine
dem Typus Ammoniak zugehörige Stickstoff- oder Arsenbase der einato-
migen Alkoholradicale angewandt, so entstehen zweiatomige Bromide,
die gleichzeitig zwei verschiedene Elemente der Stickstoffgruppe enthalten
(S. 990).
Das zweiatomige Bromid, Hexäthyläthy lendiphosphoniumbro- 987.
mid, wird am zweckmässigsten durch Einwirkung von überschüssigem
Triäthylphosphin auf das einatomige Bromid dargestellt. Es verliert bei
Einwirkung von Silbersalzen seinen ganzen Bromgehalt und gibt so eine
Reihe wohlcharakterisirter zweiatomiger Verbindungen. Durch Silberoxyd
entsteht die sehr beständige äusserst kaustische Base:
Hexftthyl-fithylendlphos. PaCe^X^ A)6 1 a - ^^^^i"*^'{« "r 1^
phoniumhydrat. Hal^ " P(öaHs)si^ *L
Mit Jodwasserstoffsäure gibt sie ein in langen Nadeln krystallisiren^
des Jodid. Das entsprechend zusammengesetzte Chlorid gibt ein in schö-
nen Prismen krystallisirendes , in Wasser fast unlösliches Platinsalz:
und ein entsprechend zusammengesetztes in Nadeln krystallisirendesOoIdsalz«
670 Zw«i&tomige Radicale: 6iiH«d.
Die Cjanverbindnng dieses Diphosphoniums entsteht neben Tri&thyl-
phosphinsulfid , wenn Aethylensulfocyanid (§. 968) auf TriäthylphoBphin
einwirkt:
Aethylensulfo- Triäthyl- Triäthylphos- Hexäthyl-äthylen-
cyanid. phospliin. phinsulfid. diphosplioniumcyanid.
S!^» + 4P(e,H,), = 2P(eA),s + 5[eA);(^»^*{eS
Durch Hitze wird die freie Base zersetzt unter Bildung von Triätbyl-
phosphinoxyd und von Teträthylphosphoniumhydrat.
Hezülhyl-ftthyleD-diphofl- Tetrftthylphospho- Triäthylphos-
phoniumhydrat niamhydrat. phinozyd.
HU
Lässt man statt Triäthylphosphin das Trimethylphosphin auf das
einatomige Bromid einwirken, so wird ein gleichzeitig Methyl und Aethyl
enthaltendes Bromid erhalten, das:
P(e*HO») « (Br
Trimethyltriäthyl-fithylendiphoephoniumbromid ' { ^a^« 1 1>
aus welchem durch Silberoxyd die entsprechende Base in Freiheit ge-
setzt wird.
Phosphorbasen des Methylens.
988. Phosphorhaltige Methylenbasen sind noch verhältnissm&ssig wenig
untersucht. Nach einer vorläufigen Mittheilung von Hofmann wirkt das
durch Einwirkung von Chlor auf Methylchlorid dargestellte Monochlor-
methylchlorid (§. 638) auf Triäthylphosphin energisch ein ; man erhält
zunächst ein schön krystallisirendes einatomiges Chlorid:
Trittthyl- Chlormethyl- Triäthylchlormethyl-
phosphin. chlorid. phosphoniamchlorid.
P(ÖA). + ÖH,C!, = ^t^«^»>»jeH,{g toder: P(e,H,)»(«H,Cl), CIJ
aus welchem ein in schönen Nadeln krystallisirendes Platinsalz erhallen
wird:
P(««H,),»^^^ ja, pta, jjjgj. p(e,Hj,(0H,cix ci.ptci.
AnefiTerbindangen des A^thylens. 671
Dieses eioatomige Chlorid verbindet sieh mit einem zweiten Molecfil Tri-
äthylphosphin :
und erzeugt das zweiatomige Hex&tbjl-meihylendiphosphoniumchlorid,
welches schon beim Eindampfen mit Wasser nach der folgenden Glei-
chung zerflÜIt:
Methyltriäihylphos- Tiiäthylphos-
phoniamchlorid. phinoxyd.
PcSHÄh'^'lci + ^«^ = p(eA),(eH,)Ci + P(GA),e + hci.
Das aus Jodoform dargestellte Methylenjodid ($. 952) verh< sich
gegen Tri&thylphosphin genau wie das Chlormethylchlorid» Das Methylen-
bromid dagegen , durch Einwirkung von Brom auf Methylenjodid darge-
stellt, zeigt (nach Hofmann*s Ankündigung) ein völlig verschiedenes
Verhalten.
Arsenbasen des Aethylens.
Die Arsenbasen des Aethylens sind den Phosphorbasen völlig ana- 989.
log. Bei Einwirkung von Triftthylarsin auf Aethylefibromid erhält man
gleichzeitig ein einatomiges und ein zweiatomiges Bromid:
TriÄthyl-lUliylen-arBoniambromid ^«(^f jH»), | ^^^^ i Er
HexfiUiyl-äthylen-diarsoniumbromid
A8(6sH^,
As(6/
Das erstere Bromid verliert bei Einwirkung von Silbersalzen nur
die H&lfte seines Broms, es verhält sich wie:
Triäthyl-bromfithylarsoniombromid Aaie^^M^^^J^T^) • Br
Das Platinsalz ist dem Triäthylbromäthylphosphoniumplatinchlorid
entsprechend zusammengesetzt und mit diesem isomorph. Setzt man zur
Lösung dieses einatomigen Bromids einen Ueberschuss von salpetersau-
rem Silberoxyd und dann zum klaren Filtrat Ammoniak, so wird die
zweite Hälfte des Broms als Bromsilber gefiült Aber während die ana-
loge Phosphorverbindung bei entsprechender Reaction das Triäthyl-äthylen-
phosphoniumhydrat liefert, entsteht bei der Arsenverbindung das:
TriÄthyl-vinylsrsomumhydrat a A8(e,HJ,(e,H|)|^
g72 Zweiatomige Radicale: OoHso.
als stark alkalische Lösung, aus welcher leicht ein octaßdrisch kiystalli-
sirendes Platinsalz erhalten wird.
Das einatomige Bromid verbindet sich wie die entsprechende
Phosphorverbindung mit Ammoniak oder Aminbasen zu Stickstoff und
Phosphor enthaltenden Verbindungen (§. 9903-
Bei Einwirkung von Triäthylarsin erzeugt es das zweiatomige Hex-
äthjläthylendiarsoniumbromid. Aus diesem entsteht durch Silberozyd
eine starke Base, das:
Hexäthyl-äthylen- AB^(ß2^A)i^2^i)% ( rx — Aß(e jHj), j „^1^
diarBoniumhydrat. ^^\^2 - A8(eA),r^°ne
Aus dieser können leicht Salze dargestellt werden, von welchen
das Jodid besonders schön krystallisirt. Das Platinsalz hat die Zusam-
mensetzung.
Das Goldsalz ist entsprechend zusammengesetzt
Antimonbasen desAethylens sind bis jetzt nicht näher untersuchL
Gemischte Basen des Aethjlens.
990. Es wurde oben ($$. 986, 989) erwähnt, dass die einatomigen Bro-
mide des Triäthyläthylenphosphoniums und des Triäthyläthylenajrsonioms
sich direct mit Ammoniak oder vom Ammoniak sich herleitenden Basen
verbinden und so Bromide von Aethylenbasen erzeugen, die gleichzeitig
Stickstoff und Phosphor oder Stickstoff und Arsen oder auch Phosphor
und Arsen enthalten. Hof mann hat so die folgenden Verbindungen
erhalten, für welche die sie bildenden Substanzen sich direct aus den
Formeln und den Namen ergeben:
Triäthyl-ÄÜiylcn-phGsphammo. ^(ßA)*\cLu JBr
niumbromid. N N, \^^^^\Br
Triäthyl-mcthyl-äthyien-phosph- PC^aH^), l^"^ «Br
ammoniumbromid. NfGH "IH ' ^^^^
Teträthyl-äthylen-phosphammo- PC^aH»)! 1^ g |Br
niumbromid. NCeiH^Hj» " *'^'
Triäthyl-trimethyl-äthylen-phosph-
ammoniambromid. :
SulAirylTerbindaDgen der Radicale: OnHio. 673
Triäthyl-ftthylen-arsammomain- AsrOaHa).)^!'^ i^^
bromid. K H, f^^^^Br
Hexfithyl-äthylen^phosphareo-
niumbromid.
Jt3«---i£
Alle diese Verbindungen verhalten sich wie zweiatomige Bromide;
sie verlieren leicht die beiden Bromatome und geben bei Behandeln mit
Silberoxyd stark kaustische Basen, die dem Hexäthjläthylenphosphonium-
hydrat und der analogen Arsenbase entsprechen. Die Platin- und Goldr
salze sind den correspondirenden Salzen dieser beiden Basen analog zu-
aammengesetzt
Das Hexäthylftthylenphospharspniumbromid zerfollt beim Erhitzen
in Tri&Üiyl&ihylenphosphoniumbromid und Tri&thylarsin.
Im Folgenden sind die bis jetzt bekannten Bromide vom Typus : 991.
2NH3.62H4Br2 in empirischen Formeln (Bildungsformeln) zusammen-
gestellt:
ejH^.Brj) ejH^.Brj) 6,114. Bra) eÄ-Br^i ejH4.Br2) eX-Br-
(6H3),N (62H,),N (GaH,),? (e^H,),? (e^H,),? [ (ejH,),?
(eHa),N S (e2Hj)aN^ . H3 n\ (eH,)H2N^ (eaH^)H2Ni (eH,),N
e3H4.Br2) esHf.Br,) eaH4.Br2 ) eaH4.Br, \
(eaH5),P [ (eaH.), As [ (OaH,), As (eaH,), As
(eaH»),Pi H, nV (GaH,),? ) ißJ^^^t^S
Sulfürjlverbindungen der Radicale: QJivi.
Man kennt eine Anzahl von Substanzen , die ihren Bildungsweisen 992.
nach durch Fx>Tmeln ausgedrückt werden können, in welchen die zwei-
atomigen Radicale: OnH^n und gleichzeitig das zweiatomige Radical der
Schwefelsäure (Sulfuryl = SO2) enthalten sind. Diese Körper können
von den folgenden drei Typen abgeleitet werden:
nH20
nHjO + H,
nHjO + 2H,
Dem ersten dieser drei Typen gehört die Sulfoglycolsäure an.
Vom zweiten leiten sich ab das Carbylsulfat, die Aethionsäure
und die Is&thionsäure. Die s. g. Disulfosäuren (Disut&tholsäufe
und ihre Homologen) gehören zum dritten. Typ.. . .
KekaU, orgu. Cliaaie. 48
674 Zweiatomige Radicale: SuHtti.
993, I. Sttlfoglycolsfture. Olycolschwefelfiftiire« Sie entsteht, wenn
Olycol mit Schwefelsäure aaf 150® erhitzt wird, nach dem Schema:
Glycol. Solfoglyools&ure.
Dos Barytsalz ist in Wasser sehr lösli(^ und kaum krystallisirbar. Nsck
der Zusammensetzung dieses Barytsalzes scheint die Gljcolschwefelsäure einbasisch
zu sein (Simpson) *).
994. IL Carbylsulfat, Aethions&ure und Is&thions&are. Mag-
nua 1833. Regnault 1837. Das Aethylen vereinigt sich direct mit Sehwe-
felsäureanhydrid zu Garbylsalfat. Dieses yerbindet sich leicht mit
Wasser und erzeugt so Aethions&ure. Beim Kochen dieser Lösoog
zer&llt die Aethionsäure zu Is&thionsäure und Schwefelsäure. Man hat:
Aethylen. Carbylsulfat.
"GJä^ ^ 2 90*2 '^ ^ ^iH4»CSOf)j.02
Carbylsulfat. Aethionsäure.
eA.(S^a)a.O, + H,e = eaH4.(Se,),.H,.0,
Aethionsäure. Isftthionsäure.
Nach ihrer Bildung können diese Substanzen durch die folgendeD |
typischen Formeln ausgedrückt werden, in welchen das Radieal Aetfaylea j
und das Radieal der Schwefelsäure angenommen sind (vgl. auch §. 355): |
Carbylsulfat. Aethionsäure. Isäthionaäure. \
)
S0jj Hx H\ J
6aH4>0a SOjl ^a^*(rv M
SOq/ ^ASOi S0jt A
Die Bildung des Carbylsulfats , seine Umwandlung in Aethionsäure
und die Spaltung dieser in Isäthionsäure und Schwefelsäure, kann doieh
Umlagerung der zweiatomigen Radicale erklärt werden (vgl. $. 226).
Das Carbylsulfat verhält sich wie das Anhydrid der Aethionsäue;
die Aethionsäure ist eine zweibasische, die Isäthionsäure eine einbasische
Säure.
^) Ann. Chem. Pharm. CXII. 146.
^ SnlföBävren. 675
Dieselben Sabfitansen werden such erhaUen, wenn Sohwefelsäure- 995.
luibydrid auf Alkohol einwirkt. Ihre Bildung auf diesem Wege ist leicht
verständlich, wenn man sich erinnert, dass der Alkohol die Zusammen«-
setsung von Aethylen -|- Wasser hat. Es entsteht dabei stets gleichzeitig
Aethylschwefels&nre (S. 677). Wird während der Einwirkung alle Er«
wärmung vermieden, so wird wesentlich Aethionsäure und Carbylsulfat
gebildet; lässt man die Substanzen während der Einwirkung sich erhitzen
oder kocht man nach beendigter Einwirkung mit Wasser, so entsteht
wesentlich Isäthionsäure. Ueber den Vorgang bei Bildung dieser Sub-
stanzen aus Alkohol vgl. $. 356.
Carbylsulfat, Aethionsänreanhydrid, bildet farblose, bei etwa 80® schmel- 99e.
sende Eiystalle.
Aethionsäure. Die freie Säure zersetzt sich schon beim Verdunsten der
w&ssiigen Lösung in der Kälte. Die Salze sind etwas beständiger, sie enthalten
zwei Aequivalente Metall.
Isäthionsäure. Die Isäthionsäure ist isomer mit der Aethylschwefelsäure
(S. 677) und einbasisch wie diese. Man erhält den in glänzenden Blättchen kry-
stallisirenden isäthionsauren Baryt leicht indem man Alkohol mit Schwefelsäure-
anhydrid sättigt, mit Wasser verdünnt, längere Zeit kocht und mit kohlensaurem
Baryt neatralisirt. Die freie Säure kann bis zur Syrupconsistenz abgedunstet werden,
zersetzt sich aber bei weiterem Eindampfen. Sie bildet zerfliesslichc Erys^llnadeln.
Die Salze der Isäthionsäure sind krystallisirbar und zersetzen sich meist erst
über 200*.
Wenn man das in rhombischen Taleln krystallisirende und bei 180® schmeL
zende Ammoniaksalz längere Zeit auf 210® — 220® erhitzt, so verliert es 10— -12
Proc. Wasser und liefert ein Amid, welches identisch ist mit Tau r in. (Strecker)*).
Durch Ein^yirkung von Phosphorsuperchlorid auf isäthionsaures Kali ent-
steht nach einer vorläufigen Mittheilung von Eolbe **) ein Chlorid, aus welchem
Ghloräthylschwefelsäure , Aethylschwefelsäure und Tanrin erhalten werden können.
Die Isätltionsäure verhält sich bei dieser Reaction der Milchsäure und der
Glycolsäure analog. Das Taurin ist für die Isäthionsäure genau was das GlycocoU
fElr die Glycolsäure ist, d. h. es ist das Monamid der Isäthionsäure.
Taurin, Isäthionamid : ^^HiNOaS. Das Taurin wurde 1826 von 997.
Gmelin aus Ochsengalle dargestellt. Strecker zeigte, dass die Galle
eine Stickstoff- und schwefelhaltige Säure enthält, die Taurocholsäure,
und dass diese sich unter Aufnahme von Wasser spaltet in Taurin und
Cholsfture:
Taurocholsäure. Cholsäure. Taurin.
•> Ann. Chem. Pharm. LZVIL SO.
••) ibid. CXDL 241.
4B*
676 Zweiatomige Ritdicale: OnHia.
Seitdem hat man das Taurin im Darminbalt, im Lungengewebe, in
den Nieren und ferner in einzelnen Mollusken, im Schliessmuskel der
Auster etc. aufgefunden. Die Bildung des Taurins aus Is&thionsftnre un^
mithin die synthetische [Bildung aus Aethylen wurde 1854 von Strecker
entdeckt.
Das Taurin kann durch die typische Formel ausgedrückt werden:
H) H
W TypoB: P
H
H}N
Man erhftlt das Taurin am leichtesten aus Ochsengalle indem man dieselbe
längere Zeit mit Salzsäure kocht, von den harzartigen Substanzen abfiltrirt, da«
beim Verdunsten des Filtrats sich ausscheidende Kochsalz entfernt und die rück-
ständige Flüssigkeit mit Weingeist vermischt, wobei sich das Taurin nach einigtr
Zeit ausscheidet. Man kann auch Galle durch längeres Stehen faulen lassen, mit
Essigsäure iUlen , das Filtrat eindampfen und durch Alkoholzusatz das Taurin ab-
scheiden.
Das Taurin krystallisirt in glasglftnzenden monoklinometriscbeD Pris-
men. Es löst sich leicht in heissem, weniger in kaltem Wasser; in Al-
kobol und Aether ist es unlöslich. Es schmilzt und kann bis 240® eriutii
werden ohne Zersetzung zu erleiden. Von Mineralsäuren, selbst von Sal-
petersäure wird es nicht angegriffen. Beim Abdampfen mit Kali entweicht
Ammoniak und der farblose Rflckstand enthält schwefligsaures und esag-
saures Salz.
Das Taurin ist isomer mit schwefligsaurem Aldehydammoniak (§. 840>
998. m. Disulfosäuren. Man kann die als Disulfos&uren bezdchnelei
Säuren durch die folgenden typischen Formeln ausdrücken:
Typus. Disulfomethol- DisulfUthol- Disulfopropiol-
säure. säure. säure.
H,
H^e mJ^* mS^» eei?^»
Die erste dieser Säuren wurde schon 1835 von Liebig *) entdeckt
und als Hethions&ure bezeichnet.
Han erhtflt ihr Baiytsalz, wenn man Aether ohite abztikflhien mit SchmAI-
eHa)
«Ax
€,H,
* i
M ^
•
tSüjf
t3U«i
■
SO*
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^.
,«»
H»;
■
H,
r
H,
*) Ann. Chem. Pharm. XIIL 85; vgl. femer: Redtanbadierf iUd. OUSODUSMi
Wetherill, ibid. LXVI. 122. - : .. .' r
' SidfoBiimii. S77
s&nreanhydrid sttttigt, mit Wasser kocht, mit kohlensaurem Barjt nentralisirt nnd
das eingeengte Filtrat mit Alkohol mischt
Hofmann und Buckton*) lehrten die Darstellung der Disulfo-
Bfturen durch Einwirkung von Schwefelsäufeanhydrid oder von rauchen-
der Schwefelsäure auf die Nitrile oder Amide der fetten Säuren oder
auch auf die fetten Säuren selbst. Sie zeigten, dass die aus Acetonitril
erhaltene Disulfometholsäure identisch ist mit Methionsäure. Diese Iden-
tität wurde durch Versuche von Strecker**) bestätigt — Buff***)
fand dann, dass die Disulfätholsäure auch bei Oxydation des Sulfocyan-
äthylens ($.968) durch Salpetersäure entsteht. In neuester Zeit beobach-
tete Strecker f ) die Bildung von Disulfometholsäure bei Einwirkung von
rauchender Schwefelsäure auf Milchsäure.
Die Bildung der Disulfosäuren aus den Nitrilen, Amiden oder auch
den Hydraten der um 1 At. 0 reicheren fetten Säuren erklärt sich aus
der Beobachtung, dass bei Einwirkung von Schwefelsäureanhydrid auf
Acetonitril oder auf Essigsäure zuerst Sulfacetsäure gebildet wird, die
dann bei Einwirkung von überschüssigem Schwefelsäureanhydrid unter
Entwicklung von Kohlensäure zu Disulfometholsäure wird.
Die Sulfacetsäure kann dorch die typische Formel:
Ha)
aoBgedrtickt werden (vgl. §. 855). Diese Formel kann dann (ähnlich wie die For-
mel der Essigsäure) weiter aufgelöst werden zu:
S^a\
hJ
Bei Einwirkung von Schwefelsäureanhydrid wird nun das R4idical: 60 ausgetauscht
gegen das Radical: SO^; man hat:
Sulfacetsäure. Disulfometholsäure.
e
X P — ^^
J V
Ha
e _- . »>e, + ee.e
Die Disulfosäuren sind zweibasisch und sehr beständig; ihre Salze
sind zum Theil schön krystallisirbar.
*) Ann. Chem. Pharm. C. 129.
••) ibid. C. 199. > ,
•••) ibid. C. 281.
t) ibid. CXVIII. 290/
678
Zweiatomige Radioale:. €lBHu-t0.
Vierte Gruppe.
Verbindungen der zweiatomigen Oxykohlenwasserstoffiradicale: GaBu^^.
999. Dieselbe Beziehung, welche zwischen den einatomigen Alkoholen
und den einatomigen Säuren (fetten S&uren) statt hat (vgl. $. 792), flndet
sich wieder für die zweiatomigen Alkohole (Glyoole) und die jetzt lo
besprechende Gruppe zweiatomiger Säuren.
Man kennt eine mit der Reihe der Glycole parallel laufende Rdbe
von Säuren, die für gleichviel Eohlenstoffatome zwei Atome Wasserstoff
weniger und dafür ein Atom Sauerstoff mehr enthalten.
Zweiatomige
Zweiatomige
Alkohole.
Säuren.
Methylglycol
GH^e,
G H2O, Kohlensäure *)•
Glycol
GjH^ O2
GsHfO, . Glyoolsäure.
Propylglycol
GjHg Oj
6,HeG, MUchsäure.
Butylglycol
G4H10Ö1
G4Hse, Butylactina&ure.
Diese zweiatomigen Säuren stehen andererseits zu den feiten Sin-
ren genau in derselben Beziehung wie die zweiatomigen Alkohole sn dea
einatomigen; sie enthalten bei sonst gleicher Zusammensetzung geradeia
ein Atom Sauerstoff mehr im Holeottl (vgl. S- 930).
Einatomige
Zweiatomige
Säuren.
Säuren.
Ameisensäure
GH,e,
G H^G, Kohlensäure.
Essigsäure
Ö1H4G,
G2H4G, Giyoolsäure.
Propionsäure
GjHeGj
GsH^G, Milchsäure.
Buttersäure
64H3GS
G^HtGa Butylactinsäare.
eta
eto.
1000. Diese Beziehungen treten deutlich hervor, wenn man die zweiato-
migen Säuren durch Formeln ausdrückt, welche den Formeln der Gljoole
und gleichzeitig den Formeln der fetten Säuren analog sind. Z. B.:
*J Die Eohlensänre ist als Hydrat nicht bekannt, man kennt nur ihre Salw
und Aether. Ebenso kennt man vom Methylglycol nnr Verbindungen mä
Säuren z. B. das Diacetyl- methylglycol (vgL SS* 962, 969).
. Zweiatomige
8äaren.
Alkohol.
Esrigsftore.
Qlycol,
Oljcolsäure.
679
Solche Formeln — in welchen Atomgnippen von der Form: OnH2o>20
als zweiatomige Radicale angenommen sind — drücken ausser die-
sen Beziehungen noch die wichtigsten Eigenschaften der betreffenden
Säuren aus, sie gjsstatten ferner die wichtigsten Abkömmlinge dersel-
ben durch einfache und an die verwandtschaftlichen Bande erinnernde
Formeln darzustellen. Aehnlich indess wie bei den fetten Säuren die ge-
wöhnlichen Formeln nicht alle Metamorphosen und nicht alle Beziehun-
gen zu andern Körpern umfassen, so auch hier, wenn gleich in weniger
hervortretendem Grade, weil die zweiatomigen Säuren noch verhältniss-
massig wenig erforscht sind.
Man kann znm Hervortretenlassen mancher Analogieen und in derselben
Weise wie man die Formeln der fetten Säuren weiter aufgelöst hat auch die For-
meln dieser zweiatomigen Säuren weiter auflösen:
Glycolsänre.
Typus.
H
0 f
H,
1:
Da indess die einfacheren Formeln die wichtigsten Beziehungen und gleich-
zeitig das Gesammtverhalten der betreffenden Säuren hinlänglich ausdrucken, so
sind im Folgenden diese einfacheren Formeln vorzugsweise gebraucht.
Die wichtigsten Glieder dieser Gruppe, das heisst die wichtigsten 1001.
derjenigen Verbindungen, deren chemische Natur durch Annahme zwei-
atomiger Radicale: ©nH^n-iO in typischen Formeln ausgedrtlckt werden
kann, sind die Säuren selbst, also die vom verdoppelten Wassertyp sich
ableitenden Verbindungen.
Die bis jetzt bekannten Säuren dieser Gruppe sind :
980
Zweiatomige Rsdicale: €^iHta— «&•
/
'
Empirische
Formel.
Rationelle
Formel.
GnH^oO,
e„H2„-2eu
Kohlensäure
G Mj Oj
OJjcols&ure
6jH4 O,
n^ö.
Milchsäure
©jHe 03
e.H«ej^^
Butylactinsäure
©4^8 ^3
e.Mje,
.
LeuciDsäure
©aHijOg
^•^fj^.
Diese Sfture sind zweiatomig; d. h. sie leiten sich von »wei
Mol. Wasser als Tjpus ab, das in ihnen angenommene Radical ist
zwei Atomen Wasserstoff äquivalent und sie enthalten zwei Atome
durch Metalle oder Radicale vertretbaren Wasserstoff.
Bei dieser Analogie zeigen indess die verschiedenen Glieder dieser
Säurereihe eine auffallende Verschiedenheit des Verhaltens. Das erste
Glied der Reihe, die Kohlensäure, bildet leicht Balze mit zwei Aequivft-
leht Metall, sie ist entschieden zwei basisch. In den Obrigen Säuren
dagegen wird von den zwei typischen Wasserstoffatomen nur das eine
mit Leichtigkeit gegen Metalle ausgetauscht, das andere dagegen niciit
Mit andern Worten diese Säuren sind, obgleich zweiatomig, doch nur
einbasisch.
Diese Verschiedenheit zwischen der Kohlensäure und den mit ibr
homologen Säuren lässt es zweckmässig erscheinen, zunächst die Kohlen-
säure und alle von ihr sich ableitenden Verbindungen zu besprechen und
dann später die übrigen Säuren dieser Reihe nebst ihren AbkömmlingeB
zusammenzustellen.
Die Erklärung des eigen thümlichen Verhaltens der mit der Koblefl*
säure homologen Säuren und ebenso die Erörterung der Frage, wamin
die Kohlensäure selbst diese Eigenthümlichkeit nicht zeigt, bleibt späte-
ren Betrachtungen vorbehalten.
681
Carbonyl verbin düngen.
Das Radical Carbonyl = €0 kann betrachtet werden als Methy- 1002.
len (§. 952) , dessen Wasserstoff durch die äquivalente Menge Sauerstoff
ersetzt ist. Es ist zweiatomig wie das Methylen, aus dem es sich ableitet
und wie sich dies ausserdem aus den früher über die chemische Natur
des Kohlenstoffs mitgetheilten Ansichten ergibt (vgl. auch $. 300).
Die einfachsten Verbindungen des Radicals Carbonyl sind, bei ty-
pischer Betrachtung, die folgenden:
Typus.
Eohlenozyd.
: H,
KohlenBäore.
Carbonylchlorid.
Haeimd2HCl
ee.e
«^181
Saure kohlen-
Neatrele kohlen-
Aethyl-Kohlen-
Kohlensänre-
saure Salze.
saure Salze.
säure.
&thyl&(her.
2H,e
(e,H,),r»
Das Eohlenoxyd ist das isolirte Radical Carbonyl, es entspricht dem
Aethylen (§.942). Die gewöhnlich als Kohlensäure bezeichnete Verbindung ist
das eigentliche Anhydrid, sie entspricht dem Aethylenoxyd (§. 966). Das Carbo-
nylchlorid oder Phosgen ist die dem Aethylenchlorid (§. 953) correspondirende
Verbindung. Die dem 61ycoI (§. 965) entsprechende Substanz, das Kohlen-
säurehydrat ezistirt für die . Carbonyl Verbindungen nicht j es spaltet sich bei
all den Reactionen bei welchen es der Theorie nach entstehen sollte in Anhydrid
und Wasser. Die Kohlensäure ist indess, wie dies den übrigen Analogieen nach
erwartet werden darf, eine zweibasische Säure *, sie bildet saure und neutrale Salze
und ebenso saure und neutrale Aetherarten.
Als Carbonylverbindungen können ferner betrachtet werden: die
Ameisensäure (§. 830) und die Chlorameisensäure (Carbonyl-
chlorhydrat) , von welcher übrigens nur die Aetherarten bekannt sind
(vgl. S- 836). Man hätte bei dieser Auffassung:
Typus. Ameisensäure. Chlorkohlen-
säureäther.
«H
Die zahlreichen amidartigen Verbindungen des Garbonyls
werden nachher besonders zusammengestellt (§. 1012).
In vielen der oben erwähnten Carbonylverbindungen kann aller 1008.
Bauerstoff durch Schwefel ersetzt werden; für manche ezistiren ausser-
682 Carbonylverbindnngen.
dem Abkömmlinge, die gleichseitig Sanerstoff und Schwefel enthalta.
Alle diese schwefelhaltigen Verbindungen sind $$. 1036 u. ff. beschrieben.
Da viele Garbonylverbindungen gewöhnlich in der unorganisdieB
Chemie abgehandelt werden, so genflgt hier eine kurze ZusammensteUimg
ihrer wichtigsten Eigenschaften, namentlich derjenigen, die die betreffai'
den Körper als Verbindungen des sweiatomigen Carbonjls ehcurakterisirei
und so ihre Stellung im System der Kohlenstoffverbindungen besdehncB.
1004. Kohlenoxyd 60; entdeckt gegen Ende des vorigen Jahrhanderts
von Lasonne und Priestley. Es entsteht leicht durch Reduction der Koh-
lensäure, z. B. wenn man Kohlensäure über glühende Kohle oder glühe»-
des Eisen leitet oder wenn man kohlensaure Salze (z. B. Kreide) mit
Kohle oder Eisen glüht. Es bildet sich ferner, wenn Kohle mit schwer
reducirbaren Metalloxyden (Zinkoxyd, Eisenoxydul) geglüht wird und
auch wenn Wasserdampf auf glühende Kohle einwirkt. Ob der Kohlen-
stoff direct zu Kohlenoxyd zu yerbrennen im Stande ist, ist noch nicht
mit Sicherheit nachgewiesen; das bei Verbrennung von Kohle bei uDg^
nügendem Luftzutritt erzeugte Kohlenoxyd ist vielleicht Reducüonsprodoet
der anfangs erzeugten Kohlensäure.
Das Kohlenoxyd entsteht femer häufig als Spaltungsproduet organi-
scher Substanzen. So zerfällt z. B. Ameisensäure (und ebeoBO amei-
sensaure Salze) unter dem wasserentziehenden Einfluss von concentrirter
Schwefelsäure, zu Kohlenoxyd und Wasser:
Ebenso liefern Cyanwasserstoff und Metallcyanide (amidartige Ve^
bindungen der Ameisensäure) bei Einwirkung von Schwefelsäure Kob-
lenoxyd.
Oxalsäure zeri&Ut beim Erwärmen mit Schwefebäure in gleidie
Volume Kohlenoxyd und Kohlensäure:
e2Hae4 = ee + eoa + H,e
Zur Darstellung von Kohlenoxyd erwärmt man Oxalsäure oder ein ozalsai-
res Salz mit etwa dem sechsfachen Gewicht Schwefelsäurehydrat and wascht öm
Gas mit Kalkmilch oder Natronlauge. Oder man erwärmt gepulvertes Blaüaugea-
salz mit dem acht- bis zehnfachen Gewicht Schwefelsäure, entfernt sobald d«
Schäumen beginnt das Feuer und unterstützt erst gegen Ende die Reaction dordi
Erwärmen. Das schon ziemlich reine Kohlenozyd wird noch mit Natronlauge g^
waschen *).
*) Fownes, Ann. Chem. Pharm. XLVIU. 88; Ramdohrn. Orimm, ibid. ZCVIUm
Kohlenozyd. 683
Das Kohlenozyd ist ein Äirbloses permanentes Gas, es wirkt
«ingeafhinet nicht nnr erstickend, sondern giftig. Es brennt angezündet
mit blauer Flamme und oxydirt sich so leicht, dass es bei yerh&Itniss*
m&ssig niederen Temperaturen die meisten Hetalloxyde reduoirt. Von
Kalium und Natrium dagegen wird es bei höherer Temperatur nnter Ab-
scheidung von Kohle zersetzt
Löslichkeit in Wasser und Alkohol vgl. §. 491.
Eine Lösung von EupferchlorÜr in Salzs&ure oder in Ammoniak absorbirt
reichliche Mengen von Eohlenoxyd; die salzsaore Lösung setst nach dem Sättigen
perlmntterglftnzende BUttchen . ab, die ann&hemd die Zusammensetznng : 60,
2Cn,Cl, 2H3e zeigen *).
Das Kohlenoxyd verbindet sich direot mit Chlor zu Garbonjlchlorid.
Bei längerem Erhitzen mit Kali- oder Natronhjdrat, mit Kalk oder
Baryt wird es absorbirt, indem ein ameisensaures Salz entsteht. Bei Ge-
genwart von Alkohol oder Holzgeist erfolgt diese Vereinigung leichter
als bei Anwendung wftssriger Lösungen. Natrium&thylat (§. 650) erzeugt
bei l&ngerem Erhitzen mit Kohlenoxyd neben Ameisensäure auch etwas
Propionsäure (Berthelot) ♦^ vgl. §. 819.
Carbonylchlorid, Chlorkohlenoxyd, Phosgen: eO.Cl^; entdeckt 1006.
von Davy 1812. Es entsteht durch directe Vereinigung von Kohlen-
oxyd mit Chlor. Beide Gase wirken im Dunkeln nicht, im zerstreuten
Tageslicht langsam, bei Einwirkung des directen Sonnenlichtes rasch.
Statt des freien Chlors kann auch erwärmtes Antimonsuperchlorid ange-
wandt werden ***). Das Carbonylchlorid entsteht femer als Zersetzungs-
product des Perchlormethyläthers ($. 838), des Perchlorameisenmethyl-
ftthers (§. 836), des Perchlorameisenäthyläthers etc.
Das Carbonylchlorid ist ein farbloses, erstickend riechendes Gas.
Es wird von Arsen, Antimon» Zink etc. bei höherer Temperatur zersetzt
unter Freiwerden von Kohlenoxyd; beim Erwärmen mit Zinkoxyd liefert
es Kohlensäure und Zinkchlorid.
Es zerfällt mit Wasser zu Saksäure und Kohlensäure:
^^r:>\[
0gr~7^\' ^
Cl, = 60.0 + 2HC1.
Bei Einwirkung auf Alkohole verliert es nur die Hälfte seines Chlors
und erzeugt Chlorkohlensäureäther. Z, B. :
Carbonylchlorid. ChlorkohlenBfturefither.
'*) VgL Leblanc, Ann. Chem. Pharm. LXXVL278; Berthelot, ibid. XCVIIL 392.
••) Ann. Chem. Phann. XCYIL 125; CVm. 188 und Ann. ehim. phye. LZI. 468.
684 CarbanyWerbindiiiigen.
Das Carbonylcblorid verhält -sich bei diesetBeaedikDil wiediaChlonl
der gechlorten Ameisensäure. Die erzeugten AeÜier können als GkUt
am ei 8 enäth er betrachtet werden ($. 836). , ' • -
Diese Aether zersetzen sieb schon bei Einwirkung von Wasser, b»
sonders beim Erwärmen.
Mit Ammoniak erzeugen sie Carbaminsäure&ther (§. 1016):
A'rA Cl Hl
Sie zeigen demnach das Verhalten von Carbonylverbindungen.
Die Chlorkohlensäurefitber *) sind stechend riechende FlüssigkeitEi
Der Methyläther siedet unter 100<^; der Aethyläther bei 94^ Der ChlorkoUensSo»
smyläther zersetzt sich beim Erhitzen unter Abscheidung von Kohle in Kdik-
säure, Salzsäure und Kohlensäure-amyläther ; auch von Wasser wird er anter Bä-
dung von Kohlensäureamyiftther zersetzt.
1006. Kohlensäure, Kohlensäure -anhydrid: GOj. Schon LibaTiw
und van Helmont kannten die Kohlensäure; Lavoisier zeigte 177S,
dass sie eine Sanerstoffverbindung des Kohlenstoffs ist. Die KohlensioR
ist das ständige Oxydationsproduct des Kohlenstoffs und der koUeostf
faaltigen Verbindungen. Sie bildet sich bei den als Verbrennung beKÜ
neten raschen Oxydationen mittelst Sauerstoff oder sauerstoffhaltigen Ver-
bindungen; sie entsteht ebenso bei den langsamen Oxydationen, die na
als Fäulniss, Verwesung, Vermoderung etc. bezeichnet; sie wird in ib
lieber Weise auch bei dem Athmungsprocess erzeugt. Sie ist fener es
sehr häufig auftretendes Spaltungs - und Zersetzungsprodnot kohlenstolhl-
tiger Verbindungen; sie entsteht u. A. auch bei der Oährung.
Die Kohlensäure findet sich in grosser Menge fertig gebildet ii
der Natur. In freiem Zustand in der Luft; gelöst in allen Wassers , ib
einzelnen Quellwassern (Säuerlingen) in besonders reichlicher Menge, h
Verbindung mit Basen bildet sie eine grosse Anzahl vdn Mineralien, tob
welchen einige, besonders der kohlensaure Kalk, so verbreitet sind, dtf
sie einen grossen Theil der festen Erdrinde ausmachen. Sie spielt in
Haushalt der Natur eine ungemein wichtige Rolle und ist namentlich eii»
der hauptsächlichsten Nahrungsmittel der Pflanzen.
Zur Darstellung der Kohlensäure zersetzt man gewöhnlich ein kohleosiVB
Salz durch eine Säure; z.B. Marmor durch Salzsäure. Ein sehr regelmässiger Str»
von Kohlensäure wird erhalten, wenn man Kreide mit cöncentrirtcr SchwcfdiSo«
Übergiesst und allmälig Wasser zufliessen lässt.
Die Kohlensäure ist ein farbloseäGas von eigcnthümlichem, *l>ff
•) Dnnlas u, Peligot, Aan. Cham. Pharm. XV. 39. — Dumas, ibid..X2ff-
Medlock, ibid. L2UX. 217 und LXXI. 104.
Kohlenaäure. 6^5
Wenig hervortretendem Oeruch. Spec. 6ew. 1,529. Löslichkeit in Wasser
und Alkohol vgl. $. 491. Sie ist nicht brennbar und wirkt erstickend j
aber nicht giftig. Die gasförmige Kohlens&ure wird durch starken Druck
KU einer wasserhelien FlOssigkeit verdichtet. (36 Atmosphären bei 0^;
45 Atmosphären bei l5^.) Die flassige Kohlensäure erstarrt bei — 70^
zu einer glasartigen Masse; durch rasches Verdunsten der flüssigen Koh-
lensäure wird ein Theil fest, als weisse schneeartige Masse. Bei gewöhn-
lichem Druck kann die gasförmige Kohleneäure durch die beim Verdun^
sten von flassigem Ammoniak im luftleeren Raum erzeugte Kälte zur
Flüssigkeit verdichtet werden. Wird dieselbe Abkühlung und gleichzeitig
ein Druck von 3 — 4 Atmosphären angewandt, so erhält man durchsich- '
sichtige Krjstalle von fester Kohlensäure (Loir und Drion) *).
Die Kohlensäure ist eine schwache Säure, sie wird von nahezu 1007.
allen andern Säuren aus ihren Salzen ausgetrieben.
Kohlei)sa,ure Salze. Die Kohlensäure ist zweibasisch. Sie bil-
det saure und neutrale Salze. Z. B.:
Saures kohlen-
Neutrales kohlen-
Eohlensaarer
saures Natron.
saures Natron.
Kalk.
h.n4^*
Na,r»
Mit Ammoniak bildet sie ausserdem noch ein Salz von complicir-
terer Zusammensetzung^ das s. g. anderthalb - kohlensaure Ammoniak
(käufliches kohlensaures Ammoniak):
ff
60
0» 4- 2Hae
Aether der Kohlensäure. Als zweibasische Säuren bildet die 1008.
Kohlensäure zwei Arten von Aether. Die neutralen Aether und die'Aether-
säuren, die indess nur als Salze bekannt sind.
I. Aethersäuren der Kohlensäure. Leitet man Kohlensäure
in eine alkoholische Lösung von Alkoholkalium oder auch in eine Lösung
von Kalihydrat in absolutem Alkohol, so wird äthyl-kohlensaures
Kali als weisser Niederschlag gefällt. Das Salz kann in absolutem, Al-
kohol gelöst und durch Aether in glänzenden Blättchen gelallt wenden*
Es wird schon von Wasser in kohlensaures Salz und .Alkohol zersetzt.
Das Natriumsalz entsteht in derselben Weise.
*) Compt. rend. LU. 748.
6g6 CarboiiylTerbiiuii|]ig«ii.
Leitet man Eohlens&ure in eine Lösung von Baryt in MettyUkoU
80 fallen weisse Schuppen von methylkohleasanrem Baryt
II. Die neutralen Aether der Kohlens&ure können diri
Destillation von äthyl- oder methylkohlensaurem Sals mit einem i&»
schwefelsauren Salz erhalten werden (Chancel) *); sie entstehes uek
wenn das Jodid eines Alkoholradioais auf kohlensaures Silber eioi
(Wurtz) **); sie bilden sich endlich bei Einwirkung von Kalium aufOnl
sftureftther unter Entweichen von Eohlenoxjd (Ettling) ^**}.
Man kennt die folgenden:
//
Kohlensäure-Methylftthylftther t) BE, >e, Siedep. ?
KohlensÄnre-Aethyläther (^) }^» Siedep. 126«
Koblensäure-BatylftÜier (6^) 1^^ Siedep. 190«
Kohlensäure-Amyläther tt) (0^)}^» Siedep. 226*
Der Kohlensäure- Aethyläther bildet mit Ammoniak schon beig^
wohnlicher Temperatur Carbaminsäure-äthyläther ($. 1018); wirderisi
Ammoniak auf 100® erhitzt, so entsteht Harnstoff (§• 1016).
Substitutionsproducte des Kohlensäure -üthyl&thers sindT«
Cahours fff ) und Halaguti *) untersucht worden. Man erhält in lereta»
tem Tageslicht den Bichlorkohlensäureäther: G0.(6fiiCl^,^
als sfisslich riechende Flüssigkeit, die sich bei Destillation zum grössla
Theil zersetzt. In directem Sonnenlicht entsteht Perchlorkohlen8illr^
äther: 60. (62015)2.02* Dieser letztere krystallisirt in weissen Nadeh,
die bei 85® schmelzen und bei 66® wieder erstarren. Beim EriiitieD de-
stillirt ein Theil unverändert, während ein anderer Theil zu Triehlorseet)i
Chlorid, Anderthalb-chlorkohlenstoff und Kohlensäure zer&lit:
Perchlorkohlensftnre- Trichloracetyl- Anderthalb-
ftthylttther. chlorid. chlorkohlenstoff.
öftClioOa = OtClaO.Cl + B^Ci^ + €0,
•) AmL Chem. Pharm. IXKJX. 90.
••) ibid. XCm. 119.
•••) ibid. XIX. 17.
f) Chancel, loc. dt.
ff) Medlock, Ann. Chem. Pharm. LXIX 217.
ftt) Ann. Chem. Pharm. XLYIL 298.
•) ibid. LVI. 279.
Amlde. 687
Bei BinwirkuDg von Alkohol entsteht Kohlensäure&ther, Trichlor-
essigeäureftther und Salzsäure.
Amidartige Verbindnngen.
Zum besseren Verständniss der amidartigen Verbindungen der Eoh- 1009.
lensäure ist es geeignet einige Bemerkungen über die Amide im Allge-
meinen vorauszusohicken. — Wir bezeichnen als Amide oder amid-
artige Verbindungen diejenigen stickstoffhaltigen Substanzen, die
durch Vereinigung einer Säure mit Ammoniak unter Austritt Ton Wasser
entstehen ; oder die wenigstens, nach Eigenschaften und Zersetzungen, so
entstanden gedacht werden können. Die allgemeine Bildungsgleichung
der Amide ist demnach:
n Mol. Säure + m Hol. l^Hg — p Mol. H^O.
Normale Amide. Viele Amide stehen in einfacher Beziehung zu
den Ammoniaksalzen. So zwar, dass zu ihrer Bildung Säure und Am-
moniak gerade in den Verhältnissen mitwirken, die bei den Ammoniak-
salzen der betreffenden Säuren stattfinden. Solche Amide können dem-
nach als Ammoniaksalze minus Wasser betrachtet werden. Es ist ein-
leuchtend, dass fflr diese normalen Amide die Basicität der Säure
wesentlich in Betracht kommt: insofern nämlich eine einbasische Säure
nur ein Ammoniaksalz bildet, welches als Ausgangspunkt für Erzeugung
der Amide dienen kann; während bei zweibasischen Säuren sowohl die
neutralen als die sauren Ammoniaksalze durch Wasserverlust Amide zu
erzeugen im Stande sind. Da der Wasserstoff des austretenden Wassers
aus dem Ammonium des Ammoniaksalzes herrührt, so sind für jedes in
dem Salz enthaltene Ammoniumatom zwei yerschiedene Amide möglich;
es wird entweder die Hälfte oder aller Wasserstoff des Ammoniums in
Form von Wasser eliminirt. Man hat denmadi:
Normale Amide:
einbasische Säuren:
Ammoniaksalz
Ammoniaksalz
-zweibasische Säuren:
saures Ammoniaksalz
saures Ammoniaksalz
neutrales Ammoniaksalz
neutrales Ammoniaksalz
Man sieht leicht, dass die eigentlichen Amide sowohl der einbasi-
schen als der sweibasischen Säuren stets aus dem neutralen Ammoniak-
sabfi entstehen indem die Hälfte des Wasserstoflb rom Ammonium aus-
— H,e =
Amid.
— 2H,e =
Nitril.
— H,e =
Ambuftare.
— 2H,0 =
Imid.
— 2HjO =
Amid.
— 4Hje =
Nitril.
C8g Amidaiiige Yerbindangen.
tritt, 80 daes also der Rest NH^ (Amid der Radicaltheorie) flbrigUek
Bei Bildung der Nitrile verlieren die neutralen Salze der einbafliieki
oder zweibasischen Säuren allen Wasserstoff des Ammoniums, so du
nur der Stickstoff in der organischen Gruppe zurQokbleibt AmioiU
ren und Imide sind nur für zweibasische Säuren möglich. Dieentaa
sind wohlcharakterisirte und zwar einbasische Säuren, was sich lade
daraus ergibt, dass das zweite durch Metalle vertretbare Wasserstolitoi
der Säure in dem sauren Ammoniaksalz nicht ersetzt war und der dun
entstehenden Aminsäure erhalten bleibt. Auch die Imide sind b da
meisten Fällen einbasische Säuren.
Ausser den vier oben erwähnten amidartigen Verbindungen zweibttücha
Säuren könnte man noch zwei andere Körper als selbststSndige Anoide betnditB;
nämlich:
neutrales Ammoniaksalz — IH^O
neutrales Ammoniaksalz — SH^O
Die erste dieser Verbindungen 8t«ht zwischen dem neutralen Ammoniaksak vac
dem Amid; sie ist ihrem ganzen Verhalten nach das Ammoniaksalz der Amii'
säure. Die zweite liegt zwischen dem Amid und dem Nitril, sie kann abin^
des Imid*8 betrachtet werden.
Complicirtere Amide. Es kommt häufig vor, daas zurBildof
amidartiger Verbindungen Säure und Ammoniak nicht in den eintuba
Verhältnissen auf einander einwirken, nach welchen sie sich zu den A»
moniaksalzen der betreffenden Säuren verbinden.
Man hat z. B.:
2 Mol. Essigsäore + INH, -* 2H2e r= Diacetamid
1 Mol. Essigsäure -}- 2NH, — 2H,0 = Acetdiamin
für die Kohlensäure kennt man sehr viele solcher complicirter Amide,
die nachher besonders zusammengestellt sind ($$. 1013, 1014).
Gemischte Amide.
I. Ebenso wie zwei oder mehr Molecüle derselben Säure bei Bil-
dung einer amidartigen Verbindung mitwirken können , so können vA
verschiedene Säuren gleichzeitig in Wirkung treten; es entstehen dm
gemischte Amide, welche Reste von verschiedenen Säuren enthalten.
II. Ganz in derselben Weise können zur Bildung amidartiger Ver-
bindungen auch gleichzeitig mit Säuren Alkohole in Wirkung treten^;
die entstandenen gemischten Amide enthalten dann neben einem Be^
der Säure einen Rest des Alkohols.
*) Es bedarf kaum der Erwähnung, dass auf die früher (§§. 709, 978) bes^
ebenen von dea Alkoholen und den Glycolen sich ^ableitenden Essen f^
dies^en Bildungsgleichungen anwendbar sind, wie di^iemgen die ohcfi ^^
die amidartigea Yerbindungen der Simnen mitgetheilt sfa&d^ .
Amide.
689
Ifan kennt s. B. ftir die Essigsftore zwei Verbindungen, die nach den fol-
genden Bildangsgleichungen entstanden gedacht werden können:
1 Mol. Essigsäure + 1 Mol. Alkohol + 1 Mol. NE, — 2 H^e = Aethylacetamid.
2 Mol. Essigsäure + 1 Mol. Alkohol + 1 Mol. KH, — 8 H^O = Aethyldiacetamid.
Für die Kohlensäure ist eine grosse Anzahl solcher gemischter Amide bekannt.
Vgl. SS. 1017 flf.
Zam weiteren YerstäDdiiiss der Bildung der Amide und gleichzeitig loio.
zum Verst&ndniss der Formeln, durch welche die typische Betrachtungs-
weise diese Körper darstellt, mögen beispielsweise die Amide der ein-
basischen Essigsäure und die amidartigen Verbindungen der später zu
besehreibenden zweibasischen Oxalsäure besprochen werden.
Amide der Essigsäure.
Essigsaures Ammoniak.
NH,r
gibt:
NH,Ha
Typische Formeln.
" H/N Acetamid.
und: ^*^jJ|h|^ = eaHj.N Acetonitril.
Amide der Oxalsäure.
Neutrales oxalsaures Ammoniak.
NH,
gibt: e/e,
NHa
im«
NH«
e,e, e.
nnd:
N
N
= HjPi Oxwnid.
= ^ jj Oxalonitril (Cyen).
Saures oxslsanres Ammoniak.
TSE,
€,0,J^» gibt: e.
nnd:
>,e,L_i_
H 1^
H,
Oxaminsänre.
NE
H
Oximid
' = *^p (unbekannt)
Man sieht, daas die typische Betrachtung in allen amidartigen Ver-
bindungen, fär welche es zulässig ist, dasselbe Radical annimmt wie in
den Säuren, aus welchen dieselben ei^tstanden sind. Sie betrachtet die
Amide, in welchen der RestNH) yom Ammoniak enthalten ist, als dem
Typus Ammoniak zugehörige Verbindungen; als Ammoniak, in welchem
^/s des Wasserstoffs durch das Radical der Säure ersetzt ist Für die
Aminsäuren, in welchen derselbe Rest (NH^) zurflckgeblieben ist, be-
KeknK, organ. Cheaie. 44
690 Carbonylvcrbindangen.
nutzt sie flQr diese Seite der Formel dieselbe Schreibweise; die andere,
gewissermassen unzersetzt gebliebene Qälfle des Ammoniaksalzes schreibt
sie wie das Ammoniaksalz und wie das Säurehj'drat selbst Nach da
rationellen Formeln, durch welche die Tjpentheorie dieAmide, dieAnm-
säuren und auch die Imide der zweibasischen Säuren darstellt, geböra
diese Körper zu den Typen:
NH3 2Ne3 NH3 + H,0
in welchen stets zwei Atome Wasserstoff durch das zweiatomige S&nt'
radical ersetzt sind.
Diese Betrachtung ist immer mögh'ch, wenn nicht mehr Saaentoi
in Form von Wasser austritt als typischer Sauerstoff im angewaodtei
Salz vorhanden war. Sobald dies der Fall ist, sobald also Saaentoffdo
Radicales selbst zur Verbrennung des austretenden Wasserstoffs venrcn-
det wurde, muss die tj'pische Betrachtung andere Kadicale (kleiner g^
wordene Reste) in der Verbindung annehmen. Dies ist der Fall bei da
Kitrilen.
Von den complicirteren und den gemischten Amiden könoo
viele, wie die normalen Amide, mit Beibehaltung des Radicals der Siive,
oder glciclizeitig des Radicals des Alkohols, durch rationelle Formell
dargestellt werden. Z. B. :
Diacetamid. Acthjlacetamid. Aethyldiacetamid.
e.HjO) e^naO) e^u^Q)
Far andere dagegen erleidet, wie bei Bildung der Nitrile das Radied
selbst Veränderung.
1011. Nach der Typentheorie sind also für einatomige Radicaledie
wahren Amide Verbindungen die sich vom Typus KH3 ableiten. Da der
Typus stets 1 Mol. NH3 ist, werden sie bisweilen als Monamine b6
zeichnet. Man lUnterscheidet je nach dem 1, 2 oder 3 Wasserstoflalooe
des Ammoniaks durch Radicale ersetzt sind: primäre, secuDdäre
und tertiäre Amide.
Zweiatomige Radicale können entweder 2 Atome Wassentof
von einem Molecül NH3 oder zwei Atome Wasserstoff, die zwei Uol^
cülen NH3 zugehören, ersetzen; sie können endlich, indem sie an die Stelle
von zwei Atomen Wasserstoff treten, von welchen das eine dem Ammo-
niak, das andere dem Wasser zugehört, 1 MoL KH3 und 1 Mol. H^O n
einem untheilbaren Molecül zusammenhallen. Man hat so:
Imid. Amid. Aminsäure.
SjN
U 1 H)
Ha
Axnido. 691
Da8 Amid eines zweiatomigen Radicals wird, insofern es sich vom
Typus: 2KII3 ableitet, bisweilen als Diamid bezeichnet.
In allen diesen Verbindungen ist der vom Typus noch vorhandene
Wasserstoff durch andere Radicale ersetzbar; und zwar durch Metalle,
durch die Radicale der Alkohole oder durch die Radicale der Säuren.
Solche Verbindungen sind dann complicirtere oder gemischte Amide.
Die gleich zu besprechenden Amide der Kohlensäure geben zahlreiche
Beispiele der Art. Hier mag nur im Allgemeinen noch erwähnt werden,
dass es für die aus den Amins äuren durch Eintritt anderer Radicale,
namentlich der Alkoholradicale , entstehenden Verbindungen von wesent-
lichem Einfluss ist, ob der typische Wasserstoff des Ammoniaks oder der
des Wassers ersetzt wird. Tritt ein Alkoholradical an die Stelle des dem
Wassertyp zugehörigen Wasserstoffs, so zeigt die Substanz das Verhalten
eines Aethers ; sie ist derAether der Aminsäure. Wird dagegen Wasser-
stoff des Ammoniaks ersetzt, so behält das Product die Eigenschaften
einer einbasischen Säure, gerade weil der dem W^assertyp zugehörige
(basische) Wasserstoff noch vorhanden ist.
Dass zweiatomige Radicale ausser diesen einfachen Amiden
noch zahlreiche complicirtere Amide zu bilden im Stande sind, ergibt
sich von selbst aus der der Typentheorie zu Grunde liegenden Vorstel-
lung: dass zweiatomige Radical, wenn sie mehrmals in die Typen ein-
treten, eine grössere Anzahl vonMolccülen zusammenzuhalten im Stande
sind. Das Radical Carbonyl (d. h. die Kohlensäure) gibt besonders viel
amidartige Verbindungen der Art ,
Amide der Kohlensäure.
Wendet man die im Vorhergehenden mitgetheilten Betrachtungen 1012.
auf die Carbonylverbindungen an, so ergeben sich zunächst die folgenden
vier normalen Amide der Kohlensäure.
Aus dem sauren Ammoniaksalz:
— 2H,0 = ^ßJN = Carbimid (Cyansfiare). ^*^y-'V
ans dem nentralen Ammoniaksalz:
(NHJjP* — -^aV - jjjjj^ _ Carbamid (Harnstoff). >y ]
A-
-r 4H,e = (onmögUdi) Nitra
44 •
S92 CarbonyWerbindangen.
(Dae Nitril der KöhlenBäure ist unmöglich, weil der im neutralen Ammo-
niaksalz enthaltene Sauerstoff zu seiner Bildung nicht ausreicht)
An diese normalen Amide schlieasen sieh zun&chst diejenigen aus
dem neutralen Ammoniaksalz entstehenden Yerbindungen an, seu deren
Bildung die beiden Ammonium dieses Salzes ungleich viel Wasser ver-
lieren, nämlich :
öoi 'In
(NH4)J^* "■ ^*^ ~ 6e( Oarbaminsaures Ammoniak.
- 8Hj0 = gp, = H>N Cyanamid.
Die letztere dieser Verbindungen kann, wie oben erwfthnt, ab
Amid des Imids betrachtet werden, sie ist das Amid der Cjansäure.
Man kann sich endlich vorstellen, dass das neutrale Ammoniaksals
zwei Holecale Wasser verliert, die nicht wie bei Bildung des Amids aus
den beiden Ammonium herrühren, zu deren Bildung vielmehr ein Am-
monium unzersetzt geblieben ist, während das andere allen Wasserstoff
verloren hat. Es wäre:
TNILli^* — 2Hj0 = jjn |N = Cyansaures Ammoniak.
Diese Verbindung, das Ammoniaksalz des Imids ist natflrlich mit
dem Amid, dem Harnstoff, metamer.
1018. Complicirtere Amide der Kohlensäure, das heisst Verbindno-
: gen, die im Allgemeinen als Kohlensäure -f~ Ammoniak — Wasser be-
trachtet werden können , existiren in sehr grosser Anzahl. Im Folgenden
sind die Bildungsgleichungen dieser Amide zusammengestellt. In diesen
Gleichungen ist, weil das Hjdrat der Kohlensäure nicht existirt, die For-
mel des Kohlensäureanhjdrids benutzt, so dass dieselben demnach mit
den oben für die normalen Amide gegebenen Bildungsformeln nicht direcl
Vergleichbar sind...
I. 2669 + 2NH, - iHaO = OANsO, Allophansfture.
260, -J- 8NHj — 2Ha0 = OANjOa Biuret
8 60, 4- 8NH, — 8H310 = 6aH,N,0, Cyanursäure.
Da in diesen drei Verbindungen das austretende 'Wasser niemak ,
mehr als die Hälfte des Sauerstoffs der Kohlensäure enthält, so können
dieselben noch durch tjgische Formeln dargestellt werden, in weldien
das Radical Carbonyl je zwei Atome Wasserstoff ersetzt Diese drei Ver-
bindungen schliessen sich also noch enge' an das wahre Amid der Koh-
lensäure (Harnstoff) und an das Imid (Cyansäure) an. Man hat:
Attdde der KofalensSiire. 693
AUophansfiiire. Biuret. Qjrvuirsftare:
IQ ' QQ ' /
Die Ursftche des Znsammenhangs der verschiedenen Molecüle der Typen ist,
nach den leitenden Ideen der Theorie der mehratomigen Radicale, durch den
mehrmaligen Eintritt des Radicals Carbonyl verständlich.
Dieselben Verbindungen können indess auch durch Formeln ausgedrückt
werden, in welchen das Radical Cyan angenommen ist, wie dies früher (§. 576)
für die' Cyanursäure geschah. Nur Ist dann keinerlei Ursache des Zusammenhän-
:genS der verschiedenen Gruppen ersichtlich. Man hätte etwa:
Allophansäure. Biuret. Cyanursäure.
"^l' "^IS- "^j».
IL In den folgenden amidartigen Verbindungen der Kohlensäure ist 1014
der in Form von Wasser austretende Sauerstoff stets grösser als die
H&lfte, d. h. als der lypiscbe Sauerstoff der in Wirkung tretenden Koh-
lensäure..
eee, + tkh, - m^e == e,N, h, e,
Cyamelursäure.
8€fe, + 4NH3 - 4H,0 6der: 660, + 8KH, — SE^B = efN« Hg 0«
Melanurensäure.
660, + 9IIH, - 9H,e = 6,Kg H, 0,
Ammelid.
See, + 6HH, - ßHjO oder; 680, + lONH, - lOHj0 = 6gNioHjo0,
Ammeiin.
660, + IINH, - 12H,0 = OtNiiHg
Melam.
380, + 6NH, - 6H,0 oder: 680, + 12NH, — 12H,0 = 8gNi,Hi,
Melamin.
980, 4- 18NH, - 18H,0 = 8gN„H,
MeUonwasserstoff.
und endlich: 180, + 3NH, — 2H,0 = 8 N, H»
Guanidin.
Alle diese Substanzen können nicht mehr durch Formeln dargestellt
werden, in welchen das Radical Carbonyl angenommen ist,; weil von
diesem Radical nur der Kohlenstoff selbst übrig geblieben ist Sie glei-
chen demnach dem Gjanamid und können wie dieses entweder durch
Formeln ausgedrückt werden, in welchen das Radical Cyan angenom-
men ist, oder auch durch Formeln, in welchen der Kohlenatoff selbst als
094 Carbonylverbindimgcit
vieratomiges Radical betrachtet wird (vgl. §. 392). Nach der erateren
Betrachtungsweise sind die meisten dieser Verbindungen früher beschrie-
ben (vgl. §. G02), aber es war nölhig hier ihre Beziehungen zur Kohlen-
aäure hervortreten zu lassen.
Das Gnanidin, ein Zcrsctzangsproduct des Gaanins, wird gelegentlkii
dieses beschrieben*, man kann ihm nach den beiden eben erwfihnten Betrachtnaga»
weisen eine der folgenden Formeln beilegen:
ir
€:
9^N, oder: g«JN.
1015. Es mögen nun zunächst diejenigen Bildungs- und Zersetznngs-
weisen der wichtigsten der eben erwähnten Körper besprochen werden,
durch welche dieselben als amidartige Verbindungen der Kohlena&ure
charakterisirt sind.
Die Cy an säure (vgl. §. 576) zerfällt bei Einwirkung von Wasser
in Kohlensäure und Ammoniak. Nach Auffassung der Typentheorie wird
dabei das Radical Carbonyl, welches zwei Atome Wasserstoff des Am-
moniaks ersetzte, gegen die zwei Atome Wasserstoff des Wassers aas-
getauscht
Cyans&nrc. Eohlensänre.
IH
■!?
eo jX' iJIle = nJh + ee.e.
Bei Bildung der C^ansüure durch Oxydation der Cyanwosserstoffsäure (oder
eigentlich bei Bildung cj^ansaurcr Salze durch Oxydation von Cyanmetallen) geht
das Nitril der Ameisensäure über in das Imid der Kohlensäure, gerade so wie die
Ameisensäure selbst oder wie das Kohlcnoxyd sich zu Kohlensäure oxydirt, nur
erfolgt diese Oxydation ohne dass die stickstoffhaltige Gruppe zerfilllt.
1016. Der Harnstoff, das Amid der Kohlensäure, kann wie Na-
tan ton*) 1856 gezeigt hat, durch die beiden Reactionen erhalten wer-
den, nach welchen im Allgemeinen Amide gebildet werden. Nämlich:
durch Einwirkung von Ammoniak auf das Chlorid der Kohlensäure (Car-
bonylchlorid , Phosgen) und durch Einwirkung von Ammoniak auf einen
Aether der Kohlensäure;
Carbonylchlorid. Harnstoff.
K,< \ 1 H,
•) Ann. Chcm. Phann. XCTIII. 287.
Amide der Kohleiwftara. 695
Eohlcnsüare- Harnstoff. Alkohol,
fithylather.
e
Der Harnstoff entsteht ferner aus cjansaurem Ammoniak
durch eine Umlagerung der Atome im Molecül. Man kann annehmen,
dass das zweiatomige Radical Garbonyl, welches vorher zwei Atome
Wasserstoff in einem Molecül Ammoniak ersetzte und so Gjansäure er-
zeugte (an die sich zur Bildung des Ammoniaksalzes ein zweites Molecül
Ammoniak angelagert hatte) seine Stellung in der Weise umändert, dass es
jetzt zwei den verschiedenen Ammoniakmolecülen zugehörige Wasserstoff*
atome ersetzt. — Genau das Umgekehrte dieser Reaction findet dann
statt, wenn bei Zersetzungen des Harnstoffs (z. B. bei Einwirkung von
von Phosphorsäureanhydrid) Cyansäure entsteht. Das folgende Schema
versinnlicht diese Reactionen:
Cyansaarer Ammoniak. Homstoft
Gm
Beide Reactionen finden sich gewissermassen vereinigt, wenn der
Harnstoff in Biuret übergeht. Es lagert sich dabei das Radical Garbo-
nyl in der Weise um, dass zwei Harnstoffmolecüle vereinigt werden, wäh-
rend sich ein Molecül Ammoniak ablöst.
Aehnliche Umlagerungen des Radicals Garbonyl erklären den üeber-
gang der Gyansäure in ihre polymerenModificationeu*); die Bildung der
Gyanursäure aus Harnstoff etc.
Der Harnstoff ist weiter als Amid der Kohlensäure dadurch cha-
rakterisirt, dass er durch Aufnahme von Wasser zu Kohlensäure und Am-
moniak zerfällt; eine Zersetzung die ebenfalls als Austausch des Radicals
Garbonyl gegen zwei Atome Wasserstoff aufgefasst werden kann :
*) Die Umwandlang von Cyansäure in Gyanursäure kann man sich etwa durch
das folgende Schema versinnlichen:
8 Mol. Cyansäure.
1 Mol. Cyanursfiarc.
H 11 U N
HUHN
jH H jH N
H jH )II N
HUHN
HUHN
G96
Oarboi^lTerbindimgeii; *
Harnstoff.
N,
60
]v
"Hi^e = 2NH, + Be.^.
Auch das Zerfallen des Harnstoffs bei Einwirkung von salpetriger
iS&ure (vgl. §. 1030) zeigt, dass er das Amid der Kohlensäure ist
Gemischte Amide der Kohlensäure.
1017. I^ie gemischten Amide können, wie oben erwähnt ($. 1011), be-
trachtet werden als einfachere Amide, in welchen Wasserstoff durch R»-
dicale, seien es nun Radicale der Alkohole oder Radicale der Säuren, er-
setzt ist. Die meisten derartigen Abkömmlinge der Kohlensäure entstehen
indess nicht indem man die betreffenden Radicale in die schon fertig
gebildeten Amide einführt, sie werden vielmehr in den meisten P&UeQ
durch Reactionen erhalten, die denjenigen durch welche die einfachen
Amide entstehen völlig analog sind, bei welchen aber statt der normalen
Substanzen Körper auf einander einwirken , welche schon die betreffen-
den Radicale enthalten.
1018. Iq der Garbaminsäure kann entweder der dem Wassertjpas
oder der dem Ammoniaktypus zugehörige Wasserstoff durch Alkohol-
radicale ersetzt werden. Im ersteren Falle entstehen neutrale Aether; im
zweiten dagegen Verbindungen, die noch einbasische Säuren sind (Vgl.
S. 1011). Z. B.:
Carbaminsftare-
äthylfither.
Aethylcarbamin-
Bänre.
V/vT .
h1^
Die Aether der Garbaminsäure (Urethane) entstehen dureh
verschiedene Reactionen. Z. B. : wenn Aether der Kohlensäure auf Am-
moniak einwirken :
Kohlen8äare-
äthylftther.
Garbaminsäure-
äthyläther.
Alkohol.
e,H,
ä|<
Ferner bei Einwirkung der Ghlorkohlensäureäther (Chlorameisea-
säureäther) ($. 836) auf Ammoniak:
Attdde der EelÜemÜbun. 697
ChloFkohlenBinr^
äthylftther.
Sthyläther.
XTTJ •
NH,
Hl
H K
«Ar
4- Ha.
Sie entstehen ausserdem bei Einwirkung von Garbimid (Cyansäure)
auf Alkohole:
Cyansäure. Alkohol. Carbaminsäaro-
ÄthylÄther.
-^ H*
und endlich bei Einwirknng von Chlorcyan auf Alkohole :
Cysnchlorid. Alkohol. Carbamins&ore- Aetbylchlorid.
&thyl&ther.
H.
6N.C1 + 2«.H^(e = ^r + e,H,.a.
Das Verhalten der Garbamins&are&ther seigt deutlich, dass
das Alkoholradical den dem Typus Wasser zugehörigen Wasserstoff er-
setzt Sie zerfallen nftmlich bei Einwirkung von Alkalien in Kohlensäure,
Ammoniak und den betr. Alkohol und liefern bei Einwirkung von Am-
moniak Harnstoff und Alkohol.
Die oben erwähnte Aethylearbaminsäure und entsprechende
Verbindungen sind bis jetzt nicht in freiem Zustand bekannt, aber man
kann, der Analogie nach, das bei Einwirkung tou EohlenBäure(anhydrid)
auf Aethylamin entstehende Salz als das Aethylaminsalz der Aethylcarb-
aminsäure betrachten. Dieses Salz zerflült leicht zu Kohlensäure und
Aethylamin.
Dasimid der Kohlensäure, die Cyansäure, ist eine einbasische 1019.
Säure; ihr Wasserstoff kann durch Alkoholradicale ersetzt werden. Die
so entstehenden Aetherarten der Cyansäure sind $$. 637, 671, beschrieben.
Im Amid der Kohlensäure, d.h. im Harnstoff, kann der Was- 1030.
serstoff entweder durch Alkoholradicale oder durch Säureradtcale ersetzt
werden.
Harnstoffe, welche Alkoholradicale enthalten, konnten
bis jetzt nicht durch Einwirkung von Aethyljodid auf Harnstoff dargestellt
698 Garbonjlv^rbiadiuigOB.
werden *)• Man erhält sie durch Reactionen, die der Bildung des norma-
len Harnetoffa völlig analog sind. Gerade so nämlich wie bei Einwir-
kung Yon normaler Cjansäure auf normales Ammoniak der normale
Harnstoff entsteht:
N.60.H + Nfla = Nj.eO.H*
so liefert einerseits normale Cjansäure mit den Ammoniakbasen, welche
Alkoholradicale enthalten, modificirte Harnstoffe, in yelchen diese AI-
koholradicale enthalten sind. Z. B.:
Cyansäare. Aethylamin. Aethylhamstoir.
N.ee.H 4- N(e3iH5)Ha = Nj.ee. (e,H,)H,
Diäthylainin. Diäthylbamstoff.
N.ee.H 4- NcejHOaH = N,.ee.(e,H5)jH, ,
Andererseits aber werden solche Verbindungen erhalten, wenn die
Aether der Cyansäure auf Ammoniak oder auf Ammoniakbasen einwir-
ken. Z. B.:
CyanafiureSthyläther. Aethylharnatoff.
N.ee.ceaH») + NH, = Na.ee.(eaH5)H,
Aethylamin. Diftthylhamstoff.
N.ee.CeaH.) + N(eaH5)Ha = Nj.ee.(eaHj)A
Bemcrkenswcrth ist noch, dass der Diäthylharnstoff, der wie ans den
erwähnten Beispielen ersichtlich durch zwei verschiedene Reactionen erhalten
werden kann, nicht identisch ist; dass vielmehr zwei isomere Difithylhamstoffe
existiren, von welchen der eine bei Einwirkung von Alkalien Ammoniak und
Diäthy]amin\ der andere dagegen zwei MolecOle Aethylamin entwickelt **). Die
verschiedenen Bildungsweisen der beiden Substanzen erklären diese Verschiedea-
heit, von der man sich auch durch die Formeln Rechenschaft geben kann:
Aus Cyansäure und Aus Cyansäureäther
Dläthylamin. und Aethylamin.
TT 11
Ausser der eben erwähnten Hetamerie der beiden Diäthylhanistoffe , die
auch für die Dimethylhamstoffe von verschiedener Darstellung beobachtet worden
•) Weltzien.
**) Volhard, Compt. rend. UL 666.
Andda d«r Keiünsttaxe. 699
ist, kommen bei ded znsammengeBetzten Harnstoffen noch andere FfiDe iron Uo-
merie vor. So ist der Aethylhamstoff isomer mit dem Dimethjlhamatoff; aber
der erstere liefert als Zersetzangsprodocte Ammoniak nnd Aethylamin, während der
letztere 2 MoL Methylamin erzengt
Zaaammengeaetzte Harnstoffe, die mehr als swei Alkoholradicale
enthalten, sind bis jetzt nicht bekannt*)*
Harnstoffe, welcheS&ureradioale enthalten, wurden 1854
gleichzeitig von Zinin **) und Holdenhauer ***) entdeckt. Sie entstehen
bei Einwirkung des Chlorids einer Säure auf normalen Harnstoff. Z. B.:
Harnstoff. Acetylchlorid. Acetylhamstoff.
»! 3
fH .x^'iÄ^.g
H
60
^^ H = N,.6e.(ejH,e)H, + HCl.
Sie erleiden beim Erhitzen Zersetzung, indem sie (genau wie dw
normale Harnstoff^ Cyanursfture und ein Amid liefern. Z. B.:
Acetylhamstoff. Cyannrsänre. Acetamid.
8 (N,.0e.(e,H,0)H,) = e,Nae,H, + 8(NHj.e,H,0.)
Von denjenigen gemischten Amiden, die sich von eomplicir- 1021.
teren Amiden der Kohlensäure ableiten, erwähnen wir die folgenden.
Die Cyanursäure, das verdreifachte Imid der Kohlensäure, bildet
Aether und Aethersäuren, die $. 682 beschrieben sind. An diese Aether-
arten der Cyanursäure schliesst sieh direct das von Limpricht durch Ein-
wirkung von Kalilauge auf Cyanursäureäther erhaltene ölförmige Pro-
duo t an, dessen §. 682 erwähnt wurde (Os^ii^a^i)* ^^^ Beziehungen
dieses Körpers zur Cyanursäure und ihren Aethern und zum Biuret sind
ans den folgenden Formeln ersichtlich:
Cyanor- Biäthylcyauor- Cyanursäure- Oeliges Biuret
säure. sfture. äther. Product.
* \ " \ * \ \ \
GO I ÖO j üv j Hj 1 H* j
eel ml eel eol eef
eeU, ee)N, ee>N, eeys^ eeW,
h( e,eJ e,HJ e^viA h(
^1 ^aBsl ^aBtl ^i^bl Hl
Hl Hl e^Hj e,HJ Hl
^) Vgl Brflning, Ann. Cbem. Pharm. CIV. 200.
^^) Ann. Chem. Pharm. XCn. 408.
•••) ibid. Xav. 100.
700 Clarbon^rivflrhindiuij^eii;
: E»^ kaoa demnaeh als Binret beiraehtet werden, in webheni drei
Wasserstaffatome durch Aethjl ersetst sind; oder als GyaoursittreÜlier,
der bei Einwirkung des Eali^s und unter Bildung Ton KoUensftore räies
von den drei Garbonylradioalen gegen die äquivalente Menge Wasserstoff
ausgetauseht hat.
Hierher gehört femer die bei Einwirkung von Cjansfture auf Alde-
hyd entstehende Trigens&ure (§. 848); sie zeigt die folg^oiden Be-
siehungen :
Cyanarsäare. Trigensäure. Binret
00 i OjH^ I Hji J
f\t\i ncil • /a/\i •
H, / H j / H, y
Ihre Bildung kann aufgefasst werden als Umwandlung Yon Cyan-
säure in Gyanursäure mit gleichzeitigem Austausch von Carbonjl gegen
die Gruppe: 63H4 des Aldehyds.
1022. Substanzen von etwas complicirterer Zusammensetzung, insofern sie
sich von vier Molecülen Ammoniak als Tjpus ableiten, sind die hani-
stoffartigen Verbindungen, die Volhard*) in neuester Zeit durch 1^-
wirkung von Gyans&ure und Gyansäure&ther auf Aethylenbasen (Aethy-
lendiamin §. 978) erhalten und als Aethylenharnsioffe beschrie-
ben hat:
Aethylenbarnstoff Diftthyl&thylenhamstoff
62H4J ^'^^j
Man erhält diese Körper durch Einwirkung von cyansaurem Silber
auf salzsaures Aethylendiamin oder durch Einwirkung von Cyansftiire-
ftthylftther auf Aethylendiamin. Die Reaction ist genau dieselbe wie die
Bildung des Harnstoffs bei Einwirkung von Cyans&ure auf Ammoniak
oder wie die oben erwähnte Bildung der äthylirten Harnstoffe. Aber
während bei diesen Reaotionen, bei welchen ein Molecül Ammoniak oder
die von einem Holecfll Ammoniak sich ableitende Aminbase in Reaction
treten, nur ein Molecül Cyansäure gebunden wird; vereinigt sich das
vom Typus 2NH3 sich ableitende Aethylendiamin mit zwei Moleeflien
*) Oompt rend. LII. 664.
Amide der KoUensftore. 701
Ojans&iure oder Cyansädre&ther, gerade so wie es sur Bildung der Salse
sich mit zwei Mol. Salzs&ure u. s. w, verbindet
Cyansiore. Aethylendiamin. AethylenharnBioff.
2N(e0).H + N,(e,H4).H4 = N4(€fe),.(eÄ)H,
CyaiiB&areäther. Aethylendiamin. DiäthyUthylenhamstoff.
2N.(ee).(6,E») 4- N,(6,H4)H4 = N^(ee),(9,H4)(^A),H4
Eine mit dem eben erw&hnten Diäthylftthjlenharnstoff gleich rasam-
mengesetzte, aber in den Eigenschaften verschiedene Substanz wird er-
halten, wenn salzsaures Di&thjläthylendiamin auf cyansaures Silber
einwirkt
Cyansftnre. Diäthylftthylendiamin. DiftthylftthylenhamBtoff.
. - 2N(0e)H + N,(e,H4)(eÄ)aH, = N4(ee)a(€,B4)(e,H,),H4
Die beiden Difithyläthylenharnstoffe stehen anter einander genau in
derselben Beziehung wie die zwei isomeren Diäthylharnstoffe ($. 1020); der eine
gibt bei Einwirkung von Kalilauge neben Kohlensäure Aethylamin und Aethylen-
diamin, der andere erzeugt Ammoniak und Diäthyläthylendiamin. Diese Verschie-
denheit findet ihre Erklärung in der Entstehung der betreffenden Körper und kann
in derselben Weise wie dies fEir die Diäthylhamstoffe geschah durch typische
Formeln ausgedrückt werden. Etwa:
An diese Körper reiht sich in Bezug auf Bildungsweise und Zusam- 1023.
mensetzung direct die von Hofmann *) durch Einwirkung von Cjan-
s&ureäther auf Harnstoff erhaltene Substanz an. Sie entsteht zum Diftthyl-
athylenhamstoff genau in derselben Beziehung wie die Cyanursfture zur
Trigensänre ($. 1021):
Difithyl&thylenhamstoff.
Hl U \
w
•) Compt. rend. UI. 1011.
702 CarlKmjrlTerblndiuigeii.
Die SabBtaoz ist isomer mit dem Ammoniaktals der Di&thylejamir»
Bäure.
1024. Der Allophansäureäthjläther und das AUophans&ure-
gljcol entsprechen der AUophans&ure selbst:
Aliopbansaures Allopbansäiire- Allophansäare-
Baryt äthyläther. glycoL
H, H, H.
.«r ^r ^{^
I»
Sie entstehen bei Einwirkung von Cyansäare auf Alkohol oder auf
Glycol. Ihre Bildung erklärt sieb durch Umlagexung des Radicals Car-
bonyl.
1025. Zu diesen amidartigen Verbindungen der Kohlensäure geh5rt auch
noch das Methyluramin, ein Zersetzungsproduct des Kreatins (vgl
dieses. Es kann als Methjlabkömmling des Ouanidin*s (§. 1014) betrachr
tet werden :
Ouanidin. Hethyluramin.
ir ir
i.!».
und steht zu diesem in derselben Beziehung wie das Aethylevanamid
zum Cyanamid (vgl. §. 721).
An diese beiden Substanzen schliesst sich endlich eine von Hot-
mann *) in neuester Zeit durch Einwirkung von Natriumalkoholat auf
Cyansäureäther erhaltene Base an. Die krystallisirten Platin- and Gold-
doppelsalze dieser Base sind nach den Formeln:
e^H„N„ HCl, PtCla
e^H^Na, HCl, AuCl,
zusammengesetzt, die Base kann demnach als dreifach äthylirtes Onani-
din betrachtet werden:
Guanidin. Methyluramin. Triäthylcarbotriamin.
tr ir
hJn» (ei^)JN, (e,H^,jN,
•) Compt rend. HL 1389.
Amide der Eofalensftitfe. 703
In freiem Zustand hält die Base hartnäckig 1 Mol. Wasser zurück
und leigt so die Zusammensetzung: G^Hi^Nj, H^O. Beim Erhitzen er-
leidet sie Zersetzung,' indem sie in Aethylamin und Diäthjlharnstoff
zerftllt:
Triäthylcarbotriamin. Aethylamin. Diäthjlharnstoff.
G,H„N„H,e = (e,Hs)H,N + ee.(G,H.)AN,
Specielle Beschreibung der wichtigsten Amide der
Kohlensäure.
Von den amidartigen Verbindungen, deren wichtigste Beziehungen 102^
im Vorhergehenden besprochen wurden, sind viele früher als Cyanverbin-
dungen beschrieben worden; für andere genügt das oben Angegebene;
in Betreff einzelner dagegen müssen noch weitere Details beigefügt
werden.
Carbamins&ure. Wenn trocknes Ammoniak und trockne Koh-
lensäure zusammentreten, so verdichten sich stets zwei Volume des er-
steren mit einem Volum des letzteren:
2NH, + ee, = ^^»ifu^je
ZQ einer weissen, stark nach Ammoniak riechenden Masse, die sieh schon
bei etwa 60^ verflüchtigt Die Dampfdichte dieser Substanz (gef.: 0,90)
zeigt, dass das carbaminsaure Ammoniak beim Verflüchtigen wie-
der in Ammoniak und Kohlensäure zerfällt.
Bei Einwirkung von Schwefelsäureanhydrid auf carbaminsaures
Ammoniak entsteht unter Entwicklung von Kohlensäure sulfaminsaures
Ammoniak. Salzsäuregas wirkt nur in der Hitze und erzeugt Kohlen-
säure und Ammoniak. Bei allen übrigen bis jetzt näher untersuchten
Zersetzungen geht das carbaminsaure Ammoniak durch Aufnahme von
Wasser in kohlensaures Ammoniak über; schon seine wässrige Lösung
zeigt alle Reactionen des neutralen kohlensauren Ammoniaks.
Indessen erfolgt diese Umwandlang nicht angenblicklich und man erhält
selbst beim Einleiten von Kohlensäure in wässriges Ammoniak eine Lösung, die
erst nach einiger Zeit oder nach Erhitzen Kalk- und Baiytsalze fällt (Kolbe).
Man hat bis jetzt weder die Carbaminsaure noch andere Salze die-
ser Säure darstellen können.
Aether der Carbaminsaure, Urethane (vgl. §• 1018). Die 1027«
verschiedenen Bildungsweisen dieser Substanzen wurden oben besprochen;
man kennt die folgenden:
704 Amide der KoUentVore.
Carbainin6äare.MeÜiyl&ther (Urethylan) ^) ßjEL^ tr0, =r ^^f
H
Carbaminsäure-Aetliylftther (ürethan) **) 0,11, K0, = ^^f
€arbamin8fture.Am7läther (AmylarethaD) **^} BfiiJSi^^ =5 ^^f
Die ürethane sind kTystallisirbar und in troeknem Zastaad qIm
Zenetsang flOohtig.
Das Urethylan bildet luftbestftndige Tafeln, die bei 62^ ichmelsen. &
siedet bei 177^; löst sich leicht in Wasser, weniger in Alkohol und noch weidfer
in Aeiher.
Das Uärethan ist in Wasser, Alkohol und Aether leicht löslich; es kiyslil-
Hsirt leicht in grossen Blttttchen; es schmilst unter 100* und siedet bei etwa 180*.
Das Amylurethan krystallisirt aus siedendem Wasser in seidenglfinzendoi
Hadeln, die in Alkohol und Aether Lakht löslich sind; es schmilzt bei 06* und
siedet bei 220^
Carbamid, Harnstoff: e0H4Ns.
1098. Diqenigen künstlichen Bildangsweisen des Harnstoffs, doroh welck
derselbe als Amid der Kohlens&ure oharakterisirt wird, sind §. 1016 n-
sammengestellt. Es wurde dort gezeigt, dass Ammoniak mit Carbooyl-
ehlorid (Phosgen) bei gewöhnlicher Temperatur, mit KohleDsäiireidMr
bei 180® Harnstoff erzeugt; und dass das eyansaure Ammoniak darek
moleoulare Umlagemng in Harnstoff flbergeht Dass das Cy an amid
sich dureh Wasseraufiiahme (bei Zusats von etwas Salpetersäure) ii
Harnstoff umwandelt wurde $. 590 erwähnt Als künstliche Bildongs-
weise ist femer noch von Interesse, dass Oxamid beim Erwärmen nit
Quecksilberoxyd unter Entwicklung von Kohlensäure Harnstoff bildet
(Williamson 1847):
Oxamid Carbamid.
H,(n, + HgO = H,[n, + 60, + Hg
H,( H,\
*) Dumas u. Peligot 1886. vgl. Liebig n. Wöhler, Ann. Chem. Pharm. LVm. SS>
Echevaria, ibid. LXXDL 110.
^^) Dumas 1838. vgl. Liebig u. Wöhler, Ann. Chem. Phand. LIV. 870.
♦••) Medlock, ibid. LXXI. 104.
Harnstoff. 705
Diese Zersetuuig des Oxamid's entopricht vollständig der Bildung von Eoh-
lensäoreftther aus Ozalsftnreäther (§. 1008) und dem Zerfallen der Oxalsäure in
Kohlensäure und Ameisensäure.
Der Harnstoff entsteht ferner als Zersetzungsproduct einiger EOrper
von eomplicirterer Zusammensetzung: Kreatin, Harnsäure, AUantoin eto.
Vorkommen. Der Harnstoff ist ein wichtiger Bestandtheil des
Harns der Menschen und der Säugethiere, namentlich der Fleischfresser;
auch der Harn der Vögel, Reptilien und die Nierensecrete einzelner nie-
deren Thiere enthalten Harnstoff. Er findet sich in geringer Menge im
Blut selbst gesunder Menschen und Thiere; bisweilen im Schweiss, im
Fruchtwasser, in krankhaften Ergüssen und selbst in Geweben. Der Hu-
mor vitreus des Auges ist reich an Harnstoff (etwa 30 % der festen Be-
standtheile, Milien); im Chylus und in der Lymphe verschiedener Thiere
wurde er von Wurtz *) in neuerer Zeit nachgewiesen.
Historische Notizen. Der Harnstoff wurde 1773 von Rouelle
d. J. entdeckt, 1799 von Fourcroy und Vauquelin näher untersucht.
Wohl er lehrte 1828 seine Darstellung aus Cjansäure; Natanson**)
beschrieb 1856 seine Bildung aus Garbon jlchlorid und aus Eohlensfture-
ftther.
Darstellung. I. Aus Harn. Man dampft Harn zur Trockne,
zieht mit Alkohol aus, verdunstet wieder und erschöpft mit absolutem
Alkohol. Die Lösung gibt beim Verdunsten schwach gefärbten Harnstoff.
Oder: man f&Ut aus durch Eindampfen oder durch Oefrierenlassen con-
eentrirtem Harn durch Zusatz von reiner Salpetersäure oder von Oxal-
säure salpetersauren oder Oxalsäuren Harnstoff. Der oxalsaure
Harnstoff kann durch Kreide zersetzt werden, v^o nur Harnstoff in Lösung
bleibt (Berzelius). Der salpetersaure Harnstoff wird in wässriger Lösung
mit kohlensaurem Baryt oder kohlensaurem Kali zerlegt, der grössteTheil
der entstandenen salpetersauren Salze durch Eindampfen und Krystallisi-
renlassen entfernt, und der in der Mutterlauge bleibende Harnstoff durch
Umkrystallisiren aus Alkohol gereinigt.
n. Zweckmässiger ist die künstliche Darstellung des Harn-
stoffs aus cyansaurem Ammoniak. Man zersetzt cyansaures Kali
durch schwefelsaures Ammoniak und trennt das in Wasser schwer- und
in Alkohol unlösliche schwefelsaure Kali von dem in beiden Lösungsmit-
teb leicht löslichen, durch moleculare Umwandlung des oyansauren Am-
moniaks entstandenen Harnstoff;
Besonders zweckmässig sind die folgenden Methoden : 1) Man erhitzt ein Ge-
menge von 28 Th. trocknem und gepulvertem Blutlangensalz mit 14 Th. Braunstein
auf einer Eisenplatte, zieht mit kaltem Wasser aus und setzt 20^/^ Th. trocknes
^) Ann. Chem. Pharm. 02011. 876.
••) ibid. XCym. 287. ygl. auch Neubauer, ibid. OL 842.
K«kaU» orgaa. ChMÜ«. 45
706 Axnide der Kohlenaftore.
Bchwefelsaores Ammoniak it^. Man decantirt von dem niederfallenden schwdd.
sauren Kali und entfernt durch wiederholtes Eindampfen und Erkaltenlassen die
grösste Menge des schwefelsauren Kali's. Zuletzt dampft man zur Trockne nsd
zieht mit siedendem Alkohol aus (Lieb ig). 2) Man bereitet durch Schmelzen tob
8 Th. entwässertem Blutlaugensalz und 8 Th. kohlensaurem Kali Cyankalium^ imd
führt dieses durch Eintragen von 15 Th. Mennige in cy ansaures Kali über. Hu
löst in Wasser und setzt 8 Th. schwefelsaures Ammoniak zu. Das schwefelsann
Kali wird wie oben entfernt und die zur Trockne eingedampfte Masse mit heisscB
Weingeist ausgezogen (Cle mm) *) Bei beiden Methoden enthält die weingeistige
. Hamstofflösung häufig etwas unzersetztes Blutlaugensalz, welches leicht durch w-
sichtigen Zusatz von schwefelsaurem Eisenozyduloxyd entfernt werden kann.
Eigenschaften. Der Harnstoff krystallisirt in farblosen Nadek
oder in grossen bisweilen wohl ausgebildeten Prismen, er schmeckt kflh*
lend, dem Salpeter ähnlich. Er löst sich in seinem gleichen Gewicht kal
ten Wassers, in jedem Verhältniss in heissero Wasser; aach in Alkohol
ist er leicht löslich (kalt in 5 Th., beim Sieden in 1 Th.), fast unlöslidi
dagegen in Aether. Er schmilzt bei 120® und erleidet bei stärkerem &
hitzen Zersetzung.
1029. Verbindungen. Der Harnstoff verbindet sich mit S&arehydraten,
mit Hetalloxyden und auch mit Salzen zu theilweise wohlcharakterisirtei
Verbindungen.
L Verbindungen mit Säuren.
Salzsaurer Harnstoff: 60H4N3, HCl entsteht unter WärmeentwicUmi;
bd Einwirkung von Salzsäuregas auf Harnstoff; man erhält so ein gelbes boB
Erkalten krystallinisch erstarrendes Oel. Die Verbindung wird durch Wasser md
schon durch feuchte Luft zersetzt und zerfällt beim Erhitzen (146*) in Salmiak md
Cyanursäure.
Salpetersaurer Harnstoff: ^OH^N^, HOsN. Diese fOr den Hanuttf
besonders charakteristische Verbindung ist in Wasser ziemlich leicht in Salpeter-
säure aber sehr wenig löslich. Man erhält daher aus nicht zu verdünnten Han-
stofflösungen durch Zusatz von Salpetersäure einen krystallinischen NiederscUa^;
eine concentrirte Harnstofflösung erstarrt mit Salpetersäure zu einem Brei toi
Erystallen. Der salpetersaure Harnstoff scheidet sich bei diesen FäUungen in gUa-
zenden Blättchen aus, die unter dem Mikroskop als rhombische oder hezBgooale
Tafeln erscheinen, deren spitzerer Winkel = 82^ ist Beim langsamen VerdniutcB
oder beim Erkalten der warmen wässrigen Lösung erhält man bisweilen gut au-
gebildete Prismen. Der salpetersaure Harnstoff löst sich in heissem Wasser leicb-
ter als in kaltem, auch von Alkohol wird er gelöst. Er zersetzt sich beim Er-
hitzen (140®), bei raschem Erhitzen unter Verpuffen.
Oxalsaurer Harnstoff: 2f^BEJS2^ ^2^4H2, scheidet sich in Form da»
ner, meist büschelförmig vereinigter Krystallblättchen aus, wenn eine Hamstol
lösung mit einer concentrirten Lösung von Oxalsäure vermischt wird. Er IM
sich leicht in siedendem, weniger in kaltem Wasser, noch weniger in Alkdiol;
von überschüssiger Oxalsäure wird er aus der wässrigen Lösung gefallt
*) Ann. Chem. PharoL LXVL 882.
^c^mstoff. 707
II. Verbindangen mit Oxyden. Durch Eäntragen von feuchtem Sil-
beroxyd in eine Lösung von Harnstoff erhält man ein graues aus feinen Nadeln
bestehendes Pulver: 26OH4N2, SAg,^.
Salpetersaures Quecksilberoxyd föllt aus einer mit EaJi versetzten Harn-
Stofflösung einen weissen, Quecksilberchlorid einen weissen in siedendem Wasser I
gelb werdenden Niederschlag. Der erstere ist: 60H4N2, 2Hg0, der letztere:
26OH4N2, SHgO. Bei Eintragen von Quecksilberoxyd in warme Hamstofflösung
scheint die Verbindung: OOH^Nj, Hg0 zu entstehen.
m. Verbindungen mit Salzen.
Harnstoff-Chlornatrium: O0H4N3, NaCl -j- E^B^ glfinzende wohlaus-
gebildete Prismen, die bei Verdunsten der gemischten Lösungen erhalten werden.
Harnstoff-Salpetersaures Natron: 60H4N3, NÖgNa -f* H^O scheidet
sich beim Erkalten der heiss gemischten Lösungen aus.
Auch salpetersaures Kali, salpetersaurer Kalk und salpetersaure Magnesia
geben mit Harnstoff krystallisirbare Verbindungen. Ebenso Cadmiumchlorid und
Quesksilberchlorid.
Das Salpetersäure Silber bildet mit Harnstoff zwei Verbindungen:
eeH4Na, N0,Ag
eOH^Nj, 2N0,Ag.
Die erstere wird in grossen rhombischen Prismen erhalten wenn kalte oder warme
Lösungen von Harnstoff und salpetersaurem Silberoxyd gemischt werden. Die
zweite wird, wenn das Silbersalz im üeberschuss angewandt wurde, durch Verdun-
sten im luftleeren Raum in prismatischen Krystallen erhalten.
IV. Verbindungen von Harnstoff mit Salpetersäure und Queck-
silberoxyd. Durch Zusatz von salpetersaurem Quecksilberoxyd zu einer Ham-
stofflösung wird ein weisser Niederschlag erhalten, dessen Zusammensetzung je
nach den Bedingungen verschieden ist
Werden beide Lösungen sehr verdünnt und warm gemischt, so verwandelt
sich der flockige Niederschlag rasch in ein weisses körniges Pulver (A). Giesst
man zu einer Harnstofflösung so lange salpetersaures Quecksilberoxyd als noch
ein Niederschlag entsteht und setzt man diesen längere Zeit einer Temperatur von
4QP — 500 Qug^ go verwandelt er sich in sechsseitige durchsichtige Blättchen (B).
Wird eine Lösung von salpetersaurem Harnstoff mit einer salpetersauren Lösung
von salpetersaurem Quechsilberoxyd versetzt bis Trübung eintritt, so scheiden sich
beim Stehen aus kleinen Tafeln bestehende krystallinische Krusten ab (C).
Die Zusammensetzung dieser drei Verbindungen ist nicht völlig festgestellt
Man weiss nicht ob sie salpetersauren Harnstoff und Quecksilberoxyd oder ob sie
Harnstoff mit salpetersaurem Quecksilber und Quecksilberoxyd enthalten. Liebig
gibt die Formeln:
A-CjOsH^N,, NOb, 4HgO
B.CjOaH4Na, NO5, 8HgO
aCa02H4N2, NO5, 2HgO
Zersetzungen des Harnstoffs. Alle Zersetzungen des Harn- 1030.
Stoffs sind leicht verst&ndlich, wenn man denselben als Amid der Kohlen-
sfture betrachtet
45 •
708 Amide der Eohlenstture.
1) Der Harnstoff zerftllt unter Aufnahme von Wasser in Kohlenstoe
und Ammoniak:
eeE^^2 + H^e = ee, + 2NH,.
Diese Zersetzung findet statt wenn Harnstoff mit Wasser in angeschmol-
zenen Röhren über 100® erhitzt wird, wenn er mit Bleizackerlös nng emgt-
dampft, mit Kalilauge gekocht oder mit concentrirter Schwefelsäure erwfinnt
wird. Dieselbe Zersetzung tritt auch ein beim Faulen des Harns.
2) Bei vielen Zersetzungen eliminirt der Harnstoff nur die H&ifte sei-
nes Stickstoffs als Ammoniak. Dabei geht das Carbamid (Barn-
Stoff) Ober in Carbimid (Gjans&ure). Statt der Gyanafture ent-
steht aber häufig die mit ihr polymere Cjanurs&ure.
Harnstoff. Cjans&ure.
eeH4N, = eoHN + h,n
Wird Harnstoff mit salpetersaurem Silber eingedampft, so entsteht cyan-
saures Silber und salpetersaures Ammoniak (Wöhler und Liebig).
Erhitzt man Harnstoff mit Phosphorsäureaihydrid, so entsteht phosphor-
sanres Ammoniak und Cyansäure, zugleich mit Cyanursfture, Ammelid etc.
(Weltzien) *). Wird Harnstoff Air sich erhitzt, so entweicht Ammoniak ond
der Rückstand besteht aus Cyanurstture, Ammelid and Biuret (Wöhler osd
liebig).
Erhitzt man die Verbindung des Harnstoffs mit Salzsfture, so tritt bei 145*
Zersetzung ein , es entsteht Salmiak und Cyanursäure (De Viy) **).
Leitet man Chlor über schmelzenden Harnstoff, so entweicht SalzsSsre
und Stickstoff und es bleibt ein Gemenge von Salmiak und Cyanorsiare
(Wurtz) •••). vgL S- 579:
eeOH^Nj + 8Cla = 2e,e3H,N, 4- 4NH4CI + 2HCa + H,
3) Von salpetriger Säure (und ebenso von salpetrigsaurem Qoeck8ilbe^
oxydul) wird der Harnstoff zersetzt in Eohlens&ure, Stiokatoff und
Wasser:
eGH^N, + N,e, = ee, + 2H,e + sn,.
In derselben Weise wirkt unterchlorige 8&ure oder unterchlorig-
saure Salze:
GOH^N, + 3CIHO = eOj + 3HC1 + H,e + N,
Erkennung und Bestimmung des Harnstoffs.
1081. Reiner Harnstoff kann leicht an seinem Verhalten beim Erhitzen er
kannt werden. Zum Nachweis des Harnstoffes in thierischen Flüssigkeiten ALDt
•) Ann. CheuL Pharm. CVH. 219.
••) ibid. LXI. 249.
•♦•) ibid. LXIV. 807.
Harnstoff. 709
man den alkoholiBchen Auszug mit Salpetersäure and bestimmt mittelst des Mikro-
C^niometers, ob die geflQlten Krystallblättchen den charakteristischen Winkel (82^)
zeigen.
Zar quantitativen Bestimmung des Harnstoffs, namentlich im fiam,
sind zahlreiche Methoden vorgeschlagen worden.
Fällen des alkoholischen Harnauszugs mit Salpetersäure und Wägen des bei
100* getrockneten salpetersauren Harnstoffs gibt ungenaue Resultate. Die Methode
von Bunsen benutzt das Zerfallen des Harnstoffs in Kohlensäure und Ammoniak.
Man versetzt den Harnstoff mit ammoniakalischer Chlorbariumlösung, erhitzt die
filtrirte Flüssigkeit in einer zageschmolzenen Glasröhre auf 220* *~ 240* und wägt
den kohlensauren Baryt
Ragsky*) and Heintz**) dampfen mit Schwefelsäure ein, ziehen aus der
schwarzen Masse das gebildete schwefelsaure Ammoniak mit Wasser ans und wä-
gen als Platinsalmiak. Millon***) zersetzt mit einer Lösung von salpetrigsaurem
Quecksilberoxyd und bestimmt die gebildete Kohlensäure durch die Gewichts-
zunahme eines mit Kali gefüllten Kugelapparates. Neubauer f) führt dieselbe
Zersetzung in einem Fresenius -Will'dchen Kohlensäureapparat aus und bestimmt
Kohlensäure und Stickstoff aus dem Gewichtsverlust
Liebig's Titrirmethode ff). Die von Liebig 1858 angegebehe Methode
zur Bestimmung des Harnstoffs durch Titration beruht auf der Fällbarkeit des
Harnstoffs durch salpetersaurcs Qnecksilberoxyd*, und weiter darauf, dass der so
erhaltene weisse Niederschlag durch kohlensaures Natron nicht zersetzt, also nicht
gelb gcfitrbt wird.
Zur Bestimmung des Harnstoffs im Harn verfährt man in folgender Weise.
Man vermischt 2 Vol. Harn mit 1 Vol. einer Barytlösung, die aus 2 VoL kalt ge-
sättigtem Barytwasser und 1 Vol kalt gesättigter Lösung von salpetersaurem Baiyt
besteht; man filtrirt vom gefällten phosphorsauren und schwefelsauren Baryt ab
und tropft zu einer gemessenen Menge (etwa 15 0. C. m.) des Filtrats so lange
von einer titrirten Lösung von salpetersaurem Quecksilberoxyd bis eine herausge-
nommene Probe von kohlensaurem Natron gelb geiäUt wird. Die Quecksilber-
lösung wird zweckmässig von solcher Verdünnung genommen, dass 1 C. C. m.
genau 0,01 Grm. Harnstoff entspricht
Von diesen Methoden der I Tarnstoffbestimmung gebex^ die zwei ersten (Ban-
sen und Ragsky-Heintz) sehr genaue Resultate. Die Methode von Millon
und Neubauer gibt wenig befriedigende Resultate fff). Liebig's Titrir-
methode ist leicht und rasch ausführbar, die Resultate sind, wenn die nöüngen
Correctionen (die hier nicht näher erörtert werden konnten) angebracht werden,
sehr genau.
•) Ann. Chem. Pharm. LVL 92.
••) Pogg, Ann. LXVI. 114. '
•••) Ann. Chem. Pharm. LXVIIL 870.
f) Jahresber. 1868. 702.
ff) Ann. Chem. Pharm. LXXXV. 2S9.
fff) In Betreff der letzteren vgl. Gorup-Besanez, Anleit. z. zoochem. Analyse.
S. 810. Anmerk.
710 Amide der Eohlenaftiira.
1082. Harnstoffe mit Alkoholradicalen ^. Es wurde oben
($. 1020) angegeben, dass diese Substanzen durch fieaotionen erzeugt
werden, die der Bildung des normalen Harnstoffs yöllig analog sind;
nämlich durch Einwirkung von Cyansäure oder Aetherarten der Cjan-
sfture auf Ammoniak oder vom Ammoniak sich ableitende Alkoholbasen.
Aus diesen Bildungsweisen ergeben sich direct die verschiedenen Darstel-
lungsmethoden dieser zusammengesetzten Harnstoffe.
1) Man dampft Lösungen von cyansaurem Kali und schwefelsaurem
Aethylamin oder Methylamin zur Trockne und zieht mit Alkohol
aus.
2) Man l&sst Gyansäure-methjläther, -ftthylftther oder -amyl&ther auf
Ammoniak, Methylamin, Aethylamin oder Amylamin einwirken.
3) Auch bei Einwirkung von Wasser auf die Aether der Cyans&ure
entstehen zusammengesetzte Harnstoffe und zwar solche, die zwei-
mal dasselbe Alkoholradical enthalten. Die Reaction erfolgt dabei
in zwei Phasen, die aus den folgenden Gleichungen verst&ndlieh
sind:
CyaiiBäareftthyl- EohlenBäure. Aethylamin.
äther.
N
Cyansfiiireäthyl- AethylamiD. Diäthylhanistoff.
äther.
2. €aP + SP = tG.Hg,JN,
4) Di äthylharn Stoff entsteht endlich bei Destillation des ölartigen
Productes, welches durch Einwirkung von Kalilauge auf Cjanur-
säureäther erhalten wird (vgl. §. 1021); es wird dabei gleiehzeitig
Cyansftureäther erzeugt (Limpricht) ^.
Gyansänreftther. Diäthylhamstoff.
Die zusammengesetzten Harnstoffe sind in ihren Eigen-
schaften dem normalen Harnstoff sehr ähnlich. Sie krystallisiren in mei-
stens zerfliesslichen Prismen, die in Wasser und Alkohol sehr löslich sind.
*) Wurtz, Ann. Chem. Pharm. LXXL 829. T.YYY. 846.
••) ibid. CV. 896.
ZüBammengesetBte Harnstoffe. 711
Sie bilden mit Salpetersäure krystallisirbare Yerbindongen, vereinigen sieh
aber weniger leicht mit Sfturen als der normale Harnstoff.
Beim Erhitzen werden diejenigen die nar ein Alkoholradioal enU
halten zuCyans&are und einer Aminbase zerlegt Der Dimethjlharn-
Stoff und der Di&thylharnstoff siud ohne Zersetzung flachtig, oder
werden vielmehr bei der Destillation aus den entstandenen Zersetzungs-
produclen (Cyans&ureäther und Aethjlamin) direct wieder erzeugt
Beim Erhitzen mit Phosphorsäureanhydrid oder mit Salzsäure wer-
den die zusammengesetzten Harnstoffe wie der normale Harnstoff zerlegt
Aus Diäthylharnstoff entsteht beim Erhitzen mit Salzsäuregas salzsaures
Aethylamin und die Chlorwasserstoffsäureverbindung des Gyansäureäthyl-
äthers:
Difithylham- Salzsaures Salzsaurer
hamstoff. Aethylamin. Cyansäureäther.
»
^O GH "
(eaH5)aJN, + 2HC1 = *iJN,HCl + ^^JN^CL
Durch Kochen mit Alkalien zerfallen die zusammengesetzten Harn-
stoffe in Kohlensäure und vom Ammoniak sich herleitende Basen.
Man kennt bis jetzt die folgenden zusammengesetzten Harnstoffe :
Methylharastoff e^H ,ON, = ee(eH,)H,N,
Aethylhamstoff e,Hg ON, = Be(ß^E^)EJSl2
Amylhamfltoff OeHi^GN, = eeCGftHiOHaNj
Dimethylhamstoff e,Hg ONj = OOCeHjJaHaNa
MethyläÜiylbamstoff e^HioGN, = ee(eH3)(C9Hs)H2Na
Diäthylharnstoff G^HiaON, = 6e(G3H5)2H3N,
Aethylamylharnatoff egH„0Na = Oe(eaH5)(e5Hn)HjNa
Harnstoffe mit Säureradicalen *) werden durch Einwirkung 1088.
des Säurechlorids auf Harnstoff erhalten (vgl. $. 1020). Man kennt bis
jetzt die folgenden:
Acetylhamstoff e,He OaNj = 6e(6aH,e)H,Na
Bntyrylhamstoff G^Hj^OjK, = 6e(e4H,e)H,Nj
Valerylhamstoff e«Hije,N, = eeCOftH.ejHjNj
Es sind krystallisirbare Substanzen, die mit Säuren keine Verbin-
•} Zinin, Ann. Chem. Pharm. ZCH. 408. Moldenhaner, ibid. XCIV. 100.
712 Amide der EoUensttore,
duogen eiDgehen und die beim Erbitsen Zersetsung erleiden, indem Cju«
säure (oder CyaDursftare) und das betreffende Amid eneugt wird.
In Betreff der übrigen Amide der Koblens&nre genügen die folgai-
den Angaben.
1084. Biuret: GjHjNje, = (ee)2H5N3 (vgl. §. 1013). Von Wiede-
mann *) 1848 entdeckt, entsteht weiin Harnstoff l&ngere ZSeit auf 150*
— 170® erhitst wird.
Man zieht den Rückstand mit Wasser aus, föUt aus der Lösung die Cyannr-
sänre mit essigsaurem Blei, entfernt das Blei mit Schwefelwasserstoif und dampfr
ein.
Das Biuret wird aus Wasser in kömigen wasserhaltigen Krystal-
len O2H5N302 + HjO erhalten , die in trockner Luft yerwittem und is
Wasser leicht löslieh sind* Aus Alkohol krystallisirt es wasaerirei in
langen Bl&ttchen. Es zerAUt beim Erhitzen in Ammoniak und Cyanur-
sfture:
Biuret Gyannrs&ure.
SGjHsNsO, = 2e,H,N,e, + 3NH,
1086. Allophansäure**). Man kennt nur die Aetherarten und dai
Barjtsalz des als Allophans&ure bezeichneten Amids der Kohlenafture.
Wird das Barytsalz durch eine Säure zersetzt, so erhftlt man statt der
AUophansäure deren Zersetzungsproducte: Harnstoff und Kohleoa&ore.
e,eaH4N, = GOHtNj + 60,.
Allophansäure-äthyläther: OfH^O^N,. Leitet man Oyansanredampr
in absoluten Alkohol, so findet starke Erhitzung statt und es scheiden sich Kiy-
BtaUe von Allophansäureftthylfither aus. Aus heisser alkoholischer Lösung wird
die Verbindung in glänzenden Säulen erbalten, die in Wasser und Alkohol in der
Kälte wenig, beim Erhitzen leichter löslich sind. Der AUophansäure -ttthylilkcr
schmilzt beim Erhitzen und zersetzt sich dann in Alkohol und Cyanursfture. Allo>
phansäure-methyläther ist von Richardson ***), Allophansäure-amyl-
äther von Schlieperf) dargestellt.
Allophansaurer Baryt scheidet sich in harten in Wasser wenig lös-
lichen Krystallen aus, wenn Allophansäure-ftthyläther mit Barythydrat und Wasser
zerrieben und das Filtrat einige Zeit bei gewöhnlicher Temperatur sich selbst über-
•) Ann. Chem. Pharm. LXVm. 828.
••) Wöhler und Liebig, Ann. Chem. Pharm. LVIH. 260; LIX. 291.
•••) Ann. Chem. Pharm. XXin. 138.
t) ibid. LDL 28.
AUophttDBäiire. 713
lassen wird. Das Sah zersetzt sich schon beim Erwftrmen der wftssrigen Lösung
nnter Büdang von Harnstoff:
AUophans. Baryt Harnstoff.
2e,H,BaNaO, + HjO = 2eeH4Nj + Oe^Ba, + eOj
Wird das Sak in fenchtem Zustand erhitzt, so entweicht kohlensaures Ammoniak,
während cyansaurer Baryt zurückbleibt:
eABaNaO, + HjO = eOBaN + 60,12^*
Allophansfture-Glycol *). Das Glycol absorbirt den Cyansäuredampf
leicht und unter starker Erwärmung. Man erhält eine feste weisse Masse, aus
welcher siedender Alkohol die Glycolverbindung auszieht, die beim Erkalten in
glänzenden Blättchen ausfällt. Das Allophansäure- Glycol gibt mit Barythydrat
kein allophansaures Salz*, die Zersetzung gelit direct weiter, es entsteht kohlen-
saures Salz, Harnstoff und Glycol:
Allophansäure-Giycol. Harnstoff. Glycol.
eja^e^t + 2Bae0, = eeiifK, + ee,Bat + €fiH«Ot
Aehnliche Verbindungen entstehen bei Einwirkung von Cyansäure auf Glycerin
und auf Eugensäure.
Trigenafture: ejEL^K^O^ (vgl. §§. 104, 848).
Leitet man Cyansäuredampf in stark abgekt<en Aldehyd, so findet unter 1086.
Erwärmung reichliche Absorption statt; es entweicht, entweder direct oder bei
guter Abkühlung allmälig, Kohlensäure und man erhält eine zähe blasige Masse.
Kocht man diese mit massig starker Salzsäure aus, so krystallisiren aus dem Fil-
trat nach und nach kleine Prismen von Trigensänre. Sie sind in Wasser wenig,
in Alkohol kaum löslich ; sie schmelzen beim Erhitzen und zersetzen sich dann
unter Bildung einer flüchtigen Base. Die Trigensäure gibt mit salpetersaurem Sil-
berozyd keinen Niederschlag y auf Zusatz von etwas Ammoniak erhält man ein
ans mikroskopischen Krystallen bestehendes Silbersalz: ßfi%A,g^^^^ (Liebig und
Wöhler) ••).
DerValerianaldehyd gibt mit Cyansäure eine ähnliche Verbindung (Baeyer) ^**).
Auch auf Aceton wirkt Cyansäure in ähnlicher Weise ein (Wöhler und Liebig).
SulfocarbonjlYerbindangen.
Es worde oben erw&bnt (§. 1003), dass eine grosse Anzahl sohwe- 1087.
felhaltiger Sabstansen existirt, die in Zusammensetzung und Eigenschaften
den Carbonjlverbindungen YoUsl&ndig entsprechen und in welchen man
bei typischer Betrachtung das Radical Sulfocarbonyl = GS anneh-
men kann.
*) Baeyer, Ann. Chem. Pharm. CXIV. 159.
•*) Ann. Chem. Pharm. LDL 296.
•••) ibid. CXIV. 164.
714 SulfocarbOBylTerbindungen.
Die wichtigsten dieser Verbindungen sind:
Typus.
Hj es
KohleDflulfttr (?)
2B, u. H,e es.s es.cia es.H,
Schwefelkoklen- Solfocarbonyl- Sulfocacbonyl-
stoft. Chlorid. hydrfir.
M
OSJ Öfil fji Qg l
2H,e g^s, j^|ft, e,H^jö, (eA)J^
Salfocarbonsäure.
1088. Das Koblensulfür (isolirtes Radieal Salfocarbonyl) , fOr dessen
Darstellung. E. Baudrimont*) zahlreiche Methoden angab und dessei
Bildung Persoz**) schon früher beobachtet haben wollte, scheint naeh
neueren Versuchen nicht zu existiren und nur mit Schwefelkohleiutoit
dampf beladenes Eohlenoxjd gewesen zu sein ***)«
1089. Das Sulfocarbonylhydrür entsteht bei Einwirkung von Zink
und Salzsäure auf Schwefelkohlenstoff ;. -es kann auch als Methyles-
sulfid: OH,. 9 betrachtet werden und wurde als solches $. 969 be-
schrieben.
1040. Das Sulfocarbonylchlorid (ChlorschwefelkoUenstoff) wurde
von Kolbe f) durch mehrwöchentliche Einwirkung von trocknem Chlor-
gas auf Schwefelkohlenstoff erhalten. JBs entsteht leicht, wenn Phosphor-
superchlorid mit Schwefelkohlenstoff in zugeschmolzenen Röhren auf etws
200« erhitzt wird (Carius) ft)-
Schwefelkohlen- Salfocarbonyl- Phosphor-
steif. Chlorid. sulfochlorid.
es[s jX^ ^^»JcijP = ös.ci, + psci,
es ist eine heftig riechende, in Wasser unlösliche Flüssigkeit, die bei
etwa 70® siedet.
1041. Schwefelkohlenstoff (Sulfocarbonylsulfid) eS, = Oe.B. Ent-
deckt von Lampadius 1796. Er entsteht leicht beim Verbrennen tod
Kohlenstoff in Scbwefeldampf.
•) Compt. rend. XUV. 1000. — Jahresb. 1867. 120.
••) ibid. XUV. 1218. — ibid. 1867. 122.
♦♦•) Vgl. z. B. Playfair, Quat Joivn. ehem. soc. XIII. 248.
t) Ann. Chem. Pharm. XLV. 41.
ft) Ann. Chem. Pharm. CXII. 198.
SchwefelkohlenBtolL 715
Znr Darstellnng von Schwefelkohlenstoff hn Kleinen erhitzt man leichte
Holzkohle in einer schwach geneigten Forzellanröhre deren tiefer liegendes Ende
mit einer Vorlage in Verbindung steht; man schiebt von Zeit zn Zeit durch das
andere Ende kleine Schwefelstacke ein und verschliesst dann mit einem Kork. Für
Darstellung grösserer Mengen wird die Kohle in einer Thonretorte erhitzt und der
Schwefel durch ein Porzellanrohr eingetragen, welches in den Tubulus der Retorte
eingekittet ist. Der Schwefelkohlenstoff wird jetzt fabrikmässig , wesentlich zum
Vulkanisiren des Caoutchouk's , in grossen eisernen Cylindern dargestellt.
Der SchwefelkohleDstoff findet sich in geringen Mengen in
dem aus Steinkohlen dargestellten Leuchtgas *).
Zur Nachweisung kleiner Mengen von Schwefelkohlenstoff kann die
Bildung des xanthogensauren Kali's (§. 1046j oder auch seine Einwir-
kung auf Tri&thylphosphin (^. 1053) benutzt werden.
Der Schwefelkohlenstoff ist eine farblose, stark lichtbrechende Flfis-
sigkeit, die bei 47® siedet und eigenthQmlich ätherartig riecht: Spec. Oew.
1,293 bei 09^ 1,271 bei 15®. Er brennt mit blauer Flamme und entzün-
det sich so leicht , dass schon eine nicht mehr glühende Holzkohle und
selbst eine rasch in Aether abgelöschte Kohle ihn noch zu entzflnden im
Stande ist (Berthelot). Er ist in Wasser unlöslich, mischbar mit Alkohol
und Aether und löst in jedem Verh<niss flüchtige und fette Oele, ferner
viele organische Verbindungen und mit Leichtigkeit Schwefel» Phosphor,
Jod etc.
■ Erhitzt man Schwefelkohlenstoff mit Wasser auf 140^^—1 GO^', so ent-
steht: Kohlensäure und Schwefelwasserstoff (Schlagdenhauffen). — Leitet
man Schwefelkohlenstoffdampf über rothglühende Metalloxyde, so werden
unter Kohlensäurebildung Schwefelmetalle erzeugt. Glühendes Kupfer gibt
mit Schwefelkohlenstoffdampf verschiedene Kohlenwasserstoffe, wesentlich
Sumpfgas: 6H4 (Berthelot). Bei Einwirkung von Zink und Salzsätrre
wird nur die Hälfte des Schwefels durch Wasserstoff ersetzt und man er-
hält Sulfocarbonjlhydrflr eSH, (vgl. §§. 969, 1039); Natriumamalgam
erzeugt complicirte Verbindungen, die noch nicht näher untersucht sind **).
Erhitzt man Schwefelkohlenstoff mit alkoholischer Ammoniaklösung, so
entsteht Sulfocjansäure (vgl. $. 582).
Trocknes Chlor wirkt bei gewöhnlicher Temperatur langsam auf
Schwefelkohlenstoff ein und bildet Sulfocarbonylchlorid. Leitet man Chlor
mit Schwefelkohlenstoffdämpfen durch ein rothglfihendes Rohr , so wird
Doppeltohlorkohlenstoff: eCl4 erzeugt ($. 640) (Koibe). Feuchtes Chlor
bildet das Chlorid der trichlormethyUchwefligen Säure (vgl. J. 641). An-
timonsuperchlorid erzeugt mit Schwefelkohlenstoff schon bei gewöhnlicher
Temperatur leicht Doppeltchlorkohlenstoff (Hofmann) ***).
♦) Vogel, Ann. Chem. Pharm. LXXXVI. 870; — Hbfmann, ibid. CXV.
**) Löwig nnd Hei mann, Joum. pract Chem. LXXIX. 428.
•••) Ann. Chem. Phartn. CXV. 264.
716 SnlfooarbonyWerbindangeiL
1042. Der Schwefelkohlenstoff verhält sich wie das Anhydrid der Salfo-
carbonsäare (Trisulfocarbonsäure)« Er yerbindet sich direetnütle-
m
tallsolfiden ond erzeugt so Trisulfocarbonate, a^ B«: ^ 183, ?oi
welchen die der Alkalien und alkalischen Erden löslich und zum llid
krystallisirbar, die der schweren Metalle meist unlösliche Niederscfalige
ti
sind. Die Trisulfocarbons&ure: g i&t (Schwefelkohlenstoffs&ure) kau
in freiem Zustand erhalten werden, indem man ein Trisulfocarbonat mit
Salzsäure zersetzt und schnei] Wasser zufQgt; sie scheidet sieh dann ab
rothbraune ölartige Flüssigkeit aus.
Auch wenn Schwefelkohlenstoff aufOzydhydrate, z.B. auf wässrip
Ealilösung einwirkt, entsteht ein trisulfocarbonsaures Salz neben koUes-
saurem Salz:
sGS.ö + eJjo = 2^js, + ®K^je, + 3H,e
1048. Die Aetherarten der Trisulfocarbonsäure können naeh
den far Darstellung von Aetherarten gewöhnlichen Methoden erhslteB
werden; z. B. durch Einwirkung von äthylschwefelsauren Balzen oder
von Aethyl -Jodid oder -chlorid auf trisulfocarbonsaures Kali. Man hat
so: Trisulfocarbonsäure-methyläther *) (sied. 200^— 205^) mri
Trisulfocarbonsäure-äthyläther**) (237» — 240«) dargestellt:
(öH,),!*» (e,H,)js»-
Von den sauren Aetherarten der Trisulfocarbons&ure kennt mu b«
jetst nur das: Aethyltrisulfocarbonsaure Eali ***):
Man erhält diese Verbindung durch directe Vereinigung von Schwe-
felkohlenstoff mit Ealiummercaptid ($. 673).
1044. Ausser den eben erwähnten Aethern der Trisolfooarbonaftare
existirt noch eine Anzahl ätherartiger Abkömmlinge des Sohwefelkobleo-
Stoffs, die, insofern sie gleichzeitig Schwefel und Sauerstoff enthalten, aU
Uebergänge der Aetherarten der gewöhnlichen Kohlensäure zu den Aethen
der völlig geschwefelten Kohlensäure (Trisulfocarbonsäure) betmhM
•) Cahours 1846. Compt rend. ZXUL 821.
**) DebuB, Ann. Chem. Pharm. LXXV. 147.
«••) Chance! , Compt rend. XXXIl. 642. — Jahreab. 1861. 518.
Aether der Sulfbcarbonsänren.
717
werden können. Die Beziebungen dieser Substanzen zu den Aethern der
Kohlensäure und der Trisulfocarbonsäure sind aus folgender Tabelle er-
sichtlich, in welcher beispielsweise die ftthjlhaltigen Verbindungen auf-
gefbhrt sind, weil diese am besten bekannt sind *).
Empirische
Formel.
Typische
Formel
Dualistische Formel.
Kohlensäure
eeeejga^»
ee
C4H,0.C0« + HO. CO,
CAOt.OO,
MonoBiilfocarboh-
eeesj^A
OAS.COj + HS. CO,
sftore
«e0SJ|»J»
eej
e,H,r
C4H5S.CO,
Disulfocarbonsäure
eessjj»^
09»
CAO.CS, +HO.CS,
«^{eS
e,H,s
C4H5O.CS,
Trisalfocarbon-
€969 jgA
^«?»|9
es
C4H5S.CS, + HS. CS,
säure
€S99{^jJ»
e,H,r
CAS. CS,
*) Zeiae 1822. Dessains und bes. Debus,
LXXV. 121.; LXXXn. 263.
Ann. Ghem. Pharm. IXUL 1.;
718
SnifoearbonylYerbindiiiigeB.
Ausser den empirischen Formeln der ersten Spalte, ans welchen die B6>
Ziehungen der betreffenden Körper am besten ersichtlich sind und den typisekes
Formeln, die, mit Sicherheit wenigstens, nur für die Aether der Kohlensäure md
der Trisulfocarbonsäure gegeben werden können, sind in der dritten Spalte ds
Tabelle noch diejenigen Formeln mitgetheilt, durch welche die früher in der orgi-
nischen Chemie herrschend gewesene dualistische Radicaltheorie diese Sab-
stanzen darstellte. Diese Formeln sind nämlich einer der schlagendsten Beweiie
für den Hypothesenreichthum und die Unzweckmässigkeit jener Ansichten. Ei
werden zunächst die neutralen Aether durch halb so grosse Molecularformehi an-
gestellt als die sauren, wie dies, in allen entsprechenden Fällen geschieht Dtm
wird weiter der Sauerstoff und der Schwefel willkürlich vertheilt; da die YerbiB-
dung COS nicht ezistirt, so wird entweder Eohlensäare in Verbindung mit dei
Oxyd oder Sulfid des Aethyls oder aber Schwefelkohlenstoff mit Aethyl-ozyd oder
-Sulfid vereinigt angenommen, und statt der Uebergänge, die offenbar zwiicha
diesen Substanzen stattfinden, springt das Aethyl-ozyd in -sulfid und dieses dam
wieder in Oxyd Über. In den sauren Aetherarten wird endlich noch die Anlage-
rung der völlig unbekannten Verbindungen: HS.COi und HO.CSt angenommen.
Ob bei typischer Betrachtung in denAethem der Mono sulfocarb onsftnre
und der Disulfo carbonsäure Schwefel oder Sauerstoff im Radical anzunehnea
ist, kann nicht mit voller Sicherheit entschieden werden. Die wichtigsten Bfldnngi-
weisen und einzelne Zersetzungen der betr. Körper lassen die mitgetheUten For-
meln wahrscheinlich erscheinen.
1045. Bildung und Verhalten der geschwefelten Kohlens&iire&dier.
1) Die Salee der schwefelhaltigen Aethjlkohleqs&uren (Aethyl*
sulfocarboDsfturen) entstehen genau wie die ftthylkohleaaaureQ Salie
selbst. Gerade so wie Kohlensäure mit Alkoholkalium oder mit alkoko-
liseher Kalilösung äthylkohlensaures Kali erzeugt, so bildet Kohlensäan
mit Kaliummeroaptid das ftthylmonosulfooarbonsaure Kall b
derselben Weise bildet Schwefelkohlenstoff mit Alkoholkalium oder alko-
holischer KalilösuDg das &thyIdi8uIfocarbon8aure Kali, mit Mer-
captid oder mit alkoholischer Lösung von Kaliumsulfhydrat das äthjl-
trisulfocarbonsäure Kali.
ee.e + ^^^io = ee[ Aethylkohlensaures KalL
ee.e 4- ^»^i
a« =
OAj
Kl
AediylmonoBiilfocarbo&BAiMs KiS'
e,H,
e,H,
n
QB.B + ^3%^S0 = 6S| Aethyldisulfocarbonsaures Kall
Kr
BB.Q. + ^^%|b c=: es Aeihyltrisulfocarbonsaures Kall
^etber der Bolfocarbonaftiureii.
719
2) Die neutralen Aetber der Sulfocarbons&nren können durch
Einwirkung von Aethjlchlorid auf die entsprechenden äthylsulfocarbon-
sauren Salze dargestellt werden.
3) Diese neutralen Aether zerfallen bei Einwirkung von Kali-
hjdrat oder Ealiumsulfhydrat (besonders in alkoholischer Lösung), indem
ein äthylsulfocarbonsaures Salz erzeugt wird, während gleichzeitig Alkohol
oder Mercaptan entsteht. Die folgenden Gleichungen zeigen dieses Zer-
fallen :
Monosulfocarbon-
Bäureftthyläther.
Monosulfocarbon-
Bäoreäthyläther.
€0l
j
&
DiBnlfocarbonsäure-
äibylftther.
Disulfocarbonsäure-
äthyläther.
IIQJ
+ §
Aethylmonosulfo-
carbonsaures EalL
j» =
4«
B =
Aethylmonosnlfo-
carbonsaures Kali.
Aethyldisulfocarbon-
saures Kali.
6 =
\Jt3\
4«
K(
AethylmonoBolfo-
carbonsaares Kali.
e =
X/TJ\
+
Alkohol.
e,H,
&l<
Mercaptan.
«Ä
st
Mercaptan.
e,H,
kl
B
Mercaptan.
e,H,
%
B
4) Die Aethyldisulfocarbons&ure zerf&Ut beim Erwftrmen
(24^) gerade auf in Alkohol und Schwefelkohlenstoff:
hI»
= ee.s
e,H,
'ii
0
Die freie Sfture serfiLllt demnach genau nach derselben Oleichung, nach wel*
eher ihr Kalisalz sich bildet Sie spaltet sich gerade so wie die normale Aethyl«
kohlens&ure; aber während bei dieser die Zersetzung schon bei gewöhnlicher Tem-
peratur eintritt, kann die Aethyldisulfocarbons&ure ans ihren Salzen abgeschieden
werden und zerfftllt erst beim Erwftrmen.
6) Lftsst man Jod auf äthylsulfocarbonsaure Salze (in al-
koholischer Lösung) einwirken, so entsteht eine ßigenthflmliche Klasse
720 Siüfoearboii}^Terbliidiiiis«a.
TOD Yerbindungeo , die Aethylaolfocarbonsnlfide. Die Bfldnog
dieser Substanzen ist leicht Terstftndlich. Ein Hol. Jod wirkt «of xw«
Molecale des äthylsulfocarbonsauren Salzes ein und entsieht ämea das
Hetall zur Erzeugung von MetaDjodid. Die Reste der beiden Moleoftle
der Aethylsulfocarbons&ure bleiben vereinigt, indem jeder gewiasennaMca
die Rolle eines einatomigen Radioales spielt, und erzeugen so eio Aelbyl-
sulfocarbonsulfld. Man hat z. B,:
2 MoL AethyldiBulfocarbon. Aetbyldisnlfo-
saores KalL carbonsnlfld.
€jHJ
e« ^^^
— -Jö 6ÖJ
' — O IM _l_ U
K
= 2KJ
e3-
Dm ttfaylmonoBulfooarbonsaure Kali leigt dmstelbe Yerhalteo :
*2s •*■'•- (ee).U.
Dieae Bolfide zersetzen steh in höherer Temperatur; das AediTidi-
snlfooarbonsulfld (130*) liefsrt dabei:
Aethyldisolfo« Honosulfocarbon-
car^nsulfid. säoreäthyläther.
Disnlfocarbons&ore-
&thylfither.
8ie werden durch Kalihydrat und Kaliumsulfhydrat wemetU^
unter Freiwerden von Schwefel haupts&ehlich das Kalisah der beCrellea-
den Aethylsulfocarbonsfture entsteht.
104Sh In Betreff der Eigenschaften der einzelnen hierher gd&Mgen Veibnidnagci
geattgen die folgenden Angaben.
Monofulfocarbonsäare-ftthyläther wird am besten dnrdi DestilUfisi
des AethyldisuUocarbonsulfids erbalten; er ist eine in Wasser nnlOsficke FlOnig-
kdt, die bei 161*— 162« siedet Er dient zur DarsteUnng des (»förmigen Ae th yl-
monosulfocarbonsnlfids und zor Bereitong des in farblosen Kadeln oder
Prismen krystaUisirenden athylmonosulfocarbonsauren Kali'a, wekfaei
auoh leicht durch Einwirkung von Eohlenaftare auf eine alkoholische L5sung ^«a
Kaliummercapttti erhalten wird.
Amide des Snlfocarbonyb. 721
Aethjidisulfocarbon saures Kali (xantho-gensaures Kall) scheidet ,
sich in farblosen Nadeln aus wenn einer Lösung von Ealihydrat in absolutem Al-
kohol Schwefelkohlenstoff zugesetzt wird. Durch doppelten Austausch erhält ma&
andere Salze der Xanthogensdure , von welchen das Eupfersalz das charakteri-
stischste ist. (Aus Kupferozydsalzen ffiUt nftmlich zanthogensaures Kali eki
schwarzbraunes Ozydsalz, welches sich bald in gelbes Ozydulsalz umwandelli)
Durch Zersetzung des zanthogensauren Kalis mit verdünnter Schwefelsäure erhält
man freie Xanthogensäure als ölige Flüssigkeit, die mit kaltem Wasser gewa-
schen und mit Chlorcaldum getrocknet werden kann, beim Erwärmen aber Zer-
setzung erleidet. — Aus dem Ealisalz oder dem Bleisalz erhält man mit Jod das
kiystallisirbare Aethyldisulfocarbonsulfid (Aethylbiozysulfocarbonat). Aim3
diesem, durch Destillation, neben Monosulfocarbonsäureäthyläther auch den bei 200®
siedenden Disulfocarbonsäureäthyläther (Xanthogensäureäther) , welcher
auch durch Einwirkung von Aethylchlorid auf eine alkoholische Lösung von zan-
thogensaurem Eali erhalten werden kann.
Von entsprechenden Methylverbindungen kennt man: methyldisulfocar-
bonsaure Salze (methylzanthogensaure Salze), Disulfocarbonsäure-Methyläther (sied.
170® — 172®) und ein durch Einwirkung von Jod auf das Ealisalz entstehendes
Sulfid.
Disulfocarbonsäureäthylmethyläther wird bei Destillation von me-
thylschwefelsaurem Eali mit zanthogensaurem Eali erhalten ; er siedet bei' 179®. *
Man kennt femer: amyldisulfocarbonsaure Salze (amylzanthogen-
saure Salze) , die freie Säure, den neutralen Amyläther und das durch Jod er-
zeugte Sulfid.
Von kohlenstpffreicheren Alkoholradicalen ist nur noch das cetyldisulfo-
earbon saure Eali bekannt
Amide des Sulfocarbonyls.
Den amidartigen YerbinduDgen des sauerstoffhaltigen Garbonyls 1047.
(SS. 1012 ff.) entsprechen einige schwefelhaltige Substanzen, die zum
grössten Theil aus Schwefelkohlenstoff dargestellt werden oder wenig-
stens dargestellt werden können und die somit als amidartige Verbindun-
gen des Radicals Sulfocarbonyl (6S) anzusehen sind.
Den einfachen Amiden der Eohlensäure (S- 1012) entsprechen die
folgenden Verbindungen:
Sulfocarbamid« Sulfecarbimid* Sulfocarbamins&ure.
vS/ CiSL i fl
H.JH. «gJN
HiN
69»
h(9
Das Sulfocarbamid ist bis jetzt nicht bekannt, aber man hat
phenyl- und naphtylhaltige Abkömmlinge dieses Körpers dargestellt,
die gelegentlich der übrigen Verbindungen dieser Radicale beschrieben
werden.
K e k n U , orgaa. Cheaie. 46
722 SulfocaitonylTerUndongen.
1048. Das Sulfocarbimid ist der früher (%. 582) als Sulfocjanstoe
©S > ©N i
besohriebene Körper : u i N = o | S- D&b AmmoDiaksalz der Sulfocjan-
säure hat die ZusammensetzuDg des SulfocarbamidS) aber währeod bd
den entsprechenden Sauerstoffverbindungen das cyansaure Ammoniak «ehr
leicht in den isomeren Harnstoff sich umwandelt, tritt beim salfocjii-
sauren Ammoniak eine solche Umwandlung nicht ein.
Dass die Sulfocy ansäure wirklich das Imid der Sulfocarbonsäure ist, xagt
ausser der gleich zu erwähnenden Zersetzung der Sulfocarbaminsäure, noch dk
Thatsache, dass heim Erhitzen von Schwefelkohlenstoff mit alkoholischer Ämmo-
oiaklösung (in einer zugeschmolzenen Röhre) Sulfocyansäure gebildet wird:
SchwefelkohlenstofL Sulfocyansäure.
es, + NH, = ^JJN + H,&
und dass in derselben Weise Sulfocyansäureäihyläther entsteht, wenn man m
des Ammoniaks Aethylamin anwendet (Schlagdenhauffen).
Schwefelkohlen-
Aethylamin.
Sulfocyansäure-
stoff.
äthyläther.
es, +
+ H,S
Die Sulfocyansäure entsteht ferner als Zersetsungsproduct maadier Aelher*
arten der Sulfocarbaminsäure (vgl. §. 1051).
1049. ^^^ Sulfooarbamins&ure *). entspricht vollständig der Carha-
minsäure. Ihr Ammoniaksalz entsteht wenn Schwefelkohlenstoff auf Am-
moniak einwirkt. Es bildet sich auch aus trisulfooarbonsaurem Amoo-
niak, nach der Gleichung:
Trisulfocarbonsaures Sulfocarbaminsaures
Ammoniak. Ammoniak.
es! i^s + Hj*
Wird trisulfocarbonsaures Ammoniak mit Alkohol zusammengestellt so Ttr-
wandelt es sich in einigen Tagen in sulfocarbaminsaures Ammoniak. -
Stellt man eine Lösung von Ammoniak in absolutem Alkohol (1 VoL) mit eiiier
Lösung von Schwefelkohlenstoff (0,16 Vol.) in Alkohol (0,4 Vol.) zusammen, »
setzen sich in den ersten Stunden kleine Ejry stalle von trisulfocarbonsanres
Ammoniak, später grössere gelbe Prismen von sulfocarbaminsaurem Aano-
niak ab.
•) Zeise, 1824. Debus, Ann. Chem. Pharm. LXXIII. 62,
8iiUoearbauiiii0Siim. 723
Aus dfim Ammomaksah kOnnen andere Salze der Sulfocarbaminsftnre dorcfa;
doppelte Zersetznog dargestellt werden. Die Sulfocaft'baminsäure selbst er«
hält inan als röthlich<gef)Eürbtes Oel, wenn man das Ammoniaksalz mit verdünntec
Schwefelsfture oder Sabwfture zersetzt und dann noch Wasser zufOgt
Die Sulfocarbaminsftare zersetzt sich allm&Iig in Salfocjansäure und
Schwefelwasserstoff, bei Gegenwart von Wasser wird gleichzeitig Cjan-
s&ure oder deren Zersetzungsproducte gebildet:
Salfocarbamin- Sulfocyan-
B&ure. säure.
eSjHjN = eSHN + H,S
Gyansäare.
GS,H,N + H,e = GOHN + 2H,S
An die Sulfooarbaminsäure schliesst sich zunächst das Sulfooarb- ^060.
ammoniumsulfid (Hjdranzothin *) = G2H4N2S4) an. Man erhält die-
sen Körper als weisses krjstallinisches Pulver wenn man zu einer wäss-
rigen Lösung von sulfocarbaminsaurem Ammoniak allmälig Chlorwasser
zugiesst Seine Bildung entspricht vollständig derjenigen der Aethylsulfo-
oarbonsulfide (S. 1045. Nr. 5.)- Das Chlor entzieht zwei Molecfllen der
im Ammoniaksalz enthaltenen Sulfooarbaminsäure zwei Atome Wasser-
stoff während die Reste der zwei MolecUle Sulfocarbaminsäure zu Sulfo-
carbammoniumsulfid zusammentreten :
2 Hol. Solfocarbaminsaures Hydranzothin.
Ammoniak.
es es!
rr es®»
a, 2h*!'. = 2NH.C1 +
es
3-
Das Hydranzothin zerföllt beim Kochen mit Alkohol oder alkoholischer
Kdilösnng unter Freiwerden von Schwefel und Bildung von Sulfocyansäure oder
deren Kalisalz:
Hydranzothin. Solfocyansftare.
GjH^NA = 2e9HN + H^S + S
An die Sulfocarbaminsäure schliessen sich femer einige Substanzen 1051«
an **) , die man als Aetberarten der unbekannten sauerstoffhaltigen Amin-
*) Zeise, Ann. Chem. Pharm. XLVni. 96; Debus, ibid. LXXXTTT. 27.
*^) Vgl. bes. Debus, Ann. Chem. Pharm. LXXIL 1; LXXV. 127; LXXXH. 253.
46 •
724 Sulfoe^bonyly^rbindUQgen.
8ftar6 des SulfocarbonjU betrachlen könnte (H^N.eS.HO), diö aber
andrerseits auch als Axnide der Aetbyldisulfocarbonsäure (oder der eni*
sprechenden Amylverbindung) angesehen werden können. Man keiuit:
ethylsulfocarbamid.
Xanthogenamid.
Amjlsulfo-
Carbamid.
H N
hJn
es;
Diese Substanzen entsprechen vollständig den oben (§§. 1018, 1027J beschrie-
benen Aethem der Carbamins&ure , dem Uretban etc., die, wie dort en^rfthnt, aock
als Amide der Aetliylkohlensäure und der ihr entspredienden Methyl- und Amyl-
verbindungen betrachtet werden können.
Man erh< diese beiden Körper durch Einwirkung von AmmooiAk
auf die^neutralen Aether der Disulfocarbonsäure, z. B.:
Xanthogensfiure- Xanthogenamid. Aethyl-
äthyläther. mercaptan.
oder auch durch Einwirkung von Ammoniak auf Aethyldi8ulfo€»rbon-
sulfid:
Aethyldisulfo- Aethyldisulfo- Xanthogen-
carbonsulfid. carbonsfture. amid.
Das Aethylsulfo Carbamid (Xanthogenamid) ist krjstallisirbar
und verbindet sich mit vielen Metallsalzen, namentlich mit EupferchlorUr
und Eupferchlorid zu krystallisirenden Doppelverbindungen. Es zeifiUlt
beim Erhitzen zu Mercaptan und Cyansäure (oder bei 152<^ Cyanars&are) ;
beim Kochen mit Baryt oder Kali dagegen liefert es Alkohol und an
sulfocyansaures Salz.
Xanthogenamid. Mercaptan. Cyansäürö.
ese.GjHfi.HjN = e^HeS + ee.HN
Alkohol Sulfoeyansjlure.
Gse.e^Hj.HjN — . «jH^e + es.BN. \- r
Xanliiogeiiaiidd. 725
r : IMe^e Zersetzungen zeigen deutlich die Beweglichkeit des Schwefels tmd des
^avarstoiTB im Xanthogenamid; sie sind desshalb Ton Wicktigkeit für die Bedeor
tnag der rationellen Formel dieses Körpers und der rationellen Formeln überhaupt
Bei Einwirkung von salpetriger Säure auf in Wasser Yertbeätea
XaDthogenamid entsteht eine krystallisirbare Substanz, die Debus Oxy«
eulfocyansäure-Aethyloxyd nennt, und welcher wahrscheinlich die Formel
69H10N2O29 zukommt. Sie bildet sich vielleicht aus zwei Holecülen Xan-
thogenamid , die sich unter Austritt von Wasserstofif und Schwefelwasser-
etoff vereinigen.
Die im Vorhergehenden beschriebenen Verbindungen können nach 1^^
Entstehung und Eigenschaften als geschwefelte Garbamins&ure betraefatet
werden, in welcher der dem W asser tjpus zugehörige Wasserstoff
durch Alkoholradicale vertreten ist; es sind Aetherarten einer schwefel-
haltigen Carbaminsäure. Neben diesen Substanzen existirt eine andere
Gruppe von Körpern, die man nach Bildung und Verhalten als schwefel-
haltige Carfoamins&ure betrachten kann, in welcher der dem Ammo-
niaktjpus zugehörige WJEtsserstoff durch Alkoholr^icale vertreten ist.
Zwischen beiden Gruppen von Substanzen findet also genau dieselbe Ver-
schiedenheit statt, wie zwischen Carbaminsäureäthyläther und Aethyl-
oarbaminBAure(S$. 1018, 1027): :
Garbaminsäure- Aethylcarbamin-
äthyläther. säure.
H) H)
H N e^H^jN
Solche Verbindungen entstehen, wenn Ammoniakbasen der Alkohol«
radicale auf Schwefelkohlenstoff einwirken. Am besten bekannt ist die
aus Amylamin erhaltene Amylsulfocarbaminsäure und ihr Amyl-
aminsalz. Für das Aethylamin ist nur Analogie des Verhaltenis fest-
gestellt.
Amylsulfocarbamin- Amylsulfocarbamin-
säure. saures -Amylamin.
GjHijJN GbHj|>N
Lilsst man Schwefelkohlenstoff und Amylamin (§ 721) in trocknem
Zustand und in ätherischer Lösung auf einander einwirken, so scheiden
*) Hofinann, Ann.* CSiem: Pharm. >CXV. 260,
726 SnlfocarbonylTerbindiiiigeii.
sieh wdBse glAnsende Schuppen von amylsalfoearbaminafiareB
Amylamin aas. Die Entstehong dieses Körpers ist völlig analog der
Bildung des oarbaminsauren Ammoniaks ($. 1026) und der des ilhjl-
carbaminsauren Aethylamins (§. 1018). — Zersetzt man das AmjlaiiuB-
salz mit Salzsäure, so scheidet sich die Amylsulfocarbamins&Qre
als krystallinisch erstarrendes Oel aus, während gleichzettig Amylammo*
niumohlorid entsteht — Die Amylsulfocarbaminsäure ist isomer mit Thitl
din (i 843).
Erhitzt man amylsulfooarbaminsaures Amylamin, so entweicht Schwe-
felwasserstoff und es wird ein krystallinischer Körper erzeugt, der wakr-
scheinlich Diamylsulfocarbamid ist
Amylsulfocarbamln- Diamylsulfo-
saures Amylamin. Carbamid.
H,
OSf
1053. Einwirkung von Schwefelkohlenstoff auf PhospilO^
basen. Wenn Triäthylphosphin (§.733) und Schwefelkohlenstoff
in trocknem Zustand auf einander einwirken, so findet eine stflrmucke
Reaction statt und man erhält eine rothe Krystallmasse. Werden beide
Substanzen in ätherischer oder alkoholischer Lösung zusammengebnebt,
so scheiden sich bald schön rothe Krystallblättchen ab, welche die Zusib-
mensetzung 67H15PS2 besitzen und demnach durch directe Yereinigiuf
von Triäthylphosphin und Schwefelkohlenstoff entstehen :
(Ö2H»)tP + ^&i = ©tHi^PB,.
Nach Entstehung und Zusammensetzung zeigt diese Substanz den-
nach Aehnlichkeit mit der Carbaminsäure (sie könnte als CarbamiDsiore
betrachtet werden, deren Stickstoff durch Phosphor, deren Sauerstoff
durch Schwefel und deren Wasserstoff durch Aethyl ersetzt ist) ; im Ver-
halten findet indess keine Aehnlichkeit statt Das Schwefelkohleip
Stoff triäthylphosphin zeigt nämlich schwach basische Eigenscfaif-
ten, insofern es sich in Salzsäure löst und durch Kali oder Ammoniik
aus dieser Lösung wieder gefällt wird, und insofern es mit Platinchlorid
und Goldchlorid Doppelsalze zu erzeugen im Stande ist
Das Schwefelkohlenstofftriäthylphosphin krystallisirC 1»
siedendem Alkohol in rothen Nadeln und wird bei Verdunsten der &d^
rischen Lösung in tiefrothen wohl ausgebildeten Krystallen erhalten. &
^) Hofinann, Ann. Chem. Pharm. I. SnppL 26 j Compt. read. LIL 836.
SchwefelkoUenstoff-TriftihylphofpluiL 727
zersetzt' Bieh leicht, * besonders beim Kochen mit Hetalloxjden nnd selbst
beim Kochen mit Wasser. Dabei wird stets Tri&thylphosphinsulfid
in überwiegender Menge erhalten« Beim Kochen mit Wasser wird gleich-
zeitig Tri&thylphospbinoxyd und eine in gelben Nadeln krystallisirende
Substanz erzeugt, die gleich näher besprochen werden soll; es bildet sich
ferner, wenn das Kochen lange genug fortgesetzt wurde, Hethyltri-
äthylphosphoniumhydrat, dessen Methyl offenbar aus dem Schwe-
felkohlenstoff stammt, in welchem der Schwefel durch Wasserstoff yer*
treten wird.
Die eben erwähnten gelben Krjstalle zeigen die Zusammensetzung:
OgHi^PSs- Man erhält sie leichter, wenn die rothe Substanz (Schwefel*
kohlenstofilriäthjlphosphin) mit concentrirter Schwefel Wasserstoff lösung
erhitzt wird. Ihre Bildung erfolgt dabei vielleicht nach der Gleichung:
Rothe Krjstalle. Triäthylphosphin- Gelbe
Sulfid. Krjstalle.
ae^HiftPS, + H,S = 2eeHi5P& + egHnPSi + ÖS,
Wird die gelbe Substanz längere Zeit mit Wasser gekocht, so ent-
steht unter reichlicher Entwicklung von Schwefelkohlenstoff eine alka*
lische Lösung, aus welcher durch Säuren krystallisirbare Salze erhalten
werden können, yon welchen das Jodid die Zusammensetzung: OtH^gPBJ
zeigt. .
Es ist bis jetzt nicht möglich für die drei eben erwähnten Substanzen, deren
Verhalten noch verbältnissmässig wenig untersucht ist, rationelle Formeln aofzu-
stellen. Ihre Beziehungen werden vielleicht ausgedrückt durch die Formeln:
Rothe Erystalle. Gelbe Krjstalle. Jodid.
(eaH,),P (eaH,),P (e,H»),P
;/ n it
^D.'CT 0H3.S ^H^.^
es.s ^-^
Diese Formeln zeigen wenigstens, dass die gelben Krystalle und das Jodid
gewissermassen Uebergänge sind zwischen den rothen Krystallen und dem als
Endproduct der Zersetzung beobachteten Methyltriäthylphosphoniumhydrat. Sie
nehmen an, dass durch die Verwandtschaft des Triäthylpbosphins zum Schwefel
Tri&thylphosphinsulfid entsteht und dass dadurch der Schwefel des Schwefelkoh-
lenstoffs nach und nach durch Wasserstoff ersetzt wird.
Es wurde oben (§. 1041) erwähnt, dass die eben besprochene Ver-
bindung des Triäthylphosphins mit Schwefelkohlenstoff zur Nachweisung
des Schwefelkohlenstoffs verwendet werden kann. Lässt man z. B. Leucht-
gas durch eine ätherische Lösung von TViälhylphosphin streichen, so er-
hält man beim Verdunsten der Lösung die charakteristischen rothen
Bjrystalle.
728 SnlfocarbonylTerbindong^eii.
1064. Za den amidartigen Verbindangen des SchwefelkohlenstoA köunca
ausser den im Vorhergehenden beschriebenen Körpern auch noch die fol-
genden Substanzen gerechnet werden.
L Complicirtere Amide (vgl. $. 1014).
266. S + 2NH, — 3H,9 = GjNjS = ^JJjs Cjansulfid.
3eS.S + 4NH, — 4H,S = OiNfHfSt SulfomellonsAare.
Die Sulfomellonsäure wurde frflher ($$.597, 602) als Cjan-
Verbindung beschrieben. Das Gyansulfid (Anhydrid der Sulfocjans&ure
$. 582) ist in neuester Zeit von Unnemann durch Einwirkung von Jod-
cyan auf sulfocyansaures Silber erhalten worden.' Es krystalliairt ans
Schwefelkohlenstoff oder Aether in farblosen irisirenden Bl&ttohen.
1066. !!• Als gemischte Amide (vgl. $. 1017) des Schwefelkohleostolb
können noch betrachtet werden das $. 849 erw&hnte Garbothialdia
und das Carbothiacetonin $. 925. — Man hat:
Aldehyd. Carbothialdin.
2e,H4e + 2NH3 + es, — 2H,e = efii^^e^
Aceton. Carbothiacetonin.
sejHeO + 2NHa + es, — 3H,e = Gi^igNA
Das Carbothialdin *) entsteht wenn Schwefelkohlenstoff aof eine wem-
geistige Lösung von Aldehydammoniak einwirkt Es ist in kaltem Wasser und
Aether kaum löslich und wird aus siedendem Alkohol in farblosen wohlansgebil-
4eten Erystallen erhalten. Es zerfällt beim Kochen mit Säuren in Aldehyd, Schwe-
felkohlenstoff und Ammoniak.
Eine grosse Anzahl amidartiger Verbindungen des Schwefelkohlenstoffs, (he
die Radicale: Allyl, Phenyl und Naphtyl enthalten, werden gelegentlich der
übrigen Verbindangen dieser Radicale besprochen.
1066. Zu den amidartigen Verbindungen des Schwefelkohlenstoffa gehört
vielleicht auch das Cystin: e^HiNOjS; ein seltner Bestandtheil des
*) liebig und Redtenbacher, Ann. Chem. Pharm. LZV. 48.
729
mensohliohen Harns and der Blasensteine, der 1810 von WoUaston eni- :
deckt wurde •).
Zweiatomige Säuren: 611H211O3.
Es wurde frflher (§. 999) erwähnt, dass eine Reihe zweiatomiger 1057.
und mit der Kohlensäure homologer Säuren existirt, die in so fern ein
eigenthümliehes Verhalten zeigen, als sie zwar zweiatomig aber doch
nur einbasisch sind, d. h. dass von den beiden typischen Wasserstoff-
atomen nur das eine mit Leichtigkeit durch Metalle vertreten werden
kann, das andere dagegen nicht.
Man kennt vier Glieder dieser Reihe, nämlich: j^
< 0^
Empirische Formel. Rationelle Formel, .ji^ wj^
Olycolsäure G,H4 O, ^'^^j«» *°* ^ ^^ ^A^
Milchsäure e,Ha O, ^'^^j^i ^*' .^cJ^^
Butylactinsäure ' e4Hs O, ^*^^ j^i ^^'
Leuoinsäurc GeHuO, ^•^^^jo, ** '
Genauer untersucht sind nur die beiden ersten der genannten Säu-
ren, in welchen die typische Betrachtung die Radicale: Glycolyl =
GSH2O und Lactyl = G)H40 annimmt.
Eine grosse Anzahl von Abkömmlingen dieser Säuren leiten sich
direct von den Sänrehydraten her, indem der typische Wasserstoff ganz
oder zur Hälfte durch Metalle oder durch zusammengesetzte Radicale er-
setzt ist. Man hat femer die Existenz der diesen Hydraten entspre-
chenden Anhydride nachgewiesen; und man kennt ausserdem Verbin-
dungen, die sich von multiplen Wassertypen herleiten.
.^"^
•) Vgl. bes. Thaulow, Ann. Chem. Pharm. XXVH. 197. Toel, ibid. XCVI.247.
Daa Cystin ist möglicherweise eine Aethylenverbindimg:
GaH4ivr GJH4JN
GSf^ oder GO>G
ei steht vielleicht in genetischer Beziehung zum Tanrin ($. 997); man hat:
Cystin. Taurin.
G,H^e,e + 0, = G,HtNG,ö H- GG,
T30
Zweiatomige Säuren: BJEbtü^r
1058. Die wichtigsten dieser Verbindungen sind im Folgenden in iypiadieft
Formeln zusammengestellt. Den Gl jool- und Laotylverbindnngen aimi
die Formeln entsprechender Aethylen Verbindungen und analoger Sol-
furyl Verbindungen beigefügt, um die zwiachen dieaen Körpern stattfin-
denden Analogieen hervortreten zu lassen:
Typus.
H,e
ejHje.e
eX^-^
e/n^.e
se.e
Glycolid.
Uctid.
Aetliylen-
oxyd.
Schwefelsfion-
anhydrid
w^e
eAe|e,
e^«je.
^^.
Glycolsfiore.
HilchaSnre.
Glycol.
Schwefelsfiore.
8H,e
Diglycolsäore.
DUactylatture.
Difithylen-
alkohol.
NordhXaaer
VitriolOL
4H,e
W»V
®»,^«>^«
%^*i
Diglycol-Äthylen-
säure.
Trilactylßäure.
Triäthylen-
alkohol
Die amidartigen Verbindungen der Radicale: GaHin— 2O im
bis jetzt wenig erforscht Man kennt wesentlich Substanzen, die ab
Amins'&nren betrachtet und folglich vom Typus : H^O-f-HsN abgeleitet
werden können. N&mlich:
Glycocoll
Alanin.
Batalanin.
Leucin.
Empirische
Formel.
O^H^N^)
GfH^N02
OftHiiNO)
6gHi,N0^t
RationeUe
Formel.
HJN
H N
n
■4-
H
H N
Als Verbindungen derselben zweiatomigen Radicale könnten ferner betrtck-
tet werden: die Monochlorsubstitutionsproducte der fetten Säuren and die fettes
SAuren selbst (vgL 798 und 1064).
Ailgememe BetraehtnAgen. 731
Dieselbe Eigenihtimliöhkeit, welche, wie mehrfach erw&hnt, die Hj- 1059.
drate der in Bede stehenden Säuren charaktcrisirt, findet sich bei nahesn
allen Abkömmlingen dieser Säuren wieder. Es mag daher zunächst er^
örtert werden, in wie weit man von der Ursache dieser Eigenthümtich»
keit sich Rechenschaft zu geben im Stande ist. Man wird die Ueberzeu-
gang gewinnen, dass die jetzt gebräuchliche Form der typischen Formeln
diefte Eigenthflmlicbkeit in keinerlei Weise andeutet, dass aber die durch
diese Formeln ausgedrückte Idee sogar von der Ursache dieser Eigen-
ihflmliohkeiten eine gewisse Rechenschaft gibt.
Far die Säurehydrate lässt die Formel die beiden typischen
Wasserstoffatome gleichwerthig erscheinen« Die thatsächliche Verschie-
denheit dieser beiden Wasserstoffatome erklärt sich aus den folgenden
Betrachtungen.
Der typische, das heisst der an einem Sauerstoffatom anliegende
und durch Vermittlung dieses Sauerstoffatoms mit der Kohlenstoffgruppe
verbundene Wasserstoff (vgl. §• 275) ist im Allgemeinen leicht entziehbar
und ersetzbar. Ob aber diese Ersetzung mit grösserer Leichtigkeit durch
Elemente oder Radicale von metallähnlichem Charakter stattfindet oder
aber durch Säureradioale, dies ist abhängig von der Natur der flbrigen
Atome, die sich im MolecOl in der Nähe des ersetzbaren Wasserstoff-
atoms befinden.
In den einatomigen Alkoholen, in deren MolecOl der typische
Wasserstoff sich in der Nähe von nur einem Sauerstoffatom und von
2 Wasserstoffatomen befindet, ist er leichter durch Säureradieale ersetz-
bar als durch Metalle. In den fetten Säuren sind 2 Wasserstoffatome
durch ein Atom Sauerstoff ersetzt, so dass sich der typische Wasserstoff
jetzt in der Nähe von zwei Sauerstoffatomen befindet Dadurch wird
seine Natur, oder, besser gesagt, die chemische Natur des Platzes, den er
einnimmt, so umgeändert, dass jetzt leichter Metalle diesen Platz einneh-
men als Radicale von Säuren.
In den zweiatomigen Alkoholen (Glycolen) sind beide typi-
schen Wasserstoffatome in Bezug auf die anderen das Molecül bildenden
Atome genau so gestellt wie das eine typische Wasserstoffatom der ein-
atomigen Alkohole. Beide sind gleichwerthig und besitzen den far den
Wasserstoff der Alkohole bezeichnenden Charakter, d. h. sie sind leichter
durch Säureradieale vertretbar als durch Metalle. Man kann annehmen,
dass beide je einem typischen Sauerstoffatom und ausserdem je zwei
Wasserstoffatomen benachbart gestellt sind.
In den zweiatomigen Säuren sind nun von diesen je zwei
Wasserstoffatomen zwei durch Sauerstoff ersetzt, während zwei bleiben.
Das eine typische Wasserstoffatom (oder der von ihm eingenommene
Platz) behält also den Charakter, den es in den zweiatomigen Alkoholen
hatte, es wird wie die typischen Wasserstoffatome der ein- und der
zweiatomigen Alkohole weniger leicht durch Metalle ersetzt. Das andere
732 Zweiatomigie SAveii: BJBu^^.
. tjpiselie WasserBtoffatom dagegen (oder sein Plate) wird gewissennassen
in den typischen Wasserstoff einer Säure umgewandelt; es befindet sidi
wie die typischen Wasserstoffatome der- einbasischen Sftoren in der NsIm
Ton zwei Sauerstoffatomen und wird wie diese leicht durch Metalle er»
«etzt. Diese gewissermassen unsymmetrische Constitution der ELadi*
cale der zweiatomigen Säuren ist also die Ursache, dass die zwei
typischen Wasserstoffatome einen verschiedenen chemischen Charakter
zeigen. Sobald noch zwei weitere Wasserstoffatome durch Saaerstoff
ersetzt werden, wie dies bei den im folgenden Kapitel zu besprechenden
Säuren (Bernsteinsäure etc.) der Fall ist, verschwindet diese aosymme-
trische Natur der Verbindung und es werden beide Wasserstoffatome mit
gleicher Leichtigkeit gegen Metalle ausgetauscht.
1060. Diese Betrachtungen erklären die Thatsache, dass bei den in BeAt
stehenden Säuren nur ein Wasserstoffatom mit Leichtigkeit durch Metalle
ersetzt wird:
Olycolsäure. Glycolsaures Silber.
h|« Agf»
Sie zeigen femer, dass die Diglycolsäure (J, 1072) eine zwei-
basische Säure ist.
1061. Sie erklären ausserdem , dass die nach den gewöhnlichen M efhodei
der Aetherbildung dargestellten Aetherarten der Olycolsäure und der
Milchsäure nur ein Alkoholradical enthalten und doch den Charakter vod
neutralen Aethern besitzen:
Milchsäure. Milchsäuremonäthylätber.
.«je .>
Aber sie ergeben gleichzeitig, dass das noch vorhandene typiaefae
Wasserstoffatom dieses Aethers, welches denselben Charakter besitzt wie
der typische Wasserstoff des Alkohols, bei Einwirkung von Alkalinietalka
durch Metall ersetzt werden kann , wie dies von Wurtz und Friedel *)
neuerdings gefunden wurde.
1062. Dieselben Betrachtungen zeigen, dass die auf directem Weg (vgl
$. 1063) dargestellten Verbindungen, bei welchen das andere nicht-me-
tallische Wasserstoffatom durch Radicale ersetzt ist, nodi einbasische
*) CoB^t. read. UL 1067.
Allgemeine Beürachtmig^n.
733
Sftnten sind, insofern sie das durch Metalle vertretbare Wasserstoffatom
der normalen S&ure noch enthalten. Z. B.:
Glycoisäare.
Methylglycol-
Methylglycol-
Benzoglycol-
säure.
saures Silber.
Bäure.
Ag!^
6,H.eie
Milchsäure.
Aethylmllch-
Butylmilch-
Butylmilchsfiure'
säure.
säure.
äthylftther.
e4H,ei^
e,H,e
Man sieht leicht, dass der Milchsäuremon&thyläther isomer
ist mit der Aethylmilcbsäure und dass ebenso die aus ersterem sich
ableitende Kaliumverbindung isomer ist mit dem Kalisalz der letzteren.
Wenn man in beiden das Kalium durch Aethjl ersetzt, so erhält man
denselben neutralen Aetber der Milchsäure*):
, MÜchsttare.
- >
lülchsäure-
monäthyl-
ftther.
«Ar
jAethylmilch-
säure.
Ealiummüch-
sftareäther.
Aethylmilch-
aafxipe Kali.
Milchsäure-
^diäthyläther.
Ö3H4O
Im Milchsäurediathyläther findet für die beiden Aethylradi- lo^.
eale dieselbe Verschiedenheit statt, wie die, welche die beiden typischen
Wasserstoffatome des Säurehydrats charakterisirt. Durch Einwirkung von
Kalilauge wird nur das eine Aethyl entzogen und so das Kalisalz der
^) Es ist einleuchtend, dass diese Formeln nicht die Lagerung der Atome in den
betreffenden Verbindungen ausdrücken oder die Thatsache der Isomerie er-
' klären sollen; sie sollen nur die Anwendung der oben gegebenen Betrach-
tungen erleichtem, indem sie, Wie dies die typische Schreibweise gewöhnlich
thut, den- leicht durch Metalle ersetzbaren Wasserstoff unten hinstellen.
734 ZweUktOBiig« Säuren: CkiHteO,.
oben erwähnten Aethjlmilchsäure gebildet *). Der Milchflinr^
diäthyläther kann demnach einerseits als neutraler Aether der zweiatoni-
gen Milchsäure, andererseits aber auch als Aether der Aethjlmilehsäore
betrachtet werden.
Ganz in derselben Weise eliminirt der Milchsäurediäthyläther auch bei Dn-
wirkung von Ammoniak nur die Hälfte des Aethyls und erzeugt so eine amid-
artige Verbindung die noch Aethyl enthält und als Amid der Aethylmilchsäare be-
trachtet werden kann.
Es verdient ferner noch besonders hervorgehoben zu werden, daas
die Aethjlmilchsäure (wie sich dies aus der ganzen Betrachtung er-
gibt) zwar Alkalien gegenüber eine grosse Beständigkeit zeigt, indem de
nicht zu Alkohol und milchsaurem Salz zerftUt, dass sie aber bei Ein-
wirkung von Jodwasserstoff das Aethyl gegen Wasserstoff austauscht and
so neben Aethyljodid Milchsäure erzeugt (Butlerow $. 1081).
0
1064. Diese unsymmetrische Natur der Radieale: GaHon-tO ist aach die
Ursache des eigenthümlichen Verhaltens der Chloride dieser Radicak.
Wird nämlich durch Einwirkung von Phosphorchlorid auf eine dieser
zweiatomigen Säuren (oder auf eine« ihrer Salze) der typische Saaerstoff
durch Chlor ersetzt, so löst sich zunächst, wie gewübalich bei diesen
Reactionen, der typische Wasserstoff als Salzsäure von dem gebildete
Chlorid ab:
Milchsäure. Lactylchlorid
4- Salzsäure.
// w
^»^«fjOa + 2PCI5 = ^»H4e.Cla ^ 2POa,
^^2 1 ll^d2
Die so entstehende Chlorverbindung, ihrer Bildung nach Oilorid
des zweiatomigen LactyPs, zeigt aber ein eigenthümliches Verhalten
insofern ein Atom Chlor leichter entzogen wird als das andere» Das
eine zeigt, wie das Chlor der Säurechloride (Acetylchlorid etc.} leicht
doppelten Austausch; der mit ihm verbundene Rest verhält sich also bei
diesen Heactionen wie ein einatomiges Radical; das andere Ghloratom
bleibt in diesem Rest, es gehört zum Radical. Dieses zweite Chloratom
ist aber bei anderen Reactionen doch des doppelten Austausches filhig,
nur findet dieser Austausch (ähnlich wie bei den Chloriden der Alkohol-
radicale) verhältmässig schwer statt. So gibt z. B. das aus Hilehsäme
entstehende Chlorid mit Wasser Monochlorpropionsäure, mit Al-
kohol Monochlorpropionsäureäthyläther, es verhält sich also
wie Monochlorpropionylchlorid:
*) Dass bei dieser Zersetzung nicht beide Aethyl entzogen werden ktenen , es^
gibt sich schon aus der Thatsache, dass kein Kalisalz der Milchsäure en-
stirt, welches zwei Kalinm enthält CWurtz, Ann. Chim; Pkys. HZ. 178.)
iJlgemeine Betrachtungen.
735
Lactylchlorid. Honochlorpro- Monochlorpro- Monochlorpropion-
pionylchlorid. pionsäure. uäureäthylttther.
e,H4e.ci, = OjH^cie.ci ^A^^^U ^'^e'^^l^
Die 80 erhaltene Monochlorpropionsäure und ebenso ihr Aethyläther
verhalten sich aber bei anderen Reactionen selbst wie Chloride. Die er-
stere liefert beim Kochen mit Alkalien oder bei Einwirkung von Silber-
oxyd Milchsäure; der Monochlorpropionsäureäthyl&ther liefert in ähn-
licher Weise bei Behandlung mit Natriumalkoholat den Milohs&ure-
diäthyläther. Man hat:
Monochlorpropion-
säure.
Milchsäure-
chlorhydrat
fci
e
Milchsäure.
e
e^YL^^
Monochlorpropion-
säureäthyläther.
Milchsäure-
ätherchlorid
Milchsäure-
diSthylfither.
Ö.H4Ö
Diese chlorhaltigen Verbindungen können demnach durch je zwei rationelle 106fi.
Formeln dargestellt .werden, von welchen stets eine die leichter stattfindenden Zer-
setzungen ausdrückt und die Beziehungen zur einatomigen Propionsäure hervortre-
ten läast , während die andere die Beziehungen der betreffenden Substanz zur zwei-
atomigen Milchsäure zeigt und diejenigen Metamorphosen ausdrQckt, bei welchen
diese Körper aus Milchsäure entstehen oder in Milchsäure Übergehen.
Chlorprbpionylchlorid e,H4C10.Cl = 6,H40.CJa Lactylchlorid.
CUorpropionsäure ^»^«<^'^U
e.H^e,
(Cl
hK
Milchsäurechlorhydrat.
Chlorpropionsäure-
fithyläther
Propionsäure
e,H40^
«Ar
Chlormilchsäureäther.
Milchsäure.
Wollte man alle diese Substanzen durch Formeln ausdrücken, welche streng
entweder nach dem der einen oder nach dem der anderen Reihe Zu Grunde lie-
736 Zweiatomige Sfturen: 6bH«0,.
genden Princip gebildet sind, so müdste man entweder der Propionsfinre eine
Formel beilegen, welche der des Milchsäurechlorhydrats analog ist; nämlich:
oder man müsste andererseits die Milchsäare durch eine Formel darstellen, die
derjenigen der Chlorpropionsäure entspricht Man müsste die Milchsfiare,
e,H4(HO)0U
als Propionsäure ansehen, in welcher ein Atom Wasserstoff durch das Radical HO
(Wasserstoffhyperoxyd) vertreten ist (vgl. 8. 144 Anm.). In diesem letxteren FaD
müssten : Aethylmilchsäure , Milchsäurediäthylfither und auch die Aminsäure der
Milchsäure in entsprechender Weise geschrieben werden. Die beiden ersteren wer-
den als Propionsäure erscheinen, in deren Radical ein At Wasserstoff durch 6A0
(Aethylhyperoxyd) ersetzt ist; die letztere enthielte an der Stelle dieses Wasser-
stoffs das Radical KH, (Amid). Man hätte:
Milchsäure e,H4(HO)eu «tAtf ö H J^
(Oxypropionsäure) H^ * * L
Aethylmüchsäure 6aH4(e,Hje)e(^ «haI^
(Oxyäthylpropionsäure) Hf^ " *^^0
Müchsäurediäthyläther ri h rfl n mAi ^*^*}^
(Oxyäthylpropionsäure. ^»««Ct^iH^^^^U „ BfiM
äthyläther) "' 0 H (^
Alanin. (Lactaminsäure) 6,H4(KH2)e)^ H>K
(Amidopropionsäure) ^aHj ^' OH Ol
Solche Formeln, in etwas abgeänderter Form, sind in neuerer Zeit mehrftck
vorgeschlagen und als besonders zweckmässig empfohlen worden *). Sie bietea
*) Kolbe, Ann. Chem. Pharm. CIX. 259. — CXUI. 328. — In Betreff der Neu-
heit solcher Ansichten Tgl. Laurent's Eurhyzen (Methode de Chimie S. 354);
Williamson, Ann. Chem. Pharm. XCn. 846; Wurtz, ibid. CVII. 196; Weltnen,
ibid. CVIH 86. etc. — Es wurde irflher (§. 241) schon darauf aufmerksam
gemacht, dass bei logisch consequenter Durchführung dieser Ansichten d«r
Alkohol und die Essigsäure als Wasserstoffhyperoxydverbindungen der Ra-
dicale Aethyl und Acetyl betrachtet werden mttseten; der Aetlier wäre die
Aethylhyperoxydverbindung des Aethyls etc. Man hätte im All^emeineB
Formeln, wie sie Brodie 1864 in gebtreicher Weise zusammenstellte und ei
würde sich für die gemischten Aether (S. 666) die damals von Odling auf-
geworfene Frage aufdrängen: welches der beiden Alkoholradieale wohl ia
Form von Hyperoxyd mit dem anderen veirbunden sei? •
Allgemeine Betreditangen. 737
vor den typischen Formeln keinerlei Vorzug, verhttllen vielmehr 4ine groBse An-
sah! Yon Analogieen und lassen in anderen Fällen, wo keine Analogie stattfindet,
solche vennnthen*).
Auch für die amid artigen Verbindungen muss der Theorie 1006.
nach die mehrfach erwähnte unsymmetrische Constitution der Radicale:
OnH^n-^O von eigen thümlichen Einfluss sein. Zweiatomige Säuren
bilden, wie oben (§§. 1009 ff.) ausführlich erörtert wurde, hauptsächlich
zwei Amide, die bei typischer Betrachtung durch die Formeln ausgedrückt
werden:
Amid. Aminsäure.
B< H
h,[n, H N
Hl» &
Die erstere Verbindung kann aus dem neutralen, die zweite aus
dem sauren Ammoniaksalz durch Austritt von Wasser abgeleitet werden.
Da nun die Glycolsäure und Milchsäure zwar zweiatomig aber
doch nur einbasisch sind, so bilden sie nur je ein Ammoniaksalz,
welches in der Zusammensetzung den sauren Salzen zweiatomiger Säu-
ren entspricht, aber die Eigenschaften eines neutralen Salzes zeigt.
Aus diesem Salz leitet sich durch Wasserverlust eine Verbindung her,
die dem Typus: NH| -f- HjO zugehört, also demnach als Amiüisäure
zu betrachten wäre. Da aber das angewandte Ammoniaksalz ein neu-
trales Salz war, so zeigt die Verbindung die Eigenschaften eines Ami da.
Sie ist unter den amidartigen Verbindungen genau was der Milchsäure-
monäthyläther unter den Aetherarten. ^ ^*'
Auf indirectem Weg, durch Einwirkung von Ghlorpropionsäuire oder
Chloressigsäure auf Ammoniak, kann das andere WasserstoffatQm <}^r
Milchsäure oder Glycolsäure durch den Rest NH^ des Ammoniaks ersetzt
werden, man erhält so amidartige Verbindungen (z. B. Glycocoll, Alai^in),
die von den oben erwähnten Amiden in den Eigenschaften verschieden
sein müssen und zu denselben genau in demselben Verhältniss stehen,
wie die Aetbylmilchsäure zum Milchsäuremonätbyläther. Z. B.:
Milchsäuremonamid. Alanin.
gl" «*lte ■ :;
•) Vgl. Fester, Ann. Chem. Fharai. CZVII. 176.
K«kiiU, organ. Gheaii«. 47
138 Zw^ABtm^ Stfoi^i ßJSk^Br
Oljeob&DrenMMitMnid. OlyeooolL
H N e,H,e
Die Monamide der Glycolsfture und Milchsäure sind bis jetzt nnr wenig m-
tersucht Man hat indess beobachtet, dass beim Erhitzen von glycolsaurem Am-
moniak oder bei Einwirkung von Glycolid auf Ammoniak ein Amid der Glycol-
Bänre entsteht, welches mit GlycocoU nur isomer aber nicht identisch ist Es
serifillt schon bei Einwirkung von Aetzkali in Ammoniak und Glycolsfiure, waii-
rend das GlycocoU von Kali nicht zersetzt wird. Gegen salpetrige Säure veiy-
ten sich beide Körper wie Awide der Glycolsäure, insofern sie beide unter Stiek-
Stoffentwicklung diese Säure erzeugen.
Die wahren Amide (Diamide) der zweiatomigen Glycols&oie ud
Milehs&ure sind bis jetzt n4cht bekannt.
QlyoolB&urediattid. MilohelMirediamid.
Hi fl.
hU H N
HJN H[N
Da keine Ammoniaksalze dieser Säuren exisüren, welche 2 i^^
Ammoniak enthalten, so können diese Amide auf gewöhnlichem Veg
sieht erhalten werden, die Theorie zeigt indess verschiedene Methoda
aOi nach welchen man sie wahrscheinlich wird erhalten können.
Eine ähnliche Verschiedenheit wie die zwischen Glycolsäure-mos-
amid und GlycocoU wird sich wahrscheinlich wiederfinden für dieAethyl
enthaltenden Amide dieser Säuren. Mit dem von Wurtz durch Einwir-
kmig TOB Miichsäurediäthyläther auf Ammoniedc erhaltenen Laetamethai
(LaetaminsäUTeäther , Aethjlmilchsäureamid) ist wahrscheinlich eine tn-
dere Bnbstanz isomer zu deren Darstellung die Theorie ebenfalls TerMhie-
4ene Wege andeutet.
Lactamethan. unbekannt.
Damit ist nun nicht zu verwechseln die Verschiedenheit des von Wuils und
Frledel neuerdings aus Lactid und Aethylamin dargestellten Körpers von LacU-
methan. ^ Diese Isomerie hat ihre Ursache nicht in der unsymmetrischen Katar i»
Radicals *), sie findet sich bei allen derartigen Verbindungen zweiatomiger (td
*) Vgl Wurtz und Friedel, Gompt rend. LH. 1069.
Allgemeine Betrachtungen. 739
sweibasiBcher) Säuren und erklärt sich dadurch, dass das Aethyl einmal den Was-
serstoff des Ammoniaktypus, das anderemal deiyenigen des Wassertypus ersetzt
(vgl. §. 1011). Man hat:
Aethylmilchsäureamid. Milchsäureäthylamid.
Es wurde oben erwähnt (§. 1001), dass das Anfangsglied der ho- 1067.
mologen Reihe zweiatomiger Säuren, die Kohlensäure, sich dadurch von
übrigen Gliedern der Reihe unterscheidet, dass sie nicht einbasisch ist,
wie die übrigen Glieder der Reihe, sondern zweibasisch.
Die Ursache dieser bemerkenswerthen Verschiedenheit der sonst ent-
sprechend zusammengesetzten und homologen Säuren ergibt sich aus der-
selben Vorstellung, durch welche die Verschiedenheit der zwei typischen
Sauerstoffatome der Milchsäure und der Glycolsäure ihre Erklärung fin-
det. In der That müssen sich die beiden Wasserstoffatome der als Hy-
drat freilich nicht exisiirenden Kohlensäure, also besser die beiden Me-
tallatome der kohlensauren Salze in Bezug auf die im Molecül enthalte-
nen Sauerstoffatome in symmetrischer Stellung befinden. Da das Radical
keinen Wasserstoff mehr enthält, so kann nicht durch den Einfiuss von
solchem Wasserstoff das eine der typischen Wasserstoffatome alkoholi-
schen Charakter behalten; der Einfluss des eintretenden Sauerstoffs muss
sich vielmehr auf beide typischen Wasser stoffatome erstrecken. Der ge-
ringen Anzahl der im Molecül der Kohlensäure enthaltenen Atome wegen
fällt die Ursache und sogar die Möglichkeit der Nichtsymmetrie der bei-
den typischen Wasserstoffatome weg. — Aus demselben Grunde zeigen
auch die Aether der Kohlensäure nicht ein den Aethern der Milchsäure
und Glycolsäure entsprechendes und etwas aussergewöhnliches Verhalten.
Aus demselben Grunde erhält man für die Kohlensäure leicht ein wirk-
liches Amid (Typus: 2NH3), während die übrigen Säuren der Reihe zwar
leicht Aminsäuren (Typus : NH3 -j- H2O) aber nur mit grosser Schwierig-
keit wirkliche Amide bilden. Auch das der Kohlensäure entsprechende
Chlorid: 6O.CI2 (Garbonylchlorid, Phosgen) verhält sich bei den meisten
Beactionen wie das Ghlprid eines zweiatomigen Radicals. Es eliminirt
bei Einwirkung von Wasser oder von Basen die beiden Chloratome
gleichzeitig, aber es [gibt doch bei Einwirkung von Alkohol, indem es
nur die Hälfte se^ies C|hlors eliminirt, eine chlorhaltige Aetherart die
YoUfltändig dem oben besprochenen Chlorpropionsäure- oder Chlormiloh-
Bftureäthylääier analog ist (vgl $. 1005):
47 •
740
Zweiatomige SSnren: GaHteOf
ChlorameüensSare- 6C10>rv _
äthyläther. e»H»J ~
Cblorkohlensäure-
ätl^yläther.
Auch diese« Chorid verhält sich also bisweilen wie ein zweiatomi-
ges, bisweilen wie ein einatomiges Chlorid:
Chlorformylchlorid 6010. Cl = eO-Clj Carbonylchlorid.
1068. Die genetischen Beziehungen der Verbindungen der zweiato-
.^^ ,. migen Radicale: 6oH2o-aO zu Verbindungen anderer Radicale sind schon
mehrfach besprochen worden. Es genügt daher, sie hier kurz zusam-
menzustellen.
Die Beziehungen zu anderen Radicalen von gleichviel Kohleo-
stoffatomen sind ausgedrückt durch die Tabelle:
Alkohol.
Glycol.
Essigsäure.
Giycolsänre.
Oxalsäure.
WJe,
^•?ä«.
Glyoxylsäure.
Gerade so wie durch directe Oxydation aus den einatomigeo Alko-
holen einatomige Säuren entstehen, z. B. aus Aethylalkohol Essigsäare
($. 792), so werden aus den zweiatomigen Alkoholen (Gljcolen)
durch directe Oxydation , z. B. durch den Sauerstoff der Luft unter Ver-
mittlung von feinzertheiltem Platin, die zweiatomigen Säuren erbalten:
aus Glycol entsteht Glycolsäure, aus Prop^lglycol Milchsäure (vgl
S. 999).
Werden in diesen zweiatomigen Säuren nochmals 2 Atome 'Was8e^
Stoff durch directe Oxydation durch Sauerstoff ersetzt, so entstehen Oxal-
säure oder mit dieser homologe Säuren.
Gerade so wie aus den einatomigen Alkoholen die zweiatomiges
Alkohole erhalten werden können, indem man dem Radical ein Atom
Wasserstoff entzieht und dann auf indirectem Weg die dem Wassertfp
zugehörige Verbindung des neuen zweiatomigen Radicals darstellt; so
können die einatomigen Säuren in zweiatomige übergeführt werden.
Man ersetzt 1 Atom Wasserstoff der einatomigen Säure durch Chlor oder
Genetische Besiehimgen. 741
Brom und Iftsst das so erhaltene Substitutionsproduct auf eine dem Waß*
sertyp zugehörige Base einwirken. (Eeku]6, • Perkin und Duppa; vgl.
§§. 302, 797).
Wird statt der Monobromessigsäure die Dibromessigsäure durch
Basen zersetzt, so erhält man zunächst die von der Glycolsäure sich
durch Substitution ableitende Monobromglycolsäure, die dann bei weiterer
Zersetzung, indem das Radical wieder ein Atom Wasserstoff verliert, di^
dreiatomige Glyoxjlsäure liefert (Perkin und Duppa; vgl. §. 798).
Umgekehrt kann aus Olycolsäure Essigsäure und aus Milchsäure
Propionsäure erhalten werden, indem man zunächst durch Einwirkung
von Pbosphorchlorid die betreffenden Chloride darstellt, diese dann mit
Wasser zersetzt und in den entstandenen Säuren (Monochloressigsäure,
Monoohlorpropionsäure) das Chlor durch Kückwärtssubstitution durch
Wasserstoff ersetzt (Ulrich, Perkin und Duppa; vgl. §. 797). Dieselbe
Reduction der zweiatomigen Säuren zu einatomigen kann auch direot
durch Erhitzen mit Jodwasserstoff ausgeführt werden, so liefert z. B. die
Milchsäure beim Erhitzen mit Jodwasserstoff leicht Propionsäure (Lau-
temann).
Endlich kann aus dem einatomigen Aethylalkohol durch Oxydation
mit Salpetersäure, neben anderen Zersetzungsproducten auch die zwei-
atomige Olycolsäure erhalten werden (Debus).
Die Verbindungen der zweiatomigen Radicale: GnH2n-20 liefern bei
manchen Zersetzungen Verbindungen der einatomigen um 1 At. 6 är-
meren Säureradieale: 6nH2a.iB; und können umgekehrt aus den Ver-
bindungen solcher Radicale erhalten werden.
Die Milchsäure zerfsLllt z. B. beim Erhitzen in Aldehyd, Koblenozyd und
Wasser :
Milchsäure. Aldehyd.
Auch die Amin säuren dieser zweiatomigen Radicale liefern bei manchen Zer-
setzungen Aldehyde, bei anderen Hydrate der fetten Säuren (vgl. §. 1098).
Die synthetische Bildung dieser Aminsäuren aus Aldehyden der fetten Säu-
ren und Cyanwasserstoff wird nachher ausführlicher besprochen (§. 1096).
Auch Verbindungen einatomiger Alkoholradicale von 1 At. 6 weni-
ger werden bisweilen bei Zersetzung von Verbindungen der zweiatomigen
Radicale: 6nH2n-20 gebildet. So zerfällt z. B. die Lactaminsäure (Ala-
nin) bei trockner Destillation zu Kohlensäure und Aethylamin (vgl. $. 1098).
Gl y CO lyl verbin düngen.
Glycolid: GjHaO.O (Glycolsäureanhydrid). Dessaignes *) er- 1069.
•) Ann. Chem. Pharm. T.XXXIX. 342.
742 Zweiatomige Sttnren: OnBsa^s*
hielt das Olycolid 1854 durch Erhitzen von Tartroneänre auf 180^;
es entsteht auch neben Glycolsäure, wenn krystallisirtes monoehloresng.
saures Kali ($. 871) auf 120<^ erhitzt wird (Eekuld). Das Glycolid ist
ein weisses in kaltem Wasser unlösliches amorphes Pulver. Beim Kooben
mit Wasser geht es langsam, beim Kochen mit Ealilösang oder Kalk-
wasser rasch in Ol jcolsäure über. Mit Ammoniak erzeugt es Olycolstait-
monamid.
1070. Glycolsäure*): e,H4e, = ^'^]^|Oi. Strecker und So-
eoloff stellten 1851 die Glycolsäure dar durch Kochen der Benzoglycol-
s&ure mit yerdünnten Säuren:
Benzoglycols&ure. Glycolsäure. Benzoesäure.
GAG +
M + H,G = ^«\^JG, + ^^^*gje
und durch Einwirkung von salpetriger Säure auf Glycocoll ($.1099).
Dessaignes erhielt sie 1854 aus Glycolid ($.1069). Debus 1856
als Ozydationsproduct des Aethylalkohols mittelst Salpetersäure (vgl
Glyoxalsäure). Wurtz zeigte 1857, dass das Glycol bei langsamer Oxy-
dation, namentlich bei Einwirkung verdünnter Salpetersäure, Glycolsäure
erzeugt. Die Glycolsäure wird am leichtesten durch die mehrfach er-
wähnte Zersetzung der monochloressigsauren Salze erhalten (Ke-
kul6; vgl. §.871). — Monobromessigsäure liefert in derselben Weise
Glycolsäure (Perkin und Duppa).
Darstellung. Monocbloressigsaares Kali wird mit etwas Wasser emige
Stunden auf 120® erhitzt und die Masse mit Aetheralkohol ausgezogen. Heinti**)
empfiehlt, zur Reinigung der Säure, durch Zusatz von schwefelsaurem Eupferoxyd
zur concentrirten Lösung des Rohproducts glycolsaures Eupferoxyd darzustellen
und dieses in heisser wfissriger Lösung durch Schwefelwasserstoff zu zersetzen. -
(Die von Ol o 6z ***) 1852 in den Mutterlaugen von der Darstellung des Enallqaed-
silbers aufgefiuidene und als Homolactinsäure bezeichnete Säure ist offenbar
mit Glycolsäure identisch)
Die Glycolsäure ist in Wasser, Alkohol und Aether sehr löslieh.
Die wässrige Lösung der reinen (aus dem Silber- oder Eupfersals abge-
schiedenen und auch der aus Glycolid dargestellten) Säure hinterlM
•) Socoloff u. Strecker, Ann. Chem. Pharm. LXXX. 17. — Dessaignes, ibü
LXXXIX. 8de. Debus, ibid. C. 1; Cfl. 27. Wurtz, ibid. CIIL W7. -
Eekul6, ibid. CV. 286. Perkin u. Duppa, ibid. CVITL 118.
••) Pogg. Ann. CXIL 87.
••*) Ann. C^em. Pharm. LZZXIY. 282.
GlfcoMove. 743
beim Verdunsten weisse sehr zerfliessliohe Krystde. Dureh Oxydation
geht die Olycolsäure leicht in Oxalsäure aber.
Glycolsaure Salze. Die bis jetzt bekannten Salze der Glycolsftnre ent-
halten nur ein Aeqnlvalent Metall. Das Kalks alz: OsHyCaOs ist in kaltem Was-
ser sehr wenig löslich, es scheidet sich beim Erkalten der heissen Lösung in fei-
nen sternförmig vereinigten Nadeln aus. Das Barytsalz ist in Wasser ziemlich
löslich und aus concentrirten Lösungen krystallisirbar. Das glycolsaure Sil-
ber wird als krystallinischer Niederschlag erhalten, wenn eine heisse Lösung von
glycolsaurem Kalk mit salpetersaurem Silberozyd versetzt wird. Es löst sich in
heissem Wasser unter theilweiser Zersetzung und Reduction von Silber. Das
Kupfer salz wird erhalten, indem man eine heisse Lösung von Glycolsaure, einem
glycolsauren Salz oder auch direct eine heisse Lösung von dem durch Hitze zer-
setzten mon^chloressigsauren Salz mit Kupfervitriollösung versetzt; es scheidet
sich beim Erkalten als grünblaues Krystallpulver aus.
Aether der Glycolsaure sind bis jetzt nicht aus Olycolsfture 1071.
dargestellt worden, aber man kennt Aethersäuren der Olycols&ure,
in welchen der nichtmetallische Wasserstoff der Olycols&ure durch Alko-
holradicale ersetzt ist (vgl. §. 1061). Man erhält diese Verbindungen
durch eine Reaction, welche der Bildung der Glycols&ure aus Honoohlor-
essigsänre völlig analog ist, n&mlich durch Einwirkung von monochlor^
essigsaurem Natron auf Natriummethylat oder Natriumäthylat Z. B.:
Monochloressigsaures Natrium- Methylglycol-
Natron. methylat saures Natron.
Naf^ - jj^[e eH,p - eaHa0 + NaCL
n4^
Ileintz*) hat auf diese Weise dieMethylglycolsäure, Aethyl-
glycolsäure und Amyl glycolsaure dargestellt und verschiedene
Salze dieser Säuren untersucht. Die Säuren sind ohne Zersetsung destil-
lirbar.
Beim Kochen mit Kalilauge erleiden diese Säuren keine Zersetzung. Es er-
gibt sich dies aus den §. 1062 mitgetheilten Betrachtungen und daraus, dass die
Glycolsaure keine Salze mit zwei Aequivalent Metall bildet
IT
G HBrO )
Monobromglycolsäure: ' g > O3 entsteht, nach Perkin und
Duppa, durch Zersetzung des bibromessigsauren Silbers ($. 875).
Di glycolsaure. Durch Oxydation des Diäthylenalkohols ($.966) 1079«
mittelst Platinmohr oder Salpetersäure erhielt Wurtz**) die Diglyool*
säure:
•) Pogg, Ann. CIX. 801, 470. CXI. 662.
**) Ann. Ghem. Pharm. CXVIL 186.
744 Zweiatomig« Sttaren: 6nHsa0a*
N&thylcnalkohol.
Diglyoolsinre.
e,H,e ö.
Sie iet isomer mit Aepfelsäure und krystaliisirt in rhombisebei
\n Wasser und Alkohol löslichen Prismen : O^B^Ö^ -f- HjO, die an treck-
ner Luft verwittern. Die trockne Säure schmilzt bei 148^, erstarrt beim
JBrkalten krystallinisch und zersetzt sich in höherer Temperatur.
Das Kalks alz: G^H^Caae^ 4- SH^O krystaliisirt in glänzenden Nadeli,
4ie in kaltem Wasser fast unlöslich sind. Das Silbersalz: Bfi^Ag^^^ ist eii
weisser Niederschlag. Ein saures Kalisalz: 64H5KO5 wird durch Zusatz von Di-
glycolsäure zur Lösung des neutralen Kalisalzes als krystallinischer in Wasser
wenig löslicher Niederschlag erhalten.
Eine mit der Digljcolsäure offenbar identische und als Para-
äpfelsäure bezeichnete Säure wurde von Ueintz bei DarsteüuBg
von Glycolsäure durch Kochen von Monochloressigsäure mit Natronlauge
erhalten. Die Bildung der Diglycolsäure unter diesen Umständen ist
leicht verständlich, sie erfolgt vielleicht durch Vereinigung von 2 Hol
Olycolsäure unter Austritt von Wasser :
Glycolsäure. Diglycolsäure.
X)der wahrscheinlich durch Einwirkung von Monochloressigsäure auf schoo
gebildetes glycolsaures Natron:
Glycolsaures Monchloressig- Diglycolsäure.
Natron. säure.
*4lt«. + ^'tP = elijtj
= e,Hae>Os + NaCl.
Heintz erhielt ein sauer reagirendes in grossen Prismen krystallisirtes Aa-
. moniaksalz: G4Hs(NH4)05 und ein krystallisirtes Barytsalz: G4H4BaaO« -f- H^O.
1078, Diglycoläthylensäure. Von Wurfz ♦) durch Oxydation d«
Triäthylenalkohols ($. 966) mittelst Salpetersäure erhalten:
•) Ann. Chem. Pharm. CXVIL 189.
Snlfbeseigstaie. 745
Tri&thylenalkohol. Digljoolftthylens&ure.
n n
Die Säure krystallisirt erst bei längerem Stehen. Das Kalksalz ist in Was-
ser viel löslicher als diglycolsaurer Kalk and krystallisirt in amianthähnlichen
Nadeln.
Olycolchlorid, identisch mit Monochloracetylchlorid: 1074.
ejHjO.Cl, = ejHjCie.CI. Es entsteht bei Einwirkung von Phosphor-
supercblorid auf OJjcols&ure und schliesst sich dadurch an die übrigen
Gljcolylverbindungen an. Bei anderen Bildungsweisen und bei allen bis,
jetzt bekannten Zersetzungen verhält sich wie das Chlorid des einfach
gechlorten Acetyls. Es ist $. 883 beschrieben.
Sulfo essigsaure: SO, . esH^e, . H^ . O,. Zu den Verbindungen 1076.
des Radicals der Olycolsäure muss auch die von Melsens*j 1842 bei
Einwirkung von Schwefelsftureanhydrid auf Essigsäure entstehende Sulfo*
essigsaure gerechnet werden, die später von Hof mann u. Buckton**)
auch durch Einwirkung von rauchender Schwefelsäure auf Acetamid und
Acetonitril erhalten wurde.
Die Sulfo essigsaure entsteht aus Essigsäure durch eine Reao-
tion, die derjenigen, durch welche aus AlkohoJ Isäthionsäure (§§. 994ff.)
gebildet wird vollständig entspricht (vgl. auch §§. 306, 355). Sie kann
ausgedrückt werden durch die Formel:
Typus. Sulfoessigstture.
H H)
\
H ^»
H|
Zur Darstellung der Snlfoessigsänre sättigt man Eisessig mit Schwefelsäure-
anhydrid, erwärmt einige Zeit, verdünnt mit Wasser, neutralisirt mit kohlensau-
rem Blei und dampft die filtrirte Lösung zur Krystallisation ab. Die aus dem so
erhaltenen sulfo essigsauren Blei mit Schwefelwasserstoff abgeschiedene Sul-
foessigstture bildet zermessliche , bei 62' schmelzende Säulen. Sie ist zwei-
basisch. Ihre Salze sind meist in Wasser löslich und krystallisirbar.
*) Ann. Chem. Pharm. XLIV. 97; LO. 276.
••) Ibid. C. 141.
746 Zweiatomige Sftnren: 6nH2oO,.
Die Sulfo essigsaure geht beim Erwftrmeii mit Sohwefelsäure-
anhydrid oder mit rauchender Schwefelsäure in Disulfomethols&ure
über (vgl. §. 998).
Sie ist die einzige bis jetzt bekannte Sulfosäure der zweiatomigen
Radicale: GnH^n-iO.
La ctyl Verbindungen.
1076. Milchsäure: G^E^e^ = ^'^^{Oj. Die Milchsäure wurde 1780
von Scheele in saurer Milch aufgefunden, ihre Zusammensetzung wurde
1832 von Mitscherlich und von Liebig festgestellt.
Die Milchsäure findet sich, wie es scheint, nicht fertig gebildet
im lebenden Pflanzen- oder Thierorganismus. Sie entsteht aus den Zucker-
arten, aus Gummi und selbst aus Stärkemehl durch eine eigenthttmllohe
unter dem Einfluss gewisser Fermente stattfindende Oährung. Daher ent-
halten theilweise zersetzte thierische Flüssigkeiten und sauer gewordene
Pfianzensäfte häufig Milchsäure. Auch die Milchsäure des Magensaftes
entsteht offenbar durch eine solche Zersetzung.
In besonders grosser Menge findet sie sich z. B. in saurer Milch, im Sauer-
kraut, in Gerberlohe, in gegohrenem Runkelrübensaft etc.
Von den künstlichen Bildungsweisen der Milchsäure sind
besonders die folgenden von Interesse:
1) Propylgljcol (§.970) wird bei Gegenwart von Platinschwarz
durch den Sauerstoff der Luft zu Milchsäure oxydirt (vgl. SJ, 937, 1067)
Wurtz ♦).
2) Monochlorpropionsäure ($. 895) liefert, wenn ihre Salze
mit Wasser erhitzt werden, Milchsäure.
3) Alanin (§. 1100) zerfällt bei Einwirkung von salpetriger Säure
unter Bildung von Milchsäure. Strecker ♦♦).
Da das Alanin durch Vereinigung von Acet-aldehyd und Cyanwasserstoff
(Nitril der Ameisensäure) erzeugt werden kann, so ist diese Bildung der Milch-
säure eine auf Umwegen verwirklichte Synthese durch Vereinigung von Aldehyd
mit Ameisensäure:
Aldehyd. Ameisensäure. Milchsäure.
1077. Zur Darstellung der Milchsäure verwendet man gewöhnlich
ihre Bildung bei Oährung der Zuckerarten, besonders des Rohrzuckers
und des Milchzuckers. Auch das Sauerkraut ist ein ziemlich ergiebiges
Material.
•) Ann. Chem. Pharm. CV. 206.
••) ibid. LXXV. 42.
ttflehs&iire. 747
Bei DarsteUnng der Milchsäure darch Gährang ist za berücksichtigen , dass
diese Gflhmng durch Anwesenheit einer grösseren Menge freier S&are verhindert
wird. Löst man z. B. in Milch noch mehr Milchzucker auf und lässt man die
Flüssigkeit bei Sommertemperatur (15^ — 20®) in offenen Gefössen stehen, so wird
sie bald sauer und es verwandelt sich nicht nur der in der Milch enthaltene, son-
dern auch ein Theil des zugesetzten Milchzuckers in Milchsäure*, aber man muss
von Zeit zu Zeit die freie Säure mit kohlensaurem Katron neutralisiren , um allen
Milchzucker in Milchsäure überzuführen (Boutron und FremyJ. Besonders zweck-
mässig ist die folgende Methode. Man löst Rohrzucker (8000 Gr.) und etwas Wein-
säure (16 Gr.) in siedendem Wasser (18 Liter), lässt mehrere Tage stehen, setzt
dann etwa 100 Gr. alten Ktise, der in 4000 Gr. saurer Milch vertheilt ist und
1600 Gr. Schlemmkreide zu und überlässt das Gemisch, unter Öfterem Umrühren,
an einem etwa 80^—85® warmen Ort sich selbst Nach 8—10 Tagen ist die Masse
zu einem steifen Brei von milchsaurem Kalk erstarrt (Bei zu langem Stehen wird
die Masse wieder flüssiger und es bildet sich buttersaurer Kalk, $ 896). Man setzt
der rohen Masse 10 Liter siedendes Wasser und 16 Gr. Aetzkalk zu, filtrirt und
dampft das Flltrat zur Syrupconsistenz ein. Nach einigen Tagen krystallisirt der
milchsaure Kalk in kömigen Krusten aus. Zur Reinigung wird der mUchsaure
Kalk mehrmals mit wenig kaltem Wasser angerührt und ausgepresst oder auch
nochmals aus siedendem Wasser krystallisirt. — Man zersetzt dann den in dem
doppelten Gewicht siedenden Wassers gelösten milchsaiiren Kalk mit verdünnter
Schwefelsäure (auf 1000 Gr. des ausgepressten Kalksalzes 210 Gr. concentrirte
Schwefelsäure) , filtrirt heiss vom niedergefallenen Gyps ab und kocht die Flüssig-
keit (etwa '/f Stunde lang) mit kohlensaurem Zinkoxyd (auf je 1000 Gr. der zu-
gesetzten Schwefelsäure 1400 Gr. kohlensaures Zinkoxyd). Die kochend filtrirte
Flüssigkeit setzt nach einiger Zeit farblose krystallinische Krusten von milchsau-
rem Zinkozyd ab. Man löst endlich dieses Zinksalz in 7^/a Th. siedendem Wasser,
zersetzt mit Schwefelwasserstoffgas und dampft die abfiltrirtc Lösung von Milch-
säure zur Syrupconsistenz ein (Bensch) *).
Statt des kohlensauren Kalkes kann, und die Darstellung wird dadurch ver-
einfacht, auch Zinkoxyd (käufliches Zinkweiss) dem Gährungsgemisch zugesetzt
werden. Man nimmt im Allgemeinen die von Bensch angegebenen Verhältnisse,
aber man setzt Vs Wasser mehr zu, nimmt statt der Schlemmkreide 1200 Gr. Zink-
ozyd und hält die Temperatur während der Gährung möglichst eonstant auf 40*
— 46*. Nach 8 — 10 Tagen ist die Innenwand des GefUsscs mit weissen Krystall-
krnsten von milchsaurem Zinkoxyd bekleidet, welches durch ein- oder zweimali-
ges Umkrystallisiren aus siedendem Wasser rein erhalten wird. Die aus dem Zink-
salz dargestellte Milchsäure enthält gewöhnlich Mannit, der aus der concentrirten
Säure nur zum Theil auskrystallisii-t. Zu seiner Entfernung schüttelt man die noch
wasserhaltige Säure mit Aether, hebt die ätherische Lösung ab und gewinnt durch
Verdunsten des Aethers reine Milchsäure (Lautemann) ••).
Zur Darstellung der Milchsäure aus Sauerkraut kockt man dieses mit Was-
ser, sättigt das Filtrat mit Zinkweiss oder kohlensaurem Zinkozyd und erhält
durch Erkalten des eingeengten Filtrats milchsaures Zinkoxyd (Liebig).
*) Ann. Chem. Pharm. LXI. 176.
**) ibid. CZm. 242.
748 Zweiatomige Sftaren: 63)a0a*
1078. Eigenschaften. Die Milohs&ure ist in völlig entwässertem Zu-
stand eine farblose, sjrupdicke Flüssigkeit von 1,215 sp. Gew. (bei 20^).
Sie ist sehr hygroskopisch und löst sich in Wasser, Alkohol und Aether
in jedem Verhältniss; sie wird von Aether der wässrigen Lösung entzo-
gen. Man hat die Milchsäure bis jetzt nicht in festem Zustand erhalten
können, bei ~ 24^ ist sie noch flüssig. Beim Erhitzen wird sie zum
Theil zersetzt, ein anderer Theil destiilirt unverändert oder wird wahr-
scheinlicher im Destillat durch Vereinigung der Spaltungsprodukte wie-
dererzeugt. Nach Engelhardt siedet die Milchsäure bei raschem Erhitzen
an einem eingesenkten Platindraht bei 200^.
Zersetzungen. Wird Milchsäure längere Zeit auf 140® — 150*
erhitzt, so entweicht Wasser und verdünnte Milchsäure und es bleibt
Dilactjlsäure (§. 1085), die bei weiterem Erhitzen (2^0®) sich zum
Theil in Wasser und Lactid (§. 1084) spaltet, während ein anderer
Theil zu Wasser, Kohlenoxjd und Aldehyd zerfällt (§. 1068). Erhitzt
man Milchsäure mit concentrirter Schwefelsäure, so entweicht viel Koh-
lenoxjd, destiilirt man mit Braunstein und Schwefelsäure, so entstehen
Kohlensäure und Aldehyd; setzt man dabei Kochsalz zu, oder destiilirt
man mit Braunstein und Salzsäure, so bildet sich Chloral (§. 885); durch
Oxydation mit Salpetersäure wird Oxalsäure erzeugt.
Zersetzt man milchsaures Kali durch den galvanischen Strom, so
zerfällt die Milchsäure, wie bei anderen Oxydationen in Kohlensäure und
Aldehyd (Kolbe) *). Durch Reduction, beim Erhitzen mit concentrirter
Jodwasserstofifsäure , geht die Milchsäure direct in Propionsäure über
(Lautemann) ♦♦),
Diese Reduction scheint in gewissen Bedingungen auch bei Gfihnmg milch-
saurer Salze stattzufinden. Wenigstens erhielt Strecker, (vgl. §. 896) aus einem
nach der Vorschnft von Bensch dargestellten Gährungsgemisch neben milchsaorem
Kalk und Mannit auch viel Propionsäuren Kalk. Gewöhnlich entsteht bei längerem
Stehen dieses Gährungsgemisches wesentlich Bnttersäure (vgl. §. 896), aber die so
dargestellte Buttersäure ist nie rein, sie enthält meist Essigsäure, EVopionsäure^
Baldriansäure und, wie es scheint, auch noch höhere Säuren dieser homologen
Reihe.
Lässt man auf Milchsäure oder auf milchsauren Kalk rauchende
Schwefelsäure einwirken, so entsteht Di su 1 fo m e th o l säure (§. 998)
(Strecker) *♦*). Bei Einwirkung von Phosphorsuperchlorid auf Milch-
säure oder milchsaure Salze wird Lactylchlorid (= Chlorpropionyl-
Chlorid §. 1087) erzeugt.
•) Ann. Chem. Pharm. CXIIL 244.
♦♦) ibid. CXm. 217.
♦•♦) ibid. CXVm. 291.
MUchsäure. 749
Milchsäure Salze *). Die Milchsäure ist eine starke Säure, 1079.
sie treibt die Essigsäure und in vielen Fällen sogar die Salzsäure aus.
In den gewöhnlichen (neutralen) milchsauren Salzen ist 1 Aeq.
Wasserstoff des Milchsäuremolecüls durch Metall ersetzt. Man kennt in-
dess für einzelne Metalle, namentlich für das Zinn, Salze, in welchen
die beiden Wasserstoffatome der Milchsäure durch Metall vertreten sind.
Man kennt ferner einige übersaure Salze; d. h. moleculare Aneinander«
lagerungen von normalem Salz mit Säurehydrat (vgl. §. 810); und man
kennt endlich einige diesen übersauren Salzen analoge Doppelsalze.
Die milchsauron Salze sind sämmtlich in Aether unlöslich; die meisten sind
in kaltem Wasser und in Alkohol schwer löslich.
1) Normale Salze: ^^h*^}^»
Das Kali-, das Natron-, das Ammoniak- und das normale Barytsalz
der Milchsäure sind in Wasser löslich und nicht krystallisirbar.
Milchsaurer Kalk^ OsHsGaO, + 2^/1 H2O (vgl. §. 811) bildet weisse
zu Warzen vereinigte Nadeln, die in Alkohol und in siedendem Wasser leicht, in
kaltem Wasser weit weniger löslich sind (9,5 Th. Wasser).
Mit denjenigen Metallen, deren Schwefelsäaresalze isomorph sind (Vitriole),
namentlich mit Magnesia, Zink, Eisen, Mangan, Kobalt und Nickel, bildet die
Milchsäure Salze, die denselben Krystallwassergehalt und in den Eigenschaften
grosse Aehnlichkeit zeigen. Das wichtigste dieser Salze ist das milchsaure
Zinkoxyd: OjKaZne, + Vi Ha0 (vgl. §. 811), es bedarf 58 Th. kalten, 6 Th.
kochenden Wassers zur Lösung und krystallisirt in glänzenden Nadeln oder in
kleinen zu Krusten vereinigten Krystallen; es verliert sein Krystallwasser leicht
bei 100®, und kann auf 210® erhitzt werden ohne Zersetzung zu erleiden. Aus
der heissen Lösung kann das Zink durch anhaltendes Einleiten von Schwefelwas-
serstoff vollständig gefällt werden. Das normale milchsaure Kupferoxyd
krystallisirt aus Wasser in schön blauen Kry stallen ; 63H5CU0, 4~ ^a^) die schon
in trockner Luft ihr Wasser verlieren und bei etwa 200® eine Zersetzung erleiden,
durch welche viel Aldehyd erzeugt wird. Milchsaures Silberoxyd ist in
Wasser und Alkohol in der Kälte wenig, beim Erwärmen leicht löslich, es kry-
stallisirt in kleinen,, meist warzenförmig vereinigten Nadeln: 63H5Ag0j 4" HjO.
Milchsaures Bleioxyd konnte bis jetzt nicht krystallisirt erbalten werden.
2) Salze mit zwei Aequivalent Metall sind bis jetzt nur wenige be-
kannt. Alle Metalle von stark ausgeprägt basischen Eigenschaften ersetzen nur
ein Atom Wasserstoff der Milchsäure; das zweite Wasserstoffatom scheint (inUeber-
einstimmung mit den oben entwickelten Ansichten, §. 1059) nur von denjenigen
Metallen ersetzt werden zu können , die in ihrer chemischen Natur sich den Säure-
radicalen nähern. EinZinn(oxydul)salz von der Zusammensetzung 63H4Sn203
wird beim Vermischen einer Lösung von Zinnchlorür mit milchsaurem Natron als
weisses Krystallpulvcr erhalten. Ein Kupfersalz, welches wahrscheinlich
die Zusammensetzung ^fi^pn^^^ zeigt, entsteht, wenn Milchsäure mit überschtls-
sigem, kohlensaurem Kupferoxyd gekocht wird.
*) Vgl. bes. Engelhardt und Maddrell. Ann. Chem. Pharm. LSHI. 88; Brüning,
ibid. CIV. 191. Strecker, ibid. XCL 352.
750 Zweiatomige Sfturen: BtJhnB^.
3) Ueber saure milchsaure Salze maocher Basen werden dnrch Ver-
dunsten der mit Milchsäure versetzten Lösung des neutralen Salzes erhalten. Man
kennt wesentlich das Barytsalz: OsH^BaO,, OgH^Os und das Kalks als:
4} Von den Doppel salzen der Milehsfture mögen erwähnt werden: mich-
saures Kalkkali, milchsaures Kalknatron und milchsaurer Zinknatron; z. B.:
^sHsCaOs -{- C3H5KO3. Eine Verbindung von der ' Zusammensetzang :
OsHsGaO,, CaCl 4~ SH9O kann in wohlausgebildeten prismatischen Krystallen er-
halten werden.
1080. Aether derMichs&ure*). Die theoretischen Beziehungen der
verschiedenen Aetherarten der Milchsäure wurden oben besprochen
(§. 1062) und es ist hier nur einiges Thatsächliche beizufügen.
Michsfture- monftthyläther. 63H5 (62H5) O3. Kann durch
Destillation von milchsaurem Kali -Kalk (i Th.) mit äthylschwefelsaurem
Kali erhalten werden (Strecker) ; man erhält ihn leicht, indem man Milch«
säure mit Alkohol auf 170® erhitzt. (Wurtz und Friedel). Der Aether
ist eine neutrale Flüssigkeit, die bei 156® siedet und sich in Wasser
löst, indem er rasch in Milchsäure und Alkohol zerfällt. Er löst viel
Chlorcalcium und gibt damit eine krjstallisirende Verbindung: CaCI,
46)H5(02H()0,. Mit weingeistigem Ammoniak verdunstet, liefert es
Lactamid (§. 1093).
Es löst Kalium unter Wasserstoffentwicklung auf und erseugi so
eine mit äthylmilchsaurem Kali (§. 1061) isomere Verbindung, aus wel-
cher bei Einwirkung von Aethyljodid der Milchsäurediäthjläther
erhalten werden kann (Wurtz und Friedel).
1081. Aethylmilchsäure. e,H4(esH5)He3. Das Kali- und das Ealk-
salz dieser 8äure werden erhalten, wenn Milchsäurediätjläther mit Kali-
lauge oder mit Kalkmilch gekocht wird. Das Kalksalz krjstallisirt in
weissen Warzen, das Zinksalz, trocknet zu einer gummiartigen Masse ein.
Das Silbersalz bildet beim Krystallisiren aus siedender wässriger Lösung
seidenglänzende büschelförmig vereinigte Nadeln (Wurtz, Butlerow).
Erhitzt man Aethylmilchsäure mit concentrirter Jodwasserstoffsäure,
so entsteht (durch Austausch des Aethyls gegen Wasserstoff) Aethyljodid
und Milchsäure; wird Jodwasserstoffsäure im Ueberschuss angewandt, so
tritt statt der Milchsäure Propionsäure auf (Butlerow).
Lässt man auf äthylmilchsaures Silber Aethyljodid einwirken, so wird
Milch sfturediäthyläther erhalten (Butlerow).
Die Aethylmilchsäure entsteht auch (neben Methylenjodid und
Acrylsfiure) bei Einwirkung von Natriiun&thylat auf Jodoform, In welcher
*) Vgl. bes. Strecker, Ann. Chem. t>harm. XCI. 852 ( — Wurts; ibid. CXII.
288', CXVni. 825. Anm. und Ann. Chem. Phys.LIX. 161; — Butlerow, Ann.
Chem. Pharm. CXIV. 206; CXVUl. 825; - Wurts u. Friedel, Compt rend.
UL 1067.
Milchsäiire. 151
Weise die Aethylmilcha&ure bei dieser synthetischen Bildung erzeugt wird, ist noch
nicht völlig aufgeklärt. Butlerow macht darauf aufmerksam, dass sie vielleicht
durch direkte Vereinigung von Acryls&ure mit Alkohol gebildet würde:
Acrylsfiure. Alkohol Aethylmilchsäure.
Milcbsäuredi&thjläther. 63H4(62H5)203 ; wird erhalten, wenn 1062.
Chlormilchsäureäthyläther (Cblorpropionsäureäthyläther §. 1088) auf Na-
triumäthjlat einwirkt (Wurtz).
Er entsteht ferner aus äthylmilchsaurem Silber bei Einwirkung von
Aethjrljodid (Butlerow); und ebenso bei Einwirkung von Aethyljodid
auf die aus Milchsäuremonäthyläther dargestellte Kaliumverbindung (Wurtz
und Friede!).
Der Milchsäurediäthyläther ist eine angenehme riechend Flüssig-
keit, die bei 156^,5 siedet. Er ist in Wasser unlöslich, löslich in Alko-
hol und Aether.
Beim Kochen mit Kalilauge oder Kalkmilch verliert er nur das eine
der beiden Alkoholradikaie und zerft^llt zu Alkohol und äthjlmilchsaurem
Salz. Bei Einwirkung von Ammoniak findet eine ähnliche Zersetzung
statt, durch welche Alkohol und das Amid der Aethylmilchsäure erzeugt
wird (§. 1093).
Butyrylmilchsäureäthyläther ♦). Wenn Chlormilchsäure- lOÖ^-
äthyläther mit buttersaurem Kali längere Zeit auf 100® erhitzt wird, so
entsteht . der Butyrylmilchtäureäthyläther, als in Wasser unlösliche, in
Alkohol und in Aether lösliche Flüssigkeit. Siedep. 208®.
eje
Er zerfällt beim Erhitzen mit Kalilauge zu Alkohol, Buttersäure
und Milchsäure (Wurtz).
Lactid**). (Anhydrid der Milchsäure); 6311402 = 631140.0. Es 1084.
entsteht bei trockner Dsstillation der Milchsäure. Zu seiner Darstellung
dampft man das bei langsamer Destillation der Milchsäure erhaltene De-
stillat bei 100<^ ein, wäscht mit kaltem Alkohol und krystallisirt aus
heissem Alkohol um. Das Lactid krystallisirt in rhombischen Tafeln, die
bei etwa 100^ schmelzen; es siedet bei etwa 250^. Es löst sich nur we-
nig in heissem Wasser. Beim Kochen mit Wasser geht es langsam, bei
Einwirkung von Basen rasch in Milchsäure über. Mit Ammoniak er-
•) Würz, Ann. Chem. Phwm. CXlI. 236*
••) J. Gay-Lussac undPelouze (188S) Ann. Ohem. Pharm. VtL 48; Pelouze ibid«
LUX. 116; Engelhardt ibid. UUL 248.
753 Zweiatomige Sfturen: 0nHte0,.
zeugt es MilchsfturemoDanid ($. 1093): mit Aethjlamin Lacl&thjlamid
(§. 1093).
1085. Dilactylsäure *) (wasserfreie Milchsäure). 6eH|oOft. Wenn
man Milchsäure längere Zeit auf 130^—200 erhitzt, so bleibt eine blass-
gelbe, amorphe, leicht schmelzbare Masse, die beim Kochen mit Wasser
langsam , bei Einwirkung von Alkalien rasch in Milchsäure flbergeht, und
bei trockner Destillation zu Lactid und Wasser zerftllt.
Dilactylsäure-monäthyläther**); iG^^O)^(ejl^)ü.e^^ wird
als bei etwa 235 siedende Flüssigkeit erhalten, wenn man Chlormilch-
Säureäther mit einer alkoholischen Lösung von milchsaurem Kali auf 100*
erhitzt.
Trilaotylsäureäther***); (GaHAO), (esH^^ . O4, entsteht dorch
direkte Vereinigung yon Lactid (2 Mol.) mit Milohsäuredi&thjlätlicr
(1 Mol.).
Der erstere dieser beiden Aether kann als saarer Aether der DUactylsänre,
der letztere als neutraler Aether der noch unbekannten Trilactylsäare betrachtet
werden.
Dilactylsfture. Dilactyls&uremon- Trilactylsfture. Trilactyls&oreiither.
fithylftther.
Ha)
e,H4e\ ^«".*^i ^8^4^]
^J?1?>^« ^»^I^^Ut ^Ä^U^
1066. Lac tont); O^H^Oj. Bei Destillation von Milchsäure entsteht neben Lactid
noch eine bei etwa 92® siedende Flüssigkeit von aromatischem Geruch. Das Lae-
ton steht zur Milchsäure in ähnlicher Beziehung wie das Aceton zur Essigsäure ff),
seine Bildung erklärt sich aus der Gleichung:
Milchsäure. Lacton.
2e,H.e3 = eaHgOa + ee, + 2Hje.
1087. Lactylchlorid fff) 63H4O . Glj (identisch mit Chlorpropionylchlo-
•) Pelouze (1845) Ann. Chem. Pharm. LIIl. 112j Engelhardt, ibid. LXX. 241.
••) Wurtz und Friedel, Compt rend. LH. 1070.
♦••) Wurtz und Friedd, ibid.
t) Pelouze, Ann. Chem. Pharm. LIIL 118.
tt) Die Beziehung des Lactons zur Milchsäure unterscheidet sich von derjenigen
des Acetons zur Essigsäure genau wie die Beziehung der salicyligen Säure
(Halbaldehyd) zur Salicylsäure von derjenigen des Aldehyds zar Essigs&are.
— Das Lacton kann demnach durch die Formel ausgedrückt werden:
Lacton. Typus.
0sH4e )
ttt) Wnrts, Ann. Chem. Pharm. CVII. 192; Ubich, ibid. CIX. 268.
HÜchsfture. 753
rid: 63H4CIO.CI). Durch Destillation Yon milchsaurem Kalk mit dem
doppelten Gewicht Phosphorsuperchlorid erhält man das mit Phosphor-
oxychlorid gemengte Chlorid der Milchsäure, dessen Reindarstellung bia
jetzt nicht gelang, weil es bei der Destillation theilweise Zersetzung er-
leidet.
Das Lactjichlorid zerfällt mit Wasser zu Salzsäure und Chlorpro-
pionsäure (§. 895), es verhält sich also wie Monochlorpropionylchlorid.
Mit Wasser und Zink liefert es durch Rückwärtssubstitution der anfangs
gebildeten Monochlorpropionsäure Propionsäure; beim Erhitzen mit Kali-
hjdrat erzeugt es Milchsäure. Lässt man Lactjichlorid auf Alkohol ein-
wirken, so entsteht Chlormilchsäureäther.
Chlormilchsäureäther, Chlorpropionsäureäther *); 108&
63H4C1.H.(62H5).6. Man erhält diesen Aether leicht, indem man das
bei Destillation von milchsaurem Kalk mit Phosphorsuperchlorid erhaltene
Product in Alkohol giesst und dann mit Wasser fUUt. Der gereinigte
Aether ist eine aromatisch riechende Flüssigkeit, die bei 143® siedet.
Der Chlorpropionsäureäther gibt mit Alkalien Chlorpropionsäure; bei
längerer Einwirkung von Zink und Wasser direct Propionsäure. Mit
Natriumäthylat erzeugt er Milchsäurediäthjläther (§. 1082); mit milch-
saurem Kali Dilactylsäuremonäthyläther (§. 1085); mit buttersaurem Kali
erhitzt bildet er Butylmilchsäureäthjläther (§. 1083).
Paramilchsäure, Fleischmilchsäure**). Berzelins ent- 1069.
deckte 1806 im Muskelfleisch eine Säure, die er für identisch mit der aus
saurer Milch dargestellten Milchsäure hielt. Liebig zog dieses Vorkommen
in Zweifel, indem er namentlich darauf aufmerksam machte, dass die
von Berzelius gefundenen Thatsachen nicht hinreichten die Identität bei-
der Säuren festzustellen. 1847 zeigte dann Lieb ig, dass die Fleisch-
flttssigkeit allerdings eine Säure enthält, die mit der gewöhnlichen Milch-
säure gleiche Zusammensetzung zeigt und mit ihr in vielen Eigenschaften
übereinstimmt in anderen Eigenschaften dagegen wesentliche Verschie-
denheit zeigt. Strecker fand 1858, dass die Fleischmilohsäure durch
längeres Erhitzen auf 130^ — 140® und Auflösen der gebildeten wasser-
freien Milchsäure in Wasser in gewöhnliche Milchsäure übergeführt
werden kann.
Zur DarsteUang der Paramilchsäare laugt man zerhacktes Fleisch mit kal«
tem Wasser oder verdünntem Weingeist aus, versetzt mit Barytwasser, coagulirt
das Albumin durch Kochen, fUtrirt nnd dampft ein. Dem syrupartigen Rückstand
*) Wurt£, Ann. Chem. Pharm. CVIt. 194; übrich, ibid. CIX. 268.
••) Liebig, Ann. Chem. Pharm. T.XTL 278 und 826. — Engelhardt, ibid. LZV.
269; Heintz, Pogg. Ann. LXXV. 391. — Strecker, Ann. Chem. Pharm.
CV. 818.
KeksU, org«B. Cheai«. 43
754 Zweiatomige Säuren: 6nH2a03.
setzt man Schwefelsäure zu , schüttelt mit Aether und erhält durch Verdunsten der
ätherischen Lösung die fleischmilchsüure. Sollen gleichzeitig die übrigen im Mus-
kelfleisch enthaltenen Stoffe gewonnen werden., so muss dos Verfahren etwas ab-
geändert werden. Die Milchsäure ist dann, nachdem Kreatin, inosinsaurer Baryt
etc. auskrystallisirt sind, in der letzten Mutterlauge enthalten.
Die Fleisohmilchsäure ist der gewöhnlichen Hilchs&ure sehr
ähnlich; sie bleibt wie diese beim Verdunsten ihrer Lösung als unkry-
stallisirbarer Syrup.
Einige Salze der Fleisch milchsäure weichen von den entsprechenden Salzen
der gewöhnlichen Milchsäure in Löslichkeit und in Krystallwassergehalt ab. So
enthält der paramilchsaure Kalk (GsHsCaOs -^ 2H2O) weniger Erystailwasser
als der milchsaure Kalk und ist in Wasser weniger löslich. Das Zinksalz der
Fleischmilchsäure (G^H^Zn^j -f" ^2^) enthält weniger Wasser als das der ge-
wöhnlichen Milchsäure, ist aber in Wasser und auch in Alkohol weit löslicher als
dieses. Anch das Magnesiasalz und das Kupfersalz zeigen Verschiedenheiten.
1090. Ozybuttersäure, Acetons äure, Butylact]n8äure:64Hg03 =
• «
G H Oi
^ IT {^s- ^^ ^i°^ ^^^^ Säuren bekannt, die sich von der Milchsäare
nur durch einen Mehrgehalt von OH) unterscheiden. Die erste, Aceton-
säure, wurde von Städeler *) durch eine synthetische Reaction aus
Aceton dargestellt; die Butylactinsäure erhielt Wurtz**) durch Oxyda-
tion des Amylglycols; die Oxybuttersäure endlich stellten Friedel und
Machuca ***) und gleichzeitig Naumann f) durch Zersetzung der Ho-
nobrombuttersäure dar. Nach den bis jetzt vorliegenden Angaben schei-
nen Acetons&ure und Butylactinsäure identisch, die Oxybuttersäure aber
von beiden verschieden zu sein. Da indess diese drei Säuren bis jetzt
nur wenig untersucht sind, so ist weder ihre Verschiedenheit noch ihre
Identität mit Sicherheit festgestellt.
Acetonsäure. Wenn Aceton mit wässriger Blausäure und Salzsäure ver-
mischt, die Mischung nach längerem Stehen gekocht und dann im Wasserbad ein-
gedampft wird, so bleibt ein bräunlicher Syrup, der allmälig krystallinisch erstarrt
und aus einem Gemenge von Salmiak und Acetonsäure besteht. Die Acetonsäure
wird mit Aether ausgezogen und aus Wasser oder Aether umkrystallisirt Sie
bildet kleine luftbeständige Prismen. Das Zinksalz: B^U^ZnO, -f* ^a^ krystalli-
sirt in dünnen sechsseitigen Tafeln oder Prismen, es ist in kaltem Wasser wenig
in Alkohol und Aether nicht löslich. Das Barytsalz ist in Wasser und Alkohol
leicht löslich, es krystallisirt in Nadeln oder in feinen Prismen. Die Bildung der
Acetonsäure erklärt sich aus der Gleichung:
Aceton. Blausäure. Acetonsäure.
ejH.e 4. eNH + 2H,0 + HCl = e^e, + nb^ci.
*) Ann. Chem. Pharm. CXI. 820.
•♦) ibid. CVIL 197.
•••) Compt. rend. UL 127.
t) Ann. Chem. Pharm. CXIX. 116.
Lencinsäare. 755
Die Acetonsftore entsteht demnach durch eine auf indirectem Weg verwirklichte
Vereinigung von Aceton mit Ameisensfture (vgl. §. 1076).
Butylactinsäure. Wurtz erhielt diese S&ure, indem er Amylglycol
(14 Grm.) mit Salpetersäure (30 Grm.) und Wasser (42 Grm ) gelinde erwftrmte
und die Flüssigkeit im leeren Raum Über Actzkalk verdunsten Hess. Aus dem
syrnpartigen Rückstand wurde ein unkrystallisirbares Barytsalz dargestellt, das in
Wasser und verdünntem Alkohol leicht, in absolutem Alkohol und in Aether nicht
löslich ist. Die aus dem Barytsalz abgeschiedene Säure gibt ein warzenförmig
krystallisirendes Kalksalz und ein in glänzenden Blftttchen krystallisirendes Zink-
salz: 64H-,Zn03 4" ^a^^ welches in absoluten Alkohol fast unlöslich ist.
Oxybuttersäure. Wenn Monobrombuttersfiure bei Gegenwart von Was-
ser mit der zur Sättigung des Broms nöthigen Menge Silberozyd erwärmt wird,
so entsteht eine in strahligen Warzen krystallisirende Säure, die ausnehmend zer-
fliesslich ist und deren Zinksalz in harten Krystallwarzen erhalten wird. (Friedel
und Machuca). — Naumann erhielt dieselbe Säure indem er Monobrombutter-
säure mit überschüssiger Natronlauge längere Zeit erhitzte, nach üebersättigen
mit Schwefelsäure mit Aether schüttelte und aus der in Aether gelösten Säure das
Zinksalz darstellte. Das so erhaltene butylactinsaure Zink, OfiiZuB^-^-E^B^
bildet weisse Krystallblättchen , die sich leicht in heissem, wenig in kaltem Was-
ser lösen und in Alkohol und Aether fast unlöslich sind. Die ans dem Zinksalz
mit Schwefelwasserstoff dargestellte Butylactinsaure ist krystallisirbar und sehr
zerfliesslich.
Leucins&ure: O^HijOa. Die Leucinsäare wurde zuerst yon 1091.
Strecker*) durch Einwirkung von salpetriger Säure auf Leucin darge-
stellt. Oössmann **) erhielt sie dann durch Behandeln einer alkali-
schen Leucinlösung mit Chlorgas. Sie wurde in neuerer 2^eit von
"Waage *♦♦) genauer untersucht.
Zur Darstellung von Lcucinsäure leitet man salpetrige Säure in eine mit
Salpetersäure schwach angesäuerte wässrige Lösung von Leucin, schüttelt mit
Aether und dampft die ätherischen Auszüge ein. Es bleibt eine braune ölartige
mit Wasser nicht mischbare Flüssigkeit, die bei längcrem Stehen zu strahlig kry-
stallinischer Masse erstarrt. Nur Reinigung stellt man am besten das Zinksalz dar
und zersetzt das in Alkohol suspendirte Salz mit Schwefelwasserstoif.
Die Leucinsfture krystallisirt in farblosen Nadeln, die bei 729
schmelzen und schon bei etwa 100® sublimiren. Sie ist in Wasser
Alkohol und Aether leicht löslich. Bei l&ngerem Erhitzen zerftlllt sie in
Wasser und ein krystallinisches noch nicht näher untersuchtes An-
hydrid.
Die Salze der Leucinsfture sind in Wasser weniger , in Alkohol leicb«
ter löslich als die entsprechenden Salze der Milchsäure.
•) Ann. Chem. Pharm. LXVIIL 65.
••) ibid. XCL 136.
•••) ibid. CXVni. 296.
48
756 Amide der Radicale: OhHid-ie^.
Dm Zinksftlz bildet seidenglftozende sehr leichte Schuppen: B^BnZa^^ •f'
^/jH^O. Die Alkalisalze sind nnkrystallisirbar; das Kalksais bildet in Wasser und
Alkohol leicht lösliche Nadeln; das Barytsalz wird in seidenglänzenden Blftttchen
erhalten, die in wannen Wasser und Alkohol ziemlich löslich sind. Das Kapfer-
salz ist in Wasser wenig löslich, es kann aus siedendem Alkohol umkrystallisirt
werden. Das Silbersalz ist in siedendem Wasser löslich.
Amide der Radicale: OnHan-?^.
1092. Es wurde oben (§. 1065) erwähnt, dass sich von der Gljcolsäore
und ebenso von der Milchsäure drei verschiedene Amide ableiten, welche
beispielsweise durch die folgenden Formeln ausgedrückt werden können:
^0
Lactamin./ („!.) e,H,0
säure. V Hf«
^ H|^ I Milchsäure-
eaH4e( / diamid.
(IL) H N
H'
Uilchsäure-
monamid.
Die Di amide sind bis jetzt nicht bekannt.
Die Aminsäuren: Glycolaminsäure (Glycocoll) und Lactamins&are
(Alanin), können aus den oben (§. 1065) erörterten Gründen nicht direct
aus Glycolsäure und aus Milchsäure erhalten werden; sie entstehen aas
den diesen Säuren entsprechenden Ghlorhydraten , d. h. ans Monochlor-
essigsaure und aus Monochlorpropionsäure.
Die Monamide sind mit diesen Aminsäuren metamer. Sie ent-
stehen aus den Ammoniaksalzen der Glycolsäure und der Milchsäure
durch Austritt von Wasser; sie bilden sich durch Vereinigung von Am-
moniak mit den Anhydriden der Glycolsäure und der Milchsäure; sie ent-
stehen endlich durch Einwirkung von Ammoniak auf Milchsfturemonätbyl-
äther etc. Sie unterscheiden sich von den isomeren Aminsäuren wesentlich
dadurch, dass sie beim Kochen mit Alkalien oder Säuren zerfallen, indem
sie sich unter Aufnahme von Wasser zu Ammoniak und der betreffenden
Säure spalten.
Mit den Aminsäuren und den metameren Monamiden der zweiatomigen Sau-
ren sind ausserdem noch zahlreiche andere Substanzen isomer. So z. B. mit GQy-
Laetamld. 757
cocoU und mit Glycolamid der Salpetrigsäareätbylttther (§. 687), der Carbamin-
säoremethyläther und die Methylcarbaminsänre (J. 1018).
Wir stellen zuD&chst das Wenige zusammen , welches über die aus 1098.
Oljcolsfture und Hilchs&ure direct darstellbaren Monamide bekannt ist
Olyeols&uremonamid (Glycolamid) 63H5N62. L&sst man trock-
nes Ammoniak auf Glycolid (§. 1069) einwirken, so erhält man farblose
Ery stalle , die leicht in Wasser, wenig in Alkohol löslich sind. Beim
Kochen mit Kali zerflillt das Glycolamid zu Ammoniak und Glycolsäure.
Dieselbe Substanz entsteht auch, wenn saures tartronsaures Ammo-
niak längere Zeit auf 150® erhitzt wird (Dessaignes) *). — Das Glycol-
amid ist isomer mit Glycocolt ($. 1099).
Milchsäuremonamid (Lactamid) 63H7NO2, wurde von Fe-
lo uze **) durch Einwirkung von Ammoniak auf Lactid (§. 1084) erhal-
ten. Man bereitet es, nach Brüning***), indem man Hilchsäuremon-
äthyläther (§. 1080) mit Ammoniak sättigt und einige Zeit stehen lässt.
Es bildet kleine Prismen , die in Wasser und Alkohol leicht lOslich sind
und die sich weder mit Basen noch mit Säuren verbinden. Beim Kochen
mit Alkalien oder Säuren zer&llt es zu Ammoniak und Milchsäure. —
Es ist metamer mit Alanin (§. 1100).
Aethylmilchsfiureamid (Lactamethan): 6,H9(63Hs)NG3 (vgl §. 1066).
Sättigt man eine alkoholische Lösung von Hilchsäuredifithyläther ($. 1082) mit
Ammoniak und lässt einige Tage stehen so bildet sich' dieses Amid, welches in
schönen glänzenden Blättern krystallisirt, die schmelzbar und in Wasser und Al-
kohol löslich sind (Wurtz) f ).
Milchsäureäthylamid (Lactftthylamid) : 6,H«(G2H,)NG3. Lässt man
Aethylamin auf Lactid einwirken, so erhält man bei 48® schmdzbare Krystalle,
die bei 260® sieden und beim Kochen mit Alkalien zu Milchsäure und Aethylamin
zerfallen (Friedel und Wurtz) +f ). Es ist mit der vorigen Verbindung isomer.
S. g. Lactaminsaures Ammoniak: GeHi^NjO^. Pelouze erhielt durch
Einwirkung von ti'ocknem Ammoniak auf wasserfreie Milchsäure (Dilactylsäure
§. 1085) eine weisse Substanz, in welcher, nach Laurent, nur ein Theil des Ammo-
niaks in der Kälte durch Platinchiorid gefKUt wird, während der andere Theil des
Ammoniaks ci-st durch längeres Kochen ausgefällt werden kann. Da die Dilactyl-
säure als eine Verbindung von Jjactid mit Milchsäure betrachtet werden kann, so
ist das 8. g. lactaminsaure Ammoniak wahrscheinlich eine Verbindung oder auch
nur ein Gemenge von Milchsäuremonamid mit milchsaurem Ammoniak.
•) Ann. Chem. Pharm. LXXXIX. 889.
••) ibid. LUI. 112.
♦••) ibid. CIV. 197.
+) ibid. CXIL 284.
tt) Compt rend. LU. 1069.
758 Amide der Radicale: 6&H«ii-.20.
1094. Aminsäuren der Radicale: GnH^n-^O (Glycine). Die Be-
ziehiingen, welche diese Körper mit den einbasischen Säuren der Fett-
sfturereihe und mit den zweiatomigen Säuren der Hilchsäurereihe verknflpfen
sind oben (§$. 1065, 1092) ausführlich erörtert worden. Es wurde ge-
zeigt, dass sie nach Eigenschaften und Zusammensetzung als die der 61j-
colsäure und Milchsäure entsprechenden Aminsäuren betrachtet werden
können; es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass sie von einem ge-
wissen Gesichtspunkte aus als Amidosubstitutionsproducte der einbasi-
schen (fetten) Säuren angesehen werden können.
Die jetzt bekannten Verbindungen dieser Gruppe sind *) :
GlycocoU GjHj NO,
Alanin 6,87 NO,
Butalanin G^HiiNO,
Leucin O^Hi^NO,
1095. Bildung und Vorkommen der Glycine. Diese Körper kön-
nen durch zwei in theoretischer Hinsicht sehr interessante Reactionen er-
zengt werden:
1) Die einfiiöh gechlorten oder gebromten Säuren der Essigsänre-
reihe, welche (vgl. $. 1063) gleichzeitig als Ghlorhydrate oder Bromhydrate
der zweiatomigen Säuren der Milchsäurereihe betrachtet werden können,
liefern beim Erhitzen mit Ammoniak Glycine. Man hat so die Essigsäure
in GlycocoU**) und den aus Milchsäure dargestellten Ghlorpropion-
Säureäther in Alanin***) umgewandelt.
Die Reaction wird ausgedrückt durch die Gleichung:
GACIG, + 2NH, = eaHjNGa + NH4CL
Monochloressigsäure. Glycocoll.
oder:
GAG
G^Gv
+ HCl.
Die letztere Gleichung zeigt, dass der in der Monochloressigsäure mit einem
Atom Chlor 'verbundene Rest ein Atom Wasserstoff des Ammoniaks ersetzt^ wie
dies bei Einwirkung der Chloride auf Ammoniak gewöhnlich geschieht.
*) Eine fünfte dieser Reihe angehörige Substanz: GsHi^NGj scheint, nach Er-
lenmeyer und Schöffer, synthetisch aus Blausäure und Oenanthol erhalten
werden zu können (Jahresb. 1859. 866).
**) Ferkln u. Duppa, Ann. Chem. Pharm. CYIÜ. 118-, Gahours, ibid. CVIL 148.
•••) Kolbe, ibid. CXffl. 220.
Glydne. 759
2) Aas den Aldehyden der fetten S&uren können die nm ein Atom 1096.
Kohlenstoff reicheren Glycine synthetisch dargestellt werden, indem
man die Ammoniakverbindungen der Aldehyde mit Blaus&ure und Salz-
säure eindampft
In dieser Weise ist aus Acet-aldehyd das Alanin *) und später aus
Yaleraldehyd das Leucin ♦*) dargestellt worden.
Die Reaction wird ausgedrückt durch die Gleichung:
Aldehydammoniak. Alanin.
^'n*^| + ^^^ + ^»^ + ^^ =" e,H,N0a 4- NH4CI
sie wird besser verständlich, wenn man sich der folgenden Formeln bedient, in
welchen das Aldehydammoniak in der §. 840 angegebenen Weise geschrieben ist,
während das zweiatomige Radical (63H4O) des Alanins nach den §. 1000 mitge-
theilten Grundsätzen weiter aufgelöst wird.
Aldehydammoniak. Alanin.
e H '^ + ^^^ + ^»^ + "^^ = ««hA + ^"*^^-
Man kann nämlich die Reaction in folgender Weise auffassen: unter dem
Einflass der Salzsäure nimmt die Blausäure (Nitril der Ameisensäure) Wasser auf,
das gebildete Ammoniak vereinigt sich mit der Salzsäure, während das Radical der
Ameisensäure in das Aldehydammoniak eintritt.
3) Die meisten Glycine (OlycocoU, Butalanin, Leucin) kommen fer- 1097.
tig gebildet im thierischen Organismus vor. Das Glycocoll und das Leu-
cin sind ausserdem häufig auftretende Zersetzungsproducte stickstoffhal-
tiger Körper von complicirterer Zusammensetzung, namentlich der eiweiss-
artigen Körper und der Leimsubstanzen.
Eigenschaften. Die Glycine vereinigen, wie dies ihre typische 1098.
Formel ausdrückt, die Eigenschaften einer Säure und die einer Ammo-
niakbase« Das heisst sie verbinden sich einerseits direct mit Säuren und
sind andererseits Ahig ein Atom Wasserstoff gegen die äquivalente Menge
Metall auszutauschen. Sie verbinden sich ferner mit einigen Salzen.
Zersetzungen. Von den Zersetzungen der Glycine ist die fol-
gende von besonderem Interesse, weil sie diese Körper als amidartige
Verbindungen der zweiatomigen Säuren der Milchsäurereihe charakteri-
sirt Lässt man salpetrige Säure auf ein Glycin einwirken so entweicht
der Stickstoff des Glycins gleichzeitig mit dem der salpetrigen Säure und
•) Strecker, Ann. Chem. Pharm. LZXV. 27.
•«) Limpricht, ibid. XCIV. 243.
T60 Amide der Radicale: 6nHfto-iE0.
es entsteht diejenige zweiatomige Säure, deren entsprechende Amins&nre
angewandt wurde. Z. B. :
Alanin. MilchBäure.
Gegen Alkalien zeigen die Oljoine eine grosse Beständigkeit; sie
werden selbst beim Kochen nicht zu Ammoniak und der entsprechenden
zweiatomigen Säure zersetzt. Sie unterscheiden sich dadurch wesentlich
von den isomeren Monamiden (vgl. jj. 1092 ff.).
Bei vielen Zersetzungen der Glycine wird ein Atom Kohlenstoff als
Kohlensäure eliminirt und es entsteht gleichzeitig eine Verbindung, die
sich von dem um ein Atom Kohlenstoff ärmeren Alkohol oder der ent-
sprechenden fetten Säure ableitet.
Die Glycine zerfallen z. B. bei trockner Destillation oder bei Destil-
lation mit Aetzbaryt in Kohlensäure und eine Aminbase:
Alanin. Aethylamin.
e,H4eje
ms -f- ee.
(Schreibt man das Alanin mit der oben benützten, das Radical OaH«^ wei*
ter auflösenden Formel (§. 1096), so erscheint diese Zersetzung als Austritt von
Carbonylozyd und Uebergang des zweiatomigen ß^^^ in das einatomige 63H5).
Schmilzt man die Glycine mit Kalihydrat so entweicht Ammoniak
und der Rückstand enthält Cyankalium und das Salz einer fetten Säure.
Durch oxydirende Substanzen wird häufig, unter Austritt von Koh-
lensäure, das Nitril einer fetten Säure erzeugt.
Alle diese Zersetzungen sind bei den einzelnen Glycinen noch be-
sonders erwähnt.
1099. GlycocoU, Glycin, Leimzucker: GjHsNOj. Das GlyeoooU
wurde 1820 von Braconnot durch Zersetzung des thierischen Leims
mittelst Schwefelsäure erhalten. Dessaignes*) bereitete es 1846 durch
Spaltung der Hippursäure. Strecker**) fand 1848, dass die in der
Ochsengalle vorkommende Glycoch Ölsäure beim Kochen mit Säuren oder
•) Ann. Chem. Pharm. LVUI. 322.
••) ibid. LXV. 180. LXVU. 16.
GlycocoU. 76 t
Basen eu Cholsftare und Olycocoll zerf&llt. Die künstliche Bildung des
Olycocolls aus Essigsäure wurde 1858 von Perkin und Duppa *j
entdeckt. Diese Chemiker lehrten, dass Monobromessigsäure beim Er-
hitzen mit Ammoniak Olycocoll erzeugt. Cahours**) fand dann, dass
die Monochloressigsäure bei derselben Behandlung ebenfalls Olycocoll
liefert.
Zur Darstellung des GlycocoUs eignet sich besonders die Bippursäure.
Man kocht diese Säure (etwa '/a Stunde) mit concentrirter Salzsäure, filtrirt nach
Wasserzusatz und Erkalten von der ausgefallenen Benzoesäure ab, dampft das Fil-
trat im Wasserbad zur Trockne ein und zersetzt endlich den aus salzsaurem Gly-
cocoll bestehenden Rückstand indem man mit Ammoniak übersättigt und absolu-
ten Alkohol zufügt, wodurch das GlycocoU in kleinen Krystallen gefällt wird
(Horsford). Man kann auch den aus salzsaurem GlycocoU bestehenden Rückstand
in Wasser lösen, durch Zusatz von Bleioxydhydrat die Salzsäure ausfällen und aus
dem flltrat, nach Fällung des gelösten Blei's mittelst Schwefelwasserstoff, durch
Eindampfen das GlycocoU krystallisirt erhalten.
Zur DarsteUung aus Leim verfährt man in folgender Weise. 1) Gepulverter
Tischlerleim (l Th.) wird mit 2 Th. Schwefelsäure übergosssen und das Gemenge
24 Stunden sich selbst überlassen; man setzt dann 8 Th. Wasser zu und kocht
unter Ersetzung des verdampfenden Wassers 5 Stunden lang*, man neutralisirt mit
Kreide, filtrirt 'und dampft zur Syrupconsistenz ein. Das nach längerem Stehen
auskrystaUisirte GlycocoU wird mit kaltem Weingeist gewaschen und mehrmals aus
heissem verdünntem Weingeist umkrystallisirt, um das weit löslichere Leucin zu
entfernen (Braconnot). — 2) Man kann auch Leim so lange mit EalUauge kochen
als Ammoniak entweicht, dann mit Schwefelsäure neutraUsiren, stark eindampfen
und den Rückstand mit heissem Weingeist ausziehen (Mulder).
Die künstliche Bildung aus Monochloressigsäure oder Monobromessigsäure
ist zur DarsteUung des GlycocoUs sehr geeignet.
Das GlycocoU *♦♦) krystaUisirt aus Wasser in grossen luftbestän-
digen Krystallen. Es löst sich in 4,3 Th. kalten Wassers; in Aether und
absolutem Alkohol ist es fast unlöslich; in heissem verdünntem Alkohol
löst es sich in reichlicher Menge. Es schmilzt bei 170<> und zersetzt sich
bei höherer Temperatur ohne zu sublimiren.
Zersetzungen. Wird GlycocoU mit trocknem Aetybaryt erhitzt,
so entsteht neben Ammoniak auch Methylamin; beim Erhitzen mit Na-
tronkalk oder Kalihydrat wird nur Ammoniak erzeugt (Cahours). Leitet
man in eine wässrige Lösung von GlycocoU salpetrige Säure, so entsteht
unter Entwicklung von Stickgas Glycolsäure (Strecker). Wird GlycocoU
mit Braunstein oder Bleisuperoxyd und verdünnter Schwefelsäure erwärmt,
•) Ann. Chem. Pharm. CVIII. 113.
••) ibid. CVn. 148.
•••) Vgl. feiner: Mulder, Ann. Chem. Pharm. XXVIII. 79. Boussingault, ibid.
XXVIII. 80; XXXIX. 304. Horsford, ibid.LX. 1; Dessaignes, ibid. LXXXII.
286; Strecker, LXVU. 16.
762 Amide der Radicale: 6bH2d-.30.
80 entsteht Wasser, Kohlensäure und Blausäure (Nitril der Ameisen-
säure).
Metallverbindungen des Oljcocolls. Das GlycocoU reagirt
schwach sauer. Seine wässrige Lösung löst viele Metalloxjde auf und
erzeugt so salzartige Verbindungen, die zum grössten Theil krjstallisir-
bar sind.
Der Eupferverbindung ist besonders charakteristisch. Man erhält sie
leicht durch Auflösen von Kupferoxyd in siedender Lösung von Glycocoll; sie
scheidet sich beim Erkalten als feine tiefblaue Nadeln aus. Aus der Mutterlauge
wird sie von Alkohol vollständig gefallt Das Glycocoll treibt beim Kochen mit
essigsaurem Kupfer selbst die Essigsäure aus und erzeugt diese Verbindung. Setzt
man zu einer Lösung von schwefelsaurem Kupferozyd Glycocoll und dann Kali,
so wird kein Kupieroxyd geföllt; man erhält eine tiefblaue Lösung, ans welcher
Alkohol die Kupferverbindung des Glycocolls ausfällt. Die Kupferverbindung enthält
Krystallwasser (62H4CUNO2 -{" ^/a^a^)) welches sie bei lOC^ verliert. Die dorch
Auflösen von Silberoxyd in warmer GlycocolUösung erhaltene Silber Verbin-
dung wird von Alkohol in farblosen Krystallen gefällt; sie ist wasserfrei:
ejE^AgNOa.
Verbindungen des GljcocoUs mit Säuren. Das Glycocoll
verbindet sich mit Säuren in verschiedenen Verhältnissen und erzeugt so
krystallisirbare Verbindungen.
Durch Verdunsten von Glycocoll mit wenig Salzsäure erhält man farblose
Prismen: 2€2HftN03, HCl. Wird Glycocoll mit überschüssiger Salzsäure eingedampft,
so erhält man in Wasser sehr lösliche Krystalle von OjHjNOj, HCL Diese letst-
tere Verbindung entsteht bei der Darstellung des Glycocolls aus Hippursäure; sie
bildet mit Platinchlorid ein in Wasser und Alkohol leicht lösliches krystalliuisches
Doppelsalz: GaHaNO,, HCl, PtCl,.
Die Verbindungen des Glycocolls mitSalzen sind grössten-
theils schön krystallisirbar.
Man kennt Verbindungen mit KCl, NaCl, BaCl, salpetersaurem Kali , Baryt,
Kalk, Magnesia, Zink, Blei, Kupfer, Silber^ mit schwefelsaurem und mit chromsau-
rem Kali etc.
1100. Alanin: GaH^NOj. Das Alanin wurde 1850 von Strecker*)
durch Synthese aus Aldehyd erhalten. Kolbe**) stellte es 1860 aus
Milchsäure dar, indem er den aus dieser Säure erhaltenen Chlorpropion-
säureäther (§. 1088) auf Ammoniak einwirken liess.
Darstellung. Man mischt die wässrige Lösung von Aldehydammoniak
mit Blausäure (auf 2 Th. Aldehydammoniak, 1 Th. wasserfreie Blausäure), kocht
längere Zeit und dampft zur Hälfle ein. Man setzt dann ein Gemenge von Alkohol
und Aether zu, filtrirt vom ausgeschiedenen Salmiak ab und dampft wieder ein.
Das so erhaltene salzsaure Alanin wird in wässriger Lösung mit Bleioxydhydrat
*) Ann. Chem. Pharm. LXXV. 27.
••) ibid. CXin. 220.
Leudn. 763
gekocht, aus der vom basischen Chlorblei abfiltrirten Lösang das Bleioxyd durch
Schwefelwasserstoff geföllt und das Filtrat zur Erystallisation eingedampft.
Das Alanin krystallisirt in meistens büschelförmig vereinigten Pris-
men. Es löst sich in 4,7 Th. kalten Wassers, leichter in heissem. In
Aether und absolutem Alkohol ist es nahezu unlöslich. Es sublimirt bei
etwa 200«.
Zersetzungen. Das Alanin zerfollt bei raschem Erhitzen in
Kohlensäure und Aethylamin. Beim Erwärmen mit Bleisuperoxjd und
Wasser liefert es Kohlensäure, Aldehyd und Ammoniak. Von salpetriger
Säure wird es unter Stickgasentwicklung und Bildung von Milchsäure
zerlegt
Verbindungen. Das Alanin verbindet sich wie das Olyoocoll
mit Oxyden, mit Säuren und mit Salzen zu grossentheils krystallisirbaren
Verbindungen.
Butalanin: ©jEnNGj. Es wurde 1856 von Gorup-Besanez *) 1101.
neben Leucin in der Milz und Bauchspeicheldrüse des Ochsen aufgefun-
den. Es bildet weisse glänzende Prismen und ist in Wasser und Alkohol
weniger löslich als Leucin. Es sublimirt zum Theil unzersetzt
Leucin: 60II13NO2 (früher auch Aposepedin, Käseoxyd, genannt). 1102.
Es wurde 1818 von Proust im faulenden Käse entdeckt. Braconnot
erhielt es neben Olycocoll bei Zersetzung thierischer Substanzen mit
Schwefelsäure. Limpricht**) lehrte 1855 seine synthetische Darstel-
lung aus Blausäure und Baldrianaldehyd.
Das Leucin findet sich fertig gebildet ***) in vielen Organen, z. B.
im Hirn, in Lunge, Leber, Milz, Pankreas, Speicheldrüse, Lymphdrüse,
Schilddrüse, Thymusdrüse etc. im Blut, Harn u. s. w. Bei einzelnen Krank-
heiten wird seine Menge in bestimmten Organen und Flüssigkeiten be-
trächtlich vermehrt.
Das Leucin entsteht häufig bei Fäulniss f ) eiweissartiger Substanzen
(Casein, Albumin, Fibrin); ferner bei Behandeln derselben Substanzen mit
Kalilauge ff ) ; und endlich in besonders reichlicher Menge, wenn eiweiss-
artige Substanzen, elastische Gewebe oder Hornsubstanz (Ochsenhorn,
Federn, Haare etc.) längere Zeit mit verdünnter Schwefelsäure oder auch
Salzsäure gekocht werden.
*) Ann. Chem« Pharm. XCVIIL 15.
••) ibid. XCIV. 248.
***) Vgl bes. Gomp-Besanez, Ann. Chem. Pharm. XCVIIL 15. Cloetta, ibid.
XCIV. 291; Müller, ibid. CUI. 145; Scherer, ibid. 276.
f) Vgl. bes. Djenko, Ann. Chem. Pharm. LXUL 271; Bopp, ibid. LXIX. 20.
ff) liebig, Ann. Chem. Pharm. LVIL 128; Bopp, loc. dt
764 Amide der Radicale: B^u-^iB.
Darstellung. Die Darstellung des Lencins aus denjenigen Organen die
es fertig gebildet enthalten kann hier nicht näher besprochen werden. Von den
zahlreichen Vorschriilen zur Darstellung erwähnen wir die folgenden. 1) Aue
Hörn. 2 Th. Homspäne werden mit einem Gemisch von 5Th. Schwefelsäure mit
18 Th. Wasser Übergossen, 24 Stunden lang unter Erneuerung des verdampfenden
Wassers gekocht, noch heiss mit Kreide übersättigt, filtrirt und auf etwa die Hälfte
eingedampft Man fällt dann den gelösten Kalk durch schwach Überschüssige
Ozaldäure, filtrirt vom Oxalsäuren Kalk ab und dampft zur Kr3'8talli8ation ein.
(Hinterberger, Schwanert). — 2) Aus Nacken band. Das vom Bindegewebe mög-
lichst befreite Nackenband des Ochsen ist zur Darstellung des Leucins besonders
geeignet. Man bringt 1 Th bei 100® getrocknetes Nackenband in die noch warme
Mischung von 2 Th. Schwefelsäure mit 3 Th. Wasser und kocht drei Stunden
lang, am zweckmässigsten in einem mit aufsteigendem Kühlrohr versehenen Kol-
ben. Man setzt dann einen dicken Kalkbrei, der die zur Sättigung der angewand-
ten Schwefelsäure gerade hinreichende Menge Kalk enthält, zu, verdünnt mit 6 Th.
Wasser, lässt absetzen und filtrirt ab. Die Flüssigkeit wird dann nochmals mit ^^
des früher angewandten Kalkes versetzt und 1 — 2 Stunden gekocht. Man filtrirt
von Neuem, neutralisirt möglichst genau mit Schwefelsäure und dampft die schwach
saure Flüssigkeit ein etc. (Zollikofer, Erlenmeyer und Schöffer) **). — Zur Reini-
gung wird das rohe Leucin mit Thierkohle entförbt und mehrmals aus Wasser
und heissem Alkohol umkrystallisirt. Eine dem Leucin hartnäckig anhaftende
schwefelhaltige Substanz entfernt man am besten indem man in verdünnter Kali-
lauge löst, mit alkalischer Lösung von Bleiozyd kocht, vom ausfallenden Schwe-
felblei abfiltrirt, genau mit Schwefelsäure neutralisirt und die zur Trockne einge-
dampfte Masse mit kochendem Alkohol auszieht (Gorup-Besanez) ***). Die meisten
DarsteDungen geben neben Leucin auch etwas Tyrosin, das durch seine geringere
Löslichkeit in Wasser getrennt werden kann.
Eigenschaften f). Das Leucin bildet weisse, fettig anzufbh-
lende Schuppen. Es löst sich in 27 Tb. kalten Wassers, leichter in heis-
sem. Es bedarf 1040 Th. kalten Alkohols und 800 Th. siedenden Alko-
hols (98 %) zur Lösung. Es kann bei vorsichtigem Erhitzen vollständig
sublimirt werden. Es schmilzt bei 170^ und zeriUilt bei wenig höherer
Temperatur in Kohlensäure und Amjlamin (Schwanert) ff).
Schmilzt man Leucin mit Kalihjdrat, so entsteht unter Entwicklung
von Ammoniak und Wasserstoff baldriansaures Kali (Liebig) fff)* Setzt
man zur alkalischen Lösung des Leucins übermangansaures Kali, so ent-
weicht Ammoniak und es wird oxalsaures und baldriansaures Kali gebil-
*) Bopp, loc. cit.; Hinterberger, ibid. LXXL76; Zollikofer, ibid. LXXXIL 174;
KöUer u. Leyer, ibid. T,XXXTTL 882; Schwanert, ibid. CII. 222.
••) Zeitschrift für Chemie. 18Ö0.
•••) Ann. Chem. Pharm. CXVin. 280.
f) VgL femer: Mulder, Ann. Chem. Pharm. XXVIII. 79; Gerhardt u. Laurent,
ibid. LXVm. 864; Strecker, ibid. LXXIL 89; Gössmann, ibid. XCH. 129.
ff) ibid. Cn. 224
ti-h) Ann. Chem. Pharm. lUL 127.
Leacin. 765
det (Neubauer) *). Erwärmt man Leucin mit Braunstein und yerdünnter
Sohwefelsäure, so entsteht Kohlensäure und Yaleronitril; destillirt man
mit Bleisuperoxyd, so erhält man Ammoniak, Kohlensäure und Butjral-
did (Liebig) **). Lässt man Chlor auf feuchtes oder trocknes Leucin
einwirken, so entsteht unter Entweichen von Kohlensäure Yaleronitril und
gleichzeitig gechlortes Yaleronitril (Schwanert, l. c). Schwefelsäureanhy-
drid gibt mit Leucin eine braune Flüssigkeit, die bei 100^ viel schweflige
Säure entwickelt und dann bei Destillation mit Wasser Yaleraldid liefert
Salpetrige Säure zersetzt das Leucin unter Bildung von Leucinsäure
(§. 1091).
Yerbindungen des Leucins. Das Leucin verbindet sich, ähn-
lich wie Olycocoll und Alanin , mit Säuren (Salzsäure und Salpetersäure)
und mit einigen Salzen. Es bildet mit Kupferoxyd, Quecksilberoxyd und
Bleioxyd krystallisirbare Yerbindungen.
Leucinimid: 6eH||N0. Bei Darstellung von Leacin aus eiweissartigen 1108.
Körpern erhielt Bopp •*•) eine schwefelhaltige dem Leucin und Tyroßin in mancher
Beziehung ähnliche Substanz, die seitdem von Erlenmeyer f) näher untersucht
wurde. Hesse ff) fand einen ähnlichen Körper unter den Fäulnissproducten der
Hefe; Limpricht und Hessefff) stellten dieselbe Verbindung aus Hornsubstanz
dar. Die so dargestellten Substanzen enthalten als Qemengtheil eine schwefelfreie
Verbindung von der Formel: 6«HiiN0; die danach als Leucinimid (Leucin — H^O)
d. h. als Imid der zweiatomigen Leucinsäure angesehen werden kann.
An die amidartigen Yerbindungen der zweiatomigen Säuren und 1104.
specieller der Glycolsäure reihen sich ausserdem noch dasKreatin und
dessen Abkömmlinge : Kreatinin und Sarkosin an. DieseKörper sol-
len später im Zusammenhang mit andern ähnlichen Substanzen beschrie-
ben werden. Es mag hier nur einstweilen bemerkt werden, dass sie als
complicirtere Amide der Glycolsäure betrachtet werden können *J.
Man hat:
Glycolsäure. Methylalkohol.
GaH^e, + GH^e -f NH, — ffl^G = GaH^N G^ Sarkosin
GaH4G3 + GH4G + e^2 + 3NH, — 4HaG = G4H,N,Ga Kreatm.
^^^^9 + GH4G 4- ^^2 + 8NHt — öHaG = G4H,N3G Kreatini
ktinin.
^) Ann. Chem. Pharm« GVL 59.
♦•) ibid. LXX. 813.
••♦) ibid. XTJX. 16.
+) ibid. CXIX. 17.
+f) ibid. CXVI. 201.
ttt) Jahresb. 1867. 538.
•) VgL Strecker, Ann. Chem. Pharm. CXVEI. 166.
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766
Das Sarkosin kann als Methylglycocoll betrachtet werden, es ist isomer
mit Alanin (§. 1101). Das Kreatinin erscheint als Glycolyl-methylaramin
(§. 1026) ; das Ejreatin hat die Zusammensetzmig von Cyauamid -j- Methylglycocoll,
es leitet sich von einer Aminsäure des Guanins (§. 1014) oder des Methylur-
am ins (S- 1025 j ab. Man kann demnach diese drei Körper durch die folgenden
rationellen Formeln darstellen:
H
Sarkosin
4^
Kreaänin = ^^»^^^
N. =
eNi
Kreatin =
S|-
H,
h1^
ä
i
3 2» 049 975 691
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